[Narrow]
Er ließ das Klatschen der Schläge über sich hinwegspülen – beachtete es kaum mehr, als das Brummen einer Fliege. Und während Ellies Kopf mit jedem Hieb zur Seite schnellte, ihre Locken umher wirbelten, starrte Narrow ohne zu blinzeln auf die geballte Faust ihres Peinigers. Der Wunsch, jeden Finger einzeln zu brechen, flammte gleißend hell auf.
„Fühlst du dich jetzt stark, Bastard?“, knurrte Ramirez. „Macht es dich an, eine gefesselte Frau zu schlagen? Such dir doch jemanden in deiner Größe.“
Alphas Totenkopf wandte sich ihm grinsend zu. „Was hast du gesagt?“
„Ich sagte“, begann Ramirez, jeden Muskel am Leib anspannend, „du sollst mich losmachen und deine Fäuste an mir ausprobieren. Zwei von euch Typen hab' ich bereits zurecht gestutzt. Du könntest der Nächste sein. Na, wie wär's?“
„Du hast 'n großes Maul“, erwiderte Alpha gelassen und nickte Omega zu. „Aber nun ist es an der Zeit, verdammt nochmal die Fresse zu halten!“
Omega zog ein schwarzes Tuch hervor und knebelte Ramirez rasch und brutal, wobei sich der Bulle verrenkte und nach seinem Angreifer biss. Danach war von ihm nur noch gelegentliches Grollen zu hören.
„Entschuldige die kleine Unterbrechung, Kleine“, fuhr Alpha an Ellie gewandt fort. „Wo waren wir? Ach ja...“ Er holte zum sechsten Schlag aus. Unter all den Locken konnte man ihr Gesicht und die Verletzungen der Folter nicht sehen, doch von ihrem Kinn lösten sich immer wieder rote Tropfen, die auf ihrem Overall einen beständig wachsenden Fleck hinterließen.
„Was soll das Ganze?“, fragte Narrow laut und deutlich in den Raum.
Alpha hielt inne. „Was? Was das soll? Seid Ihr taub, oder-“ Doch Narrow ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen: „Dieses Mädchen bedeutet mir nichts. Ich habe sie auf Luna-68 aufgelesen, weil ich möglichst billig einen Mechaniker brauchte um dort weg zu kommen. Jetzt, da wir unterwegs sind, brauche ich sie nicht mehr.“
Ellie keuchte kaum hörbar.
Alpha kniete sich vor ihn und aus seinen schwarzbraunen Augen sprach blanker Hohn. „Und das soll ich glauben? Hey, Freundchen! Hier bin ich!“ Er schnipste mit den Fingern vor Narrows Nase, doch der Capt'n beachtete ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Unbekannten, der sich etwas abseits an einem der Tische niedergelassen hatte.
„Und was meine Crew angeht“, sprach Narrow unbeirrt weiter, „so werde ich kein einziges Wort mehr sagen, sollte ihnen auch nur ein weiteres Haar gekrümmt werden.“
„Ist der Typ zu fassen?!“ Alpha sah teils belustigt, teils verärgert zu seinen Kollegen, ehe er Narrow wieder fixierte und mit der behandschuhten Faust drohte. „Vielleicht täte Ihnen meine kleine Behandlung ganz gut, Mr Jones. Sobald ich mit der Kleinen fertig bin, können wir gern-“
Und wieder unterbrach Narrow. Diesmal jedoch entgegnete er dem Blick des Schädels. „Und außerdem bezweifle ich, dass ihr uns töten wollt. Bisher habt ihr uns nur betäubt und wenn ich von den Magazinen ausgehe, die in euren M-30ern stecken, seid ihr auch weiterhin nicht mit scharfer Munition bewaffnet. Daher behaltet eure leeren Drohungen doch einfach für-“
Der Schuss hallte ohrenbetäubend in dem niedrigen Raum wider und ließ die Wand neben Narrows linkem Ohr förmlich explodieren. Er zuckte zusammen und Alpha sprang fluchend auf.
„Fuck! Verdammt fuck! Du hättest mich beinah getroffen! Fuck!“
„Und du redest zu viel! Viel zu viel.“ Der Mann im Hintergrund erhob sich, wobei sein Stuhl über den Boden kratzte. Er schwenkte Narrows rauchende Luger. „Wisst ihr ignoranten Einfaltspinsel überhaupt, wen ihr da vor euch habt?“ Er umrundete den Tisch vor sich und kam im Halbdunkel der Notbeleuchtung langsam auf sie zu. Etwas an seiner Stimme brachte eine Saite in Narrows Kopf zum Schwingen. „Es war das 236. Turnier des großen Wildjägers Apis B. Winshuk auf Barbos 1. Ein Spektakel, das seines gleichen suchte. Milliarden Zuschauer aus allen Galaxien waren herbei geströmt um den tapferen Recken bei der Erfüllung der siebzehn legendären Herausforderungen zu zuschauen, sie anzufeuern, zu wetten und – natürlich – jede Menge Blut fließen zu sehen!“ Der Unbekannte war groß, breitschultrig und bewegte sich mit der Anmut einer Raubkatze. „Die Fallen waren außergewöhnlich, die Bestien blutrünstig und zahlreiche der einhundert Herausforderer fielen ihnen zum Opfer. Es glich einer Schlacht. Einer Schlacht, in der nur die Besten und Zähesten überleben konnten.“ Nun stand er vor ihnen, gekleidet und ausgerüstet wie seine Kumpanen, bis auf die Pistole in der Hand. „Und im allerletzten Moment, als mein Sieg zum Greifen nah war, erlegte dieser Mann mit einem einzigen Schuss die größte Bestie des bekannten Universums. Einen Riesenghoram.“ Er riss sich die Maske vom Kopf und lächelte. „Na, erkennst du mich gar nicht wieder, One-Shot?“
Narrow zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Nein, sollte ich?“ Doch er tat es. Der Mann vor ihm war attraktiv mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, dem dunklen Teint, vollen Lippen und hellen Augen. Sein pechschwarzes Haar war streng zurück gekämmt und glänzte ölig. Mit jedem Wort entblößte er zwei perfekte Reihen perlweißer Zähne, über die er mit der Zunge strich. Narrow erinnerte sich gut an Darryl King, denn unter den Teilnehmern am Winshukturnier gab es die Mutigen, die Ehrgeizigen, die Glücklichen, die Verzweifelten und solche, wie ihn – die Grausamen. Tatsächlich hatten die Sterne für King günstig gestanden. Er hatte sich lange zurückgehalten, die Anderen kämpfen und sterben lassen, sie in Fallen gelockt oder den Biestern zum Fraß vorgeworfen. Auch schreckte er nicht davor zurück, die Anzahl an Konkurrenten persönlich zu dezimieren. Er war schnell, gerissen und möglicherweise das gefährlichste Wesen im Ring gewesen. Mit zunehmender Beunruhigung nahm Narrow das Messer an Darryls Hüfte wahr, welches blutige Erinnerungen weckte.
„Enttäusche mich nicht“, säuselte Darryl. „Sieh genauer hin.“ Als er sich weit zu ihm herabbeugte stieß Narrow ein unangenehm süßlicher Geruch entgegen. Superior, oder kurz Sup, war eine Droge aus den höheren Kreisen, die deine Sinne auf Reisen schickte, während sich dein Körper in der realen Welt wie in Trance bewegte. Zeitgleich zersetzte es organisches Gewebe. Angefangen mit der Haut, zu den Haaren und Zähnen, bis es immer weiter ins Innere sickert. Plastische Chirurgen verdanken Sup ihre gehobene Lebensweise.
„Du hast mich eines denkwürdigen Sieges beraubt, One-Shot. Ich gedenke, das zurück zu zahlen. Also… wo ist die Energiezelle?“
Die Lüge kam ihm leicht über die Lippen: „Wir haben sie nicht mehr.“
Darryl hob die getönten Brauen. „Wie bitte?“
Wo genau King herkam, konnte Narrow nicht sagen, doch seine Gefolgschaft kannte Ellie oder zumindest ihren Vater. Also kannten sie mit Sicherheit auch noch einen weiteren Namen.
„Wir haben sie abgeliefert, wie es unser Auftrag war. Nun ja, mehr oder weniger.“
Darryls blaue Lippen wurden zu schmalen harten Strichen. „Unsinn. Hal Izaak befindet sich nicht einmal in der Nähe, geschweige denn auf Luna-68. Nie im Leben konntet ihr ihm die Energiezelle bereits aushändigen.“
„Wer redet hier von Hal?“, fragte Narrow mit aller gebotenen Unschuld. „Ich spreche von Morg. Er hat die Energiezelle. Stimmt schon, Hal hat uns beauftragt, doch Morg hat uns im Bulletproof abgefangen und mich übers Ohr gehauen. Ich sag's nicht gern und mir graut es davor, Hal zu beichten, aber so ist es nun mal. Ihr habt die Falschen überfallen.“
Die blassen Augen des Jägers zuckten über Narrows Gesicht auf der Suche nach der Lüge, die sich dort verbarg. Unsicherheit lag im Blick des Mannes, der sich eben noch unangefochtener Herr der Lage wähnte.
„Morgan Opus“, sprach Darryl leise, den Namen kostend. Seine Begleiter warfen sich unsichere Blicke zu.
„Sir“, meldete sich Omega zu Wort. „Sollten wir nicht... unsere Auftraggeber... ich meine...“
„Halt's Maul... Russel“, zischte Darryl und erhob sich. Ohne den Blick von Narrow zu lösen ging er ein, zwei Schritte zurück und stellte sich neben die gefesselte Ellie. „Eine interessante Geschichte. Und so praktisch. Was glaubst du, wird nun geschehen, hm? Dass wir mit eingezogenem Schwanz abziehen, weil hier nichts zu finden ist? Weil wir Angst vor diesem Gnom haben? Ist es das? Glaubst du uns so leicht los zu werden?“
„Ihr habt jedenfalls nicht die Zeit, das Schiff von oben bis unten zu durchsuchen. Dieser Frachter ist zu groß und birgt zu viele Möglichkeiten, etwas so kleines zu verstecken. Mittlerweile dürften uns einige Allianzschiffe an den Fersen hängen und es ist nur noch eine Frage der Zeit bis sie uns finden. Die Uhr tickt. Und zwar gegen euch.“
Darryl nickte. „Zugegeben, diese ganze Mission läuft schon wesentlich länger als meine Auftraggeber es vorgesehen haben, daher werde ich es nun abkürzen.“ Er hielt die PX-9 an Ellies Kopf. „Wo ist die Energiezelle?“
Narrow blinzelte nicht einmal als er antwortete: „Wie schon gesagt, sie ist nicht hier.“
Der Lauf der Pistole wanderte weiter auf Ramirez zu. „Wo ist die Energiezelle“, wiederholte Darryl, doch auch jetzt blieb das Gesicht des Captains ausdruckslos. „Morgan Opus. Das ist der Mann, den ihr sucht. Und ich weiß wirklich nicht, wo er sich aufhält.“
Wie zu erwarten war, richtete Darryl die Luger letztendlich auf Ted und obwohl Narrow darauf vorbereitet war, zögerte er. Nur für einen halben Wimpernschlag. Außer ihm war es niemandem aufgefallen. Außer ihm und Darryl. Die blauen Lippen entblößten seine falschen Zähne bei einem grausamen Lächeln. Der Schuss ließ alle im Raum zusammenzucken. Ramirez stemmte sich brüllend gegen seine Ketten, Ellie keuchte entsetzt auf und Narrow wandte den Kopf nur sehr, sehr langsam zu seinem Piloten um. Alle Farbe war aus dem Gesicht des Jungen gewichen. Seine fahlen Lippen zitterten als er stammelte: „Ca-... Ca-... Capt'n?“ Dann begann er zu schreien. Die Kugel war in seinen Oberschenkel eingedrungen, wo sich nun ein roter Fleck rasch auf seiner Hose ausbreitete.
„Ich will hoffen“, meinte Darryl“, dass ich nicht seine Hauptschlagader getroffen habe. Sonst würde er ja in Windeseile verbluten. Zum Glück haben meine Männer die passende Ausrüstung parat um ihn solange am Leben zu erhalten, bis er einen Arzt erreicht. Hmm... bloß warum sollten meine Männer das tun? Warum sein Leben retten?“
Narrow knirschte unbewusst mit den Zähnen und stemmte die Kiefer gegeneinander. Der Anblick der wachsenden Blutlache brannte sich allmählich in seine Netzhaut und während Teds Geheul in seinen Ohren widerhallte stieß er leise hervor: „Einverstanden.“
„Wie war das?“, fragte Darryl. „Ich hab' dich nicht ganz verstanden. Wiederhol' es doch bitte. Lauter!“
„Einverstanden! Verdammt, einverstanden! Ich zeige dir, wo die Energiezelle versteckt ist.“ Zwei kräftige Hände packten ihn und zerrten ihn auf die Beine. Es war einer der Typen, die die Ausgänge bewacht hatten.
„Na großartig“, feierte Darryl „Geh nur munter voran. Und ihr anderen behaltet den Rest im Auge. Kümmert euch um den Jungen und lasst die Finger von Stirlings Töchterchen, verstanden? Sollte ich mich in fünf Minuten nicht melden, dann lasst den Kleinen verbluten. Beta? Du kommst mit!“
„Sir“, schaltete sich Omega erneut ein. „Ist das wirklich klug, sollten wir nicht lieber-?“
„Wie oft soll man dir noch sagen, dass du dein Maul zu halten hast, hm? Bloß keine Sorge. Schließlich ist keiner von uns ein Riesenghoram!“ Laut gackernd und mit der Luger in der Hand trieb Darryl Narrow voran. Mit Beta im Schlepptau verließen sie die Kantine.