So ist es denn nun, mein lieber, alter Freund, den ich gestern besuchte, vielleicht zum allerletzten Mal in diesem Leben. Wie sehr erschrak ich über die Gebrechlichkeit Deiner Schritte, als Du Dich mühsam aufgerichtet hast, mich zu begrüssen. Nichts schien mehr übrig von Deiner früheren Kraft, an die ich mich noch gut erinnere: Stark waren deine Muskeln unter straffer Haut, bereit für jeden Kampf.
Und wahrlich...wir haben manchen Kampf ausgefochten Seite an Seite - ohne vorher zu wissen oder zu fragen, was nachher sein würde. Wir haben uns in jeden einfach hineingestürzt und sie alle gemeinsam bestanden. Dafür gebührt Dir mein ewiger Dank...ohne Deinen Beistand weiß ich nicht, ob ich allen Widrigkeiten Herr geworden wäre, die mich bedrängten in stürmischen Zeiten.
Doch nun, so trugen mir die Seher zu, ist es möglich, daß Du mich morgen auf immer verläßt. Hinfortgehst und in andere Reiche weiterwanderst, in die ich Dir nicht folgen kann. Jedenfalls nicht, solange mir noch die Bereitschaft fehlt, die Welt so zu sehen wie sie wirklich ist. Und nicht so, wie ich sie mir vorstelle.
Doch es ist schwer, die Vorstellung von der Wahrheit zu lösen.
Deine Silhouette hat sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt, mein lieber, alter Freund als Du Dich mühselig erhoben hast, um mir zum Abschied nachzuwinken: Krumm und zittrig Deine Beine, der Körper altersgebeugt und seltsam anders...aber dein Auge leuchtete!
Hell schimmerte es und klar wie in jenen glücklichen Tagen, da wir uns zum ersten Male begegneten. Nie war es mir bedeutsam zu erfahren, welches Schicksal Dir das andere raubte. Denn schärfer hast Du mit dem einen immer gesehen als so mancher Narr mit zweien!
Oh die Schönheit dieses Auges! Ich hoffte, es würde noch dauern bis es sich für immer schließt, denn wenn sein Schimmern erlischt, wird die Welt um mich her dunkler sein...
Und nun sitze ich in Einsamkeit in der großen Halle, in der das fröhliche Lachen verstummt ist, die sie einst erfüllte und warte mit schwerem Herzen.
Doch bleibt eine schlechte Botschaft meist selten allein.
Denn noch ein anderes Schicksal, das mit dem meinen verwoben ist, liegt im Dunkel des Tages, der morgen kommt.
Was wird er für Nachrichten mit sich bringen?
Vielleicht wird mich einer von beiden schon morgen verlassen haben.
Oder beide.
Oder vielleicht bedingt das Gehen des einen das Bleiben des anderen?
Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß die Trauer eines einsamen Königs auf seinem Thron auch die meine ist.