Der Mann, der ihr gegenüber auf dem kleinen Wagen saß starrte sie finster an. Zumindest aus einem Auge, in das Andere hatte sie ihr Messer rammen können, bevor seine Kumpanen sie überwältigt und gefesselt hatten, bei ihrem letzten Fluchtversuch. Esme verfluchte diesen verdammten Wald, welcher ihr so fremd war. Sie hatte die Männer für ein paar Stunden abhängen können, nur um sich dann zu verirren und ihnen direkt wieder in die Arme zu springen. Und so unvorsichtig wie vorher würden sie mit ihr wohl nie wieder werden. Der Soldat starrte sie noch immer an und sie entschied den Blick zu erwidern. Eigentlich sollte er dankbar sein, schließlich hatte sie die Wunde anschließend versorgt, bevor sie sich entzünden konnte. Aber ein neues Auge konnte nun schließlich selbst sie ihm nicht wachsen lassen. Es war eine sehr kleine Gruppe, zwei Reiter hinter ihnen, zwei weitere vorne, ihr Anführer vorne auf dem Wagen und Einauge mit ihr in der Mitte. Als sie im Moor aufgetaucht waren, war die Gruppe noch größer gewesen, aber zwei der Soldaten lagen jetzt irgendwo im Sumpf und einer vergnügte sich mit den Wiedergängern. Esme hatte kein Mitleid mit ihnen, schließlich waren sie es gewesen, die darauf beharrt hatten sie zu jagen. Erst später, als sie auf dem Karren saß, hatte man ihr erklärt, dass sie wohl irgendeinem Herrscher das Leben retten sollte. Allerdings waren die Angaben über seine Krankheit mehr als vage gewesen. Bei so unerfahrenen Soldaten war es vielleicht wirklich besser, wenn Esme sich den Mann selbst ansah. Es war auch nicht so, als ob sie eine Wahl gehabt hätte. Die Fesseln scheuerten ihre Handgelenke wund und sie wollte gerade fragen, wie weit es noch sei, schließlich musste man nach zwei Wochen zu Pferd doch immerhin irgendein Kaff erreichen können, als sich endlich der Wald vor ihnen auftat und den Blick auf die Stadt freigab. "Zesnar, na endlich!" rief Einauge erfreut. "Ich kann es kaum erwarten, diese Alte endlich los zu sein." Auch die Stimmung der Anderen schien sich durch den Anblick der Stadt aufzuhellen. Die Beiden hinteren stimmen ein Lied an, welches für Esme grausam falsch klang. Der Anführer vorne auf dem Wagen begann ebenfalls, irgendeine Melodie zu pfeifen und die Beiden Vorderen stießen sich an und scherzten. Den Verlust ihrer Kameraden schienen sie schnell überwunden zu haben. Esmes Blick jedoch wanderte eher respektvoll und vielleicht auch leicht eingeschüchtert an den hohen Mauern der Stadt empor. Wie viele Menschen mochten an solch einem Ort leben? sechzig vielleicht siebzig? Nein auf jeden Fall mehr. Der Einäugige begann zu grinsen, als er ihren Blick bemerkte, obwohl sie ihn fast sofort wieder von ihrem Gesicht verbannt hatte."Tja, willkommen in meinem Revier."
Die gewundene Straße zum Palast führte über einen Marktplatz und die Eindrücke von Händlern die versuchten sich gegenseitig mit ihrem Geschreie zu übertönen, Tieren die die seltsamsten Geräusche von sich gaben, kreischenden und lachenden Kindern und die Gerüche der tausend verschiedenen Gewürze, gemischt mit denen von Speisen und Pferdeäpfeln übermannten sie fast. Warum mussten Menschen nur so laut und dreckig sein sobald sie auf einem Haufen zusammenkamen? Die einzige Ansammlung die dieser Menge nahe kam, die sie je gesehen hatte, waren die Clantreffen gewesen und selbst dort war es um einiges ruhiger und geordneter zugegangen, selbst wenn sie feierten. Den Rest des Weges verbrachte die Hexe nur noch damit, Einauge wütend anzustarren. Sie hatte bereits jetzt genug von Zesnar, von der Luft, der Hitze, den Menschen, dem Lärm. Ihre Kröte Fergus regte sich irgendwo, in einer ihrer Taschen, das spürte sie. Wenigstens hatte der Stress ihn noch nicht umgebracht. Der Palast des Herrschers war prunkvoll gestaltet. Der Anführer der Soldaten hatte versucht, ihr seinen Titel zu erklären, hatte jedoch aufgegeben, nachdem er gemerkt hatte, dass sie dafür überhaupt kein Interesse hatte, was sie ihm allerdings auch schon vorher mehrmals gesagt hatte. Eine weitere kleinere Gruppe Männer erwartete sie bereits im Hof angeführt von einem großen Kerl mit schwarzen Brustpanzer und weißem Umhang. "Ereck" rief der Anführer auf dem Wagen ihm entgegen, während Einauge sie unsanft vom Wagen stieß."Ich hoffe wir sind nicht zu spät." "Wir wären ja früher gekommen." fügte der Andere hinzu."Aber die alte Schabracke war ganz schön lästig." Esme fuhr herum. "Redet man so etwa mit einer Dame?" "Nein, aber mit einer alten, augenaufschlitzenden Kuh." Esme hätte den Streit gerne weitergeführt, aber da ging der Weismantel dazwischen. "Warte Rogarr, du hast dir von einer fast hundertjährigen Kräuterfrau das Auge abnehmen lassen?" er klang belustigt. Einauge lief rot an und wirkte als wolle er sein Schwert ziehen, überlegte es sich jedoch anders und stampfte wütend davon.