Schreibwettbewerb August/September 2014 - Voting & Siegerehrung

Es gibt 31 Antworten in diesem Thema, welches 10.397 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. Oktober 2014 um 20:50) ist von Rheuen.

  • Welche Geschichte hat euch am Besten gefallen? 12

    1. Die Engel und der Sohn (0) 0%
    2. Blut in den Straßen Londons (2) 17%
    3. Fremde (1) 8%
    4. Der Ort, der niemals war (1) 8%
    5. Kinderliebe (4) 33%
    6. Der Schlafwandler (0) 0%
    7. Zwischen Ratte und Drache (3) 25%
    8. Planänderung (0) 0%
    9. Die Hexenkönigin (0) 0%
    10. Victoria (1) 8%

    Hallo miteinander,

    auch diesen Monat sind wieder eine Menge Geschichten für den Wettbewerb bei mir eingereicht worden und zwar Sage und Schreibe 10 Stück. :!: Ich kann mich nicht erinnern, dass die Beteiligung jemals so hoch war, für Lesestoff dürfte also gesorgt sein. ;)

    Hiermit geht der Schreibwettbewerb August/September 2014 ins entscheidende Uservoting.

    Folgendes Thema wurde von unserer letzten Gewinnerin Miri vorgegeben:

    Schwarz wie Ebenholz, Weiß wie Schnee und Rot wie Blut

    Die Geschichten werden gemessen am Datum ihres Einreichens willkürlich gepostet. So steht ihr im Bezug auf deren Autoren völlig im Dunkeln. ;)

    ACHTUNG: Beim Voten ist man nicht anonym. Somit wird Schummeln ausgeschlossen. Zudem dürfen einmal abgegebene Stimmen nicht mehr verändert werden. Bedenkt das bitte bei eurer Stimmenabgabe!

    Das Voting dauert bis 30. September 2014 um 23:59:59 Uhr.

    Viel Spass beim Lesen und Voten! :)

    Euer Fantasy-Geschichten Forum

  • Die Engel und der Sohn
    by Ciro

    „Seht ihr es nicht? Das Licht?“
    Das Flüstern kam von Vorn, aus dem Tunnel. Ja, es war ein Licht, doch leuchtete es nicht. Mehr ein sanftes Drücken war es, ein Drücken aus dutzenden Stimmen.
    Langsam aber sicher schälte sich aus dem Dunkel vor ihnen eine Gestalt. „Kommt nur, kommt zu mir…“
    Es lockte mit sanften Klängen, weich und gefährlich. Wie eine Rose, die man nur von oben sieht.
    Ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich allmählich gehen? Mutter sagte, es würde regnen.
    „Oh, das wird es auch…“ wisperte die Stimme, die aus vielen bestand. „Aber du kannst hier Schutz suchen, wenn die Sonne wieder scheint. Der Regen wird dich nässen, ganz kalt wirst du sein.“
    Sie überlegte. Ja, es würde wohl regnen. Die Stimmen klangen so verlockend. Und die Stimme, die aus vielen bestand, lockte mit einem knöchernen Zeigefinger, komm, komm.
    Und sie kam. Mit langsamen Schritten trat sie dem Wispern entgegen, sich so geborgen und doch so gefährdet fühlend.
    „Sie möchten doch auch, dass du Spaß hast, mein Kind. Wie könnten deine Mütter dir den Spaß verwehren, einem so lieblichen Wesen…“
    „Ja…“ hauchte der Engel und trat vollends in die Schatten.

    Beelzebub, der Höllenmann. Er nahm sich die Engel vom Himmel, wenn sie spazieren gingen auf den sonnigen, schattigen Flecken der Erde, wo sie sich so wohl fühlen.
    Obwohl die Engel wussten, dass ihre Mütter es nicht erlauben würden, kamen sie mit dem Fremden. Der Fremde, der so lockend und so gefährlich war.
    So entstanden die ersten Frauen. Die ersten Frauen, die die Gefahr und die Geborgenheit liebten und im guten nie Beides haben konnten. Einst unschuldige Engel, verdarben sie zu Beelzebubs holden Dämonen, in eine Welt geworfen, die eigentlich ein Garten für sie sein sollte.
    Blut ward ihnen gegeben, als der dunkle Mann sie nahm und ihnen ein Geschwür einhauchte, das sie fortan am Leben hielt. Es pochte zuerst schmerzhaft in ihrer Brust, und ihnen wurde klar, dass sie nun tot waren.
    Immer wieder kamen Engel in den Tunnel, in Beelzebubs Arme.
    Und die Engel lernten nicht, kannten sie doch keine Gefahr. Erst, als sich die erste Frau in den Finger schnitt und blutete, blutete und nicht mehr aufhörte, dämmerte den Müttern, dass ihre Töchter verloren waren.
    Und so schufen sie die ersten Wächter, die fortan über die Frauen wachen sollten, bis sie sich zur Ruhe legten und sicher waren bei ihren Müttern.
    Beelzebub jedoch gab keine Ruhe, zu sehr war er getrieben von der Lust nach Fleisch. Und weil Medusa seine Schwester war, half sie ihrem Bruder bei seiner Jagd – konnte der sanfte, gefährliche Schatten doch keine Frauen mehr nehmen, denn die Wächter schützen sie.
    Medusa ging zu einem Wächter und blendete ihn, woraufhin er zu Stein erstarrte. Aus dem harten Fleisch schnitt sie etwas Anderes, etwas Neues, dass kein Wächter mehr war.
    Und so entstanden die ersten Männer.
    Medusa verführte immer mehr Wächter, bis es nicht mehr genug gab, um die Frauen zu beschützen.
    In ihrer Verzweiflung sandten die Mütter einen Sohn, der sich nicht blenden ließ von Medusa und nicht besiegen ließ von Beelzebub. Zu fromm war er, zu rein von Eifersucht und Neid.
    Und der Sohn ging zu den Frauen und Männern und sprach zu ihnen.
    Fürchtet euch, denn Furcht wird euch lehren, nicht zu bluten.
    Habt Mut, denn Mut wird euch helfen, wenn ihr blutet.
    Und seid verliebt, denn Liebe wird euch vor bösem Blut schützen.
    Und so ging der Sohn zu jedem seiner Männer und legte ihm die Hand auf Haupt und Herz, und sie erstarkten und wurden Mann.
    Dann ging der Sohn zu jeder Frau, und legte ihnen die Hand auf Gesicht und Seele. Und sie atmeten auf und liebten.
    Der Sohn wählte aus den Männern Soldaten, um die Frauen zu schützen, und aus den Frauen Walküren, um die Männer zu schützen.
    Schließlich lehrte er sie, ein Haus zu bauen und eine Familie zu ernähren, und alles, was seine Brüder und Schwestern brauchten.
    Beelzebub und Medusa betrachteten neiderfüllt die Menschheit, wie sie wuchs und gedieh. Sie verfluchten den Sohn und verzauberten die Menschen, so dass sie den Sohn als Teufel sahen.
    Und den Teufel jagten sie, bis am Ende kein Sohn mehr übrig war. Der Zauber verflog indem Moment, in dem der Sohn mit einem Lächeln seine letzten Atemzüge aushauchte und sagte: „Ich vergebe euch.“
    Mit Tränen und Wimmern knieten sie vor dem toten Sohn, ehe sie ihn zu seinem Grab trugen.
    Die Mutter jedoch war erzürnt über die Menschen, hatten sie sich doch vom Schatten und der Schlange blenden lassen.
    Sie nahm ihren Sohn zurück, wo sie stritten um die Seelen der Menschheit.
    Und wenn sie nicht vergangen sind, dann streiten sie noch heute.

  • Blut in den Straßen Londons
    by Myrtana222

    Abseits der Hauptstraßen, der kleinen Kaffees und der Läden mit Naschwerk, hinter den soliden Häusern der ehrenwerten Bevölkerung, zogen sich Gassen in die schlechteren Viertel Londons, genutzt von auf dem Bauch kriechenden Getier … und Menschen wie mir selbst. Männer trafen sich hier, Abschaum, nicht wert, die Stadt bei Tageslicht zu erblicken oder zu hässlich, zu verkrüppelt für ehrliche Arbeit. Wenn man über die ausgetretenen Wege geht, riecht man sie, Angst, Wut, Geruchscocktails wie von zwei brünftigen Stieren, die man aufeinander losgelassen hatte, ein Fieber, das jeden Neuen schüttelte und nicht mehr von einem ließ, bis man sich selbst darin verloren hatte.
    „Zweihundert Pfund für den, der Malcom besiegt! Zweihundert Pfund!“ Ein Junge, nicht älter als zwölf, fuchtelte mit ein paar Scheinen in der Hand vor meiner Nase. Kein guter Ort für ein Kind, doch keiner würde in anfassen, denn schon seit Jahren sammelte er die Wettbeträge ein, die die Männer auf die Kämpfer setzten, und ebenso verteilte er das Preisgeld. Er war der einzige in diesem Haufen, der ein bisschen rechnen konnte, doch unverkennbar für jeden, der kein Idiot war, umschlang die kleine Hand des Jungen nicht einmal läppische fünfzig Pfund. Zu sehr reizte er wohl auch nicht das Verlangen der Tagediebe, ihn seines Geldes zu berauben.
    „Ich tue es. Pass auf mein Preisgeld auf, Kleiner.“ Ich stieß mich durch die Menge der Zuschauer, allesamt stinkend, allesamt verdreckt, blökend wie eine Herde Schafe vor der Rasur.
    „Du bist gut, John, aber gegen den kommst du nicht an“, will ein unbekannter Bewunderer mir versichern und versucht, mich an der Schulter festzuhalten. Der Ratschlag des Mannes mochte gut gemeint sein, doch es war zu spät; hinter meinem Rücken wurden bereits die Wetten gesetzt. Ich musste kämpfen, es gab kein Zurück.
    Malcom war ein wahres Monster, bepackt mit Muskeln, sehnigem Stahl unter seiner Haut, der sich geschmeidig bewegte wie eine Katze im Sonnenschein. Ich hatte Malcom kämpfen sehen, wie er Gegner förmlich in Stücke schlug, bis nicht mehr übrig blieb als zahnloser, zitternder Matsch, der um sein Leben flehte. Dennoch fürchtete ich ihn nicht, denn Furcht ist es, welche die meisten Kämpfer niederstreckt, bevor noch der erste Schlag gefallen ist. Ich wusste, die Wetten standen ausnahmslos gegen mich.
    Noch bevor der selbsternannte Ringrichter den Kampf ansagte, stieß Malcoms Pranke vor und griff nach mir, seine Rechte holte zum Schlag aus. Ich duckte mich gerade noch rechtzeitig weg, überrascht, aber nicht verwundert von dem vorschnellen Angriff. Ohne Zweifel könnte mich dieses Tier in der Luft zerreißen, wollte er es nur, und so wich ich jedem seiner Schläge aus, grazil wie man es von mir kannte. Urplötzlich stand ich vor ihm, keinen Bruchteil einer Elle von Malcom entfernt, und hieb mit meiner Stirn auf die Nase der menschlichen Bestie.
    Malcom heulte auf, presste eine Hand vor das Gesicht, durch die unablässig Blut sickerte.
    „So kräftig du bist, Malcom“, sagte ich ihm so ruhig ich konnte ins Gesicht. „Du bist unbeweglich und langsam, vor allem vor deiner Brust. Du bekommst ja kaum noch deine Ellenbogen zusammen.“
    Wütend stürzte der Koloss auf mich zu, doch ich grätsche ihm die Beine unter dem Körper weg. Kein Mittel war verboten in diesen Kämpfen, erfolgten sie nur unbewaffnet, und so zielte mein Tritt genau auf die verstümmelte Nase Malcoms. Dieser heulte auf, Blut schoss kurz in die Menge wie ein feiner Sprühnebel.
    „Ich geb auf, ich geb auf!“ Abwehrend hob der Koloss seine Hände.
    Das Publikum stöhnte und fluchte. Keiner hatte zwar einen langen Kampf erwartet, doch das Ergebnis war für die allermeisten überraschend schlecht ausgefallen. Viele hatten ihr Geld verloren, und ich wusste, dass ich mich beeilen sollte. Manchmal wandte sich der Zorn der Spieler gegen den Sieger.
    Hastig rempelte ich mich zu dem Jungen durch, der mittlerweile mit dem Rest des Geldes versorgt worden war.
    „Danke, Kleiner. Hier, für dich.“ Mit diesen Worten drückte ich ihm einen Schein in die Hand.
    Als ich mich umwandte, versperrte mir ein Fremder den Weg.
    Mist, wusste ich es doch, dachte ich bei mir. Es würde unangenehm werden, den Fremden abzuwimmeln.
    „Guten Tag, John. Beeindruckend, wie du diesen Muskelprotz geschlagen hast. Und dein Preisgeld erst! Zweihundert englische Pfund, einfach unglaublich, sonst schlägst du dir für zwanzig die Lippe blutig.“
    „Vielen Dank, aber ich muss jetzt wirklich gehen“, wusste ich kärglich zu erwidern, doch der Mann hielt mich an meiner Schulter zurück.
    „Calmic, Calmic ist mein Name, danke der Nachfrage! Hören Sie, John, haben sie nicht vielleicht Lust, sich das zehnfache zu verdienen? Zweitausend Dollar?“
    Ich wurde hellhörig. So unglaublich viel Geld bekam man meist nur für einen wirklich dreckigen Auftrag.
    „Kein Interesse. Versuchen sie es bei jemand anderem.“
    „Sie müssen nur gegen mich kämpfen. Mann gegen Mann, doch wäre es mir lieber, wenn das ohne viel Aufsehen geschehen würde.“
    Jetzt hatte Calmic mein Interesse. Ich sah ihn von oben bis unten an, einen halben Kopf kleiner als ich war er, etwas speckig an den Hüften und wenig muskulös. Er hatte keine Chance gegen mich.
    „Nur kämpfen? Sauber und ehrlich?“
    „Sauber und ehrlich, Sie haben mein Wort. Das Wort eines Edelmannes!“
    Und so schlug ich ein und ließ mich tiefer in die Gassen führen, weg von den eigentlichen Plätzen der Schaukämpfe, bis wir alleine waren, in irgendeinem schmierigen Hinterhof weit außerhalb der Viertel, die ich kannte.
    „Na dann, beginnen wir“, rief Calmic mir zu, und dann stand er stocksteif da, die Fäuste wie zum Schlag erhoben, und ließ mich nicht mehr aus den Augen. Selbst als ich mich ihm näherte, änderte er seine Stellung nicht.
    Versuchsweise hieb ich mit aller Kraft nach Calmics Kinn. Perfekt landete ich einen Treffer, doch Calmic blieb ungerührt stehen.
    „Ein harter Schlag, John. Aber jetzt bin ich dran.“
    Schneller, als ich es für möglich hielt, hieb Calmic seine Faust in meinen Magen und presste mir mit einem Schlag die Luft aus den Lungen. Ich hatte bis zu diesem Tag solche Schmerzen nicht gekannt, und ich ging in die Knie. Erbarmungslos hieb Calmic weiter auf mich ein, schlug und schlug und schlug. Zitternd bleibe ich vor ihm liegen, dann zog er mich auf die Füße.
    Mit der Linken holte er ein Messer hervor, eingefasst in tiefschwarzes Ebenholz, stilisiert in Form eines Raben geschnitzt. Die Spitze des Schnabels bestand aus Metall, Abnutzungsspuren durchzogen es wie Löcher die schlechten Straßen.
    „Hast du einmal das Hirn eines Menschen in Händen gehalten, John?“, fragte mich Calmic unbekümmert. Mit einem Schnappen sprang die Klinge auf.
    „Es ist ein sonderbares Gefühl. Man weiß, dass darin all das verborgen lag, was uns zu einem Menschen gemacht hat, Emotionen, Leidenschaften, Erinnerungen! Doch ein bloßes Fingerzucken an der richtigen Stelle und alles- ist gekappt.“
    Schmerzerfüllt schreie ich auf, als Calmic meine Kopfhaut einritzt, vom linken bis zum rechten Ohr. Calmic Lacht wie ein Irrer.
    „Schwarz wie Ebenholz. Und rot wie Blut. Wie kommen wir nur zur blassen Haut, Schneewittchen?“ Mit einem Ruck riss Calmic mit den Skalp vom Schädel, Blut lief in meine Augen und tropfte auf den Boden. Ich wollte schreien, doch kein Laut entrang sich meiner Kehle.
    „Willst du leben, John? Den Apfel wieder hochwürgen?“ Drohend hielt Calmic das Messer an meinen Hals, spielte mit der Spitze an meinem Adamsapfel.
    „Ja“, stammelte ich, „ja“.
    Dann schnitt Calmic meine Kehle durch, ich spürte, wie ich fiel, dann war Nacht.
    Als ich erwachte, war meine Kleidung blutverschmiert. Doch nicht mein Blut war es, das meinen Körper bedeckte, war es das Blut des Jungen von den Schaukämpfen? Ich saugte gerade eben sein Knochenmark aus, und ich fand gefallen daran. Sein Fleisch hatte ich längst verzehrt. Meine Haut war weiß wie Schnee. Weiß wie Asche.
    „Hast du es dann, John?“ Calmic stand vor mir, die Arme verschränkt.
    „Was … WAS HAST DU MIT MIR GEMACHT?“ Irgendetwas in mir will sich auf ihn stürzen, ihm die Augen auskratzen, sein Fleisch verschlingen und sein Knochenmark aussaugen, doch ich bekomme nicht einen Finger nach.
    „Ich sagte nicht, welchen Preis du zahlen musst, wenn du verlierst“, antwortete Calmic lächelnd.
    „Folge mir, John. Ich weiß, wo es mehr für dich gibt.“
    Auf einmal spürte ich, wie Federn aus meinen Armen sprossen, wie mein Körper zusammenschrumpfte und ein Schnabel in meinem Gesicht wuchs. Gegen meinen Willen breitete ich die Schwingen aus und landete auf der Schulter Calmics.
    Das Letzte, was ich wahrnahm, war Calmics Lachen und meine eigene, krächzende Stimme.

  • Fremde
    by Klimbim

    Ich weiss noch, wie ich sie das allererste Mal sah. Wir waren beide noch Kinder. Ihr rotes Haar war zu zwei Zöpfen gebunden, und die Nase war von Sommersprossen übersät. Ich lächelte und winkte, und sie lächelte und winkte zurück. Ich mochte sie. Wenn sie lächelte, war es fast, als würden die Sommersprossen tanzen. Das gefiel mir.
    Ich sah sie nicht sehr oft. Nur manchmal, wenn ich mit meiner Mama in die Stadt fuhr, um einzukaufen. Dann war sie ab und zu auch im Laden. Wir redeten nie
    miteinander, meine Mama hätte das nicht gemocht. Aber wir lächelten uns zu. Und, wenn keiner guckte, winkten wir auch. Oder schnitten Grimassen.

    Grimassen schneiden konnte ich sehr gut. Am lustigsten war immer die, bei der ich meine Zunge durch die Lücke meiner Zähne schob und dabei schielte und mit den Händen die Ohren nach vorne drückte. Dann mussten wir beide immer kichern, so sehr, dass meine Mama kam und mich an der Hand von ihr wegzog. Aber das war nicht schlimm, ich wusste, sie würde nicht böse sein.

    Ich konnte die Grimasse aber nicht mehr lange machen, denn meine Mama nahm mich einmal statt zum Einkaufen mit zum Zahnarzt. Der sollte mir eine Zahnspange einsetzen. Er sagte, ohne die Spange würden meine Zähne ganz schief wachsen, bis es ganz hässlich aussehen würde.
    Das war mir egal, ich mochte die Spange auch so. Immerhin durfte ich die Farbe der Glitzersteine aussuchen. Ich konnte mich kaum entscheiden, aber nahm dann rosafarbene. Ich musste noch ein paar Tage warten, bevor ich sie tragen durfte, aber dann holten wir sie ab und gingen danach einkaufen, meine Mama und ich.

    Dort sah ich sie wieder, und ich zeigte ihr voller Stolz meine neue Zahnspange. Sie lächelte. Ich glaube, sie mochte sie auch.

    Aber die anderen Kinder mochten sie nicht. Sie lachten mich aus, anstatt mir zuzulächeln. Ich verstand nicht warum. Als ich an diesem Tag heimging, sah ich
    sie an einem grossen Schaufenster. Wieder zeigte ich ihr meine Zahnspange, weil sie nicht lachen würde, weil sie sie mochte. Aber diesmal blickte sie
    erschrocken. Vielleicht hatte sie gehört, wie die anderen Kinder mich auslachten.

    Als ich in die Schule kam, sah ich sie immer seltener. Ich hatte halt nicht mehr so viel Zeit, in die Stadt zu fahren. Nur hin und wieder, an den Wochenenden. Aber ich konnte ihr nie wieder ein Lächeln entlocken. Wenn ich meine Zähne mit den Glitzersteinen zeigte, war sie erschrocken oder gar traurig. Ich traute mich irgendwann nicht mehr, Grimassen zu schneiden, um den Mund nicht öffnen zu müssen. Zum Glück meinte meine Mama, dass die Spange irgendwann raus käme.

    Vielleicht konnten wir dann wieder lächeln.

    Dann war ich eine Zeitlang beschäftigt. Ich kam auf eine andere Schule, fand neue Freunde. Nicht sehr viele, aber die meisten anderen Kinder machten mir Angst, wenn sie zu viel und zu laut lachten. Ich wollte nicht lachen, um nicht meine Zähne zu zeigen. Inzwischen mochte ich die rosarote Farbe nicht mehr. Aber ich würde bald eine neue bekommen.

    Dann sah ich sie wieder. Im Mädchenklo auf der Schule. Ich war überrascht, sie wohl auch, sie blickte erschrocken. Sie hatte sich verändert. Das rote Haar war länger, sie trug eine Brille. Es sah seltsam aus, ungewohnt. Und ihre dunklen Augen wirkten traurig. Ich merkte, wie sie mich genauer musterte. Auch ich betrachtete sie. Sah die roten Pickel auf ihrer Stirn, die dünnen, blassen Lippen. Die zu grosse Nase, die Augen, die zu weit auseinander standen.
    Ich trat einen Schritt näher zu ihr und flüsterte: „Du bist hässlich.“

    Ich weiss nicht genau, was es war, was da in ihren Augen aufblitzte. Trauer? Wut? Wissen? In dem Moment kamen ohnehin andere Mädchen rein und wir taten so, als würden wir uns nicht kennen.

    Von dem Tag an begegneten wir uns wieder öfter. Ich glaube, sie beobachtete mich. Oder ich sie? Nicht wichtig. Ich mochte sie ohnehin nicht mehr. Wusste nicht, was früher so toll an ihr gewesen war. Je älter wir wurden, und desto öfter wir uns sahen, desto mehr Makel entdeckte ich an ihr.

    Breite Hüfte, kurze Beine, grosse Füsse, zu kleine Oberweite.

    Manchmal glaubte ich, dass sie mir folgte. Ich wusste, dass sie allein war und Freunde suchte. Aber das war ich auch. Und ich traute mich nicht, mich offen mit ihr zu zeigen, aus Angst, dass meine Mitschüler dann gar nicht mehr mit mir reden würden. Ich schämte mich für sie. War wütend auf sie. Hasste sie für das, was sie war.

    Esist seltsam, wie gut es tun kann, etwas zu hassen.

    Schliesslich kam der letzte Abend. Es wurde auf der Schule ein Abschlussball veranstaltet. Meine Mutter wollte, dass ich hingehe, und hat mir extra ein Ballkleid gekauft. Es war ganz weiss.
    Ich wagte nicht, ihr zu sagen, dass kein Junge mich als Begleitung wollte. Mir war das von Anfang an klar, aber Mutter ist da anders. Ich bin keins der beliebten, hübschen Mädchen unserer Schule. Zum Glück konnte ich ihr das verheimlichen. Und liess mich von ihr bis an die Schule fahren, wo sie mich zum Abschied auf die Stirn küsste und viel Spass wünschte.

    Ich stand allein an der Wand und sah den sich drehenden Paaren zu, als ich das Mädchen am Fenster sah. Sie war auch allein. Trug keine Brille, hatte sich wohl
    Linsen eingesetzt. Ich trat zu ihr hin und blickte ihr direkt in die Augen. So standen wir lange da.

    Dann sagte ich langsam und leise: „Du bist eine Verliererin. Und niemand auf dieser Welt mag dich.“
    Dann wandte ich mich ab. Die Tür nach draussen öffnete und schloss sich. Und die Paare drehten sich weiter.

    Ichweiss nicht, was am nächsten Tag in der Zeitung stand und was die Leute im Radio erzählten. Ich glaube, das ist auch nicht wichtig.
    Ich weiss, dass ihr Haar im Wasser aussah wie ein nie versiegender Quell von Blut. Dass ihre Augen dieselbe Schwärze besassen wie der Nachthimmel über ihr. Und ihr Kleid… Ihr Kleid leuchtete im finster dahin strömenden Fluss wie die letzte Schneewehe vor dem Sommer.

    Und dies war das Ende unserer Geschichte.

  • Der Ort, der niemals war
    by Hikari

    „Komm schon, Alamena. Wir sind bald da!“, rief Baselian seiner Schwester zu. Diese antwortete nicht, denn sie konnte es nicht. Man hatte bei ihr als Baby eine in diesen Zeiten nicht seltene vererbliche Krankheit festgestellt, wegen der sie das Sprechen nicht beherrschte. Die Erkrankung kam mit dem Zerfall der Dimension. Vor fünf Tagen war die Mutter der Geschwister dem selben Leiden anheim gefallen. Im wiederkehrenden Fieberwahn erzählte sie von weißen Blumen und heilendem Blut in einer schwarzen Kuppel.
    Tatsächlich war infolge eines Erdrutsches am Fuß der Klippe außerhalb des Dorfes ein Höhleneingang aufgebrochen und er war sofort mit ihr losgewandert, um die Höhle zu erforschen.

    Der Junge nahm seine behinderte Schwester an die Hand und trat mit ihr durch den kleinen Tunnel. Am Ende des selbigen schritten sie in einen riesigen Kuppelraum. Die Augen Alamenas begannen zu glitzern und sie gab glucksende Laute von sich. Ihrem Bruder klappte die Kinnlade runter.
    Vor ihnen breitete sich eine üppiger Teppich aus weißen lilienartigen Blüten aus, dieser wurde noch hervorgehoben von den ebenholzfarbenen Höhlenwänden. Auf der linken Seite sprudelte rotes Wasser aus der Felswand, rann einem kleinen Wasserfall ähnlich hinab und floss am Boden zu einem Bächlein zusammen. An der hinteren Wand befand sich ein Baum, der sein Geäst überall im Raum verteilte, selbst an der Decke.
    „Es stimmt ... Es passt alles auf Mamas Erzählungen!“, stieß Baselian aus und fiel auf die Knie.
    „Hörst du, Alamena? Wir können Mutter heilen!“, ein glückliches Lachen erfüllte den Kuppelraum und hallte darin wider. Ruckartig griff er nach einer Pflanze, doch hielt er inne, als ein bedrohliches Murmeln erklang. Noch einmal langte er nach einer Blüte, diesmal bedächtiger.
    „Wir sind verloren!“, schrie eine Stimme aufgebracht, „Sie wollen es mitnehmen, sie gedenken es preiszugeben, sie beabsichtigen es zu zerstören!“
    Der Baum über ihnen begann zu beben. Er jauchzte und knarzte, bis sich sein Wurzel gemächlich in Bewegung setzten. Alamena schaute wie gebannt auf das Schauspiel der rindenfarbenen Schlangen, wie sie sich wanden und miteinander rangen, als kämpften sie untereinander um eine nicht wahrnehmbare Beute. Baselian jedoch wurde plötzlich klar, dass man sie in der Höhle einschließen wollte und er richtete sich voller Verzweiflung an die vor Wut tosende Stimme.
    „Wir wollen diesen Ort nicht zerstören, dennoch brauchen wir Hilfe! Unsere Mutter ist dem Lebensende nahe und sie benötigt, was hier zu finden ist.“
    Doch der Zorn der Stimme wurde nur um ein Vielfaches gewaltiger.
    „Betteln und Flehen werden weder deiner Schwester noch dir etwas nützen, dummes Menschenkind! Die Welt liegt im Sterben, alles ist vergiftet und krank. Nichts gedeiht mehr ohne Hilfe. Dieser Ort ist das einzige, was alljenes, das du siehst, bisher am Leben erhielt! Es gibt niemanden, der uns hilft, unsere Dimension zu verlassen. Nicht einmal jedwede Magie die einjemand hier finden könnte, wäre dazu fähig, uns ein Portal zu erschaffen.“
    Baselian zuckte zusammen, denn ihm war die Lage seiner Herkunftsdimension durchaus bewusst.
    „Wir werden diesen Ort, den letzten Hoffnungsfunken nicht kampflos hergeben. Schon gar nicht für ein Menschenleben.“
    Alamena starrte das kleine Podest vier Meter vor Baselian an, als hätte sie einen Geist gesehen. Da riss sie plötzlich die Augen auf und stürzte zu ihrem Bruder. Kaum hatte sie ihn berührt, wurde er von einer Kraftwelle gepackt, die ihn hart an die Wand prallen ließ.
    An der Stelle, wo vorher noch der Junge gestanden hatte, steckte tief in den Boden gerammt nunmehr ein Speer aus purer magischer Kraft. Auf einmal war die gesamte Höhle von Stille erfüllt, nur das leise Keuchen Alamenas durchbrach diese leicht.
    „Was ... bist du?“, diese Frage stammte von der Stimme, welche sich freilich verwundert und ebenso neugierig anhörte. Alamena aber lief hinüber zu ihrem Bruder. Baselian hustete und griff nach des Mädchens Hand.
    „Was ist sie für ein Wesen? Ich habe nie ein Menschenkind solch Kräfte besitzen sehen“, diesmal richtete sich die Frage an den Jungen.
    „Und dennoch ist meine Schwester ein Mensch. Sie mag in Euren Augen vielleicht nichts besonderes sein, doch ich weiß, dass sie das ist“, während Baselian redete, schwoll seine Brust an.
    „Es wird am Ort liegen. Er verleiht Unschuldigen magische Kräfte, damit sie ihr Schicksal erfüllen“, murmelte es von allen Seiten, dann verstummte das Murmeln wieder. Alamena war aufgestanden und in Richtung des Podests gegangen. Ihr Mund öffnete sich und zum ersten Mal in der langen Zeit seiner Existenz durfte Baselian der wundervollen Musik ihrer Stimme lauschen.
    „Füge meinem Bruder keine Schmerzen zu, Wesen voller Licht. Die Regeln besagen ein Leben für ein Leben. So nimm meines und trage Sorge dafür, dass das meiner Mutter freigegeben wird.“
    Der Geist aus gleißendem Licht, welcher nur für Alamena sichtbar schien, beäugte sie und glitt anschließend hinab, um mit ihr zu reden.
    „Du sprichst wie einer der unseren, Menschenkind, und du scheinst trotz deiner Krankheit nicht so einfältig zu sein, wie dein Bruder es ist. Doch wer auch immer du bist, ich kann das nicht zulassen. Es brächte die Waage der Welt aus dem letzten Rest Gleichgewicht.“
    „Aber ich ...“, erwiderte das Mädchen, ungeachtet dessen unterbrach der Junge sie.
    „Hör auf den hohen Geist. Mutter würde nicht wollen, dass du dein Leben für sie gibst. Und ich möchte das ebenfalls nicht! Hörst du, Alamena? Ich will nicht, dass du stirbst!“
    Die Hand des Bruders griff die ihre und zog sie zurück.
    „Lasst uns gehen, Lichtwesen. Niemand wird hiervon erfahren, doch öffnet den Weg hinaus“, flehte Baselian die Stimme an und schritt, sein Schwesterherz dicht an sich gedrückt, weiter rückwärts zum Höhleneingang.
    „Wartet! Ich bitte darum, deiner Schwester noch ein zwei Worte mit auf den Weg geben zu dürfen. Wärst du so freundlich, mich ein Stück durch die Shikyo zu begleiten?“
    Daraufhin schwebte der Geist, ohne auf eine Antwort zu warten, in Richtung Blütenfeld. Bedächtig löste sich Alamena aus Baselians Umarmung und folgte dem Lichtwesen.

    Baselian sah sich unterdessen noch etwas in der Höhle um. Ein kurzer Blick zu seiner Schwester zeigte ihm, dass er unbeobachtet war und so bückte er sich behutsam hinab, pflückte eine Shikyo und legte die Blüte vorsichtig in seine Tasche. Danach holte er ein kleine Phiole hervor, welche er mit der roten Flüssigkeit aus dem Bächlein auffüllte.
    „Wir können gehen, Bruderherz“, Alamena stand hinter ihm und berührte sanft seine Schulter. Ihre Finger nahmen die seinen und sie gebot ihm, ihr zu folgen. So schritten sie gemeinsam, Hand in Hand durch den schmalen Tunnel bis zum Höhleneingang.
    Es war Nacht geworden, als sie dort ankamen. Die Sterne hoben sich als hell leuchtende Tupfen von dem dunklen Vorhang der Himmelsgefilde ab.
    Plötzlich entzog sich Alamena dem Griff ihres Bruders und stieß ihn vorwärts.
    Weg von ihr. Weg von dem Portal der Höhle.
    Die Wurzeln erfassten ihre Arme und Beine, umschlangen ihren gesamten Leib und ließen nur einen winzigen Spalt, damit sie atmen konnte. Nach und nach schloss sich der Eingang bis schließlich kaum etwas anderes außer knorrigem Geäst und Alamenas Gesicht zu sehen war. Baselian war nicht fähig sich zu bewegen, egal wie sehr er es auch versuchte. Da erkannte er, dass er von einer Illusion geblendet wurde. Sein Körper bestand aus massivem Stein. Kein Zucken war mehr zu spüren, nun würde er nur noch zuhören können.
    Eine dunkle Stimme erklang aus des Mädchens Mund, doch waren es ihre Worte, die sie sprach.
    „Es tut mir leid, Bruderherz, aber ich werde bleiben. Unsere Dimension ist dem Zerfall nahe und uns fehlt jegliche Hoffnung auf Rettung. Ich kenne mein Schicksal und die Möglichkeiten. Die Quelle gab mir Kraft, meine Krankheit zu überwinden und anzunehmen, was mir damals in die Wiege gelegt worden ist. Trauer nicht um mich, denn ich werde auf ewig in dieser Welt verankert sein. Es ist meine Aufgabe, meine Wahl und meine Bestimmung, geliebter Bruder. Hilf mir, unsere Heimat zu retten.“
    Mit diesen Worten wurde auch der Rest von Alamena überwuchert. Die Wurzeln begannen zu leuchten. Immer mehr und mehr. Gleißendes Licht trat aus ihnen hervor, sodass Baselian die Augen zukneifen musste, um nicht zu erblinden. Eine Welle aus den Gefühlen Liebe, Wärme und Geborgenheit traf ihn in seinem Felskokon. Dann fiel er ohnmächtig in sich zusammen.

    Baselian erwachte gegen Morgen auf der Wiese vor dem Höhleneingang. Gemächlich rappelte er sich vom Boden auf und schaute sich um. Schmerzen dröhnten in seinem Kopf.
    Was war nur passiert?
    Er sah zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Hinter ihm befand sich der Fuß einer beachtenswert hohen Klippe, wie es schon immer gewesen war. Davor ein mächtiger, geradezu gewaltiger Baum mit Blättern so groß wie er. In der Rinde war wie eingemeißelt der Körper eines Mädchens zu sehen. Und dieses Mädchen kam ihm ungemein bekannt vor.
    Alamena. Die Erinnerungen an das passierte brachen hervor wie Wassermassen, die einen Damm überwältigen.
    Der Höhleneingang war verschwunden und mit ihm der Ort, der niemals war. Mit seinen steinernen Wänden schwarz wie Ebenholz, der Quelle des Lebens rot wie Blut und den Shikyo weiß wie Schnee.
    Rasch kramte Baselian in seiner Tasche und zog die kleine Blüte hervor, doch kaum traf sie das Licht der Außenwelt, zerfiel sie zu Staub und wurde vom Wind davongetragen. Die Flüssigkeit in der Phiole veränderte sich zu einem dunklen Glibber. Nichts davon konnte er seiner Mutter noch verabreichen, um sie zu retten. Dennoch, er hatte verstanden. Ein letztes Mal tauchte seine Hand in den Hüftbeutel und zog ein dünnes Kettchen heraus. Damit schritt er voller Ehrfurcht zu dem grünen Wächter und hängte es stolz an einen niedrigen Zweig.
    „Ich danke dir, Schwesterherz, und ich werde dich nicht enttäuschen. Versprochen!“, sprach er wahrhaft aufrichtig und es war, als antwortete sie ihm mit einem raschelnden Flüstern.
    Baselian nahm den selben Weg zurück wie sie gekommen waren, und kümmerte sich daheim um seine kranke Mutter.
    Drei Wochen später verstarb diese. Ab da an arbeitete er daran, sein Versprechen zu halten.
    Er würde dafür sorgen, dass die Welt wieder lebt.

  • Kinderliebe
    by Alopex Lagopus

    Es war einmal in einem weit entfernten Land vor langer, langer Zeit ... naja, eigentlich war es erst letzte Woche, aber ich glaube, diese Information ist sowieso nebensächlich ... Mist! Jetzt habe ich den Faden verloren. Ich sag doch, die Geschichte sollte besser eure Mutter erzählen. Ich fang noch mal an, ja?
    Also ... Ächem: Es war einmal in einem weit entfernten Land, so ungefähr Mitte letzter Woche, da lebte eine böse Königin. Diese Königin hat leider zu viele unterernährte Models in der Flimmerkiste gesehen und sich deshalb ein schwer geschädigtes Selbstwertgefühl eingehandelt, welches sie mit ihrem Aussehen zu kompensieren versuchte ...
    Moment mal eben Kinder ... Was soll das heißen, damals gab es noch keine Fernseher? Ich sagte doch, es war erst letzte Woche und ... Wie jetzt, dass ich das Märchen letzte Woche auswendig gelernt habe, spielt keine Rolle? Also gut, wenn du meinst, Schatz ...
    Okay Kinder, ich habe gerade aus verlässlicher Quelle erfahren, dass die Königin zu arm war, um sich einen Fernseher zu leisten und die Models in den billigen Illustrierten beim Arzt ... ähm, beim Heiler gesehen hat. Wie auch immer, jedenfalls verbrachte sie deswegen viel Zeit in diversen Schönheitssalons, anstatt sich um ihren königlichen Haushalt zu kümmern.
    Woher sie das Geld für einen Besuch im Schönheitssalon hatte, wenn sie arm war? Ach Kinder, seid nicht so ungeduldig und stellt nicht so dämliche Fragen, sondern lasst mich einfach zu Ende erzählen, das klärt sich alles am Schluss.
    Jedenfalls schien es der Königin nach zahlreichen Behandlungen an der Zeit zu sein, ihren magischen Spiegel nach dem Ergebnis zu befragen. Ihr müsst wissen, die Königin war nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen, schließlich brachte sie ihren Möbeln schon mehr Vertrauen entgegen, als ihrem Kosmetiker. Naja, besser den Spiegel, als ihren vielen Freunden bei Facebook, unter denen der Kosmetiker der einzige war, mit dem sie jeh wirklich ein Wort gesprochen hatte. Aber das nur am Rande.
    Und so trat sie vor den Visagenreflektor und sprach:
    „Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Schönste im ganzen Land?“
    Der Spiegel, eine ovalförimge 08/15 Anfertigung – so wie wir sie auch bei Ikea gekauft haben – rührte sich zuerst nicht, doch dann verschwamm die Oberfläche zu dem geisterhaften Gesicht eines jungen Mannes – womit er seine Funktion als Spiegel natürlich vollkommen verfehlte.
    Kritisch musterte er die Königin. Denn wahrlich, sie zeigte einen gar merkwürdiger Anblick. Ihre Haare, waren von den vielen Bädern im Sonnenstudio bereits ausgeblichen und weiß wie Schnee ... also nicht so, wie diese frischgefallene Flockendecke, die ihr auf eurem Advenzkalendern seht, sondern eher wie diese dreckige Pampe, die man nach einem Tag auf der Arbeit immer unter den Schuhen kleben hat.
    Was? Natürlich gab es Sonnenstudios! Jene wurden von unfähigen Magiern betrieben, die in ihrer Karriere über das Meistern eines Lichtzaubers nicht hinausgekommen sind. Also hört jetzt auf, alles besser zu wissen, ich erzähle die Geschichte!
    Hrm ... aber der Spiegel blickte noch weiter; er begnügte sich nicht nur mit Oberflächlichkeiten. Und so spähte er hinein in die tiefste Tiefe ihres Herzens, welches schwarz war, wie verkohltes Ebenholz.
    Angewidert hob der Spiegel seinen Blick und sah in ihre rot vom Blut unterlaufenden Augen. Am liebsten wäre er sofort in tausend Scherben zersprungen.
    „Ich weiß nicht“, meinte er nach dem ersten Schock. „Ich kann nichts sehen, Ihr steht im Weg.“
    Zorn erfasste da die Königin und wütend wollte sie den Spiegel mit ihrer Haarbürste zerschlagen, besann sich dann aber eines Besseren. Schließlich hatte sie für dieses wertvolle Möbelstück viel Geld bezahlt ... Nein, sie ist ja arm, gerade WEIL sie ihr Geld für sowas wie einen verzauberten Spiegel zum Fenster rausgeworfen hat! Jetzt hört auf, dazwischenzureden, ich will gleich Fußball sehn. Zurück zur Geschichte:
    Die Königin zügelte also ihre Wut und wiederholte ihre Frage – diesmal eindringlicher.
    „Hör zu, du vorlauter Freak! Noch so ein Scherzchen und es setzt was, klar!? Also, wer ist die Schönste, in diesem Land?“
    Daraufhin ward der Spiegel zutiefst eingeschüchtert und so gab er preis, was die Königin zu hören verlangte.
    „Nun, das hängt ganz davon ab, wie ihr Schönheit definiert. Es gibt ja so etwas, wie innere und äußere Schönheit und außerdem ...“
    „Äußere Schönheit natürlich“, unterbrach ihn die Königin barsch.
    Abermals verzog der Spiegel empört die Lippen. Dann sagte er mit einem Seufzen:
    „Ihr, meine Königin“, wobei er sich an all die zahlreichen hübschen Mädchen erinnerte, die die Irre hat hinrichten lassen, damit sie allein die unangefochtene Schönheit darstellte. Er ...
    Ja, ich weiß, dass das brutal ist! Märchen sind immer brutal, deswegen sind sie auch für Kinder, Herrgott noch mal!
    Wo war ich stehen geblieben? Ach ja!
    Doch es gab ein Mädchen, dass dem Zorn der Königin entgangen ward und so sagte der Spiegel:
    „Doch Schneewittchen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als ihr.“ Seht ihr? Deswegen ist die Königin auch so hässlich, damit das mit dem „tausendmal“ auch hinkommt, einfachste Mathematik, Kinder. Was soll das heißen, etwas Hässliches mit Tausend multipliziert muss etwas noch viel Hässlicheres ergeben? Das ist doch Schwachsinn! Jetzt lasst mich endlich weitererzählen!
    „Schneewittchen?“, entfuhr es der bösen Königin. „Aber die hat doch der Jäger erschossen. Ich habe die Lunge und die Leber gesehen, die er mir zum Beweis brachte. Wieso lebt sie also noch?“
    ... ja, ich weiß, dass das erst später kommt, aber ihr habt so viel dazwischengequatscht, dass ich die Geschichte jetzt rigoros kürze. Ihr müsst einfach nur wissen, dass die Königin den Jäger anwies, Schneewittchen zu töten, er sie aber verschont hat und der Spiegel sie aber gerade verplappert hat, was er nicht hätte tun müssen, weil die Königin ja nur nach der Schönsten in ihrem Land fragte und nicht nach der Schönsten der Welt. Da sieht man mal, dass Magie verblödet.
    Weiter im Text: Wutschwelend schmiedete die Königin einen wahrhaft teuflischen Plan. Sie verkleidete sich als hässliche, alte Apfelverkäuferin – was ja kaum schwer fiel – und machte sich auf in das Land der Zwerge, um das liebe Schneewittchen mit einem vergifteten Apfel aus dem Weg zu räumen.
    Was heißt das, da kommt noch was? Nein, ich bin mir sicher, dass es so weitergeht und ... hey, ihr beide seid selber Schuld, dass ich die Geschichte kürzen muss und ... Weißt du, wenn es nach mir ginge, dürftest du sogar den ganzen Tag mit deinem Nintendo daddeln, aber dann bekomme ich Ärger mit eurer Mutter und wenn die abends wütend ist, lässt sie mich nicht mehr ran... dalieren. Was randalieren bedeutet? Sagt mal, was bringen euch die Lehrer in der Schule eigentlich bei!? Schlagt es im Duden nach, wozu kaufe ich euch sonst diese teuren Schulbücher? Und jetzt hört auf abzulenken, wir sind fast durch mit der Geschichte.
    Ächem ... Jedenfalls ließ sich Schneewittchen von der Schönheit des Apfels betören und biss herzhaft hinein, wodurch sie tot umfiel. Die Zwerge und auch die Tiere im Wald betrauerten alle Schneewittchens Tod, während die Königin in ihrem Schloss nun endlich von ihrem Spiegel zu hören bekommt, dass sie die Schönste sei. Ende.
    Und die Moral von der Geschichte ist, dass sich Dreistigkeit und Bosheit in dieser Welt immer durchsetzen werden, man schaue sich nur die Börsenspekulanten und die machtgierigen ... nein, da kam kein Königssohn daher, der den Sarg anstieß, worauf das vergiftete Apfelstück aus Schneewittchens Mund flog und sie wie durch ein Wunder ins Leben zurückkehrte. Das ist gar nicht möglich, weil sie das Apfelstück längst verdaut haben muss. Und selbst wenn – sie wäre in der Zwischenzeit verhungert und .. es war ein magischer Sarg, der das verhinderte? Hört mal, wenn ihr alles so viel besser wisst und das Ende kennt, dann brauche ich euch ja keine Geschichten mehr zu erzählen.
    So, und jetzt schlaft endlich.

  • Der Schlafwandler
    by Norrec

    Es krachte. Rhebon wurde aus dem Schlaf gerissen. Seine Frau Kadra lag nicht mehr im Bett. Er stand auf um sie zu suchen und ging in Richtung Schlafzimmertür. Mit einem leisen knarzen öffnete er sie und ließ das schwere Metallschloss hinter sich wieder zuschnappen. Er nahm die alte Öllampe, die immer neben der Schlafzimmertür hing in die Hand und ging die Leiter herunter. Rhebon war kein reicher Mann. Seine Familie hatte eine kleine Hütte am Rande des Waldes. Damit er und seine Frau ein wenig Ruhe vor den Kindern hatten, baute er den Vorratsspeicher zu einem kleinen aber gemütlichen Schlafzimmer um. Als er unten ankam, stand er in einem Raum, der der Familie als Küche, Esszimmer und Wohnzimmer diente. Die Haustür stand offen. Zusammen mit der Kälte wehten vereinzelte Schneeflocken in sein Haus. „Verdammter Köter“, sagte er zu sich selbst. Er ging vor die Tür um ihren alten Wachhund Zerb wieder ins Haus zu holen. Ein paar Schritte vor der Tür sah er im Mondschein etwas liegen. „Zerb!“, rief er leise aber bestimmt. „Zerb! Du Mistviech komm sofort wieder rein!“. Der Hund rührte sich nicht. Rhebon ging auf ihn zu und sah Zerb reglos am Boden liegen. Er berührte ihn. „Bei allen Göttern!“. Erschrocken hob er seine linke Hand ins Mondlicht. Sie war warm, feucht und dunkelrot gefärbt.

    „Ina! Finnus!“, er dachte an seine Kinder. Er lief wieder ins Haus. Dort sah er auf dem Boden auf einmal riesige, blutige Fußspuren. Sie führten aus dem Haus hinaus. Rhebon konnte nicht begreifen warum sie ihm vorhin nicht aufgefallen waren. Er lief am großen Esstisch vorbei, schnappte sich einen langen Dolch mit einer scharfen aus Ebenerz gefertigten Klinge, der über dem Kamin hing. Hinter dem Vorratsregal befand sich das Zimmer seiner Kinder. Die Tür war offen. Die blutigen Fußspuren entstanden aus einer Blutlache die aus dem Kinderzimmer floss. „NEIN!“. Tränen schossen in seine Augen. Er schlich sich ins Zimmer hinein. Dort sah er sie liegen. Ina und Finnus lagen in Ihren Betten. Seine Frau lag dazwischen. Alle drei hatten Bisswunden in ihren Gesichtern. Das ganze Blut kam von Ihren durchgebissenen Kehlen. „NEIIIIIIN“. Rhebon fiel auf die Knie. Er wollte es nicht wahr haben. So machte sein Leben keinen Sinn mehr. Er ging mit zitternden Beinen aus dem Kinderzimmer in Richtung Haustür und dann hinaus. Mit letzter Kraft schleppte er sich Meter für Meter in Richtung Wald. Als ihn die Kräfte verließen, ließ er sich in den kalten Schnee fallen, schlitzte sich die Pulsadern auf und wartete auf den Tod.

    Es krachte. Kadra wurde aus dem Schlaf gerissen. Ihr Mann Rhebon lag nicht mehr im Bett. „Nicht schon wieder“ dachte sie und stand auf um ihn zu suchen. Mit einem leisen knarzen öffnete sie die Schlafzimmertür und ließ das schwere Metallschloss hinter ihr wieder zuschnappen. Sie nahm die alte Öllampe, die immer neben der Tür hing in die Hand und ging die Leiter runter. Unten angekommen, sah sie dass die Haustür aufstand. Kalter Wind blies Schneeflocken in den Raum. Sie landeten in einer Blutspur. „Was…?“. Kadra bekam es mit der Angst zu tun. „Was hast du getan?“. Sie folgte den Blutspuren in Richtung Kinderzimmer. Der Dolch der normalerweise über dem Kamin hing war fort. Es roch nach Eisen. Die Tür zum Zimmer ihrer Kinder stand offen und sie sah überall Blut. Kadra sah Ihre Kinder in den Betten liegen. Dort wo ihre Kehlen sein sollten, klafften riesige ausgefranste Wunden. In ihren Gesichtern waren Bissspuren zu sehen. Sie war geschockt, traurig und wütend. „Wo bist du?“, schrie sie und eilte aus dem Zimmer Richtung Haustür. Draußen angekommen sah sie eine Gestalt auf dem Boden liegen. Sie kniete sich darüber und sah ihren alten Wachhund Zerb mit Blut am Hals auf dem Boden liegen. „Das kann nicht sein. Rhebon…“. Ein paar Meter weiter sah sie eine menschliche Gestalt auf dem Boden liegen. Kedra ging drauf zu und erkannte ihren Mann. Der Schnee um Ihn herum war tiefrot gefärbt. Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Sie nahm seinen Kopf in Ihre Hände und sah seinen Blutverschmierten Mund. Kedra wurde schwarz vor Augen.

  • Zwischen Ratte und Drache
    by Tom Stark

    »Wo ist er, verdammt, sieht ihn jemand?«
    Die Soldaten hasten von Deckung zu Deckung.
    Um sie herum ist es dunkel, nur der Mond erhellt die Ruinen spärlich.
    »Keine Ahnung, aber wenn Du weiterhin so brüllst, dann weiß er auf jeden Fall wo wir gerade sind, also halt Dein Maul, Du Narr und das ist ein Befehl!«
    Der Leutnant wendet sich zu dem Soldaten, um ihn böse anzufunkeln, doch er sieht sofort, dass dieser in diesem Leben keine Befehle mehr befolgen wird.
    Das Loch in seiner Brust ist zwar gerade mal so groß wie ein Golfball, aber die Austrittswunde am Rücken ist weitaus größer, das weiß der Offizier ohne ihn umzudrehen.
    Instinktiv springt er, rollt sich über die Schulter ab und kauert sich hinter den nächsten Mauerstein.
    Einen Wimpernschlag später spritzt dort, wo er eben noch gesessen hat, ein Stück aus der Mauer.

    »Dieser verdammte Heckenschütze!«, flucht er leise.
    Ganz kurz nur, hatte er ihn zu Gesicht bekommen. Dunkel wie ein Panter und schnell wie eine Schlange, das Gewehr in den Händen mit einem weißen Tuch auf dem Kopf.
    Umbogo hatte alle feuern lassen, doch das war pure Munitionsverschwendung gewesen.

    Der ursprünglich zwölf Mann große Zug hatte eigentlich nur den Auftrag gehabt die Anlage zu sichern.
    Diese uralten Ruinen mitten im Dschungel schienen zuerst unbewohnt zu sein, doch dann waren sie auf das Lager dieser Flüchtlinge gestoßen.
    Er hatte Meldung gemacht, vorgeschlagen sie zu vertreiben, doch der Major, der vom Helikopter aus die Lage im Blick behielt, hatte die Anweisung gegeben die Flüchtlinge zusammenzutreiben und bis auf sechs alle zu erschießen. Die Restlichen sollten zu »besonderen Zwecken« bereitgehalten wären. Tod waren die anderen auf jeden Fall besser dran!
    Leutnant Umbogo hatte leise protestiert, aber natürlich war sein Vorgesetzter auf diesem Ohr taub.
    Major Diniwe war kein besonders geduldiger Mann und überhaupt kein gnädiger Zeitgenosse. Die Regierung brauchte diese Ruinen um einen Flugabwehrstützpunkt zu errichten. Da spielten ein paar Indio-Flüchtlinge keine Rolle.
    Und überhaupt, woher sollten die Soldaten wissen, ob diese Flüchtlinge nicht mit der Garde des Drachens zusammenarbeiteten. Inzwischen schien diese erwachte Riesenechse jeden Tag Hunderte, wenn nicht Tausende an Anhänger zu gewinnen.
    Und er sitzt mit seinem Zug hier im Finsteren und sucht verzweifelt nach dem Mündungsfeuer des Schützen, der die Gegend hier besser kennt, als Umbogo seine Westentasche.

    »Anab Duhot, zu mir!«, befiehlt er den Truppenhexer zu sich.
    Er mag den Hexer nicht, und dieser ihn ebenso wenig, doch er braucht ihn jetzt.
    »Los, benutz deine Magie und finde die Position des Schützen. Wir brauchen nur seinen genauen Standpunkt, dann holen wir ihn uns!«
    Anab zeigt sein zahnloses Grinsen. Er ist nicht deswegen zahnlos, weil er etwa alt ist, sondern weil er sich freiwillig alle Zähne gezogen hat. Umbogo schaudert schon bei dem Gedanken.
    Der Hexer zischelt und Speichel trieft aus seinem Mund, während er spricht. »Das kann ich machen, aber ich brauche dazu ein Opfer, zwei wären besser!«
    Der Leutnant zieht den Kopf zwischen die Schultern. Der Hexer meint Menschenopfer. Natürlich, was sonst?
    Wieder einmal zweifelt Umbogo daran, ob er nicht auf der falschen Seite steht. Gut, der Drache ist auch nicht zimperlich, aber wenigstens werden keine Gefangenen von ihm auf Blutaltären geopfert um die Magie perverser Hexer anzufachen.
    »Holt zwei der Gefangenen!« Sergeant Enbat nimmt ihm die Entscheidung ab und auch wenn Umbogo es hasst, wenn seine Soldaten ohne sein Einverständnis solch schwerwiegende Entscheidungen treffen, nimmt er den Befehl nicht zurück.
    Er hört, wie der Helikopter sich entfernt. Soweit also die Luftaufklärung. Wäre bei der Dunkelheit auch sinnlos, aber wenigstens ist er den Major los.

    Wieder schreit ein Mann getroffen auf und sackt tot in sich zusammen.
    Verdammt, nirgends ist Mündungsfeuer zu sehen, aber im dichten Unterholz oder den großen Blättern der Urwaldriesen, die fast bis zum Boden reichen, könnte man zur Not einen Panzer verstecken.
    Ja, das waren noch Zeiten, als man mit Panzern und Flugzeugen gekämpft hatte. Es waren zwar auch keine schönen Zeiten gewesen, aber seit die Mumie von Rattengeneral Renet Awele durch einen Putsch den Gouverneur entmachtet hat, ist nichts mehr wie früher.
    Die verbannten Hexer wurden wieder ins Land gelassen, die alten Blutpraktiken wieder erlaubt, ja sogar enthusiastisch neu belebt. Magie hat High-Tech so gut wie ersetzt.
    Doch er ist ein Soldat, und ein Soldat kämpft für sein Land und befolgte Befehle, oder etwa nicht?

    Die beiden Gefangenen werden herangeschafft und der Hexer mustert die Beiden mit fiebrigen Augen.
    »Ich könnte schwören, der quält die Leute nur zum Vergnügen und völlig unnötig.« , murmelt er seinem Sergeant zu, doch dieser konzertiert sich offenbar viel zu sehr auf mögliche Verstecke des Schützen.
    Die beiden »Opfer« sterben mit anklagenden Augen in seine Richtung, zumindest empfindet er es so.
    Diese Indios sind Flüchtlinge. Nichtcombatanten! Was hier abläuft ist nicht richtig, ganz und gar nicht richtig!

    Der Hexer beschmiert sich mit dem Blut der Beiden, ja suhlt sich regelrecht darin. Umbogo unterdrückt mit Mühe den Brechreitz.
    »Und?«, fragt er schließlich mit zusammengebissenen Zähnen den irre kichernden Hexer.
    »Nichts, ich brauche noch ein Blutopfer, es hat nicht geklappt.«
    Der Leutnant sieht direkt in die Augen des Hexers. Ja, der sagt die Wahrheit, aber der Offizier erkennt ebenso die andere Wahrheit. Der Hexer kann nicht liefern, war er verspricht. Er ist nur scharf darauf, sich die Essenz der Seelen seiner Opfer einzuverleiben.
    Umbogo fasst einen Entschluss.
    »Nein, lasst die Restlichen gehen. Keine Opfer mehr. Wir rücken ab.«
    Sein Sergeant reißt den Kopf zu ihm herum.
    »Das sollte besser der Major entscheiden, oder?«
    Wieder schreit ein Soldat auf. Er hält sich die Schulter, sein Arm hängt wie tot herab. Auch wenn er nicht tödlich getroffen wurde, die Einheit hat einen weiteren kampffähigen Mann verloren. Noch sieben, einschließlich dem Hexer, der ohnehin völlig nutzlos ist.
    »Der Major ist nicht hier und ich habe einen Befehl gegeben, Enbat und darum erwarte ich auch, dass er ausgeführt wird. Lasst diese armen Hunde laufen, wir sind schließlich Soldaten und keine Teufel!«
    Zwei seiner Jungs machen sich daran die Stricke der Gefangenen durchzuschneiden.
    »Nein!«, hält Enbat die Beiden davon ab und Umbogo dreht sich erstaunt um, um seinem Sergeant zurechtzuweisen.
    Doch der hat bereits seine Maschinenpistole auf seinen Offizier gerichtet.
    »Sie sind viel zu weich für diesen Posten, Sir, und ein Verräter. Ich löse Sie hiermit ab!«
    Und wieder schreit ein Mann. Es ist einer, der den Sergeant unterstützen wollte und scheinbar zufällig die Waffe auf seine Kameraden gehalten hatte. Mit glasigem Blick fällt er zwischen die Ruinen. »Kein großer Verlust!«, geht es Umbogo durch den Kopf.
    »Haben Sie den Verstand verloren, Enbat, wir werden hier zusammengeschossen, und Sie meutern ausgerechnet jetzt?«
    Der Sergeant hebt seine Waffe ein paar Zentimeter an. »Ich schätze, ich werde ihren Posten bekommen, wenn Sie nicht mehr hier herauskommen.«
    Umbogo sieht etwas Weißes über sich. Es sind weiße Haare, weiß wie der Schnee auf den höchsten Gipfeln der Berge. Dann sieht er die Augen, blutrote Punkte die zu glühen scheinen. Nun ist ihm klar, warum der Schütze so gut trifft. Er muss auch ein Hexer sein, oder ein Schamane und er sieht in der Nacht so gut wie bei Tageslicht.
    Eigentlich müsste der Leutnant nun einen Warnruf ausstoßen, doch er bleibt stumm.
    Die beiden Schüsse, welche den Sergeanten und den Hexer direkt zwischen die Augen treffen, werden nur von dem leisen Plopp begleitet, welches Umbogo nur deshalb hört, weil der Schalldämpfer direkt über seinem Kopf ist.
    Eine Gestalt springt neben ihm von der Mauer und er erkennt im fahlen Licht eine Hand, die sich auf seine Waffe legt und ein Gesicht in der Farbe von Ebenholz, welches dicht vor seinem auftaucht, die Züge eher katzenartig als menschengleich.
    »Du scheinst ein anständiger Mann zu sein, kämpfe lieber für einen Drachen, als für eine Ratte.« Die Stimme ist weiblich. In der Armee des Rattengenerals dienen keine Frauen, höchstens zur Unterhaltung der Männer.
    Umbogo tauscht einen Blick mit den verbliebenen Männern, alles gute Leute, anständige Leute.
    Als er wortlos sein Einheitsabzeichen von der Uniform reißt, tun sie es ihm gleich.

  • Planänderung
    by Du Vandir

    Vor genau achtzehn Jahren war Schneewitt auf die Welt gekommen. Die schöne
    Sukkubus-Dämonin konnte sich noch genau daran erinnern. Sie hatte den Vorgang
    aus dem Jenseits beobachtet, bis das Ritual sie auf die Erde gerufen hatte.
    Sie setzte sich in den gemütlichen Ledersessel in ihrem Gemach im Schloss des Königs, nahm einen kleinen Spiegel in die Hand, betrachtete zufrieden ihr Gesicht und flüsterte selbstgefällig: „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Sie lachte leise. „Ich natürlich“, antwortete sie sich selbst, dann legte sie den Spiegel wieder weg. Dann besann sie sich auf jenen schicksalhaften Tag, an dem sie geboren wurde.
    *

    Auf einer verschneiten Lichtung mitten in einem Nadelwald, umgeben von sieben Bergen, standen die sieben Hexen im Kreis. Der Boden unter ihren Füßen war von reinem, weißen Neuschnee bedeckt, In ihrer Mitte hatten sie ein Pentagramm aus schwarzem Ebenholz gelegt und im Zentrum des Pentagrammes war ein einziger Tropfen Blut, welcher den Schnee rot färbte.
    Eine von ihnen begann, mit schauriger Stimme zu sprechen: „So steht es geschrieben im Buch des Luzifer. Frischer Schnee, der Staub und Stein bedeckt, Ebenholz, so schwarz wie die Nacht, das Blut der Jungfer, unschuldig vergossen.“
    Wie auf ein lautloses Zeichen hoben die sieben hässlichen, alten Frauen gleichzeitig ihre Arme und begannen, zu flüstern:
    „Weißer Neuschnee fiel aufs Kraut,
    Boden ist mit Blut betaut,
    aus Ebenholz ist schwarzer Stern,
    die Schönheit rufen wir vom Herrn.“
    Immer wieder rezitierten sie diese Zeilen und bildeten einen unheimlichen Chor, der sich langsam steigerte. Lauter und lauter riefen sie den Ritualspruch, bis sie gackerten und kreischten, dann tat es einen gewaltigen Donnerschlag. Stille. Und in der Mitte des Pentagrammes lag ein wunderschönes Baby, welches friedlich schlief.
    Dann sprach wieder eine der Hexen: „Wir danken Luzifer, unserem Herrn, für sein Geschenk. Der Zauber, den wir so lange geplant haben, kann bald anlaufen. Dann werden sich die Tore der Hölle auftun und alle Macht wird uns gehören. Wir müssen uns genau an die Vorgaben halten. Der König muss durch einen vergifteten Apfel sterben, und um das Ritual abzuschließen, brauchen wir seine Leber und Lunge! Geh also, Tochter des Teufels, und führe aus, was ich gesagt habe.“ Das Baby sah aus wie ein Neugeborenes, doch es gab keinen Laut von sich und nickte leicht.
    Jenes kleine Baby war sie gewesen. Die Hexen hatten sie in einen Korb gelegt und auf den Zeitpunkt gewartet, da der König in seiner Kutsche vorbeikommen würde. Dieser konnte keine eigenen Kinder zeugen, und er hatte noch immer keinen Erben benannt. Als er jedoch das Kind gesehen hatte, war er von seiner Schönheit ergriffen und adoptierte es. Die Königin hatte sie Schneewitt getauft und einer Amme überlassen, die sich zehn Jahre um das Kind kümmerte. Dann hatte ihre Adoptivmutter angefangen, ihr alle Sachen beizubringen, die sie wissen musste, um später einem Adligen oder gar einem anderen König eine gute Ehefrau zu sein. Doch dann verstarb die Königin überraschend an schwerem Fieber und der König wurde verbittert und war nie wieder der Selbe.
    Doch in ihrer ganzen Kindheit hatte Schneewitt nie ihr Ziel aus den Augen verloren. Die Hexen hatten sie, einen Sukkubus, aus der Hölle beschworen, um sich beim König einzuschleichen und ihn dann umzubringen, damit sie ihr langwieriges Ritual ausführen konnten. Da sie von den Hexen beschworen wurde, hatte sie keine andere Wahl, als sich an ihre Befehle zu halten, doch das störte sie nicht wirklich. Die einzige Weise, auf die sie den Befehl der Hexen umgehen könnte, wäre der Tod, das wusste Schneewitt.
    Sie biss genüsslich in den Apfel in ihrer Hand. Er hatte eine gelbe und eine rote Hälfte. Die rote war in starkes Nervengift getaucht worden, die gelbe war ungefährlich. Schneewitt kaute genüsslich. Es war eine Schande, einen so leckeren Apfel ungenießbar zu machen, nur weil ein paar Hexen einen König stürzen wollen. Sie lachte über ihren eigenen Gedanken.
    Dann erhob sie sich ruckartig aus dem Sessel und schritt in schnellem Tempo aus ihrem Gemach, ging die vielen Gänge entlang und erklomm die vielen Treppen des Schlosses, bis sie vor dem Gemach des Königs angekommen war. Sie hob eine feine, schneeweiße Hand und klopfte zweimal zart. „Herein“, kam die Antwort. Schneewitt öffnete leise die Tür. Als ihr Vater sah, wer angeklopft hatte, hellte sich sein eben noch finsteres Gesicht auf. Er war wohl wieder in traurigen Erinnerungen versunken gewesen.
    „Hallo, Vater. Wie geht es dir heute?“ Er lächelte schwach. „Ich kann nicht klagen, meine liebe Tochter. Aber nicht ich bin es, um den sich dieser wichtige Tag dreht. Bist du für die Feierlichkeiten vorbereitet? Du trägst gar nicht dein schönes Kleid“, antwortete er liebevoll. Schneewitt bekam plötzlich einen Klos im Hals. Diesen Mann, der sie aufgenommen hatte und sich so liebevoll um sie sorgte, würde sie in wenigen Momenten eiskalt ermoden. Sie war überrascht, dass sie Skrupel hatte, schließlich war sie eine Dämonin. Dann schluckte sie diesen Klos wieder herunter, ordnete ihre Gedanken und antwortete lächelnd:
    „Ich werde gleich gehen und es anziehen, Vater. Aber ich bin zu dir gekommen, um eine der kleinen Freuden des Lebens mit dir zu teilen. Ich habe nur einmal in diesen Apfel gebissen, doch er schmeckt einfach wunderbar. Du musst einfach davon kosten.“ Sie hielt ihm das rot-gelbe Obst einladend hin. Der König lächelte leicht und streckte die Hand danach aus. Doch bevor er ihn greifen konnte, ließ Schneewitt ihren Arm sinken. Der Klos saß wieder in ihrem Hals, dieses Mal viel stärker als zuvor. Sie zitterte, ein Schweißfilm bildete sich auf ihrer Stirn. Sie dachte, sie könnte es einfach durchziehen und ihn schnell töten, doch es war, als ob dieses widerliche Ding namens Gnade, das die Menschen so schätzten, auf sie abgefärbt hatte, während sie auf der Erde war.
    „Meine Tochter, was ist los? Geht es dir gut?“, fragte ihr Vater besorgt. Sie wusste, er würde sofort nach Bediensteten rufen, sollte Schneewitt sich nicht wohlfühlen.
    Sie fasste einen Entschluss. Da sie es nicht über ihr Herz bringen würde, ihn zu vergiften, während er sich so um sie sorgte, würde sie einfach ehrlich sein, denn wenn er wüsste, dass er einen Dämonen in sein Haus aufgenommen und großgezogen hatte, würde sich seine Liebe für Schneewitt in Hass verwandeln. Erst dann wäre sie in der Lage, ihn umzubringen.
    „Es … es geht mir gut … ich kann das nicht.“ Sie sah ihm in die Augen. „Ich bin ein Sukkubus, beschworen, um dich zu töten. Dieser Apfel ist vergiftet.“ Sie machte eine theatralische Pause, in der der König zu nichts anderem in der Lage war als sie entsetzt anzustarren. „Mal sehen, wie dir das schmeckt!“
    Während der König sie noch völlig verdutzt und ungläubig anstarrte, stieß Schneewitt ihren Arm mit übermenschlicher Schnelligkeit vor, fasst ihren Vater am Hinterkopf und zwang den hilflosen Mann, einen Bissen der roten Hälfte des Apfels zu schlucken. Und während sie beobachtete, wie der König anfing, zu husten und zu würgen, lief ihr eine kleine Träne über die Wange. „Es tut mir leid, Vater.“ Sie hasste den Gedanken, ihm Leber und Lunge herausschneiden zu müssen. Weder hatte er das verdient noch gönnte sie es den Hexen.
    Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Nur der Tod kann mich von meinen Befehlen loslösen. Was soll’s, dann fahre ich eben wieder zurück in die Hölle. Schneewitt nahm den Apfel und biss einmal von dem glänzenden Obst ab. Die rote Schale war das Letzte, was sie sah, bevor sie die Augen schloss und wartete, bis das Gift den Sukkubus wieder dorthin trug, wo er hergekommen war.
    *

    Drei Tage waren vergangen, seit man die tragischen Tode des Königs und seiner geliebten Tochter entdeckt hatte. Prinzessin Marana schritt würdevoll auf den gläsernen Sarg zu, in dem der Leichnam des Königs geborgen war. Sie hatte ihn kaum gekannt, sie hatte nie einen Grund dazu gehabt. Politisch hatten ihre Reiche kaum miteinander zu tun gehabt. Aus Respekt würde sie ihm dennoch die Ehre erweisen. Als sie beinahe bei dem Sarg angekommen war und immer noch ihren Gedanken nachhing, bemerkte sie nicht, dass sich ihr linker Fuß im Saum ihres Trauerkleides verfangen hatte. Sie quietschte überrascht, als sie das Gleichgewicht verlor und nach vorne fiel.
    Ihr Aufprall wurde von der harten Oberfläche des Sarges aufgehalten. Der Glaskasten erbebte bei dem heftigen Aufprall. Was Marana im ersten Augenblick jedoch nicht bemerkte, war, dass sich der vermeintlich tote König zu bewegen angefangen hatte. Er würgte und krächzte, dann plötzlich öffnete er die Augen. Er drehte im Sarg seinen Kopf zur Seite und spuckte ein Stück eines Apfel aus, dann blickte er hoch, wo die Prinzessin stand und ihn fassungslos anstarrte.
    *

    Bald nach diesem Wunder heirateten der König und die Prinzessin und lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Schneewitt wurde geächtet und der Plan der Hexen, unbemerkt von allen, durch ihre selbstlose Tat vereitelt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann essen sie noch heute Äpfel.

  • Die Hexenkönigin
    by Tika444

    Schwerter klirrten, Männer schrien, das Geräusch von zurückschnellenden Bogensehnen erfüllte die angstdurchtränkte Luft. Schilde brachen, Eisen splitterte, vermischten sich zu einem allerfüllenden Gesang des Tötens und Sterbens. Jason Kaltwind, seines Zeichens Sohn von Jermi Kaltwind dem König der Stepplande, dem Protektor der Westschmelze, stand inmitten dieses Getümmels aus Blut und Verderben, trug seinen Teil dazu bei. Sein Schwert fuhr durch die Menge, durchschnitt Fleisch und Haut, durchschlug Sehnen und Knochen. Jeder Herzschlag löschte ein Leben aus, jeder Atemzug barg den Geschmack von Blut. Mit aller Gewalt drängte er nach vorne, ließ Blut regnen. Seine Leibgarde blieb zu seinen Seiten, schützte seine Flanken vor Vergeltung. Sie hätten ihn am liebsten gar nicht erst kämpfen lassen, hatten ihn angefleht wenigstens in ihrer Mitte zu bleiben. Doch wie hätte er den Krieg, den er begonnen hatte nur von anderen austragen lassen können. Steine, kochendes Öl und Salve um Salve dutzender Pfeile kamen ihnen von der mächtigen schwarzen Festungsmauer entgegen, die hoch über ihnen aufragte. Den Männern dort oben war es gleichgültig ob sie Freund oder Feind trafen. Von allen Seiten lauerte der Tod. Ihm war es egal, längst hatte ihn der Rausch der Schlacht ergriffen. Sein Herz schlug in Gleichklang seiner Schläge, seine Klinge schrie verzweifelt nach Blut und er gewährte ihr diesen Wunsch. Zahlreiche Leben wurden an diesem Tage ausgehaucht. Doch das war nichts im Vergleich zu den vielen tausenden, die die Truppen der Hexenkönigin bereits genommen hatten, von dem Moment an in dem sie in das Land seines Vater eingefallen waren bis zu ihrer Vertreibung. Die Leben unschuldiger Bauern und selbst die ihrer Frauen und Kinder. Jedes ansehnliche Mädchen war zusammengetrieben worden um es dann dem Verbrechen der Schönheit anzuklagen und hinzurichten. Tausende von Toten allein durch die Eifersucht einer einzigen grausamen Frau.

    „Rumms“, Holz splitterte. Seine Garde hatte die Schilde über ihm zu einem Kokon geformt, der ihn vor Geschossen schützte, während der Rammbock seine Arbeit verrichtete. „Kra-Wumm“ Holz zerbarst. Schreiend stürmten seine Soldaten mit erhobenen Schwertern durch das Tor. Schreiend schlossen er und seine Garde sich diesem nicht enden wollenden Strom aus Fleisch und Metall an. Während die Mauer von außen schwarz und kalt wie die Nacht erschien, so war sie in ihrem inneren weiß wie die Wolken am Himmel, wenn auch nicht unbedingt wärmer. Wie eine Welle schwappte die Armee in das Innere der Festung und riss alles mit sich. Mit den Soldaten kam der Tod. Getragen von scharfen Klingen und schnellen Pfeilen, ergoss er sich als Blut auf das Pflaster und befleckte das makellose Weiß mit Rot. So rot wie die Blätter von Rosen im schönsten aller Sommer. Schwarz, Weiß, Rot. Die Farben dieser Festung. Er rammte seine Klinge in den Bauch einer der wenigen noch kämpfenden Wachen. Der Mann fiel auf die Knie, sah ihn ein letztes Mal flehend an und kippte dann zur Seite. Jasons Magen zog sich zusammen. Dieser Mann konnte nichts für die Grausamkeit seiner Herrin, er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Wie viele Männer waren heute schon gestorben, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Er riss sich zusammen. Es war notwendig gewesen und er hatte keinen seiner Feinde gezwungen zu kämpfen. Mit einem letzten Blick auf den Leichnam der Wache betrat er durch eine große aufgebrochene Tür den Bergfried, während draußen die Schreie langsam verklangen. Der Krieg war gewonnen, so viel stand jetzt endlich fest, doch eine letzte Schlacht hatte er noch zu schlagen.

    Ihre Schritte hallten hohl von den Mauern wieder. Stufe für Stufe stieg er in die Höhe, seine Leibwächter wie stets an seinen Fersen. Hundert Stufen, zweihundert,… Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen. Jeder Schritt fiel ihm schwerer. Hier schien jeder Stein in der Mauer, jede Faser des Teppichs zu seinen Füßen Feindseligkeit auszustrahlen. Schlussendlich erreichte er das Ende der Treppe, die Spitze des Turms. Eine einzige Tür klaffte in der kahlen Mauer. Sie war mit goldener Farbe gestrichen bis auf einige fremde Runen die in das Holz geritzt waren. Nach einem leichten Druck glitt sie geräuschlos auf. Was er sah verschlug ihm den Atem. Goldene Kerzenhalter an der ansonsten unbedeckten weißen Wand tauchten den Raum in flackerndes Licht. Der Boden war von einem purpurroten Teppich bedeckt und die Decke, weit über ihnen, erstahlte in der selben Farbe. Vor dreien der Wände standen Tische, die mit Glaskolben, seltsamen Gerätschaften, deren Sinn sich ihm nicht preisgeben wollte, und verschiedensten Gefäßen voller geheimnisvollen Flüssigkeiten zugestellt waren. Einer der Tische war leer bis auf einen alten Spiegel mit verblichener Goldfassung und eingerahmt von Kerzen, der an der Wand lehnte. Fast wie ein Altar. Er hatte nie viel von dem Geisteszustand der Frau gehalten, aber dass sie einen Spiegel anzubeten schien… Die vierte Wand hingegen war vollkommen nackt. Weder Tische noch Kerzenhalter verdeckten ihre Makellosigkeit, einzig eine Person, die davor stand warf einen Schatten auf das unbefleckte Weiß. Langes silbern glänzendes Haar fiel ihr auf die von einem roten hochgeschlossenem Kleid bedeckten Schultern. Das Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und die Haut zierten braune Altersflecken. Die Augen waren tiefschwarz. Auf ihrem Haar saß eine goldene Krone, besetzt mit Rubinen und reinen Diamanten. Das sollte die Hexenkönigin sein? Jason hatte sie bereits auf Bildern gesehen, doch dort war sie immer als blonde, nahezu engelsgleiche Schönheit abgebildet. Kein Vergleich zu dem was da jetzt vor ihm stand. Eine alte schwache Frau. „Ich habe euch erwartet“, sagte sie selbstsicherer als er angesichts der Übermacht im Zimmer erwartet hätte, „Nun, das heißt, zumindest ihn.“ Voller Ruhe deutete sie auf Jason und in diesem Moment erschlafften seine Begleiter und fielen zu Boden, wie Marionetten denen man die Seile durchgeschnitten hatte. Noch bevor ihre Körper den Boden berührten wusste er, dass sie Tod waren. Entsetzt blickte er auf die Leichen herab. Wut erfüllte ihn, kribbelte in Zehen, Armen, Beinen. Allesamt ehrenwerte Männer. Soldaten, die nichts als ihre Befehle erfüllten. Ihre Gesichter glitzerten vor seinem geistigen Auge und kehrten dann zu der Masse an Seelen, die die Hexenkönigin bereits genommen hatte. Nur eines von vielen ihrer Verbrechen und trotzdem füllte es seinen Horizont. Sein Zorn entlud sich in einem animalischen Schrei. Er hob das Schwert und stürmte auf sie zu. Vor seinen Augen nur Blut, in seinen Ohren nur Brüllen, in seinen Adern nur Feuer. Unbeeindruckt beobachtete sie ihn, sah ihn näher kommen und hob wie beiläufig ein weiteres Mal die Hand. Sein Körper schien gegen eine unsichtbare Mauer zu krachen, Schmerz schoss in seine Beine, seine Nase, seine Fingerspitzen. Benommen schüttelte er den Kopf oder vielmehr versuchte er den Kopf zu schütteln. Er vermochte es nicht. Seine Bewegungen waren erstarrt, seine Muskeln kämpften gegen eine verborgene Barriere, als umschloss ein Glaskäfig seinen gesamten Körper. Die Luft selbst schien ihn nicht mehr freigeben zu wollen. Einzig die Augen konnte er noch ungehindert bewegen. „Aber nicht doch“, sprach die Hexenkönigin tadelnd und wedelte dabei mit dem Zeigefinger vor seiner Nase herum, „So dankt ihr mir also meine Gastfreundschaft. Kommt setzt euch und trinkt einen Tee mit mir.“ Sie lachte schallend auf. Dies alles schien sie ungemein zu belustigen. „Nun kommt. Ihr seid schließlich mein Ehrengast“, fuhr sie fort.
    Die Hexenkönigin drehte sich zu der leeren Wand um und breitete die Arme aus. Plötzlich schien die Mauer in sich zusammen zu fallen so als bestände sie allein aus Stoff, was sie, das bemerkte er überrascht, auch tat. Hinter den weißen Leinen kam ein zweiter Raum zum Vorschein, dessen Wände, Boden und Decke in tiefstem schwarz gehalten waren. Er war leer bis auf eine weiße Liege. Auf ihr lag an Händen und Füßen festgebunden eine zierliche junge Frau, vielleicht etwas jünger als er selbst. Bei ihrem Anblick stockte Jason der Atem, sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie war gekleidet in ein grünes Kleid aus feinster Seide. Ihr Haar war schwarz wie Ebenholz und breitete sich wie ein Wasserfall aus flüssigem Onyx neben ihrem Kopf aus. Ihre makellose Haut war weiß wie frisch gefallener Schnee bis auf die Wangen, die rosig glänzten. Und ihre bebenden Lippen waren rot wie Blut, wie das was heute in scheinbar unendlichen Strömen vergossen worden war. „Wunderschön nicht“, sagte die Hexenkönigin mit verträumtem Blick auf den zierlichen Körper zu ihren Füßen, doch dann regte sich Eifersucht in ihren verklärten Zügen und als sie den Kopf zu ihm drehte sah er ein wahnsinniges Flackern in ihren Augen, dass das immer noch tobende Feuer in seinen Adern zu Asche zerfallen ließ, „Doch heute Nacht, heute Nacht wird diese Schönheit mir gehören. Heute Nacht. Das hat der Spiegel mir versprochen.“ Wieder entbrannte dieses schallende Lachen in ihrer Kehle. Der Spiegel hatte es ihr versprochen? Was hatten ihr dann erst die Tische alles zugeflüstert? Diese Frau war tatsächlich wahnsinnig. Wahnsinnig und mächtig. „Dazu brauchte ich nichts als den Tod Tausender und die Verzweiflung eines jungen Mannes“, erklärte sie und blickte ihn mit einem Lächeln an, dass die Asche in seinen Adern zu Staub verwehte, „Und da kamt ihr ins Spiel.“ Sie zog einen Dolch aus den Falten ihres Gewandes. Sein Knauf und die Parierstange waren mit schimmernden Rubinen besetzt, auf der leicht gebogenen Klinge tanzte das Kerzenfeuer. Sie stellte sich vor die Liege und hob die Waffe über die Brust der jungen Frau. „Bronze zu Eisen, Eisen zu Gold“, begann sie einen feierlich anmutenden Singsang, „Wolle zu Seide. Alt zu neu.“ Er versuchte zu schreien, wollte sie verfluchen, bedrohen, ihr sagen, dass ihre Verbrechen nicht ungesühnt bleiben würden, doch die Worte zerschellten ungesagt an seinen Lippen. „Schatten zu Licht. Mond zu Sonne“, fuhr sie fort. Das Mädchen auf der Liege, Jason kannte nicht mal ihren Namen, warf den Kopf hin und her bis ihr Blick auf den seinen traf. Auf einmal schien die Zeit stillzustehen. Die Welt gefror. Ihre Augen waren wie funkelnde Smaragde, die ihn aufzusaugen schienen, sein Innerstes nach außen verkehrte nur um durch sein Fleisch zu dringen und bis in die tiefsten Gründe seiner Seele zu sehen. Plötzlich spürte Jason, dass seine Arme und Beine zuckten. „Staub zu Stein. Asche zu Feuer“, beendete die Hexenkönigin gerade ihren Sermon und begann die Klinge zu senken, als sie ihn herannahen hörte und innehielt. Er sah in vor Überraschung und Entsetzen geweitete Augen bevor er ihr den Kopf abschlug. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen ging er an dem Torso vorbei, der noch immer im Fallen begriffen war, und schritt zu der Liege. Vorsichtig entfernte er die Fesseln von Füßen und Händen und hielt ihr dann die helfende Hand hin. „Kommt mit mir. Ihr seid in Sicherheit“, sprach er.

  • Victoria
    by Eposs

    Zuerst denken, dann handeln!
    Das hatte ihre Mutter gepredigt. Aus gutem Grund. Denn Victoria hatte als Kind Anpassungsprobleme gehabt. Immer wenn sie damals etwas geängstigt oder überrascht hatte, war sie entweder panisch davongelaufen oder in einen zerstörerischen Angriffsmodus verfallen. Ihre Mutter Regina hatte sie schon als kleines Mädchen zu allen möglichen Psychologen geschleppt, um einen Weg zu finden, diese uralten Überlebensinstinkte in den Griff zu bekommen. Nachdem die studierte Welt keinen guten Rat gewusst hatte, war ihre Mutter dazu übergegangen, sie unvorbereitet in alle erdenklichen Furcht einflößende Situationen zu bringen. Sie war aus Flugzeugen gesprungen und hatte an Kidnappingcamps teilgenommen. Mit neun hatte sie den Umgang mit Waffen erlernt. Seit ihrem vierzehnten Geburtstag konnte sie einen erwachsenen Mann zu Boden ringen. Alle hatten ihre Mutter für verrückt gehalten. Dieser Weg Victoria von ihrem Problem zu befreien, war bei allen auf Unverständnis gestoßen. Aber mit fünfzehn Jahren hatte sie volle Kontrolle über ihre Panik erreicht.

    Tiefe Dankbarkeit und Liebe verband sie mit ihrer Mutter. Nur wegen ihrer unorthodoxen Methoden war Victoria heute imstande hier so gelassen zu stehen und das Bild, das sich ihr bot, langsam in ihr Bewusstsein sinken zu lassen.
    Sie blinzelte den feinen Staub weg, der ihr ins Gesicht flog. Asche? Victoria wunderte sich. Ein kühler Lufthauch strich über ihre Wangen und milderte auch das Brennen in ihren Augen etwas ab. Während sie mit zusammengekniffenen Lidern dastand, steckte sie ihre Hände in die Hosentaschen ihrer Jeans. Gekonnt blies sie ihren Kaugummi zu kolossaler Größe auf, bis er mit leisem Knall platzte und der vertraute Pfefferminzgeruch ihre Nase einhüllte. Zwischen ihren langen Wimpern verschwamm die idyllische Landschaft und ihr Gehirn versuchte, das zu verarbeiten, was sich vor ihr abspielte. Sie legte den Kopf in den Nacken, wippte vor und zurück, aber es half nichts. Das vermeintlich unmögliche Ereignis war Realität:

    Der Himmel brannte.

    Leuchtende Flammen zuckten in den sturmgepeitschten Wolken, orangefarbene Funken tanzten einem Feuerwerk gleich zwischen dunkelroten Blitzen. Ob es dafür eine plausible Erklärung gab? Um ihren Kopf freizukriegen, war sie in den Wald gegangen und nun stand sie seit fünf Minuten ungläubig auf der Wiese zwischen dem Waldrand und dem See. Rasch hatte sie den Drang schreiend zu fliehen begraben, immerhin blickte sie auf einschneidendere Erfahrungen zurück. Wie mit ihrer Mutter in einem Wald zu campen während der Jagdsaison. Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Und nun versuchte sie, diese Erscheinung als gigantisches Nordlicht zu akzeptieren. Sie war fest entschlossen, die Entwicklung der Dinge ruhig abzuwarten. Die Frage, ob diese Lichter ein spontanes weltumfassendes Geschehen waren, oder ob sie sich nur auf dieses Gebiet beschränkten, drängte sich in ihre Gehirn, wie der rauchige Geruch, den der plötzlich böige Wind herantrug, in ihre Nase.
    Dieser Urlaub sollte sie auf andere Gedanken bringen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Sophie wollte sie sich von dem schrecklichen Unfall erholen, der ihre Mutter aus dem Leben gerissen und sie mit einundzwanzig zur Vollwaise gemacht hatte. Noch einmal wanderte ihr Blick über die sonst pittoreske Gegend. Mächtige Berge rahmten das groteske Bild ein und der friedliche See, der ihr ursprüngliches Ziel gewesen war, funkelte im stroboskopischen Licht der Blitze. Ihre Augen flogen zwischen der glitzernden Wasseroberfläche und dem atemberaubenden Feuerwerk in den Wolken hin und her, nicht in der Lage zu entscheiden, welches Naturschauspiel faszinierender war. Plötzlich erfasste sie ein beunruhigender Gedanke. Könnten diese Lichter von einer nuklearen Attacke stammen, reagierte hier Atommüll mit der Atmosphäre?

    In diesem Moment verebbte der heulende Wind, alle Vögel im Wald verstummten, da war ... nichts. Als ob alle Geräusche von einem großen Staubsauger inhaliert worden wären. In dieser Stille hörte Victoria ein leises, sehr hohes Sirren, irgendwo staute sich enormer Druck, der nur darauf wartete hervorzubrechen. Victorias Herz raste, ihr Atmen kam in immer kürzeren Stößen, als sie sich gedanklich gegen das unvermeidlich Kommende wappnete. Ein einzelner Blitz zerfetzte die dunklen Wolken, das darunterliegende Gebiet wurde vom grellen Licht in scharfe Schatten getaucht und die erhitzte Luft glühte für einen Moment auf. Grimmig dachte Victoria an ihren größten Erfolg bei der Panikbekämpfung zurück. Nach zwei Monaten war es ihr gelungen, bei einem Schuss nicht mehr panisch zu schreien. Dann wurde die Stille von einem markerschütternden Krachen zerrissen. Die elektrische Entladung ließ alle Härchen auf Victorias Haut senkrecht in die Höhe stehen. Der nächste Blitz überraschte sie und ein scharfer Schmerz fuhr in ihren Kopf. Vor ihren geblendeten Augen tanzte ein paar Sekunden ein verstörendes farbiges Kaleidoskop.
    »Mannomann!«
    Sie versuchte sich mit einem Schritt nach vorne auszubalancieren, aber ihre butterweichen Knie gaben nach und sie sackte auf den Boden. Den Donner erwartend befreite sie ihre Handflächen an der Hose von kleinen Steinchen, als ein ohrenbetäubendes Brüllen die unheimliche Stille zerschmetterte. Die Vibrationen rollten von den Bergen, flogen über das Wasser, durchpeitschten die Ufervegetation und erschütterten Victoria bis ins Knochenmark. Schließlich verklangen sie in einem leiser werdenden Echo, das zwischen den Bergen widerhallte. Von der Heftigkeit des Schalls überrascht, fiel Victoria nach hinten und starrte erschrocken in den schwarzrot getigerten Himmel. Feuerzungen leckten gierig über die Wolken.

    Umherblickend entdeckte sie hinter sich einen Felsen, den sie rückwärts kriechend erreichte, dankbar nahm sie die kühle Unterstützung des Gesteins an. Sie spürte, wie sich ihre Nackenmuskulatur zusammenzog - eine Panikattacke auf ihrem Weg - und versuchte, durch ruhiges gleichmäßiges Atmen, die sich ankündigenden Verkrampfungen zu verhindern. Sie dachte trotzig an ihren ersten Bungeejump mit fünf und beobachtete dabei noch immer neugierig das brodelnde Zentrum über dem Wasser.

    Normale Wolken hängen nie so tief.

    Aus den glühenden Schwaden löste sich plötzlich ein schwarzer mit unglaublicher Geschwindigkeit Richtung Erdboden schießender Schatten. Unvermittelt stoppte der rasende Fall und die majestätische Gestalt schwebte schwerelos unter den Wolken, offenbar um sich zu orientieren.

    Victorias Atem stockte.

    Die dunkle Silhouette entschied sich für eine Richtung, ihre Richtung, und gewann mit der kleiner werdenden Distanz rasch an Größe. Es hatte ... es hatte Flügel. Und sie saß genau in der Verlängerung der Flugbahn. Unaufhaltbar schoss die Panik wie ein einschlagendes Projektil durch ihren Körper. Victorias Unterbewusstsein hatte sich schon entschieden zu erkennen, was sie da sah. Alle ihre Schutzmauern zerfielen zu Staub. Ihre schweißnassen Hände klebten an ihrer Hose, in den Ohren rauschte ihr Blut mit der Frequenz eines Trommelwirbels, während sie das heranfliegende Ungetüm fixierte. Den Rücken fest an den Felsen gedrückt beobachtete sie bewegungsunfähig, wie es geradezu graziös zu Landung ansetzte.
    Immer mehr Details brannten sich in ihr Gehirn, den riesigen Körper überzog blutrote Haut, die an den Flanken in dicke tropfenförmige Schuppen überging. Im aufgerissenen Maul glänzten zwei Reihen von messerscharfen Reißzähnen, die einer tödlichen Zange glichen. Beim Anblick des schwarzen Zackenkamms, der vom Nacken bis zur Schwanzspitze verlief, schloss sie die Augen und griff an ihren Hals. Zittrige Finger tasteten nach dem roten Samtband, das sich an ihren Nacken schmiegte. Sie strich über die kleinen, wie immer körperwarmen, Kegel aus tiefschwarzem Ebenholz, die sich daran, wie Orgelpfeifen der Größe nach geordnet, von rechts nach links aneinanderreihten. Über ihrem bebenden Herzen pendelte ein schneeweißer gebogener Zahn. Schlagartig breitete sich Klarheit in ihr aus, denn jetzt wusste sie endlich, was diese Kette darstellte, die ihre Mutter ihr hinterlassen hatte.

  • ui...
    zwei Geschichten gefallen mir richtig richtig gut!!!
    kann mich nicht entscheiden :pinch:
    will jemand schere Stein Papier mit mir spielen??? :D :P

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • @TiKa444 Zwischen Ratte und Drache und Kinderliebe... die eine hat halt nen voll cooles Ende und die andere ist halt einfach nur lustig xD

    @Klimbim oder anders XD
    1-5 die eine Geschichte 6-10 die andere und wir sagen jetzt beide eine Zahl und die entscheidet dann für den anderen XD
    oder hängst du zwischen mehr Geschichten fest? :D

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Oh Wow hier sind so viele talentierte Schreiber dabei...eine Geschichte gefälllt mir besonders gut...wirklich gut geschrieben...freue mich schon von dem jenigen weitere Geschichten zu lesen. :thumbup:

  • Zu Gruß! :paladin:

    Der Votingzeitraum zum Schreibwettbewerb August/September 2014 ist hiermit abgelaufen! Und tatsächlich können wir euch auch diesmal wieder einen demokratisch gewählten Gewinner/eine Gewinnerin präsentieren.

    Hier die Auflösung:

    ...Gewonnen hat mit 6 von insgesamt 19 Stimmen... *trommelwirbel* :mamba2:

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    :mamba2:

    Spoiler anzeigen

    Tom Stark mit der Geschichte "Zwischen Ratte und Drache"


    Herzlichen Glückwunsch! Du kannst nun das Thema für den nächsten Wettbewerb vorgeben und wurdest in die Rangliste eingetragen. Ausserdem bekommst für einen Monat 3 goldene Sterne und einen eigenen Benutzertitel. ;)

    Ein herzliches Dankeschön auch an alle anderen Teilnehmer! Wir hoffen, dass ihr beim nächsten Schreibwettbewerb auch wieder fleissig mitmacht und so zahlreich abstimmt. Wir sind schon sehr auf das neue Thema gespannt, das unser aktueller Gewinner hoffentlich schon bald vorgeben wird. 8)

    Übrigens könnt ihr nun auch nachschauen, wer die Autoren sind. Diese wurden den Geschichten beigefügt.

    Das war der Schreibwettbewerb August/September 2014. Vergesst nicht, euer Feedback zu den Geschichten zu hinterlassen! ;)

    Euer Fantasy-Geschichten-Forum