Sein Freund nickte. „Commandant, können wir kurz in Ihrem Büro sprechen?“
Verblüfft sah Ares zu, wie Malcolm sich, ohne auf eine Antwort zu warten, umdrehte und auf den Raum zuging, in dem der Commandant der Garde sein Refugium hatte. Er folgte ihm, nachdem er dem Diensthabenden noch einmal kurz zugenickt hatte. Die verwunderten Blicke des Mannes spürte er in seinem Rücken.
„Was sollte das?“, verlangte er aufgebracht zu wissen. „Warum hast du mich hier hoch rufen lassen.“
„Um dich davor zu bewahren, dich lächerlich zu machen!“ Malcolm war an der Außenwand stehen geblieben. Jetzt drehte er sich um. „Ares, was um alles in der Welt ist in dich gefahren?“, fragte er besorgt.
Ares fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich muss wissen, wie er es gemacht hat. Wie er ...“
„Was denn?“, unterbrach Malcolm. „Was ist denn überhaupt passiert?!“
Ares starrte ihn an. Lange. Erst jetzt realisierte er, dass er Malcolm ohne ein erklärendes Wort aus der Kommandozentrale geholt und zum Sicherheitsdienst geschleift hatte. Krell war ganz bestimmt noch nicht dazu gekommen, es jemandem zu erzählen. Malcolm wusste also gar nichts von Etienne!
„Der Chef des Sicherheitsdienstes wurde zusammengeschlagen“, brachte er heraus. „Unten, im ersten Obergeschoss.“
„Othoni Fatou?“ Malcolm riss erschrocken die Augen auf. „Wer war das?“
„Wer schon? Dwayne Coholt!“
„Wann soll er das getan haben?“
„Irgendwann heute Nacht.“
„Ares, da war er eingesperrt.“ Malcolm verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Hast du Beweise?“
„Was meinst du, was ich in der Sicherheitszentrale finden wollte?!“ Ares atmete tief durch. Malcolm verdiente nicht, so barsch angefahren zu werden. „Entschuldige. Ich ... Ich weiß, dass er es war.“
„Was für einen Grund soll er gehabt haben?“
„Denk mal nach: Wer hat damals bei dem zusammengeschlagenen Onta unten in der Fünf erst dich und dann das Medi-Team alarmiert? Wer ist also schuld an Dwaynes Rausschmiss?“
Malcolm schüttelte den Kopf. „Das ist sehr weit hergeholt, Ares. Wie soll Coholt herausgefunden haben, wer es gemeldet hat? Und wie soll er heute Nacht sein Quartier verlassen und sich an ihm gerächt haben? Die Tür konnte er nicht selbst öffnen. Meinst du, er hatte Helfer? Verdächtigst du etwa gar einen dieser beiden Nachtschicht-Othonis?“
„Wer soll es sonst gewesen sein? Etienne hatte keine Feinde im Ring!“
„Und das weißt du so genau? Du, der du deinen besten Freund seit ein paar Tagen nicht einmal mehr ansiehst? Ihr wart unzertrennlich! Jeder fragt sich, was zwischen euch vorgefallen ist.“
Ares starrte ihn an. Mit einem Mal fühlte er sich leer, wie ausgehöhlt, und unglaublich einsam. Er merkte, dass er einen Menschen brauchte, der ihm half, mit dem klarzukommen, was passiert war. Er musste mit jemandem reden. Über alles. Von Anfang an. Malcolm war nicht Etienne, aber er war Freund genug, um ihm vertrauen zu können.
„Ich werde es dir erklären“, sagt er leise. „Aber erst gehen wir zu Linus hinunter.”
Linus Krell wartete noch im Südkorridor des ersten Obergeschosses. Er stand mit zwei Ypir-Gardisten auf dem Gang vor Etiennes Quartier. Ares murmelte eine beiäufige Entschuldigung für die Verspätung, als er und Malcolm ihn erreichten.
„Es tut mir leid, Commandant“, meinte Krell. „Wie geht es Ihrem ... dem Sicherheitschef?“
Ares war das Zögern aufgefallen. Also gehörte auch Linus zu denen, die sich fragten, wieso die Freundschaft zu Etienne zerbrochen war. Außerdem konnten die beiden Ypirs mithören.
„Er ist auf dem Weg nach Auckland in die Klinik.“ Prüfend sah er sich um. „Wie habt ihr davon erfahren?“
„Ich hoffe, er kommt bald wieder auf die Beine“, meinte Krell. Dann ruckte sein Kinn in Richtung eines weiblichen Servicers in violettem Overall, der ein Stück abseits stand. „Sie hat uns alarmiert. Eine von Logistik und Verpackung. Sie kam den Korridor entlang und hat das gesehen.“ Seine Hand wies auf den Fußboden im Gang. „Zeitgleich wurde wegen bedrohter Lebensfunktionen in diesem Raum in der Klinik der Alarm aktiviert.“
Ares kniff die Augen zusammen. Der Bodenbelag war dunkel, aber die zwei blutigen Sohlenabdrücke darauf konnte man klar erkennen. Etiennes Blut.
Er atmete tief durch und öffnete die Tür.
In dem dämmrigen Raum herrschte Chaos. Die breite Couch lag auf die Seite gekippt, der Tisch ebenfalls und sein Gestänge war verbogen. Ein kleineres Regal war umgerissen worden und sein Inhalt ebenfalls verteilt. Und überall dazwischen hoben sich Blutflecken grellrot ab. Auch auf dem Bett im Schlafzimmer fand er sie und das Badezimmer sah aus, als wäre jemand abgestochen worden.
Er hatte genug gesehen. Coholt war ein jämmerlicher Feigling, der sich nur an Schwächeren vergriff. Etienne hatte ihm körperlich nichts entgegenzusetzen gehabt.
Ares fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Coholt konnte froh sein, dass er im Moment unerreichbar weit weg war. Ihn zu einem Onta zu machen, das wäre eine gerechte Strafe. Inklusive Clearing. Und dann drei Tage ins Loch ...
Unwillig schüttelte er den Kopf. Er war nicht Coholt. Und den hatte man noch nicht verurteilt.
„Axiom, Sie kümmern sich um diese Sauerei hier“, wies er Krell knapp an und deutete auf die Fußspuren und die Unordnung im Raum. „Ich erwarte Ihren Bericht bis Mittag. Inzwischen informiere ich den General.“
Krell neigte den Kopf. „Selbstverständlich, Commandant.“
„Kommen Sie in mein Quartier, sobald Sie hier fertig sind.“
Krell salutierte und Ares ging mit Malcolm zurück zum Lift.