Kämpfer und Krieger
Der zweite Schlag des Orks fegt die schwache Parade des Wächters einfach zur Seite.
Mit aufgerissenen Augen muss der Mann zusehen, wie sein Feind die Keule ein drittes Mal schwingt und schließt unwillkürlich die Augen in Erwartung des Treffers.
Ihm schießt das Bild seiner Mutter durch den Kopf, als er fortging, ihr verzweifelter Blick, als er sie und seine jüngeren Geschwister zurückgelassen hat. Er hat seit Jahren nicht mehr daran gedacht, geglaubt mit diesem armseligen Teil seines Lebens endgültig abgeschlossen zu haben. Warum soll ausgerechnet das sein letzter Gedanke sein?
Nach zwei Augenblicken erkennt er überrascht, dass der Schmerz ausbleibt.
Der Ork erhebt sich immer noch drohend über ihm, doch in dessen tierischer Miene steht grenzenlose Überraschung geschrieben. Langsam greift der gewaltige Orkkrieger an seine Brust, auf der sich ein roter Fleck langsam, aber stetig ausbreitet. Sein Blick bricht, immer noch voller Unglauben.
Der Wächter rollt sich zur Seite weg, bevor der riesenhafte Gegner auf ihn fallen kann. Dann erst hört er das Brüllen.
Zwei weitere Orks brechen durch das Unterholz. Der Eine schwingt ebenfalls eine dieser gewaltigen, mit Nägeln beschlagenen Keulen, der andere ein Krummschwert, welches der Wächter als die Waffe seines Hauptmanns erkennt.
Panisch blickt der Wüstensohn sich um, doch die Bäume, die ihm noch vor Stunden sichere Zuflucht boten, erscheinen ihm nun wie eine Falle. Es ist das erste Mal, dass er so eng stehende Bäume erlebt und so kommt ihm das nächtlich lichte Wäldchen wie ein dichter Dschungel voller Hindernisse vor. Verzweifelt stürzt er sich dem nächsten Ork entgegen, um diesen mit einem überraschenden Schwung geradewegs in den Hieb seines Säbels laufen zu lassen.
Ein tiefhängender Ast verhindert seinen Plan und beinahe verliert er sogar seine Waffe, als diese sich ins Holz eingräbt.
Doch da beginnt der Ork zu straucheln, stolpert und fällt schließlich keinen halben Schritt vor dem Wächter ins Moos. Gebannt schaut dieser auf den spannlangen Metallstift, der aus dem Hinterkopf des Monsters wächst.
Da ist auch schon der zweite Ork heran.
Der Gegner macht Anstalten, das erbeutete Krummschwert vorzustoßen, geradewegs in den ungedeckten Unterleib des Wächters, als er von einer anderen Gestalt von hinten gerammt wird.
Ein Mann in einer dunkelbraunen Lederrüstung bringt den Orkkrieger zu Fall. Schwer hat er ihn mit der Schulter getroffen und nutzt die Gelegenheit, um die Armbrust mit dem seltsamen Kasten fallen zu lassen. Er tritt einen Schritt zurück, greift an seinen Gürtel und holt eine fremdartige Handaxt hinterm Rücken hervor. Die andere Hand zückt ein langes Jagdmesser.
Der kampferprobte Ork greift in den Boden und schleudert seinem Angreifer Dreck entgegen. Der Krieger dreht seinen Kopf und springt zur Seite, um dem hinterhältigen Tritt zu entkommen, der nahezu zeitgleich erfolgt. Dennoch hat sich der Ork die nötige Zeit erkauft, um auf die Beine zu kommen.
Wild knurrend springt er auf seinen Feind zu, will ihn überraschen, einfach überrennen, auf den Boden zwingen und seine überlege Kraft ausnutzen.
Unerwartet dreht sich der Mensch zur Seite, nutzt einen kleinen Baum als Deckung und lässt den Ork ins Leere springen. Er sticht zu und treibt die Klinge seines Messers tief in die Seite des wilden Kriegers, wo er sie stecken lässt. Der Ork versucht keuchend außer Reichweite zu kommen. Doch sein Gegner setzt nicht nach, schaut sich stattdessen um und wird daher auch nicht überrascht. Schon ist ein weiterer Orks heran. Der schlaue Bursche hat versucht sich heranzuschleichen, als ihm klargeworden ist, dass sie es mit mehr Gegnern als nur dem Flüchtigen zu tun haben. Sein Haumesser ist für einen Kampf zwischen den Bäumen auch deutlich besser geeignet als die langen Waffen seiner Kameraden.
Immer noch ruhig in seinen Bewegungen, lässt der Mann seine Axt einmal ums Handgelenk wirbeln. Viele würden das für eine Spielerei, reine Angeberei halten, aber in Wirklichkeit verfolgt er damit ein Ziel. Es lenkt den Blick des Angreifers wie hypnotisch auf die Waffe und weg vom Gesicht, das vielleicht einen Angriff verraten kann.
»Du darfst Dich ruhig am Kampf beteiligen, Kamerad. Immerhin sind die Kerle hinter Dir her …« Es klingt beiläufig, rüttelt den Karawanenwächter aber aus seiner Starre. Unwillkürlich macht er einen Schritt nach vorne auf die Kämpfenden zu.
Durch das Geräusch des neuen Feinds abgelenkt, wendet der Ork seinen Kopf zur Seite. Pfeilschnell schwingt die Axt heran und vergräbt sich mit einem Krachen in seinen Rippen, das im nächtlichen Wäldchen beinahe überlaut wirkt. Reflexartig schwingt er das Haumesser in Richtung Kopf des in Leder gerüsteten Kriegers, doch sein Unterarm wird von kräftigen Fingern gepackt, der Hieb unschädlich gegen einen Stamm gelenkt.
Endlich ist der Wächter heran. Seine ganze Wut und Panik geben ihm die Kraft, seinen breiten Krummsäbel durch den Rücken des Orks zu treiben.
Der begleitende Schrei echot im kleinen Wald von allen Seiten zurück.
Als der schwere Ork zusammenbricht, entgleitet dem Wächter die Waffe und er springt zur Seite, geradewegs in den Hieb des anderen Orks hinein, den er doch tatsächlich ganz vergessen hat.
Mit einem weiteren Schrei, diesmal vor Schmerz, taumelt er zurück und hält sich instinktiv die tiefe Wunde an der Schulter.
Ebenfalls mit einem Kriegsschrei setzt der Ork nach. Zwei wilde Schwinger zwingen den Verwundeten weiter zurückzuweichen. Eine Wurzel lässt den Wächter stolpern, nach hinten fallen und schon ist der Ork über ihm.
Die Axt des Kriegers zertrümmert ihm den Schädel, bevor er den tödlichen Hieb ansetzen kann.
Beinahe beiläufig erledigt er den letzten Ork, der nicht einmal mehr die Kraft hat, sich das Messer aus der Seite zu ziehen.
»Dank … danke. Das war Rettu …«, stammelt der Wüstensohn, doch der Andere legt seinen Zeigefinger an die Lippen.
»Fünf. Es sind Fünf!« Er flüstert es beinahe, so leise spricht er, während er sich verstohlen umblickt.
Keuchend schaut sich der Wächter um. »Wo? Wo?«
Da hört man ein Fauchen und einen Wutschrei.
»Das kommt von draußen.«
Als er erkennt, dass die Verletzung des Wächters zwar tief, aber nicht unmittelbar lebensbedrohlich ist, grinst der Mann in Leder kurz, was im dunklen Wald eher wie ein Zähnefletschen wirkt. »Stirb mir nicht. Ich habe Fragen.«
Mit diesem Kommentar lässt er den Verwundeten zurück und eilt zum Rand des Wäldchens, wo er zwei seltsame, S-förmig geschliffene Schwerter aus den Scheiden zieht, die er dort zusammen mit seinem Gepäck und dem Pferd zurückgelassen hat. Sein Pferd tänzelt nervös auf der Stelle, nur die festgebundenen Zügel verhindern, dass es wegläuft.
»Ganz ruhig, Großer. Das ist doch nur Faru, der mit einem neuen Freund Fang mich und ich beiß' Dich spielt.«
Für einen Moment bedauert er es, nicht die stählernen Teile seiner Rüstung angelegt zu haben. Aber in voller Rüstung lang und ausdauernd zu laufen, sich gar an einen Feind heranzuschleichen, das ist trotz aller anderslautenden Geschichten einfach nur eine Bardenlegende.
Er stellt sich aufs freie Feld, sodass der Ork ihn sehen muss.
»Faru! Schluss jetzt. Lass den Mann in Ruhe!«
Wider Erwarten lässt der kleine Dachs den großen Orkkrieger in Frieden, der bislang erfolglos versucht hat, den im halbhohen Gras fast unsichtbaren, kleinen Angreifer zu erwischen.
Auch der Ork hält inne und sieht sich um.
Einen schweren, zweihändigen Säbel in den Händen, mustert er seinen neuen Feind.
Der braunhaarige Krieger ist eine ganz andere Größe als die Karawanenwächter, das erkennt er sofort. Die meisten halten die Orks für geistlose Wilde. Doch auch wenn ein gewisser Blutdurst sie zum Kampf treibt, ihr Gott, der einäugige Gruumsch, Gemetzel und Kampf sogar gebietet, gibt es auch unter den Orks Kämpfer und Krieger. Die einen kämpfen um des Kampfes willen, die anderen mit einem bestimmten Ziel.
Dieser erfahrene Ork gehört zur zweiten Gruppe und wenn er sich den Mensch auf der Gegenseite ansieht, spürt er einen Gleichgesinnten. Vergessen ist die armselige Beute, die zu hetzen ihm zwar befohlen worden ist, ihm aber weder Freude noch Ehre einbringt.
Dieser Mensch zieht in den Kampf, wenn er muss, wenn er selbst der Meinung ist, dass der Kampf nötig und es wert ist. Anders als die Karawanenwächter, anders als seine eigenen Leute, würde er sein Schwert nicht vermieten. Vielleicht kann man den Mann selbst für eine Aufgabe gewinnen, aber er wird immer selbst entscheiden, wann und ob er seine Waffe zieht.
Es ist nicht lange her, da war er, der Ork, genauso. Oder er war doch so ähnlich, wie ein Orkkrieger einem Menschenkrieger ähneln kann.
Ihre Ziele mögen andere sein, sind es gewiss, aber Kampf ist Mittel zum Ziel und kein Selbstzweck.
Doch nun, unter dem neuen Herrn, sind die Regeln gebrochen, die Traditionen verraten und er nicht mehr frei in seinem Willen. Aber heute, wenigstens hier und jetzt, schüttelt er den fremden Willen ab, der ihn zwingt, gegen seine Natur zu handeln.
Gelbe Augen finden braune Augen.
Braune Augen finden gelbe Augen.
Auch der Mensch betrachtet den Ork eingehend.
Groß ist dieser Ork, noch größer als seine Artgenossen, doch das ist es nicht, was ihn so bemerkenswert macht. Es ist die Art, wie er seine Waffe trägt. Es ist die Art, wie er dasteht. Es ist die Art, wie er abwartet.
Dieser Ork hat keine Eile und wird garantiert nicht dieselben Dummheiten machen, welche seine Männer im Wäldchen das Leben gekostet haben. Er wird weder blutrünstig noch zu siegessicher sein. Auch wird er auf Überraschungen gefasst sein, jederzeit damit rechnen, dass er sich plötzlich umstellen muss.
Das ist kein Kämpfer, der nur den Weg nach vorne kennt. Das ist ein Krieger, der vor jedem möglichen Sieg sich die Konsequenzen einer Niederlage bewusst macht.
Es sagt wenig darüber aus, ob der große Kerl mit dem Riesensäbel umgehen kann. Aber es sagt sehr viel darüber aus, warum er so eine Waffe wählt. Es ist keine schnelle Waffe, mit der man mehrfach schnell zuschlagen kann. Ein einziger Treffer genügt vielleicht schon zum Sieg. Wenn man aber damit zuschlägt und verfehlt, ist man aus dem Gleichgewicht und sehr anfällig. Zudem braucht so eine große Klinge viel Pflege mit einem gewissen Sachverstand, sonst ist sie sehr schnell sehr nutzlos.
Grüßend hebt der Mensch seine Klingen.
Herausfordernd schwingt der Ork seinen Großsäbel einmal über dem Kopf.
In sicherer Entfernung sitzt Faru auf einem Felsen. Er schnieft, ob belustigt oder verärgert, dass er beim Kampf nicht erwünscht ist, weiß wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Angst vor großen Wesen hat er keine, aber er respektiert den großen Zweibeiner als Partner, manchmal sogar als Anführer.
Wenn der Große also glaubt, er muss den Feind mit seinen blitzenden Krallen zu Tode reißen, dann hält sich Faru eben zurück. Bisher ist immer genug zum Fressen für ihn übrig geblieben. Warum sich also unnötig abrackern?
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