Mittelalterlicher Schwertkampf

Es gibt 26 Antworten in diesem Thema, welches 2.010 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (14. Mai 2025 um 16:08) ist von Thorsten.

  • Alcarinque

    Bitte nimm' es nicht persoenlich wenn ich mich hier eher skeptisch zeige - es ist professionelle Skepsis. Ich versuche seit ich mit Schwetkampf angefangen habe zu verstehen was der historische Kontext ist, was in den Manuskripten eigentlich gesagt wird, was deren Annahmen fuer das Vorwissen der Leser eigentlich sind und was moegliche Unterschiede zwischen dem was wir lernen und der Fechtkunst im Mittelalter ist.

    Die Quellenlage ist... schwierig. Angaben auf vielen Seiten widersprechen sich. Ein Typ aus Helsinki dessen YouTube Videos eigentlich ziemlich fundiert und plausibel erscheinen beruft sich trotzdem hier und da auf physikalische Unmoeglichkeiten. Wenn man zur Wikingerzeit zurueckgeht werden Angaben von irgendjemandem abgeschrieben - aber wenn ich in ein archaeologisches Paper ueber die relevante Ausgrabung schaue, dann steht da wieder was ganz anderes. Ich hab' deswegen viel versucht die Grundlagen zu verstehen und Physik, Metallurgie, die Manuskripte, Biomechanik etc. angeschaut (statt von den Anwendern zu lesen).

    Ich versuche einfach - nicht zuletzt weil ich drueber schreibe - zu verstehen wie Schwertkampf funktioniert.

    Bei deinen Angaben hier

    Federn sind halt eben extrem auf Geschwindigkeit getrimmt. Sie sind leicht, haben einen viel längeren Griff etc. Mit schwertförmigen Trainingsschwertern ändert sich auch die Art des Freikampfes. Da geht es nicht mehr nur um Geschwindigkeit sondern auch mehr um Kontrolle, Bindung Impuls etc.

    Ich glaub auch nicht das es mit Trainingsschwertern wirklich viel gefährlich ist:

    habe ich eben bei Recherchen in (englischsprachigen) Foren schon das komplette Gegenteil gehoert. Also - Stand meiner Recherche zu den Unterschieden zwischen scharfem Schwert, stumpfem Schwert und Feder ist folgener:

    Ein scharfes Schwert handhabt sich besser als ein stumpfes

    Der Grund der dafuer angegeben wird ist dass beim Schleifen Material weggenommen wird. Ich hab's nie mit einem Schwert probiert, aber ich habe den Wikingerschild den wir bauen auf ein historisch belegtes Profil geschliffen statt ihn ueberall auf der gleichen Dicke zu lassen - da gingen gut 10% vom Gewicht weg, und weil das primaer aussen weggenommen wurde, geht das Traegheitsmoment runter - der Schild laesst sich schneller drehen.

    Bei einem Schwert wuerde man Material von oberhalb des Schwerpunkts entfernen - der Schwerpunkt wuerde tendenziell naeher zur rechten Hand wandern und das Traegheitsmoment fuer Hiebe wuerde sinken weil Material eher weit vom Schwerpunkt entfernt wird - qualitativ stimmt das also, ein geschliffnes Schwert wird schneller. Wie gross der Effekt quantitiativ ist weiss ich nicht, aber ich halte die These fuer plausibel.

    Ein stumpfes Schwert ist beim Sparring gefaehrlicher als eine Feder

    Hier hatte ich mehrere Leute gefunden die sich - nach einschlaegigen Verletzungen - aus Sicherheitsgruenden einfach weigern mit jemandem zu sparren der keine Feder verwenden will.

    Die Physik gibt mir hier zwei Aspekte in die Hand: Einmal die Biegesteifigkeit entlang der Schnittebene. Die ist bei Schwert und Feder viel hoeher als quer dazu (wo sich die Klinge normalerweise biegt), aber (aufgrund der groesseren Breite der Klinge) beim stumpfen Schwert nochmal ein gutes Stueck hoeher als bei der Feder.

    Bei einem Einschlag auf ein hartes Target skaliert die hoechste wirkende Kraft mit der Biegesteifigkeit - wenn die beim Schwert einen Faktor 10 hoeher ist (und das praktisch gar nicht nachgibt) als bei der Feder (die vielleicht ein bisschen nachgibt) dann ist auch die Kraftspitze die wirkt 10x hoeher.

    Bei einem Treffer auf ein Gambeson bildet die Dicke des Gambeson die Knautschzone und wie sehr das Schwert nachgibt ist irrelevant, aber bei einem Treffer auf Maske oder Hartplastik (Handschuh...) halte ich es fuer ziemlich sicher dass ein stumpfes Schwert mehr Zerstoerungspotential hat. Der Effekt wird verschlimmert dadurch dass die Kraft beim stumpfen Schwert auf eine kleinere Flaeche wirkt (die stumpfe Schneide ist immer noch schmaeler als die 'Schneide' der Feder). Das Risiko eine Maske oder einen Handschuh einfach durchzuhauen schaetze ich deswegen mit einem Schwert deutlich hoeher ein.

    Die zweite Frage ist die Biegesteifigkeit bei einem Stich (also quer zur Schnittebene). Die ist in beiden Faellen geringer, auf Anhieb kann ich nicht sagen was da steifer (und damit gefaehrlicher) ist - ich wuerde grob sagen dass das eine metallurgische Frage ist - welcher Stahl wurde da verwendet? Fuer ein Schwert das echt verletzen und auch durch eine Ruestung durchgestossen werden soll soll wuerde ich einen steiferen Stahl verwenden als fuer eine Uebungswaffe. Generell sind da die Federn die wir haben auch nicht identisch - meine eigene ist eher auf der steifen Seite, was der Verein fuers Turnier austeilt deutlich leichter und biegsamer.

    Eine Feder ist gemacht um die Charakteristik eines scharfen Schwerts abzubilden

    Ich hab' das Statement auf mehreren Webseiten gefunden, generell ist die Frage - welches Schwert, welche Feder? Wir haben - wie oben erwaehnt - ja eine gewisse Bandbreite bei Gewicht, Biegsamkeit und sogar Laenge und aehnlich ist das wohl bei Schwertern auch, die waren kaum standardisiert.

    Generell halte ich es fuer moeglich eine Feder zu bauen die um die Achse die fuer einen Hieb benutzt wird das gleiche Traegheitsmoment hat wie ein scharfes Schwert. Diese Feder waere dann - siehe These #1 - auch in gewissem Massschneller als ein stumpfes Schwert.

    Verglichen mit den Waffen die ich in Hämeenlinna auf dem Mittelaltermarkt in der Hand hatte wirken die Federn sehr durchdacht und gut geplant was Lage des Schwerpunkts oder Rotationsverhalten angeht. Ich halte die These daher fuer plausibel, aber schwer zu beweisen.

    Scharfe Schwerter beissen bei Kontakt ineinander, Federn nicht

    Und das aendert das Bindungsverhalten und macht Fuehlen bei Schwertern einfacher. Das konnte ich praktisch ueberall hoeren und lesen und wird nicht bestritten, die Frage ist - in welchem Mass?

    Offensichtlich muss es davon abhaengen wie scharf genau ein Schwert geschliffen ist. Zumindest bei meinem Abstecher zu stumpfen Einhandschwertern konnte ich keinen dramatischen Unterschied zur Feder feststellen, eher graduell. Die Frage ist dann - ist der Unterschied in der Praxis eher klein, oder waren die Schwerter nicht scharf genug?

    Man kann mit einer Feder definitiv Aktionen nach Lehrbuch aus der Bindung fechten - ich hatte gestern Gelegenheit Minna und Saara beim Sparring zu beobachten, und die haben das sehr viel gemacht. Aber mir fehlt der Vergleich, da wuerde ich wirklich gerne mal testen wie sich der Unterschied anfuehlt.

    ***

    Soweit zu meinen Recherchen:) - hier ist meine Feder, einmal Gesamtbild, einmal Profil:

  • Uh, spannend, und klar im Detail kannst du das sicher um ein vielfaches besser Berechnen und beurteilen. Ich würde auch nicht behaupten das ein Meisterhau die selbe Energie hat wie ein durchgezogener Schlag, da ist klar das beim Durchgezogenen mehr Kraft drauf kommen kann.
    Gleichzeitig aber natürlich auch ein Kontrollverlust, da man die Klinge dann erst wieder bremsen muss und im blödesten Fall ungedeckt da steht. (Wobei das heutzutage vermutlich eher nicht mehr so vorkommt, da das ja alle wissen. ^^)

    Der Meisterhau soll ja hier nicht im 90° Winkel 1:1 Kraft gegen Kraft sein und stumpf blocken (außer im Notfall natürlich, aber dann ist es kein Meisterhau merh), sondern die Schnittebene brechen. Und das man, sollte das nicht irgendwie nicht geklappt habe, steht man immer noch in Stich-/Bedrohungsposition.

    Ich glaub, und da bin ich grad am Grübeln, das es bei einer Feder auch tatsächlich schwieriger ist, die Schnittebene zu brechen. Zum einen weil die Klinge so extrem "weich" ist, aber auch, weil man durch den merklich längeren Griff auch den Schlag viel viel einfacher beeinflussen kann. Dadurch kann es gut sein, das das Brechen in der Form gar nicht klappt. :hmm:
    Müsste ich echt mal Testen, mal schauen wann ich es wieder mal zum Training schaffe, der Austausch motiviert mich grad immer mehr...

    Mein Freikampferfahrung bezieht sich natürlich auch primär auf meinen Verein, bei dem der Wettbewerbsgedanken nicht so groß ist. Was im Turnierkampf inzwischen so abgeht ist da eine ganz andere Liga. Kann also gut sein, das das bei uns etwas entspannter und entsprechend nicht so gefährlich ist. :hmm:
    Denn ja, ich verstehe durchaus das man das was im Turnierkampf so gemacht wird, besser mit Federn gefochten wird. (Was wiederum den Turnierkampf beeinflusst). Das habe ich teilweise Live beobachtet wie sich beim Drey-Event (Jährliches internationales Fechtertreffen in Wien) sich die Turnierwaffe mehr zur Feder verschoben hat, weil die einem im Tournier mehr Vorteile gibt, was dann wiederum die Art des Turnierkampfs verändert. Das hist. Turnierfechten spaltet sich da vom hist. Rekonstruktionsfechten immer mehr ab. Wobei die meisten vermutlich irgendwie dazwischen sind. ^^

    Zum Trainingsschwert: Ein gutes Trainingsschwert versucht natürlich die physikalischen Eigenschaften eines Originalen, scharfen Schwertes so gut wie möglich zu kopieren. Sowohl Fechter als auch Schmiede beschäftigen sich da durchaus auch mit Originalen, vermessen und vergleichen diese um da so nahe wie möglich dran zu kommen (was sehr faszinierend ist wenn man das mal mitmachen kann).
    Entsprechend sind das natürlich nicht einfach nur 1:1 Kopien von Originalen die man stumpf gelassen hat, sondern es wird versucht das Gewicht anders zu verteilen, für die breiteren Ränder (nich ) wird der Schwertquerschnitt etwas verdünnert, die Hohlkehle etwas vergrößert etc. Wenn man die Scharf schleifen würde, würden die gar nichts taugen... XD

    Wirklich relevant sind bei einem Schwert ja Schwingungspunkt und Drehpunkt. Speziell der Drehpunkt gibt einem zum Teil tatsächlich vor wie man das Schwert verwenden musst/soll für optimalen Nutzen.
    Meine beiden Einhänder sind da komplette Gegenteile: Das eine hat den Drehpunkt vor der Klinge, wenn ich den Ort nach vorne ausrichte dreht es sich um diesen Punkt etwas 10cm davor, dafür kosten Drehungen im Schlag mehr Kraft.
    Das zweite hat den Drehpunkt mitten in der Klinge, wenn ich da versuche das um den Ort zu drehen, geht das einfach gar nicht, dafür kann ich damit super schnell in Schlag drehen und die (Angriffs)Richtung ändern.

    Wenn das in Finnland ähnlich ist wie in Mitteleuropa kannst du davon ausgehen das 90% der Händler auf den Märkten einfach nur Schrott verkaufen. Schwertförmige Eisenbahnschienen. :S
    Die kann man halt nicht mit einem guten Trainingsschwert vergleichen. Ohne diese ist ein Vergleich mit einer Feder halt schwierig...
    (Meine anderen Trainingswaffen habe ich übrigens von Pavel Moc https://web.swords.cz/ wie aktiv der im Moment aber ist, kann ich nicht beurteilen)

    Der einzige Unterschied den ich zwischen Scharfem und Trainingsschwert feststellen konnte, war das verbeißen. Wenn man sich halt im 90° Winkel getroffen hat, gab es kein Abgleiten in jedweger Form. Da musste dann die Klinge gedreht werden damit das Abgleiten klappt (wie es teils ja durchaus auch in den Fechtbüchern erwähnt wird). Ansonsten waren die die wir dafür haben in der normalen Varianz der (Trainings)Schwerter. (Aber natürlich fechtet man viel vorsichtiger und ich habe es auch nicht lange genug gemacht um wirklich alle Unterschiede zu bemerken)

    Danke für die Bilder! Unterscheidet sich von meine Feder tatsächlich nur in ein paar Details (die aber zur Sicherheit sicher nicht unwichtig sind. XD)
    Ich hab da grad mal Dreh- und Schwingungspunkt mit meinem Albion verglichen, und die sind tatsächlich sehr sehr ähnlich. Spannend.
    Bei Stichen sind meine Schwerter zwar nicht komplett hart, aber an die Flexibilität der Federn kommen die natürlich nicht ran.
    (Ist aber im Training auch klar das man da nicht mit 100% reinrammt...)


    @Schild: Meine ersten Gehversuche habe ich ja bei einem Alamannen-Verein gemacht, die dann auch mit Schwert und Schild gefochten haben. Im Nachhinein war das absoluter Blödsinn. Die Schwerter sahen zwar durchaus wie Spatas aus, waren aber so schwer, das es schon fast absurd war. XD
    Auch die Schild waren (wie wohl bei den meisten Reenactment Gruppe) eher auf der stabilen Seite, da man die ja fürs Training, Kämpfe, Aufführungen etc verwenden wollte und die entsprechend länger leben sollten. XD

    Historisch waren die aber teils wohl wesentlich kurzlebiger geplant: Ein dünneres Schild ist nicht nur leichter und schneller, es kann auch Klingen regelrecht "fangen" und durch eine Drehung des Schildes vielleicht sogar dem Gegner aus der Hand reißen. Für den nächsten Kampf wurde dann einfach ein Neues angefertigt...
    Wie sehr das nun stimmt oder ob das wie so oft eine Frage des Wann ist, kann ich nicht beurteilen, nicht wirklich meine Zeit. Aber oh Boy war der Kampf dynamischer und schneller als wir das mal tatsächlich mit leichten Schilden (und unseren mittelalterlichern Einhändern) probiert haben...

    Falken haben doofe Ohren

  • Gleichzeitig aber natürlich auch ein Kontrollverlust, da man die Klinge dann erst wieder bremsen muss und im blödesten Fall ungedeckt da steht. (Wobei das heutzutage vermutlich eher nicht mehr so vorkommt, da das ja alle wissen. ^^)

    Ja, das ist eine taktische Herausforderung die ich sehr spannend finde - wie viel 'commitment' ist wann richtig? Fiore hat viele plays wo man eigentlich richtig hart auf die gegnerische Klinge hauen muss damit das gut funktioniert - aber bei Liechtenauer finden wir dass man dann mit Durchwechseln kontert - wenn ein harter Hieb trifft dann hat man eine Bloesse die man gut nutzen kann - wenn der andere ausweicht hat er eine gute Bloesse. Fuer meine Begriffe kommt da viel Psychologie rein - was erwartet der andere grade, wie kann man ihn da ueberraschen?

    Der Meisterhau soll ja hier nicht im 90° Winkel 1:1 Kraft gegen Kraft sein und stumpf blocken (außer im Notfall natürlich, aber dann ist es kein Meisterhau merh), sondern die Schnittebene brechen.

    Zornhau die ziemlich brachiale 90 Grad Technik... auch Krumphau (wenn er nicht direkt gegen Ochs eingesetzt wird) geht eher zur Sache, die anderen sind subtiler, meines Erachtens basiert etwa der Schielhau viel darauf dass man die Schwaeche der gegnerischen Klinge mit der eigenen Staerke aufhaelt - und dann den oberen Teil des eigenen Schwerts trotzdem fuer den Hieb frei hat.

    Ich glaub, und da bin ich grad am Grübeln, das es bei einer Feder auch tatsächlich schwieriger ist, die Schnittebene zu brechen. Zum einen weil die Klinge so extrem "weich" ist, aber auch, weil man durch den merklich längeren Griff auch den Schlag viel viel einfacher beeinflussen kann.

    Lass mich wissen zu welchem Ergebnis Du kommst!

    Das hist. Turnierfechten spaltet sich da vom hist. Rekonstruktionsfechten immer mehr ab. Wobei die meisten vermutlich irgendwie dazwischen sind. ^^

    Ich weiss nicht... also, ich sehe schon was aehnliches, aber ich wuerde die Gruende anders benennen (?)

    Was im Turnier nach meiner Beobachtung (deutlich) anders ist:

    1) Es geht um gewinnen - wenn ich eine Technik gegen die der andere Probleme mit der Verteidigung hat ein halbes Dutzend Mal hintereinander mache, dann gewinne ich zweifellos den Austausch. Wenn ich das gleiche im Sparring mache, dann ist das einzige Ergebnis dass ich staendig was mache was ich schon kann und nichts lerne.

    2) Die Exit-Strategie spielt keine grosse Rolle. Wenn der andere zu spaet trifft bekommt er keinen Punkt - in real kann ein schon verletzter Gegner halt immer noch einen toedlichen Hieb setzen, so dass man auch wenn man schon getroffen hat beim Rueckzug gut abwehren muss - eine gute Technik ist erst dann vorbei wenn man in sicherer Distanz steht

    3) Turnierfechten erlaubt - und das ist fuer meine Begriffe wirklich ein no-go - 'destructive defense' . Das ist das Konzept einfach nicht abzuwehren, sondern wenn der andere den Kopf angreift einen Stich auf den Rumpf zu setzen, wenn er tief angreift einen Schlag auf den Kopf zu setzen - also bewusst Doppeltreffer zu provozieren. Auf diese Weise bekommt der 'destructive defender' recht verlaesslich 2 Punkte - entweder der Austausch endet unentschieden, oder wenn der Angreifer nur den Arm trifft gewinnt der Verteidiger einen Punkt.

    Das Konzept ist bei unseren Turnierfechtern - leider - unglaublich populaer - und historisch halt durch gar nichts zu rechtfertigen, das sind einfach dumme Wertungsregeln die da ausgenutzt werden.

    Was ich jetzt sehe ist, dass insbesondere 'destructive defense' ein recht schneller Weg ist in Turnierkaempfen ganz gut abzuschneiden. Aber meines Erachtens ist es halt auch eine Sackgasse.

    Fiore und Liechtenauer sind Systeme die entwickelt wurden gegen einen sehr unkooperativen Gegner zu gewinnen - ich waere sehr ueberrascht wenn sie das nicht tun wuerden - aber meiner Erfahrung nach tun sie das. Es gibt ein paar Fechter bei uns mit denen ich Sommer 2023 etwa on par war - die moegen technische Uebungen nicht so und machen lieber Sparring wenn sich die Gelegenheit bietet. Das Repertoire im Angriff besteht aus schnellen Stichen, direkten Hieben, hand-sniping und Fiore close play, in der Verteidigung nutzen sie meistens Blocks. Das war Sommer 2023 auch etwa mein Stand.

    Fast Forward zu Herbst 2024, fuer mich mehr als ein Jahr technische Uebungen und Versuche gelernte Techniken ins Sparring zu bringen - keiner von denen hat noch eine Chance gegen ein recht breit aufgestelltes Spektrum von ganz verschiedenen Angriffen, Finten, Meisterhauen etc. ueber die ich inzwischen verfuege.

    Fiore und Liechtenauer funktioniert - auch im Freikampf wenn der andere ueberhaupt nicht will dass die Techniken gegen ihn eingesetzt werden. Sogar gegen 'destructive defense' - auch wenn der Kampf dann eher langweilig und eindimensional wird. Ich kann damit auch Kaempfe unter Turnierbedingungen gewinnen - 'destructive defense' ist ein so einfaches Konzept dass man es mit speziellen Finten die verwenden dass der andere es benutzt gut aushebeln kann. Es macht nur so ueberhaupt keinen Spass - weswegen ich auf Freikampf ohne Wertungssystem stehe...:)

    Also - ja - ich hab' auch den Eindruck dass es eher historisch interessierte und eher wettkampforientierte Fechter gibt - aber ich glaube nicht dass man das so trennen muss, eigentlich wuerden einem die historischen Systeme auch im Wettkampf einen Vorteil geben. Das ist aber schwer zu sehen wenn man mal der Versuchung von 'destructive defense' verfallen ist - die Gewohnheit wieder abzutrainieren und statt dessen erst mal durch die Durststrecke zu gehen und nach System fechten zu lernen - wo halt erst mal Aktionen einfach in die Hose gehen - das ist dann schon hart.

    Huh, so viel interessantes Material. Ich glaube ich gebe meine Gedanken zu Waffe und Schild wann anders zum Besten...:)

  • Entsprechend sind das natürlich nicht einfach nur 1:1 Kopien von Originalen die man stumpf gelassen hat, sondern es wird versucht das Gewicht anders zu verteilen, für die breiteren Ränder (nich ) wird der Schwertquerschnitt etwas verdünnert, die Hohlkehle etwas vergrößert etc. Wenn man die Scharf schleifen würde, würden die gar nichts taugen... XD

    Klingt sehr durchdacht. Ich schaetze man muss halt den richtigen Schmied finden der sowas macht... :)

    Meine beiden Einhänder sind da komplette Gegenteile: Das eine hat den Drehpunkt vor der Klinge, wenn ich den Ort nach vorne ausrichte dreht es sich um diesen Punkt etwas 10cm davor, dafür kosten Drehungen im Schlag mehr Kraft.
    Das zweite hat den Drehpunkt mitten in der Klinge, wenn ich da versuche das um den Ort zu drehen, geht das einfach gar nicht, dafür kann ich damit super schnell in Schlag drehen und die (Angriffs)Richtung ändern.

    Das finde ich jetzt sehr interessant - ich war irgendwie der Meinung es gibt halt ein Optimum, aber was Du da schreibst ist um einiges komplexer.

    (Ist aber im Training auch klar das man da nicht mit 100% reinrammt...)

    Aktionen die mit Absicht stattfinden sind nie das Problem - einer geht vor waehrend der andere die gleiche Idee hat - und ploetzlich rennt man mitten in den Stahl rein - so holt man sich eine Prellung die 6 Wochen weh tut...

    Die gefaehrlichen Situationen im Freikampf sind eigentlich nie gewollt, sondern es passiert irgendwas total bloedes weil der eine denkt dass X passiert aber der andere macht was ganz anderes:(

    ich war da anfangs auch ein bisschen blauaeugig was Sicherheit anbelangt - aber nachdem ich drei oder vier richtig dumme Situationen erlebt habe - lieber ein bisschen mehr Sicherheit...

    Historisch waren die aber teils wohl wesentlich kurzlebiger geplant: Ein dünneres Schild ist nicht nur leichter und schneller, es kann auch Klingen regelrecht "fangen" und durch eine Drehung des Schildes vielleicht sogar dem Gegner aus der Hand reißen. Für den nächsten Kampf wurde dann einfach ein Neues angefertigt...

    Ja, falls Du davon ausgehst dass historisch damit primaer Einzelkampf gemacht wurde stimmt das schon.

    Ich hab' jetzt speziell Wikingerschilde recherchiert und bin zur gegenteiligen Ueberzeugung gekommen. Die Schilde die man heute baut sind zu leicht.

    Einmal glaube ich dass 95% oder mehr der Einsaetze dieser Schilde in Schlachreihen waren. Da ist das nicht so lustig wenn sich eine Waffe drin verfaengt, weil die Verhaeltnisse andersrum als beim Einzelkampf sind - wenn der Schild zur Seite gezogen werden kann ist der Schildwall da durchbrochen, ob ein einzelner in der Reihe jetzt angreifen kann oder ueberhaupt eine Waffe hat ist eher irrelevant. Auch wenn der Schild mitten im Schildwall kaputt geht - nicht so toll.

    Hier hab' ich einen 40# Langbogen - der schlaegt ganz ordentlich ins Ziel ein. Fuer militaerische Zwecke war das eher lasch - die englischen Langbogenschuetzen sind teilweise bis 160# gegangen, das waren Stahlpanzer-brechende Waffen. Wenn ich mich hinter einem Schild gegen Pfeile verstecken will, dann moechte ich dass da gut Material zwischen mir und der Pfeilspitze ist.

    Gefundene Wikingerschilde haben 80-90 cm Durchmesser und sind typischerweise 6-12 mm dick - in Ausnahmen sogar 30 mm. Nur, das Paper dass ich ueber die Gokstad-Funde ausgegraben habe ist sehr explizit - 8 mm Holzbrett haelt keine Axt aus, nicht mal annaehernd, die Schilde waren ziemlich sicher mit Leder ueberzogen.

    Die Sagas beschreiben wie Wikinger mit Schilden als Behelfstrage vom Schlachtfeld geschleppt wurden - 6 mm Holz haelt sicher nicht das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes.

    Die Archaeologen schaetzen dass Schilde die mit Leder ueberzogen wurden so zwischen 4.5 und 5.5 kg gewogen haben, wenn sie tatsaechlich mit Eisen eingefasst waren wie in Quellen beschrieben auch bis zu 7 kg. Das ist ein Gewicht das man in der Schlachtreihe nachgewiesenermassen gut tragen kann - griechische Phalanx-Schilde und roemische Schilde sind etwa in dieser Kategorie (7-9 kg).

    Dann kommt Roland Warzecha und sagt 'ich kann ein 2.5 kg Wikingerschild bauen und damit wie mit einem Buckler fechten' - und alle finden das ganz toll - weil, damit kann man besser fechten.

    Heute haben wir Sperrholz als Material - das ist bei gleicher Dicke viel stabiler als die Bretter die die Wikinger hatten, natuerlich kann man mit 6 mm Sperrholz einen Schild bauen der leicht ist und einiges aushaelt. Die Wikinger konnten das halt nicht.

    Ich denke ich wuerde nicht mit 2.5 kg Schild in der Schlachtreihe oder einem Pfeilhagel stehen wollen - das ist ein Rezept schnell abgeschlachtet zu werden. Beim Sparring ist das natuerlich cool - aber im Einzelkampf? Wie lange dauert ein echter Kampf auf Leben und Tod? Weniger als eine Minute wuerde ich schaetzen - das schaffe ich grade noch mit 5 kg an der linken Hand.

    Also, ich glaube da ist viel Wunschdenken dabei, der Sinn von leichten Schilden erschliesst sich mir nicht wenn ich daran denke wie die meistens verwendet wurden.

  • Das Problem mit den Techniken und Trainingspartner die sich drauf einlassen:

    Okay, da habe ich jetzt ein aktuelles Experiment dazu... Hier beginnt grade die Turniervorbereitung fuer Helsinki Open - was bedeutet dass alle die da teilnehmen instantan ihre technischen Finessen in den Eimer treten.

    Ich hab' das am Montag mit Minna gesehen wo wir bei einem kurzen 'King of the Hill' 5 (!) Doppeltreffer hintereinander hatten - im Wesentlichen versucht sie grade nicht mal sich zu verteidigen, sondern wenn ein Angriff kommt versucht sie da einen Treffer zu setzen wo frei ist und hofft dass der Angriff nicht sitzt oder weniger Punkte bringt.

    Nach zwei Tagen nachgruebeln ueber diese 'Taktik' bin ich am Mittwoch mit ein paar Ideen von Liechtenauer und Fiore gekommen was ich dagegen tun koennte. Die Idee war eine minimale Finte um sie zu einem Angriff zu verleiten und dann

    * schnelle Rueckwaertsverteidigung gefolgt von Nachreisen
    * Meisterhau gegen den Angriff um eine Klingenbindung zu kriegen, dann Fiore close play um weiter zu machen
    * Zornhau/Krumphau direkt gegen den Angriff

    Das Endergebnis war von 10 Runden die wir gefochten haben 7 eindeutige Treffer fuer mich (ohne Gegentreffer) und 3 Doppeltreffer von denen Minna im Turnier nur einer mehr Punkte gebracht haette. Also - haette ich auch mit Kampfrichter nebendran klar gewonnen.

    Wenn ich mitbekomme was der andere tut und meine Fechtweise drauf einstelle - dann kann ich nach wie vor die historische Technik mit guten Erfolg verwenden - und dem anderen zwingen mein game zu akzeptieren.

  • Gestern hatte ich endlich mal Gelegenheit das Fechten mit Wikingerschild und Einhandschwert gegen Langschwert zu testen.

    Ein 80 cm Durchmesser Schild ist sehr komfortabel bei der Verteidigung und auch nicht so technisch schwer zu handhaben - mein Sparringpartner hatte einiges an Problemen da irgendwo vorbei zu kommen, der uebliche Austausch war dass er einen Angriff versucht, ich den Schild nehme um die Waffe zur Seite zu druecken und aus dem Weg zu haben und dann mit dem Schwert einen guten Treffer setzten kann. Im Endeffekt habe ich 9 von 10 Runden klar entschieden, eine war ein Doppeltreffer.

    In der zweiten Runde haben wir gewechselt, mit dem Langschwert muss man schon sehr taktisch fechten um am Schild vorbei zu kommen, eine der schoensten Runden war dass ich ihn gezwungen habe den Schild zu heben so dass er keine Sicht mehr hatte - und dann einen Ueberraschungsangriff starten konnte. Ansonsten halt schnell Richtung wechseln, von oben nach unten wechseln - versuchen mit dem Schwert schneller zu sein als mit dem schweren Schild. Ungefaehr 5 von 10 Runden gingen da an mich, drei waren Doppeltreffer.

    Insgesamt wuerde ich sagen dass die Vorteile bei Schild und Schwert liegen - das Langschwert hat zwar mehr Reichweite, aber so ein Rundschild bietet einiges an Deckung die ein Fechter ausnutzen kann um ranzukommen.

    Bei der Art wie ich gekaempft habe, haette ich auch genausogut eine Axt haben koennen - ich habe das Schwert praktisch nie zum Klingenkontakt genutzt, sondern nur fuer den finalen Angriff. Da ist dann nicht so wichtig wie schnell man die Waffe rumreissen kann. Passt dazu, dass die gefundenen Wikingerschwerter eher kleine Parierstangen haben... wenn man viel Klingen kreuzt, dann braucht man einiges an Handschutz.

    War jedenfalls interessant und lehrreich - ein paar Zuschauer warn neugierig so dass wir bei Gelegenheit die Sache wiederholen werden - oder mal in einer anderen Konfiguration gegen Buckler und Schwert testen werden...

  • Am Montag ein eher episches Duell mit Joonas (Peltsi) Peltokorpi, dem besten Fechter im Verein, ausgefochten... Ich dachte ich beschreib' das mal hier, weil es vielleicht fuer das Schreiben ueber solche Szenen ganz relevant ist.

    Es war interessant, weil ich zum ersten Mal ueber laengere Zeit in einem 'schneller als bewusst' Modus gefochten habe - ich wuerde schaetzen es waren zweimal gut eineinhalb Sekunden (klingt nicht nach viel, ist aber Zeit fuer 4-5 schnelle Aktionen).

    Das Gefuehl dabei ist ziemlich... cool. Das Erleben zersplittert in einzelne Momente, im einen weiss ich schon dass von oben ein Konter kommt, im naechsten Moment habe ich den Konter abgewehrt und bin meinerseits wieder bei einem Angriff - interessanterweise fehlt jeder Uebergang zwischen diesen 'Snapshots' (und natuerlich jede bewusste Absicht und Planung, in dem Moment in dem ich bewusst merke dass der Konter kommt, ist meine Waffe schon laengst in Bewegung um ihn zu blocken, das 'Bewusstwerden' dauert gut ~70 ms, die Parade selber nur ~120 ms).

    Das Stroboskopfeeling kommt daher, dass das Bewusstsein in Wirklichkeit immer einen Moment nach dem anderen entsteht - der kontinuierliche Strom des Erlebens und Denkens ist Illusion. Die funktioniert normalerweise weil bewusste Intention zwischen den Momenten eine Struktur bildet die gleich bleibt oder sich sehr langsam veraendert und weil auessere Veraenderungen vielleicht mal eine Schrecksekunde bringen aber selten mehr als das - beim richtig schnellen Fechten aus dem Instinkt und dem Muskelgedaechtnis raus fehlt aber die bewusste Intention und die Situation veraendert sich staendig rapide - und so gibt es keine Kontinuitaet zwischen den bewussten Momenten, die Wahrnehmung zersplittert in Einzelmomente.

    Generell ist es auch ein ziemlich tolles Gefuehl wenn die Instinkte so funktionieren und man merkt wie auf magische Weise die Klinge irgendwie genau da ist wo sie abwehren muss... fast wie mit einem Zauberschwert zu kaempfen.:)