In den Schatten
Plötzlich ist Tarik hellwach und ich schrecke ebenfalls aus meinem Dösen auf.
Gemeinsam schauen wir uns um, aber da ist nur die Nacht, Fenne, die ebenfalls mit hängendem Kopf vor sich hin döst und das Feuer, was kurz vor dem Verlöschen steht. Automatisch lege ich die restlichen Zweige nach, denn jetzt, wo die Hitze des Tages aus den Steinen weicht, wird es merklich kühler und man merkt nun doch die Höhenmeter, die ich in den letzten Stunden zurückgelegt habe.
Doch obwohl mir nichts auffällt, was die erhöhte Alarmbereitschaft meines etwas größeren Katers erfordern sollte, vertraue ich seinen Instinkten.
Woran es genau liegt, kann ich selbst nicht sagen, aber in genau diesem Moment weiß ich, ohne jeden Zweifel, dass Irkat genau zwischen den Felsen neben meinem Wagen auftauchen wird.
Zeitgleich mit Tarik schaue ich genau dorthin und richtig, mit einem gewaltigen Satz kommt die große Katze aus dem eigentlich viel zu kleinen Schatten, den der Mond zwischen die Steine wirft.
Irkats Muskeln zittern und sie hechelt schwer, ein deutlicheres Zeichen, wie schnell sie gerade unterwegs war, brauche ich gar nicht.
Tarik geht flehmend auf seine Schwester zu, ihre Blicke treffen sich und der Kontakt hält mehrere Herzschläge an, bis der Kater sich zu mir umdreht und dieses fast lautlose Fauchen ausstößt, was ich schon von seiner Schwester kenne.
»Komme gleich, ich will nur meinen Stab mitnehmen um …«, ich verstumme, als mir klar wird, dass eine Gefahr, mit der meine beiden Katzen nicht fertig werden, von denen zumindest Irkat bereits die Schulterhöhe von Fenne hat, auch vor meinem Stab nicht die Flucht ergreifen wird. Aber besser man hat einen Stab und braucht keinen, als benötigt ihn und entbehrt seiner.
»Gut, wer geht voran?«
Kommentarlos – keine Ahnung, warum ich das halb und halb bei ihr erwarte – dreht sich die größere Katze um und hält wieder auf den Schatten zwischen den Steinen zu.
»Äh … halt, Irkat. Ich glaube nicht dass ich das …« Ein freundschaftlicher Schubs, Tarik drückt einfach seinen Schädel gegen meinen Rücken, und ich setze mich, mehr oder weniger freiwillig, wieder freiwillig in Bewegung.
Als wir den Schatten bei den Felsen erreichen, ist Irkat bereits darin eingetaucht, als wäre er ein Wasserfall. »Leute, ich glaube immer noch nicht …«
Wieder werde ich gestoßen, diesmal kräftiger und gerate ins Stolpern. Schon strecke ich meinen Arm aus, will mich am Felsen abfangen, doch ich greife ins Leere und taumle nach vorne, immer weiter angeschoben vom Schattenkater.
Die Welt in die ich nun eintauche, erwischt mich wie ein Sturz ins Eiswasser.
Alle Farben um mich herum sind mit einem mal verschwunden. Selunes Rundschild ist verschwunden. Nicht einfach verdeckt, oder untergangen, nein verschwunden, wie in nicht da oder niemals dagewesen. Selunes ganze Präsenz in dieser Welt existiert einfach nicht. Überall herrschen Farbtöne von grau, wobei die dunklen Grautöne bei Weitem überwiegen.
Die Landschaft ist voller Schatten, die sich allesamt zu bewegen scheinen, jedoch ist es kaum zu fassen, woher sie kommen, immerhin ist das diffuse Licht nichtgeeignet solche Schatten hervorzubringen. Instinktiv will ich eine magische Leuchtquelle erschaffen, doch noch bevor ich die erste Silbe zu diesem Zauber hervorbringe, fühle ich diese Leere.
Das mystische Netz, Mystras Geschenk an die Welt der Lebenden, es existiert hier nicht. Was ich jedoch deutlich fühle, sind die negativen Energien und die Magie der Schatten.
Betäubt falle ich auf die Knie.
Ich weiß ganz genau, wo ich bin, obwohl ich noch nie hier war und ganz gewiss nie hier landen wollte.
Das hier ist Schattensaum, Shadowfell, die Schattenebene oder einfach die Schatten. Es ist nicht nur einfach eine eigene Ebene, sie ist auch der Übergang für die Toten, die in die Fugen-Ebene wandern, um dort das Urteil über ihre weitere Existenz entgegennehmen. Schattensaum wurde von der böse Göttin Shar einst als Ersatz für Mystras Netz geschaffen hatte, als sie die Göttin der Magie vermeintlich umgebracht hatte und das Netz sich auflöste. Für eine ganze Weile schien es auch so, als ob nur noch Shars Anhänger Magie wirken könnten, doch auch wenn die bösen Götter mitunter gewaltige Siege erringen, schlafen die guten Mächte auch nicht und Mystras Netz wurde erneut aufgespannt.
Ich fühle wie Verzweiflung sich in mein Herz schleicht. Hier hat es keinen Horizont, die Geräusche klingen allesamt wie Teil einer Symphonie der Trostlosigkeit, die Luft schmeckt schal und etwas zieht mit jedem Atemzug die lebendige Energie aus mir. Mir ist eiskalt, bis tief in die Knochen, obwohl ich gar keine Temperatur auf der Haut fühle,weder warm noch kalt.
Die beiden Schattenkatzen scheinen von meiner heftigen Reaktion verwirrt. Sie sind vermutlich gegen die negativen Einflüsse dieser Zwischenebene immun. Tarik stößt mich besorgt an, Irkat knurrt sogar unwillig und sieht sich alarmiert um.
Mich schwer auf den Kater stützend, komme ich wieder auf die Beine. Ich mache ein paar Schritte und ganz langsam, mich weiterhin an seinem Rücken festhaltend, gelingt es mir einen halbwegs sicheren Stand zu erhalten.
Da höre ich Irkat laut brüllen, nie hätte ich gedacht, dass sie das kann. Ich wette, sonst wäre ich vor Schreck zusammengefahren, aber selbst der Schrecken ist in Shadowfell stumpf und kaum geeignet den Körper wie vorgesehen, in Kampfbereitschaft zu versetzen.
Eine Handvoll Gestalten taucht aus einer Schlucht auf, die unmittelbar in den Pfad mündet, den wir gerade gehen, von dem ich aber ohnehin kaum etwas mitbekomme. Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, überhaupt ein Bein vor das andere zu setzen.
Irkat brüllt noch einmal und ihr Bruder stimmt ein. Ihr gemeinsamer Ruf zum Kampf schafft es endlich, auch mich aus meiner Lethargie zu reißen.
»Herrin Selune, steh mir bei!« Ich bete, obwohl ich sie so weit entfernt fühle, wie nie zuvor.
Unerwartet beginnt der Stab aus weißem Holz in meiner Faust zu strahlen. Pures Mondlicht dringt zwischen den Bändern hervor, normalerweise ein sanftes, beruhigendes Licht, in dieser Schattenwelt ist es vielmehr ein Gleißen, vor dem die Dunkelheit in Panik zurückweicht.
Ich erkenne die Wesen, die sich meinen pelzigen Gefährten zum Kampf stellen wollten, nun aber zurückprallen, als wären sie vor eine unsichtbare Wand gelaufen.
Die meisten von ihnen gehören zu den Untoten, wie ich an dem Zustand ihrer Körper sehe, aber ein paar sind auch noch atmende Wesen, deren Haut jedoch blass und farblos geworden ist, wie alles, was sich länger in dieser Schattenebene aufhält. Auch die Lebenden haben diesen düsteren Glanz in den Augen, diesen Hunger auf alles Lebende, oder vielmehr die Energie des Lebendigen. Ich sehe an den Rändern meines Gesichtsfeldes auch Geister und Spuks herumstreifen, die Seelen Verstorbener, die aus den verschiedensten Gründen eine Existenz hier, dem Urteil der Götter in der Fugenebene vorziehen.
Eines weiß ich sicher. Außer Irkat und Tarik, habe ich in diesen Landen keinen einzigen Verbündeten. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass ich niemand, der sich hier freiwillig länger aufhält, als Verbündeten haben will.
Die Furcht der Gegner spornt mich an. Ich habe zwar nicht Mystras Magie zur Verfügung, allerdings gibt es da etwas in mir, was nicht von der Göttin der Magie kommt. Langsam lasse ich den Zorn in mir aufsteigen. Die Wut auf die Geschöpfe Shars, die das Leben verhöhnen, den Grimm, dass es der bösen Zwillingsschwester meiner Gottheit gelungen ist, diese Abscheulichkeit zu erschaffen. Und meine Glut entflammt erneut. Doch diesmal halte ich nichts zurück.
Die Welt um mich versinkt in dem tiefen, dunklen Rot eines Vulkanfeuers und außer Schatten, die in einer Feuersbrunst in sich zusammenfallen, kann ich überhaupt nichts mehr erkennen.
Erschrocken kommen mir die Schattenkatzen in den Sinn. »Nicht meine Katzen! Oh, bitte nicht die beiden!«
Eine sehr lange und verdammt raue Zunge schleckt mir übers Gesicht und ich komme wieder zu mir.
Tarik sitzt neben mir und ich sehe den Schatten einer weiteren großen Katze über mich fallen. Selunes Schild beleuchtet das mich umgebende Geröllfeld so deutlich, als läge es in voller Sonne.
»Selunes Schild!«
Erleichtert atme ich auf. Wieder zurück aus Schattensaum! Ich muss während des Feuersturms die Besinnung verloren haben, gar nicht so verwunderlich, bei der Kraft die mein Geist kanalisieren musste.
Wie meine beiden Katzenkameraden es geschafft haben, sich und mich herauszuholen, ist mir ein Rätsel, aber im Moment auch gleichgültig. Tariks Sommerfell sieht ein wenig angesengt aus, aber sonst fehlt ihm offenbar nichts. Als ich mich aufrichte, höre ich jemand mit tiefer Stimme, keine zwei Schritt hinter mir, brüllen:
»NOCH.NICHT.TOT.«
Gerade will ich ihm, zumindest im Geiste zustimmen, als ein gewaltiger Knall meine Ohren zum Klingeln bringen, und ich kann überhaupt nichts mehr hören, außer einem sehr hohen Pfeifen.
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