Abschied von Silbrigmond –Teil II
Als ich erwache bin ich alleine. Der Platz neben mir ist leer. Sie ist fort, aber ihre Wärme ist noch hier.
Wie oft man erst erkennt, was man hat, wenn man es zurücklassen muss?
Noch eine Stunde bis zum Sonnenaufgang.
Mein Rucksack ist gepackt, meine Umhängetasche gefüllt und ich habe die Kleidung an, die ich gestern für wirklich gutes Gold erstanden habe. Erst Mellisande hat mich auf den Stoff aufmerksam gemacht, wie wenig er knittert und wie reißfest er ist. Eine magische Analyse hat den Zauber gezeigt, der beim Weben über die Stoffbahnen gesprochen wurde und immer noch anhält. Schwertstreiche wird das Gewand zwar nicht abhalten, aber Schmutz, in gewissen Mengen Feuchtigkeit und vor allem Kälte dafür sicher. Zudem wird er auch nicht schneller reißen, also so manches Lederwams. Endue, oder ich sollte lieber lernen, von ihr als Lady Endue Alustriel Silberhand zu sprechen, hat das wohl sofort erkannt. Soweit zu gehen, sie habe ich mich gezielt darauf aufmerksam machen wollen, wage ich nicht. Vermutlich war es wirklich Zufall und sie beschloss, mir gleich auf den Zahn zu fühlen. Auf jeden Fall ist mein Gold hervorragend angelegt.
Von Mum habe ich mich gestern Abend noch verabschiedet, mit Sniffel einen letzten Spaziergang gemacht und Melli hat mich dann sogar in meiner Wohnung erwartet, zu einem ganz besonders denkwürdigen Abschied.
Ganz wie erwartet, finde ich Onkel Luthy bereits am Fuß meines Wohnbaums. Windtänzer steht in der Nähe und ignoriert gekonnt die Annäherungsversuche einer scheckigen Stute, die vor eine kleine, kunterbunte Reisekutsche gespannt ist, welche von einem Knappen gelenkt wird, der nun vom Bock springt und schneidig Haltung annimmt, als wäre ich irgendwie wichtig. Als er sogar salutiert, die Faust zum Herz führt, bin ich zunächst verunsichert. Mein Blick fällt fragend auf den Rittmeister, der mir zunickt: »Du bist Fähnrich, also Offiziersanwärter. Natürlich salutiert ein Knappe vor Dir und es ist sehr unhöflich, ihm den Salut nicht abzunehmen.«
Ich räuspere mich und erwidere den Gruß des Knappen, auch wenn ich mir dabei ziemlich bescheuert vorkomme. Darauf entspannt sich der junge Mann und ich mich auch wieder. Zum Glück habe ich ihm nicht den Kopf getätschelt und ihn gelobt, wie es mein erster Impuls war. Diese dunkle Seite in mir macht sich in letzter Zeit immer mehr bemerkbar. Ich werde das im Auge behalten müssen.
»Wie Du vielleicht erraten hast, ist dieses Gefährt und das Pferd für Dich.«
Ich blinzle. Von wegen erraten, ich war bis gerade eben fest der Meinung, auf Schusters Rappen, als Schlepper meines eigenen Sattelzeugs zu reisen.
»Das ist … fürwahr …«
Luthiel unterbricht mich, was eigentlich überhaupt nicht seine Art ist. »Nicht mir hast Du zu danken. Riannon war der Meinung, Du dürftest ruhig etwas bequemer reisen, zumal der Winter nicht mehr fern ist. Ihr Worte, nicht die Meinen.«
Wir grinsen uns gegenseitig an. Es ist Hochsommer, nur eine sehr fürsorgliche Ziehmutter sieht den Winter bereits herannahen. Aber ich bin dennoch dankbar.
»Du wirst Vorräte im Wagen finden, die vermutlich eine Großfamilie durch den Winter bringen können.« Zuerst muss ich lachen, immerhin macht Onkel Luthy wirklich selten Scherze, aber als sein Gesicht ernst bleibt, habe ich einen schrecklichen Verdacht. Schnell springe ich auf den Kutschenbock, ziehe die blauen Vorhänge aus schwerem Leinen zur Seite. Tatsächlich: Mum hat es wirklich sehr gut mit mir gemeint.
Das Halbdunkel des Wagens wird plötzlich erhellt, als der Paladin die Tür am anderen Ende des Wagens öffnet und hineinsteigt. Bei einem erhöhten Kasten, der vermutlich auch als Bett dienen soll, bleibt er stehen und winkt mich heran.
»Darf ich Dein Augenmerk auf ein Geschenk richten, welches Elué Dualen Dir hat senden lassen.«
Oh, so nennen die Elfen Endue, verflixt, ich meine natürlich Lady Alustriel. Eilig schiebe ich mich durch die Enge des Karrens und sehe einen großen Korb mit einer Art Gitternetz an der Vorderseite.
Luthiel hilft mir, den Korb auf den Kasten zu stellen und müdes Maunzen kommt aus dem Innern. Neugierig erschaffe ich einen völlig ungefährlichen Lichtball und zwei Paar kleine, funkelnde Augen gehen weit auf und kneifen sich wieder zusammen. Trotz des Lichts, erkenne ich kaum die beiden kleinen Wesen im Korb, als ob ihr Fell das Licht, wie ein Schwamm aufsaugt.
»Katzenbabies? Äh …«
Mit erhobenen Augenbrauen schaue ich zum Paladin. Ich meine, ich mag kleine Katzen, wie jeder andere auch, aber sie auf eine gefahrvolle Reise mitzunehmen, ist schon ziemlich exzentrisch, um es einmal höflich auszudrücken.
Luthiel kann genau sehen, was ich denke und schüttelt den Kopf. »Natürlich sind es nicht einfach zwei Kätzchen.«
»Natürlich«, entgegne ich trocken, ohne wirklich eine Ahnung zu haben.
»Es sind Schattenkatzen.«
»Klar, Schattenkatzen.« Was auch sonst? Ich habe aber immer noch keine Ahnung, was das ist.
»Diese Art ist Dir offensichtlich nicht vertraut.«
Höre ich einen leichten Vorwurf aus seiner Stimme? Ich glaube, nach all den Jahren habe ich Onkel Luthiels wunden Punkt gefunden. Niemand, auch nicht eine unwissende, junge Magiern, darf an Alustriels Unfehlbarkeit zweifeln. Ich verkneife mir eisern ein Grinsen. Natürlich mag ich Endue, aber die ehrenwerte Lady Alustriel hat nun jemand bekommen, der ihr genau auf die Finger schaut, und sei es, um ihrem Onkel, eventuelle kleine Makel, ganz beiläufig unter die Nase reiben zu können.
Ja, ich weiß, dass Endue und Alustriel dieselbe Person sind. Aber an Endue, also dem netten Mädchen mit dem sagenhaften Modegeschmack, ist Luthiel ja nicht interessiert!
Erst als der Rittmeister mich stumm anschaut, merke ich, dass ich geistig schon wieder auf Wanderschaft bin und zwinge mich zurück ins hier und jetzt. Meine hinterlistigen, finsteren und ganz sicher genialen Streiche müssen warten.
»Außerdem sind sie nur gerade kleine Kätzchen, damit Du sie einfacher aus der Stadt transportieren kannst. Sobald du sie aus dem Korb entlässt, werden sie innerhalb weniger Tage zu den fast ausgewaschenen jungen Schattenkatzen werden, die sie auch zuvor waren.«
»Das ist ja toll …?« Ich lasse den Satz absichtlich in der Luft hängen. Ich habe ja Verständnis, dass der Elf gerne am Anfang einer Geschichte anfängt, aber so langsam kann er ruhig zum wichtigen Teil kommen, wie in etwa, warum man mir zwei Katzen mitgibt.
Der Paladin seufzt und ich nehme an, nur die Dämmerung, die schnell näherkommt und in deren Schutz ich die Stadt verlassen will, zwingt ihn dazu, sich kurz zu fassen.
»Schattenkatzen jagen aus dem Schatten heraus oder sogar im Schatten. Sie können in einem Schatten vollkommen verschwinden und in einem anderen Schatten in der Nähe unvermittelt wieder auftauchen, ohne den Schatten verlassen zu haben. Sie gelten als unzähmbar und furchtbare Gegner, wenn man nicht genügend Licht hat, ihnen den Schatten als Kraftquelle und Tarnung zu nehmen.«
Wieder schaue ich zu den beiden knuffigen Fellknäulen im Korb. Das sollen furchtbare Raubtiere sein? Wenn es nicht Luthiel wäre, ich würde denken, man will mich verschaukeln.
»Nicht zähmbar bedeutet, wenn die Hunger haben, dann halten sie sich an mich?«
»Nicht doch. Die Fürstin hat die Beiden gebeten, mit Dir zu reisen und Dich zu beschützen.«
Sie hat sie also gebeten, ahja. Ich vermute, wenn man ewig lebt und der Liebling einer Göttin ist, kann man so etwas wohl. Ich weigere mich einfach, zum jetzigen Zeitpunkt darüber nachzudenken und nehme es als das, was es vermutlich ist: Ein unglaubliches Geschenk, um das man mich ganz sicher überall beneiden würde, wenn jemand davon wüsste. Doch Onkel Luthy wird es sicher nicht herum erzählen. Endue, verflixt, na Ihr wisst schon, wird auch nicht damit angeben, dazu ist sie nicht der Typ. Und ich? Nunja, mal ehrlich: Ich glaube es ja selbst kaum, wer soll es dann mir glauben?
»Haben die Beiden schon Namen?«
»Sie heißen Tarik und Irkat, es sind Bruder und Schwester.«
Entschlossen öffne ich den Korb und strecke meine Hand hinein. Als sie nach einigen Sekunden immer noch nicht zerfleischt ist, sondern lediglich mit kühlen Nasen angestupst wird und meine Streichelversuche mit lautem Schnurren gewürdigt werden, bin ich beruhigt.
»Na, Irkat, Tarik. Lust auf eine große Reise?« Ich lausche kurz, aber es kommt keine Antwort. Man weiß ja nie.
Ich umarme meinen überraschten Ziehonkel herzlich und entgegen seiner sonstigen Angewohnheit, drückt er mich auch fest an sich. »Corellon achte auf Dich, Royandriel.«
»Selune wache über dich, Onkel. Und Du, wache für mich über mein Silbrigmond.«
»Du hast mein Wort!«
Erwähnte ich schon, dass man das Wort eines Paladins getrost wörtlich nehmen darf?
Nicht weiter beachtet, wenigstens von keinem, den ich dabei sehe, verlasse ich das Juwel des Nordens durch das Sundabar-Tor in Richtung, wen wundert’s, Sundabar natürlich.
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