Die weinende Göttin

Es gibt 32 Antworten in diesem Thema, welches 7.286 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (20. März 2017 um 09:52) ist von Jennagon.

  • Hallo,
    falls jemand Lust hat, hier reinzuschauen, stelle ich auch mal einen Text ein.
    Dies ist der Anfang vom 1. Kapitel meines Manuskripts.
    Schreibt mir gerne, ob es euch gefällt oder nicht oder ob ihr etwas anzumerken habt!
    LG
    Kirisha

    * * *

    Die Göttin weinte.
    Natürlich konnte Pirina ihre Tränen nicht sehen, die sah man nicht bei einer Göttin. Genau genommen sah sie nicht einmal Aminas Gestalt, denn diese verbarg sich innerhalb der hölzernen Statue, welche die Aminarinnen vor langer Zeit angefertigt hatten, um die Erhabene zu verehren. Pirina schlang ihre Arme fest um ihren mißhandelten kalten, harten, halbierten Körper. Susu und Nelia hatten die Statue mit einer Axt angegriffen. Sie hatten den hölzernen Kopf gespalten, den zum Himmel erhobenen Arm sowie einen Fuß abgeschlagen und die übrige göttliche Hülle so mit Hieben zerhackt, daß kaum noch etwas Heiliges von ihr übriggeblieben war. Aber den kleinen Rest, den sie nicht erwischt hatten, den klammerte Pirina mit all ihrer Kraft an sich, und sie würde ihn auch nicht loslassen. Diese Ketzerinnen. Diese Abtrünnigen. Wie konnten sie solch ein Verbrechen begehen!
    „Pirina! Pirina!“
    Das war Thessas Stimme.
    Bleib draußen! Ich will dich gar nicht sehen!
    Pirina verachtete sie. Sie verachtete sie alle, diese ganze miese, verbrecherische Bande, die ihr das angetan hatte. Die Göttin zu verlassen! Keine Lieder mehr, keine Gebete, kein Himmel über ihnen... Was sollte aus Amina werden? Was aus Pirina?
    Knirschende Schritte näherten sich. Es hörte sich danach an, als stakste Thessa über den von Glassplittern übersäten Boden des ehemaligen Tempels. Nicht nur die Statue der Amina war zerstört, diese Wahnsinnigen hatten alles verwüstet. Kerzen lagen auf dem Boden, Bänke waren gesplittert, überall lagen Scherben. Sie hatten ihr Allerheiligstes geschändet! Den Tempel zerstört, die Göttin zerhackt!
    Amina weinte so laut, als ob es sie von innen zerreißen wollte. Das spürte Pirina in allen Fasern. Ihre Tränen vermischten sich mit denen der Göttin, sie verfingen sich in einander und banden eine Kette... eine harte, feste Kette, die Pirina ein bißchen Halt gab in all dem Chaos um sie herum.
    „Steckst du schon wieder hier?“, hörte sie Thessas Stimme tadelnd, sogar mit deutlicher Wut, über ihrem Kopf. „Begreif es doch, Kind! Alles das hier war ein Irrtum.“ Sie wies mit der Hand quer durch den ehemaligen Tempel. „Du kannst nicht tagelang in dieser Rumpelkammer hocken. Hilf uns im Lazarett! Wir brauchen dich.“
    „Amina weint“, schluchzte Pirina.
    „Das Weinen, das du hörst, kommt von all den armen Kranken aus dem Lazarett nebenan!“, wies Thessa sie zurecht. „Ich verstehe, daß du traurig bist. Wir sind alle traurig. Amina hat uns verlassen... aber das Leben geht weiter, und wir haben eine Aufgabe. Du auch. Komm jetzt.“
    Pirina hob den Kopf. Ihre Augen waren vom vielen Weinen so verschwollen, daß sie Thessa kaum erkannte.
    „Amina hat uns gar nicht verlassen! Ihr habt sie im Stich gelassen! Das durftet ihr nicht! Sie wartet auf uns. Sie braucht unsere Hilfe!“
    „Das reicht jetzt, Pirina! Komm!“
    Thessa zog Pirina hoch und schleppte sie hinter sich her. Die Kleine hatte keine Kraft, sich zu wehren. Schön, sie würde den armen Kranken helfen, das gehörte ja zu Aminas Dienst dazu. Aber die Göttin verlassen – nein! Das würde sie nicht! Niemals!
    Das Lazarett war längst nicht mehr so beliebt wie früher einmal. Es beherbergte derzeit nur sieben Patienten. Dies lag nicht bloß daran, daß die Zahl der Helferinnen drastisch gesunken war – Susu und Nelia hatten die Gemeinschaft zusammen mit allzu vielen anderen früheren Freundinnen verlassen – sondern auch daran, daß die Kranken neuerdings ihr eigenes Essen mitbringen mußten und auch noch einen Teil der Behandlung bezahlten. Zu essen gab es bei den Aminarinnen kaum noch etwas, es reichte nicht einmal für sie selbst. Wochenlang lebten sie nur von dünnen Suppen. Sehr oft schon war Pirina hungrig ins Bett gegangen.
    Sie schlich mit gesenktem Kopf hinter Thessa her. Es grauste ihr vor Krankheiten, und sie konnte kein Blut sehen. Das hätte sie ertragen können, wenn sie die Göttin noch über sich gewußt hätte, aber es war ja alles zerstört! Dara war nicht mehr da. Ach... Es war noch gar nicht so lange her, daß sie eine eigene Mama bekommen hatte. Wie schön hatte sich das angefühlt! Aber jetzt war sie verschwunden. Das tat so weh, daß sie in der ersten Zeit tagelang um Dara geweint hatte. Jetzt aber wurde ihr klar, daß der Verrat der anderen noch wesentlich schlimmer war. Die Göttin hatte sie beschützt, so lange sie sich erinnern konnte. Schon lange, bevor Dara kam. Als sie noch ganz klein gewesen war und keine der Erwachsenen sich für das magere, unscheinbare Waisenkind interessierte, hatte sie sich oft um die hölzernen Füße der Statue geklammert und gefühlt, daß da drinnen eine höhere Macht lebte. Eine, zu der sie leider nie richtig Kontakt bekommen hatte, aber sie war immerhin da. Und jetzt...
    Jetzt hatte sie die Göttin sogar leibhaftig gesehen! In Darghessa! Leider nur sie allein. Und keine von den anderen glaubte ihr, daß sie Amina gesehen hatte. Im Gegenteil, die verlangten tatsächlich, sie sollte der heiligen Göttin abtrünnig werden, so wie alle anderen abtrünnig geworden waren, die ihren Tempel geschändet und Amina zu einer „Lüge“ erklärt hatten! Diese Verräter! Diese Gotteslästerer!
    Thessa setzte sich an das Lager eines Mannes. Er blutete aus einer gezackten Wunde am Unterschenkel, die rot gerändert und innen teilweise schwarz war. Mochte der Himmel wissen, woher er sich die geholt hatte. Pirina gedachte jedenfalls nicht, sie zu berühren, sie konnte kaum hingucken.
    Nun langte Thessa nach einem kleinen Bastkörbchen und reichte es an Pirina.
    „Wir haben keine Jadedornblüten mehr“, sagte sie betont freundlich zu dem Mädchen. „Die helfen gut bei dieser Art von Wunden. Du weißt, wo sie wachsen, oder? Kannst du so viele davon holen, wie du finden kannst?“
    „Okay“, murmelte Pirina, erleichtert darüber, daß sie nichts Ekelhaftes anzufassen brauchte, und nahm das Bastkörbchen in die Hand.


    Sie beeilte sich, nach draußen zu kommen. Eine ungewohnte Wärme schlug ihr entgegen. Es war schon fast Sommer. Ob der Jadedorn überhaupt noch blühte? Aber egal. Hauptsache, sie konnte dem Lazarett und diesen Verräterinnen im Hauptquartier eine Weile entwischen.
    Sie summte inbrünstig:
    Amina, höre uns
    Amina, schütze uns
    Amina, führe uns heut an das Licht!
    Wenn doch alle diese schrecklichen Dinge in Darghessa nicht geschehen wären! Wenn Dara noch lebte! Und Pirina mutig genug wäre, nach der Göttin zu suchen, die sie getroffen hatte! Sie wußte ja sogar, wo dieses höhere Wesen sich aufhielt. In Ygramor. Auf der Räuberburg ihres Vaters, der der schlimmste Verbrecher in dieser ganzen gottlosen Gegend war. Falls „Amina“ diesen Titel nicht selber verdiente. Wie eine echte Göttin hatte sie sich nicht benommen, oder? Pirina schluckte. Sie wußte trotzdem, daß sie eine war. Wer konnte denn wissen, wie sich Götter normalerweise benahmen? Sollte sie wirklich so ein gefährliches Wesen suchen?! Sie war viel zu klein... Das würde sie sich nie trauen.
    Gedankenverloren tänzelte sie einen schmalen Pfad entlang, mitten durch den Wald. Er führte zu einer Wiese, auf der Kühe weideten. Ein Stück weiter wohnte ein Bauer, von dem Pirina manchmal Eier klaute, wenn der Hunger zu sehr bohrte. Sie erreichte einen größeren Weg, folgte ihm und fand kurz darauf den Graben mit den Büschen, wo der Jadedorn wuchs.
    Natürlich sah sie nirgends eine Blüte. Die waren schon immer rar gewesen und außerdem war die Zeit gerade vorbei. Pirina stakste trotzdem über den Graben hinweg zu dem Busch und bog dann kleine Zweige und Blätter zur Seite, um vielleicht eine verirrte allerletzte Blüte zu finden.
    Aha! Da, ganz hinten, schimmerte etwas Weißes!
    Pirina war so von ihrer Aufgabe absorbiert, daß sie die Pferde gar nicht herantraben gehört hatte. Erst als sie schon ganz nah waren, erschreckte sie das donnernde Hufgetrappel. Sie fuhr hoch. Hier ritt sonst nie jemand entlang. Der Bauer war der einzige, der in der ganzen Gegend überhaupt ein Pferd besaß. Jetzt aber tauchten vor ihr wie aus dem Nichts acht Reiter auf, alle in graue Umhänge eingehüllt. Pirina erstarrte, als ihr der Soldat in der Mitte ins Auge fiel. Dessen Umhang war voller Blut, seine Stirn war zerkratzt, und er hielt eine blutüberströmte Gestalt in den Armen. Ein junges Mädchen. Ihr Gesicht war totenblaß und ihre Augen geschlossen.
    „He!“, rief ausgerechnet dieser Reiter sie an, in einem scharfen, hektischen Ton, der Pirina zusammenzucken ließ. „Hier soll irgendwo ein Lazarett sein! Kannst du mir sagen, wo ich es finde?“
    Er kramte in seiner Tasche und warf etwas Kleines, Glänzendes in ihre Richtung. Es landete exakt zu ihren Füßen.
    Eine Münze.
    Pirina duckte sich blitzschnell und hob sie auf. Sie hatte ordentlich Gewicht. Auf der Vorderseite prangte ein Adler. Hinten blickte sie das ehrfurchtgebietende Antlitz eines Fürsten an. Alles glänzte und glitzerte hellgelb. Das war eine echte goldene Hellone!
    „Klar, kann ich!“
    Pirina ballte ihre Faust um das Goldstück und sprang aus dem Graben heraus. Na, die würden aber große Augen machen, wenn Pirina mit diesem Schatz auftauchte statt bloß mit Blüten!
    „Grevor! Nimm sie auf dein Pferd, dann geht es schneller!“, befahl der Reiter in der Mitte. Ehe Pirina es sich versah, saß sie schon bei einem der Männer auf dem Schoß und brauchte nur noch mit der Hand zu zeigen, welchen Weg sie nehmen sollten. Ihr wurde mulmig zumute. Das hätte sie vielleicht nicht tun sollen. Sie wußte ja nicht, was das für Leute waren. Diese Umhänge… die waren alle vermummt, so als hätten sie was zu verbergen… vielleicht waren das Mörder! Und sie wollte diese Mörder zu ihren Leuten führen! Der Weg war allerdings so kurz, daß sie bis zu diesem Gedanken viel zu spät gelangte. Erst, als sie um die letzte Kurve bogen und der Eingang zu dem Kräuterladen, der dem Hauptquartier vorgelagert war, schon gut sichtbar war mit seinen auffälligen Ziersträuchern und dem großen gerahmten Fenster, durch das hindurch sie Xina am Tresen stehen sehen konnte.
    „Halt!“

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Hi Kirisha,

    schön, dass du jetzt auch mit einer Geschichte an den Start gehst. Ich finde es bis hier gut geschrieben. Obwohl ich gerade eigentlich nicht viel Zeit habe, hinterlasse ich dir aber ein paar Anmerkungen. Nur, was mir so aufgefallen ist. Es ist nichts inhaltsliches, mehr so Form und Stil.

    Pirina schlang ihre Arme fest um ihren mißhandelten kalten, harten, halbierten Körper.

    Hier sind für meinen Geschmack ein paar zu viele Adjektive drin. Misshandelt, kalt, hart und halbiert ...ohjeohje...vielleicht kannst du dich ja von ein bis zwei trennen :)

    Es grauste ihr vor Krankheiten, und sie konnte kein Blut sehen.

    Irgendwie bin ich darüber gestolpert. Vielleicht, weil ich mir schwerlich vorstellen kann, wie man sich vor "Krankheiten" grausen kann. Man kann sich vor schlimmen Bildern grausen, die diese Krankheiten mit sich bringen (z.B. verfaulte Körperteile oder sowas) oder aber man kann sich vor schlimmen Wunden grausen, die von einer Verletzung stammen. Vielleicht würde ich eher schreiben: Es grauste ihr vor den vielen kranken Menschen..... Oder: Es grauste ihr vor den schrecklichen Bildern, die sich in ihre Erinnerung brennen würden...." (nur so ne Idee)

    Das hätte sie ertragen können, wenn sie die Göttin noch über sich gewußt hätte, aber es war ja alles zerstört! Dara war nicht mehr da. Ach... Es war noch gar nicht so lange her, daß sie eine eigene Mama bekommen hatte.

    Hier war ich kurz verwirrt und dachte: "Hä, die Göttin heißt doch Amina! Wieso plötzlich Dara?" Bis ich dann geschnallt habe, dass du plötzlich von einer ganz anderen Person sprichst. (scheinbar Pirinas Mutter) Vielleicht kann man das für so Deppen wie mich etwas deutlicher hervorheben?

    Wie gesagt...es gefällt mir...ich würde weiterlesen :) Ach ja, bist du daran interessiert, auf Rechtschreibfeheler hingewiesen zu werden? Es sind einige drin, die ich jetzt aber nicht angeführt habe.

    Viele Grüße,
    Rainbow

  • Hi Rainbow,
    danke schön! Deine Tips klingen relevant und die beherzige ich gerne.
    Falls du irgendwelche grauslichen Rechtschreibfehler gefunden hast, kannst du mir die natürlich auch gerne markieren.

    Viele Grüsse
    Kirisha

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Sehr schöne Arbeit! Hat mich gleich gefesselt und neugierig gemacht!

    mißhandelten kalten, harten, halbierten

    Hier muss ich @Rainbow zustimmen. Solche Ketten von Adjektiven würde ich vermeiden.

    Göttin, sie verfingen sich in einander und banden eine Kette... eine harte, feste Kette, die Pirina ein bißchen Halt gab in all dem Chaos um sie herum.
    „Steckst du schon wieder hier?“, hörte sie Thessas Stimme tadelnd, sogar mit deutlicher Wut, über ihrem Kopf. „Begreif es doch, Kind! Alles das hier war ein Irrtum.“ Sie wies mit der Hand quer durch den ehemaligen Tempel. „Du kannst nicht tagelang in dieser Rumpelkammer hocken. Hilf uns im Lazarett! Wir brauchen dich.“

    Da solltest du beim Perspektivwchsel einen Absatz (eine Zeile auslassen) machen, es hat mich etwas verwirrt.

    Das Lazarett war längst nicht mehr so beliebt wie früher einmal.

    Lazarett kennt man eher aus dem militärischen Kontext. Ich würde vielleicht Hospital nehmen. EIn Lazarett ist nie beliebt, aber niemand, der da hinkommt, hat die Wahl, ob er es tut. ;)
    Das sind aber alles Kleinigkeiten. Wie es nach diesem "Halt" nun weitergeht (sehr geschickt!) interessiert mich schon mal sehr!

  • Hallo Windweber,

    das war mir nicht bewusst, dass ein Lazarett eher militärisch verwendet wird. Schade. Klingt so schön altmodisch. Hospital klingt mir eigentlich eine Nummer zu gross, aber das werde ich dann wohl nehmen (oder Spital).
    Äh... ja, "beliebt" war vielleicht auch nicht das passende Adjektiv für ein Krankenhaus.
    Danke für deine Hilfe!

    LG
    Kirisha

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Spital ist super! Ich habe nochmal nachgeschlagen, bevor ich dir Unsinn erzähle, aber ich hatte recht - Lazaret ist ein militärischer Begriff: http://www.duden.de/rechtschreibung/Lazarett Es bezeichnet ein (teils profisorisches) Krankenhaus für Soldaten. Übrigens ist der Begriff dafür auch noch gebräuchlich, (Ho)Spital ist tatsächlich altmodischer. "Siechhaus" wäre noch älter, aber da geht es eher um Sterbebegleitung, glaube ich... ;)

  • Hallo Kirisha,

    bis hierher ist das schon mal ganz interessant. Ich liebe ja Geschichten, die Glaube und Götter zum Thema haben.

    War ein bisschen schwierig in den Text zu finden, da bereits fünf verschiedene Namen in den (bei mir) ersten zehn Zeilen auftauchen.
    Musste nochmal einen zweiten, langsamen Anlauf nehmen um in der Erzählung anzukommen, aber das wird wohl eher an mir liegen bzw. der Uhrzeit geschuldet sein ;)

    Deine zentrale Figur Pirina kommt wunderbar sympathisch rüber, da du uns gleich an ihrer Gedanken- und Gefühlswelt teilhaben lässt.
    Diese wirken zudem, für ein junges Waisenkind, recht authentisch.
    Da fällt mir speziell die Stelle ein, wo sie auf einmal bei dem Unbekannten auf dem Schoß sitzt und dann erst bemerkt "Oh, vielleicht war das jetzt irgendwie doch nicht so klug" ^^

    LG
    Rika

  • Hallo Rika!
    Danke für deine Hinweise. Über die Namen denke ich noch nach. Vielleicht entferne ich einige, denn sie sind ja nicht alle wichtig. Vielleicht wäre ich selber bei einem fremden Text auch darüber gestolpert. Bei eigenen Texten merkt man sowas ja irgendwann nicht mehr.
    Ich freue mich natürlich, dass dir Pirina gefällt!

    LG
    Kirisha


    ***

    Und hier geht es weiter:


    Direkt vor dem Fenster hielten sie an und sprangen von den Pferden. Der mit dem verletzten Mädchen brauchte am längsten. Als er endlich am Boden stand, waren seine Leute schon drinnen im Laden und verhandelten mit Xina. Dies war eins der kürzesten Gespräche, das Pirina je mit angehört hatte.
    „Ist hier das Lazarett?“, fragte einer der Vermummten.
    „Ja“, antwortete Xina zögerlich. „Wir befinden uns allerdings momentan in einer Notsituation und sind deshalb gezwungen, für die Behandlung eine gewisse Summe zu verlangen.“
    „Wieviel?“
    „Sieben Scheller am Tag. Wenn es etwas Leichtes ist. Sonst bis zu fünfzehn.“
    Der Mann mit der Verletzten trat ein. Er war schlank und hochgewachsen, mußte sich in der Tür bücken. Die letzten Worte hatte er gerade noch gehört.
    „Es spielt keine Rolle, was es kostet, aber ich verlange, daß ihr eure beste Heilerin an ihr Lager setzt“, sagte er drängend.
    Da Xina immer noch skeptisch dreinblickte, nickte der Anführer seinem Begleiter zu. Dieser warf einen dicken Beutel auf den Tresen, der ordentlich klingelte, als er aufschlug. Xina packte ihn so geschwind wie eine Katze, die Angst hat, daß die Maus ihr entwischt. Auf ihr Gesicht trat ein seliger Ausdruck. Sie wurde auf einmal sehr eifrig.
    „Kommt nur, kommt!“, rief sie und beeilte sich, die hintere Tür zu öffnen, die in den Krankensaal führte. „Ich zeige Euch, was wir anbieten können!“
    Pirina schlüpfte ebenso eifrig an all den Männern vorbei. Solche Gäste hatten sie noch nie gehabt. Normalerweise gab es lange und manchmal auch sehr häßliche Diskussionen, sobald man nur vorsichtig erwähnte, daß in diesem Lazarett das eine oder andere zu bezahlen sei, während diese Kerle mit den Hellonen bloß so um sich warfen.
    Xina leitete die Männer zu dem breitesten Lager, das es in dem Saal gab. Aber das verwarf der Anführer, der das Mädchen trug. Er wollte einen Platz in der Ecke, damit sie Ruhe hätte vor den anderen. Er drängte auch darauf, daß Xina die Plätze ringsherum nicht vergeben dürfte, so lange die Verletzte hier sein würde. Xina sagte zu allem, worum er bat, „ja“ und „selbstverständlich“ und Pirina sah genau, wie sie eigentlich vor allem immer wieder den Beutel wog, um abzuschätzen, wieviel darin sein konnte.
    Jetzt bettete er das Mädchen behutsam auf das Strohlager. Das war gar nicht so einfach, weil die Flügel an ihrem Rücken zerstört waren. Der Linke war in der Mitte gebrochen und stellte sich quer. Deshalb dauerte es eine Weile, bis er ihn aus dem Weg gedreht hatte und die Verletzte gerade hinlegen konnte. Er strich ihr die wirren pechschwarzen Haare aus dem Gesicht. Sie war totenbleich und atmete kaum. Er zog einen Umhang zur Seite, der ihren Oberkörper bedeckt hatte, und ein blutgetränkter Verband über ihrer linken Brust wurde sichtbar.
    „Verdammt, verdammt“, entfuhr es ihm. „Seht Euch das an… könnt Ihr sie durchbringen?“
    Er wandte den Kopf zu Xina. Inzwischen hatte die Gesellschaft jedoch bereits die Aufmerksamkeit aller anderen im Saal erregt, und gleich darauf erschien Thessa an dem neuen Lager.
    „Wir tun unser Bestes“, sagte sie, noch wesentlich diensteifriger als Xina zuvor. „Ich kümmere mich persönlich um sie. Sagt mir, wer Ihr seid?“
    Überall Blut! Pirina wurde übel. Sie mußte den Kopf schnell zur Seite wenden. Lieber den Mann angucken als sie, ihr Anblick war zu schrecklich. Er hatte allerdings auch etwas abgekriegt. Rinnsäle geronnenen Blutes klebten an seinen Wangen und in den hellblonden Haaren. Ein langer blutiger Riss glühte auf seiner Stirn. Augen voller Verzweiflung.
    „Das tut nichts zur Sache“, sagte er leise. „Ich will nur nicht, daß sie stirbt. Dafür wäre ich euch wirklich sehr dankbar. Ich schicke euch Boten, damit ich auf dem Laufenden bleibe.“
    Er winkte seinen Leuten, und sie eilten im Laufschritt davon. Ehe Pirina richtig begriff, wie das vonstatten gegangen war, war nur noch das Donnern der Pferdehufen zu hören, die im Galopp davonpreschten.
    „Gib mir mal den Beutel“, forderte Thessa und streckte die Hand aus. Inzwischen hatte sich die Neuigkeit unter allen Mitgliedern der Gemeinschaft verbreitet. Die Erwachsenen hockten sich an eine Kommode in der Nähe, wo Thessa den Inhalt auskippte und dann mit Feuereifer rechnete und zählte. Xina stand daneben und kriegte den Mund überhaupt nicht mehr zu. Sie bildeten Stapel mit Münzen verschiedener Größen und sahen einander immer wieder an. Schließlich verkündigte Thessa mit einer Miene, als wollte sie einen König krönen:
    „Fünfundsechzig Hellonen und neunundachtzig Scheller.“
    Atemlose Stille folgte diesem Rapport. Thessa nahm die Münzstapel und platzierte sie wieder in den Beutel zurück, den sie ordentlich verschnürte und dann an ihrem Gürtel festband.
    „Leute, jetzt geht es bergauf mit uns!“, sagte sie und schlug einmal triumphierend mit der Faust auf die Kommode. „Ihr habt gehört, er schickt jemanden zur Kontrolle. Der bringt womöglich noch einen Beutel mit… falls er zufrieden ist. Dieses Mädchen muß überleben! Xina, du bringst mir Branntwein und Verbandsmaterial. Pirina, du hast die Jadeblüten vergessen, oder? Geh sie holen! Sofort!“
    Pirina wollte der Aufforderung schon gehorchen, aber irgendetwas brachte sie dazu, die Verletzte noch einmal genauer zu betrachten. Hatte sie dieses Gesicht nicht schon gesehen? Sie war nicht bloß deshalb so aufgewühlt, weil das Mädchen im Sterben lag. Sie mußte sie irgendwo getroffen haben, früher…
    „Hast du gehört, was ich sagte, Pirina?“, fragte Thessa scharf. „Du sollst Jadedornblütenblätter holen! Und zwar jetzt!“
    „Kann das nicht Ilayna machen?“, wisperte Pirina. „Ich kann doch auch hier helfen!“
    „Kannst du, klar“, nickte Thessa. „Dann hol mir eine Schüssel mit Wasser.“
    Als Pirina mit der Schüssel zurückkehrte, hatte Thessa die Wunde schon freigelegt. Pirina widerstand dem Impuls, sich wegzudrehen. Es war eine Stichwunde. Vielleicht von einem Messer. Thessa tupfte sie mit einem Tuch ab und bemühte sich, Erdkrümel herauszuwischen. Die Verletzte atmete röchelnd und stoßweise. Schweißperlen liefen über ihr Gesicht. Pirina wischte einige mit der Hand ab, da spürte sie, daß sie glühend heiß war.
    Thessa schüttelte den Kopf.
    „Glaub nicht, daß ich sie durchkriege. Das sieht nach einem Dolchstich aus, direkt neben dem Herzen. Vielleicht hat das Herz was abgekriegt. Möchte wissen, wer sie angegriffen hat. Vielleicht Räuber? Ihr Freund hatte ja eine Menge Goldmünzen dabei.“
    „Das war nicht ihr Freund“, sagte Pirina nachdenklich. „Dieser Soldat war doch ein Parva, blond und groß. Und sie ist ´ne Skeff!“ So wie ich, dachte sie unwillkürlich. Eine aus dem „verdorbenen Volk“, die von allen immer schief angesehen werden. „Komisch, daß er sich um so eine gekümmert hat.“
    „Das ist wahr“, nickte Thessa, während sie sich daran machte, mit einem sauberen Lappen vorsichtig die Wunde auszuwaschen. Als sie näher an die Stichstelle herankam, stöhnte das Mädchen gequält auf und ihr Arm bewegte sich ruckartig.
    „Das tut bestimmt schauderhaft weh“, sagte Pirina erschrocken.
    „Das merkt sie gar nicht. Du siehst doch, daß sie bewußtlos ist.“
    Xina beugte sich über das Lager.
    „Mach dir nicht zu viel Mühe mit ihr. Das sieht man doch, daß sie nicht zu retten ist, aber du wirst dir noch ein schlechtes Gewissen machen, wenn es dir nicht gelingt.“
    „Papperlapapp!“, sagte Thessa. „Er hat ordentlich bezahlt. Da wird er ein bißchen Mühe erwarten können. Jetzt muß ich die Kräuter zubereiten. Pirina, du wachst über unsere Patientin.“
    Sie stand auf und holte die Kräuter, die inzwischen jemand gebracht hatte. Pirina nahm ihren Platz am Krankenbett ein, tauchte den Lappen in das Wasser und legte ihn ein wenig zaghaft in die Nähe der Wunde. Sie wollte ihr nicht wieder wehtun. Thessa hatte außerdem eigentlich schon alles gut gewaschen, sie wußte nicht genau, was sie von ihr erwartete. Bei der Heiligen Göttin, wie der Körper der Verletzten heiß war! Ihr Gesicht war außerdem sehr verdreckt, als hätte sie sich im Sand geprügelt. Ihre Haare hingen nach hinten weg, weil der Vermummte sie so hingelegt hatte. Dichte, pechschwarze Haare. Pirina tauchte den Lappen wieder in das Wasser, um ihr Gesicht reinzuwaschen. Weg mit dem Dreck... ja, wieviel schöner sah sie jetzt aus. Ein klares feingeschnittenes Gesicht. Hohe Backenknochen. Die Nase schmal und etwas lang. Was hätte Pirina darum gegeben, ihre Augen sehen zu können.
    Himmel, dachte sie plötzlich, Warum habe ich sie nicht gleich erkannt? Das ist diese mächtige Zauberin, die ich nach diesen fürchterlichen Hinrichtungen in Darghessa getroffen habe. Die Gesandte unserer heiligen Göttin und die Retterin der Welt. Sie wußte, daß ich zu ihr nicht kommen kann, also kam sie zu mir!
    „Thessa!“, schrie Pirina auf. „Beeil dich doch, sie stirbt!“
    „Was ist mit dir auf einmal los?“, fragte Thessa erstaunt. „Sei geduldig. Heilung kannst du nicht erzwingen.“
    Pirina wollte das Wort „Göttin“ nicht in den Mund nehmen. Das wollte hier ja ohnehin keiner mehr hören.
    Die Retterin ist hier, dachte sie erschaudernd, sie ist zu mir gekommen! Jetzt wird alles so, wie es unsere selige Prophetin vorhergesagt hat! Sie wird mich mitnehmen auf ihren Weg, und ich werde ihr dabei helfen, die Welt wieder gerade zu biegen, damit nie wieder schreckliche Dinge passieren. Sobald sie wieder ganz gesund ist. Sie wird wohl wieder gesund werden?

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Hi Kirisha,

    der zweite Teil setzt sich genauso interessant weiter, wie der erste angefangen hat :) Ich mag, wie du schreibst. Man kommt schnell in einen Lesefluss, kann sich alles bildlich vorstellen. Vor allem die Art und Weise, in der du die Personenbeschreibungen einfließen lässt, gefällt mir.

    Eine Kleinigkeit war mir aufgefallen. Du benutzt sehr oft das Wort: Die Verletzte. Ich habe 4x gezählt. Manchmal schreibst du auch "das Mädchen", was immerhin schon etwas Abwechslung bringt. Vielleicht fällt dir ja noch ein alternatives Wort ein.

    Ein bisschen gestutzt habe ich bei der Reaktion von Thessa, als Pirina lieber im Lazareth bleiben will anstatt diese Blüten zu suchen:

    „Hast du gehört, was ich sagte, Pirina?“, fragte Thessa scharf. „Du sollst Jadedornblütenblätter holen! Und zwar jetzt!“
    „Kann das nicht Ilayna machen?“, wisperte Pirina. „Ich kann doch auch hier helfen!“
    „Kannst du, klar“, nickte Thessa. „Dann hol mir eine Schüssel mit Wasser."


    Ich stelle mir Thessa wie so einen schrulligen Drachen vor (keine Ahnung, warum). Sie fährt Pirina "scharf" an, sie solle die Blütenblätter holen und dann gibt sie sich so einfach mit einem "Kannst du, klar", zufrieden, als Pirina fragt, ob das nicht jemand anders machen könnte. :hmm: Das hat für mich irgendwie nicht zu dem Bild gepasst, dass ich mir von Thessa gemacht hatte. (ist aber vielleicht auch nur wieder so ein Tick von mir)

    Hier noch eine Frage: Wenn Prina und die "Verletzte" dem gleichen Volk angehören (Skeff), kann ich dann davon ausgehen, dass Prina auch über Flügel verfügt???

    Achja, noch eine Sache: heißt das nicht Wangenknochen? Du schreibst irgendwo an einer Stelle "Backenknochen"....das klingt in meinen Ohren irendwie komisch.

    So, das war`s erstmal....wann geht`s weiter?

    Viele Grüße,
    Rainbow

  • Die Flügel haben mich auch etwas irritiert. Bisher hast du keine erwähnt, aber sie scheinen nur wegen der Verletzung überhaupt aufzufallen, was heißt, sie sind alltäglich?
    Und du hast dich doch für Lazarett entschieden? Ist völlig ok, man gewöhnt sich schnell daran, den militärischen Kontext nicht mehr zu suchen! Kannst du in meinen Augen lassen!

    Ich finde, das ist wieder ein sehr gelungener, fesselnder Teil!

  • Hallo Rainbow,
    zu den Flügeln: ja, Pirina hat auch welche und das ist für sie normal. (Alle Skeff haben Flügel).
    Vielleicht sollte ich die früher schon mal erwähnen, damit man nicht irritiert ist. Vielleicht würde sie sowieso zu der Wiese fliegen und nicht dahin gehen, fällt mir gerade ein.

    Zu Thessa: Hm, deine Bedenken sind begründet, das ändere ich etwas ab.

    Hi Windweber:
    Zum Lazarett: Sorry! Das habe ich noch nicht geändert, aber ich mache es noch.

    Danke für eure Kommentare!

    LG
    Kirisha

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Hallo Kirisha,

    das mit den Flügeln kommt, ebenso wie die Info, dass auch Pirina dem Volk der Skeff angehört, viel zu beiläufig.
    Aber das haben meine Vorschreiber ja bereits erwähnt.

    Was mich noch ein wenig irritiert hat:
    Da wird eine schwerverletzte, vermutlich in Lebensgefahr befindliche, Person in die Obhut der Frauen übergeben und die machen sich erst mal seelenruhig ans Geldzählen? Bin mir jetzt nicht sicher, ob das von dir so gewollt oder ob es einfach nur ein wenig unglücklich beschrieben ist.
    Dachte mir, ich spreche es mal an :)

    Bin ja mal gespannt, ob Pirina sich da nicht vielleicht irrt, wenn sie denkt, jetzt werde alles gut.
    Da bin ich ja immer ein wenig pessimistisch ;)

    LG
    Rika

  • Hallo Rika,
    ich muss wohl Pirina noch etwas detaillierter beschreiben, damit man sich alles besser vorstellen kann.

    Die geldzählenden Heilerinnen. Klar klingt das etwas krass. Die Heilerinnen haben jedoch gerade ihren bisherigen Sponsor verloren und sind in akuter Existenznot. Deswegen diese Gier nach Geld. Ich hoffe, dass die Situation später noch besser verständlich wird. Natürlich ist klar, dass sich das nicht so sympathisch anhört, aber das war auch nicht meine Absicht.

    Danke für deine Anmerkung!

    LG
    Kirisha


    *

    Es geht weiter:


    2.Im Spital (*Windweber: Nun hab ich´s geändert!)

    Pirina hockte am Krankenbett ihrer Patientin und kämpfte sich mit der Bürste durch die sehr schönen und langen schwarzen Haare der Skeff. Es war nicht leicht, sie zu kämmen, weil sie im Bett hoffnungslos verfilzten. Sie machte das trotzdem jeden Morgen nach dem Waschen und dem neuen Verband. Schon seit ein paar Tagen war ihr leichter ums Herz. Die Fremde hatte keine Fieberträume mehr. Sie schlug auch nicht mehr um sich und schrie nicht mehr in der Nacht.
    Plötzlich öffnete sie die Augen. Im ersten Moment war der Ausdruck darinunbestimmt und verschwommen. Er klarte jedoch immer mehr auf. Ihre Blicke schweiften durch den Krankensaal, von einem Bettlager zum nächsten, kletterten die Wände hinauf, zu den Fenstern hin – nein, eher zur Decke – oder war es etwa noch höher? Wo wollte sie denn hin? Hatte sie den Himmel im Visier? Ihre Augen waren schwarz wie Fallgruben. Pirina war gleichzeitig erschrocken und verlegen. Sollte sie weiterkämmen? Oder lieber verschwinden? Am liebsten hätte sie natürlich geredet! Himmel, sie hatte die Auserwählte vor sich, die Gesandte der Göttin, die Retterin! Sie mußte unbedingt herausfinden, was in ihrem Kopf vorging! Aber ihre Patientin sah so niedergeschlagen, sogar feindselig aus, daß sie kein Wort über die Lippen brachte. Einfach „Hallo“ zu sagen, erschien ihr falsch. Eigentlich gab es überhaupt kein Wort, das in dieser Situation passend gewesen wäre. Thessa, die anscheinend alle Kranken im Saal gleichzeitig im Auge behalten konnte, erhob sich von einem Lager auf der anderen Seite und kam zu Areshva herüber. Sie schob Pirina zur Seite und befühlte die Stirn der Kranken.
    „Sei willkommen bei uns“, sagte sie freundlich, „Ich freue mich zu sehen, daß es dir besser geht.“
    „Laß mich in Ruhe“, fauchte das Mädchen. Ihre Stimme hatte so drohend, so böse geklungen, daß Pirina erschrocken zusammenzuckte. Auch Thessa fuhr zurück. Sie hob abwehrend die Hände. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten! Du kannst mir Bescheid sagen, wenn du etwas brauchst.“
    Sie ging wieder zu dem anderen Lager zurück. Aber Pirina blieb. Sie hatte ja am Fußende gesessen. Es war nicht sicher, ob die Retterin sie auch gemeint hatte. Deren Augen fixierten wieder irgendwas an der Decke oder allgemein im Weltall. Was war da so interessant? Die alten Holzbalken? Sie sah konzentriert aus... überlegte sie sich einen Zauber? Ihre Lippen bewegten sich auch ganz leicht. Als redete sie mit sich selbst. Oder als wollte sie mit sich selbst reden, wagte es aber nicht. Denn es kam kein Wort über ihre Lippen.
    Pirina nahm all ihren Mut zusammen.
    „Wir sind jetzt alleine“, flüsterte sie. „Ich heiße Pirina. Und ich weiß, wer du bist. Ich freu mich so, dich zu treffen!“
    Die Zauberin starrte noch immer an die Decke.
    „Ich weiß, daß du die Macht hast, die Welt zu retten!“, sagte Pirina, jetzt etwas lauter, etwas bestimmter. „Denn du bist die Auserwählte unserer Göttin.“
    Ruckartig drehte sich die Kranke zu Pirina und funkelte sie aus fieberglänzenden Augen an.
    „Blödsinn! Du kennst mich nicht, und du solltest auch nicht versuchen, mich kennenzulernen! Laßt ihr mich endlich in Ruhe? Ich will nicht gestört werden!“
    Pirina spürte, wie sie feuchte Hände bekam und ihr Magen sich verkrampfte. Gestört werden, bei was denn? Beim Im-Bett-Liegen? Okay, sie wollte ihrer Auserwählten gern soviel Zeit und Ruhe geben, wie sie sich wünschte, aber gerade jetzt wäre das nicht klug. Wenn die Zauberin erst wieder gesund wäre, könnte sie lebensgefährliche Kräfte entfachen, wie zuletzt in Darghessa. So lange durfte Pirina nicht warten. Wenn es ihr nicht jetzt gelang, Kontakt zu ihr zu bekommen, wo die mächtige Zauberin geschwächt war, dann würde sie es nie schaffen!
    „Ich kenn dich wohl“, sagte Pirina so mutig, wie sie konnte. „Ich hab dich ja gesehen... die Leute nennen dich Areshva, die Zauberin von Ygramor.“
    Areshvas Augen begannen zu glitzern.
    „Was muß ich mit dir machen, damit du dein Schnäbelchen hältst? Hat dir keiner erzählt, daß ich kleine Kinder totschlage, wenn sie mir auf die Nerven fallen?“
    Das Glühen in ihren Augen wurde immer giftiger.
    „Tust du gar nicht“, sagte Pirina. Sie spürte selbst, daß in ihrer Stimme ein gewisser angstvoller, beschwörender Ton mitschwang. Es war jedenfalls gut, daß sie noch immer an Areshvas Fußende hockte und deshalb ein anständiger Sicherheitsabstand zwischen ihnen war. „Bitte, hör mir doch zu! Ich muß unbedingt mit dir reden, wegen...“
    „Jetzt reicht´s mir. Verpiß dich!“
    Areshva trat mit dem Fuß gegen Pirinas Schulter. Das kam unerwartet, und es tat auch weh. Pirina hüpfte reflexartig vom Lager herunter und rannte davon. Sie drehte sich nicht um und hielt nicht an, bevor sie nicht aus dem Lazarett heraus war und den früheren Tempel erreicht hatte. Er war inzwischen etwas aufgeräumt. Sie hatten die Glasscherben weggefegt, Müll weggetragen und diejenigen Bänke, die noch heil waren, ordentlich an die Seite gestellt. Bloß die kaputte Statue der Amina lag noch neben dem Podest, weil Pirina Theater gemacht hatte, als Xina sie wegwerfen wollten. Genau dorthin rannte Pirina jetzt, warf sich über das mißhandelte hölzerne Denkmal und weinte. Nach einer Weile kam Thessa zu ihr.
    Sie setzte sich zu ihr auf den Boden und strich ihr tröstend über das Haar.
    „Manche Leute benehmen sich ekelhaft, wenn sie krank sind“, sagte sie ruhig. „Das darfst du nicht persönlich nehmen. Sie weiß nicht, daß du am Tag zehnmal ihren Verband gewechselt hast oder wie du dich abgemüht hast, ihr Wasser einzuflößen.“
    „Aber sie dürfte nicht so sein“, schniefte Pirina. „Sie ist doch…“ Einen Moment lang überkam sie die Versuchung, Thessa darüber aufzuklären, daß Areshva eine Abgesandte der Göttin war und damals in Darghessa alle Zeichen an sich getragen hatte, die ihnen prophezeit waren. Aber das tat sie lieber nicht. Thessa war genauso eine Abtrünnige wie alle anderen und wollte von der Göttin und ihren Zeichen nichts mehr hören.
    Da kam ihr eine Idee.
    „Und wenn ich ihr eine Zuckerstange schenke?“ Seitdem sie den Beutel mit Goldhellonen besaßen, gab es im Hauptquartier nämlich wieder gelegentlich Süßigkeiten für die Kinder, was Pirina sehr zu schätzen wußte. „Darüber würde sie sich freuen, denkst du nicht?“
    „Versuch doch, dich in ihre Lage zu versetzen“, sagte Thessa bedächtig. „Sie ist überfallen und fast umgebracht worden und wer weiß, ob sie nicht noch andere schlimme Dinge erlebt hat. Wenn dir das passiert wäre, glaubst du, eine Zuckerstange würde dich aufheitern? Wohl kaum…“
    Pirina mußte unwillkürlich grinsen. Überfallen? Die doch nicht! Pirina wußte zwar auch nicht, woher sie die Verletzung hatte, aber sie würde niemals Areshvas Auftritt in Darghessa vergessen, bei dem sie die Stadt wie eine feuerspeiende Rachegöttin heimgesucht hatte. Kein lebender Mensch könnte so eine große Zauberin überfallen oder verletzen! Verwirrt wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und dachte nach. Nein, Areshva mußte ein Unglück passiert sein. Aber dann mußte sie an die Wunde denken. Das war doch eindeutig eine Stichwunde gewesen. Sowas holte man sich nicht, wenn man von einem Baum fiel oder von einem Pferd abgeworfen wurde. Stimmte das womöglich, was Thessa sagte? Hatte jemand sie angegriffen und es geschafft, sie niederzustechen? Vielleicht so ein Kerl wie dieser Held, der das Duell gewonnen hatte, von dem die Leute in den letzten Wochen soviel geredet hatten? He, Moment mal. Bei diesem Duell, über das die anderen sich so die Zungen gewetzt hatten, hatte irgendein unbekannter Fürst eine berühmte böse Zauberin getötet, und das war Gesprächsstoff ohne Ende. Alle hatten geplappert und geplappert und Pirina ärgerte sich jetzt kolossal darüber, daß sie nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Aber plötzlich begriff sie alles. Die böse Zauberin – ob das Areshva gewesen war, die gekämpft? Und sie, die das sagenumwobene Duell verloren hatte? Welcher Held war das denn gewesen, der solch eine Bestie bezwang? Kein Wunder, daß sie so wütend war. Kein Wunder, daß alle im Spital von diesem Supermann schwärmten und daß sie nicht genug von ihm hören konnten. Erst seit der Nachricht von seinem Tod waren alle still geworden und augenblicklich herrschte praktisch so etwas wie Volkstrauer über dem gesamten Hauptquartier.
    Areshva dagegen würde sich wahrscheinlich freuen, wenn sie hörte, daß ihr Gegner inzwischen in der Grube moderte. Und sie würde bald wieder aufstehen und dann endlich anfangen, wie eine richtige Retterin zu leben. Wenn sie bloß bessere Laune hätte, dann würde sie sich bestimmt daran erinnern, daß sie das tun mußte. Also mußte Pirina damit anfangen, ihr aufmunternde Nachrichten zu bringen.
    Das war jedoch leichter geplant als in die Tat umgesetzt, denn zu diesem Zweck müßte man ja mit Areshva reden. Und genau das funktionierte überhaupt nicht. Areshva war abweisend und interessierte sich nicht im Geringsten für die Menschen um sich herum. Die meiste Zeit des Tages stierte sie die Luft an, die Wände, die Decke, oder murmelte vor sich hin. Manchmal, wenn Pirina genau lauschte, konnte sie Bruchstücke verstehen.
    „Du willst mich ausbeuten!“ Oder: „Dann geht das eben schief! Aber ich kann nicht anders!“
    Übte sie für ein Gespräch, das sie führen wollte? Bildete sie sich ein, irgendwelche Stimmen zu hören? Irgendwo in der Luft? War sie womöglich dabei, verrückt zu werden?
    Später ging es um die Zahl zehn. Die wisperte sie mehrfach vor sich hin, mit weit aufgesperrten Augen, als hätte sie den blanken Horror vor sich. War das eine magische Zahl?
    Pirina bewegte sich zwei Tage lang nur innerhalb eines gehörigen Sicherheitsabstandes rings um ihr Lager. Dann hielt sie es nicht länger aus. Sie mußte mit ihr reden. Vorsichtig näherte sie sich Areshvas Bett. Die Zauberin war nicht mehr so unnatürlich blaß. Ihr Gesicht hatte schon wieder etwas Farbe.
    Pirina gab sich einen Ruck. Sie beugte sich nah an ihr Ohr herunter und flüsterte:
    „Wenn du willst, kann ich dir von deinem Duell erzählen. Du willst doch bestimmt wissen, was danach passiert ist.“
    Areshva öffnete ihre Augen einen Spalt weit. Es sah aus, als wäre sie noch im Halbschlaf, zwischen Traum und Wirklichkeit. Sollte Pirina warten, bis sie richtig wach wäre? Nein. Lieber nicht. Dann würde Areshva wieder nicht zuhören wollen. Sie begann also zu erzählen. Alles, was sie aufgeschnappt hatte. Wie dieser Fürst gefeiert worden war nach dem Duell, wie scharenweise darghessanische Truppen zu ihm überliefen, wie später, als er Darghessa belagerte, sogar die Wachtposten auf den Stadtmauern zu ihm herüberkletterten, statt ihre Stadt zu bewachen. Wie er mit dem darghessanischen Fürsten um die Herausgabe der Geisel, der Prinzessin Kia Sephila, verhandelte…
    Jetzt war sie wach. Ihre Augen hefteten sich an Pirina. Ihr Gesichtsausdruck war verändert. Lebendig. Aufgeregt. Dies war genau die Geschichte, die sie interessierte, sogar brennend interessierte. Was Pirina dazu veranlaßte, ihre Erzählung auszubauen. Sie kehrte zurück zu Details aus dem Kampf, jedenfalls soweit sie sich selbst noch an die Erzählungen der anderen erinnerte. Areshva hatte anscheinend einmal den ganzen Felsen gesprengt, auf dem ihr Gegner stand, der obere Teil sei explodiert, in einem Feuer, hell wie die Sonne, und der gesamte Restfelsen sei seitwärts abgestürzt. Was aber den Kerl nicht verletzt hätte, der nämlich selbst ein Zauberer gewesen war. Der hätte den Sturz abgefangen, den fallenden Berg wieder zurückgehoben und den gesamten Felsen wieder zu einer Einheit verschmolzen. He… war das ein Lächeln um ihre Mundwinkel? Was war an der Szene komisch?
    „Hast du das Duell eigentlich gesehen, Schnecke?“, fragte Areshva.
    „Nein“, piepste Pirina, sehr erschrocken. Einen Moment lang hielt sie die Luft an. Sie bekam Angst, daß Areshva sie wieder attackieren könnte. Was sie jedoch unterließ. Da fügte Pirina hinzu, sehr leise: „Sag nicht Schnecke zu mir. Ich heiße Pirina.“

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Jetzt wird es interessant. Was für ein verbitterter Engel hier im Bett liegt! Und diese naive Verehrung, die sie erhält! ^^

    war der Ausdruck darinunbestimmt

    Da muss ein Leerzeichen zwischen darin und unbestimmt :)

    Es war nicht sicher, ob die Retterin sie auch gemeint hatte.

    Da war ich etwas verwirrt. Die Frau in dem Bett ist ja eher die Gerettete. ;) Erst später schloss sich mir, dass es sich wohl um eine Art Titel oder Gattungsbezeichnung des Engelwesens handeln muss. Wie die Flügel hast du das vielleicht etwas zu beiläufig einfließen lassen.
    Hast du dir schon mal überlegt, einen Thread im Eigene-Welten-Unterforum aufzumachen? Dann könntest du Begrifflichkeiten, Spezies, Kulturen, Organisationen, Gegenden, die Religion usw. ausführlich beschreiben, ohne Angst zu haben, deine Geschichte damit zu überladen und wir könnten dir leichter helfen, die nötigen Informationen geschickt unterzubringen. :)

  • Hi Kirisha,

    ist ja echt ne ganz schöne Zicke die Areshva :) Aber ich mag das. Wer will schon lieblich sein?
    Hier nur ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind. Du weißt, das sind wie immer nur Anregungen. Schau mal, was davon du gebrauchen kannst.

    durch die sehr schönen und langen schwarzen Haare der Skeff.

    wieder eine Aneinanderreihung von drei Adjektiven: schön, lang, schwarz (das Sehr verstärkt zusätzlich)

    Sie machte das trotzdem jeden Morgen nach dem Waschen und dem neuen Verband.

    "und dem neuen Verband" klingt für mich irgendwie unvollständig. Als würde hier etwas fehlen. vielleicht könnte man schreiben....nachdem sie einen neuen Verband angelegt hatte...(oder so?)

    Aber ihre Patientin sah so niedergeschlagen, sogar feindselig aus, daß sie kein Wort über ....

    niedergeschlagen und feindseelig sind für mich zwei grundverschiedene Gemütszustände. Es fällt mir schwer, sie miteinander zu vereinbaren. (ist aber nur mein persönliches Empfinden)

    Deren Augen fixierten wieder irgendwas an der Decke oder allgemein im Weltall.

    "oder allgemein im Weltall" klingt für mich an der Stelle komisch. Du erwähnst direkt danach die Holzbalken an der Decke. Die erscheinen mir passender, um sie mit dem Blick zu fixieren...

    „Jetzt reicht´s mir. Verpiß dich!“

    Ooookayyy. Fand ich jetzt als Reaktion schon krass. Irgendwie steht das in Widerspruch zu der Sprache, die du sonst benutzt. Vielleicht kann man es doch ein wenig entschärfen? Oder sich eine ganz neue Beschimpfung ausdenken, die einer "Göttin" gerecht wird. (wenn sie denn überhaupt eine ist, was wir ja noch nicht wissen :) ) Oder vielleicht etwas lustiges, zum Beispiel: "Du vermaledeite kleine Kröte. Mach, dass du wegkommst, bevor ich dir jedes Bein einzelnd ausreiße..." (oder sowas)

    Die meiste Zeit des Tages stierte sie die Luft an, die Wände, die Decke, oder murmelte vor sich hin. Manchmal, wenn Pirina genau lauschte, konnte sie Bruchstücke verstehen.

    Hier fand ich, war ein Bruch drin. Ab diesem Punkt wird nämlich deutlich, dass scheinbar bereits Zeit vergangen ist...bis dahin war Pirina noch in dem Gespräch mit Thessa und hat über Areshva sinniert. Vielleicht könnte man das durch einen Absatz kenntlich machen? Sonst verwirrt es nämlich. (also, zumindest mich :) )

    Ansonsten schön schön. Weiter so.....

    Viele Grüße,
    Rainbow

  • Hi Rainbow,

    danke dir. Damit kann ich etwas anfangen. Ich glaube, du hast Recht, mit der Sprache muss ich aufpassen. Vulgär sollte Areshva nicht wirken. Die Kröte hat mir gefallen :) und das Weltall kann sie von drinnen wohl auch nicht sehen.

    LG
    Kirisha

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Hier geht es weiter:

    Areshva sah noch immer ein bißchen amüsiert aus. Pirina beschloß, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Sie griff nach einem Becher mit Tee, der unterhalb des Strohlagers gestanden hatte, und reichte ihn Areshva. Thessa hatte ihr eingeschärft, daß die Verletzte unbedingt trinken müsse, denn sie war von der langen Krankheit noch so geschwächt, daß sie jederzeit einen Rückfall bekommen könnte. Und einen Rückfall, nein, das durfte Pirina nicht zulassen.
    „Probier mal den Tee“, nuschelte Pirina. Areshva sah mit einem Mal wieder richtig wütend aus. Sie schlug mit der Hand so kräftig gegen die Tasse, daß sie gegen die Wand knallte und zerschellte.
    Pirina sprang auf, hüpfte zwei Schritte rückwärts… und blieb stehen. Sie holte tief Luft. Diesmal durfte sie nicht nachgeben. Areshva war gar nicht so unnahbar, das hatte sie gesehen. Sie mußte den Kontakt zu ihr bekommen. Sie mußte, wenn nötig, darum kämpfen! Sie hatte doch niemanden mehr. Es gab keine Dara mehr. Keine Dienerinen der Heiligen Amina und sogar die Göttin selbst löste sich gerade in Luft auf. Das Hauptquartier war kein Hauptquartier mehr, sondern nur noch ein Raum, wo sich ein paar hilflose Bettlerinnen versammelten, die versuchten, ihrem jämmerlichen Dasein einen Sinn zu geben. Aber das hatte natürlich überhaupt keinen Sinn. Es gab nur einen einzigen großen Sinn und der war, die Gesandte Aminas zu finden und ihr dabei zu helfen, die Welt zu retten. Und jetzt hatten sie ihre Retterin gefunden und keiner wollte das zugeben! Weil die anderen alle zu dumm waren, sogar die große schlaue Thessa kapierte das einfach nicht. Was hatte Pirina für eine Wahl? Wenn sie die einzige war, die Amina erkannt hatte und die einzige, die ihr helfen konnte?
    „Wenn du nichts trinken willst, dann stirbst du“, sagte Pirina so mutig, wie sie nur konnte, blieb allerdings in gewissem Abstand stehen, damit Areshva nicht wieder nach ihr treten könnte. Die Zauberin sah nicht danach aus, als ob die Information bei ihr angekommen wäre. Sie stützte sich mühsam auf die Ellenbogen und funkelte Pirina mit Augen an, die glühten wie Kohlen, kurz bevor sie in Flammen aufgehen. Die Kleine wußte nicht mehr, wie sie argumentieren sollte, da rief sie mit zitternder Stimme:
    „Vielleicht ist dir das Leben egal, aber denk mal, daß das anderen vielleicht nicht egal ist! Thessa und ich haben uns nächtelang an deinem Bett abgewechselt, als du Fieberträume hattest, und dieser Mann, der dich herbrachte, hat für deine Pflege ein Vermögen bezahlt. Ich erlaube nicht, daß du dich selber zerstörst!“
    Areshva fuhr zusammen. Rote Flecken huschten über ihr blasses Gesicht.
    „Bezahlt?“ fragte sie, äußerst erstaunt. „Wer hat für mich bezahlt?“
    Sie sank wieder in die Kissen zurück. Ihr Atem ging auf einmal sehr schnell. Sie schloß die Augen.
    „Der Mann, der dich brachte.“
    „Sag mir seinen Namen.“
    „Den wollte er nicht verraten.“
    Sie verzog den Mund.
    „Hat sich sicher für mich geschämt.“ Dann öffnete sie die Augen wieder. „Aber bezahlt? Keiner von den Leuten, die ich kenne, würde freiwillig auch nur einen halben Silberscheller lockermachen, wenn´s nicht für ein Schwert oder einen besonders schnellen Gaul wäre! – Wieviel war ich ihm denn wert?“
    „Fünfundsechzig Goldhellonen und fünfzig Scheller.“
    Areshva öffnete den Mund und schloß ihn wieder.
    „Was?!“, brachte sie schließlich heraus.
    „Ja, und er schickte später noch einen Boten mit neuen Hellonen, der nachgucken sollte, ob wir dich auch richtig pflegen. Jedenfalls hat sich Thessa noch nie vorher soviel Mühe mit einem Verletzten gegeben wie mit dir, das kannst du dir wohl vorstellen.“
    Areshva lag eine Weile still. Mit weit offenen Augen starrte sie an die Decke.
    „Aber du mußt doch wissen, wer dieser Mensch war, der das für mich getan hat.“
    „Nein.“
    „Vielleicht so ein älterer Skeff, ein Dicker mit wirren schwarzen Haaren und Bart?“
    Pirina lachte.
    „Nein, nein. Ganz sicher nicht. Er war jung. Und schlank.“
    „Ah, dann weiß ich es. Ein Jüngling, mit einem schwarzen Pferdeschwanz, ungefähr ein Kopf größer als ich, ein Gesicht wie ein Luchs… hm?“
    „Nein, auch nicht. Jung war er schon, aber blond, wie die Parva. Er war auch sehr groß. Er mußte sich bücken, um durch unsere Eingangstür zu kommen.“
    „Ein … Parva?!“ Areshva bedachte Pirina mit einem warnenden Blick. „Na klar doch! Schnecke, erzähl mir keine Märchen. Was habt ihr denn mit den Reichtümern gemacht, hm? Ist noch was davon übrig?“
    Pirina tappte vorsichtig an Areshvas Lager, setzte sich zu ihr, kramte die Hellone aus ihrer Tasche, die dieser Reiter ihr als allererste zugeworfen hatte, und hielt sie ins Licht. Areshva griff danach und drehte sie langsam herum.
    „Das ist ja eine Aravennische!“, flüsterte sie. „Sind wir in Aravenna?“
    Pirina schüttelte den Kopf.
    „Nein! In Darghessa.“
    „Wie kommt er an eine aravennische Münze? Kam er aus Aravenna?“
    „Ich weiß nicht.“
    „Würde passen, da wohnen ja lauter Parva. Himmel… beschreib, wie er aussah!“
    „Er trug einen grauen Umhang über seiner Soldatenuniform. Und er war selber verwundet. Sein Gesicht war verschrammt und seine Stirn blutig, das sah schauderhaft aus.“
    „Ein blonder Soldat, aus Aravenna, mit einer blutigen Stirn“, wiederholte Areshva ironisch. „Völlig plausibel…“ Sie hielt inne. Ihre Gesichtsfarbe wechselte zu einem pochenden Dunkelrot. „So einen kenne ich doch! Hab ihm sogar selbst die Stirn blutig geschlagen!“
    Sie griff sich in die Haare und verkrallte ihre Hand darin.
    „Der Fürst von Aravenna! – Aber nein. Das ist zu verückt.“
    Sie fuhr hoch. Ihre Decke rutschte vom Bett herunter.
    „Machst du dich über mich lustig?“, keuchte sie atemlos. „So kann das überhaupt nicht gewesen sein. Gib zu, daß du lügst! Kein normaler Mensch würde so etwas tun, erst sich mit mir schlagen und mir dann das Leben retten. Er muß mich hassen. Das ist völlig ausgeschlossen, daß er das war, der mir geholfen hat!“
    Schwer atmend lehnte sie sich zurück gegen die Wand, ließ ihren Kopf zurückfallen und starrte nach oben. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren.
    Pirina war sich nicht ganz sicher, ob sie den Zusammenhang richtig verstanden hatte. Der Mann, der Areshva brachte – das war der Fürst von Aravenna gewesen? Ihr Duellgegner?
    „Das könnte sein“, überlegte Pirina laut. „Er hat dich schon oben auf dem Duellfelsen verteidigt. Seine Soldaten wollten dich nach dem Kampf von den Klippen herunterwerfen, aber er hat es verboten, haben die Leute erzählt. Später hat er noch sein Leben riskiert dafür, eine gefangene Prinzessin aus Darghessa zu befreien. Das war ein ganz Anständiger, sagt Xina.“
    Areshvas Augen begannen zu funkeln.
    „Ich weiß.“ Erregt knetete sie ihre Hände. „Das habe ich bei dem Kampf schon gemerkt. Er hat wunderschöne Dinge zu mir gesagt und mich ganz konfus gemacht. Ich hätte das ganze verwünschte Duell einfach abblasen sollen. Ich schwöre, ich habe überlegt, das zu tun. Aber...“ Sie stöhnte auf. „Scheiße.“
    In Areshvas Gesicht begann es zu zucken. Sie schlug sich beide Hände vor die Augen und stöhnte. Dann griff sie nach der Decke und zog sie sich bis über das Gesicht. Für den Rest des Tages kam sie nicht mehr darunter hervor.

    Einige Tage später fand Pirina Areshvas Strohlager leer. Sie durchfuhr ein heiliger Schrecken. War sie weggegangen? Aber eigentlich konnte sie nicht weit gekommen sein. Dies war das erste Mal, daß sie aufstand. Bestimmt war sie in der Nähe.
    Pirina durchsuchte das Lazarett. Danach den Tempel. Also, früheren Tempel, mußte man wohl sagen. Denn gerade befanden sich darin Thessa und Xina, umringt von der übrigen Gemeinschaft, die sich um ein paar neue Möbel versammelt hatten, von denen ein Spinnrad im Zentrum stand.
    „Dies wird unser Nähhaus!“, verkündigte Thessa voller Stolz. „Wir haben auch zwei Schafe gekauft. Nun werden wir Fäden spinnen und Wolle haben, warme Pullover für den Winter und Kleidung für alle!“
    Nähhaus, dachte Pirina verächtlich, während sie links und rechts nach Areshva spähte. Von warmen Pullovern wird die Welt nicht besser! Sie war nirgends zu sehen. Pirina hastete weiter zum Waisenhaus. Es war warm draußen, deshalb waren die Kleinkinder im Garten. Pirina suchte überall. Areshva durfte nicht verschwunden sein! Sie mußte sie finden! Immer tiefer beunruhigt rannte Pirina wieder zurück. Durch die Kinderkammer, zum Tempel (pardon, Nähhaus). Drinnen blieb sie schlagartig stehen. Sie spürte Areshvas Aura! Nicht so überwältigend wie früher, sie war ja auch noch geschwächt, aber ihre Aura kehrte bereits zurück. Oh, wie wunderbar! Sie mußte demnach irgendwo in der Nähe sein.
    „… ganze hundertzweiunddreißig aravennische Hellonen, ich begreif das immer noch nicht“, hörte sie eben Thessa sagen.
    „Vielleicht wollte er uns dafür bezahlen, daß dieses Mädchen so unausstehlich ist. Hast du die Wut in ihren Augen gesehen? Die könnte auch mal was kaputtschlagen, wenn man nicht aufpaßt.“
    „Wieso wollte er sie unbedingt retten? Das ist es, was ich nicht verstehe.“
    „Der Mann hatte einfach ein gutes Herz.“ Thessa seufzte. „Solche Leute töten sie immer zuerst.“
    Pirina erschrak. Hoffentlich hatte Areshva das nicht gehört. Daß der Fürst von Aravenna tot war, hatte sie ihr bisher noch gar nicht gewagt zu erzählen.
    Xina und Thessa mitsamt ihrem Gefolge verließen das „Nähhaus“ und gingen nach draußen, wo Thessa den anderen die Schafe und die Hühner zeigen wollte, die sie ebenfalls von den Hellonen gekauft hatte.
    Im Tempel wurde es still. Nur Pirinas eigener pochender Herzschlag war zu hören. Wo steckte Areshva? Pirina guckte hinter den Vorhängen nach, fand sie aber nicht.
    Plötzlich sah sie, wie Areshva in den Tempel hereinschlich. Stocksteif ging sie bis zu der Säule in der Mitte und lehnte sich schwer daran. An ihrem versteinerten Gesicht erkannte Pirina sofort, daß Areshva genau gehört hatte, was Thessa und Xina sagten. Sie sackte an der Säule entlang nach unten und blieb in sich zusammengekauert hocken.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Hi Kirisha,

    ich fand den Teil wieder richtig gut. Du schaffst es irgendwie, dass man selber als Leser anfängt, mitzufiebern...wer könnte dieser Mann gewesen sein, der Areshva im Lazarett abgegeben hat? Und dann plötzlich die Ekenntnis, dass es der Fürst gewesen sein soll, gegen den sie eigentlich gekämpft hat. Das wirft natürlich wieder neue Fragen auf! Sehr gut! Ich finde es geil, wenn man das kann...quasi das Pferd von hinten aufzäumen. Den Leser langsam Stück für Stück die Informationen aufsammeln lassen, die er braucht, um zu einem Bild zu kommen. Aber bloß nicht zu schnell, um die Spannung aufrechtzuerhalten.
    Da kann ich mir von dir wohl noch was abgucken. Ich schmeiße immer viel zu schnell mit Informationen um mich, weil ich, wie im wahren Leben scheinbar nichts für mich behalten kann :)

    Ein oder zwei Sachen wollte ich dennoch anmerken. Mir ist aufgefallen, dass du ganz viele Sätze mit dem Namen der Person oder mit "Sie" beginnst.

    Areshva sah noch immer ein bißchen amüsiert aus ....Pirina beschloß, die Gelegenheit beim Schopf zu packen....Sie griff nach einem Becher....Areshva sah mit einem Mal wieder richtig wütend aus....Sie schlug mit der Hand so kräftig gegen die Tasse....Areshva war gar nicht so unnahbar....Sie mußte den Kontakt zu ihr bekommen. Sie mußte, wenn nötig, darum kämpfen! Sie hatte doch niemanden mehr....


    Gerade am Anfang ist es mir aufgefallen, später wurde es dann weniger. Sicher ist das auch nicht so schlimm...vielleicht könnte man aber manchmal durch das Umstellen des Satzes gleiche Wortanfänge vermeiden, um etwas mehr Abwechslung reinzubringen. Zum Beispiel: "Kräftig schlug sie mit der Hand gegen die Tasse" - statt: "Sie schlug kräftig gegen die Tasse...".(verstehst du, was ich meine?) Oder : "So unnahbar war Areshva gar nicht"-statt "Areshva war gar nicht so unnahbar...."

    Dann fand ich Areshvas "Scheiße" an der Stelle wieder ein bisschen befremdlich. Das fällt ungefähr in die Gleiche Kategorie wie "verpiss dich" :) "So ein verdammter Mist!" oder was ganz anderes was vielleicht nur Zauberinnen sagen würden....ehm.... keine Ahnung...."Entenfurz und Krötenauge" :rofl: Wie du siehst, fällt mir gerade auch nichts Besseres ein, aber es würde bestimmt Spaß machen, darüber nachzudenken....

    Wann geht`s weiter???

    Viele Grüße,
    Rainbow

  • Hej Rainbow,
    danke für den Tip mit dem Sätze-Umstellen. Ich tendiere manchmal dazu, primitiv zu schreiben (sagt mein Mann, der sich lieber avanciert ausdrückt). Zu simpel sollte es natürlich nicht werden. Da gehe ich nochmal drüber.
    Jetzt zum Thema Flüche. Ich habe lange überlegt, ob ich ein deftiges Wort nehme oder nicht.
    Entenfurz ;)! Du hast echt Ideen! Vielleicht bin ich da zu unkreativ. Okay, ich bin einverstanden, dass Kraftausdrücke zu ihr nicht passen. Aber wenn man so richtig sauer ist... vielleicht: "Ochsenfurz", wenn schon?
    Aber irgendwie ist das auch noch zu fröhlich.

    LG
    Kirisha

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out