Hallo zusammen. Erstmals wünsche ich euch allen, trotz der Umstände frohe Ostern. Doch gerade die aktuellen Umstände, haben mich dazu gebracht, eine Geschichte zu Papier zu bringen, welche seit längeren in meinem Hinterkopf herumschwirrte. Und welchen geeigneteren Ort als hier gäbe es, um meine ersten Ideen zu zeigen.
Ich freue mich auf jegliche Art von Feedback und bedanke mich schon jetzt für's Lesen:
Prolog
Jeremias Mayer, ein Berg von einem Mann, der sein ganzes Leben hauptsächlich damit verbracht hatte hohe Gipfel auf der ganzen Welt zu besteigen und die Rekorde seiner Kollegen und sich selbst zu brechen, war sich nun, zum ersten Mal in seiner Bergsteiger-Karriere nicht mehr ganz so sicher, ob seine Kraftreserven ausreichen würden.
Zwar wusste er, dass das Ende des Gipfels keine 300 Meter von ihm entfern war, doch der Sauerstoffmangel, die fehlende Rüstung (die er absichtlich nicht mitgenommen hatte um zu beweise, dass allein mentales und körperliches Training ausreicht um einen Berg zu bezwingen) und der verdammte Schnee, der ihm entgegenwehte, liessen ihn denken, dass er noch nicht einmal mit der Besteigung begonnen hatte.
Er war allein. Er war immer allein gewesen. Andere störten nur oder hielten ihn auf, insbesondere dann, wenn er auf sie warten musste. Doch jetzt, wo sich Jeremias nicht mehr ganz sicher war, ob er diesen Aufstieg überleben würde, geschweige denn den Abstieg, hätte er gerne jemanden bei sich gehabt. Natürlich auch deshalb, weil diese Person als Zeuge dienen würde, dass er als erster Mensch den Diablo Gigante, oder auch Teufelsberg genannt, erklimmen würde. Ohne Sauerstoffmaske und zusätzlichen Hilfsmittel. Doch er war allein.
Jeremias zog sich hoch, sein Körper war nun mehr Balast als Werkzeug. Seine Finger spürte er fast nicht mehr. Sein Atem war schwach. Bald hätte er es geschafft. Bald würde er vor der Presse im Blitzgewitter der Journalisten mit ihren Kameras freundlich dreinblicken mit dem Zertifikat in den Händen. Er tastete seine Jackentasche ab. Gott sei Dank, sein Smartphone war noch da. So konnte er den Beweis mit einem Selfie selber festhalten. Nur Ignoranten und Neider würden diesen Beweis als Fälschung darlegen.
Er war müde. In der letzten Nacht hatte er nur 4 Stunden geschlafen. Dies büsste er nun. Sein Körper war am Ende. Aber bald hätte er es geschafft. Er erinnerte sich an die letzten Worte seiner Frau, bevor sie ihn verliess. „Du bist mit den Bergen verheiratet. Ich bin lediglich Dein Zeitvertreib“. Ganz unrecht hatte sie nicht. Und dennoch, gehörte ihr sein Herz.
Er hielt kurz inne, sein ganzer Körper zitterte. Es war so elend Kalt. Dabei liebte er diese Kälte. Aber jetzt brannte sie in seinem Gesicht. Mit zugekniffenen Augen schaute er zum Gipfel. Es war nicht mehr weit. „Mein Letzter“, sagte er leise.
Jeremias dachte an das liebe Gesicht seiner Frau, als er sie das erste Mal sah. Wie sie ihn anlächelte und er vermutlich ganz rot im Gesicht wurde. Er war fast doppelt so gross wie sie. Doch gab es nichts schöneres, als wenn sie mit ihren zierlichen Händen seinen Kopf streichelte.
Wie lange war es her, seit sie gegangen war? 1 Jahr? Oder länger…
Er zog sich weiter hoch. Immer langsamer wurden seine Bewegungen. Er stöhnte bei jedem Meter und bei jeder Bewegung. Er quälte sich. Der Teufel quälte ihn. Seinen linken Fuss spürte er nicht mehr. Wie unnötigen Ballast kam er ihm vor.
Die Ohnmacht würde ihn bald überkommen, das spürte Jeremias. Er musste sich konzentrieren. Den Fokus behalten. Die Mitte suchen. Er versuchte sich an seine Zeit im tibetischen Kloster zu erinnern. Doch alles schien zu verblassen. Er schaute wieder nach oben. Nein, so kurz vor dem Ziel wollte er nicht aufgeben. Er gab niemals auf. Er würde seine Frau zurückholen. Er würde nur noch bei ihr bleiben, den Garten pflegen, an den Strand fahren.
Er hielt inne und versuchte sich erneut auf den Gipfel zu konzentrieren. Es waren nun keine 20 Meter mehr. Bald hätte er es geschafft. Er musste sich das Bild des Gipfels verinnerlichen, wenn er weiter klettern würde, nur so konnte er es schaffen. So starrte er hinauf, durch das Schneegestöber und die Kälte. Doch was war das? Er sah eindeutig…den Umriss einer Gestalt auf dem Gipfel?
Unmöglich. Er war der erste Mensch überhaupt, der dem Gipfel des Teufels so nahe war. Seine Sinne mussten ihn täuschen. Schon einmal hatte er etwas ähnliches erlebt. Als er den Monte Morte bestieg. Er wandte den Blick ab und zog sich weiter hoch.
Alles in seinem Kopf schien sich wie in Zeitlupe abzuspielen. Er dachte wieder an die Gestalt. Es musste ein Hirngespinst sein. Der Sauerstoff- und der Schlafmangel schienen der Grund dafür zu sein. So musste es sein. Nicht einmal mit einem Helikopter würde man in diese Höhe kommen. Er würde der erste Mensch sein, niemand anders.
Und dann endlich ertastete er mit seinen Händen die oberste Ebene des Gipfels. Er zog sich stöhnend hoch und blieb liegen. Ein, zwei…drei Minuten. Das Zeitgefühl hatte ihn längst verlassen. „Dies war mein Letzter“ sagte er leise. Zitternd und wackelig stand er langsam auf. „Der Teufel war mein Letzter, Isabel!“ rief er laut und reckte die Hände in die Luft. Dann wurde ihm schwarz vor Augen und er liess sich rücklings Fallen. Er hoffte nicht mit dem Kopf auf spitzes Gestein zu prallen. Aber wenn dem so wäre, könnte er es nicht verhindern.
Es war vorbei. Er dachte erneut an seine Frau. An Isabel. An ihr liebes Gesicht. Sie sollte das letzte Sein, dass er sehen wollte, auch wenn es nur in Gedanken war. Er schloss die Augen und sein Kopf…tauchte in ein weiches, warmes Kissen. Dies musste das Jenseits sein.
War er tot? Noch nie hatte er sich so geborgen gefühlt wie in diesem Moment. Langsam öffnete er die Augen. Er war nicht tot. Er war noch immer auf dem Gipfel des Teufels. Der Wind blies ihm um die Ohren, aber er spürte die Kälte nicht mehr. Tatsache war aber, dass er in einem Bett lag.
Nervös blickte er sich um. Und blickte dann einem finster dreinblickenden Jungen, mit wilden blonden Harren und grünen Augen in’s Gesicht. Mit lediglich T-Shirt und Jeans war der Junge, der keine 10 Jahre alt sein mochte, bekleidet. Barfuss stand er im Schnee. Ass einen roten Apfel und blickte böse drein. Die Kälte schien ihm nichts auszumachen. Ebenso die Höhe nicht.
„Hör mal Alter, das ist MEIN Bett, also mach Dich vom Acker.“ sagte der Junge.
Jeremias konnte es nicht fassen. Er krallte sich in die warme Decke des Bettes fest und starrte den kleinen Jungen an. Warum war ihm auf einmal nicht mehr kalt?
„Wer…wer bist Du?“ fragte er schliesslich und sah dabei zu wie der Kleine einen grossen Bissen vom Apfel nahm.
„Ich glaube diese Frage sollte ich DIR eher stellen.“ raunzte der Junge mit vollem Mund.
„Wie bist Du hier hoch gekommen und…frierst Du nicht?“ fragte Jeremias, dessen Neugierde nun grösser war als seine Angst.
„Ich glaube das wird nichts.“ seufzte der Junge und hielt Jeremias den angebissenen Apfel entgegen. „Hier halt mal.“ sagte er.
Zögernd steckte Jeremias die Hand aus und nahm den Apfel entgegen. Ob er reinbeissen sollte? Er schaute den Apfel an mit den kleinen abgebissenen Stückchen eines Kindermundes. Woher hatte er diesen Apfel?
Doch gerade als er dem Jungen noch mehr fragen stellen wollte, spürte er wie das Bett umgekippt wurde und er auf den harten verschneiten Boden aufprallte. Nun kam sie zurück die Kälte, die eisige Bise und das Schneegestöber. Noch immer umklammerte er den Apfel. Er blickte hinüber und sah, dass der kleine Junge das Bett mit beiden Händen hochgestemmt hatte. Grosse Mühe schien es ihm nicht zu bereiten, obwohl das Bettgestell aus massivem Holz gemacht war und sogar Jeremias Mühe gehabt hätte, es einfach so hochzustemmen.
Ohne eine Miene zu verziehen liess der Junge das Bett wieder los und es fiel mit lautem Getöse wieder auf den Boden zurück. Noch immer schaute er so grimmig drein. Irgendetwas an ihm liess ihn viel älter wirken als dass er war.
„Danke, Dickerchen“ sagte der Junge und nahm ihm den Apfel aus der Hand und grinste dabei schelmisch. Jeremias verstand nichts mehr. Der Junge hüpfte auf’s Bett und hielt sich mit beiden Händen am Kopfteil fest. Er blickte konzentriert in die Ferne, als würde er einen Punkt fixieren. Jeremias blickte ebenfalls in dieselbe Richtung, sah aber nichts.
So vergingen mehrere Minuten. Bis der Junge wieder laut seufzte.
„Hör mal Opa, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, entweder Du steigst auf oder ich lass dich hier!“ sagte der kleine in genervtem Tonfall.