Der Auftrag [Arbeitstitel]

Es gibt 109 Antworten in diesem Thema, welches 28.675 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (23. Januar 2018 um 22:26) ist von Tariq.

  • melli:

    So, ich hab mal alles aufgeholt - und das ist echt der Hammer :thumbsup:
    Richtig schön düster, geil geschrieben .... was will man mehr. Auf jeden Fall weiterlesen, uz kritisieren gibts nichts :D

    LG
    Arathorn der Unsichtbare

  • weiter, WEITER WEITER :D

    du machst das wirklich toll und es ließt so kurzweilig, das ich immer traurig bin, wenns wieder vorbei ist ^^


    Ich bin unendlich wie ein Ring.
    Ich bin der Schwarze Schmetterling.
    Und mein Gefühl, das keiner kennt
    glüht kurz auf

    und verbrennt.

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  • Es war eine Wohltat, in die behagliche Wärme des Herbergszimmers zurückzukehren. Sorgfältig hängte er seine Sachen zum Trocknen in die Nähe des Ofens, dann ließ er sich aufseufzend ins Bett fallen. Endlich entspannen. Eine ganze Nacht mit angezogenen Beinen in einem Sessel zu verbringen war nicht die angenehmste Art, Zeit totzuschlagen. Eigentlich war es schade, dass ein Mensch nicht völlig ohne Schlaf auskommen konnte. Gerade bei so einem Auftrag wäre das von Vorteil. Aber Kian wusste auch, dass ohne Schlaf seine Konzentrationsfähigkeit litt. Übermüdung war ein Feind seines Erfolges. Ein Feind, den er nun bekämpfen würde. Lächelnd schloss er die Augen. Wenn das Bekämpfen doch immer so einfach wäre.
    Drei Stunden später stand er bereits frisch gewaschen und rasiert mit seinem Gepäck an der Rezeption und meldete sein Zimmer ab. Dem Wirt erzählte er, der Geschäftsfreund habe ihn in sein Gästezimmer einquartiert.
    Um 14 Uhr zog er heimlich mit seinen Sachen in das Haus Nummer 112.
    Der Himmel war etwas heller geworden. Nicht viel, er war immer noch schwer und grau. Aber eben nicht mehr dunkelgrau.Selbst ohne Fernrohr erkannte Kian den Glatzkopf auf dem Grundstück Nummer 73. Er stand bis zu den Oberschenkeln in einem Loch, aus dem er mit Hilfe einer Schaufel immer mehr Erde beförderte. Erst, als der Erdboden dem Glatzkopf bis zur Hüfte reichte, schien er mit seinem Werk zufrieden. Er warf die Schaufel beiseite, stemmte sich am Rand hoch und zog sich heraus.
    An der Haustüre nahm er von der Alten einen Sack entgegen, trug diesen zum Loch und schüttete den Inhalt herein. Kian nutzte das Fernrohr. Der Inhalt des Sackes interessierte ihn. Er bestand aus menschlichen Knochen, zum Teil noch blutig, aber ohne Fleischreste daran.
    Verdutzt fragte sich Kian, warum der Idiot nicht einfach den Sack komplett in das Loch geworfen hatte.
    Die Lösung kam schneller als erwartet. Der Glatzkopf gab den Sack an der Haustüre zurück, und kurze Zeit später wurde er ihm frisch gefüllt erneut überreicht.
    Während sich auf dem Grundstück Nummer 73 die makabere Prozedur wiederholte, schritt ein Wachmann an der Mauer entlang.
    Kian unterdrückte ein Lachen. Die Ironie der Szene offenbarte sich nur ihm, er fand es köstlich.
    Ein dritter Sack wurde geleert.
    Diesmal waren es Schädel und Rippchen. Da ein Brustkorb viel Platz in Anspruch nahm und offenbar direkt mehrere Menschen dort entsorgt wurden, hatte man die Brustkörbe zerkleinert.
    So, wie die Knochen aussahen, hatte der Glatzkopf selbst sie mit einem großen Hammer bearbeitet. Die anderen Arconier schienen für diese Effizienz der Gewalt nicht stark genug zu sein.
    Jedenfalls nicht die, die er bisher gesehen hatte.
    Der Glatzkopf nahm erneut die Schaufel zur Hand und begrub die Knochen. Er trat die Erde auf dem Loch fest und verteilte den Rest, der nicht mehr hinein gepasst hatte, mit einem Rechen auf der Wiese.
    Noch während er damit beschäftigt war, kam die einspännige Kutsche mit dem kleinen, schmächtigen Arconier angefahren. Dieser öffnete wie zuvor mit einem Schlüssel selbst das Tor, führte das Pferd dann am Zaum auf das Grundstück und verschloss das Tor sorgfältig.
    In der Zeit öffnete sich die Türe der Kutsche und ein schlanker Mann mit einem Ohrfeigengesicht stieg aus.
    Kian erstarrte. Der Neue trug das Gewand eines Pfarrers.
    Dem Pfarrer folgte eine junge Frau aus der Kutsche. Sie hatte ein auffallend starres Gesicht und bewegte sich hölzern. Nur ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. Mit dem Fernrohr konnte Kian selbst bei dem Regen erkennen, dass sie unaufhörlich weinte. Es schien, als sei sie bei vollem Bewusstsein, hätte aber keine Kontrolle über ihre Bewegungen.
    Die Haustüre wurde von der Alten geöffnet, und ihr bösartiges Gesicht verzog sich beim Anblick der jungen Frau in hässlicher Vorfreude.
    Die hölzernen Bewegungen wurden steifer, als wehre sich die Frau, das Haus zu betreten. Der Pfarrer gab ihr einen groben Stoß in den Rücken.
    Erst, als sich die Türe hinter den dreien geschlossen hatte, setzte Kian das Fernrohr ab.
    Das war wirklich übel. Ganz übel.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • 8o weiterhin spannend, hoffetlich gehts bald weiter, in meinem Kopf überschlagen sich schon die Gedanken, wies wohl weitergehn wird :wacko:


    Ich bin unendlich wie ein Ring.
    Ich bin der Schwarze Schmetterling.
    Und mein Gefühl, das keiner kennt
    glüht kurz auf

    und verbrennt.

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  • Ob Adra wohl wusste, was sich in diesem Haus abspielte? Ob sie dabei war? Zeugin? Mittäterin?
    Nein, überlegte Kian, sicher nicht.
    Ihm fiel der Keller ein, den der kranke Erbauer eigens zu dem Zweck errichtet hatte, Frauen zu foltern. Wahrscheinlich lag dieser Folterkeller sehr tief unter der Erde. So tief, dass Schreie im Haus nicht gehört werden konnten.
    In diesem Viertel hatte jeder Personal. Auch der Vorbesitzer würde Personal gehabt haben. Adras Zimmer lag oben. Und bisher hatte Kian sie auch nur oben gesehen.
    Die Opfer wurden gebracht, wenn Adra nicht zu Hause war oder wenn sie schlief. Er glaubte nicht, dass sie wusste, was wirklich in dem Haus vor sich ging. Ansonsten wäre ihr das Lächeln bestimmt vergangen.

    Er kannte jetzt fünf der Arconier.
    Die alte Frau, die ihm am gefährlichsten erschien und die er für den Kopf der Gruppe hielt.
    Den alten Mann. Ihm traute er ebenfalls Zauberkräfte zu.
    Der Glatzkopf war der Mann fürs Grobe und konnte bestimmt auch mit einer Waffe umgehen, aber er war nicht besonders helle.
    Der kleine Kutscher und der Pfarrer. Wenigstens einer der beiden verfügte über Magie. Sie waren die Menschenfänger der Truppe.
    Insgeheim musste Kian ihnen Respekt zollen.
    Eine Kirche! Wer käme schon auf den Gedanken, dass junge, ehrbare Frauen ausgerechnet dort in Gefahr schwebten? Wahrscheinlich der einzige Ort dieser Welt, wo sich selbst eine Dame ohne ihre üblichen Anstandsfiffis blicken ließ.
    Zwei fehlten ihm noch. Er war sich nicht sicher, ob er diese zwei jemals zu Gesicht bekommen würde. Vermutlich blieben sie im Keller bei den Opfern und waren nur beim Einzug öffentlich aufgetreten.
    Heute kam Adra schon um 16 Uhr zurück. Der Pfarrer hatte das Haus noch nicht verlassen. Der alte Mann holte sie am Tor ab und ließ sie herein.
    Die alte Hexe konnte Kian durch eines der Fenster erspähen. Sie stand redend im Erdgeschoss. Adra trat auf sie zu. Er erkannte den Kopf des Pfarrers, als dieser sich vor Adra verneigte.
    Soso, man hatte also ganz harmlosen Besuch vom Pfarrer gehabt, während Adra den Prinzen umgarnte. Offenbar erfreute man sich noch an einigen wohlgesetzten und artigen Worten, bevor der Pfarrer mit seinem Kutscher das Haus verließ.
    Während das Tor geöffnet wurde und der Einspänner das Grundstück verließ, sah Kian Licht hinter dem Fenster des Engels aufleuchten. Die Alte hatte sie auf ihr Zimmer gebracht.
    Genug gesehen.
    Kian versicherte sich des korrekten Sitzes seiner Waffen und stürmte dann aus dem Haus.
    Es war Zeit, zu handeln.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • sehr gut, die Handlung bleibt spannend.
    Keine Fehler, nichts zu bemängeln.

    Lass es bald weitergehn ja? ^^


    Ich bin unendlich wie ein Ring.
    Ich bin der Schwarze Schmetterling.
    Und mein Gefühl, das keiner kennt
    glüht kurz auf

    und verbrennt.

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  • 8| Weiterhin richtig toll :thumbsup:

    Jetzt kommt wahrscheinlich eine der spannendsten Stellen, und so, wie sich das bisher alles abgespielt hat, wird es wohl böse ausgehen, dass er mit seinen Waffen losstürmt :S Hoffentlih stirbt er nicht und die Geschichte ist damit zu Ende, denn ich würde wirklich gerne noch weiterlesen 8o

    LG
    Arathorn

  • Sicherheitshalber verließ Kian das Grundstück zur anderen Seite. Mit gesenktem Kopf eilte er durch den Regen, in die gleiche Richtung, die die Kutsche genommen hatte. An der Kreuzung zur nächsten, breiteren Straße hatte er Glück, der Einspänner war in diese abgebogen und fuhr geradewegs an seiner Nase vorbei. Das Pferd trabte lustlos durch das schlechte Wetter, und Kian konnte schnellen Schrittes folgen, ohne rennen zu müssen.
    Die Kutsche des Pfarrers war in der Stadt nicht unbekannt, Wachmänner legten grüßend die Hand an die Stirn, wenn sie vorbei kam. Kian unterdrückte ein zynisches Grinsen.
    Er konnte nur hoffen, dass die Arconier ihren Schutzzauber auf Adra beschränkten.
    Sonst hätte er schlechte Karten.
    Eine halbe Stunde folgte er der Kutsche durch das Gewirr der Straßen, dann wurde deren Ziel ersichtlich. Peter und Paul.
    Eine Kirche in einem Viertel, dass von Handwerkern und Angestellten bewohnt wurde. Ordentliche, wenn auch nicht ganz so respektable Gegend.
    Peter und Paul war die älteste Kirche der Stadt. Die Erbauer Liargans hatten damals ihr Häuser aus Holz gebaut, von ihnen war nichts mehr übrig, aber die Kirche war aus Stein, massiven, grauen Granitblöcken, gedacht für die Ewigkeit.
    Der Regen nahm zu und Kian stellte sich Schutz suchend unter ein Dach.
    Er sah, wie die Kutsche an einem Seiteneingang der Kirche zum Stehen kam und der Pfarrer darin verschwand. Der Kutscher brachte sein Gefährt weg, wahrscheinlich zum Pfarrhaus.
    Sobald er außer Sichtweite war, ging Kian zum Hauptportal.
    Die massive Türe aus schweren Eichenbohlen ließ sich geräuschlos öffnen. Dämmriges, an einigen Stellen durch Kerzen erhelltes Licht umfing ihn, und es roch schwach nach Weihrauch.
    Drei Menschen knieten andächtig betend in den ersten Bänken, sonst war die Kirche leer.
    Kian nahm seine Kapuze herunter, tauchte seine Fingerspitzen in das Weihwasserbecken, bekreuzigte sich und machte sich angemessenen Schrittes daran, die Kirche zu durchqueren. Er hielt auf die geschlossene Türe schräg links hinter dem Altar zu, in aller Ruhe. Klopfte leise an, als er sie erreicht hatte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sie sich öffnete.
    Das Ohrfeigengesicht des Pfarrers lächelte ihn freundlich, aber auch irritiert, an. „Was kann ich für Euch tun, mein Sohn?“ Kian erwiderte das Lächeln. „Vater, ich würde gerne eine Spende an Eure Kirche tätigen zum Gedenken an meine Eltern, die in diesem Teil Liargans aufgewachsen sind.“ gab Kian fast flüsternd von sich.
    Dann beschränkte er sich darauf, den Pfarrer erwartungsvoll anzusehen.
    Überraschung, Freude, Gier und etwas anderes, berechnend Dunkles, flackerte kurz über dessen Mine, bevor sie sich zu einem dienstbeflissenen Lächeln sammelte. „Ich bitte Euch Sohn, tretet doch ein.“
    Mit einer einladenden Geste gab der Mann die Türe frei.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Weiter weiter weiter :thumbsup:

    Nur eine Sache:

    Zitat

    Kian konnte mit einem schnellen Schritt folgen

    hört sich komisch an, mach "in leichtem Trab" oder "schnellen Schrittes" drauß, so würde ichs jedenfalls nicht lassen 8o

    LG
    Arathorn

  • Der Raum war klein. In einer Ecke stand ein Ofen, der ihn warmhielt, und auf dem Ofen ein Krug.
    Ein schlichter Tisch mit vier einfachen Holzstühlen. Eine schmale Anrichte an einer Wand, in der einfaches Tongeschirr aufbewahrt wurde. Eine Kleiderstange für die verschiedenen Zeremoniengewänder des Pfarrers.
    „Darf ich Euch auch einen Becher Würzwein anbieten? Bei diesem Wetter gibt es nichts Besseres.“ Der Pfarrer holte zwei Becher aus der Anrichte und stellte sie auf den Tisch. „Setzt Euch doch, bitte.“
    Kian nahm auf einem der Stühle Platz und beobachtete mit nichtssagendem Lächeln, wie der Pfarrer die Becher mit Wein aus dem Krug füllte.
    Ob dem Wein etwas zugesetzt war? Ihm war sehr wohl bewusst, dass nicht nur Frauen vermisst wurden.
    „Auf Euer Wohl!“ Das Ohrfeigengesicht nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher, während Kian nur höflich nippte. Es war auch durchaus möglich, dass der Becher mit etwas präpariert war. Der Wein war heiß, schwer und gut gewürzt.
    „Da ich die Absicht habe, eine größere Summe zu spenden, bitte ich um Euer Verständnis, dass ich mich zuerst davon überzeugen möchte, dass dies wirklich die Kirche ist, die meine Eltern besuchten und in der sie geheiratet haben und ich getauft wurde, bevor ich das Geld hole und Euch übergebe.“ murmelte Kian mit verlegen niedergeschlagenen Augen. „Ich war noch sehr klein, als meine Eltern die Stadt verließen und sich den Goldsuchern in Nuriac anschlossen. Sie starben leider, bevor ich alt genug war, um mich für meine Herkunft zu interessieren, aber aus den Unterlagen bei der Bank geht hervor, dass meine Familie in dieser Stadt ihre Wurzeln und in diesem Stadtteil gewohnt hat.“
    „Oh.“
    Kian sah es in dem Ohrfeigengesicht arbeiten.
    „Es tut mir aufrichtig leid, vom Verlust Eurer Eltern zu hören. Möge Gott seine schützende Hand über sie breiten und ihre Seelen ins Paradies führen.“ murmelte der Pfarrer routiniert. „Darf ich fragen, an welche Summe Ihr gedacht habt?“
    Kian lächelte milde. Der Kerl wollte offenbar sichergehen, dass es lohnen würde, den Arsch zu erheben und das Kirchenbuch zu holen.
    „Dreißig Goldmünzen a zwanzig Gramm.“ antwortete er ruhig. Der Pfarrer zuckte zusammen. „Das....das ist wirklich überaus großzügig.“ stieß er überrascht hervor. Kian zuckte bescheiden die Schultern. „Ich erachte die Summe nur als angemessen.“ murmelte er verlegen.
    Spätestens jetzt sollte er vor magischen Finten sicher sein. Der Kerl würde ihm kein Haar krümmen, bevor er nicht das Geld gebracht hatte, das bezeugte die mühsam versteckte Gier in dessen Blick. Kian hob seinen Becher und nahm genüsslich einen großen Schluck heißen Wein.
    „Wie war der Name Eurer werten Eltern?“ „Heide Maria und Richard Samuel Eberhard. Meine Mutter war eine geborene Ramstein, und mein Name ist Christopher Samuel Eberhard. Ich wurde am 15.Januar vor 31 Jahren geboren und vermutlich kurz danach getauft.“
    „Wenn Ihr bitte einen Moment warten würdet, ich hole eben das Kirchenbuch aus der Sakristei.“
    Als der Mann den Raum verlassen hatte, holte Kian eine kleine Phiole aus seinem Mantel, zog den Stopfen und ließ sechs Tropfen in den Würzwein des Pfarrers fallen. Normalerweise hätten drei Tropfen des Giftes völlig ausgereicht, aber Kian wollte in diesem speziellen Falle ganz sicher gehen.
    „Ich denke, hier müsste Eure Familie erfasst sein.“ schnaufte der Pfarrer, als er ein paar Minuten später mit einem schweren, dicken Kirchenbuch zurück kehrte. Behutsam legte er es auf dem Tisch ab und wischte mit dem Ärmel den Staub vom Einband. „Ich hoffe doch, Ihr habt einen Moment Zeit?“ Der Pfarrer schlug das Buch auf. „Oh, ja, ich habe mir den heutigen Nachmittag frei gehalten.“ bestätigte Kian.
    Blätternd suchte das Ohrfeigengesicht nach der richtigen Jahreszahl, dann begann er, mit dem Zeigefinger die Spalten der Einträge herabzufahren.
    „Ich muss leider gestehen, dass ich ein wenig Schwierigkeiten habe, die Schrift meines Vorgängers zu entziffern.“ murmelte er und kniff konzentriert die Augen zusammen. Blind griff seine Linke nach dem Weinbecher und er nahm einen tiefen Schluck, ohne seine Suche dabei zu unterbrechen.
    „Januar..“ Spannung lag in der Stimme des Pfarrers und im Gesicht Kians. Der Zeigefinger glitt langsamer über die Spalte. „Gleich hab ich es.“ versprach der Pfarrer.
    Der Zeigefinger kam zum Stillstand und das Ohrfeigengesicht sah erstaunt auf. Aus dem Erstaunen wurde Angst. Er hustete einmal schwach und griff sich mit den Händen an den Hals.
    „Guter Gott, Mann, was ist, ist Euch nicht wohl?“ Besorgt sprang Kian auf und legte ihm die Hand auf die Schulter. Kein Kribbeln, kein Anzeichen von Magie. Trotzdem blieb er lieber noch in seiner Rolle. Der Pfarrer versuchte krampfhaft, Luft zu bekommen, sein Gesicht verfärbte sich zu einem ungesunden Dunkelrot. Panik spiegelte sich in seinen weit aufgerissenen Augen.
    Dann begann sein Körper zu zucken. Kian nahm ihn unter den Schultern hoch und legte ihn sanft zu Boden. Es war nicht nötig, dass der Krach, wenn er irgendwann mal mit oder ohne Stuhl umfallen würde, Zeugen herbeirief.
    Die Zuckungen, die das Gift hervorrief, waren besonderer Art. Sie waren stark und wahrscheinlich auch sehr schmerzhaft, aber die Impulse zu den Muskelkrämpfen kamen in ganz kurzen Intervallen, so dass das Opfer mehr zitterte als um sich schlug.
    Kian fand die Wirkung des Giftes immer wieder faszinierend. Nur Rothrud wusste um seine Herstellung und Zusammensetzung und Kian fürchtete, dass Rothrud dieses Wissen eines Tages mit in ihr Grab nehmen würde, sie war nicht mehr die Jüngste.
    Hände und Gesicht des Mannes hatten sich bereits bläulich verfärbt und ein grüner Schaum trat ihm vor den Mund.
    Normalerweise müsste er gleich tot sein. Kian legte die Hand an seinen Dolch, falls sich die Situation anders entwickeln würde.
    Der Pfarrer sah es und schien zu begreifen.
    Kian lächelte freundlich. „Grüßt den Teufel, Meister.“ flüsterte er. Ein ekliger Gestank nach Exkrementen wurde wahrnehmbar. Die Schließmuskeln des Opfers hatten versagt.
    Ein letztes Aufbäumen, dann brachen die Augen.
    Der Mann war tot.
    Das war nicht anders gelaufen als bei Normalsterblichen. Gerade, als Kian enttäuscht den Becher nehmen wollte, um mit dem Rest des Würzweins den verräterischen grünen Schaum weg zu wischen, begann die Leiche zu altern.
    Ungläubig sah Kian, wie die Haut des im Tod zur Fratze verzerrten Gesichtes in Windeseile immer faltiger und dünner wurde, die Haare grauer und weniger.
    In wenigen Minuten sanken die Augen tief in ihre Höhlen und die Zähne verfärbten sich und fielen aus dem Kiefer.
    Die Leiche verlor rapide an Substanz. Und dann löste sich die Haut auf, wurde erst dunkel und schwarz, blähte sich an manchen Stellen auf und platzte. Verwesungsgeruch war flüchtig wahrnehmbar, so flüchtig, wie die körperliche Existenz des Mannes. Nur noch seine Knochen ragten aus der Soutane heraus, er war zum Skelett geworden, doch der Prozess ging noch weiter. Auch die Knochen zerfielen zu Staub. Etwa zehn Minuten dauerte es, bis nur noch eine staubige Soutane auf dem Fußboden lag.
    Kian dachte an seinen Eindruck heute morgen, dass die Alte und ihr Kompagnon deutlich jünger ausgesehen hatten als am Tag zuvor. Offenbar waren diese Arconier dazu in der Lage, ihren Opfern in einer ganz anderen Art Leben zu rauben als er. Sozusagen in einem sehr wörtlichen Sinn. Das war interessant.
    Sehr interessant. Kian grinste. Schade, dass sie keine Zeit mehr haben würden, ihm das beizubringen. Zumindest war es ungemein praktisch, dass sie so schnell zerfielen. Er nahm die Soutane vom Boden, klopfte sie aus und hängte sie zu den anderen auf die Stange.
    Dann verließ er die Kirche auf dem Weg, den er gekommen war.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • klasse geschrieben melli :thumbsup:

    Nur eine kleine Sache:

    Herstellung und Zusammensetzung und Kian fürchtete, dass Rothrud dieses Wissen eines Tages mit in ihr Grab nehmen würde, sie war die Jüngste nicht mehr.

    ...sie war nicht mehr die Jüngste.

    ICh freue mich drauf, wie es weitergeht :rolleyes:


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    Und mein Gefühl, das keiner kennt
    glüht kurz auf

    und verbrennt.

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  • Das Pfarrhaus war schnell gefunden. Es war zu groß und zu reich für diese Gegend und in der Mitte des schmiedeeisernen Tores hing ein gekreuzigter Gottessohn zur Zierde.
    Kian rümpfte die Nase. Seltsamer Geschmack.
    Das es offen war, söhnte ihn mit dem Gekreuzigten aus.
    Das Haus war dunkel, aber neben dem Haus sah er Licht. Kian folgte langsam dem breiten Weg, der an der Haustüre vorbei zu den Stallungen führte.
    Natürlich lief er Gefahr, dass irgend ein Bediensteter ihn von einem der dunklen Fenster aus beobachtete.
    Aber seine langsame, ruhige Gangart und das er sich offen auf dem Weg zeigte mochte darüber hinwegtäuschen, dass er Übles im Sinn führte.
    Er sah den Einspänner unter einer Markise stehen.
    Die obere Hälfte der Stalltüre war offen. Kian erkannte das nasse Pferd in der Boxengasse.
    Vorsichtig näherte er sich der Türe.
    Der Kutscher war gerade damit beschäftigt, dem Tier die Hufe auszukratzen. Obwohl Kian meinte, kein Geräusch gemacht zu haben, drehte sich der schmächtige Mann unvermittelt um und richtete sich dabei auf. „Ihr wünscht?“ fragte er und seine Augen verengten sich misstrauisch zu kleinen Schlitzen.
    „Ich bin auf der Suche nach dem Pfarrer.“ lächelte Kian freundlich. „Das Haus scheint dunkel zu sein.“ fügte er vage als Erklärung hinzu.
    „Sicher. Den Pfarrer findet Ihr um diese Zeit in der Kirche.“ maulte der Mann unfreundlich.
    Seine Augen taxierten Kians Erscheinung, und er stellte seine Füße etwas weiter auseinander, als ob er Ärger erwarte.
    Die Luft schien geladen zu sein, wie vor einem Gewitter, und Kian wunderte sich über seinen plötzlichen Wunsch, zu verschwinden. Das waren nicht seine Gedankengänge.
    Kian hatte nicht vor, den Stall zu betreten, aber er hatte auch nicht vor, zu gehen.
    Mit einem ratlosen Gesicht, als sei er noch unschlüssig, räusperte er sich ein wenig. Dann holte er tief Luft, nahm die Hand aus der Manteltasche, hielt sie zu einer lockeren Faust geballt vor den Mund und hustete.
    Der Pfeil war schneller als jegliche Magie.
    Diese Erkenntnis spiegelte sich in dem hasserfüllten Blick wieder, den der Kutscher ihm zuwarf, als er sich das Ding blitzschnell aus der Brust riss. Zu schnell. Kian war nicht sicher, ob das Gift in so kurzer Zeit überhaupt Wirkung entfalten konnte.
    Plötzlich ging etwas von diesem kleinen Mann aus, dass furchteinflößend war.
    Jedenfalls für den Bruchteil der Sekunde, den Kians Dolch brauchte, um dessen Herz zu durchbohren.
    „Nehmt es nicht persönlich.“ zwinkerte er dem Mann süffisant zu, während dieser erstaunt auf die Knie fiel. „Mein Beruf hat meine Reflexe geschult.“
    Als wolle er noch etwas antworten, öffnete der Kutscher den Mund, doch der Tod war schneller.
    Kian trat einen Schritt vor, so dass er die Leiche über die Türe hinweg sehen konnte. Es war das Gleiche wie beim Pfarrer, der Mann zerfiel.
    Das war wirklich ungeheuer freundlich von diesen Arconiern. Selbst, wenn jemand von der Straße oder vom Haus aus beobachtet haben sollte, dass er einen Dolch in den Stall geworfen hatte, so fehlte doch ein Opfer, dass diesen Wurf zu einem Verbrechen machte. Kian sah sich sorgfältig um. Niemand war zu sehen. Umso besser. Als er wenige Minuten später auf die Straße zurück kehrte, hatte er nicht nur Pfeil und Dolch, sondern auch die Schlüssel zu dem Haus Nummer 73 in seinen Taschen.

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    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Gut soweit :thumbsup:
    Nur eine Stelle hat mich evrwirrt: Am Anfang kommt gar nicht rüber, dass er den Dolch wirft, und dann ist das plötzlich so da ...
    Geht finde ich insgesamt ein wenig zu schnell und einfach

    LG
    Arathorn

  • Geht die geschichte demnächst weiter oder bist du gerade nur bei der weißen Garde tätig?

    LG
    Arathorn

  • Das wird noch was dauern, Arathorn, ich kleb grad wirklich bei der Garde, aber sie wird weitergehen, versprochen! :thumbsup:

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    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Na dann is ja gut, ich freu mich schon drauf :thumbsup:
    Aber du hast doch teilweise so viel dran geschrieben - ist da grade nix mehr fertig und liegt schon in irgendeinem Ordner rum ?(

    LG
    Arathorn

  • Habe gerade den Anfang gelesen und werde auf jeden Fall dran bleiben. Mir gefällt besonders, dass du eine relativ gute Atmosphäre erzeugst, das findet man nicht oft bei Amateuren ;)

  • Mit der Rechten hielt er sein Fernrohr auf das Haus Nummer 73 gerichtet, die Linke spielte mit dem Schlüssel.
    Er war erst spät zurück gekommen. Vermutlich war der Engel schon in seinem Zimmer. Das Fenster war dunkel.
    Kian seufzte. Nach einem erfolgreichen Tag wie diesem fiel ihm das Nichtstun schwer. Aber er durfte die Dinge jetzt auch nicht überstürzen.
    Er erinnerte sich an den Moment der Bedrohung, den der Kutscher kurz vor seinem Tode hatte erzeugen können.
    Eine Bedrohung, die er selbst nicht einzuschätzen vermochte, aber daran, dass es sie gegeben hatte, wagte er nicht zu zweifeln. Dazu war seine Furcht zu unmittelbar und zu echt gewesen.
    Es wäre keine gute Idee, in ein Haus zu gehen, wo vielleicht fünf solcher Zauberer gegen ihn stünden.
    Sieben haben Macht über die Acht.
    Ein kurzes Lächeln huschte um seine Mundwinkel. Zumindest müsste es ihm heute gelungen sein, die Dinge in Bewegung zu bringen.

    Ihm war langweilig.
    Eine vertraute Langeweile. So oft schon hatte er irgendwo sitzen oder stehen müssen, um seine Aufträge zu beobachten. Und er hatte schon unbequemer gesessen als in einem Sessel.
    Es war etwa halb Zwei, als die Alte das Haus verließ, um erneut einen Eimer auszuleeren. Kian konnte die Zeiger seiner Uhr nur erahnen. Anscheinend liefen die Dinge drüben wie immer.
    Auch die Ratten kamen wie in der Nacht zuvor.
    Aber diesmal versuchte keine, mit einem Stück Beute unter dem Tor durchzukriechen.
    Noch hatte den Arconiern nicht auffallen können, das zwei von ihnen fehlten. Kian war auf die Reaktion gespannt, wenn Morgen der Nachschub an Opfern ausblieb.
    Sieben haben Macht über die Acht.
    Adra wußte von ihm. Sie hatte den Pfeil gesehen und auf das einzige Fenster gestarrt, aus dem dieser Pfeil kommen konnte.
    Der Gedanke, dass der Engel vielleicht nicht unter Drogen, sondern unter einem Zauber stehen und dass dieser Zauber jetzt nicht mehr wirken könnte, machte Kian etwas nervös.
    Sie hatte ihn heute um den Tod gebeten.
    Doch würde sie bei ihrem Todeswunsch bleiben, wenn ihr Geist vom Einfluss der Arconier befreit wäre?
    Oder würde sie den Prinzen darauf aufmerksam machen, dass ihr Leben in Gefahr schwebte und der Attentäter in einem verlassenen Haus saß?
    Kian ließ das Fernrohr sinken und steckte mit einem Seufzen den Schlüssel von Haus Nummer 73 in seine Tasche.
    Natürlich könnte er Morgen früh versuchen, Adra erneut mit einem Giftpfeil zu treffen, allein schon, um anzutesten, ob der Schutzzauber immer noch wirkte. Aber irgendwie schien ihm das zu plump.
    Erst, als das letzte Licht im Haus gegenüber erloschen war, verließ Kian den Sessel. Ein paar Stunden Schlaf würden ihm jetzt gut tun. Vorsichtig tastete er sich zum abgedeckten Bett und schlüpfte unter die Decken.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Nach drei Stunden stand er auf und nahm seinen Beobachtungsposten wieder ein. Kian hatte über Jahre die Fähigkeit trainiert, die Dauer seines Schlafes zu beeinflussen. Für seinen Beruf war das unabdingbar.
    Drüben war noch alles dunkel.
    Missmutig verfolgte er, wie im Laufe der nächsten Stunden die ganz normale Routine ablief. Lichter gingen an, Adra machte sich mit Hilfe der Alten fertig, um den Prinzen zu treffen, die Kutsche fuhr vor, Adra wurde von den drei Arconiern zum Tor gebracht und verschwand. Die beiden Alten sahen heute noch jünger aus als gestern, und Adra war so abwesend und berückend schön wie immer. Also stand sie wohl doch unter Drogen.
    Es verhagelte Kian die Laune richtig, als er erkennen musste, dass ihm am Morgen zuvor eine einmalige Gelegenheit durch den Schutzzauber verdorben worden war, denn heute hielt die Kutsche wieder so nah am Tor, dass er seine Giftpfeile gar nicht zum Einsatz hätte bringen können.
    Das bedeutete, dass er tatsächlich in das Haus würde eindringen müssen, um seinen Auftrag ausführen zu können.
    Und die Woche war nicht mehr lang.
    Heute wurde kein neues Loch im Garten gegraben. Offenbar lohnte die Mühe für die Knochen einer einzelnen Frau nicht. Die konnten ja nicht wissen, dass ihre Menschenfänger ausgeschaltet waren und der Nachschub ausbleiben würde.
    Auch das ärgerte Kian. Vielleicht hätte er die Gelegenheit, den Glatzkopf alleine auf dem Grundstück anzutreffen, nutzen sollen, um ihn von der Mauerkrone aus mit einem Pfeil zu erledigen.
    Andererseits war die Gefahr, dabei von einem Wachmann beobachtet zu werden, zu groß. Und wer wusste schon, ob der Schutzzauber nicht von den beiden Alten um das Haus gelegt worden war, so dass nicht nur Adra, sondern auch der Glatzkopf geschützt gewesen wäre.
    Es war blöd, dass er sich mit Magie so gar nicht auskannte.
    Selten war er bei einem Auftrag mit so vielen Eventualitäten konfrontiert gewesen. Er fühlte sich in die Zeit seiner Anfänge zurück versetzt mit all den Unsicherheiten, die diesen Auftrag begleiteten.
    Als gegen Mittag zum ersten Mal der Kopf der Alten mit gerunzelter Stirn an einem Fenster zu sehen war, besserte sich Kians Laune.
    Immer öfter kam eins der Gesichter der zwei Alten, die jetzt gar nicht mehr so alt aussahen, an ein Fenster und starrte auf das Tor. Verwundert, zweifelnd, besorgt. Sie wurden nervös.
    Am späten Nachmittag verließ der Glatzkopf sogar das Haus, ging zum Tor, öffnete es und sah suchend die Straße ab. Dann zuckte er seine schiefen Schultern, schloss das Tor und ging ins Haus zurück.
    Kian grinste zufrieden. Offenbar war es ihm gelungen, den Arconiern kräftig in die Suppe zu spucken.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker