Im dritten Teil von meiner Fantasy-Geschichte "Die Reise der Prüfungen" spielt ein Kindermärchen eine wichtige Rolle. Dies inspirierte mich, noch weitere kleine Märchen für meine jüngste Tochter zu schreiben. Und zumindest das erste Märchen möchte ich euch nicht vorenthalten:
Man-Úan, Grendelbert und wie der Stein ins Wasser fiel
Eines Tages beschloss Man-Úan: „Ich will Grendelbert ärgern und seinen Garten verwüsten. Das wird ein Spaß!“ Also schlich Man-Úan des Nachts in den Garten des Zwerges, riss alle Blumen und Büsche aus und warf sie auf einen Haufen. Dann pflügte Man-Úan kreuz und quer durch die gepflegte Wiese, bis kein Grün mehr zu sehen war. Beinahe ging die Sonne auf, also versteckte sich Man-Úan und freute sich auf Grendelberts Wut-Tanz.
Die Tür des kleinen Hauses öffnete sich und der Zwerg trat heraus. Er streckte sich, dass sein Rücken knackte, dann blickte er in seinen Garten. Er freute sich und sprach: „Oh, das ist ja wundervoll! Ich wollte heute ohnehin daraus einen Gemüsegarten anlegen. Sogar ein Komposthaufen ist angelegt. Juchhei! Da hat mir jemand aber viel Arbeit abgenommen.“ Man-Úan aber ärgerte sich in seinem Versteck.
„Wie kann ich Grendelbert noch ärgern…?“, überlegte das Scheusal: „Ich hab’s! Ich schupse seinen Kirschbaum um, dann hat er keine Kirschen mehr und ärgert sich gewiss!“ also schlich Man-Úan in dieser Nacht wieder zum Häuschen des Zwerges und rannte mit voller Wucht gegen Grendelberts Kirschbaum, immer wieder und wieder, bis er umfiel. Man-Úan zerrte den Baum weg und versteckte ihn, dann sich selbst. Als Grendelbert des Morgens wieder die Tür öffnete, sah er, dass sein Kirschbaum verschwunden war. Er freute sich und sagte: „Der alte Kirschbaum war sowieso krank und trug nicht mehr. Eigentlich wollte ich ihn heute fällen. Da hat mir aber jemand fein die Arbeit abgenommen.“ Man-Úan jedoch ärgerte sich sehr in seinem Versteck.
„Hmmm, Hmmm…“, grübelte Man-Úan: „Wie kann ich Grendelbert denn so richtig ärgern…? Ich hab’s! Ich zertrete ihm alle Äpfel, die bei seinem Schuppen stehen! Da wird er sich aber ganz gewiss ärgern!“ Also schlich Man-Úan in dieser Nacht zu Grendelberts Schuppen. Dort standen drei Holzwannen voller rotbackiger Äpfel. Man-Úan sprang in die erste Wanne und stampfte und stampfte, bis sich nur noch Brei in ihr befand. Das Gleiche tat er bei der zweiten Wanne. Bei der dritten Wanne jedoch hatte Man-Úan nicht mehr genug Zeit, da die Sonne beinahe aufging, aber die Äpfel waren wenigstens in kleine Stücke zertreten. Also versteckte sich Man-Úan wieder und kicherte leise.
Grendelbert öffnete die Tür, streckte sich und ging zu seinem Schuppen. Als er die Holzwannen sah, freute er sich und sagte: „Heute wollte ich aus den Äpfeln feinen Most machen. Jemand hat mir die mühsame Arbeit des Zerstampfens abgenommen. Also muss ich nur noch pressen und den Saft auffangen. Schau, der Unbekannte hat sogar eine Wanne so zerkleinert, dass ich gutes Kompott daraus machen kann.“ Man-Úan aber war wütend in seinem Versteck.
„ES REICHTTT! Jetzt mache ich etwas ganz garstiges! Da MUSS sich Grendelbert einfach ärgern!!“, beschloss das Scheusal grimmig: „Ich reiße seinen Schuppen ein!!“ also schlich Man-Úan in dieser Nacht zu Grendelberts Schuppen, nahm ordentlich Anlauf und rannte einmal hindurch, so dass der Schuppen einstürzte. Dann versteckte sich Man-Úan wieder und dachte bei sich: „Jetzt aber MUSS er sich doch ärgern!“ Am Morgen öffnete der Zwerg wieder die Tür und wunderte sich, was mit seinem Schuppen geschehen war. „Nanu?“, sagte er: „Jemand hat den alten Schuppen eingerissen, der ohnehin beinahe auseinander fiel… Oh, wie fein, dann kann ich ihn endlich neu bauen!“ Grendelbert freute sich sehr über die Hilfe. Man-Úan aber war sehr zornig! Noch immer hatte Grendelbert nicht so lustig getanzt!
Man-Úan lief zu dem kleinen Waldsee und schaute hinein. Sein Spiegelbild schaute zurück. „Warum kannst Du nicht garstig sein, wie die anderen Scheusale??“, schrie Man-Úan sein Spiegelbild an: „Du bist kein echtes Monster! Verschwinde!!“ Man-Úan nahm einen großen Stein und warf ihn genau auf seine Spiegelung. Er platschte ins Wasser und schlug viele Wellen. Als sich die Oberfläche wieder beruhigt hatte, sah Man-Úan wieder sein Spiegelbild. Aber daneben war auch das Spiegelbild Grendelberts. „Weshalb zeterst Du so und wirfst so lustig Steine ins Wasser…?“, fragte der Zwerg, der neben ihm stand. „Ach“, sprach da Man-Úan: „Ich wollte Dich ärgern, damit Du so lustig tanzt. Aber über jeden Streich hast Du Dich sogar gefreut. Ich bin kein richtiges Scheusal und das macht mich zornig!“ – „Warum bist Du zornig? Du hättest mich doch einfach fragen können, ob ich für Dich tanzen kann, nachdem Du den Gemüsegarten angelegt hast. Oder als Du den alten Kirschbaum fälltest. Oder als Du die Äpfel gestampft hast. Oder als Du den alten Schuppen zum Einsturz brachtest.“ Und Grendelbert begann, im Kreis zu springen und für Man-Úan zu tanzen. „Du wusstest, dass ich das alles war?“, fragte das Scheusal und Grendelbert sagte: „Ja sicher. Aber ich dachte, Du wolltest nur nett sein.“ – „Ich bin ein Scheusal!“, rief Man-Úan empört: „Scheusale sind nicht nett. Scheusale sind böse und gemein!“ Grendelbert fragte: „Bist Du wirklich ein Scheusal? Oder siehst Du vielleicht nur wie eines aus? Wer sagt Dir, dass Du ein Scheusal bist?“ Man-Úan überlegte, um dann zu antworten: „…niemand hat es mir gesagt…“ – „Siehst Du? Und ich sage Dir: Du bist KEIN Scheusal. Du bist nett und hilfsbereit, auch wenn Du es nicht einmal willst. Lass uns Freunde sein und ich will jedes Mal für Dich lustig tanzen, wenn Du mir wieder geholfen hast“, bot der Zwerg an.
So kam es, dass die beiden Freunde wurden und Grendelbert noch so manches Mal hüpfte und im Kreis sprang, um Man-Úan eine Freude zu bereiten.