Kapitel 19
(Fortsetzung)
Atrion und Elion waren dem Späher aus Haalingar gefolgt, während Juna und Sel bei Tria zurückgeblieben war.
Je näher sie kamen, desto deutlicher wurden die Gestalten von Falion und Kapitän Grog und umso beeindruckender wurde ihr Schwertkampf.
Atrion hatte bereits viele Schwertkämpfe gefochten und hatte sich jeher als hervorragenden Schwertkämpfer gesehen, aber als er die beiden alten Bekannten vor sich kämpfen sah, fühlte er sich kein bisschen hervorragend.
Sowohl Falion, als auch Grog bewegten sich mit einer Schnelligkeit und Zielsicherheit, von der Atrion nur hätte im Entferntesten träumen können. Jeder Schlag glich einer geschmeidigen Bewegung, die wie ein Kreislauf unermüdlich in eine Parade wechselte und pfeilschnell einen neuen Angriff startete.
Staunend rannte Atrion weiter und obwohl in der Anblick beeindruckte und zugleich einschüchterte, war es ihm ebenso wie Elion und Ilfgar noch immer ein Rätsel, warum die Beiden überhaupt kämpften.
Dann ertönten die ersten Stimmen, die mit vom Wind verweht in der Luft schallten.
„Du hast sie umgebracht“, schrie die Stimme von Grog und inzwischen waren die drei Gefährten beinahe bei den Schwertkampfkontrahenten angelangt.
„Du verstehst das nicht...“, begann Falion, musste seine Worte aber unterbrechen, weil ein kräftiger Schlag auf seine Hüfte niedersauste, den er nur mit Mühe verteidigen konnte.
„Hör auf!!“, schrie er erneut und dieses Mal schien in der Stimme des Zauberers Wut zu liegen.
„Warum? Du hast sie fallen lassen. Sie hätte die Piraten zurück zu dem Ruhm führen können, den wir uns seit jeher gewünscht haben“, brüllte Grog und schlug ein weiteres Mal auf Falions stabile Verteidigung ein.
„Ruhm? Sie hätte euch nicht zu Ruhm geführt... Sie hätte euch zu ehrlosen Mördern gemacht, so wie sie aus mir einen gemacht hat“, schrie Falion zurück und scheinbar schien der Zauberer diesem Kampf nach und nach ein Ende setzen zu wollen, denn mit einem Mal tauchte sein Stab in der anderen Hand auf.
„Du warst Mal einer von uns und verrätst die Frau, die dich zu einem Piraten gemacht hat? Du bist viel schlimmer als ein einfacher Mörder, du bist ein Verräter... Ein mordender Verräter“, schrie Grog und startete einen weiteren Angriffsversuch.
Falion reagierte Blitzschnell und mit einem gewaltigen Knall riss der Zauberer Grog von den Füßen und der ehemalige Kapitän landete rücklings im Meer.
Zornig tauchte er hinter einer kleinen Welle in Ufernähe wieder auf und stürmte zurück auf den Strand zu, während Falion auf die Knie gesunken war.
Scheinbar hatte der Zauberer auf See seine Zauberkraft bis an ihre Grenzen getrieben und der Energiestoß, mit dem Falion Grog ins Meer geschleudert hatte, ließ die Schwäche zurück in den Körper des Zauberers kommen.
Er atmete schwer und stützte sich gebrechlich auf seinen Stab, während Grog den Strand erreicht hatte und ein weiteres Mal mit erhobenem Schwert auf Falion zurannte.
„Bitte, lass es mich dir erklären...“, keuchte der Zauberer und hob schützen die Hand in die Höhe.
Grog rannte weiter auf ihn zu und mit einem markerschütternden Schrei stürzte er mit dem Schwert auf Falion.
Pfeifend sauste es auf den Zauberer nieder und Elion schrie laut auf, als Grog die Klinge wenige Zentimeter von Falions Kehle zum Stoppen brachte.
„Erklär es mir. Erklär es mir! Du warst mein Freund und hast mir vor wenigen Stunden erst das Leben gerettet. Ich möchte dir helfen, aber erst, wenn ich weiß, wieso...“, sagte Grog kurz darauf und seine Stimme zitterte.
Falion antwortete nicht, sondern hatte seinen Blick zu Boden gerichtet, während Grog langsam das Schwert unter seiner Kehle zurück zog.
Der Zauberer wippte einige Male wie schlaftrunken nach vorne und hinten und fiel kurz darauf mit der dem Kopf zur Seite und blieb bewusstlos auf dem schwarzen Sand liegen.
„Schnell, helft mir!! Er braucht Wasser und etwas zu essen“, schrie Grog und noch immer zitterte seine Stimme vor Wut.
Atrion, Elion und Ilfgar waren wie gebannt in einiger Entfernung zum Stehen gekommen und rannten auf Grogs Befehl hin so schnell wie sie nur konnten zu Falion und hievten den Zauberer zurück zum Signalfeuer, das langsam aber sicher an Flammengröße abnahm und zu einem stattlichen Lagerfeuer zusammengebrochen war.
Die letzten Strahlen der Sonne tauchten die Küste inzwischen in ein tiefes Lila und der schwarze Sand unter Atrions Füßen glitzerte magisch im letzten Licht des Tages. Der Zweitmond Ehensis war im Westen erschienen und seine silbrigen Strahlen begannen das ruhige Meer zu umgarnen, während der Erstmond Aspensis über den kleinen Bergen im Westen wanderte. Das Meer roch frisch und salzig und der kühle und erfrischende Wind wurde nur von den kleinen Rauchschwaden unterbrochen, die Atrion den strengen Geruch von verbranntem Holz und Ruß in die Nase trieben.
Erst jetzt fiel Atrion auf, dass Falion ungemein schwer war. Zwar war der Zauberer größer als Atrion, aber jetzt, wo der Schwertkämpfer unter Falions Körpergewicht laufen musste, fiel ihm auf, wie muskulös der Zauberer unter seinen unscheinbaren Gewändern war.
Schnaufend und vor Schweiß triefend hatten Atrion und die Anderen Falion zu Juna, Sel und Tria geschafft.
Nun lag ihr Führer bewusstlos neben Tria, die ihm vorsichtig versuchte Wasser einzuflößen.
„Was ist passiert?“, fragte Atrion und wandte sich an Grog.
„Was passiert ist? Er hat Cindulla ermordet... Er hat sie... sie einfach fallen lassen“, schimpfte Grog los aber seine Stimme versagte wutentbrannt.
Dann fing er wieder an:
„Er ist ein Freund und er war mir durch viele Gefahren ein treuer Gefährte. Ich kann nicht glauben, dass er die Frau, die ihn einst liebte, sterben lassen konnte. Sie wäre die Rettung für uns Piraten gewesen. Schon seit vielen Jahren sind die Piraten wohl eher eine Bande schlechter Räuber. Vor meiner Zeit war die Piraterie eine Kunst, ein politisches Mittel, Treno zum Reichtum zu führen. Wir bewachten die Küsten von Eolond und kein fremdes Schiff wurde in unseren Wassern geduldet. Die Könige und Fürsten schlossen Verträge mit uns ab für das freie Geleit durch die Meere von Eolond und das Geld strömte in Unmengen in die Keller unserer Stadt. Wenngleich wir Schätze jagten, Schiffe plünderten oder scheinheilige Geschäfte machten, waren wir Eolond und dem König treu ergeben. Es gab Regeln unter den Piraten. Kodexe, die es galt einzuhalten und nach dessen Maßstäben wir mit Ehre und Respekt behandelt wurden. Ein Pirat war nicht gleich etwas grauenvolles oder schlechtes. Vielmehr waren sie die inoffizielle Seemacht von Eolond. Zahlreich und schlagfertig segelten die Piraten über die Meere und mit Grausamkeit bekämpften wir unsere Gegner. Die Feinde Eolonds“, beendete Grog seinen Bericht und bedrücktes Schweigen herrschte am Feuer.
Die Blicke waren unweigerlich zu Falion gewandert und Tria schüttelte ungläubig den Kopf.
„Warum sollte er das tun?“, fragte sie verwirrt und strich ihm sanft eine Strähne aus dem Gesicht.
„Das wollte ich ihn fragen... Aber scheinbar war seine Magie nach der gestrigen Nacht nicht mehr stark genug. Jeden Zauber den er wirkt, entzieht ihm die Magie wie ein Schwamm das Wasser. Gestern hat er mehr Zauber und Magie gewirkt, als ich je zuvor gesehen habe“, sagte Grog und der ehemalige Kapitän schien sich innerlich ein wenig zu beruhigen.
„Was ist gestern passiert? Wir alle haben den Großteil unserer Erinnerungen daran vergessen“, fragte Ilfgar und setzte sich interessiert auf den Boden.
Die Anderen taten es ihm gleich und Grog begann zu erzählen. Er erzählte von der gewaltigen Seeschlacht und der Vernichtung von drei Schiffen. Er schilderte ihnen jedes Detail und jede Tat, die Cindulla, Falion und er in jener Nacht vollbracht hatten. Dann geriet er ins Stocken und Zorn kochte wieder in ihm herauf.
„...Und dann, dann hat er sie fallen lassen. Ich habe es nicht genau gesehen, aber ich kenne Falion, er hätte selbst nach dem Kampf noch genug Kraft gehabt um die Piratenfürstin zu sich hoch zu ziehen... Er hätte mich rufen können. Aber das tat er nicht. Nach ein paar Sekunden hörte ich vom Wind vertriebene Worte, deren Inhalt ich nicht erraten konnte und kurz darauf drehte sich Falion mit einem leidenden Geschichtsausdruck zu mir herum und mittels seiner Magie zog er das Rettungsboot zu unserer Hilfe. Auf dem Boot gestand er es mir... Er sagte, sie sei abgerutscht... Er hätte sie nicht mehr halten können. Aber in seinen Augen sah ich das, was ich in einem Feigling sehe. Verrat und Lügen“, wütete Grog und der ehemalige Kapitän presste seine Fäuste zusammen. Die Knochen traten weißlich hervor und wutentbrannt starrte Grog auf den bewusstlosen Falion hinab, der so unschuldig auf dem schwarzen Sand schlief.
„Wenn es stimmt, was du sagst, dann werden wir Falion zur Rede stellen und nach allen Mitteln, die uns bleiben, bestrafen... Aber eines solltest du wissen. Er ist der Einzige, der auch nur im Entferntesten eine Ahnung davon hat, wo wir hier sind und er ist derjenige, der uns bei unserer Mission führen kann. Nur er kennt den Weg in die verschollenen Drachenwelten“, erklärte Atrion und Grog wirkte kläglich verzweifelt. Atrion spürte, wie sein Drang immer größer wurde, Falion mit Haut und Haaren zu verbrennen, aber selbst der ehemalige Kapitän musste sich eingestehen, dass sie ohne die Hilfe des Zauberers völlig ahnungslos durch die Wildnis irren würden.
„Wir werden ihn anhören und sobald ihr ihn nicht mehr braucht wird er seiner gerechten Strafe gestellt“, brummte der ehemalige Kapitän und ohne ein weiteres Wort war er aufgestanden und verschwand im Wald.