Es gibt 528 Antworten in diesem Thema, welches 50.647 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (12. Juli 2025 um 12:05) ist von Thorsten.

  • Nach dem Schaukampf gegen Wulfgar hatte ich erwartet dass Tanred jetzt als zukünftiger Held gefeiert wird. Stattdessen holt sein Lehrer ihn auf den Boden der Tatsachen zurück und warnt ihn davor dass das echte Leben ganz anders ist als die Trainingsläufe die er geübt hat.

    Ich hab' die Szene mit Wulfgar ein wenig auf meinen eigenen Beobachtungen und Theorien zur Taktik im Schwertkampf aufgebaut. Fiore zum Beispiel ist ein richtig gutes System um mit Leuten fertig zu werden die von mir aus sportlich und schnell sind und enthusiastisch ein Schwert in der Hand haben - die Ueberraschung die die Techniken im Fiore-Handbuch dann bieten wirken Wunder.

    Das System ist deutlich weniger ueberlegen wenn der andere Fechter es auch nur kennt und dann nicht ueberrascht ist was da kommt. Hier wirkt wieder Liechtenauer Wunder - da sind einige Techniken technisch durchaus komplizierter und dauern eine Weile zu lernen.

    Wir haben verschiedene Fechter im Verein die Liechtenauer zwar auf dem Level von technischen Uebungen koennen, aber nicht in der Praxis im Sparring verwenden koennen. Die sind zwar erfahren, schnell, machen keine Fehler beim Abstand und wuerden jeden Fehler den ich mache sofort ausnuetzen - aber sie sind trotzdem ueberfordert wenn man sie mit der Praxis der Techniken konfrontiert, das gibt die entscheidende Ueberraschung.

    Ich hatte das Duell von Tanred mit Wulfgar ungefaehr so angelegt - Wulfgar hat wenig Ahnung was fuer (durchaus anspruchsvolle) Techniken Tanred da ueber den Winter gelernt hat und laeuft deswegen halt mehrmals in die Falle - mit ein bisschen mehr Zeit und ein paar Kaempfen mehr koennte sich Wulfgar durchaus drauf einstellen was Tanred da gelernt hat und waere dann wieder ueberlegen - aber die Zeit bekommt er eben hier nicht (und im Mittelalter hat der Verlierer die eben auch nicht bekommen).

    Aber - und da kommt Alfrec ins Spiel - du kannst dich halt nicht drauf verlassen dass du jemanden hast der sich ueberraschen laesst - der hat auch seine eigenen Plaene und seine Taktik = das kann durchaus auch anders rauskommen.


  • Begegnungen


    Der Kreis ist gezogen, die Kerzen entzündet und die Anrufungen gemacht. Felua kann die Mächte spüren die sie hierher gerufen hat - Präsenzen die sich im flackernden Schatten verstecken, Ahnungen die durch ihren Geist huschen und sich dann und wann zu Gewißheiten verdichten, unsichtbare Finger die sanft ihre Hand führen oder manchmal auch nur das starke Gefühl von irgendwem beobachtet zu sein.

    Alles ist bereit.

    Sie legt ruhig, ohne eine hastige Bewegung zu machen, die erste der Karten aus.

    Die Wahrsagekarten vor ihr sind alt, seit Generationen werden sie in der Familie weiter gegeben. Eigentlich sind sie sehr dünn geschliffene Holztafeln, auf einer Seite mit den Motiven bemalt, die andere Seite trägt die Rune der Erkenntnis. Sie liegen gut in der Hand, genau wie sie sollen. Felua hat sie von ihrer Großmutter - ihre Mutter hat keinen Bedarf für solche groben und ungefähren Werkzeuge wie Karten, sie hat statt dessen ihre Visionen der Zukunft. Eigentlich passen die Karten auch nicht recht zu Feluas wilder Art Magie zu verwenden, aber manchmal bringt Wildheit sie nicht weiter. Innerlich rast sie über die Weigerung ihrer Mutter, endlich etwas zu tun, aber bevor sie anfängt die Dinge in ihre eigenen Hände zu nehmen, muß sie besser verstehen was genau vor ihr liegt. Was das Schicksal zu sagen hat. Die Karten können da manchmal helfen.

    Sie dreht die erste Karte um.

    Zwei aus dem Haus der Dolche - zwei dunkle Gestalten stehen sich lauernd mit gezogenen Klingen gegenüber. Ein Konflikt... Es war offensichtlich, aber manchmal zeigen die Karten nicht die Zukunft, sondern nur Wünsche oder Ängste und die Mächte nehmen keinen Einfluß auf das was gelegt wird. Aber wenn die Karten so klar sprechen, dann spiegeln sie die Wege des Schicksals...

    Ein Konflikt also - zwei neue Karten für die Parteien, auch wenn sie ebenfalls schon ahnt, wen die Karten zeigen werden.

    Die zweite Karte zeigt die Hohepriesterin - eine verschleierte Frau die sich dem Mond hoch am Himmel zuwendet, ihre Gestalt ist kaum zu erkennen. Eine Hexenkönigin die sich lieber dem Himmel zuwendet als Probleme auf der Erde zu lösen - nicht schwer zu erraten wen diese Karte symbolisiert...

    Das Bild der dritten Karte zeigt den Hohepriester - einen aristokratisch aussehenden Mann mit einer Schriftrolle in der Hand der zu einer Volksmenge spricht die sich zu seinen Füßen versammelt hat. Sie muß einen tiefen Atemzug nehmen um sich von dem plötzlichen Aufruhr in ihrem Inneren nicht aus der magischen Trance werfen zu lassen. Das kann nur Armanas von Tarn sein, der Oberpriester und Ädonsfürst von Gondred, dessen Haß gegen den alten Weg schon fast legendär ist. In unzähligen Predigten hat er das Land gegen alle aufgehetzt die den alten Wegen folgen, der Göttin opfern und Magie verwenden, und dieser Haß hat auch unzählige Unschuldige mit ins Verderben gerissen die nichts mit irgend einer Magie zu tun hatten - Hebammen die Pech bei einer Geburt hatten, Kräuterfrauen die das Unheilbare nicht heilen konnten und mit ihnen auch all die, die schwachsinnig waren oder Stimmen hörten.

    Armanas von Tarn, der Hohepriester Ädons. Der Widersacher...

    Bisher zeigen ihr die Karten nur was sie schon weiß. Sie fragt nach dem Konflikt zwischen den Ädonsmännern und denen die dem alten Weg folgen, und die Karten antworten ihr, daß ihre Frage Bedeutung hat, daß sie beantwortet werden wird. Die nächste Karte wird das Unbekannte zeigen - einen Einfluß der diesen Konflikt formen wird. Felua hofft, daß ihr die Karte zeigen wird, was ihre eigene Rolle sein kann.

    Sie dreht die Karte um.

    Es ist der Narr.

    Das Bild zeigt einen jungen Mann in bunter Kleidung, der lachend in die Luft blickt während er einen Schritt von einem Abgrund entfernt ist.

    Sie runzelt die Stirn - diese Karte hat sie nicht erwartet.

    Meine Tochter Felua - du hast sie schon kennengelernt. Ein junges Gesicht, von einem hellblonden Haarschopf umrahmt, blaue Augen die sie anstarren während der Mund dümmlich aufgerissen ist. Du... stammelt er als er endlich realisiert daß sie es war die ihm in Fuchsgestalt begegnet ist.

    Eine Ahnung die zu deutlich ist als daß sie nur Zufall sein kann.

    Er ist der Narr? Der Gauklerjunge? Wieder sieht sie den dümmlichen Ausdruck in seinem Gesicht vor ich. Die Karte kann bedeuten, daß jemand unbelastet von Wissen handeln kann... Unbelastet von jedem Wissen ist er auf jeden Fall...

    Aber ihre Mutter hat mit ihm geredet, sie ist mit ihm im Garten der Burg gewesen als diese Worte gefallen sind. Warum sollte die Herzogin von Eschgeir so viel Zeit mit einem Gauklerjungen verbringen wenn er nicht wichtig wäre?

    Nachdenklich blickt sie auf. Damals hat sie diesen Umstand nicht gesehen, sie war zu ärgerlich über das Zögern ihrer Mutter. Aber wenn sie jetzt darüber nachdenkt? Maldua muß den Jungen - Tanred - in ihren Visionen gesehen haben. Und jetzt taucht er hier in den Karten auf.

    Der Narr der lachend auf einen Abgrund zugeht.

  • Heidmart war nur ein kleiner Weiler - ein paar schiefergedeckte Hütten die sich an einer Kreuzung inmitten der Heide zusammenkauerten, im Schatten von einigen Hügeln gelegen auf denen die Schafe das braune Gras des Vorjahrs abweideten. Um das Dorf herum war das wenige fruchtbare Land schon gepflügt, aber noch sproß die Saat nicht und die spärlichen Obstbäume hatten noch nicht ausgetrieben.

    Es war ein wenig überraschend daß eine so kleine Ansiedlung eine Taverne hatte, insbesondere weil es nicht mal ein Ädonshaus gab, aber die Gaukler hatten auf dem Weg ins Dorf recht viele Höfe passiert so daß es vermutlich Sinn ergab, irgendwo ein Zentrum zu finden, einen Ort zu dem man sich zu einem Bier treffen konnte. Und vermutlich brauchten auch die Fuhrknechte und Händler die im Niemandsland zwischen Terred und dem freien Gondred südlich der Galta unterwegs waren einen Ort zum Übernachten.

    Selbst wenn es so ein schäbiger Ort war wie das 'Alte Horn'.

    Die Stube der Taverne war niedrig, in den Boden hineingebaut wie so oft in dieser Gegend, so daß es vom Eingang zwei Schritte nach unten ging bis man den Schankraum erreichte. Dementsprechend waren die Fenster klein, hoch und ließen kaum Licht hinein. Alles roch nach dem Rauch von Torffeuer, und schwere Tische und Bänke drängten sich vor einer Theke hinter der nicht nur Fässer zu sehen waren, sondern auch ein Eintopf der in einem Kessel über einem Feuer in einem offenen Kamin brodelte.

    Obwohl es erst später Nachmittag war, war der Schankraum schon halb voll. Die ersten Bauern und Schafhirten tranken schäumendes, dunkles Bier und ließen sich dazu Brot und Käse kommen, ein paar Fuhrknechte spielten in einer Ecke Würfel und sprachen dabei einem Krug Schnaps zu während Knechte und Mägde sich mit dem eher dünnen hellen Bier begnügten das in dieser Gegend gebraut wurde.

    Tanred saß an einem Tisch, die Gugel tief ins Gesicht gezogen, einen Becher billiges Bier vor sich an dem er gelegentlich nippte, und lauschte der Konversation um ihn herum. Bisher war wenig gesagt was er nicht erwartet hätte - Klagen über das Wetter, über die Faulheit des Hoferben und Gerüchte über heimliche Treffen in der Nacht und unerwartete Schwangerschaften.

    Ein Neuankömmling schob sich mit einem Krug und einer Schale Eintopf an den Tisch. Sein Wollmantel war nass, und Tropfen hingen in seinem strähnigen Haar und seinem krausen Bart. Er nickte ein paar der Anwesenden zu, nahm dann einen guten Schluck Bier.

    "Die verdammten Schwarzen haben wieder eine Straßensperre auf dem Weg nach Tverafort errichtet", knurrte er zu niemandem gerichtet. "Wie soll ich meine verdammte Wolle jetzt da auf den Markt bringen ohne daß sie mir wieder davon stehlen?"

    Tanred nickte zu sich - das war das Thema auf das er gewartet hatte... Und wie Perren vorhergesehen hatte, begannen sich auch andere dafür zu erwärmen.

    "Sei froh wenn sie dir nur die Wolle nehmen!", sagte eine grauhaarige Magd vom anderen Ende des Tisches bitter. "Den ältesten Sohn vom Hof am Kiefernhang haben sie so zusammengeschlagen daß er zwei Wochen im Bett war. Und wahrscheinlich wird das Bein steif bleiben. Und warum? Weil er ihnen angeblich Widerworte gegeben hat..."

    "Ja, davon hab' ich auch gehört - üble Geschichte...", murmelte ein hagerer Knecht düster und griff nach seinem Bier. "Sehr üble Geschichte..."

    Tanred schnaubte und blickte in die Runde.

    "Mein Vetter fährt den Sommer über mit den Händlern mit, und er hat mir erzählt daß sie letztes Jahr bei Erbor zwei Dutzend Leute aufgehängt haben", begann er. "Und warum? Weil ihnen angeblich jemand ein Pferd gestohlen hat. Ein Pferd! Den Dieb konnten sie aber nicht finden, dann haben sie ihre Wut an allen ausgelassen die in der Nähe waren."

    Ein paar ungläubige Blicke trafen ihn.

    "Zwei Dutzend aufgehängt?", fragte eine junge Frau in einem schäbigen Leinenkittel.

    "Mein Vetter schwört daß die Sache so passiert ist!"

    "Von der Geschichte hab' ich auch gehört...", warf unerwartet die grauhaarige Magd ein. "Das tut die Garde oft wenn sie keinen Schuldigen findet."

    "Das Eine Gesetz für uns... und das andere für sie", knurrte ein kräftiger Hirte mit wettergegerbtem Gesicht in einer Fellweste. "So sieht das mal aus."

    "Mhm... Sie machen mit uns was sie wollen...", murmelte Tanred. Um den Tisch herum wurde zustimmend genickt. "Früher war das nicht so..."

    "Früher gab es eben noch einen König der wußte was Ehre bedeutet!", warf ein Bauer dessen Gesicht schon vom Bier gerötet war zornig ein. "Kein Herrscher der ausländische Soldaten nach Gondred bringt die dann Straßen sperren, Händler plündern und Leute aufhängen wie es ihnen beliebt! Aber jetzt... Jetzt müssen wir auf Kerrin hoffen..."

  • "Kerrin? Da könnt ihr vergeblich hoffen."

    Tanred sah auf um zu sehen wer da gesprochen hatte. Auch um ihn herum hiben sich die Blicke. Der Neuankömmling war ein Händler, die Haare und die Haut zu dunkel für einen Gondrer, und er sprach mit einem leichten Akzent. Hinter ihm stand ein kräftiger, schwarzhaariger Mann mit einem dunklen Lederwams und einem Dolch im Gürtel der ein bezahlter Wächter sein mochte. Der Händler setzte sich ungefragt mit einem Krug Wein an den Tisch, schenkte sich einen guten Schluck ein und blickte herausfordernd in die Runde.

    "Kerrin, Kerrin...", sagte er spöttisch. "Das höre ich in jedem Dorf. Wenn er doch nur endlich kommen würde und alle Probleme lösen würde! Vielleicht soll er auch noch den Nieselregen beenden? Recht hat er, wenn er weg bleibt! Was soll er denn bitte mit euch traurigem Haufen anfangen? Wenn er kommt, braucht er eine Armee. Und wo soll die herkommen? Ich sehe hier niemanden der für einen Kerrin kämpfen würde, nur alte Weiber die nichts als jammern können."

    "Was soll das heißen, Freund?", fragte der Schäfer drohend.

    Der Händler ließ sich nicht einschüchtern sondern lehnte sich entspannt zurück.

    "Da wo ich herkomme, da warten wir nicht drauf daß irgendjemand uns rettet. Wenn da jemand unsere Freunde verprügelt oder unsere Waren wegnimmt - dann nehmen wir die Sache selbst in die Hand!"

    Mit den letzten Worten rammte er plötzlich einen Dolch in die Tischplatte der zitternd stecken blieb. Einen Augenblick lang starrten alle gebannt auf die Klinge. .

    "Die Soldaten sind zu viele...", murmelte Tanred schließlich vorsichtig. "Sie holen einfach Verstärkung wenn jemand sich wehrt..."

    Der Händler schnaubte verächtlich.

    "Na und? Dann verkriecht euch doch zu Hause wenn sie den ersten holen und laßt sie machen. Vielleicht kommen sie ja dann nicht zu euch... Wenn sie aber dann doch kommen - dann sind alle die euch helfen könnten eben auch zu Hause." Er schüttelte den Kopf, zog den Dolch wieder aus dem Tisch und spuckte auf den Boden.

    "Feiglinge allesamt...", schnaubte er.

    Wie ein Mann standen der Hirte, der alte Knecht und der Bauer plötzlich auf, und einen Moment später erhob sich auch noch ein junger Bursche. Tanred duckte sich statt dessen in den Schatten.

    Der Schäfer griff langsam nach seinem Hirtenstab, der Knecht nach dem Messer an seinem Gürtel.

    "Hast du uns Feiglinge genannt?", fragte er drohend.

    Die Augen des Händlers verengten sich zu Schlitzen.

    "Nur zu - geh' auf den los der dir die schlechte Nachricht überbringt", sagte er verächtlich. "Dann kannst du dich für heute mal wie ein richtiger Mann fühlen - und dann ist es vielleicht später nicht so schlimm wenn du wieder den Schwanz einziehst wenn die Garde kommt!"

    Der Söldner der den Händler begleitete spannte sich an, aber der Moment ging ohne Gewalt vorüber. Statt Wut malte sich plötzlich etwas anderes auf dem Gesicht des Knechts, Scham vielleicht, und er steckte seine Waffe wieder ein.

    Der Händler schnaubte, murmelte etwas und erhob sich. Wortlos drehte er sich um und verließ den Schankraum, seinen Söldner im Schlepptau, der Weinkrug blieb vergessen auf dem Tisch.

    "Er hat recht...", meinte die alte Magd leise. "Er hat verdammt noch mal Recht. Jeder von uns allein kann nichts ausrichten, aber wenn wir zusammen stehen würden..."

    Der Schäfer setzte sich wieder und nickte schweigend und nachdenklich. Dann, ohne jemanden zu fragen, zog er den Weinkrug zu sich hin und schenkte sich ein, danach schon er seine Beute dem Knecht zu.

    Tanred blickte zur Tür, durch die Rocas gerade mit Andel verschwunden war, dann zu Branwen die im Gewand der Magd noch am Tisch saß. Sie nickte ihm unmerklich zu. Alles in allem war das Theaterstück, daß sie da aufgeführt hatten, gar nicht so schlecht angekommen...

  • Die Flammen eines Lagerfeuers züngelten hoch, Funken stiegen in den violetten Abendhimmel und zum Takt der Musik drehten sich lachende Tänzer auf der Wiese, während andere im Hintergrund standen, tranken und klatschten. Es war wie letztes Jahr - und doch so anders. Ketran sang, aber es fehlte der Kontrapunkt von Arngards und Branwens Stimmen. Tanred fiel mit mehr gespielter als wirklicher Sicherheit in den Refrain ein und schlug dazu das Tamburin im Takt, aber es war nicht das Gleiche wie Wulfgar an der großen Trommel zu haben. Einzig die Instrumente waren gut besetzt. Perren - oder besser gesagt Anduas - spielte gekonnt die Laute, begleitet von Vinlind mit ihrer Flöte und - zur allgemeinen Überraschung - Rocas mit der Schalmei.

    Das Dorf nahm die Darbietung trotzdem begeistert entgegen. Kinder hopsten lachend herum, junge Paare drehten sich zur Tanzmusik, Burschen stampften mit dem Fuß auf und alte Schäfer betrachteten das Treiben mit etwas Abstand und schwelgten in Erinnerungen.

    Skavhag war ein kleiner Weiler, keine acht Meilen von Heidmart entfernt. Das Dorf hatte keine Taverne, aber eine Schmiede und ein Ädonshaus. Der kleine, rundliche Ädonsmann hatte die Gaukler überschwänglich willkommen geheissen und ihnen Schlafplätze in der Scheune und die Wiese vor dem Ädonshaus für die Musik angeboten. Natürlich hatten sie auch keine Bühne mehr - der einzige Wagen der Truppe war grade genug um ihre Habseligkeiten zu transportieren. Letztes Jahr wären Tücher um den Platz gespannt worden, geheimnisvoll beleuchtet von Lampen... Tanred wußte daß es keine Bedeutung hatte - aber trotzdem, irgendwie machte es ihn traurig wenn er daran dachte wie der Auftritt der Truppe hätte sein können...

    Ketran beendete das Lied, Tanred schüttelte das Tamburin während sie sich verbeugte und Perren die letzten Takte spielte, und dann brandete auch schon der Beifall auf.

    Mit gerötetem Gesicht wandte Ketran sich zur Truppe um.

    "Die Rose von Erred?", fragte sie. Perren nickte. Der ehemalige Prinzipal war kaum wiederzuerkennen - er trug eine bunte Jacke die immer wieder mit Flicken ausgebessert worden war, Bart und Haare wucherten wild und eine Augenbinde verdeckte seine linke Gesichtshälfte. Kaum jemand würde Anduas den Lautenspieler wohl so mit der eleganten Erscheinung des Prinzipals Perren in Verbindung bringen...

    Ketran blickte Tanred an und signalisierte ihm mit der Hand den Rhythmus. Er begann, das Tamburin zu schlagen und sofort nahm Perren den Rhythmus auf und improvisierte ein Vorspiel. Vinlind und Rocas nickten sich zu und fielen bei der zweiten Wiederholung ein, und die ersten Tänzer begannen sich wieder zu bewegen.

    Irgendjemand kam von der Seite und stellte einen schäumenden Krug neben Tanred, aber er nickte nur abwesend, ganz darauf konzentriert den Rhythmus zu halten. Immerhin hielten ihn alle für einen Gaukler...


    Rot ist die Rose
    Die blüht in der Heide
    Rot ist die Rose
    Die blüht dort am Ufer

    begann Ketran zu singen und Tanred gab sein Bestes, Wulfgars Trommel zu ersetzen.

  • "Wenigstens werden wir heute satt...", kommentierte Ofyas trocken.

    Tanred blickte auf die Ausbeute des Abends - verschrumpelte Rüben, Karotten und Zwiebeln, ein paar gedörrte Apfelringe, ein Krug Honig und ein Fäßchen Bier lagen neben dem Kessel, dazu glitzerten ein paar wenige Kupferstücke.

    Viel war es wirklich nicht...

    Ketran schnaubte und machte sich daran, den Kessel mit Wasser zu füllen und über das Lagerfeuer zu hängen, dann begann sie methodisch die Rüben zu schälen ohne Ofyas weiter zu beachten.

    "Vin, wir brauchen noch mehr Feuerholz", sagte sie ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. "Der Müller hat uns erlaubt von seinem Vorrat zu nehmen - der Schuppen da wo's zum Fluß runtergeht. Weißt du wo das ist?"

    Vinlind schüttelte den Kopf, aber Tanred antwortete: "Ich weiß es - ich kann mit ihr gehen." Bevor Ketran noch auf die Idee kam, ihn auch Gemüse schälen zu lassen, ging er lieber noch ein Stück durch das Dorf. Vielleicht würde ihm das helfen den Kopf klar zu bekommen, es gingen ihm grade mal wieder zu viele Gedanken im Kopf herum.

    Die niedrigen Dächer dder Hütten schimmerten feucht im bleichen Mondlicht, das durch einen dünnen Wolkenschleier fiel. Über den Niederungen der Heide zog schon Nebel auf - sobald man sich vom Feuer entfernte war es empfindlich kalt. Irgendwo von den Hügeln hörte man Schafe blöken. Nur wenige Laternen und Kerzen waren um diese Zeit noch in den Hütten an, aber hinter der Tür der Schmiede glomm noch Feuerschein auf.

    Schweigend ging Tanred mit Vinlind im Schlepptau über die vom Schmelzwasser ausgewaschenen Wege in Richtung auf den nahen Fluß. Es war schwierig in der Dunkelheit nicht immer wieder über Steine zu stolpern, und er wünschte er hätte eine Laterne mitgebracht statt auf den Mond zu vertrauen. Unterdrückt fluchte er und blieb kurz stehen, als er spürte wie sein Fuß in etwas Weichem versank. Hoffentlich war es nur Schlamm...

    "Was ist eigentlich mit dir los Tan?", fragte Vinlind und legte ihm kurz den Arm auf die Schulter. "Arngard - oder was anderes?"

    Er seufzte und ging weiter - langsamer diesmal. Es schien wirklich nur Schlamm gewesen zu sein in den er getreten war - kein Kuhfladen.

    "Beides...", sagte er schließlich. "Ich weiß nicht genau... Irgendwie hab' ich kein gutes Gefühl bei der Sache die wir hier machen..." Jeder Gedanke war recht um nicht über Arngard reden zu müssen... "Was, wenn jemand aus Heidmart hier war?"

    "Was dann?", fragte Vinlind verwundert.

    "Naja - was wenn uns jemand erkannt hat? Wenn jemand merkt daß der Händler aus der Taverne in Wirklichkeit mit der Gauklertruppe zieht? Werden wir dann nicht erst recht auffallen?"

    Vinlind lachte leise.

    "Alle in der Taverne haben einen reich gekleideten Händler gesehen - von irgendwo am Mittleren Meer - der sich sogar eine persönliche Wache leisten kann. Hier am Feuer sehen sie keinen Händler sondern einen eher abgerissenen Gaukler. Wieso sollten sie glauben daß der Händler und der Gaukler die gleiche Person sind - wenn es doch viel einfacher ist zu glauben daß sie sich einfach ähnlich sehen? Wieso sollte der Händler plötzlich arm sein und bei den Gauklern leben? Kaum jemand schaut so genau auf Gesichter, Tan - nicht wenn jemand auffällige Kleidung trägt um seinen Status klar zu machen. Gib den Menschen das Gefühl daß sie die Situation verstehen - und sie werden nicht genauer nachfragen. Was anderes wäre, wenn Rocas reich gekleidet mit uns am Feuer sitzen würde - da würde jeder wissen wollen was los ist."

    Tanred dachte über ihre Erklärung nach während er den Pfad zum Schuppen einschlug der sich wie eine gedrungene Gestalt auf die Wiese kauerte. Nasses Gras war rutschig unter seinen Füßen. Tatsächlich lag immer noch einiges an Brennholz an der Wand aufgestapelt. Er griff sich einen großen Arm voll und wartete dann, bis Vinlind sich ihren Teil aufgeladen hatte, dann gingen sie zusammen wieder zurück zum Feuer.

    "Man sollte meinen, daß eher du der bist der mit solchen Situationen klar kommt...", begann die Gauklerin nach einer Weile halb im Scherz aber mit einem ernsthaften Unterton. "Immerhin bist du schon seit letztem Jahr Kerrinsmann - ich bin neu dabei."

    "Letztes Jahr war... anders", meinte Tanred knapp. "Mehr Beobachten... und Botschaften überbringen."

    "Bis auf die Kämpfe."

    Tanred nickte stumm.

    Eine Waffe die im Mondlicht glitzert, das Gefühl von feuchtem Widerstand als er zuschlägt, ein Soldat der röchelnd am Boden stirbt, der plötzliche brennene Schmerz an seinem Handgelenk, ein Ritter mit dem Gesicht grau von Blutverlus der an einem Stamm lehnt...

    "Ja, bis auf die Kämpfe", bestätigte er düster.

  • Ichuebenoch Vinlinds Erklaerung ueber den 'Haendler' hier bietet eine indirekte Antwort auf den Themenkomplex 'warum ist Tanred als Kerrin-lookalike' in Kerst nicht gefaehrdet' - ich wuerde da gerne nachfragen, hilft das hier beim Verstaendnis auch wenn es indirekt ist?

    Generell ist das so mein Gedanke bei der Problematik - Menschen sehen den Kontext mit, Tanred der von der Koenigin im Exil komplett ignoriert wird, wird nicht als 'Kerrin' wahrgenommen sondern als 'jemand der vage an Kerrin erinnert'.

  • Tanred der von der Koenigin im Exil komplett ignoriert wird, wird nicht als 'Kerrin' wahrgenommen sondern als 'jemand der vage an Kerrin erinnert'.

    Vielleicht blähe ich das Thema jetzt nur künstlich auf. Aber ich hatte mir vorgestellt, dass eigentlich keiner weiß, wie Kerrin aussieht. Die Königin hat stellvertretend für ihr unmündiges Kind regiert. Er muss also noch relativ klein gewesen sein bei der Flucht. Wie er als Erwachsener aussehen mag, kann man daher nicht genau, sondern nur ungefähr wissen. D.h. es würde wohl auch niemand den "echten" Kerrin mit Sicherheit erkennen, wenn es ihn noch gäbe. (?)

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • D.h. es würde wohl auch niemand den "echten" Kerrin mit Sicherheit erkennen, wenn es ihn noch gäbe.

    Yep - Andel hatte das auch so gesagt dass es ueberwiegend die kleinen Gesten und Bewegungen sind die Tanred an Kerrin erinnern lassen (und natuerlich Dinge wie Haar- und Augenfarbe...) aber dass praktisch keiner weiss wie Kerrin als junger Erwachsener aussehen wuerde.

  • Hallo Thorsten ,

    "Alle in der Taverne haben einen reich gekleideten Händler gesehen - von irgendwo am Mittleren Meer - der sich sogar eine persönliche Wache leisten kann. Hier am Feuer sehen sie keinen Händler sondern einen eher abgerissenen Gaukler. Wieso sollten sie glauben daß der Händler und der Gaukler die gleiche Person sind - wenn es doch viel einfacher ist zu glauben daß sie sich einfach ähnlich sehen? Wieso sollte der Händler plötzlich arm sein und bei den Gauklern leben? Kaum jemand schaut so genau auf Gesichter, Tan - nicht wenn jemand auffällige Kleidung trägt um seinen Status klar zu machen. Gib den Menschen das Gefühl daß sie die Situation verstehen - und sie werden nicht genauer nachfragen. Was anderes wäre, wenn Rocas reich gekleidet mit uns am Feuer sitzen würde - da würde jeder wissen wollen was los ist."

    es ist durchaus hilfreich. Man wird nicht gleich mit der Nase darauf gestoßen. Aber wenn man sich mit deiner Geschichte beschäftigt kann man Vinlinds Erklärung recht gut auf Tanred anwenden und ableiten warum er hier nicht gefährdet ist .

    Ein Punkt noch der zwar nicht direkt mit der Tanred/Kerrin Thematik zu tun hat, der mir aber besonders gut gefällt.

    Kaum jemand schaut so genau auf Gesichter, Tan - nicht wenn jemand auffällige Kleidung trägt um seinen Status klar zu machen.

    Status, Ansehen oder sonstige Formen von sozialem Prestige waren in mittelalterlichen Gesellschaften ja von enormer Bedeutung. Hier wird das glaube ich zum ersten mal angerissen und ein Beispiel geliefert warum sie diesen Stellenwert hatte. Davon würde ich mir gerne öfter mal ein Häppchen wünschen.

  • Status, Ansehen oder sonstige Formen von sozialem Prestige waren in mittelalterlichen Gesellschaften ja von enormer Bedeutung. Hier wird das glaube ich zum ersten mal angerissen und ein Beispiel geliefert warum sie diesen Stellenwert hatte. Davon würde ich mir gerne öfter mal ein Häppchen wünschen.

    Hm, hast Du da was konkreteres im Sinn?

    Ich wuerde aus dem Stegreif heraus sagen dass wir etwa in jung-Tanreds Erinnerungen an den Ritter seines Heimatdorfsso was sehen, oder auch wie jetzt-Tanred Meister Alfrec begegnet.

    Ansonsten ist das Ding dass die Geschichte ja unter Gauklern angesiedelt ist und einiges... nun ja, nicht so standardmaessig verlaeuft. Herzogin Maldua ist die am hoechsten stehende Person die Tanred trifft, aber sie ist... speziell aus Gruenden die man jetzt vielleicht noch nicht veollig versteht. Perren ist Graf, aber Tanred hat ihn als Prinzipal kennengelernt, ebenso Wulfgar der eigentlich Ritter ist aber Tanred als Gaukler bekannt. Andel und Vindric lernt Tanred als Mitverschwoerer kennen - insofern sind seine Kontakte zu Gondrern mit hohem Status bisher alle eher exotisch.

    Generell hab' ich auch eher das Bild von 'jeder an seinem Platz' vor Augen - gegenseitige Verantwortlichkeit. Der Bauer schuldet dem Ritter zwar den Zehnten und Dienste, aber der Ritter schuldet dem Bauern auch Schutz. Wie ein Buch ueber das Leben im Mittelalter das ich konsultiert habe das ausgedruckt hatte - 'oft fand man die Ritter zusammen mit den Bauern auf dem Feld, jeder musste anpacken'.

    Das starke Betonen der Rangunterschiede muss man sich als Gesellschaft leisten koennen - das spaete Mittelalter und die Renaissance konnte das, Staedte eher als das Land... im Hochmittelalter war der Bauer durchaus kein armer Schlucker sondern jemand der Ansehen und Respekt hatte.

  • Und diesmal... Perrens Plan zielte darauf ab, so viel Unruhe für die Garde zu stiften wie nur möglich - wenn sie in den Dörfern beschimpft oder mit Steinen beworfen wurden - gut - wenn es zu Handgreiflichkeiten kam - umso besser. Es lag auf der Hand daß es wieder zu Kämpfen kommen würde. Entweder wenn in einer Taverne die Gefühle wirklich hoch kochten, oder wenn die Garde mit Gewalt reagierte um die Ordnung wieder herzustellen. Diesmal war der Auftrag der Gaukler nicht die Vorbereitung, sondern diesmal ging es darum, einen Aufstand zu entfachen. Und er war mitten drin.

    Unter ihrer gelassenen Fassade hatte Vinlind Angst, das begriff er plötzlich. Sie hatte nicht den ganzen Winter über gelernt mit Waffen umzugehen, sie war einfach nur eine Gauklerin. Aber was sollte er ihr sagen? Wenn er zu genau darüber nachdachte was sie taten, dann hatte er selber Angst...

    Das Lagerfeuer empfing sie mit einladender Wärme und dem Geruch von Eintopf der schon im Kessel brodelte. Tanred ließ das Holz neben dem Feuer zu Boden gleiten, rieb sich den schmerzenden Arm und bekam von Ofyas einen gedörrten Apfelring und einen Becher Bier in die Hand gedrückt. Dankbar ließ er sich am Feuer nieder, knabberte er an der süßen Frucht und nippte an seinem Getränk.

    Vinlind ließ sich neben ihm nieder und langte nach Brot. Ketran warf eine Handvoll Kräuter und etwas Salz aus einem Beutel in den Kessel und summte dabei fast unhörbar vor sich hin. Irgendwo in der Dunkelheit spielte Perren auf seiner Laute. Es fühlte sich fast an wie in einem Zuhause.

    Fast... Er starrte ins Feuer und versuchte den Gedanken zu verdrängen, daß er vielleicht bald schon wieder mit der Waffe in der Hand einem Soldaten gegenüber stehen würde.

    "Sie haben noch lange über die Garde geredet", ertönte Frets leise Stimme neben ihm, zu Vinlind gewandt. "Die der jungen Männer haben angegeben wie sie mit den Soldaten umgehen würden wenn die da wären. Zwei oder drei scheinen aber ernsthaft etwas zu planen."

    Vinlind nickte, reichte ihm auch einen Apfelring und der Junge fuhr fort: "Von einer Magd namens Aedlind heißt es, daß sie letzten Sommer ein Verhältnis mit einem Soldaten der Garde hatte. Man hat davon geredet daß man sich schon um sie kümmern würde. Also - eher drohend meine ich. Aber ich glaube das war nur Gerede. Und von einer anderen - Ranklin - heißt es, daß sie vom Ädonsmann hier aus Skavshag schwanger ist. Ein Schäfer hat in der Abenddämmerung Reiter auf den Hügeln gesehen und vor Räubern gewarnt - aber ich glaube das sind Andel oder Vindric mit ihren Leuten gewesen."

    Tanred lachte ungläubig auf - er hatte gewußt daß der Junge sich vor Vorstellungen der Gaukler ins Publikum mischte um Gesprächen zu lauschen so daß Vinlind nachher mit dem, was er erzählen konnte ihre Nummer als Hellseherin bestreiten konnte - aber das? Ein Überblick über den aktuellen Dorfklatsch zusammen mit Informationen darüber wie das kleine Schauspiel in Heidmart angekommen war? Der Junge war erstaunlich, Tanred hätte sich nicht zugetraut in der Zeit auch nur an die Hälfte dieses Wissens zu kommen...

    "Gut gemacht!", lobte Vinlind und drückte ihm die Schulter. Fret lächelte scheu.

    "Essen ist fertig!", rief Ketran und klopfte mit dem Löffel gegen den Kessel, um die Gaukler herbeizurufen.

  • Hallo Thorsten ,

    Hm, hast Du da was konkreteres im Sinn?

    Spontan würde mir da die ausschließliche Verwendung von bestimmten Stoffen und Farben für bestimmte Gruppen vorschweben. Für den Adel natürlich das exzessive das zurschaustellen des Wappens. Oder bestimmte Vorrechte für einzelne stände oder Berufsgruppen.

    Aber nein was konkretes habe ich nicht im Sinn.

    Ich wuerde aus dem Stegreif heraus sagen dass wir etwa in jung-Tanreds Erinnerungen an den Ritter seines Heimatdorfsso was sehen, oder auch wie jetzt-Tanred Meister Alfrec begegnet.

    Da muß ich dir recht geben. Aldwin der Gerber fällt mir da noch ein. Er ist weder adlig noch dürfte er aufgrund seines Berufes besonderes Ansehen genießen. Trotzdem bin ich mir sicher das er ziemlich angesäuert wäre wenn ihn jemand nicht als Meister Aldwin anspricht sondern einfach nur als Aldwin. Es ist also ein Verhalten das nicht nur den Adel betrifft sondern sich durch die ganze Gesellschaft zieht.

    Ansonsten ist das Ding dass die Geschichte ja unter Gauklern angesiedelt ist und einiges... nun ja, nicht so standardmaessig verlaeuft. Herzogin Maldua ist die am hoechsten stehende Person die Tanred trifft, aber sie ist... speziell aus Gruenden die man jetzt vielleicht noch nicht veollig versteht. Perren ist Graf, aber Tanred hat ihn als Prinzipal kennengelernt, ebenso Wulfgar der eigentlich Ritter ist aber Tanred als Gaukler bekannt. Andel und Vindric lernt Tanred als Mitverschwoerer kennen - insofern sind seine Kontakte zu Gondrern mit hohem Status bisher alle eher exotisch.

    Die Gauklertruppe steht natürlich außerhalb dieses Ständesystems. Allerdings können sie die Regeln die in dieser Gesellschaft gelten nicht so ohne weiteres ignorieren. Sind zum Beispiel bestimmte Farben oder Kombinationen davon nur bestimmten Gruppen erlaubt dann wird sich die Truppe normalerweise daran halten.

    Tanreds Kontakte zu den Adligen seines Landes entsprechen definitiv nicht dem Normalfall richtig. Aber was ist mit deren Umgang miteinander?

    Das Treffen in der Jagdhütte kommt mir hier in den Sinn.

    nachdem die Gruppe weiß was die Stunde geschlagen hat kommt Vindric mit einem ziemlich radikalen Vorschlag an. Andel trägt seine Bedenken vor und Perren versucht diese zu widerlegen. Eine Unterhaltung die abgesehen vom Thema so auch in einem Geschäftsmeeting im 21. Jahrhundert stattfinden könnte.

    In dieser Szene hat man den Eindruck das die drei Figuren weitgehend auf Augenhöhe sind. Das ist ziemlich modern. In einer mittelalterlichen Gesellschaft würde ich das nicht unbedingt erwarten. Eher wäre meine Vorstellung das hier Perren Gesprächsverlauf vorgibt.

    Hier könnte man etwas zum Thema Status einbringen. Etwa indem Vindric sich zuerst förmlich an Perren wendet mit der Bitte einen Vorschlag zu machen. Der könnte dann etwas in der Art erwidern das sie unter sich sind und Vindric frei herausreden soll.

    Das starke Betonen der Rangunterschiede muss man sich als Gesellschaft leisten koennen

    Wie meinst du das? Im materiellen Sinn oder indem es eine Belastung des Zusammenhalts sein kann?

  • Spontan würde mir da die ausschließliche Verwendung von bestimmten Stoffen und Farben für bestimmte Gruppen vorschweben. Für den Adel natürlich das exzessive das zurschaustellen des Wappens. Oder bestimmte Vorrechte für einzelne stände oder Berufsgruppen.

    Im Zuge des Stadtlebens von Terred wurde sowas angedeutet - wer einfach so durchd as Tor darf, wer dafuer zahlt,... Da waren halt noch Tonnen von anderer Info...:)

    Da muß ich dir recht geben. Aldwin der Gerber fällt mir da noch ein.

    Yep, der auch - der ist immerhin Zunftmeister (auch wenn sein Handwerk nicht zu den angesehendsten gehoert) und verlangt entsprechenden Respekt, ja.

    Aber was ist mit deren Umgang miteinander?

    Ja, kommt ein bisschen auf den Kontext an. Wir sehen sie ja primaer bei konspirativen Treffen (das erste Treffen mit Andel und Vindric in einer Taverne). Sie kennen Perren die letzten Jahre ueber in seiner Rolle als Gaukler - und sind es gewohnt selbst auf Reisen durch Gondred als nicht-Adelige aufzutreten.

    Daneben sind sie alte Kameraden aus dem Buergerkrieg.

    Bei dem Hintergrund faende ich es irgendwie komisch wenn Perren da bei einem Treffen auf seinem Rang beharren wuerde... Perren legt ja sonst keinen grossen Wert auf Status, er muss sich jetzt nicht gerade zwingen den Gaukler zu geben...

    Also, ja, ich sehe irgendwie das Problem das Du hier skizzierst, das Benehmen der Adeligen ist irgendwie... unstandesgemaess. Nur hat die Geschichte jetzt kein 'normales' Treffen zwischen denen - Kethana wuerde mit Tanred schon ganz anders umgehen, aber sie wuerde ihn ja schon gar nicht empfangen.

    Wie meinst du das? Im materiellen Sinn oder indem es eine Belastung des Zusammenhalts sein kann?

    Beides irgendwie. Wenn die Gesellschaft materiell eher schlecht gestellt ist, kann sie es sich nicht leisten irgendjemanden von der Arbeit freizustellen - dann muss der Ritter halt auch mal den Pflug aus dem Dreck ziehen.. Wenn Farben teuer sind, dann ist man froh ueberhaupt was faerben zu koennen, man muss dann nicht Farben fuer einen Stand reservieren.

    Wenn man in der Not engen Zusammenhalt braucht, dann kann man nicht auf Standesunterschieden beharren (das ist irgendwie die Situation der Kerrinsmaenner - Perren braucht eher Mitverschwoerer auf die er sich verlassen kann und die unabhaengig planen als Untergebene).

    Also, was Du hier so andeutest wuerde ich eher in den Staedten und den Hoefen von Herzoegen erwarten - die Zunftmeister sind Kandidaten die recht auf Status beharren koennen, eher als Landadelige. Gondred ist stellenweise schon ein recht armes Land.


  • Tanred schreckte hoch.

    Irgendwas hatte ihn geweckt. Er hörte Schritte, ein kurzes Stolpern und dann ein unterdrücktes Fluchen. Jemand aus dem Lager war offenbar aufgestanden und den Geräuschen nach erleichterte er sich grade an einem Busch. Dann kamen die Schritte zurück. Erneutes Rascheln von einem Gaukler der sich wieder in seine Decken wühlte.

    Kalte Nachtluft strich über Tanreds Gesicht und er rieb sich müde die Augen. Lange konnte er nicht geschlafen haben, es war noch ein Rest von Glut im Lagerfeuer - vielleicht gerade mal nach Mitternacht?

    Er seufzte.

    Schlaf war schwer zu finden, er war zu unruhig dafür. Zu viele Dinge waren passiert und passierten immer noch...

    Und er vermisste Arngard...

    Letztes Jahr hätte er sie jetzt neben sich gespürt, ihre weiche Haut und ihre Wärme. Er erinnerte sich an ihr Lachen wenn er sie auf die Nasenspitze geküßt hatte, an das Gefühl ihre Brüste mit seinen Händen zu spüren, an die Art wie sie kurz den Atem eingesogen hatte wenn er die Brustwarzen berührt hatte, wie seine andere Hand über ihren flachen Bauch gewandert war und sie mit kreisenden Bewegungen gestreichelt hatte bis er das feine Haar zwischen ihren Beinen erreicht hatte, und wie seine Finger dort nach ihrer feuchten Wärme getastet hatten während ihre Finger sich in seine Schultern krallten...

    Tanred schnaubte ärgerlich und preßte seine Hände gegen sein Gesicht um die Bilder zum Verschwinden zu bringen.

    Es brachte nichts, in diese Erinnerungen einzutauchen. Nichts außer pochender Härte zwischen seinen Beinen...

    Sie war weg.

    Ein Moment hatte genügt, Perrens Bericht über die Kerrinsmänner und sein eigenes Geständnis daß er Teil davon war, das war alles an Gründen das sie gebraucht hatte um zu gehen. Sie hatte ihn nicht einmal erklären lassen.

    Und das war irgendwie das schlimmste... Sie hatte nicht einmal dafür genug Vertrauen gehabt. Genug Vertrauen um zu sehen daß er ganz anders war als ihr Partner vor einigen Jahren der ihr Vertrauen so mißbraucht hatte. Stafren war ein verdammter Mörder gewesen der Ädonsmänner auf dem Gewissen hatte - kein Kerrinsmann der versuchte einen Tyrannen der den Thron von Gondred an sich gerissen hatte zu bekämpfen. Wieso bei Pathon konnte sie das nicht einfach erkennen? Wieso hatte sie ihm nicht mal die Zeit gegeben zu erklären?

    Er seufzte und drehte sich unter den Decken um, versuchte eine bequemere Position zu finden. Es brachte nichts, es brachte verdammt noch mal nichts darüber nachzugrübeln. Aber die Gedanken kamen einfach wieder und wieder, egal was er wollte...

    Es fühlte sich alles falsch an, diese ganze Fahrt. Wie sollten sich die Dinge auch richtig anfühlen wenn alles damit losgegangen war daß Freunde sich überworfen hatten? Es war ja nicht nur Arngard, er vermißte auch Tareias trockenen Humor und sogar Seshanis nachdenkliche Schweigsamkeit. Rocas und Ofyas waren nur des Geldes wegen dabei, was auch immer Perren sich da gedacht hatte, und die ganze Magie des Gauklerlebens fehlte, die Lichter, die überirdische Stimmung der fertigen Bühne - alles was sie jetzt hatten waren lange Fußmärsche, Staub und ein wenig Musik und Tanz.

    Und natürlich die Lügen die sie erzählten um die Menschen in den Tavernen aufzustacheln... und die Angst in Vinlinds Augen... und das Gefühl in seinem Bauch wenn er an den nächsten Kampf dachte...

    Plötzlich sehnte er sich nach der Ruhe des Klosters Sant Kymran wo er im letzten Jahr ein paar Monde verbracht hatte. Es war eine geregelte Welt gewesen, mit harter Arbeit, wenig Schlaf, aber festen Zeiten für Ruhe und Gebet zu Ädon...

    Tanred lachte bitter auf. Damals war er unruhig gewesen weil Perren so lange nicht gekommen war...

    Er holte tief Luft und begann, langsam die vertrauten Worte einer arianischen Litanei zu zu murmeln die er damals gelernt hatte.


    Ädon esa mihivi katna
    Ädon ist unser Schild
    er beschützt uns auf unserem Weg
    sein Licht begleitet uns in der Finsternis
    und hält sie Schatten fern...

    Aber es dauerte lange, bis die düsteren Gedanken ihn einschlafen ließen.

  • Staub wehte unter den Rädern des Wagens auf, wo er über den trockenen Feldweg rumpelte.

    Mit nur einem Wagen für allen Besitz der Gaukler, der zudem lediglich von einem einzelnen Maultier gezogen wurde, mußten die meisten der Gaukler zu Fuß nebenher gehen. Tanred hatte schnell gelernt, die windabgewandte Seite des Wagens zu vermeiden.

    Je weiter sie aus dem Hügelland nahe den Bergen in die Ebene kamen, desto wärmer wurde es. Karges Heideland wurde von mehr und mehr Flecken von braunem Gras abgelöst, dann zeigten sich auch die ersten Wäldchen, die letzten Schneereste in schattigen Niederungen waren schnell verschwunden und die Bäche und Flüsse schäumten braun von Schmelzwasser. Eine helle Sonne brannte von einem konstant blaßblauen Himmel und trocknete das Land aus - hier und da keimte zwar schon das erste frische Gras, aber meistens bedeckten noch die vertrockneten Halme des Vorjahrs den Boden. Äcker die den letzten Herbst gepflügt worden waren standen noch ohne keimende Saat - und so war der Staub allgegenwärtig.

    Weder die langen Strecken, die er jeden Tag laufen mußte, noch der Staub störten Tanred besonders. Selten in seinem Leben hatte er so gute Stiefel besessen - weiches Leder, von einem Schuster speziell für ihn angefertigt. Es waren gefütterte Winterstiefel, Teil der Kleidung die Perren für ihn organisiert hatte damit er in Kerst ohne Aufsehen zu erregen zu seinen Lektionen bei Meister Alfrec gehen konnte, zwar ein wenig warm für das Frühjahr, aber dafür gut eingelaufen. Und was den Staub anging... Es war allemal besser so, als im Dauerregen unterwegs zu sein.

    Tag für Tag kamen sie so weiter nach Mittelgondred. Aurafort, Janningsmart, Fellshem, Skavning, Drupamühl... Dorf um Dorf hatten sie pasiert. In den meisten davon waren sie aufgetreten, hatten Musik gemacht und Geschichten erzählt - und mit den Bewohnern geredet, Gerede aufgeschnappt und die Stimmung eingeschätzt.

    Und in manchen der Dorftavernen hatten sie auch ihr Stück aufgeführt - immer mit wechselnden Rollen, mit einem Text der immer wieder verbessert worden war, aber die Essenz war immer die Gleiche: Beschwerden über die Garde die in der Gegend passiert wurden wurden aufgebracht, mit Geschichten über Gräultaten der Garde in fernen Teilen des Landes ausgeschmückt, dann rief irgendjemand die Erinnerung an die gute Zeit vor dem Kommen von Edred und der Garde wach - und unweigerlich kam der ausländische Händler oder die vorwitzige Magd mit Spott über den Mangel an Patriotismus der Anwesenden.

    Tanred war erstaunt wie gut dieses einfache Rezept die Gefühle der Menschen in Wallung brachte, aber es funktionierte praktisch jedes Mal. Nachdem der Händler die Tür hinter sich geschlossen hatte oder die Magd abgezogen war, brauchte keiner der Gaukler mehr ein Wort zu sagen, es lief alles wie von selbst weiter.

    Aber wohin?

    Tanred betrachtete nachdenklich einen kahlen Busch in einiger Entfernung der Spuren von Ziegenzähnen an der Rinde zeigte, dann die Mauern einer Burg die sich ein paar Meilen entfernt auf einem Hügel stolz über die Dächer einer kleinen Siedlung erhob.

    Was würden die Menschen wirklich tun wenn sie auf die Garde stießen? Nur Schimpfworte rufen und Steine werfen? Oder wirklich zur Gewalt greifen?

    Und was würde die Garde dann tun? Was, wenn alles aus dem Ruder lief, wenn die Garde ernsthaft Vergeltung anstrebte?

    Er hatte erlebt wie sie sein Dorf ausgelöscht hatten... Und alles was er bei Alfrec gelernt hatte ließ nur einen Schluß zu - ein Mann der spontan zu einer Waffe greift, hat keine Chance gegen einen erfahrenen und ausgebildeten Soldaten. Viele Menschen die zur Waffe griffen? Vielleicht... aber nur wenn es genug waren.

    Er seufzte. Die warmen Strahlen der Sonne erschienen auf einmal kühler.

    Der Plan der Kerrinsmänner war komplexer als nur Unruhe zu stiften. Der unauffällige Wagen der Gaukler wurde in einiger Entfernung von bewaffneten Truppen begleitet - hier kamen Vindric und Andel ins Spiel. Die beiden Ritter sammelten Kerrinsmänner die sich schon bereit hielten - teilweise seit Jahren - und gliederten sie in ihre eigenen Trupps von Bewaffneten aus Kerst ein. Und diese Truppen würden die eigentlichen Konfrontationen mit der Garde übernehmen wenn sie Verstärkung brachte - nicht wütende Bauern und Schäfer, sondern einigermaßen ausgebilete Rebellen unter Führung von Rittern.

    Wenn alles gut ging...

    Am Ende war es Wulfgars Aufgabe, diejendigen aus den Dörfern zu rekrutieren die tatsächlich kampfbereit waren - er würde mit ein oder zwei Wochen Abstand nachfolgen und in den Tavernen rekrutieren um dann die Nachhut der Rebellen zu bilden. Irgendwo würden auch noch drei Hundertschaften Bogenschützen und ein Dutzend Reiter aus Eschgeir zu ihnen stoßen, Armbrustschützen die sich heimlich bei Erbor auf diesen Tag vorbereitet hatten, Ritter aus Hasted...

    Tanred versuchte sich vorzustellen wo sich Waffen für all diese Männer finden würden, wie sie zu Essen bekommen würden, aber er scheiterte. Es schien unmöglich all das unter den Augen der Garde zu tun. Und doch hatte Perren jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet, und alles schien bereit zu sein.

    Nur - was wenn nicht?

  • Trockenes Heidekraut knisterte unter Tanreds Füßen als er den niedrigen Hügelrücken überquerte. Mondlicht fiel nur spärlich durch Lücken in der Wolkendecke auf das Land, aber es reichte aus um sich gut zu orientieren. Zu seiner Linken ragte ein Turm wie ein bleicher, mahnender Finger in der Entfernung auf, und vor ihm, wo das Gelände wieder abfiel, war das Rauschen eines Bachs zu hören. Unten, geschützt im Tal, war ein kleines Wäldchen, und wenn er genau hinsah, konnte er zwischen den Bäumen flackernden Feuerschein erkennen.

    Er kauerte sich in die Heide und lauschte. Die Nacht war still, nur ein sanfter Wind raschelte in den niedrigen Sträuchern. Irgendwo in Richtung des Turms bellte ein Hund. Aus dem Tal war außer Wasser nichts zu hören, der Wind stand falsch. Es war auch keine Bewegung zu sehen, weder unten bei den Bäumen noch auf den steinigen Hängen davor.

    In einer inzwischen fast automatischen Bewegung wanderte seine Hand über die Schulter um den Gurt seines Langschwerts zurecht zu ziehen, dann zu dem Griff des Dolchs an seinem Gürtel. Es beruhigt ihn irgendwie, die Waffen zu prüfen. Dann machte er sich vorsichtig wieder auf den Weg, zum Bach hinunter. Er hielt immer wieder an um zu lauschen, blickte auch zurück um zu sehen ob ihm jemand folgte, aber niemand war zu sehen.

    Sobald er den Talgrund erreicht hatte, huschte er leichtfüßig in Richtung des Wäldchens, da wo er von oben das Feuer gesehen hatte, um dann in den Schatten der Bäume zu tauchen.

    "Bleib stehen!", herrschte ihn plötzlich eine Stimme an. "Wer bist du?"

    Tanred blieb stehen und hob beide Hände. Sein Herz hämmerte wie wild obwohl er den Ruf erwartet hatte. Aber daß er den Wächter überhaupt nicht gesehen hatte... das war beunruhigend.

    "Ich bin Tanred", erklärte er. "Ein Kerrinsmann. Ich komme mit einer Nachricht für Andel."

    Einen Augenblick lang hatte er die Vorstellung es könnte alles eine Falle sein, als hätte die Garde das Lager schon überrannt, und unwillkürlich spannte er sich an während er sich ausmalte wie sich ein Finger langsam um den Abzug einer Armbrust krümmte. Der Moment dehnte sich, wurde fast endlos...

    "Also gut", rief die Stimme aus der Dunkelheit. "Komm langsam näher - geradeaus."

    Er sah den Mann erst aus vier Schritt Entfernung, und das auch nur weil er sich aus dem niedrigen Unterholz aufrichtete. Die Armbrust in seinen Händen zeigte in Tanreds Richtung, aber zu seiner Erleichterung nicht direkt auf ihn. Von einem übereifrigen Kerrinsmann auf Wache erschossen zu werden war auch nicht besser als durch die Hand von Edreds Soldaten zu sterben... Der Wächer musterte ihn einen Moment lang schweigend, dann nickte er.

    "Komm' mit", brummte er und schlug einen Trampelpfad ein der zwischen die Bäume führte ohne sich noch einmal nach Tanred umzublicken. Schweigend ragten die Bäume neben ihm auf - Erlen hauptsächlich, durchsetzt von Birken die gerade erst seit ein paar Tagen Blätter zeigten - und vertrocknete Äste knackten viel zu laut unter seinen Füßen als er dem Mann folgte der selber kaum Geräusche produzierte.

    Das Lager selbst lag in einer Senke deren Grund fast einen Klafter tiefer lag als der Waldboden und Tanred sah es erst ein paar Schritte vorher durch die Büsche, so gut war es getarnt. Mehrere kleine Feuer brannten, über einem hing ein Kessel. Männer saßen in kleinen Gruppen darum herum. Im Hintergrund waren Zelte zwischen Sträuchern zu sehen und in einiger Entfernung, nur schemenhaft erkennbar im flackernden Licht, waren Pferde angebunden. Insgesamt waren bestimmt drei Dutzend Mann zu sehen. Und überall waren Waffen - Speere gegeneinander gelehnt, Armbrüste die am Boden lagen, Äxte und Kurzschwerter neben den Feuern und Dolche an den Gürteln.

    Rebellen blickten auf als Tanred und sein Führer vorsichtig die Böschung hinunterstiegen und dann zwischen den Feuerstellen über den moosigen Grund durch das Lager gingen. Einige nickten ihnen zu, andere hoben die Hand zum Gruß bevor sie sich wieder ihren Gesprächen zuwandten, aber die meisten hoben nicht einmal den Kopf. Die Stimmung war eigenartig, es schien etwas in der Luft zu hängen das Tanred schwer zu fassen fand. In manchen Blicken lag \emph{etwas}, flackernd und unstet, fast eine Art von Ekel oder Entsetzen, andere hingegen schienen fast von manischer Energie erfüllt, ihre Gesten unnatürlich ausladend - auch wenn sie ihre Stimmen nicht erheben konnten.

    Andel saß mit drei anderen an einem Feuer ein wenig abseits, die niedrigen Flammen ließen sein Gesicht wie eine gespenstische Maske erscheinen und sein Kettenhemd blutrot glänzen. Mit sparsamen, methodischen Bewegungen schärfte er sein Schwert während er leise mit seinen Gefährten Worte wechselte.

    Erst als er den jungen Ritter sah begriff Tanred plötzlich, was hier im Lager in der Luft lag. Die Truppe hatte einen Kampf hinter sich.

  • Andel blickte auf als Tanred sich mit ans Feuer setzte, legte seine Waffe zur Seite und reichte Tanred einen Becher.

    "Bier?", fragte er.

    Tanred nickte und griff nach dem abgebotenen Getränk. Er konnte gerade einen Schluck vertragen...

    "Das ist Tanred", erklärte Andel zu seinen Gefährten gewandt. "Ein Kerrinsmann und Vertrauter von Graf Sigwulf. Merkt euch sein Gesicht - er wird euch vermutlich öfter begegnen." Dann zeigte er reihum auf die drei Männer am Feuer.

    "Runstan", stellte er einen graubärtigen Mann mit wettergegerbtem Gesicht vor der Tanred an einen Schäfer erinnerte. "Notger - beide meine Unterführer." Der letztere war ein gedrungener, kräftiger Mann mit einem langen, dunklen Bart und fast kahlem Schädel der mit seinen kräftigen Armen ein Schmied gewesen sein mochte. "Und Sigwart, mein Waffenknecht."

    Tanred musterte den jungen Mann. Irgendetwas war seltsam an diesem Waffenknecht... Der junge Mann hatte feine Gesichtszüge die von kurzem, hellen Haar umrahmt wurden und nicht mal den Ansatz eines Bartes...

    "Bitte laßt uns einen Moment alleine", sagte Andel, und die anderen drei nickten Tanred zu und erhoben sich. Tanred beobachtete immer noch Sigwart - der Junge war hochgewachsen und schlank, mit einer schmalen Taille...

    "Sigwart?!", fragte Tanred fast ungläubig als die drei ein paar Schritte entfernt waren.

    Andel sah ihn einen Moment verwirrt an und schüttelte dann den Kopf.

    "Manchmal ist es einfach zu vergessen, daß du keiner von uns bist...", murmelte er. "Sigwarts Familie, das Haus zu Hoheneck, stellt der meinen seit Generationen einen Waffenknecht", begann er dann zu erklären. "Der älteste Sohn der Familie ist allerdings vor drei Jahren am Knochenfieber gestorben, und die Tradition gestattet daß wenn kein anderer Sohn im richtigen Alter ist, auch eine Tochter den Dienst antreten kann und auf diese Weise für diese Zeit zum Sohn wird. Sigrun zu Hoheneck hat sich als Sigwart zum Dienst bei mir gemeldet - und ich werde ganz sicher nicht die Ehre eines treuen Vasallen beschmutzen indem ich diesen Dienst zurückweise!"

    "Aber...", begann Tanred ohne zu wissen wohin sein Gedanke eigentlich führen sollte. Die Idee daß eine Frau sich einfach so als Waffenknecht ausgab erschien ihm einfach nur falsch, als Hohn auf die Gebote Ädons.

    "Kein aber, Tanred!", sagte Andel scharf. "Sigwart ist mein Waffenknecht, und die Sache endet hier! Es ist nicht deine Angelegenheit! Was ist deine Nachricht?"

    Tanred schaute der jungen Frau nach die sich an einem anderen Feuer niederließ, schüttelte den Kopf und blickte dann wieder auf den Ritter.

    "Perren sagt, übermorgen zu Sonnenuntergang, an der Gundamühle ...", richtete er aus. Die Worte sagten Tanred wenig. Für einen langen Marsch über die nächtliche Heide schien ihm die Botschaft auch sehr dürr zu sein, besonders weil er noch den ganzen Rückweg vor sich hatte, aber sein Anführer hatte ihn nunmal geschickt und Andel schien etwas damit anfangen zu können.

    "In Ordnung - dann richte Perren aus daß heute alles gut gegangen ist, und daß wir übermorgen zur Stelle sein werden."

    "Es gab einen Kampf, oder?", fragte Tanred. "Heute?"

    Andel sah ihn einen Moment lang scharf an, zuckte dann aber mit den Schultern und nickte.

    "Ja", antwortete er. "Als Überbringer der Botschaft solltest du so etwas eigentlich nicht unbedingt wissen, aber ich denke es ist kein großes Geheimnis, spätestens in zwei Tagen redet eh die ganze Gegend davon. Wir haben einen Posten der Garde an der Straße überfallen. Und den Trupp der als Ablösung kommen sollte. Mehr ein Hinterhalt als ein wirkliches Gefecht..."

    Im Gesicht des Ritters war wenig von der nervösen Unruhe zu sehen die sich in den Mienen so vieler anderer gezeigt hatte, und auch seine Stimme blieb ruhig, ohne jedes Zittern. Aber wahrscheinlich war es nicht der erste Kampf für ihn... Andel sah zwar jung aus, aber er war vermutlich alt genug daß er vor sechs Jahren, als Edred die Macht an sich gerissen hatte, schon mit in den Kampf gezogen war. Vermutlich sogar unter Perrens Kommando... Der erste Kampf auf Leben und Tod war der schlimmste, das sagten alle... Obwohl Tanred sich alles andere als sicher war daß es stimmte. Er hatte nur noch schemenhafte Erinnerungen an das Gefecht bei der Kreuzung, es war alles zu schnell gegangen... An seinen zweiten Kampf und an das Gefühl gleich sterben zu müssen hingegen erinnerte er sich hingegen nur allzu gut...

    Andel blickte ihn fragend an. Tanred fuhr sich müde durch das Gesicht und trank den Rest des Biers aus.

    "Dann mache ich mich wohl besser auf den Rückweg...", murmelte er. "Wenn das die ganze Botschaft ist... Dann kann ich wenigstens versuchen noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen."

    Andel nickte ihm zu und ein kurzes, trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht.

    "Nicht der glorreiche Feldzug aus den Geschichten, so eine Rebellion...", sagte er leise, als ob er Tanreds Gedanken gelesen hätte. "Sondern viele lange Nächte, noch längere Märsche, durchwachte Nächte, Zweifel und Müdigkeit... Aber davon erzählt niemand."

  • Mit jedem Tag den sie nach Westen zogen kam der Frühling näher. Zwischen den gelben Halmen auf den Wiesen und auf den dunklen Äckern zeigte sich nach nächtlichen Regenfällen immer öfter frisches Grün, gelbes Sonnenauge und weißer Wiesenstern blühte neben den Wegen und endlich öffneten sich auch an den Bäumen die Knospen und die ersten Blätter streckten sich der Sonne entgegen.

    Das Land wurde flacher und die Bäume wurden dichter als sie in die Ausläufer der großen Wälder eindrangen, und gleichzeitig wurden die Dörfer größer und wohlhabender. Statt Hirten die ihre Schafe auf der kargen Heide weiden ließen lebten hier eher Bauern die ihre Äcker bestellten, sich um Obstbäume kümmerten oder Vieh auf fetten Wiesen weiden ließen, statt niedrigen Behausungen aus Feldstein die sich in den Windschatten der Hügel duckten standen eher schmucke Häuser in Fachwerkbauweise mit strohgedeckten Ställen und Scheunen als Anbauten, und die Türme von Ädonshäusern reckten sich stolz in den Himmel.

    Auch die Burgen die Tanred vom Weg aus gesehen hatte waren größer - nicht mehr nur einfache Türme in die sich ihre Besitzer in der Not zurückziehen konnten und um die herum sich andere Gebäude scharten, sondern immer mehr komplett ummauerte Höfe mit massiven Wehrtürmen, Toren und aus Stein errichteten Wohngebäuden.

    Für die Gaukler bedeutete all das nicht nur mehr Kupfer wenn sie Musik machten, Geschichten erzählten, Twenn anred jonglierte oder Vinlind Münzen verschwinden ließ, sondern auch Konkurrenz. Sie waren nicht mehr die einzigen Gaukler unterwegs.

    Die Truppe die der Prinzipal Perren im letzten Jahr geführt hatte war nur am Veneranstag in Terred in die Verlegenheit gekommen um die Aufmerksamkeit des Publikums zu buhlen. Die Truppe von Ketran mit Anduas den Lautenspieler traf immer wieder auf andere Musikanten - die mitunter auch besser waren und ihnen Gelegenheiten wie zu Hochzeiten aufzuspielen einfach abjagen konnten.

    Tanred dachte ungern an den letzten Abend zurück während er auf einen nahen Wald starrte, an das entschuldigende Gesicht der Wirtsfrau die die Gaukler aus der Taverne komplimentiert hatte und Ketrans unterdrückte Enttäuschung und die Wut in Rocas' Augen. Es sollte keine Rolle spielen, es war nur Tarnung und erfolglose Gaukler waren unauffälliger als erfolgreiche - aber trotzdem, es ärgerte auch ihn. Er wußte nur zu gut was die Truppe früher gekonnt hatte und immer noch gekonnt hätte wenn sie denn vollständig gewesen wäre...

    Aber es halt eben nichts... Jetzt waren sie eben eine kleine Truppe von Musikern die mit einem schäbigen Wagen über die Wege zogen.

    Unter lauten Rufen begann sich in dem Waldstück auf das Tanred blickte ein Baum zu neigen, dann krachte er ins Unterholz. Blätter wirbelten auf. Einen Moment herrschte Stille bevor zwei Äxte wieder ansetzten um den nächsten Stamm zu schlagen.

    Jetzt war die Zeit, Brennholz für den Winter zu machen das dann über den Sommer trocknen konnte. Für ein Dorf war das ein größeres Unternehmen bei dem häufig auch der Ritter mit dabei war, das alles wußte er noch zu gut aus seiner Kindheit. Die gefallenen Bäume mußten an Ort und Stelle von Ästen befreit werden, dann konnten sie mit Pferden aus dem Wald gezogen werden, die besten davon mußten schnell zu Brettern gesägt werden bevor sie von Pilzen befallen werden konnten, die anderen mußen später zu Kleinholz verarbeitet werden das die Dorfkinder dann aufstapeln mußten. Und es war eine gefährliche Arbeit, ein Stamm konnte dumm fallen und einen Mann unter sich begraben, oder beim Fallen splittern und einem Holzfäller den Arm abreißen... Alle waren erleichtert gewesen wenn das Brennholz für das Jahr endlich gemacht war.

    Vor den Gauklern am Weg waren schon einige fertige Stämme am Wegesrand aufgestapelt. Ein Pferdegespann zog einen weiteren aus dem Wald, aber es schien im Morast stecken geblieben zu sein, jedenfalls schien auch Schreien und Fluchen die Ladung nicht weiter zu bewegen und mehr und mehr Helfer kamen aus dem Unterholz um zu versuchen den schweren Baumstamm wieder auf trockeneren Untergrund zu bringen.

    Unberührt von all dem Trubel saß eine schmale Gestalt in einer Lederweste auf den Stämmen. Als die Gaukler näher kamen erhob sie sich und schlug eine erdfarbene Gugel zurück. Mit einem leisen Schock erkannte Tanred fuchsrotes Haar das in einem langen Zopf nach hinten hing, tiefgrüne Augen und ein Gesicht das von einigen Sommersprossen verziert war.

    Es war das Mädchen das er in Eschgeir gesehen hatte, die Tochter der Herzogin.

    Felua, die Hexe die sich in einen Fuchs verwandeln konnte.