Hallo,
falls jemand Lust hat, hier reinzuschauen, stelle ich auch mal einen Text ein.
Dies ist der Anfang vom 1. Kapitel meines Manuskripts.
Schreibt mir gerne, ob es euch gefällt oder nicht oder ob ihr etwas anzumerken habt!
LG
Kirisha
* * *
Die Göttin weinte.
Natürlich konnte Pirina ihre Tränen nicht sehen, die sah man nicht bei einer Göttin. Genau genommen sah sie nicht einmal Aminas Gestalt, denn diese verbarg sich innerhalb der hölzernen Statue, welche die Aminarinnen vor langer Zeit angefertigt hatten, um die Erhabene zu verehren. Pirina schlang ihre Arme fest um ihren mißhandelten kalten, harten, halbierten Körper. Susu und Nelia hatten die Statue mit einer Axt angegriffen. Sie hatten den hölzernen Kopf gespalten, den zum Himmel erhobenen Arm sowie einen Fuß abgeschlagen und die übrige göttliche Hülle so mit Hieben zerhackt, daß kaum noch etwas Heiliges von ihr übriggeblieben war. Aber den kleinen Rest, den sie nicht erwischt hatten, den klammerte Pirina mit all ihrer Kraft an sich, und sie würde ihn auch nicht loslassen. Diese Ketzerinnen. Diese Abtrünnigen. Wie konnten sie solch ein Verbrechen begehen!
„Pirina! Pirina!“
Das war Thessas Stimme.
Bleib draußen! Ich will dich gar nicht sehen!
Pirina verachtete sie. Sie verachtete sie alle, diese ganze miese, verbrecherische Bande, die ihr das angetan hatte. Die Göttin zu verlassen! Keine Lieder mehr, keine Gebete, kein Himmel über ihnen... Was sollte aus Amina werden? Was aus Pirina?
Knirschende Schritte näherten sich. Es hörte sich danach an, als stakste Thessa über den von Glassplittern übersäten Boden des ehemaligen Tempels. Nicht nur die Statue der Amina war zerstört, diese Wahnsinnigen hatten alles verwüstet. Kerzen lagen auf dem Boden, Bänke waren gesplittert, überall lagen Scherben. Sie hatten ihr Allerheiligstes geschändet! Den Tempel zerstört, die Göttin zerhackt!
Amina weinte so laut, als ob es sie von innen zerreißen wollte. Das spürte Pirina in allen Fasern. Ihre Tränen vermischten sich mit denen der Göttin, sie verfingen sich in einander und banden eine Kette... eine harte, feste Kette, die Pirina ein bißchen Halt gab in all dem Chaos um sie herum.
„Steckst du schon wieder hier?“, hörte sie Thessas Stimme tadelnd, sogar mit deutlicher Wut, über ihrem Kopf. „Begreif es doch, Kind! Alles das hier war ein Irrtum.“ Sie wies mit der Hand quer durch den ehemaligen Tempel. „Du kannst nicht tagelang in dieser Rumpelkammer hocken. Hilf uns im Lazarett! Wir brauchen dich.“
„Amina weint“, schluchzte Pirina.
„Das Weinen, das du hörst, kommt von all den armen Kranken aus dem Lazarett nebenan!“, wies Thessa sie zurecht. „Ich verstehe, daß du traurig bist. Wir sind alle traurig. Amina hat uns verlassen... aber das Leben geht weiter, und wir haben eine Aufgabe. Du auch. Komm jetzt.“
Pirina hob den Kopf. Ihre Augen waren vom vielen Weinen so verschwollen, daß sie Thessa kaum erkannte.
„Amina hat uns gar nicht verlassen! Ihr habt sie im Stich gelassen! Das durftet ihr nicht! Sie wartet auf uns. Sie braucht unsere Hilfe!“
„Das reicht jetzt, Pirina! Komm!“
Thessa zog Pirina hoch und schleppte sie hinter sich her. Die Kleine hatte keine Kraft, sich zu wehren. Schön, sie würde den armen Kranken helfen, das gehörte ja zu Aminas Dienst dazu. Aber die Göttin verlassen – nein! Das würde sie nicht! Niemals!
Das Lazarett war längst nicht mehr so beliebt wie früher einmal. Es beherbergte derzeit nur sieben Patienten. Dies lag nicht bloß daran, daß die Zahl der Helferinnen drastisch gesunken war – Susu und Nelia hatten die Gemeinschaft zusammen mit allzu vielen anderen früheren Freundinnen verlassen – sondern auch daran, daß die Kranken neuerdings ihr eigenes Essen mitbringen mußten und auch noch einen Teil der Behandlung bezahlten. Zu essen gab es bei den Aminarinnen kaum noch etwas, es reichte nicht einmal für sie selbst. Wochenlang lebten sie nur von dünnen Suppen. Sehr oft schon war Pirina hungrig ins Bett gegangen.
Sie schlich mit gesenktem Kopf hinter Thessa her. Es grauste ihr vor Krankheiten, und sie konnte kein Blut sehen. Das hätte sie ertragen können, wenn sie die Göttin noch über sich gewußt hätte, aber es war ja alles zerstört! Dara war nicht mehr da. Ach... Es war noch gar nicht so lange her, daß sie eine eigene Mama bekommen hatte. Wie schön hatte sich das angefühlt! Aber jetzt war sie verschwunden. Das tat so weh, daß sie in der ersten Zeit tagelang um Dara geweint hatte. Jetzt aber wurde ihr klar, daß der Verrat der anderen noch wesentlich schlimmer war. Die Göttin hatte sie beschützt, so lange sie sich erinnern konnte. Schon lange, bevor Dara kam. Als sie noch ganz klein gewesen war und keine der Erwachsenen sich für das magere, unscheinbare Waisenkind interessierte, hatte sie sich oft um die hölzernen Füße der Statue geklammert und gefühlt, daß da drinnen eine höhere Macht lebte. Eine, zu der sie leider nie richtig Kontakt bekommen hatte, aber sie war immerhin da. Und jetzt...
Jetzt hatte sie die Göttin sogar leibhaftig gesehen! In Darghessa! Leider nur sie allein. Und keine von den anderen glaubte ihr, daß sie Amina gesehen hatte. Im Gegenteil, die verlangten tatsächlich, sie sollte der heiligen Göttin abtrünnig werden, so wie alle anderen abtrünnig geworden waren, die ihren Tempel geschändet und Amina zu einer „Lüge“ erklärt hatten! Diese Verräter! Diese Gotteslästerer!
Thessa setzte sich an das Lager eines Mannes. Er blutete aus einer gezackten Wunde am Unterschenkel, die rot gerändert und innen teilweise schwarz war. Mochte der Himmel wissen, woher er sich die geholt hatte. Pirina gedachte jedenfalls nicht, sie zu berühren, sie konnte kaum hingucken.
Nun langte Thessa nach einem kleinen Bastkörbchen und reichte es an Pirina.
„Wir haben keine Jadedornblüten mehr“, sagte sie betont freundlich zu dem Mädchen. „Die helfen gut bei dieser Art von Wunden. Du weißt, wo sie wachsen, oder? Kannst du so viele davon holen, wie du finden kannst?“
„Okay“, murmelte Pirina, erleichtert darüber, daß sie nichts Ekelhaftes anzufassen brauchte, und nahm das Bastkörbchen in die Hand.
Sie beeilte sich, nach draußen zu kommen. Eine ungewohnte Wärme schlug ihr entgegen. Es war schon fast Sommer. Ob der Jadedorn überhaupt noch blühte? Aber egal. Hauptsache, sie konnte dem Lazarett und diesen Verräterinnen im Hauptquartier eine Weile entwischen.
Sie summte inbrünstig:
Amina, höre uns
Amina, schütze uns
Amina, führe uns heut an das Licht!
Wenn doch alle diese schrecklichen Dinge in Darghessa nicht geschehen wären! Wenn Dara noch lebte! Und Pirina mutig genug wäre, nach der Göttin zu suchen, die sie getroffen hatte! Sie wußte ja sogar, wo dieses höhere Wesen sich aufhielt. In Ygramor. Auf der Räuberburg ihres Vaters, der der schlimmste Verbrecher in dieser ganzen gottlosen Gegend war. Falls „Amina“ diesen Titel nicht selber verdiente. Wie eine echte Göttin hatte sie sich nicht benommen, oder? Pirina schluckte. Sie wußte trotzdem, daß sie eine war. Wer konnte denn wissen, wie sich Götter normalerweise benahmen? Sollte sie wirklich so ein gefährliches Wesen suchen?! Sie war viel zu klein... Das würde sie sich nie trauen.
Gedankenverloren tänzelte sie einen schmalen Pfad entlang, mitten durch den Wald. Er führte zu einer Wiese, auf der Kühe weideten. Ein Stück weiter wohnte ein Bauer, von dem Pirina manchmal Eier klaute, wenn der Hunger zu sehr bohrte. Sie erreichte einen größeren Weg, folgte ihm und fand kurz darauf den Graben mit den Büschen, wo der Jadedorn wuchs.
Natürlich sah sie nirgends eine Blüte. Die waren schon immer rar gewesen und außerdem war die Zeit gerade vorbei. Pirina stakste trotzdem über den Graben hinweg zu dem Busch und bog dann kleine Zweige und Blätter zur Seite, um vielleicht eine verirrte allerletzte Blüte zu finden.
Aha! Da, ganz hinten, schimmerte etwas Weißes!
Pirina war so von ihrer Aufgabe absorbiert, daß sie die Pferde gar nicht herantraben gehört hatte. Erst als sie schon ganz nah waren, erschreckte sie das donnernde Hufgetrappel. Sie fuhr hoch. Hier ritt sonst nie jemand entlang. Der Bauer war der einzige, der in der ganzen Gegend überhaupt ein Pferd besaß. Jetzt aber tauchten vor ihr wie aus dem Nichts acht Reiter auf, alle in graue Umhänge eingehüllt. Pirina erstarrte, als ihr der Soldat in der Mitte ins Auge fiel. Dessen Umhang war voller Blut, seine Stirn war zerkratzt, und er hielt eine blutüberströmte Gestalt in den Armen. Ein junges Mädchen. Ihr Gesicht war totenblaß und ihre Augen geschlossen.
„He!“, rief ausgerechnet dieser Reiter sie an, in einem scharfen, hektischen Ton, der Pirina zusammenzucken ließ. „Hier soll irgendwo ein Lazarett sein! Kannst du mir sagen, wo ich es finde?“
Er kramte in seiner Tasche und warf etwas Kleines, Glänzendes in ihre Richtung. Es landete exakt zu ihren Füßen.
Eine Münze.
Pirina duckte sich blitzschnell und hob sie auf. Sie hatte ordentlich Gewicht. Auf der Vorderseite prangte ein Adler. Hinten blickte sie das ehrfurchtgebietende Antlitz eines Fürsten an. Alles glänzte und glitzerte hellgelb. Das war eine echte goldene Hellone!
„Klar, kann ich!“
Pirina ballte ihre Faust um das Goldstück und sprang aus dem Graben heraus. Na, die würden aber große Augen machen, wenn Pirina mit diesem Schatz auftauchte statt bloß mit Blüten!
„Grevor! Nimm sie auf dein Pferd, dann geht es schneller!“, befahl der Reiter in der Mitte. Ehe Pirina es sich versah, saß sie schon bei einem der Männer auf dem Schoß und brauchte nur noch mit der Hand zu zeigen, welchen Weg sie nehmen sollten. Ihr wurde mulmig zumute. Das hätte sie vielleicht nicht tun sollen. Sie wußte ja nicht, was das für Leute waren. Diese Umhänge… die waren alle vermummt, so als hätten sie was zu verbergen… vielleicht waren das Mörder! Und sie wollte diese Mörder zu ihren Leuten führen! Der Weg war allerdings so kurz, daß sie bis zu diesem Gedanken viel zu spät gelangte. Erst, als sie um die letzte Kurve bogen und der Eingang zu dem Kräuterladen, der dem Hauptquartier vorgelagert war, schon gut sichtbar war mit seinen auffälligen Ziersträuchern und dem großen gerahmten Fenster, durch das hindurch sie Xina am Tresen stehen sehen konnte.
„Halt!“