Silvester Urigk und die Welt als Blasen-Cluster

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 1.412 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (9. November 2021 um 20:10) ist von McFee.

  • Erst verschwindet die Frau, dann der Hund, dann der Mann. Alltagsgeschehen, denkt mancher, in Deutschland verschwinden jährlich mehrere Tausend Personen spurlos, von Tieren ganz zu schweigen. Also was soll´s . . .

    Nein, so einfach wollen wir es uns nicht machen. Da sind einige Dinge, die nicht zum alltäglichen Verschwinden passen. Zum Beispiel: Warum verschwindet Silvester Urigk genau an Silvester?


    Silvester Urigk gehört zu den Menschen, deren Schlaf man nicht nur als fest, sondern als bodenlos tief bezeichnen muss, einem mittelalterlichen Burgbrunnen gleich, dessen schwarze Gähne bis in unergründliche Tiefen reicht. Kein elektronisches Signal ist spitz und scharf genug, um ihn aus dem diamantenen Schneckenhaus seiner Träume herauszuschneiden, in denen er die Ereignisse des Tages noch einmal durchlebt, kein Röcheln der Kaffeemaschine laut genug, um ihn von den Verlockungen einer leckeren Tasse Mokka zu überzeugen. Meist sind es Trivialitäten, die er da durchträumt, doch in der Wucht ihrer traumhaften Wirklichkeit, ohne jede dali-eske Verformung, sind sie zuweilen so atemberaubend, dass er keuchend erwacht, um im nächsten Moment wieder in seiner Traumwelt zu versinken.

    Als ihn das Geklirr auf dem Teller an diesem Morgen aus dem Schlaf reißt, ist er sich keineswegs sicher, ob der Wecker, in einer Art mystischer Zeitumkehr, ihn nicht in den Tag, sondern zurück in die Nacht katapultieren will. Trotz aller Morgenduseligkeit kann er sich noch genau daran erinnern, dass er ihn gestern Abend stumm gestellt hat, denn heute ist Sonntag. Seine Hand verlässt den warmen Bett-Pfuhl und ertastet den Klemmbügel zwischen den beiden Glocken: Der Bügel steht auf „OFF“.

    Silvester Urigk richtet sich steil auf und wirft einen Blick auf den Teller, auf dem der Wecker steht, und da macht er eine unerwartete Entdeckung: Der Wecker hat sich keinen Millimeter bewegt, obwohl er es, da er ja geweckt hat, hätte tun müssen.

    An dieser Stelle muss dreierlei nachgeholt werden: Erstens, dass Silvester elektronischen Weckern gründlich misstraut, besonders Radioweckern, die ihn wegen nächtlicher Stromausfälle schon häufig im Stich gelassen haben; zweitens, dass er deshalb mechanische Fabrikate bevorzugt, allerdings nicht in Form jener handlich-runden Schlaftöter, wie sie noch vor fünfzig Jahren steifbeinig auf jedem Nachttisch standen, sondern in Gestalt eines mondgroßen Nostalgie-Weckers mit endlos langen Zeigern, obendrauf zwei goldglänzende, robuste Glocken von Mokkatassenformat. Nur der geballte Lärm dieses Monstrums ist in der Lage, seinen Besitzer weisungsgemäß aufzuwecken. Endlich: Weil er trotzdem immer noch ein Verschlafen fürchtet – Pünktlichkeit ist schließlich nicht nur die Höflichkeit der Könige, sondern auch die eines Chefs –, und da nach dem Verschwinden seiner Frau niemand im Haus ist, der ihn im Wiederholungsfall wecken könnte (auf den Hund ist erst recht kein Verlass), steht der Wecker auf einem großen Teller, dessen Geklirr, während der Weckerklöppel wie wahnsinnig auf die beiden Glocken eindrischt, den Lärm verstärken soll. Wobei sich der Wecker, rastlos getrieben von gespannter Federkraft, tänzelnd bewegt. Damit es nun nicht zu einem Unfall käme – die Wege des klirrenden Weckers sind unvorhersehbar – stellt ihn Silvester jeden Abend penibel mittig auf den Teller.

    So stehen die Dinge, als er am Montag morgen gegen elf Uhr aufwacht. Sein erster Blick geht zur Uhr, der zweite zum Teller: Der Wecker steht hart am Tellerrand, aber er hat nicht geweckt – zumindest hat er nichts gehört. Verwirrt nimmt er den Wecker und untersucht ihn. Die Feder ist entspannt, der Hebel steht auf „ON“. – Ein Zahnrad ist gebrochen, denkt er, der Mechanismus ist ins Leere gelaufen. Zur Kontrolle zieht er die Feder wieder auf – der Klöppel rast los, als müsste er das, was er am Morgen versäumt hat, nun nachholen.

    Hat er das Wecken überhört?

    Möglich, aber höchst unwahrscheinlich, denn der Lärm dieses Weck-Ungeheuers könnte einen Tauben aus dem Schlaf reißen.

    Urigk stellt den Wecker wieder zurück und betrachtet ihn misstrauisch. Ärger kommt auf. Es ist weniger die Enttäuschung auf die Unzuverlässigkeit aller Maschinerie, die ihn ärgert, sondern das Gefühl, überlistet worden zu sein, und zwar auf gemeine, hinterhältige Art.

    Sechs Wochen später.

    Silvester Urigk befindet auf einem Abendspaziergang. Die Hündin trottet ergeben neben ihm her. Die Luft ist von milchigem Dunst erfüllt, in dem die Sonne einen hellen, diffusen Fleck bildet. Verwirrt blickt er zur Uhr. Die Sonne müsste doch schon längst untergegangen sein . . .

    Plötzlich bleibt das Tier stehen, wittert, wird unruhig, beginnt zu bellen – es ist ein heiteres, freudiges Bellen in wortreicher Vielfalt –, die Rute wedelt aufgeregt. Inzwischen hat sich unter dem ersten Lichthof ein zweiter, kleinerer, gebildet, was den Eindruck einer zweiten Sonne erweckt. Nun hört Silvester ganz deutlich eine weibliche Stimme: „Pippa, Pippa, komm zu Frauchen, komm!“

    Pippa rennt los und ist kurz darauf im Gebüsch verschwunden.

    Urigk hat die Stimme ganz deutlich wiedererkannt: Es war die Stimme seiner Frau, die seit sechs Wochen spurlos verschwunden ist.

    Die Suche nach dem Hund bleibt erfolglos. Schließlich kehrt er um. Pippa wird schon wiederkommen, denkt er, der Weg ist ihr ja nicht unbekannt.

    Doch Pippa kommt nicht wieder – ebensowenig wie seine Frau.

    Zuhause stellt die Kaffeemaschine an. Während der Automat verdrossen vor sich hin röchelt, versinkt er in Nachdenklichkeit.

    Die seltsamsten Überlegungen schwirren in seinem Kopf herum.

    Ist er schon so weit, dass er Stimmen hört, wo keine sind? Nur, wie wäre dann Pippas Reaktion zu erklären? Sie ist genauso freudig losgewetzt wie damals, wenn ihr Frauchen sie rief.

    Fast noch verstörender der Wecker! Nach seinen Beobachtungen hat der Wecker geklingelt, bevor das Werk in Gang gesetzt war! Das widerspräche einer fundamentalen Regel der klassischen Physik, nach der eine Wirkung nicht früher als ihre Ursache eintreten darf. Es wäre ein Paradoxon, ein Wecker-Paradoxon! Das würde ja auch bedeuten, dass ein Glas zerspringt, bevor es auf dem Boden aufschlägt. Unmöglich!

    Und jetzt diese Stimme . . . Es war eindeutig Marthas Stimme, der schwäbische Tonfall war nicht zu überhören.

    Fragen, Frage, Fragen, allesamt mit vernünftigen Überlegungen nicht zu beantworten, es sei denn, man verlöre sich in obskuren Spekulationen.

    Die Vorstellung einer übersinnlichen Instanz, die in sein Schicksal eingreifen will, weist er, kaum angedacht, weit von sich. Schicksal ist seiner Meinung nach eine Mischung aus Veranlagung, Selbstzucht und der Bekanntschaft der richtigen Leute zur richtigen Zeit, kein Tummelplatz für höhere Gewalten.

    Der Kaffee ist fertig, er schenkt sich ein, trinkt. Vom Geist des Coffeins beflügelt erinnert er sich an Dinge, die er schon längst vergessen glaubt . . .

    Forts. folgt

    Einmal editiert, zuletzt von McFee (1. November 2021 um 15:38)

  • Vor vielen Jahren, im Biologieunterricht.

    Silvester betrachtet einen Tropfen Teichwasser unter dem Mikroskop.

    Eine grünselige Wunderwelt tut sich auf; äußerst verwirrend und doch glasklar. Was er da erblickt, kam ihm so überraschend, so fremd, so eigenartig vor, als handelte es sich um einen Ausschnitt aus einer anderen Welt, einer Art Parallelwelt, dem bloßen Auge nicht sichtbar, aber trotzdem nicht weniger wirklich. Nie hätte er eine solche Vielfalt erstaunlichster Lebensformen in einem winzigen Wassertropfen für möglich gehalten.

    Verzaubert fragt er den Lehrer, ob dieses Wasser wirklich aus dem Schulteich stamme oder doch eher von einem anderen Planeten, vielleicht sogar aus einem anderen Universum.

    Was halb im Scherz gefragt ist erhält eine ernsthafte Antwort.

    „Nun ja“, sagt der Lehrer, „dieses Wasser habe ich vorhin selbst aus dem Schulteich geschöpft. Und Leben auf anderen Planeten – reine Spekulation. Andererseits . . . Es gibt mathematische Rechenmodelle, die nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Parallelwelten zulassen. Ich habe sogar manchmal den Eindruck, dass es Milliarden solcher Parallelwelten gibt, für jeden Menschen eine.“

    Und noch eine andere Szene fällt ihm wieder ein: Auf einem Kindergeburtstag. Er bläst Seifenblasen, einzeln, paarweise, in Trauben, in Clustern – –

    Silvester Urigks flache Hand knallt auf den Tisch. „Ha!“, ruft er, „das ist die Erklärung! Das Universum besteht aus lauter Parallelwelten, die wie Seifenblasen mit unsichtbaren Grenzen aneinanderhängen und sich gegenseitig durchdringen! Und in jeder dieser Blasen leben Menschen! Wieso bin ich nicht schon früher auf die Idee gekommen?“

    Nun klärt sich, was eben noch im Dunkeln lag!

    Das Weckerparadoxon . . . Es war nicht sein Wecker, der da klingelte, sondern ein ähnlicher in einer dieser Parallelwelten, deren unsichtbare Grenze in diesem Moment genau hinter dem Nachttisch verlief! Deshalb war ihm der Glockenton auch so fremdartig vorgekommen! Und am Montag hat er das Gerassel nicht gehört, weil es einen Schläfer in einer anderen Parallelwelt weckte, deren unsichtbare Grenze genau zwischen dem Wecker und seinem Bett verlief!

    Etwas mehr Kopfzerbrechen bereiten ihm seine Frau und der Hund.

    Schon immer kam ihm seine Frau wie ein Wesen aus einer anderen Welt vor. Zwar verlief die Ehe nicht unglücklich, wenn man ausbleibende Schicksalsschläge schon als Glück bezeichnen will. Streit? Kaum. Und wie denn auch, wenn jeder in einer anderen Welt lebt. Es war eher ein Zusammenleben in beredter Wortlosigkeit. Da war unterschwellig immer dieses Gefühl einer unsichtbaren Schranke, eine Art zweiter Haut, die seine Frau umgab und einhüllte wie ein gläserner Kokon. Besonders, wenn er versuchte, ihr näher zu kommen. Schon bevor sie verschwand, ging jeder auf eigenen Wegen; sie in die Musikschule, wo sie ein Jugendorchester leitete; er in seine Firma, wo er an neuartigen Erfindungen herumtüftelte.

    Jetzt macht er sich Vorwürfe, sie vernachlässigt zu haben. Warum auch hätte sie sonst einen Grund gehabt, wieder in ihre geheimnisvolle Welt zurückzukehren und dann auch noch den Hund nachzuholen? Vielleicht hätte ich doch konsequenter das Gespräch suchen sollen.

    Trotzdem . . . Wirklich geliebt hat er nur sie, dieses zarte Wesen aus einer anderen Welt, wie er jetzt weiß.

    Doch jetzt ist es zu spät, der Zug abgefahren, wie man so sagt . . .

    Er beschließt, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern sich einem anderen Problem zu widmen. Anscheinend ist er nicht der Einzige, dem die Welt als Blasen-Cluster erscheint. Da wird vor einer Finanzblase gewarnt, einige Wirtschaftsgurus sagen das Platzen einer Immobilienblase voraus, andere beschwören eine Fußball-EM-Blase, sogar von einer Olympia-Blase ist die Rede.

    In den nächsten Tagen und Wochen versucht er, Beweise für seine Vermutung zu finden, und da macht er die erstaunlichsten Entdeckungen. Zunächst wundert er sich, wie viele Menschen mit gesenkten Blicken durch die Straßen gehen, nicht nach rechts, nicht nach linkes schauen, offenbar gefangen in ihrer eigenen Welt, wie ihre Hunde, die ebenfalls mit gesenkten Köpfen neben ihnen hertrotten. Bei einer Fernsehdiskussion beobachtet er kopfschüttelnd die Unfähigkeit der Teilnehmer zu gegenseitiger Verständigung. Der Vertreter der Industrie redet nur von Wachstum, der Umweltschützer nur von Systemwechsel, der Politiker vom Sowohl-Als-Auch. Es kommt ihm vor, als sitze jeder festgezurrt in seiner Blase, die ein Miteinander verhindert.

    In der Zeitung liest er, dass in Deutschland jedes Jahr mehrere Tausend Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Unsinn, denkt er, ein Mensch kann nicht verschwinden! Er wird nur an einem Ort sein, an dem ihn keiner sucht: In seiner Blase!

    Allmählich verdichten sich die Hinweise, dass sein Blasen-Modell stimmen könnte. Nicht nur einzelne Menschen, auch ganze Völker scheinen von Blasen umgeben; die Amerikaner, die Russen, die Chinesen, die . . . Alle sind in ihren Weltanschauungen eingefangen wie Wasserspinnen in ihren Luftblasen. Doch letzte Gewissheit hat er nicht. Wenn er versucht, mit jemandem darüber zu reden, erntet er nur Kopfschütteln.

    Am einunddreißigsten Dezember – es ist kurz vor Mitternacht – macht sich Silvester Urigk wieder zu einem Spaziergang auf. Die Luft ist außerordentlich mild, über dem Wald steht ein festgeballter, unglaublich heller Mond. Zum zig-sten Mal schlägt er den Wanderweg ein, auf dem seine Frau und der Hund verschwunden sind. Er hat die Hoffnung auf ein Wiedersehen noch nicht aufgegeben, zumindest mit Pippa, der Hündin – ein Hund ist schließlich ein Überlebenskünstler. Da nimmt ihn eine seltsame Lichterscheinung gefangen: Ein zweiter Mond ist aufgegangen, hinter einer Wolkenbank, die sich über der Wald schiebt, und jemanden ruft: „Silvester, wo bleibst du denn? Ich warte schon eine ganze Weile!“ Die Stimme kommt aus dem Gebüsch, in das Pippa vor vierzehn Tagen hineinrannte und nicht wieder zum Vorschein kam. Es ist eindeutig Marthas Stimme, der schwäbische Tonfall ist nicht zu überhören. Gleichzeitig hört er in der Ferne die Glocken der Stadtkirche, die das neue Jahr einläuten.

    Silvester Urigk läuft auf das Gebüsch zu und ist Sekunden später verschwunden.

    Seitdem fehlt von ihm, seiner Frau, dem Hund jede Spur.

    Anscheinend ist es ihm gelungen, mit dem Jahreswechsel in die Blase seiner Frau überzutreten.

    Ende

  • Hallo McFee

    Zunächst einmal liegt hier wieder ein sehr schöner Schreibstil vor, wie man ihn von dir gewohnt ist. Es liest sich wunderbar, vor allem die eher verspielten Abschnitte, wo du sehr schöne Metaphern gefunden hast, um Silvesters Schlafzustand zu beschreiben.

    Allerdings hatte ich manchmal Probleme die Geschichte inhaltlich nachzuvollziehen.

    Beispielsweise als der Hund verschwand; das wirft Fragen auf, aber vor allem weil Silvesters Reaktion darauf nicht nachvollziehbar ist. Sie findet im Prinzip auch nicht statt, er zuckt quasi nur mit den Schultern, sucht ein bisschen nach dem Hund und geht dann nach Hause. So etwas trägt natürlich auch zur – ich bin geneigt zu sagen – kafkaesken Stimmung bei, hat mich an der Stelle aber ein bisschen herausgerissen. Ein Satz mehr, zumindest darüber, dass er sich in dieser Situation wundert, würde da Abhilfe schaffen.

    Dafür, dass Silvester sich nicht in obskuren Spekulationen verlieren will, wirkt seine Erklärung für die Vorkommnisse etwas an den Haaren herbeigezogen, obwohl ich die Idee an sich richtig gut finde!

    Wenn man darüber hinweg liest, dann finde ich das die Geschichte sehr gut weitergeführt wird. Der ein oder andere findet das vielleicht etwas zu sehr auf die Nase gebunden, wenn hier von Blasen-Clustern von Parallelwelten die Rede ist und dann „gesellschaftliche Blasen“ ins Spiel kommen. Mir hat es aber gut gefallen, weil es aus der Sicht eines ohnehin weltfremden und scheinbar zerstreuten Geist nachvollziehbar klingt.

    Abschließend ist der Begriff „kafkaesk“, dass was meinen Eindruck von der Geschichte wohl am besten zusammenfasst und ich einigen Spaß beim lesen hatte, sowohl an den Metaphern, als auch an den Ideen und Gedanken, die du mit eingebracht hast.

    LG

  • Hallo Iskaral,

    vielen Dank für dein Feedback. Dass dir die Geschichte gefallen hat freut mich.

    Ja, beim Hund hast du natürlich Recht. Da hätte mehr Suchen Rufen Wundern hingehört.
    Auch diese Stelle muss so lauten:

    Fragen, Frage, Fragen, allesamt mit vernünftigen Überlegungen nicht zu beantworten . . . Und er verlor sich in obskuren Spekulationen.

    Allerdings: Die Vorstellung einer übersinnlichen Instanz . . .

    Ich lasse es aber stehen, damit deine klugen Bemerkungen nicht ins Leere laufen.

    Überhaupt kafkaesk . . .

    Ich denke oder lese ein Wort, in dem Moment spricht jemand neben mir genau dieses Wort aus. Ich stelle das Radio an: der Nachrichtensprecher sagt meinen Namen. Ich lese vor einer Bombenexplosion, und hinter mir knallt eine Tür zu. Zufälle? Nein, dazu passiert mir dergleichen zu oft. Ich glaube, es sind Zeichen, dass sich hinter der Alltagswirklichkeit noch eine andere Wirklichkeit verbirgt, nicht unbedingt aus einem anderen Universum, aber auf einer anderen Wahrnehmungsebene. Kafka hat dafür in endgültiger Prosa einige Beispiele geliefert, aber, wie man sieht, es gibt noch mehr.

    LG

  • Hall McFee ,

    ich habe den ersten Teil der Geschichte schon letzte Woche oder so gelesen, aber ich musste tatsächlich erst den zweiten Teil abwarten, bevor ich einen Kommentar dazu geben konnte. Vor allem musste ich wissen, ob es sich hierbei um eine Kurzgeschichte handelt oder nicht.

    Der Grund ist folgender: der Schreibstil in dieser Geschichte ist schon sehr speziell. Er fällt einem in jeder Sekunde als außergewöhnlich auf und es hält mich davon ab in die Geschichte einzutauchen. Man bleibt faszinierter Leser, eine Blase entfernt von den Charakteren. In einem Roman hätte es mich schnell genervt, aber als Kurzgeschichte funktioniert das wunderbar.

    Ich muss zugeben, dass ich die Hauptperson nicht ganz verstanden habe, vielleicht ist er völlig irre und hat seine Frau umgebracht. Man weiß es nicht, man kann nur rätseln. Das macht den Reiz des ganzen aus. Ich möchte auch nicht zu viel interpretieren, sondern einfach nur sagen, dass mir die Geschichte gefallen hat.

    Anscheinend ist es ihm gelungen, mit dem Jahreswechsel in die Blase seiner Frau überzutreten.

    Ende

    Diesen Satz finde ich übrigens ein bisschen sperrig zum Schluss. Erstens dass die Hauptperson den Erzähler so vor dem Busch stehen lässt. Zweitens fände ich es geschickter, wenn sich der Leser hier selbst die Frage stellen könnte, wo Silvester Urigk nun eigentlich hin ist. Ich würde den Satz einfach weglassen, oder schreiben dass er nie wieder gesehen ward und wenn sie nicht gestorben sind ...

    Aber das ist natürlich deine Entscheidung.