Kapitel 7
Die Verliese von Aspholium
Aspholium brannte.
Die Stadt des Königs war gefallen und die drei Gefährten standen mit einer verwundeten Juna im Thronsaal. Der König war verschwunden, kein Soldat bewachte die Tore, jeder Überlebende versuchte verzweifelt zu fliehen. Niemand wusste von dem geheimen Tunnel, der seit Jahrhunderten von den Verließen ins Freie führte und zur Entsorgung der Leichen genutzt wurde, die Überlebenden im Thronsaal blickten angespannt auf die Türen.
Noch immer erschallten Einschläge der Katapultgeschosse und Schmerzensschreie der Verwundeten durch die verzierten Türen hindurch und bei jedem Aufprall zuckten die Überlebenden zusammen.
Atrion blickte sich um und konnte die Angst in den Augen der Männer, Frauen und Kindern sehen, die hier Zuflucht gesucht hatten und sein Herz wurde schwer.
Er wusste, was er zu tun hatte.
Er erhob sich von der Junas Trage und richtete seine Stimme an die wahrscheinlich letzten Überlebenden im Thronsaal:
"Hört her!"
Der Großteil der Menschen im Saal richtete seine Augen auf Atrion. "Hört her! Nehmt eure Kinder und alles, was ihr dabei habt und flieht mit uns von hier. Die Stadt ist gefallen, eure Häuser brennen. Lasst den Tod derer, die für uns gestorben sind, die für diese Stadt gestorben sind, nicht umsonst gewesen sein."
"Und wie sollen wir hier rauskommen? Die Türen sind zu und verriegelt. Ich selbst habe sie verschlossen, um uns zu schützen", erwiderte eine übrig gebliebene Turmwache.
"Die alten Verliese! Der Leichengang ist unsere Chance hier heraus. Früher waren die Verließe voll, heute dienen sie als Abstellkammer und als Unterbringung für Angeklagte, die vor das königliche Gericht müssen", antwortete Atrion und zeigte auf eine kleine Tür hinter dem Thron.
Alle Augen richteten sich auf die Tür und die Turmwache nickte zustimmend, dann erhob sie erneut ihre Stimme:
"Ihr habt den Mann gehört, alle raus hier....solange wir es noch können."
Sobald die Worte seine Lippen verlassen hatten, knallte etwas gegen die Türen des Thronsaals und die Halle erzitterte.
"Ein Rammbock, lauft!", schrie Ilfgar und schnappte sich die Trage zusammen mit Elion.
Die Tür zu den Verliesen wurde aufgestoßen und die Überlebenden pressten sich hindurch. Die Kinder weinten vor Angst und die Mütter hielten sie fest in ihren Armen, während sie durch den engen, dunklen Gang flüchteten und Juna stöhnte erbärmlich in ihrer blutdurchtränkten Trage.
Hinter ihnen knallte es erneut und von der Decke rieselte Staub herab.
Die Turmwache ging als Letzter durch die Tür und schloss sie, danach klemmte er seinen Speer zwischen die Tür und verriegelte sie, während ein weiterer Schlag gegen die Türen des Thronsaals ertönte.
Die Türen hielten stand.
Der Gang weitete sich und vor den Überlebenden taten sich die Verliese auf. Sie waren schwach mit Fackeln beleuchtet und in der Mitte des kreisrunden Raumes stand ein kleiner Tisch, auf dem die Überreste einer zu schnell verschlungenen Mahlzeit standen.
Die Wache war bereits geflohen und die Zellen waren leer, fast leer. In einer Zelle auf der linken Wandseite stand ein junger Mann mit schwarzen, zerzausten Haaren. Seine Haut war blass und dunkle Augenringe trieften unter seinen dunkelbraunen Augen hervor, während er verzweifelt versuchte, mit einem kleinen Knochen das Schloss zu knacken.
Als er die kleine Gruppe an Überlebenden sah, schmiss er den Knochen weg und rief um Hilfe:
"Hier! Nehmt mich mit, ich flehe euch an, lasst mich nicht zurück."
Die Frauen zogen ihre Kinder zurück und gingen fast teilnahmslos an dem Gefangenen vorüber und verschwanden in den Tunneln, sie fürchteten sich vor ihm.
"Halt, wartet!", sagte Atrion zu Ilfgar und ging auf den Gefangenen zu.
"Wer seid ihr?", fragte er den Gefangenen und schnappte sich den Dolch auf dem Tisch.
"Ich..Ich bin Sel. Sel Rotdorn. Bitte, ich flehe euch an. Lasst mich nicht zurück!"
Erneut ertönte das Knallen aus dem Thronsaal und dieses Mal folgte dem Knallen ein berstendes Geräusch von zerbrechenden Türen. Der Feind hatte den Thronsaal erreicht und war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt.
Ohne ein weiteres Wort begann Atrion entschlossen mit dem Dolch an der Zellentür zu stochern.
"Was..Was machst du? Atrion, wir müssen weiter! Dafür haben wir keine Zeit!", warf Elion ein und schaute unruhig den Gang zurück zum Thronsaal.
Stimmen und Schritte hallten den hinter der Tür den Gang hinunter und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Feinde versuchen würden, die Tür zu den Verliesen zu öffnen.
Atrion ließ sich nicht beirren und der Dolch verschwand ein weiteres Mal in den Tiefen des Schlosses.
"Beeilt euch!", drängte Sel hinter den Gittern und Atrion warf ihm einen bösen Blick zu, der den verzweifelten Gefangenen zum Schweigen brachte.
Trotzdem ließ Atrion nach zwei weiteren Versuchen den Dolch sinken und blickte sich im Raum um, es musste etwas Besseres geben um die Tür zu öffnen.
Inzwischen hämmerten die Feinde auch gegen die Tür des Ganges zum Thronsaal und die Turmwache meldete sich unruhig zu Wort:
"Wir müssen jetzt wirklich gehen, die Tür wird nicht lange halten!"
Atrion suchte noch immer im Verlies umher und entdeckte eine lose Metallstange von einer Zellentür. Er schnappte sich die Stange und stemmte sie zwischen die Zellentür und den Rahmen, dann drückte er sich mit seinem Körper gegen die Stange und das Metall knarzte unter seinem Gewicht, aber die Tür hielt stand.
Ein weiteres Mal drückte Atrion sich gegen die Stange und mit einem metallischen Klirren ging das Schloss zu Bruch, die Tür schwang auf und Sel sprang aus der Zelle, während mit einem lauten Schlag die Tür zum Thronsaal aufsprang.
"Dort unten sind noch welche!", schrie eine Stimme aus dem Gang.
"Raus hier! Lauft!", schrie die Turmwache und sie rannten los.