Das ist die Geschichte aus meinem Thread [-Ideen-Sammelsurium für Jedermann-]. Ich fand die Idee so gut, dass ich mich doch mal daran versuchen will, Dark-Fantasy zu schreiben. Im Spoiler findet ihr nochmal diesen "Einleitungstext" der Geschichte. Die ersten paar Seiten werden vermutlich nur wenig Düsteres und Leidenschaftliches beinhalten. Aber ich denke mal, das ist ganz gut für den Anfang einer Geschichte. Vielleicht gefällt euch ja auch diese Idee und mein Einstieg in die Geschichte.
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~Otilia~
Ich wollte es nicht glauben, als mein Vater mir erlaubte, bei Juliana zu übernachten.
Ich liebte sie so sehr und durfte ihr nun ganz nah sein. Ob sie auch so empfand, wie ich? Verspürte sie auch dieselbige Sehnsucht, nach inniger Nähe und Zweisamkeit? Schon allein ihr Name ließ mein Herz schneller schlagen, mein Blut durch die Adern pulsieren und meine Hände zittern. Ich fühlte mich in ihrer Nähe so verletzlich und schwach. Aber gleichzeitig verspürte ich Stärke und Überzeugung, dass die Situation richtig war.
Doch war sie es wirklich? Ich zweifelte an jeder Emotion, die mich heimsuchte. Ich war hin- und hergerissen. Ich verlangte nach klaren Antworten, in Form von Gleichgültigkeit und Gefühlstod.
Doch war ich nicht tot. Noch nicht...
Noch kannte niemand mein Geheimnis. Vielleicht war es sogar keines und ich bildete es mir nur ein?
Und wieder begann ich, vorauszudenken. Was geschieht in der kommenden Nacht, wenn ich bei ihr schlafen würde? Würden wir in einem Bett schlafen, oder getrennt?
Was würde sie tragen? Wieder ihr fliederfarbenes Nachthemd? Oder vielleicht unbekleidet?
Der Gedanke allein brachte mich schon fast um. Mir wurde ganz warm, ich spürte wieder diese Lust. Das Verlangen, ihre seidenglatte Haut zu berühren und ihre zarten Hände zu streicheln, während ich sie zur Begrüßung umarmte. Wie sehr ich es doch mochte, ihre Brust dabei an meiner zu spüren. Es trieb mich fast in den Wahnsinn! Sie war eine wundervolle Freundin. Aber eben nur eine Freundin...
Einmal schnitt sie sich in den Finger beim Karotten schneiden. Und sie lutschte genüsslich daran herum. Immerhin wollte sie ja das Gemüse nicht verderben. Es blutete nur leicht, war aber genug, um ihre Fingerkuppen rot einzufärben.
Ich bebte innerlich! Ich lechzte danach! Ich wollte auch von dem warmen, süßlichen Blut kosten...
Sie wusste nicht, was sie mir damit antat. Niemand weiß es bisher, was ich tagtäglich empfinde und durchleide. Dieser innere Druck, dieses Gefühl von Leere und Ablehnung. Ich verabscheute mich selbst, brauchte es aber trotzdem irgendwie. Es war ein Teil von mir. Es war und ist meiner selbst.
Ich weiß einfach nicht, ob ich es verkraften werde.
Und dass ich, Otilia, die Tochter des Bürgermeisters bin, machte es umso schwieriger. Was sollten die Leute von uns denken, wenn sie von meinem Geheimnis erfahren würden?
Ich glaube, ich bin eine Vampirin.
~Otilia~
~Teil I~
Samstag der 5. Juni 1649
Mürrisch saß ich an meinem Schreibtisch und starrte stur auf das leere Blatt Papier vor mir. Meine Feder haltend, versuchte ich die mir gesagten Zahlen und Worte vor den Augen niederzuschreiben. Der Stuhl war hart und unbequem, ich verrenkte mir den ganzen Rücken. Und ständig dieses Klacken des Metronoms. Es sollte mir den Takt vorgeben und mein Gefühl für Zeit schulen. Das Tintenfässchen, welches an der äußersten Ecke des Tisches stand, randvoll und noch mit einer zweiten Feder bestückt.
Ich hasste es! Heute besonders. Den privaten Mathematikunterricht mit Pastor Antonius. Streng war er nicht, aber ungeduldig. Wenn man etwas wiederholt falsch machte, konnte es auch mal einen leichten Klaps auf den Hinterkopf geben.
Ich bekam nur selten Prügel. Aber meistens zu Recht. Ich war nicht die strebsamste Schülerin. Wollte ich auch nie sein. Ich wusste nicht mal, warum ich das eigentlich alles wissen musste.
Sicherlich, ich wusste schon, wozu es gut war. Aber ich verstand nicht, warum ausgerechnet ich. Als Tochter des Bürgermeisters und Einzelkind war es nicht schlecht, gebildet zu sein. Aber ich wollte nicht schlauer sein als mein zukünftiger Ehemann! Das war trotz jeglicher Umständeeinfach zu viel des Guten.
Das sollte nicht heißen, dass Konrad dumm war, aber er war für seine Verhältnisse nicht der Schlauste.
„Wie viele Nullen hat Einhundert, Otilia?“, fragte er mich. Kerzengerade stand er da, seine linke Hand auf meiner rechten Schulter, und wippte leicht mit dem Fuß auf und ab.
„Zwei...“, flüsterte ich, wenig überzeugt von mir selbst.
„Exakt! Und warum schreibst du es dann nicht hin?“
„Weil ich es kann, Pastor Antonius. Ich möchte das Papier nicht unnütz mit Dingen beschmieren, die ich bereits auswendig weiß.“
Er packte vorsichtig meine Hand und senkte sie zum Blatt. Ich wehrte mich nicht, ich wusste, er meinte es nur gut mit mir. Ich setzte sanft die Spitze aufs Papier und machte den ersten Strich. Die schwarze Tinte festigte sich sofort in den Fasern, verlief dabei kaum. Meine Feder stoppte und immer mehr Tinte wurde aufgesogen. Ein kleiner Klecks bildete sich, dessen Enden allmählich ausfransten und ein seltsames Muster bildeten. Kaum größer als ein Stecknadelkopf. Aber für mich ein gewaltiges Kunstwerk. Mich faszinierte dies deutlich mehr als das eigentliche Geschriebene.
Pastor Antonius führte meine Hand weiter, ich schrieb die Zahl aus. Er war zufrieden, ich dagegen nicht. Die Ziffern sahen schrecklich aus. Vollkommen unförmig und viel zu groß. Da passte ja kaum noch eine Rechenformel auf das Blatt. Und genau deshalb wollte ich es nicht. Es war Zeit- und Materialverschwendung. Ich musste sogar schon wieder die Feder neue Tinte aufsaugen lassen.
„Einhundert minus Dreizehn. Was macht das?“
„Siebenundachtzig...“
Er sagte nichts und tippte nur auf das Blatt. Ich schrieb es nieder, um ihm seinen Willen zu geben.
Nur ein leichtes Nicken seinerseits zeugte von der Korrektheit meines Geschriebenen. Die nächste Formel folgte unverzüglich. Aber ich weigerte mich wieder, sie mit Tinte festzuhalten. Sinnlose Übungen für eine sinnlose Sache.
„Otilia, bitte!“, grummelte er und gab ein leichtes Stöhnen von sich. „Auch wenn du es im Geiste kannst, musst du es genauso für andere vermitteln können. Ich bitte dich, deine Übungen so zu machen, wie sie gemacht werden müssen...“
„Aber wenn ich es kann, gibt es meines Erachtens keinen Grund, dies Euch zu beweisen. Ihr wisst ebenfalls, dass ich es kann...“
Kopfschüttelnd erwiderte er: „Aber ich weiß nicht, ob du die Zahlen korrekt schreiben kannst. Wenn du die Acht meinst, aber eine Sechs schreibst, ist das falsch. Mache es nicht für mich, sondern für dich und deine Eltern.“
„Für meine Eltern...“, maulte ich genervt und stützte meinen Kopf mit dem freien Arm ab. „Wenn es denen so wichtig wäre, dass ich sie durchs Nichtdurchführen enttäuschen würde, hätten sie sich deutlich mehr dafür eingesetzt...“
„Was meinst du?“ Verwundert glotzte er mich an. „Willst du nicht auch bei Konrad gut dastehen?“
Ich legte die Feder kurz beiseite und kehrte in mich, um ihm damit zu zeigen, dass diese Aussage nicht in meinem derzeitigen Interesse lag. Aber was sollte ich schon von einem Geistlichen erwarten, der auch nur wegen des Geldes hier war? Ich war ihm doch genauso egal wie meinen Eltern.
„Konrad ist ein dummer, kleiner Lausbub...“, entglitt es mir, bevor ich prompt die Feder wieder aufnahm und des Pastors Rechenformeln aufschrieb. Es hatte keinen Zweck, mich darüber zu beschweren, da alle anscheinend nur das Beste für mich wollten.
„Otilia... Was habe ich dich über die Bibel gelehrt?“
„Anscheinend zu wenig, wenn Ihr so direkt fragt...“
Und sofort gab es den ersehnten Klaps auf den Hinterkopf. Wieder berechtigt, aber trotzdem ungerecht.
„Nächstenliebe und Toleranz! Niemand ist ohne Fehl, Otilia! Aber das ist noch lange kein Grund, jemanden zu beleidigen. Erst recht nicht, wenn diese Person abwesend ist...“
„Das ist unhöflich, ich weiß...“, führte ich seine noch zurückgehaltenen Worte weiter, verdrehte dabei ganz provokativ die Augen.
Ich spürte seine Hand in meinem Nacken. Leicht zog er mich zurück, weiter an die Stuhllehne.
„Du sollst gerade sitzen, Mädchen!“
Ich kam seiner Aufforderung nach und presste meine Schenkel ganz fest zusammen, um noch mehr Halt zu finden. Aber es war unbequem und zog im ganzen Rücken. Der Stuhl war eine Folter für mein Gesäß.
„Siebenundfünfzig geteilt durch Neunzehn... Das macht?“
Da musste ich kurz nachdenken, aber mir kam die Lösung schnell. Ich sagte sie ihm laut vor und schrieb sie nieder. Währenddessen glitt meine freie Hand zwischen meine Beine. Ich verspürte den Drang, dies zu tun. Es beruhigte mich irgendwie und linderte den ziehenden Schmerz. Es machte es mir einfacher, mich zu konzentrieren, je weiter meine Hand Richtung Schritt wanderte.
Hoffentlich bemerkte Pastor Antonius es nicht. Er sah es nicht gern, wenn ich schummelte. Und sei es nur durch eine unterbewusst gesteuerte Körperbewegung.
Immer mehr Formeln und Aufgaben stelle er mir, schien aber seinen Blick lieber durch mein Zimmer schweifen zu lassen. Das nutzte ich gekonnt aus, um kurzzeitig eine entspannte Haltung anzunehmen. Meine Hand blieb dabei natürlich ständig zwischen meinen Schenkeln eingeklemmt, weil es ein so schönes Gefühl war. Wie die Finger sich sanft an den hauchdünnen Stoff des Beinkleides anschmiegten, sodass es sich fast wie auf nackter Haut anfühlte.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Ich schreckte auf und ließ dabei den Stuhl kurz scharren. Antonius schwenkte sofort zu mir um... Und bemerkte es schlussendlich doch...
Vorsichtig griff er um meinen Rücken herum und packte meine Armbeuge.
„Du sollst das nicht immer machen, Otilia“, flüsterte er mir diesmal nur zu. Aus Angst, die Person an der Tür würde es mitkriegen. „Bewahre Keuschheit in jeder Lebenslage...“
Dann wandte er sich der Person an der Tür zu: „Wer stört diese angenehme Ruhe?“
„Wir wollten gleich zu Mittag essen, Herr Pastor. Ich denke, Otilia hat für heute genug geübt.“
Es war Agatha, meine Mutter. Unschwer zu erkennen an ihrer leicht winselnden Stimme. Sie klang immer, als würde sie gleich weinen. Das machte es schwer, ihre Gefühlslage einzuschätzen.
Aber ich ließ mich nicht mehr davon beirren, was sie sagte und wie sie dabei klang. Für mich bedeutete ihre Aussage Erholung und Freizeit. Wenigstens konnte ich dann wieder sitzen, wie ich wollte, und meine Hände dorthin stecken, wo es mir beliebte.
„Gut, wir sind gleich fertig.“
Wir lauschten beide gespannt, wie sie wieder davonging und die Treppe hinunter. Jetzt waren wir wieder so ungestört, wie es der Moment verlangte. Er griff zum Metronom, hielt seinen Daumen bereit, ließ es aber noch weiter ticken.
„Stelle dir vor, du müsstest auf dem Marktplatz im Kopf etwas zusammenrechnen. Willst du da auch deine Hand in den Schritt gleiten lassen?“
Ich schüttelte leicht den Kopf. „Nein, Pastor Antonius.“
„Möchtest du es in der Kirche tun, auf den unbequemen Bänken?“
Beschämt schaute ich hinunter und schüttelte ihn erneut. „Nein, Pastor Antonius.“
„Dann versuche, es in Zukunft zu unterlassen.“ Nun stoppte er das Metronom und schob es langsam beiseite. „Wir sind für heute fertig, Otilia. Morgen ist Sonntag, da komme ich nicht vorbei. Nutze diesen Tag, um deine Gedanken neu zu ordnen und nochmal alle Vokabeln und Rechenaufgaben durchzugehen.“
Wir gaben uns die Hand und verabschiedeten uns somit. Nachdem er mein Zimmer verlassen hatte, kehrte ich nochmal schnell in mich und dachte über seine Worte nach. Er sagte sie mir oft, aber heute ungewöhnlich ruhig in der Stimme. Ob es ihm selbst peinlich war, mich immer ermahnen und es mit ansehen zu müssen? Kannte er sich als katholischer Pastor überhaupt mit dem weiblichen Körper aus? War es mir peinlich, ihn womöglich damit in Verlegenheit gebracht zu haben?
Ich tat es nicht absichtlich, wenn auch gewollt. Es entspannte mich, gab mir Kraft und Ruhe. Das musste er doch verstehen. Sicherlich hatte er Recht mit seinen Aussagen. Ich würde niemals in der Öffentlichkeit eine solch unsittliche Geste machen, geschweige denn in der Kirche.
Mit diesem Schlussgedanken steckte ich die Feder zurück ins Tintenfässchen und erhob mich vom Stuhl. Mit großen Schritten machte ich mich auf zur Tür, zupfte nebenbei mein blassgelbes Kleidchen wieder zurecht und verließ mein Zimmer mit einem dezenten Lächeln. Eigentlich war es eine schöne Situation. Das machte unsere Beziehung irgendwie angenehmer und entspannter. Er war ja nicht nur mein privater Lehrer, sondern zugleich Prediger und guter Freund meines Vaters Wendel.
Dunkel war der Flur, nur spärlich von einem kleinen Fester mit Sonnenlicht versorgt. Unter meinen Füßen lag ein langer brauner Teppich, mit weißen Blütenmustern und mit vielen kleinen Fransen an den Kanten. Bei jedem Schritt knarzten die Dielen leicht, was mir so manchen Schrecken des Nachts verpasste. An der rechten Wand hing ein kleines Bild mit einer leicht bekleideten Dame darauf. Ich mochte es irgendwie. Es hatte so etwas Sanftes und Unschuldiges an sich, trotz der entblößten Oberweite. Ich war mir nicht ganz sicher, ob Antonius nicht auch jedes Mal darauf einen kurzen Blick warf. Das brachte mich spontan zum Schmunzeln.
Gute vier Meter war der Flur lang, bevor links das Geländer und nach weiteren drei Metern die Treppe anfing. Beides war aus massiver Eiche und sehr robust. Knarren und Knirschen waren immer wahrzunehmen, aber das gehörte irgendwie dazu.
Ich blickte hinunter und sah den Pastor noch an der Haustür stehen. Er redete mit meiner Mutter. Hoffentlich hatte sie nichts bemerkt. Und hoffentlich hatte sie mich jetzt hier oben noch nicht bemerkt. Ich wollte ungern die Treppe hinabsteigen, solange sie sich noch unterhielten. Ich wollte lieber ein entspanntes Mittagsmahl zu mir nehmen, ohne vorher nochmal in ein Gespräch verwickelt zu werden. Darum machte ich einen Schritt zurück und lauschte aufmerksam, bis er unser Haus endlich verlassen hatte.