ErWacht
vom Tom Stark
»Dabit (Hauptmann), Herr. Eine Geschichte der Altvorderen. Kommt schon, Herr. Ihr könnt so gut erzählen!«
Da ich ein guter Dabit bin – höre ich jedenfalls, gerne über mich sagen – und an mir vermutlich ein brauchbarer Haimamud (berufsmäßiger Geschichtenerzähler) verlorengegangen ist, lasse ich mich natürlich breitschlagen.
»Also schön. Zum einen weil ihr heute früh gute Arbeit geleistet habt und besonders Du, Yasid, sogar eine beachtliche Bestechung ausgeschlagen hast, ja, der Dabit sieht alles, vergesst das nur nie, und zum Anderen ist heute ein ganz besonderer Tag.«
Meine Männer und die eine Frau, die ich sogar gegen etwas Widerstand in die Wache geholt habe, versammeln sich um mich.
»Eine Ein-Tee-Geschichte, dann geht es wieder auf die Straßen. Die guten Bürger werden unruhig, wenn sie lange unser Wappen nicht sehen und die Gaunergilden haben auch ein kurzes Gedächtnis.«
Pflichtschuldig wird gegrinst und gekichert, Yasid, der alte Honighändler lacht sogar kurz. Das jüngste Mitglied meiner Wache versteht es wirklich gut, mir Honig um den Bart zu schmieren, wenn ich nicht aufpasse, werde ich mit einfachen Waschen nicht auskommen, dann kann ich zum Barbier rennen. Vorlauter Lümmel! Wenn der es nicht in drei Jahren zu Earif (Unteroffizier) bringt, dann hänge ich meinen Schlagstock an die Wand.
Ich halte Jenaira meine Teetasse hin. Jedem anderen wäre sie mit dem Hintern ins Gesicht gesprungen für meine Frechheit, sie nicht wie jeden anderen Mann in der Truppe zu behandeln. Tatsache ist jedoch, dass sie den perfekten Zeitpunkt kennt, wie lange man den Tee ziehen lassen muss und wie schnell man ihn einschenkt. Und ich warte nie sehr lange, bis ich den Jungs wieder nahelege, sich das abzuschauen. Nichts hält dein Leben so sehr in der Balance, wie ein perfekter Tee.
Als sich alle anderen ihren Tee geholt haben, natürlich selbst eingeschenkt, die Privilegien des Dabit muss man sich eben verdienen, nehmen wir gemeinsam den ersten Schluck. Schon seit Jahren musste ich das nicht mehr anmahnen. Die Alten bringen es den Neuen bei. Einen guten Offizier erkennt man unter anderem daran, dass er verständliche Anweisungen selten zweimal geben muss.
»Also dann.« Ich setze meine Tasse ab und sehe das heimliche Schmunzeln meiner Leute auch ohne hinzusehen. Sie kenne mich, ich kenne sie. Und sie wissen, wenn ich Ein-Tee-Geschichte sage, meine ich auch genau eine Tasse. Wie schnell der Dabit geruht, diese zu schlürfen, ist ganz allein Sache des Allweisen und des Dabits …
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»Es ist auf den Tag, fast auf die Stunde genau 10 Jahre her, als ich als Earif im achten Jahr zusammen mit meinem Partner Omar auf Steife war. Er war Earif im neunten Jahr und hat mir fast alles beigebracht, was ich als Wächter brauchte und über die Gassen des Südvierteles wissen musste. Und ein paar Sachen, die ich wissen musste, die ich mich aber weigerte zu brauchen.
Damals war das Südviertel noch ein wenig ärmer als heute, auch wenn es schon zwei wirklich Reiche und sogar einen aus dem Rat hier hatte. Aber wie heute hatten wir zum Großteil Handwerker, die gerade über die Runden kommen, so wie unsereins eben auch. Und natürlich hatten wir die Armen, die Obdachlosen, Heimatlosen, Flüchtlinge, Krüppel und jene, die vorgaben, es zu sein, um die Mildtätigkeit des Gläubigen auszunutzen.
Denn wie der Allweise uns gebietet die Not seiner Geschöpfe zu linden, insbesondere jener, die uns in Form und Gestalt ähnlich geschaffen wurden, so warnt er uns auch vor jenen, die unsren Geist vergiften und unsere Sinne vernebeln, auf dass wir die Worte des Allweisen nur im egoistischen Sinne sehen und statt Ehre, Schande auf unser Haupt laden.«
Ich nehme einen weiteren Schluck zu Ehren des Allweisen und meine Leute folgen mir. Natürlich tun sie das. Es sind gute, Leute, anständige Leute.
»Omar, als der Ranghöhere, wies mich an, auf der Hauptstraße zu bleiben und pirschte sich in die Nebengassen, wie er es oft zu tun pflegte. Längst wusste ich, dass er nicht den Dieben und Meuchlern auflauerte, wie er es mich in meinen ersten Jahren glauben mache. Er besuchte seine besonderen Freunde, wie er sie nannte, um sich den wöchentlichen Obolus für seinen besonders aufmerksamen Schutz zu holen. Er hatte es inzwischen aufgegeben, mich an diesen, seiner Ansicht nach völlig legitimen, Nebeneinkünften zu beteiligen. Natürlich gedachte er so zu vermeiden, dass ich ihn beim Dabit anschwärzte, aber diese Sorge hätte er sich nicht machen müssen. Mein alter Damit hatte viele Vorzüge, der Allweise segne ihn dafür im Jenseits, aber er war ein Mensch mit Schwächen wie jeder von uns. Seine größte war vielleicht der Trunk, dem er sich schon zu frühen Morgenstunden hingab. So hatte er oft schon Augenblicke später vergessen, was man ihm berichtet hatte. Wir Earifs schmissen den Laden und das schien ganz gut zu gehen. Nur wenige Tote mussten morgens von den Leichensammlern in unsrem Viertel aufgelesen werden, vom kleinen Markt kamen kaum Beschwerden wegen Diebstählen und die wenigen Reichen residierten sicher in ihren Stadtpalästen, bei den Anderen war ohnehin nichts zu holen.
Heute wissen wir natürlich alle, dass es eben nur gut schien. Den ersten unverdeckten Blick auf die Wahrheit erhielt ich an diesem Tag. Dem Allweisen hat es gefallen, an jenem Tage seinem unvollkommenen Diener die Nebelschleier vor den Augen zu zerreißen, auf dass er sehe, was er endlich sehen musste.
Obwohl ich strikt dagegen war, mich zusätzlich für Dienste bezahlen zu lassen, für die ich bereits den Schwur vor dem Fürsten und dem Allweisen geleistet hatte, war mir bislang nicht Schlimmes widerfahren. Weder wurde ich Opfer von Schlägern oder einem verborgenen Dolch, noch wurde mein Hausboot angerührt, das ich in den Jahren mir vom Munde abgespart hatte. Natürlich lag das auch an Omar, der trotz alle seiner Fehler für mich da war. Er war weit davon entfernt, ein so achtenswerte Mitglied der Wache zu sein wie Ihr, meine Kameraden, aber auf seine Art war ein guter Partner, fast ein Freund. Bis er aufhörte es zu sein. Der Allweise möge in seiner Güte seine Verdienste zuvor höher anrechnen, als sein Vergehen an diesem Tag.«
Ich nehme einen weiteren Schluck, diesmal folgen mir nicht alle sofort. Zu sehr hängen sie an meinen Lippen. Immerhin ist Omar ibn Jaffad ibn Mugdim auch heute noch eine Legende. Ein Mann aus reichem Haus, der trotzdem zur Wache ging. Ich habe dieser Legende nie widersprochen. Es gibt absolut keinen Grund Jaffed und seine Frau, noch Omar nachträglich in Verlegenheit zu bringen. Armut ist entgegen vieler Auffassungen keine Schande, auch nicht, wenn man zuvor reich war. Mir hingegen erklärt es mancherlei ungesunden Hang zum schnellen Gold meines alten Partners.
»Es gibt aber noch etwas, was bei den Oberen, den Gilden und der Bürgern immer für mich sprach. Eine Stimme in mir sagte mir meist, wenn ich einen anderen Weg gehen sollte und den Allweisen entscheiden lassen soll, ob ich etwas höre, was mich zum Umkehren zwingt oder sie trieb mich an, meine müden Beine selbst in der letzten Stunde meiner Schicht zu schwingen, weil mein Glaube und mein Knüppel vor Ort gebraucht wurden. So war ich, mit der Hilfe des Allweisen, wie ich mir hoffe nicht nur einzureden, den wahrhaft Mächtigen zu selten auf ihre Sandalen gestiegen bin, damit sie davon wunde Füße bekamen, aber oft genug genau dann von Ort, wenn es wirklich nötig war. Glaubt es ruhig eurem alten Dabit: Auch die Strolche wissen es zu schätzen, wenn sie einen Ort haben, wo sie ihr müdes Haupt sicher zu Ruhe betten können und wenn ihre Töchter sich ungestört zum Gebet versammeln können. Denkt zu keinem Zeitpunkt, dass man uns nicht will, oder uns gar hasst, völlig egal was die Halbstarken an Wände und Brücken pinseln. Sie wollen uns nur dann nicht, wenn sie Unrecht tun und hassen uns genau dann, wenn wir sie bei ihrem Unrecht ertappen. Aber sind sie in Not, erschlagen zu werden, und die lauten Schritte einer Streife vertreiben ihre Angreifer, dann sind sie dankbar. Freilich zu stolz oder zu engstirnig, um uns das wissen zu lassen. Aber niemand von uns ist, hier, damit man ihm Statuen zu Ehren aufstellt, habe ich Recht?«
Ich lasse ihnen das zustimmende Geraune und auch ihre geflüsterten Verwünschungen, ob des harten Loses eines Wächters. Dann trinken wir gemeinsam den nächsten Schluck. Ich merke, ich muss mich sputen, der Tee erkaltet merklich.
»Diese innere Stimme schrie mich förmlich an, mich zwischen den Häuser hindurchzuzwängen und die Seitengasse zu erreichen. Damals war ich noch ein wenig schlanker und so holte ich mir nur ein paar Abschürfungen.
Als ich endlich die Gasse erreichte, sah ich zuerst Omar. Er war etwas nach vorne gebeugt und hielt eine Person gegen die Wand gedrückt. Schon zückte ich meinen Knüppel, bereit meinem Kameraden hilfreich den Rücken zu stärken. Wo ein Strolch zu sehen ist, lauern drei in den Schatten, heißt es nicht zu unrecht. Deswegen gehen wir niemals – Nie! Mals! – alleine vor.«
Allgegenwärtiges Nicken zeigt mir, dass ich verstanden wurde.