Wieder ein großes Dankeschön an @Asni, @Falkefelix und @Rainbow, für das wirklich hilfreiche Feedback.
Ansonsten fand ich gerade im Thekla-Part, dass du viele eher umgangssprachliche Begriffe verwendest (etwa. "fuchste mich", "eingedieselt" etc.), die sind einerseits ziemlich cool, weil sie dem Text eine ungewöhnliche, lockere Note verleihen, aber andererseits bin ich mir nicht so sicher, ob sie so gut zum restlichen Stil passen, der eher nüchterner, sachlicher wirkt.
Ich verstehe, was du meinst. Aber genau in dieser Szene wollte ich sie etwas flippiger darstellen. Dass der erste Teil Theklas, der auch zugleich der erste Teil der Geschichte ist, so nüchtern wirkt, hat sich aus der Situation heraus ergeben. Sei mit nicht böse, aber ich würde diese Begriffe gerne drin lassen, weil sie ein wenig die Selbstironie widerspiegeln sollen. Aber das wirst du beim nächsten Thekla-Teil schon sehen, was ich damit meine.
Inhaltlich: Thekla will / muss zur Arbeit gehen und macht sich dazu fertig. Die anderen Mädels "gehen schon mal zum Kino". Für mich wirkt das eher so, als wollten sie gemeinsam einen schönen Abend verbringen, evtl. nach dem Kino noch Feiern gehen oder so. Hast du dich da nochmal umentschieden oder arbeitet Thekla im Kino?
Nein, du hast richtig gelesen. Thekla macht sich für die Arbeit fertig. Sie gehen alle vier zur Arbeit. Und sie arbeitet auch beim Kino. Aber mehr will ich jetzt nicht dazu schreiben, weil ich sonst die Pointe verraten müsste. Sobald Theklas nächster Teil kommt, wirst du bestimmt das eine oder andere Mal schmunzeln.
Claudia Morgan 32 Jahre
Der kleine Umweg wurde länger als gedacht. Zumal mir viele der Straßennamen absolut gar nichts sagten. Für eine gewisse Zeit fühlte ich mich verirrt im Hinterhof- und Gassenbezirk. Bis mir letztendlich ein Fingerzeig Gottes, ironischerweise in Form einer großen Reklametafel jener Firma, dessen Name mir jedes Mal einen stechenden Schmerz im Hirn bereitete, den rechten Weg zeigte. Von dort an reichte wieder ein sporadischer Blick auf die Straße aus, um meinen Wagen wieder routiniert durch die Stadt zu führen. Trotzdem wusste ich, dass ich deutlich zu wenig Aufmerksamkeit dem Verkehr widmete. Ich bekam nur das mit, was für mich meines Erachtens wichtig erschien. Dies zeigte sich sofort, als mein Aktienberater mich unverhofft anrief.
„Jonas, was liegt Ihnen auf dem Herzen?“
„Frau Morgan, ich wollte mit Ihnen die wichtigsten Aktien durchgehen und vielleicht auf die eine oder andere Sache genauer zu sprechen kommen.“
Obwohl ich wusste, dass es wichtig war, verdrehte ich schon obligatorisch die Augen und spielte ungeduldig an der Soundanlage herum.
„Der Dow Jones steht aktuell bei einundzwanzigtausendzweihundertfünfundsechzig Punkten. Tendenz fallend.“
„Behalte ich! Weiter!“
„Die AnRaMexx-Aktie zeigt seit einigen Tagen einen Trend nach oben...“
„Niemals!“
Am anderen Ende hörte ich ihn schon schnaufen. „Frau Morgan, lassen Sie doch mal Ihren Zwist mit denen beiseite.“
„Weiter!“
„Das ist aber eine sehr stabile Aktie. Ich kann Ihnen nur anraten, es sich nochmal zu überlegen.“
„Weiter!“
„Facebook, bei hundertsechsundfünfzig. Viele sagen, es wird bald steil nach oben gehen. Ich bin derselben Meinung.“
„Dann kaufen Sie Anteile für zehntausend.“
„Und unser Neueinsteiger Vortex.“
„Dreißig?!“, brüllte ich erschrocken und ging sofort auf die Bremse. Da schwappte sogar minimal Kaffee aus meinem Becher. Völlig perplex schaute ich in den Rückspiegel. Ich konnte mich nicht erinnern, an dieser Stelle jemals ein Dreißiger-Schild gesehen zu haben...
„Dreißigtausend für Vortex, schon erledigt.“
„Was? Wie bitte?!“ Entsetzt war ich. Hatte er nun wirklich das getan, was ich spontan befürchtete? „Hast du jetzt für dreißig Riesen Anteile von Vortex gekauft? Sag, dass das nicht wahr ist!“
Rechts am Straßenrand sah ich die rotweißen Abgrenzzäune einer kleinen Baustelle, die das augenscheinlich willkürliche Tempolimit erklärte.
„Jawohl, das habe ich, Frau Morgan“, entgegnete er dreist. „Das haben Sie mir gerade eben so gesagt.“
„Nichts habe ich, Sie Vollidiot!“, fauchte ich aufgebracht und sah vom Weiten schon den Kreisverkehr, den ich aber nicht weiter beachtete.
„Was war das gerade? Ich hoffe, ich habe mich verhört...“
„Nein, Sie haben richtig gehört, Jonas! Nur weil ich diesem Typen versprochen habe, etwas in sein Unternehmen zu investieren, heißt das noch lange nicht, dass ich gleich am ersten Tag Aktienanteile davon kaufe!“
„Frau Morgan, ich habe Ihnen schon einmal erklärt, dass das so nicht geht. Letztes Mal haben Sie sich auch schon bei meinem Kollegen beschwert, was für ein Trampel er sei. Sie müssen sich klarer...“
„Nein, du Spinner hörst mir jetzt zu! Du machst das unverzüglich wieder rückgängig, hast du mich verstanden?!“
„Es tut mir leid, aber das geht nicht“, erwiderte er kleinlaut. „Ich kann die Aktie frühestens in acht Stunden auflösen.“
„Das ist mir scheißegal was du kannst! Wenn ich wegen dir Schulden habe, dann kannst du was erleben!“
„Glauben Sie mir, so stark wird der Kurs in diesen acht Stunden nicht abfallen, dass Sie pleite...“
„Mach es rückgängig und keine...“
Sofort ging ich voll in die Eisen, wurde dabei aus dem Sitz gehoben und krachte mit dem Kinn aufs Lenkrad. Laut quietschten die Reifen, nur übertönt vom Kreischen des Kindes, welches mir unerwartet vors Auto rannte. Der Becher polterte aus der Ablage und verteilte über die komplette Armaturenfront den kochend heißen Kaffee. Sogar auf meine Hose spritzte er und verbrühte mir lokal den Oberschenkel.
Angewidert blickte ich durch die Fahrerkabine und an mir herab, stellte sofort die Freisprechanlage aus und kramte aus dem Koffer Taschentücher hervor.
Während ich mir das schwarze Getränk abtupfte, riskierte ich einen flüchtigen Blick nach vorn zur Straße raus und starrte in die panischen Augen des dummen Balges, das sich noch immer die Seele aus dem Leib schrie.
Ich war so hart ausgelöst, dass in mir buchstäblich ein Dämon ausbrach. Der Puls schnellte hoch, mein Hals pochte vom wallenden Blut und die Finger krallten sich wie Rasierklingen tief in den Hosenstoff.
Tunnelblick...
Verzweiflung...
Zorn..!
Das Fenster runtergelassen, streckte ich den Kopf raus und schrie dieses abgrundtief verhasste Wesen unter ständigem Penetrieren der Hupe lautstark an. Grässliche Schimpfwörter entglitten meiner gespaltenen Zunge, die selbst für einen Erwachsenen unerträglich gewesen wären. Und dann kam auch noch die räudige Mutter dazu...
***
Sharon 40 Jahre und Mary Thomson 9 Jahre
Ich fühlte mich schrecklich. Wie konnte ich Mary so etwas antun? Wie konnte ich sie nur vernachlässigen? Sollte ich sie nun für immer verloren haben? So sehr hoffte ich, einen deutlicheren Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort meiner Tochter zu erhalten. Mehr als nur vage Aussagen von zweifelhaften Augenzeugen. Am Boden zerstört irrte ich den Bürgersteig entlang, immer einen Blick auf die andere Straßenseite gerichtet. Wie verzweifelt musste ich auf die anderen Passanten gewirkt haben? Anscheinend nicht genug, so gering, wie deren Resonanz ausfiel.
Doch wie durch ein Wunder fand ich sie endlich! Am Kreisverkehr. Sie drehte sich zu mir um, ihr verweintes Gesicht sprach für sich. Mein Herz machte Luftsprünge voller Freude. Überglücklich war ich, sie endlich gefunden zu haben.
Sofort beschleunigte ich meine Schritte, fing schon bald an zu rennen.
„Mary, komm wieder zurück! Ich habe es nicht so gemeint...“
Aber sie wandte sich wieder von mir ab und rannte blindlings auf die Straße, ohne einen Blick nach den Autos zu wagen.
Ich schnappte tief nach Luft, mein Herzschlag setzte aus. Mit weit nach vorn gerissenen Armen stolperte ich im Affenzahn den Gehweg hinab zu ihr und schrie mir die Seele aus dem Leib.
Reifen quietschten, Mary kreischte und dann flog der Plüschbär mit Pirouetten übers Auto.
In meinem Kopf spielten sich augenblicklich schreckliche Szenarien ab. Wie meine Kleine unter die Räder kam oder noch schlimmer durch den Aufprall in den Kreisverkehr geschleudert wurde.
Mit jedem Meter, dem ich ihr näher kam, ereignete sich etwas Neues. Lautes Hupen, wildes Gebrüll, entsetzte Gesichter.
Mit Tränen übergossen und schlaksigen Beinen erreichte ich nach diesem rekordverdächtigen Kurzsprint die mutmaßliche Kindsmörderin und fand meine Kleine augenscheinlich unversehrt dicht vor dem Kühlergrill hockend wieder. Verängstigt war sie, zitterte wie Espenlaub und schrie schriller als eine Trillerpfeife.
Fast schon gehechtet stürzte ich mich neben sie und nahm sie in die Arme. Ich spürte, dass sie mich in dieser Not doch vermisst hatte. Mit Wangenkuss und sanftem Rückenstreicheln versuchte ich sie zu beruhigen, was aber in Anwesenheit der extremst aufgebrachten Fahrerin ein unmögliches Unterfangen darstellte.
„Sind Sie die Mutter dieser Göre?“
Wenn Blicke töten könnten, dann hätte ich in jenem Moment einen Mord begangen.
Sie provozierte unbeirrt weiter, als wäre dies ihre Leidenschaft gewesen. „Legen Sie das Balg an die Leine! Die ist ja lebensmüde!“
„Seien Sie gefälligst still!“, brüllte ich ebenso aggressiv zurück und hielt Mary dabei die Ohren zu. „Sie haben absolut gar keine Ahnung...“
„HALTEN Sie die Klappe!“, machte sie mich augenblicklich mundtot. „Na danke auch!“ Ausladende Gesten. Angewidert, zorngeladen rieb sie mit Spucke und Handballen in hektischen Kreisbewegungen über die Ecke der Windschutzscheibe. „Jetzt habe ich auch noch eine Schramme von ihrem scheiß Bären!“
„Immerhin nicht meine Tochter!“
Sie keuchte verblüfft. „Jetzt bin ich also noch schuld, weil Sie zu unfähig sind, auf Ihr Kind aufzupassen? So eine Rabenmutter wie Sie hätte abtreiben sollen!“
Das war zu viel. Affektiv riss ich mich hoch und stürmte mit ausgestreckter Hand auf sie zu. So schnell konnte sie gar nicht reagieren, da hatten sich meine Finger schon in ihrer Bluse vergraben. Mit einem kräftigen Ruck befreite sie sich aber sofort wieder, dabei riss ich ihr die Bluse halb auf und die abgesprungenen Knöpfe landeten klirrend zu unseren Füßen.
Völlig verstört wanderte ihr Blick an sich herab und stoppte auf halber Strecke beim freigelegten BH. Ich war ebenso erstaunt darüber, was gerade passiert war, aber blieb geistesgegenwärtig genug, um Mary die Augen zuzuhalten. In solch eine peinliche Situation wollte ich die Frau trotz ihrer harschen Worte nun trotzdem nicht bringen.
Andererseits war ich so voller Adrenalin, dass mein Vernunftdenken gemindert blieb und ich der hocherröteten Frau erneut Konter gab: „So etwas kann nur eine sagen, die selbst keine Kinder hat!“
Verzweifelt hielt sie sich mit der linken Hand die Bluse zu, während sie mit der anderen die Tür öffnete.
„Hauen Sie schnell ab, bevor ich mich gänzlich vergesse!“, entgegnete sie nun den Umständen angemessen aufgebracht und stieg wieder ein.
Ich schnappte mir mein immer noch weinendes Kind und führte sie zurück zum sicheren Gehweg. Nur einen flüchtigen Blick schenkte ich der bloßgestellten Fahrerin in ihrem protzigen RollsRoyce, die ohne weitere Provokationen das Geschehen verließ.
Einige Meter weiter fanden wir Marys Kuscheltier am Straßenrand wieder. Immerhin hatte er nicht allzu sehr leiden müssen. Nur etwas von Kehrdreck verschmutzt, der sich leicht abklopfen ließ.