Ich habe beim Ausmisten der Festplatte ein altes Projekt von mir gefunden. Keine Ahnung, wann ich damit begonnen habe, aber es ist definitiv ein paar Jahre her. Nach langem Überlegen habe ich mich durchgerungen, es euch mal zu zeigen. Ich werde kleine Teile posten, eigentlich eher ... Erinnerungssequenzen. Ach - schaut einfach selbst mal. Ein Ende gibt es bisher noch nicht, wahrscheinlich weil ich keine Ahnung habe, wie dieses aussehen könnte.
Die Geschichte selbst trifft ganz bestimmt nicht jedermanns Geschmack, das ist mir klar. Aber denen, die sie interessant und kurzweilg finden, wünsche ich gute Unterhaltung.
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Hannche - Tagebuch einer Pflegeheimbewohnerin, wie sie es schreiben würde, wenn sie könnte
Hat mich jemand gerufen?
Blinzelnd öffne ich die Augen. Draußen dämmert gerade erst der Morgen. Im grauen Viereck des Fensters am Fußende von Frau Herzels Bett sehe ich ein fahles Stück Himmel, mehr leider nicht, so sehr ich mich auch anstrenge, den Kopf ein wenig höher zu heben.
Es muss noch sehr früh sein. Auf dem Gang vor meinem Zimmer ist es still. Die Bettnachbarin schnarcht leise.
Niemand hat mich gerufen. Natürlich nicht, wer sollte auch? Meine Kinder wohnen weit weg und die Enkel sehe ich ebenfalls kaum. Außerdem rufen die mich nicht Hannche. Das hat nur Gertrud, meine Nachbarin und beste Freundin gemacht ...
Als ich hier einzog, meinte ich im ersten Moment, in dem Sessel am Fenster sitzt sie. Dasselbe silbrige Haar, derselbe komplizierte Knoten, die dicke, gelbliche Kunststoffbrille. Aber als die Frau den Kopf wandte, erkannte ich, dass es nicht Gertrud war. Sie konnte es ja auch gar nicht sein. Meine Freundin starb vor drei Jahren.
Das wurde mir in dem Moment, als ich meinen Irrtum erkannte, so deutlich bewusst, dass ich unvermittelt zu weinen begann. Beate schob sich hastig hinter mir ins Zimmer und legte meine Handtasche auf das Bett. „Mama, das wird schon“, murmelte sie. Es klang verlegen und ich biss mir auf die Lippen, als sie unbeholfen meine Wange tätschelte. Gefühle waren noch nie ihre Stärke gewesen.
„Aber, aber, wer wird denn?“ meinte die resolute Schwester, die meine Sachen hereintrug, begütigend. Beruhigend klopfte sie mir auf die Schulter. Die Frau im weißen Kasack, die Beate um einen halben Kopf überragte, hatte mir nicht mal ihren Namen genannt. Auch ein Namensschild trug sie nicht. Das fängt ja gut an, stellte ich fest und der Ärger ließ meine Tränen versiegen.
„Gefällt Ihnen das Zimmer nicht?“, fragte sie weiter. „Sie werden sich schon eingewöhnen, passen Sie mal auf, das geht ganz schnell, hm?“ Sie zog das ‚a‘ von ‚ganz‘ gewaltig in die Länge, dann wuchtete sie meinen Koffer auf den Sessel und lächelte mir aufmunternd zu.
Das Zimmer? Das hatte ich noch gar nicht angesehen. Ich wischte mir die feuchten Spuren von den Wangen und blinzelte durch die nassen Brillengläser.
Doch, das Zimmer war hübsch. Zwei Betten, zwei Schränke, zwei Nachtschränke, zwei Stühle, zwei, zwei, zwei ...
Die leise Hoffnung, eventuell doch trotz der Absage der Heimleitung in einem eigenen Zimmer wohnen zu können, zerplatzte wie eine Seifenblase. Ich hatte meine hübsche Wohnung nur sehr schweren Herzens verlassen. Mein Häuschen war mein eigenes kleines Reich gewesen und hier musste ich ein noch viel kleineres Reich plötzlich mit einer anderen Frau teilen. Einer völlig fremden noch dazu.
Schon wieder kamen die dummen Tränen. Mochte die andere sein, wie sie wollte, ich wollte sie nicht haben, nicht hier, nicht in meinem Zimmer.