Halloweengeschichte 2023

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 514 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (18. November 2023 um 20:09) ist von Tariq.

  • Hanna malte und ihre Welt war bunt.
    Inmitten einer unendlichen Auswahl an selbstgemischten Farben saß sie und bedeckte die Leinwand mit ihrer Kunst. Das großartigste Gemälde aller Zeiten. Es hatte eine bedeutende Aussage. Sprach jeden an und brachte sogar viele dazu, ihre Ansichten zugunsten einen gerechteren Welt zu ändern.
    Noch im nächsten Millennium würden die Nachfahren es als das Werk zum Aufbruch, der Beginn des großen Umbruchs sehen. Eine Revolution der Sinne, die zu einer Revolution der Gesinnungen führen würde.
    ‘Sehr nett, wirklich. Nicht ansatzweise so kreativ, wie ich es schon gesehen habe, aber die Ambition duftet vorzüglich.’
    Hanna blickte zu Seite und sah die knochenbleiche hagere Gestallt in etwas, was eine Kutte sein musste. Unmöglich konnte der Mann in wabernde Schatten gekleidet sein.
    ‘Wer bist du?’
    Ein Lachen, was an Nägel, die über eine Tafel schrammen erinnerte, antwortete ihr und danach diese flüsternde Stimme, unangenehm aber nicht unfreundlich: ‘Ich bin ein Bewunderer. Ich kann sogar mit Gewissheit sagen, dein größter Fan.’
    Hanna wandte sich ihm zu. Fans hatte sie schon ein paar wenige, Hauptsächliche Verwandte und Freunde. Für eine größere Öffentlichkeit hatte ihr bisher der Mut gefehlt.
    ‘Oh?’
    Der Fremde näherte sich. Etwas in ihr wollte aufschreien, sie dazu bringen aufzuwachen. Obwohl sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust heftig pochte, wie der Schweiß ihr von der Stirn auf das Kissen ran, war sie erstarrt.
    Eine bleiche Hand mit unnatürlich langen Fingern näherte sich ihrer Stirn.
    ‘N…nicht ….’
    ‘Sch ... Gleich ist alles vorbei.’
    Seine Fingen berührten ihre Stirn, glitten hindurch und griffen nach etwas in ihren Kopf. Sanft, beinahe liebevoll, oder eher genussvoll, zogen sie das Gespinst aus ihrem Kopf. Das feine, in allen Regenbogenfarben pulsierende Netz, gab mit einem letzten Ruck nach und verließ sie völlig, vereinte sich mit der schattenhaften Kutte.
    ‘Oh, das war durchaus köstlich. Beinahe bedauerlich, dass es das einzige seiner Art ist, welches du je haben kannst. Ich würde so gerne Weitere ernten.’
    Mit etwas, was Hanna als Schulterzucken interpretierte, verschwand der bleiche Mann im Schattengewand in der Dunkelheit ihrer Peripherie


    Hanna erwachte und ihre Welt war farblos.
    Ohne nennenswerten Antrieb schob sie ihre Beine aus dem Bett. Ihr Blick glitt beiläufig über die Staffelei und das Korkbrett mit den Entwürfen dahinter. Etwas in ihr erinnerte sich daran, wie sie mit einer aufblühenden Inspiration zu Bett gegangen war. Sie hatte darüber schlafen wollen. Und nun erschien es ihr wie die größte Zeitverschwendung ihres Lebens.
    Sie schlurfte in die Küche und betrachtete die Handmühle zum Mahlen frischer Bohnen. Wozu dieser ganze Umstand? Irgendwo war doch noch Instant-Kaffee.
    Als sie keinen fand, zuckte sie die Schultern und schlurfte ins Wohnzimmer und ließ sich in ihren Sessel fallen. Wie von selbst fanden ihre Finger die Fernbedienung.
    Sie zappte durch die Programme und blieb bei einem Shopping-Kanal für Küchenzubehör hängen. Eiertrenner waren gerade im Angebot und zwei Frauen überschlugen sich vor Enthusiasmus.
    Hanna starrte durch den Bildschirm. Der Brennpunkt in ihrem Blick lag an der Wand dahinter.
    So saß sie noch, eine leere, unbenutzte Tasse in der Linken und die Fernbedienung in der Rechten, als ihre Mitbewohnerin sie fand.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Torben packte kräftig zu und es ging vorwärts.
    Seine starken Arme schwangen den schweren Hammer immer wieder und trieben den Pfosten in die Erde. Er fühlte seine Muskeln am Oberkörper und es tat gut. Mit zuerst schweren, dann zunehmend leichteren Schritten ging er zum nächsten Pfosten, der etwa 5 Fuß neben dem nun senkrecht stehenden Pfosten lag. Eine lange Reihe solcher weiterer Pfosten lag vor ihm. Die Grundlage für den großen Weidezaun für seine Pferde.
    Sein Blick schweifte über die saftige Wiesen zum neuen Ranchgebäude, was neben dem ebenso neuen großen Stall stand. Stolz stieg in Torbens Brust auf.
    ‘Meine eigene Ranch. Meine eigenen Pferde. Erbaut von eigenen Händen und eigener Kraft.’
    Ein Heim für sich und hoffentlich bald für seine Frau und die beiden Jungs.
    Einen uralten Evergreen von Jonny Cash pfeifend schnappte er sich den nächsten Pfosten um ihn die ersten Inches in den Boden zu rammen.
    ‘Ist das alles? Das ist dein größter Traum. Wirklich. Wie armselig!’
    Torben schaute von seiner Arbeit auf und sah den bleichen Fremden grinsend an.
    ‘Das kommt ganz drauf an, von welcher Ausgangslage man ausgeht, oder? Schon klar, dass du das nicht verstehst. Kein Vorwurf, Kumpel, nur eine Feststellung. Was dagegen, wenn ich weitermache, während wir quatschen?’
    Der Bleiche winkte beiläufig zustimmend, während er den großen Rancher prüfend anstarrte.
    ‘Oh. Derzeit querschnittsgelähmt mit Aussicht auf eine schwere Reha? Und dann so voller Energie. Oh, köstlich. Verzeih mir, ich nehme alles zurück. Großartig. Geradezu deliziös. Ich danke dir dafür. So einen Schmaus hatte ich lange nicht mehr.’
    Der kräftige Mann runzelte die Stirn als der Schatten des Mannes auf ihn fiel, ihn vielmehr umzingelte. Sein Blick ging zu seinem schweren Hammer am Boden. Er fühlte die Gefahr mit jeder Pore seines Seins. Langsam, als müsste er sich durch dichten Schnee stemmen, näherte sich seine Hand den Hammer.
    ‘Welch Kampfgeist, welche Zähigkeit. Welche Kraft!’
    Gerade als eine Finger den schweren Vorschlaghammer fanden, fanden die Finger des Fremden seine Stirn.
    Etwas Lebendiges, kraftvoll schlagendes, leuchtend und pulsierend, wurde ihm aus dem Kopf gezogen. Verzweifelt kämpfte er gegen die Lähmung und wütend schrie er. ‘ Arrrrg, ich gebe nicht au …’
    Dann war es heraus und vereinte sich mit dem Schatten des Fremden.
    Kraftlos fiel Torben in sich zusammen, wie eine Marionette, deren Fäden alle zugleich gekappt wurden.
    Wortlos ging der Fremde davon in die immer näher rückende Dunkelheit, in die sich Torben schließlich auch fallen ließ.


    Torben lag in seinem Bett und wünschte sich die Beatmungsmaschine zurück, die ihn die letzten Wochen am Leben gehalten hatte. Erst Anfang der Woche hatte er es geschafft, alleine zu atmen. Die Ärzte sprachen von dem Wunder seines starken Willens.
    Es war ihm egal. Das Atmen war eine Qual. Vielleicht, wenn er einfach aufhören würde?
    Sein Blick ging von den Blumen und den bunten, selbstgemalten Bildern, Mitbringsel seiner Frau und seiner beiden Jungs, hin zur weißen Decke. Die feinen Risse im Putz, die ihn an Flüsse und Canyons erinnert hatten, waren nun einfach nur noch … Risse.
    Langsam, mit bewusster Teilnahmslosigkeit stellte er das Atmen ein.
    So war es leichter, einfacher. Kein Schmerz, keine Anstrengung. Einfach nur nichts mehr.
    Die Alarme gingen los und die Nachtschwester stürzte herein.
    ‘Torben. Torben?‘
    Er erinnerte sich, wie ihre Stimme ihn sonst motivierte. Jetzt wünschte er sich nur, dass sie endlich wegging.
    ’ Los, holt die Bereitschaft! Zimmer 3 driftet uns weg! ‘

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Die Schwarzhaarige saß in ihrem Dojo und meditierte.
    Eine Rauchsäule erhob sich und ein mächtiger Werwolf erschien.
    ‘Verpiss dich, Baskerville. Du bist Geschichte, also benimm dich auch so.’
    Mit einem wütenden Heulen wurde der riesige Mannwolf wieder von der Wolke verschluckt.
    Eine neue Rauchsäule erschien. Schwere Schritte brachten das Wesen näher an die meditierende Frau heran. Obsidian war seine Haut, Lava leuchtete durch Risse darin und ließen die Augen unheilvoll aufglühen.
    ‘Unser Streit ist beigelegt.‘, sagte sie zu dem Wesen ohne die Augen zu öffnen. ‘Willst du ihn wirklich neu beginnen?’
    Dumpf antwortete der schwarze Mann: ‘Einmal haben wir dich vernichtet.’ Was triumphierend klingen sollte wurde durch das spöttische Lachen zunichte gemacht.
    ‘Und doch bin ich wieder hier. Wie viele deiner Brüder habe ich vernichtet und wie viele kamen zurück?’
    Der Schwarze knirschte mit den Zähnen aus dunklem Fels. Seine Klauen öffneten und schlossen sich drohend.
    ‘Hör auf dich wichtig zu machen. Wenn du es wissen willst, stell dich gefälligst hinten an. Überleg es dir aber gut. Ich denke nicht, dass ich diesmal vorzeitig aufhören werde. Ein drittes Mal werde ich unsren Kampf ganz sicher nicht austragen.

    Schlagartig öffneten sich ihre Augen. Tiefblau traf ihn ihr harter Blick und er trat unwillkürlich zurück in den Rauch und verschwand.
    Die Schwarzhaarige gönnte sich ein kurzes Lächeln. Es hatte durchaus seine Vorzüge, wenn man seinen Standpunkt gleich beim ersten Mal unmissverständlich klarmachte. Zu Wenige begriffen, dass Gnade ein Privileg des Überlegenen war und um sie gewähren zu können, man sich zuerst in die Position bringen musste.
    ‘Interessant.‘ Eine Stimme wie Nägel auf einer Tafel kam aus der Rauchwolke, die nun deutlich dunkler war, beinahe so schwarz wie das Schattengewand, welches den nächsten Besucher umhüllte.
    ‘So selbstbewusst, so stark. Ich werde mir deine Kraft mit einem wohligen Ge …’
    ‘Oh, bitte sag mir nicht, dass du die ganze Nacht so weiterlaberst? Oder willst du mich mit deinem Gesülze zu Tode langweilen? Komm endlich zum Punkt.’
    Der Bleiche erstarrte. In Äonen hatte niemand so mit ihm gesprochen. Nein, noch niemals hatte jemand so mit ihm gesprochen. Da erkannte er es, was ihn noch mehr störte.
    ‘Moment, du weißt, dass du träumst. Dass du schläfst?’
    ’Schlafen? Nein, noch nicht, aber wenn du so weitermachst kommt das sicher noch. Ich tiefenemeditiere. Oder so ähnlich. Manche nennen es auch luzides Träumen, aber ich bin da anderer Meinung. Egal.’
    Sie wischte den Gedankengang fort.
    ‘Jedenfalls habe ich auf dich gewartet.’
    ‘Das kann nicht sein. Ich sah dein Licht in der Traumwelt. Dein Traum, die größte Monsterjägerin zu sein, die es gibt.’
    ‘Pah, hat sich was von Traum. Was so ist, ist so. Aber ich musste dich ja mit etwas anlocken, also habe ich mich in ein kleines Mädchen hineinversetzt, was große Monster verprügelt.’
    ‘Du hast geträumt ein Kind zu sein, das davon träumt eine Monsterjägerin zu sein?’
    ‘Clever, oder?’ Die Schwarzhaarige erhob sich in einer solch fließenden Bewegung, dass der Bleiche es kaum mitbekam. Zum erste Mal in seiner langen Existenz bekam er Zweifel.
    ‘Muss aber zugeben, das ist nicht auf meinem Mist gewaschen. Zum Glück habe ich eine Partnerin die schlauer ist als du und ich und all diese Plagegeister zusammen, die sich doch tatsächlich ab und zu in meine Träume trauen.’
    Der Bleiche wollte zurückweichen, doch die Hand der Frau zuckte vor. Ihre Finger waren zu langen Krallen geworden und durchstießen die Schatten mühelos und ergriffen das Kollektiv aus zahllosen Lichtern, Netzen und Gespinsten, die darin gefangen waren.
    ‘Unmöglich. Kein Mensch kann …’
    ‘Kein Mensch, Trottel. Ich bin ein Monster wie du. Aber ich bin das Monster, was andere Monster fürchten. Man könnte sagen, ich bin dein schlimmster Alptraum, aber auch dein Letzter. Sorry, den musste ich einfach bringen.’
    Mit einem letzten Ruck trennte sie die Lichter vom Schatten und der Schatten zerfaserte in der umgebenden Dunkelheit am Rand des Traums.
    Vorsichtig, um die Gespinste nicht zu verletzten, öffnete sie ihre Hand und löste sich langsam aus ihrer Meditation. ‘Süße, ich hab sie, jetzt kommt dein Part.’


    Sin schüttelte den Rest ihrer tiefen Meditation ab.
    ‘Bist du in Ordnung, Schatz?’
    Ein blonder Haarschopf umrahmte das Gesicht einer erschöpften Frau und schob sich in ihr Sichtfeld.
    ‘Klar, aber Spaß hat das keinen gemacht. Kein Vergleich zu einem guten Gemetzel mit einem Dolch, literweise Blut und Gedärmen, mit denen man seinen Feind erdrosselt.’
    Die Schwarzhaarige grinste, aber auch sie fühlte sich ziemlich fertig. Mit reiner Willenskraft als Waffe und eisenhartem Selbstbewusstsein als Rüstung, das war nicht so leicht, wie es sich erzählte.
    ‘Du siehst so fertig aus, wie ich mich fühle.’ Die Blonde stupste ihre Partnerin an. ‘Bis zur Kostümparty heute Abend sind es noch ein paar Stunden. Wir könnten noch ein Schläfchen einlegen?’
    ‘Traumhafte Idee. Und ein Gutes hatte die Sache zudem.’
    ‘Ja?’
    ’Mir bleibt es erspart, das ganze Blut und die Innereien aus meinen Haaren zu waschen.’
    ‘Du bist … ein Monster’, sagte die Blonde mit gespieltem Erschaudern.
    ‘Rarr! Wart`s nur ab, bis du mein Kostüm heute Abend siehst.’

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Epilog
    Viele Jahre später.
    Der grauhaarige Großrancher steht mit seiner Frau, seinem ältesten Sohn und dessen Frau im geräumigen Wohnzimmer.
    Über einem gewaltigen Fake-Kamin und dessen täuschend echten aber holographischen Flammen hängt ein Bild.
    ‘Dreieinhalb Millionen, Paps. Echt jetzt? Dafür, dass die Künstlerin dir eine Kopie ihres eigenen Bildes gemalt hat?’
    Torben lächelt wissend. ‘Junge. Frag nicht wie ich darauf komme, aber das Bild wird die Welt verändern.‘

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    Einmal editiert, zuletzt von Tom Stark (19. November 2023 um 00:32)

  • Die drei Teile, deren Zusammenhang sich erst in diesem Sahnehäubchen-Epilog offenbart, haben mir gut gefallen, Tom Stark . :thumbup:

    Zwei realistisch geschilderte Erlebniswelten (wohl als Beispiel für viele andere), die am Schluss durch das Bild im Farmhaus verknüpft wurden. Zwei erfüllte Träume, die mich glauben lassen, dass Sin wohl die geraubten Gespinste, Netze und Lichter irgendwie 'zurückgegeben' haben muss, zumindest Torben und Hanna. Schöner Gedanke. Gut gemacht, Sin, und danke für die Geschichte, Tom!

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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