[ KAPITEL 9-DIE ANKUNFT-TEIL 3 ]
Wieder vibrierte mein Kommunikator. Ich dachte zuerst, es sei erneut Zell. Aber ich hätte es ahnen müssen...
# Wann gehst du duschen? #
# Chu! Wieso willst du das wissen?! #
# Ich möchte dir etwas zeigen. Das geht am einfachsten unter der Dusche. #
Darauf antwortete ich nicht. Mehr als verstörend! Das ging eindeutig zu weit in meine Privatsphäre! Ich konnte mir schon denken, was sie mir zeigen wollte. Und das wollte ich garantiert kein zweites Mal erleben.
Mit strengem Blick verdunkelte ich wieder das Display und widmete mich wieder dem Essen. Aber keine zwei Minuten später folgte eine weitere Nachricht.
# Soll ich dich abholen? #
# Nein! #
Das ging so die nächsten zehn Minuten weiter. Und dann wurde es mir zu bunt! Ich legte den Kommunikator auf meinem Tablett ab und erhob mich. Ohne ein Wort zu sagen, schnappte ich mir dann meine Sachen und stampfte davon.
Als ich auf halbem Weg nach draußen war, schloss Hal auf und schaute mich verwundert an. „Warum so eilig? Du hast nichtmal komplett aufgegessen. Das kenne ich gar nicht von dir.“
„Dann hast du eben jetzt kennengelernt!“
Sie packte meinen Arm und drehte mich zu sich rum. Unsere Augen trafen und vertieften sich. Streng war ihr Blick auf mich gerichtet. „Wer ist es diesmal? Serena Tallow? Emilie Blaze? Endlich Slay? Chu? Gaya? Oder Valery?“
Dazu äußerte ich mich nicht. Musste ich auch nicht, da sie bereits einen Namen bestimmt hatte. Keine Ahnung, wie sie das anstellte, aber sie sagte: „Es ist wieder Chu!“
Reuend nickte ich leicht und senkte mein Angesicht. Sie sollte mich nicht so anschauen, mit ihren funkelnden, einnehmenden Augen.
„Sam, du sollst es nicht in dich hineinfressen, hat Zell uns gesagt! Wenn Chu dich belästigt, sollst du es sagen. Ist sie wieder in deinen Kopf eingedrungen?“
„Nein. Ich kann es nicht sagen. Sie soll keinen Ärger kriegen.“
„Den Ärger wird sie kriegen, wenn sie dich noch wirklich verletzt! Sag jetzt endlich, was geschehen ist, oder... oder wir werden den freien Tag nicht miteinander verbringen.“
Abwinkend zischte ich gleichgültig und starrte an die Decke. „Ich werde es dir nicht sagen, Hal! Das würde dich nur unnötig aufregen...“
„Es regt mich jetzt schon auf, dass du immer so stur bist!“
Dann schwiegen wir uns an. Gegenseitig grimmige Blicke trafen aufeinander und versuchten sich auszustechen. Wer würde als erstes nachgeben und sich entschuldigen? Wer hatte mehr Überzeugungskraft, wer mehr Willenskraft? Ungern wollte ich mich ihr gegenüber so stur verhalten. Aber die Wahrheit hätte sie mit Sicherheit noch mehr aufgeregt als das geschwiegene Wort.
Noch einige Minuten verharrten wir in dieser Position, bis sie mich doch eingelullt hatte. Ich zeigte ihr die Nachrichten, warnte sie aber vor, dass der Inhalt verstörend klingen könnte. Als sie die ersten Zeilen las, kniff sie die Augen ganz fest zu, hielt den Atem und brummte tiefste Töne. Dunkelviolett schwoll sie an und krallte ihre Finger immer fester um meinen Kommunikator. Langsam bog sich das Display unter ihrem ständig ausgeübten Druck darauf. Es drohte zu zerbrechen, so schien es.
Leichte Bläschen ergossen sich aus den Mundwinkeln, als sie murrend sprach: „Ich werde ihr den Hals umdrehen, bis er abreißt!“
Richtig tollwütig bildete sich Schaum vor ihrem Mund. Das machte mir eine Heidenangst. Da verzichtete ich liebend gern auf mein technisches Gerät.
„Diese Chu..!“ Am ganzen Körper zitternd, schüttelte sie ihn durch, atmete immer hektischer und presste einen unterdrückten Schrei heraus. „Ich hasse sie! Ich will sie erwürgen! Und du..!“
„Ich? Was ist mit mir?“
„Du willst bestimmt zu ihr!“ Dann knackte es kurz und kleine Risse entstanden im Display. Hal hatte es geschaft, er war zerstört.
„Ich habe es gewusst! Die ganze Zeit lang habe ich es gewusst, Sam!“
„Was hast du gewusst?“ Wovon redete sie? Eigentlich war ich schon etwas dumm, was ich leider zu spät erkannte. Denn schon kam der Kommunikator mir entgegen und wurde mir auf die Brust geschlagen. Mit Tränen in den Augen und den Mund überschäumend schrie sie mich an. „Wieso hintergehst du mich mit ihr?! Bin ich dir nicht mehr gut genug, oder was?!“
„Was? Wieso..?“
„Weißt du eigentlich, was ich zur Zeit alles..? Ach, vergiss es einfach, Sam! Ich will dich heute nicht mehr sehen..!“
Vorsichtig versuchte ich sie in die Arme zu nehmen, aber sie stieß mich von sich weg und ergriff die Flucht. Ohne ihren Kommunikator, ohne das Tablett abzugeben rannte sie heulend davon, wäre fast noch über einen Stuhl gestolpert und verschwand aus der Kantine.
Eilig, ohne einen Gedanken zu verschwenden, rannte ich ihr nach und versuchte sie einzuholen. Doch nur wenige Augenblicke später war sie bereits in den Seitengassen verschwunden.
„Hal!“, schrie ich verzweifelt. „Warte doch mal! Ich kann dir alles erklären!“
Meine Hände um den Kommunikator geklammert, lief ich planlos umher und suchte hektisch eine Person nach der anderen ab. Aber sie war nicht mehr zu finden. Was sollte ich nur tun? Wohin wollte sie fliehen? Was wäre, wenn sie sich nun etwas antun würde? Bestand Gefahr für sie? Ich wusste keinen Rat. Aber zurück zu den anderen konnte ich auch nicht mehr. Oder konnte ich das?
Mein Kopf war leer für einen Moment. Nicht mal an Hal konnte ich denken. Mir blieb keine Wahl, ich musste es ihnen beichten. Sie würden es vermutlich besser verkraften, als meine Partnerin.
Anfänglich konnte ich mich noch zurückhalten und meine Verzweiflung auf hecktisches Atmen beschränken, doch irgendwann brachen die Tränen aus mir heraus. Wie eine Barriere, die ich durchstoßen hatte. Ich konnte meine Gefühle nicht mehr zurückhalten und weinte bitterlich. Kaum noch was erkennend, tastete ich mich vorsichtig an der Wand entlang und suchte Halt an einem Stahlpfeiler. An diesem lehnte ich mich an und rutschte langsam in die Hocke hinunter.
Minuten vergingen, in denen ich mich versuchte, wieder zu beruhigen. Nicht viele Tränen flossen, dafür aber umso konstbarere. Ob mich die anderen Leute anstarrten, war mir relativ egal. Dann kollabierte ich eben spontan. Na und?
Mir war klar, dass ich durch Trauer nichts bewirken konnte. Allein meine Kollegen konnten mir nun Trost bieten. Sie wussten garantiert Rat. Zell auf jeden Fall.
Ich rappelte mich auf, atmete tief durch und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Mit immer noch leicht zittriger Atmung stackste ich dennoch erhobenem Hauptes in die Kantine zurück. Trotz meiner Versuche, meine Zweifel vor der Gesellschaft zu verbergen, schienen sie es dennoch erahnt zu haben, dass irgendwas nicht stimmte. Verzweifelt schaute ich auf mein gesprungenes Display und versuchte Hal anzufunken. Aber das verflixte Ding wollte nicht. Oder die Tastfunktion war hinüber.
Hiar sprang auf und kam mir entgegengerannt. Ich wusste nicht, war es Einbildung, oder quetschte sie sich auch gerade ein paar Tränen heraus? Mir war es egal, ich wollte nur zu Hal. Oder am besten ganz weit weg von ihr.
„Sam!“, sagte Hiar ganz aufgeregt und warf ihre Arme um meinen Körper. Unsere Köpfe trafen sich an den Schläfen und nun vergossen wir gemeinsam ein paar Tränen. „Sam, was ist los?“ Behutsam führte sie mich zu unserem Tisch rüber.
„Hal ist weg“, flüsterte ich und nahm wieder zwischen meinen Mädels Platz. Mich tröstend rieben sie mir über den Rücken und steckten die Köpfe mit mir zusammen.
„Wie sie ist weg?“ „Wohin ist sie denn?“
„Sie ist weggerannt wegen Chu.“
„Chu? Was hat sie damit zu tun?“
Dann warf ich ihnen meinen schrottreifen Wunderkasten auf den Tisch. „Chu hat mir verstörende Sachen geschrieben und nun ist Hal sauer auf mich, weil ich sie angeblich hintergehen würde. Was gar nicht stimmt, weil... weil ich sie liebe.“
„Was hat Chu vestörendes geschrieben?“, fragte Zell sofort nach und schnappte sich meinen Kommunikator. Etwas unbeholfen hielt er ihn in seinen klobigen Händen und schüttelte ihn leicht durch. Alles klapperte und knirschte, bis weitere Glassplitter vom Display abfielen.
Ich verlangte ihn zurück. Zell würde eh nicht die richtige Datei finden. Mit verschwommenem Blick und zittrigen Händen öffnete ich mühselig die Konversation mit Chu und versuchte die Textzeilen in eine Position zu bringen, wo man sie halbwegs lesen konnte.
# Wann gehst du duschen? #
# Chu! Wieso willst du das wissen?! #
# Ich möchte dir etwas zeigen. Das geht am einfachsten unter der Dusche. #
Schweigen brach aus. Totenstille herrschte an unserem Tisch. Alleinig mein Schluchzen und Schniefen störte diese Ruhe und gab dieser noch mehr Nachdruck. Ich konnte deren Gesichter nur schwer deuten, waren sie doch durchgängig entgleist und sureealer als so manche Bildkunst.
„Chu ist schwanger.“
Sofort fixierte ich mich auf Lin. Sie glotzte mich an, legte zwei Finger an die Schläfe und nickte angedeutet.
„Leute, Chu ist schwanger.“
Dann schwenkten alle zu ihr um. Und Zell senkte tief den Kopf, rieb sich nachdenklich über die Stirn und räusperte sich. „Ich denke, wir wollten es vorerst für uns behalten, Lin...“
„Aber nicht, wenn Samuel und Hal darunter leiden müssen. Das hast du selbst gesagt. Außerdem ist Samuel selbst dran schuld. Er hätte es einfach schon eher sagen sollen.“