Ingvar

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 2.172 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (3. Januar 2015 um 21:24) ist von Kisa.

  • So, liebes Forum,
    Da ich im Moment ein bisschen unausgelastet bin und mit meinen anderen Arbeiten ein bisschen feststecke, widme ich mich einem Nebenprojekt, das mir seit ein paar Wochen im Kopf rumschwirrt.
    "Ingvar" wird kein erzählerischer Höhenflug. Es ist eher als Nebensächlichkeit geplant, als Übung, deshalb habe ich mir noch keine ernsthaften Gedanken über die Handlung gemacht. Deshalb werde ich hier auch sehr unregelmäßig posten, und dann meist in sehr überschaubaren Abschnitten.

    Ingvar

    Keuchend suchte sich Barrit einen Weg durch das niedrige Gestrüpp. Brennnesseln strichen schmerzhaft über seine Beine, doch mehr als ein Zischen erlaubte er sich nicht, nein, stehenzubleiben war nicht möglich, nicht jetzt. Das Stechen in seiner Seite, die Krämpfe in seinen Beinen, das Aufbegehren seiner Lungen, all das ignorierte Barrit mit aller Kraft seines eisernen Willens. Es war nicht das erste Mal, dass er um sein Leben rannte, und rennen, das konnte er wie kein anderer.
    Nur einmal blieb er keuchend stehen, blickte zur untergehenden Sonne, holte tief Atem und wartete darauf, dass sich die erstickende Schwärze vor seinen Augen verzog.
    „Guten Abend, Barrit.“
    Erschrocken fuhr er zusammen, wandte sich um, und als er das wohlvertraute Gesicht hinter sich erblickte, brach er erschöpft in die Knie.
    Heiser lachte Barrit, ein Lachen ohne jede Freude, ein Laut, der sich zu einem rauen Schluchzen steigerte.
    „Ingvar! Ingvar … Wie hast du …“
    „Es ist Zeit. Du bist schon so lange davor weggelaufen.“
    Mitleidlos blickte Ingvar auf den schmächtigen Mann herab, an dessen Halsschlagader sich jeder Schlag seines Herzens in der schmalen Brust abzählen ließ.
    „Du musst das nicht tun! Das weißt du! Du musst das nicht.“ Ängstlich kroch Barrit von dem jüngeren Mann weg, als trüge er damit einen Panzer aus Luft auf seine ungeschützte Haut auf.
    Unbeeindruckt trat Ingvar einige Schritte näher und zog sein Schwert.
    „Und die drei anderen? Die, mit denen du deinen Tod vorgetäuscht hast? War das nötig?“ Wütend stampfte Ingvar auf und trat Barrit den Stein aus der Hand, nach dem dieser heimlich getastet hatte.
    „Zwei davon waren vorher schon tot! Ich bitte dich, Ingvar! Tu das nicht! Lass mich leben! Keiner wird es bemerkten!“
    Bedauernd schüttelte Ingvar den Kopf.
    „Du weißt, ich mache keine halben Sachen. Bis dann.“
    Bevor Barret sich aufrichten konnte, hatte Ingvar mit dem Schwert ausgeholt. Ein sauberer Schlag trennte Barret den Schädel vom Rumpf, raubte ihm das Leben. Zitternd fiel der enthauptete Körper zu Boden und rührte sich nicht mehr.
    Nachdenklich hob Ingvar den Kopf an den krausen Haaren empor und blickte in die erstarrten Züge des Mannes, den er zwar nie einen Freund, aber für eine Weile doch seinen Kameraden genannt hatte.
    „Du hättest das nicht tun müssen.“ Ivers Stimme kam aus der Tasche, die Ingvar über seiner Schulter trug. Kurze Zeit später zwängte der Katzenkobold seinen Kopf aus der schmalen Öffnung.
    Auf den ersten Blick mochte Iver wirklich wie eine Katze aussehen, doch sein violettes Fell, sein kurzer Schwanz und seine fast menschenähnlichen Hände machten den Vergleich mit den schmusigen Stubentigern absurd. Außerdem konnte er sprechen, was noch keine Katze von sich behaupten konnte.
    Interessiert betrachtete Iver das Gesicht des Toten und trillerte überrascht.
    „Er sieht wirklich aus wie die drei anderen! Wie hat er das gemacht?“
    „Hm“, brummte Ingvar. „Verwandlungsmagie. Das konnte er am Besten. Er hat einfach die Gesichter der Toten so verändert, dass sie aussahen wie er selbst.“
    Erstaunt riss der Katzenkobold seine Augen auf.
    „Wie hast du dann erkannt, dass sie nicht die richtigen waren?“
    „Ganz einfach.“ Ingvar legte den Kopf Barrets vorsichtig auf den Boden, als könne ihm noch etwas Ernsthaftes geschehen.
    „In meinem ganzen Leben ist es nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass ein Ziel tot war, bevor ich eingetroffen bin. Das ist der Nachteil, wenn ein Mann sein Leben lang gejagt wird: Er lernt es, zu überleben. So einfach ist meine Arbeit nicht.“
    „Du hättest einer der Leichen den Kopf abschlagen und deinen Auftrag für beendet erklären können. Es wäre nie jemand dahintergekommen.“
    Ohne jede Freude lächelte Ingvar.
    „Es war aber etwas Persönliches. Deshalb habe ich den Auftrag auch freiwillig angenommen, als er wieder ausstand.“
    Mit etwas angelegten Ohren schenkte ihm Iver einen sonderbaren Blick, eine Geste, die Misstrauen ausdrückte.
    „Was hat er dir denn schlimmes getan?“
    „Hm.“ Katzenkobolde liebten Geschichten, mindestens ebenso, wie sie das Sprechen liebten. Gerade Iver hatte eine beunruhigende Liebe für blutige Geschichten entwickelt.
    „Er hat dieses Mädchen getötet. Diese Dirne in Heaverslitch. Alkohol hat ihm noch nie gut getan.“
    Verständnis schlich sich in die Züge des Katzenkoboldes.
    „Und du hast sie gemocht? Das sieht dir ähnlich.“
    Etwas verbittert stieß Ingvar den Leichnam Barrets an.
    „Er hat danach ihr Gesicht verändert, damit niemand so bald erfährt, wer sie gewesen ist. Das war furchtbar, er hat sie selbst noch im Tod entstellt.“
    Die beiden Freunde schwiegen, ebenso der Tote.
    „Und jetzt sammle ein bisschen Holz zusammen. Beeil dich! Ich möchte nicht, dass die Fliegen sich über ihn hermachen, bevor das Pech heiß geworden ist.“
    Mürrisch nickte der Katzenkobold und machte sich an die Arbeit. Ihn grauste es vor der ekelerregenden Konservierung des Kopfes genau so sehr wie seinen Herren.
    Ingvar breitete die nötigen Utensilien vor sich auf dem Boden aus.
    „Wir sind bald wider Zuhause“, flüsterte er, doch es klang, als spreche er zu niemandem, der in dem dunklen Forst anwesend war.
    „Bald sind wir wieder da.“

    Magie hat etwas einzigartiges: Sie berührt alle Sinne. Sie ist wie ein Geruch, der sich nicht wirklich wahrnehmen lässt, wie Sand, der durch Fingerrillen rinnt. Sie ist ein Geschmack auf der Zunge, der sich nicht benennen lässt, und wie ein Lied, dessen Melodie einem nicht im Kopf bleiben will.
    So lernte Aer die flüchtigste aller Künste kennen: Das Weben von Zaubern, das Formen der Magie.

    Die Schatten der Magie

  • Keiner wird es bemerkten!“


    bemerken

    Toller Einstieg, Myrtana! Das Kopfkino lief gut durch und ich bin gespannt, wie es weitergeht! :thumbsup:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Zitat

    Das konnte er am besten

    Zitat

    „Wir sind bald wieder Zuhause“,

    Kann mich Melli voll und ganz anschließen. Freu mich auf mehr...

    Vorm Grill steh'n fill, vorm Schwenker steh'n nur die Denker.

  • Diese ,,Nebensächlichkeit" hat was. Ist die Namensähnlichkeit von Ingver, Ingvar und Iver gewollt oder Zufall?

    Ich hätte Barrit ein wenig mehr betteln lassen, ihn vllt. etwas mehr reden lassen, aber an sich ist das doch ganz ok. Und unter der Hand gesagt, bin ich doch jetzt ein wenig neugierig. ;)

  • Hi ^^


    Bevor Barret sich aufrichten konnte

    In den ersten Sätzen nennst du ihn Barrit, ab der Stelle Barret.

    Die beiden Freunde schwiegen, ebenso der Tote.

    einfach guter Satz XD Als wäre es das Normalste der Welt, das Tote auch mal reden ^^

    Hm ansonsten kann ich noch nicht viel dazu sagen. Ich bin auf jeden Fall gespannt wer das Mädchen war und in welcher Verbindung sie zu Ingvar stand ^^
    Ansonsten scheint Barret ein schmieriger Feigling gewesen zu sein, jedenfalls setzt sein Tod mir nicht wirklich zu XD
    Bin mal gespannt was noch passiert

    Lg Miri

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald