Schreibkurs zu Kurzgeschichten

Es gibt 121 Antworten in diesem Thema, welches 18.432 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (25. Oktober 2023 um 21:41) ist von Chaos Rising.

  • Verflixt und zugenäht und wieder aufgetrennt. Ich glaube ich schulde diesem verwaisten Thread noch eine Geschichte. :P So sei es.

    Geschichte

    Wie ein Grauhörnchen sprang die alte Zauberin, von Baum zu Baum, ohne dass Rascheln der Blätter ihre Bewegungen verrieten würden. Auf dem Ast einer gewaltigen Ulme, die mindestens so alt schien, wie sie selbst, verharrte sie. Wie ein runzliger Frosch hockte sie auf dem knorrigen Holz und betastete die tiefen Furchen in der Rinde. Eine dunkelrote Flüssigkeit schien aus haarfeinen Rissen in der Baumhaut zu dringen. Erschrocken, doch auch voller Erregung, zuckte die Hand der Zauberin zurück. Die Korruption hatte sich bereits manifestiert, der Dämon und sein Knecht, konnten also nicht weit sein. Doch wo? Wo mochte sich diese Ausgeburt und sein menschlicher Wirt nur verkrochen haben. Um einen Sinneszauber zu wirken, holte die Zauberin einen Flakon hervor, der beinahe so leer war, wie ihre linke Augenhöhle. Mit Fingern, so knorrig und verdreht, wie die Zweige, die sie verbargen, schraubte sie den Flakon auf und roch daran.

    „Nasenfluch und Schicksalsschnur, führet mich zu des Mörders Spur“, krächzte sie leise vor sich hin und nahm Witterung auf. Das Blut des getöteten Minnesängers musste noch immer an ihnen kleben. Rasch und zielstrebig folgte sie dem Geruch zu einer Lichtung, während um sie herum die Korruption an den knorrigen Gesichtern der Bäume und ihrem Laub immer sichtbarer wurde. Sobald sie den Dämon entdeckt hatte, stürzte sie sich mit einem markerschütterndem Schrein auf die Lichtung und ließ ein Blitzgewitter auf sie niederfahren. Der Dämon, dessen schleimige Existenz sich mittlerweile vollkommen um seinen Wirt gelegt hatte und ihn wie in einer Rüstung einhüllte, zeigte sich jedoch vollkommen unbeeindruckt. Sein selbstgefälliges Grinsen, konterte sie mit einem Strahl aus Frost und Kälte, doch dieser begann nur zu lachen und weinte schließlich sogar diabolische Freudentränen. Der Versuch, diese Tränen mittels eines Feuerballs zu trocknen, scheiterte ebenfalls.

    „Ha, alte Vettel, kein Blitz, kein Feuer, keine Kälte vermag mich zu verletzten.“

    Auf allen Vieren kroch die Zauberin zurück und verbarg sich im Unterholz und ihre krächzende Stimme schien aus dem gesamten Wald zu ertönen: „Meister der dunkeln Künste, warum tötetest du den Minnesänger, der deinem Wirt den Hof machte?“

    „Weil ich sein Gejammer nicht länger ertrug, es war zu scheußlich, als dass ich mich weiter verstecken konnte.“

    Die Zauberin lachte krächzend und in ihr Gelächter stimmten die Krähen des Waldes mit ein. Nun furchtlos trat sie auf die Lichtung, ihre alten Gelenke knackten hörbar, als sie eingerenkt wurden und die knorpeligen Finger eine Flöte hervorholten. Mit geschmeidiger Anmut tasteten ihre Finger die Grifflöcher des Instrumentes. „Es ist die Musik, die du fürchtest“, gackerte sie und begann zu spielen.

    Sie spielte, sodass die Steine weinten und die Bäume wieder jung wurden, die Sonne alle Wolken vom Himmel blendete und die Sterne sich am Tage zeigten, die Flüsse aufhörten zu fließen und stattdessen lauschten. Die Feuer hörten auf zu prasseln, die Vögel horchten andächtig und wagten nicht sie zu überstimmen. Der Dämon indes kreischte und versuchte sich auf die Zauberin zu stürzen, doch die Alte begann indessen zu tanzen. Mit leichtfüßigen Schritten und anmutigen Pirouetten wich sie allen Angriffen aus und vertiefte sich noch mehr in ihr Spiel. Der Dämon gab sich geschlagen und riss sich vom Wirtskörper los, um zu entkommen, doch das Spiel der Zauberin hatte sich um ihn gelegt, wie ein Gefängnis, sodass er nicht entkommen konnte und die Musik bald seine Schmerzensschreie übertönte und ihn in eine Nichtigkeit schrumpfen ließ. Erschöpft beendete die Zauberin ihr Spiel, beugte sich, jetzt wieder krumm und knorrig, über den geschundenen Körper des ehemaligen Wirts. „Komm Kind, die alte Vettel wird dich nun in Sicherheit bringen.“