Hanna malte und ihre Welt war bunt.
Inmitten einer unendlichen Auswahl an selbstgemischten Farben saß sie und bedeckte die Leinwand mit ihrer Kunst. Das großartigste Gemälde aller Zeiten. Es hatte eine bedeutende Aussage. Sprach jeden an und brachte sogar viele dazu, ihre Ansichten zugunsten einen gerechteren Welt zu ändern.
Noch im nächsten Millennium würden die Nachfahren es als das Werk zum Aufbruch, der Beginn des großen Umbruchs sehen. Eine Revolution der Sinne, die zu einer Revolution der Gesinnungen führen würde.
‘Sehr nett, wirklich. Nicht ansatzweise so kreativ, wie ich es schon gesehen habe, aber die Ambition duftet vorzüglich.’
Hanna blickte zu Seite und sah die knochenbleiche hagere Gestallt in etwas, was eine Kutte sein musste. Unmöglich konnte der Mann in wabernde Schatten gekleidet sein.
‘Wer bist du?’
Ein Lachen, was an Nägel, die über eine Tafel schrammen erinnerte, antwortete ihr und danach diese flüsternde Stimme, unangenehm aber nicht unfreundlich: ‘Ich bin ein Bewunderer. Ich kann sogar mit Gewissheit sagen, dein größter Fan.’
Hanna wandte sich ihm zu. Fans hatte sie schon ein paar wenige, Hauptsächliche Verwandte und Freunde. Für eine größere Öffentlichkeit hatte ihr bisher der Mut gefehlt.
‘Oh?’
Der Fremde näherte sich. Etwas in ihr wollte aufschreien, sie dazu bringen aufzuwachen. Obwohl sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust heftig pochte, wie der Schweiß ihr von der Stirn auf das Kissen ran, war sie erstarrt.
Eine bleiche Hand mit unnatürlich langen Fingern näherte sich ihrer Stirn.
‘N…nicht ….’
‘Sch ... Gleich ist alles vorbei.’
Seine Fingen berührten ihre Stirn, glitten hindurch und griffen nach etwas in ihren Kopf. Sanft, beinahe liebevoll, oder eher genussvoll, zogen sie das Gespinst aus ihrem Kopf. Das feine, in allen Regenbogenfarben pulsierende Netz, gab mit einem letzten Ruck nach und verließ sie völlig, vereinte sich mit der schattenhaften Kutte.
‘Oh, das war durchaus köstlich. Beinahe bedauerlich, dass es das einzige seiner Art ist, welches du je haben kannst. Ich würde so gerne Weitere ernten.’
Mit etwas, was Hanna als Schulterzucken interpretierte, verschwand der bleiche Mann im Schattengewand in der Dunkelheit ihrer Peripherie
Hanna erwachte und ihre Welt war farblos.
Ohne nennenswerten Antrieb schob sie ihre Beine aus dem Bett. Ihr Blick glitt beiläufig über die Staffelei und das Korkbrett mit den Entwürfen dahinter. Etwas in ihr erinnerte sich daran, wie sie mit einer aufblühenden Inspiration zu Bett gegangen war. Sie hatte darüber schlafen wollen. Und nun erschien es ihr wie die größte Zeitverschwendung ihres Lebens.
Sie schlurfte in die Küche und betrachtete die Handmühle zum Mahlen frischer Bohnen. Wozu dieser ganze Umstand? Irgendwo war doch noch Instant-Kaffee.
Als sie keinen fand, zuckte sie die Schultern und schlurfte ins Wohnzimmer und ließ sich in ihren Sessel fallen. Wie von selbst fanden ihre Finger die Fernbedienung.
Sie zappte durch die Programme und blieb bei einem Shopping-Kanal für Küchenzubehör hängen. Eiertrenner waren gerade im Angebot und zwei Frauen überschlugen sich vor Enthusiasmus.
Hanna starrte durch den Bildschirm. Der Brennpunkt in ihrem Blick lag an der Wand dahinter.
So saß sie noch, eine leere, unbenutzte Tasse in der Linken und die Fernbedienung in der Rechten, als ihre Mitbewohnerin sie fand.