Es gibt 323 Antworten in diesem Thema, welches 75.699 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (31. Oktober 2018 um 10:36) ist von Tariq.

  • Kapitel 6 - Teil 3


    »Der Gegenstand, den ihr benötigt, ist eine Glocke.«
    »Eine Glocke?«, fragte May erstaunt.
    »Ja, aber nicht irgendeine beliebige Glocke. Es ist eine uralte Glocke – die Glocke der Ahnen, die sich seit hunderten von Jahren im Besitz Memorias befindet«, erklärte die Seherin und blätterte erneut in Mays Buch. »Ohne Glocke wird der Schutzgott eure Stimmen nicht vernehmen können. Nur das Läuten dieser einen Glocke vermag es, ihn aus seinem Schlummer zu erwecken«, sprach sie.
    »Das heißt, wir müssen also auf alle Fälle irgendwann wieder nach Memoria …«, seufzte May besorgt.
    »Wenn ich euch einen Rat geben darf, dann solltet ihr in Erwägung ziehen, euch in neun Tagen dorthin zu begeben«, meinte Kijkou. »Zu diesem Zeitpunkt werden die Feierlichkeiten zu Ehren des zwanzigjährigen Jubiläums des derzeitigen Herrschers Memorias in vollem Gange sein. So sollte es sich einfach gestalten, unauffällig in den Menschenmassen unterzutauchen«, riet ihnen das Medium.
    »Wisst Ihr, wo genau sich die Glocke befindet?«, fragte May mit besorgter Stimme.
    »Vermutlich in einem der Kellergewölbe des königlichen Schlosses. Der genaue Aufenthaltsort ist mir leider auch nicht bekannt. Lernt unbedingt eure Amulette einzusetzen – diese sollten auf die Glocke ebenfalls reagieren«, meinte Kijkou.
    »Dann wissen wir immerhin schon, wo uns unsere Reise in neun Tagen hinführen wird«, sagte Tempestas optimistisch. Er hatte wieder etwas mehr Farbe im Gesicht bekommen und lächelte.
    Kijkou erhob sich. »Und bis dahin solltet ihr gut überlegen, wo euch euer Weg zuvor hinführen wird. Bedenkt, dass ihr rechtzeitig nach Memoria aufbrechen müsst. Wenn wieder der Alltag in die Stadt eingekehrt ist, gestaltet sich die Aufgabe, ins Schloss zu gelangen, weitaus schwieriger«, mahnte sie sie.
    Jiyuu nickte zustimmend. »Kann ich mir vorstellen. Die haben dort ja schon enorm viele Soldaten auf dem Marktplatz postiert – wie wird dann erst das Schloss bewacht sein?« Er blickte May und Zack erwartungsvoll an, da diese schon dort gewesen waren.
    »Ist wahrscheinlich unmöglich, da einzudringen …«, seufzte Zack und lehnte sich nachdenklich zurück. »Wenn ich mich daran zurückerinnere – dort wird man selbst als geladener Gast ständig überwacht.«
    »Das heißt wohl, es gibt keine Alternative – wir müssen zur Zeit der Feier in das Schloss eindringen«, stellte Tempestas fest und runzelte die Stirn. »Ich kann nicht behaupten, in dieser Stadt willkommen zu sein.«
    »Wegen des Krieges damals?«, fragte May.
    Er nickte bestätigend. »Und die Leute aus Memoria erkennen wahrscheinlich schon von weitem, wer oder was ich bin. Tja, dann muss ich mich wohl oder übel verkleiden!«, meinte er entschlossen und lächelte vergnügt.
    »Dir geht’s wieder gut, was?«, stellte Zack erfreut fest. »Was genau bist du eigentlich? Nicht falsch verstehen – aber wenn du nicht auf unserer Seite wärst, würd’ ich mir große Sorgen machen!«
    Tempestas zuckte unbeholfen mit den Schultern.
    »Und wenn wir dann die Glocke und alle Armreifen gefunden haben …?«, fragte Jiyuu die Seherin, bevor Tempestas auf Zacks Frage eingehen konnte.
    Diese war gerade dabei, ein kleines Fläschchen aus einem der Regale zu holen und setzte sich wieder zu ihnen. »Dazu wollte ich gerade kommen.« Sie öffnete das Fläschchen und tropfte ein wenig von dessen Inhalt auf eine leere Seite des Buches, die nun einen weiteren Text enthüllte.

    »Hier steht es.« Kijkou blickte auf und die vier abwechselnd an. »Wenn alle sieben Armreifen der Elemente zusammengetragen wurden und die Glocke der Ahnen erklingt, wird der Heilige Goldadler, der Gott Ignotus’, die Stimmen von den Trägern der Wegweisenden Amulette vernehmen und ihnen erscheinen. Jedem von ihnen wird ein Wunsch gewährt, über den dieser frei verfügen darf«, übersetzte sie.
    »Das wären dann drei Wünsche – sehr gut! Und wie genau ruft man nun nach dem Heiligen Goldadler?«, wollte Zack wissen und wippte ungeduldig vor und zurück.
    Kijkou blickte auf. »Nun – das steht hier nicht geschrieben.«
    Die anderen warfen sich entgeisterte Blicke zu.
    »Wie – das steht da nicht?«, wiederholte Jiyuu fassungslos.
    »Und Ihr wisst es auch nicht, wertes Medium?«, fragte Tempestas sie.
    »Da muss ich euch, so leid es mir tut, enttäuschen.« Kijkou schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe all mein Wissen mit euch geteilt.« Sie reichte May das Buch, welche kurz zögerte und es dann wieder einsteckte. »Es wird gleich hell. Ihr solltet nun euren nächsten Bestimmungsort festlegen, ehe ihr ziellos durch die Sümpfe irrt«, riet ihnen die Seherin.
    »Wir haben zwar noch einiges an Proviant übrig, dennoch sollten wir unsere Vorräte etwas aufstocken«, überlegte Tempestas laut. »Das Dorf Rekam liegt südwestlich von hier, wenn ich mich nicht irre.«
    »Das ist korrekt«, bestätigte ihn Kijkou.
    »Dann sollten wir zunächst dorthin aufbrechen – und unterwegs überlegen wir uns, wo wir unsere Suche am besten beginnen. Was meint ihr?«, fragte Tempestas die anderen.
    »Ich weiß nicht viel mehr über Ignotus als die beiden hier. Was mich betrifft, ich überlasse dir diese Entscheidung«, meinte Jiyuu.
    May und Zack stimmten dem, ohne zu zögern, zu.
    »Bevor ihr aufbrecht, werde ich euch noch einen stärkenden Trunk zubereiten, damit ihr bei Kräften bleibt, bis ihr die Sümpfe durchquert habt«, sprach das Medium, erhob sich und nahm drei kleine Fläschchen von der Kommode, von der sie zuvor das Opfermesser geholt hatte.
    »Danke, das ist sehr freundlich von Euch«, bedankte sich May.
    »Ihr beide!« Kijkou blickte zu Zack und dann zu May. »Ich gebe euch noch einen Rat mit auf den Weg. Gebt nicht auf – haltet euch euer Ziel immer vor Augen, dann werdet ihr es bestimmt schaffen, wieder in euer Land zurückzukehren«, sagte sie zuversichtlich.
    Die beiden nickten zustimmend.
    »Und du!« Nun zeigte das Medium auf Jiyuu. »Dein Schmerz zehrt an dir und schwächt dich. Du musst mit Vergangenem abschließen und nach vorne blicken, sonst werden dich dein Kummer und dein Leid von innen heraus auffressen. Nur, wenn du nach vorne blickst, werden dich die Albträume deiner Vergangenheit nicht mehr heimsuchen und quälen.«
    Dieser blickte nur kurz auf und runzelte die Stirn.
    »Und was dich betrifft, meine wunderschöne Kreatur …«, wandte sich Kijkou an Tempestas und schmunzelte. »Sei stets auf der Hut. Es gibt Feinde, die dir Böses wollen und dir nach deinem Leben trachten. Sie werden nicht ruhen, ehe sich dich finden und du deinen letzten Atemzug getan hast.« Ihre Augen funkelten, als er ihren Blick erwiderte. Sie wirbelte herum, verschwand im Nebenraum und ließ die vier unter sich zurück.

    »Gibt wohl niemanden hier, der keine Probleme hat, was?« Zack blickte Bestätigung suchend in die Runde, doch alle schienen in Gedanken versunken zu sein.
    »Sie hat recht«, unterbrach Tempestas die Stille. »Wir müssen auf alle Fälle achtsam sein. Wir sollten niemanden wissen lassen, wonach genau wir suchen – jedenfalls niemanden, dem wir nicht unser vollstes Vertrauen schenken«, meinte er ernst.
    »Ein weiser Entschluss.« Kijkou betrat nun wieder den Raum. Sie reichte jedem von ihnen ein Glas mit dunkelblauem Inhalt. »Trinkt – das wird euch gut tun und euch stärken!«, wies sie die vier an, blickte aus dem Fenster und lächelte. »Es ist soweit – die Sonne geht auf. Bald schon werden die Osseamorsu in ihr Reich zurückkehren. Dann könnt ihr aufbrechen und eure Reise beginnen«, sagte sie zufrieden.
    Als sie ihre Gläser geleert hatten, standen sie erholt und voller Tatendrang auf und packten ihre Sachen zusammen. Das Klappern draußen, das die knöchernen Schattenwesen von sich gaben, verstummte zusehends, wie das Medium es prophezeit hatte und die Sonne kam langsam hinter dem Horizont hervor.
    »Es war mir ein außerordentliches Vergnügen.« Kijkou Anima verneigte sich höflich und die Türe ihrer Hütte öffnete sich abermals wie durch Magie ganz von selbst.
    »Wir danken Euch vielmals – Ihr habt uns sehr geholfen«, sagte May und verneigte sich ebenfalls, was ihr die anderen gleichtaten.
    »Solltet ihr meine Hilfe erneut benötigen, seid ihr mir jederzeit willkommen!«, offerierte sie. »Nur eine Sache noch!« Sie wandte sich abermals an Tempestas. »Diese Armreifen …« Sie deutete auf seinen linken Arm. »Setzt ihre Macht sehr überlegt und vor allem sparsam ein. In ihnen schlummert zwar die Kraft der Elemente – ihre Energie jedoch entziehen sie ihrem Träger.«
    Tempestas sah sie verunsichert an. »Mir wäre bisher noch nicht aufgefallen …«
    »Lebensenergie«, fuhr sie ihm ins Wort. »Natürlich hast du es nicht bemerkt, weil es auf deinen derzeitigen Zustand keinerlei Einfluss hat.«
    »Ihr meint …« Er betrachtete seinen Reif und blickte wieder zu Kijkou auf.
    »Jedes Mal, wenn ihr ihre Macht einsetzt, verkürzt dies euer Leben«, sprach sie ernst.
    »In welcher Relation?«, fragte Zack besorgt. »Wie viel wird bei einem Mal abgezogen?«
    »Das hängt sehr von der mentalen Stärke seines Trägers ab«, entgegnete das Medium. »Nun, denn – Ihr geht jetzt besser los. Weiter westlich wird es einfacher, die Sümpfe zu durchqueren, da sich dort nicht mehr so viele Gewässer befinden. Ihr solltet also nachmittags in Rekam ankommen, wenn es keine Zwischenfälle gibt. Ich wünsche euch eine gute und vor allem sichere Reise«, sagte die Seherin. Nach diesen Worten verschwand sie abermals im Nebenraum und schloss die Tür hinter sich.
    »Dann lasst uns keine Zeit verlieren!«, meinte Jiyuu, nahm sein Schwert wieder auf den Rücken und marschierte motiviert nach draußen.
    Die anderen folgten ihm und hielten vor der Hütte noch einmal inne.

    »Tempestas, sag mal …«, wandte sich May an diesen.
    »Ja? Was liegt dir auf dem Herzen?«, fragte er mit unbeschwerter Miene.
    »Wie oft hast du den Armreif jetzt schon benutzt?« Sie konnte die Besorgnis in ihrer Stimme nicht verbergen.
    »Etliche Male«, entgegnete er ohne Umschweife.
    »Wegen dem, was Kijkou Anima gesagt hat – also, dass …« May verstummte noch im Satz.
    »Ja, ich habe mich ebenfalls gefragt, wie viel meiner Zeit der Gebrauch dieses Reifs mich bereits gekostet hat …«, meinte er kritisch, lächelte aber dann. »Mach dir keine Gedanken – meine Lebenserwartung ist über ein Zehnfaches höher, als die von euch Menschen. Da ohnehin keiner von meinem Volk übrig ist, habe ich niemanden, mit dem ich solch ein langes Leben teilen könnte.« Er zwinkerte ihr zu und machte sich in südwestliche Richtung auf.
    Die anderen blickten sich noch ein letztes Mal um, bevor sie Tempestas folgten und dem sicheren Ort schließlich den Rücken kehrten.

  • Wieder viele wichtige Informationen, die wir hier erhalten, @kijkou.

    Spoiler anzeigen

    »Wenn alle sieben Armreifen der Elemente zusammengetragen wurden und die Glocke der Ahnen erklingt, wird der Heilige Goldadler, der Gott Ignotus’, die Stimmen von den Trägern der Wegweisenden Amulette vernehmen und ihnen erscheinen. Jedem von ihnen wird ein Wunsch gewährt, über den dieser frei verfügen darf«, übersetzte sie.
    »Das wären dann drei Wünsche – sehr gut! Und wie genau ruft man nun nach dem Heiligen Goldadler?«, wollte Zack wissen

    Maaaaaannn Zack, du solltest eindeutig besser zuhören! Die GLOCKE ruft ihn, er kommt dann von selbst. :patsch:

    Das mit der Lebensenergie ist jetzt natürlich blöd, und dass sie nach Memoria zurück müssen, auch. Selbst wenn sie dem König dort im Gewimmel durchrutschen sollten - die Ferremetu werden sie sicher nicht aus den Augen lassen. Sie laufen also Aquila förmlich in die Hände, die er sich schon reiben wird, wenn er es erfährt.

    Btw - hat das MEdium denn nicht sehen können, dass sie bespitzelt werden?? :hmm:
    Oh oh, das ist echt spannend!! Schreibe schnell weiter, Kij! :stick:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Hi @Tariq ^^

    Liebe Grüße!

  • Kapitel 7 - Teil 1

    Höhen und Tiefen
    Der Wert eines Menschenlebens

    Erst als es langsam hell wurde, wagten es die Soldaten, den Wald im Nordosten Memorias zu betreten. Mit den Subju-Wagen war es zu riskant, sich durch die Dunkelheit zu bewegen und davon abgesehen fürchteten sie, unvorbereitet auf Kemai zu treffen.
    Hauptmann Corvus wusste, dem König lag sehr viel daran, dass das Fest wie ursprünglich geplant verlaufen würde, also durfte er sich keinen Fehler erlauben. Er hatte sich fest vorgenommen, bis spätestens zur Mittagszeit im Kemai-Lager einzutreffen.
    Nach einer Weile, als sie tiefer in den Wald vorgedrungen waren, wies er die Soldaten an, kurz Halt zu machen.
    »Männer, wir werden das Gebiet bald schon erreicht haben. Ich lege euch nahe, das Wappen Memorias gut sichtbar zu tragen. Sollten wir unerwartet angegriffen werden, wird dies möglicherweise euer Leben retten!«, sprach er zu ihnen.
    »Jawohl!«, riefen die Soldaten und überprüften alle ihre Rüstungen, an die das Wappen angebracht war. Dieses zierte ein goldener Adler auf weiß und dunkelrot gevierteltem Hintergrund.
    Zwei weitere Stunden Fußmarsch hatten sie nun hinter sich und die Gegend wurde zusehends hügeliger. Das Vorankommen mit den Fuhrwerken gestaltete sich immer mühsamer, doch der Hauptmann wollte sich nicht daran hindern lassen, seinen Auftrag erfolgreich auszuführen. Allen voran marschierte er weiter und suchte stets die bestmögliche Route, welche die Subju-Wagen problemlos passieren konnten.
    »Hauptmann!«, wandte sich einer der Soldaten erschöpft an ihn. »Das hier ist eine Tortur! Warum haben wir nicht die Pferde genommen?«, fragte er, nachdem Corvus ihm Gehör schenkte.
    »Willst du dir das Genick brechen? Du weißt doch genau, wie scheu die Pferde sind – jetzt male dir aus, was passiert, wenn wir auf die Kemai treffen«, entgegnete Corvus. »Außerdem tut des so manchen von uns vielleicht ganz gut.« Er deutete auf seinen Bauch.
    »Nicht doch, Hauptmann, Ihr seid gut in Form«, erwiderte der Soldat und stapfte weiter.
    Als sie in ein großes Tal kamen, befahl Corvus seinen Männern, erneut anzuhalten. ›Hier …‹ Er blickte sich um. »Hier! Das muss es sein – das Tal, in dem sich ihr Lager befindet. Es ist selbst bei helllichtem Tage in Schatten gehüllt. Zweifellos finden wir sie hier irgendwo!«, sprach er zu den Soldaten und gab ihnen dann ein Zeichen, dass sie weitermarschieren sollten.
    »Wen!? Wo bringt ihr uns hin?« Einer der Gefangenen hielt die Ungewissheit nicht mehr aus. »Ich – ich will jetzt sofort wissen, wo wir hingebracht werden! Ich soll nächste Woche freigelassen werden. Ich will wissen, wo wir sind!«, meinte er fordernd.
    »Haben wir euch nicht gesagt, ihr sollt die Schnauze halten!?«, schrie ihn einer der Soldaten an und holte mit der Rückseite seines Speers nach ihm aus.
    »Halte ein!«, rief Corvus und stoppte ihn. »Lass es gut sein. Wir müssen sie nicht noch zusätzlich quälen«, meinte er mit ernstem Ton.
    Der Soldat salutierte und gehorchte.
    »Ja, klärt uns endlich auf!«, rief nun auch ein anderer Gefangener.
    Die Menschen auf den Wagen wurden immer unruhiger und begannen unter­einander herumzurätseln, was das alles sollte.
    »Ruhe jetzt!«, rief Corvus mahnend. »Ihr alle habt Sünden begangen – das steht außer Zweifel. Ihr bekommt jetzt eine Gelegenheit, eure Treue als Bürger Memorias unter Beweis zu stellen. Ihr könnt eure Sünden wieder …« Er hielt inne. Sein schlechtes Gewissen wurde zwar immer größer, da er im Begriff war, Menschenleben gegen Rohstoffe einzutauschen, welche dazu dienen sollten, eine Feier festlicher zu gestalten, doch selbst das konnte seine Treue dem König gegenüber nicht erschüttern.

    Auf einmal hörten sie berstendes Geäst und Getöse rings um sich herum. Wer oder was auch immer dieses Geräusch verursachte, war dabei, sich ihnen zu nähern.
    »Nehmt euch in Acht, Männer!«, wies der Hauptmann die Soldaten an, zog sein Schwert und blickte sich nervös um. ›Ob sie das sind?‹ Sein Herz raste bei dem Gedanken, es könnten sich jeden Moment feindliche Kemai auf sie stürzen.
    Alle hielten sich kampfbereit und beobachteten angespannt die Umgebung.
    »Soldaten aus Memoria!«, rief eine raue Stimme, die über ihnen ertönte.
    Corvus drehte sich um und blickte hinauf in die Baumkronen. Aus dem dichten Blätterdach stürzte sich plötzlich ein Kemai nach unten, landete direkt vor dem Hauptmann und richtete sich bedrohlich vor ihm auf. Aus allen Richtungen tauchten nun weitere, mit Speeren bewaffnete Bestien auf und umzingelten die Soldaten.
    »Was treibt ihr hier in diesem Wald?«, fragte der große Kemai, der nun vor Corvus stand und der Anführer zu sein schien.
    Trotz Anspannung ließ sich der Hauptmann nach außen hin nicht aus der Ruhe bringen und deutete auf die Subju-Wagen, in denen die verschreckten Gefangenen immer noch mit verbundenen Augen saßen und nicht wussten, wie ihnen geschah.
    »Wir wollen mit euch handeln«, entgegnete Corvus fordernd und starrte dem Anführer tief in dessen farblosen Augen.
    Der Kemai blickte interessiert zu den Fuhrwerken und näherte sich diesen. Er schritt schnaubend um einen der fünf Wagen und musterte die Menschen, die darin saßen und sich nicht zu rühren wagten, ganz genau.
    »Nicht schlecht, muss ich sagen. Die sehen wie halbwegs brauchbare Arbeitskräfte aus«, sprach der Kemai dem Hauptmann zugewandt. »Vor Kurzem ist uns eine erheblich große Menge an Arbeitskräften entwischt. Wir können neue gut gebrauchen«, sprach er und grinste, sodass das deformierte, verfault aussehende Zahnfleisch über seinem scharfen Gebiss zu sehen war. Das Monster näherte sich dem Hauptmann und blickte ihn mit seinen furcht­erregenden Augen an, in welchen sich Corvus’ Gesicht spiegelte. »Was wollt ihr dafür?«, fragte der Kemai mit rauer Stimme und schnaubte.
    Corvus steckte nun sein Schwert wieder zurück in die Scheide.
    »Cibusgestein. Der König benötigt jede Menge davon und ist bereit, euch dafür diese Menschen zu überlassen«, erklärte er sachlich.
    Das Kemai-Oberhaupt überlegte kurz, gab dann den anderen ein Zeichen und diese zogen sich zurück in den Wald. »Gut – einverstanden. Folgt mir!«, knurrte er und ging voraus.
    »Ihr habt es gehört, Männer! Los!«, rief Corvus den Soldaten zu, die sich in Bewegung setzten. ›Ein Glück – sie wollen sich auf den Handel einlassen. König Aquila wird sein Gestein bekommen und somit seine prunkvolle Feier.‹ Bei dem Gedanken, die Gefangenen diesen Monstern zu überlassen, lief es dem Hauptmann kalt über den Rücken hinunter. ›Aber diese armen Menschen. Ja, einigen von ihnen sind wirklich schlecht und haben furchtbare Verbrechen begangen, aber keiner hat solch ein Schicksal verdient, würde ich meinen …‹ Der Hauptmann blickte hinunter auf seine Brust, die das Wappen Memorias zierte. ›Es ist wichtig für Memoria – für die Stadt – für das Volk. Wenn der König gut gestimmt ist, geht es dem Volk gut …‹

    Sie schritten immer weiter bergab und tiefer ins Tal hinein, wo es zusehends dunkler wurde.
    ›Wir sind bestimmt gleich da. In ihrem Lager – umzingelt von diesen Biestern. Was hält sie davon ab, uns einfach alle hierzubehalten? Sie könnten uns einfach alle – nein! Reiß dich zusammen, Dignitas!‹ Der Hauptmann atmete tief durch. ›Sollten sie das tun, wären jegliche Handelsbeziehungen gestorben.‹
    Wenn sie erst einmal im Lager der Kemai angekommen waren, würden sie diesen komplett ausgeliefert sein. Sie durften nicht im Geringsten ihr Missfallen erregen, dessen war sich Corvus sicher. Dennoch hatte es für ihn oberste Priorität, seinen Auftrag zur vollsten Zufriedenheit des Königs auszuführen, Angst hin oder her.
    Das Tal, durch das sie nun schritten, war länglich und schmal. Die bewaldeten Berge auf beiden Seiten, deren Hänge fast senkrecht nach oben verliefen, wurden immer höher. Sie schirmten somit die Sonne vom Großteil des Tals ab, wodurch diese düsteren Lichtverhältnisse entstanden.
    Endlich erreichten sie das Fort. Das Oberhaupt der Kemai gab den Wachen ein Zeichen und als sich die Fuhrwerke dem Haupttor näherten, öffnete sich dieses. Der Anführer der Kemai blieb seitlich davor stehen und winkte die Soldaten hinein, welche dem Hauptmann ins Innere der Festung folgten.
    Während sie das Tor passierten, befiel sie ein unsicheres und seltsames Gefühl.
    Im Inneren blickten sich Corvus und seine Männer überall um.
    Die Gefangenen hatten immer noch die Augen verbunden und konnten nur erahnen, was auf sie zukam.

    Das Lager war riesig und überall, wohin man sah, waren Kemai. Sklaven waren seltsamerweise kaum zu sehen. Nur in der Nähe der Quartiere waren einige, nicht mehr als zwanzig und hauptsächlich Frauen, damit beschäftigt, abgenutztes oder kaputt gegangenes Werkzeug zu reparieren. Manche von ihnen blickten kurz auf, als sie die Soldaten vorbeigehen sahen, trauten sich aber nicht, ihre Arbeit zu unterbrechen.
    Ein Mädchen, vielleicht um die zehn Jahre alt, sprang plötzlich auf. »Sie – sie sind endlich gekommen! Sie holen uns! Sie sind gekommen, um uns zu befreien!«, rief sie und lief auf Hauptmann Corvus zu.
    Eine Frau, vermutlich ihre Mutter, versuchte sie aufzuhalten, doch bevor sie sie zurückrufen konnte, trat einer der Kemai vor und warf eine Bola nach dem Mädchen, die sich um dessen Beine schlang und es zu Fall brachte. Die Kleine stürzte genau vor Corvus’ Füßen zu Boden und blickte verzweifelt zu ihm nach oben. Tränen flossen über ihre Wangen.
    »Ihr – ihr seid doch gekommen, um uns zu retten, nicht wahr?«, schluchzte sie.
    Der Hauptmann blickte in ihre angsterfüllten Augen und fühlte sich mit einem Mal völlig machtlos. Er konnte ihr nicht helfen, ganz egal, wie sehr er es auch wollte. »Es tut mir leid«, sprach er mit gedämpfter Stimme, wendete sich von ihr ab und folgte dem Kemai-Oberhaupt, das ihn bereits zu sich winkte. Er konnte noch ihre Schreie vernehmen, wie sie eines der Monster packte und zur Strafe in die Ställe nahe dem Haupttor sperrte.
    »Nun gut – ihr sollt Cibusgestein erhalten. Ich werde euch zu den Minen geleiten. Bei der Gelegenheit werden wir gleich die neuen Arbeitskräfte einsetzen, um ihre Arbeitsmoral zu testen. Sie sollen eure Wagen mit dem Gestein beladen. Was hältst du davon? Bist du damit einverstanden?«, fragte der Kemai den Hauptmann und sah ihn erwartungsvoll an.
    Dieser nickte. »Wunderbar! Da wird der König sehr zufrieden sein«, meinte Corvus und gab seinen Männern ein Zeichen zum Aufbruch.

    Sie fuhren mit den Wagen quer durch das Lager. Als sie an den Sklavenquartieren vorbeikamen, riskierte der Hauptmann flüchtige Blicke. Es waren längliche, heruntergekommene Holzbauten ohne Fenster. Die Türen, sofern es welche gegeben hatte, waren aus den Rahmen gerissen worden. Auf der anderen Seite befand sich das Vorratslager, ein rundes Gebäude, und wie es schien, hatten die Sklaven keine Befugnis, es zu betreten, da ein Kemai davor Wache stand.
    Etwas weiter entfernt hinter diesem lag ein kleiner eingezäunter Platz. Der Erdboden war blutgetränkt, ohne Zweifel. Das erkannte man im Schatten des Tals sogar trotz mangelndem Lichtes. Corvus konnte nur erahnen, was sich innerhalb des Zauns abgespielt hatte.
    Sie kamen zu einem Tor auf der anderen Seite des Forts. Dieses stand bereits weit offen und es befanden sich keine Wachen dort.
    »Ist dieses Tor immer geöffnet?«, fragte der Hauptmann verwundert, während sie hindurchschritten.
    Der Kemai lachte laut auf. »Dieser Weg führt nur zu den Minen. Die Sklaven wären dumm, wenn sie versuchen würden, in diese Richtung zu entkommen«, meinte er und grinste mit seinen gelb verfärbten, aber scharfen Zähnen, was mit den kaum ausgeprägten Lippen mehr grauenvoll als freundlich aussah.
    »Wo wir gerade bei dem Thema sind …« Corvus blickte zurück zum Lager. »Sind die Leute, die sich im Lager befinden, etwa alle Sklaven, die noch übrig sind?«, fragte er interessiert.
    »Nein, natürlich nicht«, entgegnete der Kemai. »In den Minen arbeiten noch welche. Viele sind es aber nicht mehr – vielleicht an die zwanzig Individuen, die allesamt faul sind.«
    »Was ist mit den übrigen geschehen?«, fragte Corvus weiter.
    »Diese verdammten Würmer …« Der Kemai-Anführer wurde wütend. Er holte mit seinen Klauen nach dem Stamm eines Baumes aus und drang tief in das Holz ein.
    Corvus beobachtete ihn angespannt, wie dieser seine Krallen wieder herauszog.
    »Diese dreckigen Missgeburten haben vor einiger Zeit versucht, aus dem Lager zu fliehen! Wir haben sie zwar eingeholt, sie jedoch größtenteils töten müssen, da sie Widerstand geleistet haben«, fauchte er erregt und stampfte auf. »Einige von ihnen sind uns aber aus Angst freiwillig wieder zurück gefolgt.«
    »Ihr habt alle wieder eingefangen oder getötet? Also, entkommen ist euch sozusagen keiner?«, hakte Corvus nach.
    »Wieso fragst du?«, wollte der Kemai wissen und blickte den Hauptmann skeptisch an.
    Dieser überlegte kurz. »Nun, der König hat mich gebeten, mich nach einem bestimmten Sklaven zu erkundigen, der in unserer Stadt aufgetaucht ist. Dieser Knabe hat ganz schön Radau gemacht und einige unserer Soldaten in Schach gehalten, erzählt man sich in den Wirtshäusern. Jedenfalls denkt Seine Majestät, dass er ein Sklave ist beziehungsweise war. Und da nur ihr, die Kemai, euch Sklaven haltet, vermutet Seine Majestät, dass dieser euch womöglich entkommen ist«, erklärte Corvus.
    »Lächerlich …« Die Bestie dachte einen kurzen Moment nach und brüllte dann zornig auf. »Kann es sein, dass dieser Wicht überlebt hat!? Nein – das ist unmöglich!«


    So, ich glaube, es wird Zeit, dass ich euch eine

    Karte

    hineinstelle ^^
    Verzeiht bitte, das pixelige Gekritzel - hab sie in MS Paint gezeichnet :D


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    Weiter im Text

  • Hey Ho... Ich bin wieder da und musste btw ein bisschen was aufholen...

    Zu Kapitel 6, Teil 3

    Spoiler anzeigen

    Hab ich nichts zu meckern :)
    Es war sehr informativ gehalten, aber schließlich wollten sie ja auch erfahren, was sie machen müssen. Ich hoffe, das war nicht Kijkous letzter Auftritt :huh: ich mag sie nämlich.

    Tempestas hat Lebensenergie verloren... :panik: nooooiiinnnn ;(
    Aber soweit ich das richtig verstanden habe, brauchen sie die Armreifen ja nur, um Ignotus zu rufen. Wenn sie sich also zusammen reißen und nicht herum experimentieren, dürfte ja alles gut gehen :whistling:

    Zu Kapitel 7, Teil 1

    Spoiler anzeigen

    War ebenfalls sehr interessant. Wir haben (endlich) einen groben Einblick über die Kemai erhalten und der Handel zwischen denen und Corvus scheint glatt über die Bühne zu gehen. Ich finde die Gedanken des Hauptmannes ja sehr schön. Dieses zwiegespaltene Wesen. Nicht zu wissen, was richtig und falsch ist oder sich dem zu beugen, was ein anderer verlangt. Nämlich dem total idotischen Aquila... Das macht Corvus menschlich und gibt ihm Sympathiepunkte. Ich hab auch das Gefühl, dass er im Verlauf der Geschichte noch eine tragendere Rolle spielen wird, darauf würde ich mich jedenfalls freuen :whistling:


    Zitat von kijkou

    Ein Mädchen, vielleicht um die zehn Jahre alt, sprang plötzlich auf. »Sie – sie sind endlich gekommen! Sie holen uns! Sie sind gekommen, um uns zu befreien!«, rief sie und lief auf Hauptmann Corvus zu.
    Eine Frau, vermutlich ihre Mutter, versuchte sie aufzuhalten, doch bevor sie sie zurückrufen konnte, trat einer der Kemai vor und warf eine Bola nach dem Mädchen, die sich um dessen Beine schlang und es zu Fall brachte. Die Kleine stürzte genau vor Corvus’ Füßen zu Boden und blickte verzweifelt zu ihm nach oben. Tränen flossen über ihre Wangen.
    »Ihr – ihr seid doch gekommen, um uns zu retten, nicht wahr?«, schluchzte sie.
    Der Hauptmann blickte in ihre angsterfüllten Augen und fühlte sich mit einem Mal völlig machtlos. Er konnte ihr nicht helfen, ganz egal, wie sehr er es auch wollte. »Es tut mir leid«, sprach er mit gedämpfter Stimme,

    Beste Szene. Kopfkino vom feinsten :thumbsup:

    Zitat von kijkou

    »Ihr habt alle wieder eingefangen oder getötet? Also, entkommen ist euch sozusagen keiner?«, hakte Corvus nach.
    »Wieso fragst du?«, wollte der Kemai wissen und blickte den Hauptmann skeptisch an.
    Dieser überlegte kurz. »Nun, der König hat mich gebeten, mich nach einem bestimmten Sklaven zu erkundigen, der in unserer Stadt aufgetaucht ist. Dieser Knabe hat ganz schön Radau gemacht und einige unserer Soldaten in Schach gehalten, erzählt man sich in den Wirtshäusern. Jedenfalls denkt Seine Majestät, dass er ein Sklave ist beziehungsweise war. Und da nur ihr, die Kemai, euch Sklaven haltet, vermutet Seine Majestät, dass dieser euch womöglich entkommen ist«, erklärte Corvus.
    »Lächerlich …« Die Bestie dachte einen kurzen Moment nach und brüllte dann zornig auf. »Kann es sein, dass dieser Wicht überlebt hat!? Nein – das ist unmöglich!«

    Damit hab ich mich persönlich ein bisschen schwer getan. Corvus Auftrag war es, in Erfahrung zu bringen, ob ein Sklave entkommen ist und den Kemai nicht die Gedanken des Königs zu verraten.
    Mein Vorschlag wäre hier, dass Corvus hier erzählt, dass sich dieses als Gerücht verbreitet hat und er selber beim Aufruhe dabei war... Der Kemai kann das schlecht nachprüfen.
    Da Corvus gegenüber Aquila sowas wie hörig ist, ist es doch schon seltsam, dass er die Anweisung seines Königs mit Füßen tritt (obwohl dieser das wohl auch nicht nachprüfen kann)
    Oder
    Corvus antwortet gar nicht erst auf die Frage des Kemai :whistling:
    ...

    Deine Karte sieht auf dem ersten Blick schon mal ziemlich cool aus :thumbup:

    LG :)

  • Hi Lady ^^
    Willkommen zurück!

    Liebe Grüße ^^

  • Kapitel 7 - Teil 2

    »Kann es sein, dass dieser Wicht überlebt hat!? Nein – das ist unmöglich!«
    Der Hauptmann blickte den schnaubenden Kemai fragend an.
    »Einer von ihnen hat es bis zu einer Waldlichtung geschafft. Ich habe ihnselbst mit meinem Wurfspeer durchbohrt. Dannist er einen Abgrund hinunter­gestürzt. Aber nie und nimmer hater dasüberlebt! In diesem Zustand wäre er auch sicher nicht bis nach Memoria gekommen«, erzählte das Kemai-Oberhaupt.
    »Möglicherweise doch …« Corvus musste herausfinden, ob es sich hierbei um die Person handelte, über die der König Informationen wollte und er hakte weiter nach. »Seine Hoheit wünscht alles über diesen jungen Burschen in Erfahrung zu bringen. Könnte es sich nicht doch um dieselbe Person handeln?«
    »Waswillder König mit Informationen über diesenwertlosen, dreckigen Sklavenanfangen zu können?«, fragte der Kemai misstrauisch. »Nun gut – sagt mir, wie hat denn dieser Wurmausgesehen?«, ging er auf die Investigation des Hauptmannes ein.
    »Soweit ich weiß, hatte er dunkles Haar. Seine Majestät hat noch erwähnt, dass sein Äußeres auf westländische Herkunft hindeutet. Viel mehr ist mir leider auch nicht bekannt«, meinte Corvus bedauernd.
    Der Kemai hielt an, überlegte kurz und ging weiter. »Auch wenn die Beschreibung doch recht passend ist, bezweifle ich, dass es sich um diesen Sklaven handelt, es sei denn, er hat mehr als nur ein Leben.Ichkann dir über diesen Wurmabergerne erzählen, was ich weiß – auch wenn ich mirnicht vorstellen kann, was es dem König nützen könnte.«
    Da Corvus nichts zu verlieren hatte, stimmte er zu.

    »Dieser Wichthat uns andauernd Ärger gemacht – so gesehen also kein großer Verlust. Mich würde es nicht wundern, wenn er die Fluchtaktion ins Rollen gebracht hätte. Seine Mutterhaben wir schon ganz jung ins Lager geholt undhier hat sie den Vater kennengelernt. Wir freuen uns immer, wenn sich die Sklaven eigenständig vermehren …« Der Kemai brach in hämisches Gelächter aus, fing sich aber wieder. »Kurz nach der Geburt des Kindes ist sie jedoch verreckt und der Vater hat es dann allein aufgezogen. Schon alskleine Made hat er sich immer wieder aufgespielt und sich widersetzt, bis es dann einmaleinen Zwischenfall gegeben hat«, erzählte er.
    »Einen Zwischenfall?«, fragte Corvus neugierig.
    »Wenn man’s genau nimmt, nicht nur einen. Irgendwann hat es einem von uns gelangt und er hatden Wurmfast totgeprügelt. Sein dummer Vater hat sein Leben für das des Jungen eingetauscht. Das schien uns nur recht,weilder Alte ohnehin nichts mehr für die Arbeit getaugt hat – also haben wir ihn abgeschlachtet.« Das Monster grinste, als es daran dachte, wie sie den Mann damals hingerichtet hatten.
    »Sinnvoll, ja. Und was ist dann danach mit dem Jungen passiert?«, wollte der Hauptmann wissen.
    »Der hat sich danach nichts mehr getraut. War ihm wahrscheinlich eine Lehre. Hat dann auch nicht mehr widersprochen, wenn wir ihn zum Spaß bei den Schaukämpfenaufgestellt haben. War eigentlich immer sehr unterhaltsam, wenn er dabei war – nur nicht für seine Gegner.« Der Kemai grinste abermals. »So, wir sind gleich da.«

    Sie erreichten die Minen, vor denen weitere Kemai patrouillierten und dafür sorgten, dass die Sklaven in den Minen ihre Arbeit ordnungsgemäß verrichteten.
    Jetzt war es an der Zeit, die Gefangenen von den Subju-Wagen zu holen.
    Die Soldaten nahmen ihnen nun endlich die Augenbinden ab.
    Eingeschüchtert blickten sich die armen Menschen um und beim Anblick der Kemai gerieten einige von ihnen in Panik.
    »Ihr seid vom heutigen Tage an keine Gefangenen mehr. Ihr werdet hier für die Kemai arbeiten!«, klärte sie der Hauptmann auf.
    »Und wenn euch das nicht gefällt, macht ihr Bekanntschaft mit denen!«, fügte eines der Monster hinzu und deutete auf seine Klauen.
    Die Gefangenen wagten es nicht, zu widersprechen. Sie warfen sich gegenseitig nur ängstliche und verzweifelte Blicke zu. Nachdem die Soldaten ihnen die Ketten abgenommen hatten, führten zwei der Kemai sie in die Minen zu den anderen Sklaven.
    Im Inneren der Höhle befand sich ein riesiger hoher Raum voller Gerüste, in dem das Gestein abgetragen wurde. Es war kaum zu glauben, dass dieser hauptsächlich durch den Abbau entstanden sein sollte. Alles war mit Fackeln erleuchtet, die an den Höhlenwänden angebracht waren.
    »Draußen stehen fünf Fuhrwerke! Beladet sie mit Gestein! Und weist die Neuen ein!«, brüllte einer der Kemai die Sklaven an.
    Sofort begannen diesedas Cibusgestein in große hölzerne Eimer zu füllen und jeder von ihnen musste vier davon an einem Tragejoch befestigt nach draußen schleppen. Die ehemaligen Gefangenen aus Memoria wurden schonungslos gezwungen ebenfalls gleich mit anzupacken.
    Viele der Sklaven sahen sehr mitgenommen aus, hatten Blutergüsse und zerrissene Kleidung, waren aber nicht unterernährt oder dergleichen, da die Kemai sehr darauf bedacht waren, dass ihre wertvollen Arbeiter auch arbeitsfähig und kräftig blieben.
    Schweigend beobachten die Soldaten und ihr Hauptmann, wie die Fuhrwerke von den schwer schuftenden Menschen nach und nach mit dem Gestein beladen wurden.
    »Bald schon werden sie fertig sein, dann könnt ihr wieder aufbrechen«, meinte der Kemai-Anführer zum Hauptmann.
    »Das ist wunderbar! Der König wird sehr erfreut sein. Die Sklaven arbeiten unter eurer Kontrolle einfach außerordentlich effektiv«, entgegnete dieser und verneigte sich dankbar. »Ich bin sehr beeindruckt, wie gefügig ihr sie euch gemacht habt. Sie ziehen es nicht einmal in Erwägung, ihre Stimmen zu erheben, da kein noch so kleiner Widerspruch geduldet wird.«
    »Du willstdoch sicher so bald wie möglich zurück zu eurem König, der dichfür das Gestein belohnen wird, ist das richtig?«, fragte die Bestie ungeduldig und grinste.
    »Ja, das ist wahr«, meinte Corvus und blickte zu den Soldaten hinüber, die den Sklaven beim Beladen etwas zur Hand gingen. »Darf ich euch noch um Wasser für meine Männer bitten?«, fragte er den Kemai. »Der Rückweg wird mit vollbeladenen Wagen bestimmt beschwerlicher als zuvor.«
    »Nur zu. Im Lager befindet sich ein Brunnen. Trinkt, soviel ihr wollt!«, gestattete ihm das Oberhaupt.
    »Vielen Dank.« Corvus verneigte sich dankbar und überprüfte die Fuhrwerke, die nach nicht einmal einer halben Stunde voll beladen waren. Danach machten sie sich wieder auf den Rückweg ins Lager. Noch ein letztes Mal blickte der Hauptmann zurück zu den Minen und überließ die Sklaven dann schwermütig ihrem Schicksal.


    Die Sonne stand schon hoch am Himmel und brannte auf das Sumpfgebiet herunter, das Zack, May, Jiyuu und Tempestas beinahe durchquert hatten. Westlich waren die Tümpel fast vollständig verdunstet und wo man auch hinblickte, befanden sich nur noch Schlammlöcher. Es war heiß und extrem schwül. Auch das Atmen gestaltete sich mühsam, da in der Luft unzählige Insekten umherschwirrten.
    Das kleine Murmur huschte immer wieder durch das hohe Gras, sammelte im Flug einige der Insekten auf und verschlang diese genüsslich.
    Die anderen hatten leider nicht das Glück, etwas Essbares zu finden. Nicht einmal Trinkwasser lag auf ihrem Weg. Alle vier schwitzten und waren sehr durstig.
    Seit einiger Zeit schon marschierten sie nur schweigend nebeneinander her, um ihre Kräfte zu schonen, bis Zack die Stille schließlich unterbrach.
    »Mann, ich will nicht mehr! Es ist so beschissen heiß hier. Mir fliegen ständig irgendwelche Fliegen vorm Gesicht `rum und ich hab’ Hunger und – verdammt nochmal – `nen scheiß Durst hab’ ich auch!«, murrte er.
    »Hör auf zu jammern! Es ist bestimmt nicht mehr weit. Du bist nicht der einzige, der Durst hat«, rief ihm Jiyuu, der weiter vorne ging, leicht genervt zu.
    »Ich jammere, wann immer ich will!«, fauchte Zack aggressiv zurück.
    May und Tempestas warfen sich gequälte Blicke zu und seufzten.
    Jiyuu rollte mit den Augen und wandte sich ihm zu. »Es ist so schon anstrengend genug – wenn du jetzt auch noch mit deinem Gemecker anfängst …«
    »Ach, halt’s Maul! Warum sollt’ ich tun, was ausgerechnet du mir sagst!?«, fuhr Zack ihn an. Durch die Hitze war er total gereizt und wollte sich von niemandem etwas sagen lassen.
    »Weil Tempestas zu höflich ist, um dir zu sagen, dass du nervst und May dein Gejammer wahrscheinlich schon gar nicht mehr wahrnimmt!«, entgegnete Jiyuu mürrisch und ging weiter.
    »Ach ja!? Dann sei du doch bitte auch so höflich und lass mich in Ruh’! Oder hat man dir im Sklavenlager nicht beigebracht, was Höflichkeit bedeutet!?«, brüllte Zack und spuckte eine Fliege aus, die ihm gerade in den Mund geflogen war.
    Jiyuu hielt an und ballte seine Hand zu einer Faust, ließ jedoch wieder locker und seufzte. »Ich streite jetzt nicht mit dir, dafür ist mir meine Energie zu schade«, entgegnete er, ohne Zack auch nur eines Blickes zu würdigen.
    »Dazu bist du dir zu gut, oder was!? Hast du gehört!? Hey – ich rede mit dir!« Wütend stürzte Zack plötzlich auf ihn zu und riss ihn zu Boden, woraufhin die beiden richtig aufeinander los gingen.
    »Zack! Jiyuu!«, schrie May die zwei an, doch sie reagierten nicht und wälzten sich auf der Erde.
    Als Jiyuu die Oberhand gewann und auf Zack sitzend diesen schlagen wollte, zerrte Tempestas ihn weg und hielt ihn fest.
    Zack rappelte sich auf und schnaubte wild, doch May stellte sich zwischen ihn und Jiyuu.
    »Genug jetzt!«, meinte Tempestas ernst. »Haltet ihr das für klug, eure Kraftreserven hier sinnlos zu verbrauchen?« Er ließ Jiyuu wieder los.
    »Er hat recht! Was ist nur los mit euch?« May schüttelte enttäuscht den Kopf.
    Zack knirschte mit den Zähnen und zeige mit seinem Finger beschuldigend auf Jiyuu. »Er hat angefangen! Ich hab’ nur …«
    »Zachary! Genug jetzt!«, unterbrach ihn May nun auch schon sehr gereizt.
    Jiyuu hob schweigend sein Schwert auf, das sich zuvor von der Halterung gelöst hatte. Er warf Zack noch einen angewiderten Blick zu und ging weiter.
    Die anderen folgten ihm und es schien, als hätten sie das südwestliche Ende des Sumpfgebiets endlich erreicht.

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    Ich bin der Link zum nächsten Teil - klick mich!

  • Hey @kijkou :)

    Also Corvus als Charakter mag ich wirklich sehr gerne. Man spürt irgendwie richtig, dass ihm das alles nicht so ganz recht ist, was sein liebreizender König da verlangt :)
    Ich bin gespannt, ob da irgendwann ein Seitenwechsel von ihm kommt... Der Gute hat auf jeden Fall Potenzial für mehr :thumbsup:

    Spoiler anzeigen

    Es gab allerdings etwas, was mir nicht so gefallen hat und zwar war das der letzte Abschnitt. Es war schön geschrieben und es gab jede Menge Augenblicke, in denen ich Jiyuu und Zack gerne mit den Köpfen aneinander geschlagen hätte. Ich habe mich nur gefragt, warum du das nicht in den nächsten Teil gesetzt hast. Dieser Abschnitt hat nicht unbedingt etwas zum Verlauf beigetragen und könnte meiner Meinung nach in deinem nächsten Teil stehen, wenn die Handlung an sich auch weiter geht. Weißt du was ich meine? Hätte auch den charmanten Nebeneffekt, dass dieser Teil nicht allzu lang ist, denn das ist er nämlich geworden oder kommt mir das nur so vor?

    Also wenn uns dieser letzte Abschnitt nicht irgendetwas mitteilen wollte, was ich eventuell nicht verstanden habe, könntest du ja darüber nachdenken, okay?

    Okay... Das einzige wäre, dass sie das Ende des Sumpfes erreicht haben...

    Sorry X/

    LG :)

  • MyLady, darf ich zum Tanz bitten? :hi1:

    Liebe Grüße ^^

  • Hallo, @kijkou

    Spoiler anzeigen

    Ich hab die beiden letzten Teile jetzt aufgeholt. Dazu hab ich ein paar Anmerkungen, obwohl sie im großen und ganzen natürlich - wie immer super flüssig zu lesen und spannend waren. Den inneren Konflikt von Corvus hast du wunderbar darstellen können.
    Ein bisschen irritiert war ich über die vornehme Ausdrucksweise der Kemai. Du nennst sie Biester und Monster, und dann kommen von denen Sprüche wie:

    »Nun gut – ihr sollt Cibusgestein erhalten. Ich werde euch zu den Minen geleiten. Bei der Gelegenheit werden wir gleich die neuen Arbeitskräfte einsetzen, um ihre Arbeitsmoral zu testen. Sie sollen eure Wagen mit dem Gestein beladen. Was hältst du davon? Bist du damit einverstanden?«

    8| Alle Achtung, das nenn ich mal gehobene Ausdrucksweise. Ich krieg das im Kopf irgendwie nicht zusammen, tut mir leid.

    Er hatte sich fest vorgenommen, bis spätestens zur Mittagszeit das Kemai-Lager erreicht zu haben.
    Nach einer Weile, als sie tiefer in den Wald vorgedrungen waren, wies er die Soldaten an, kurz Halt zu machen.
    »Männer, wir werden das Gebiet bald schon erreicht haben.

    Wiederholung

    »Wir wollen mit euch handeln«, entgegnete Corvus fordernd und starrte dem Anführer tief in dessen leere Augen.

    Bei leeren Augen hab ich irgendwie nen Zombie vor Augen. Später bezeichnest du sie als farblos. Damit komme ich eher klar, weil mich dies an das Vorhandensein einer Pupille glauben lässt, an der man erkennt, wohin der Kemai schaut. Aber leer ...? :/

    Zwei weitere Stunden Fußmarsch hatten sie nun hinter sich

    Echt? Die armen Soladaten müssen tatsächlich laufen? Können nicht wenigstens reiten? Das dürfte auf einer Passage, wo sogar die Wagen vorwärts kommen, doch kein Problem sein, oder?

    »Cibusgestein. Der König benötigt jede Menge davon und ist bereit, euch dafür diese Menschen zu überlassen«, erklärte er sachlich.

    Auqila ist hier meiner Meinung nach sehr blauäugig. Was will er machen, wenn die Kemai Wagen, Gefangene und Soldaten einfach behalten, ohne ein Krümel Gestein dafür herzugeben? In ihren Wäldern sind sie die Könige!

    »Ihr habt es gehört, Männer! Los!«, rief Corvus den Soldaten zu und nahm die Verfolgung auf.

    Das klingt für mich, als würde der Kemai abhauen und sie müssten ihn verfolgen. Vielleicht findest du eine andere Formulierung?

    Ja, einigen von ihnen sind wirklich schlecht und haben furchtbare Verbrechen begangen, aber viele von ihnen haben solch ein Schicksal nicht verdient,

    Was hält sie davon ab, uns einfach alle hierzubehalten? Sie könnten uns einfach alle – nein!

    Kluger Corvus! Sei froh, dass die Kemai nicht auf dieselbe Idee kommen! Da würde dein heißgeliebter König nämlich schön blöd aussehen!

    Er holte mit seinen Klauen aus und durchtrennte mit einem einzigen Hieb den Stamm eines mittelgroßen Baumes, der daraufhin umstürzte.

    Das erscheint mir unrealistisch. Krallen sind doch eigentlich nichts anderes als verlängerte Fingernägel. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ein Schwert oder eine Axt dergleichen schaffen würde. Aber Nägel? Auch wenn sie scharf sind - aber die wohl kaum ...

    So, ich glaube, es wird Zeit, dass ich euch eine

    Jaaaaa! Eine Karte!!! :super:
    Hätte nur eine Bitte: Entweder steckst du sie in Post 1 oder in einen extra Post und verlinkst diesen dann mit jedem neuen Post. Im Post 184 findet die keiner wieder. ;(

    Der Kemai brach in höllisches Gelächter aus, fing sich aber wieder.

    das Wort "höllisch" stört mich hier irgendwie. "Hämisch" oder "boshaft" wäre vielleicht auch eine Möglichkeit

    Die ehemaligen Gefangenen aus Memoria sollten ebenfalls gleich schonungslos mit anpacken.

    "Schonungslos" heißt, dass etwas getan wird, ohne zu schonen. Aber hier scheint es mir nicht im richtigen Zusammenhang. Besser wäre es meiner Meinung nach etwa so:
    "Die ehemaligen Gefangenen aus Memoria wurden schonungslos gezwungen, ebenfalls gleich mit anpacken."


    Jaaaaa, und dann dieser Teil mit der Prügelei. Dazu von mir kein Kommentar. :nono:
    Wenn ich irgendwann mal aus der Geschichte aussteigen sollte, dann kannst du dich bei diesem Idioten von Zack bedanken. Der ist in meinen Augen einfach untragbar. Ich hatte gehofft, dass er sich irgendwann mal altersentsprechend zu benehmen lernt, aber das werd ich wohl nicht erleben. :werderw:

    Tja und nun bin ich gespannt, warum der König so genau wissen will, was es mit Jiyuu auf sich hat. Und die Stelle mit dem Wasser im Lager - vielleicht täusche ich mich ja, aber ich glaube, die Erwähnung hatte einen Sinn. :hmm:
    Und nun wünsche ich Corvus, dass er gut schlafen kann nach der Aktion, denn das sprichwörtliche sanfte Ruhekissen, das einem von einem reinen Gewissen beschert wird, dürfte ihm auf jeden Fall fehlen. X(

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Danke für die vielen Hinweise ^^
    Diesmal hattest du wieder viel zu tun mit mir :sack:

    Setzt mich dann heute oder morgen hoffentlich an die Bearbeitung ran ^^

    Liebe Grüße! <3

  • Kapitel 7 - Teil 3


    Es dauerte nicht mehr lange, da gelangten sie zu einem Fluss. Völlig erschöpft und ausgelaugt stillten die vier am Ufer ihren Durst und kühlten sich etwas ab.
    »Dem Himmel sei Dank sind wir da raus«, seufzte May erleichtert.
    »Das hier ist der Fluss Diviterra, den wir gestern ein Stück weiter östlich überquert haben. Wenn wir weiter stromaufwärts gehen, kommen wir nach Rekam«, erklärte Tempestas, während er seinen Wasserbeutel auffüllte.
    »Ist es noch weit bis dahin?«, wollte Zack wissen.
    »In einer Stunde sollten wir es geschafft haben. Das Dorf liegt nahe einer Fluss­gabelung. Es gibt dort viele Felder mit frischem Gemüse, da die Bewässerung aufgrund der Nähe zum Fluss recht einfach ist. In Rekam können wir uns stärken und genug Proviant besorgen«, meinte Tempestas und lächelte fröhlich. »Nun kommt! Ihr werdet euch dort bestimmt wohl fühlen.«
    Sie machten sich wieder auf den Weg und bald schon wurde der Fluss schmäler und an den Ufern wuchsen jede Menge Pflanzen. Hinter einem kleinen Schilf-Wald lag ein Feld, auf dem etwas angebaut wurde, das Tomaten sehr ähnelte. Nicht weit entfernt konnten sie das Dorf erblicken. Dieses war nicht sonderlich groß und wirkte eher provinziell.
    »Warst du schon öfters hier?«, fragte May Tempestas, der das kleine Murmur beobachtete, welches die Pflanzen auf dem nahegelegenen Feld musterte.
    »Ja, einige Male«, entgegnete er. »Manchmal habe ich Lieferungen für einige der Dorfbewohner erledigt. Die Menschen hier sind sehr offen und freundlich. Nutzt die Zeit hier, um euch noch einmal richtig zu entspannen und Kraft zu tanken, bevor unsere beschwerliche Suche beginnt«, riet er ihnen.
    Die Häuser in dem Dorf hatten alle spitze orangefarbene Dächer und waren nicht besonders groß. Rekam wirkte auf May und Zack wie ein rustikales Vorstadtviertel. Vor den kleinen Häusern befanden sich Gärten mit Zäunen darum und es machte den Anschein, dass die meisten Bewohner diese sehr pflegten. Die Leute, denen sie ihnen auf der Straße begegneten, grüßten sie oder nickten ihnen freundlich zu.
    »Tempestas, sag mal – hast du schon eine Idee, wo wir nach den Armreifen suchen könnten?«, fragte Jiyuu, da er schon die ganze Zeit über an nichts anderes denken konnte.
    »Darüber habe ich mir schon den ganzen Tag den Kopf zerbrochen«, meinte dieser unentschlossen. »Wenn ich an die Sache mit den Elementen denke, würde mir so mancher Ort einfallen, wo sich eventuell einer befinden könnte. Keiner davon liegt jedoch auf dem Weg nach Memoria, oder nahe genug, dass wir es dann noch rechtzeitig in neun Tagen schaffen würden – jedenfalls nicht, wenn uns eine längere Suche bevorsteht. Von hier nach Memoria sind es ungefähr vier Tages­märsche. Das heißt, uns bleiben ab morgen etwa vier Tage für die Suche, sofern wir uns nicht noch weiter von Memoria entfernen …« Tempestas überlegte kurz. »Wenn wir über das Nubs-Gebirge gehen würden, kämen wir nicht weit vom Weg ab. Wenn sich dort keiner der Armreifen befindet, können wir den Ort zumindest einmal ausschließen und somit abhaken. Was meint ihr?«
    »Wandern durchs Gebirge? Klingt doch nett!«, meinte Zack und legte seinen Arm um May, die ihn skeptisch ansah.
    »Na hoffentlich gibt’s dann nicht wieder Gejammer, dass du zu erschöpft bist vom vielen auf- und abmarschieren«, meinte Jiyuu schmunzelnd.
    Zack wollte sich gerade aufregen, doch May nahm seinen Arm von ihrer Schulter und lächelte. »Ja, so eine Wanderung durch die Berge kann schon befreiend sein«, sagte sie freudig. »Die frische Bergluft tut uns bestimmt gut.«
    »Ja, da stimm’ ich dir zu«, entgegnete Zack.
    »Aber auf der Hut sein müssen wir dort ebenfalls. Es wird nicht ganz ungefähr­lich«, sprach Tempestas mit heiterer Miene.
    »Solange sich dort nicht auch solche Viecher, wie diese Osseamorsu herumtreiben, bin ich mit allem einverstanden«, sagte Jiyuu motiviert.
    »Lasst uns erst einmal etwas essen gehen. Mittlerweile dürfte nicht nur Zack hungrig sein«, schlug Tempestas vor.
    »Eine tolle Idee!«, rief dieser euphorisch und blickte sich nach Lebensmittelläden oder dergleichen um.
    May musste lachen, da das wieder typisch für ihn war.
    »Am Ende dieser Straße sollten wir ein Wirtshaus vorfinden, soweit ich mich recht erinnere und sofern es innerhalb der letzten vier Jahren nicht geschlossen worden ist.« Tempestas deutete geradeaus.

    Als sie dieses erreicht hatten, lag schon ein herrlicher Duft in der Luft. Es wirkte sehr einladend. Überall vor den Fenstern waren Blumen angebracht und die Fensterläden waren in einem freundlichen Hellrot gestrichen.
    Sie steuerten gerade auf das Wirtshaus zu, da stürmte auf einmal ein junger Mann heraus, dicht gefolgt von dem aufgebrachten Wirten. In dem Moment, in dem der Mann an Zack vorbeilief, stellte dieser ihm das Bein, sodass er stürzte. Schnaubend kam der Wirt auf Zack zu, packte dessen Hand und schüttelte sie energisch.
    »Danke Junge!«, keuchte er, packte den flüchtigen Mann an seinem Gürtel und schleifte ihn zurück ins Wirtshaus.
    Zack und die anderen warfen sich verwunderte Blicke zu.
    »Spannend! Lasst uns rein gehen«, meinte Tempestas amüsiert, ging voraus und öffnete die Tür.
    Sie traten ein und hörten wildes Getöse aus der Küche. Kurze Zeit später eilte der immer noch aufgebrachte Wirt heraus. Er war ein dicker, älterer Mann mit lockigem roten Haar und Schnauzbart. »Wie oft soll ich dir das noch sagen!?«, rief er wütend zurück und wandte sich dann seinen Gästen zu. »Es tut mir leid! Bitte nehmt Platz. Unser Koch wird sich sofort um das Menü kümmern.« Der Wirt deutete auf einen freien Tisch, an den sie sich setzten sollten.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte May rücksichtsvoll.
    »Ja, ja. Der Koch hat nur wieder einmal gedacht, er könne sich aus dem Staub machen«, erklärte der Wirt und lachte.
    Wieder blickten sich die vier verwirrt an.
    »Er versucht sich immer wieder davonzustehlen, wenn er gerade nichts zu tun hat. Mach euch keine Gedanken! Das heutige Menü geht aufs Haus«, flüsterte er ihnen zu. »Aber kein Wort zu den anderen Gästen.« Der dicke Mann huschte erneut in die Küche und kam mit vier Tassen und einer Kanne Tee wieder. Er schenkte ihnen ein. »Die heutige Jugend – furchtbar, einfach furchtbar!«, seufzte er. »Heute kann ich euch leider nur Fischeintopf anbieten, da der Koch mal wieder seinen eigenen Willen haben musste. Dafür müsst ihr auch nicht bezahlen. Empfehlt uns einfach weiter.« Er lachte wieder und verschwand in der Küche.
    »Gutes Timing, was?« Zack grinste.
    »Der arme Mann ist anscheinend sehr gestresst«, stellte Tempestas fest und lächelte verständnisvoll.
    »Was die wohl für Probleme haben …« Jiyuu blickte sich um.
    Die anderen Gäste aßen genüsslich ihren Eintopf und unterhielten sich entspannt. Durch die rustikale Einrichtung hatte das Wirtshauses das Flair einer Berghütte.
    »So! Hier bitteschön!« Der Wirt brachte nun vier tiefe Teller von dem zuvor erwähnten Fischeintopf und stellte sie auf den Tisch.
    »Wir danken Euch!«, meinte Tempestas freundlich und begann zu essen.
    Die anderen zögerten auch nicht lange und nach nicht einmal fünf Minuten hatten sie aufgegessen.
    »Ihr wart wohl schon am Verhungern!«, lachte der Wirt, als er wiederkam, um nach seinen Gästen zu sehen.
    »Unsere letzte Mahlzeit liegt schon eine ganze Weile zurück. Guter Mann, sagt, wisst Ihr vielleicht, wo wir die heutige Nacht verbringen können?«, fragte Tempestas und erhob sich vom Tisch.
    Der Wirt kratzte sich mit beiden Händen seinen großen, runden Bauch und überlegte. »Nahe am Fluss befindet sich eine Gaststätte, dort sollte es eigentlich noch genug freie Zimmer geben«, meinte er.
    »Vielen Dank.« Tempestas warf einen Blick zum Aushang neben der Küche. »Sagt, guter Mann, gibt es neue Ausschreibungen?«, fragte er interessiert.
    »In letzter Zeit war es eher ruhig. Trómou der Schreckliche ist immer noch auf freiem Fuß. Mittlerweile ist sein Kopf zehntausend Pahl wert«, berichtete der Wirt.
    »Ich verstehe.« Tempestas verneigte sich. »Also, machen wir uns zu dieser Gaststätte auf«, wandte er sich an die anderen.
    »Ja, gut«, sagte Jiyuu, streckte sich und erhob sich vom Tisch.
    »Danke für die Auskunft!«, meinte May freundlich und verneigte sich ebenfalls dankbar. »Und für das gute Essen natürlich auch – vielen lieben Dank!«, rief sie noch und eilte den anderen nach, die schon dabei waren, das Wirtshaus zu verlassen.
    Der Wirt blickte ihnen nach und schüttelte lächelnd seinen Kopf. »Die Jugend von heute – keine Zeit und immer in Bewegung.«


    Östlich des Nubs Gebirges, hoch oben am Himmel über der großen Ebene nordwestlich von Evalida segelte Eremus Oriat, einer der Ferremetu, in Gestalt eines Falken durch die Luft. Er stand stets mit den anderen telepathisch in Kontakt und konnte sie so ständig auf dem Laufenden halten. Nun hatte er jedoch zuvor den Befehl erhalten, umgehend nach Evalida zu kommen und fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mag. Es musste wichtig sein, wenn er dafür die Zielpersonen aus den Augen lassen sollte.
    Sowie die ersten Häuser zu sehen waren, begann er mit dem Sinkflug und glitt langsam immer tiefer. Auf einer Mauer neben der halb verfallenen Hütte, in der sich die Ferremetu aufhielten, ließ er sich nieder und nahm wieder die Gestalt eines Jungen an.
    »Da bist du ja, Eremus!« Die Frau der Ferremetu, Inrigat Nata, stand hinter ihm und grinste verschlagen. »Wir haben hohen Besuch. Wasch dir den Dreck aus dem Gesicht, bevor du reinkommst«, meinte sie mit strengem Ton und verschwand in der Hütte.
    Eremus blickte Inrigat genervt nach und sprang leichtfüßig von der Mauer. Er begab sich zum Hüttentor, richtete sein Haar, wischte sich mit dem Ärmel den Staub aus seinem Gesicht und trat ein.
    »Ihr leistet hervorragende Arbeit.« Der König Memorias erhob sich vom Tisch und ging auf Eremus zu. »Dank deiner ausgezeichneten Erkundungen ist mir zu Ohren gekommen, dass unsere Freunde planen, sich zum Zeitpunkt der Jubiläums­feier nach Memoria zu begeben«, sprach er entzückt.
    Eremus nickte zustimmend.
    »Das ist äußerst erfreulich. Sie werden mir diesen verfluchten ShiNoTori auf dem Silbertablett servieren.« Aquila grinste zufrieden. »Wir dürfen es ihnen nicht zu schwierig gestalten, in das Schloss einzudringen. Wenn sie die Glocke der Ahnen begehren, sollen sie sie bekommen. Ich habe ohnehin keine Verwendung für dieses alte Ding. Sie können die Glocke nutzen und mir somit dienlich sein.« Er grinste.
    »Was erwartet Ihr nun von uns?«, fragte Mons Corit.
    »Ihr werdet dafür Sorge tragen, dass sie Memoria unbeschadet und sicher erreichen. Wacht aus dem Verborgenen über sie«, forderte der König.
    »Wenn Ihr Euch dieser Todeskrähe ohnehin entledigen wollt, warum sollen wir sie nicht einfach beseitigen?«, wollte Silva Dedux, der dicke Hüne, abermals wissen.
    »Weil …« Aquilas Augen funkelten voller Erregung. »Weil ich mir nichts vorstellen kann, das erquickender wäre, als seinem Leben mit meinen eigenen Händen ein Ende zu setzen.« Er schmunzelte. ›Und ich will, dass es ganz langsam geschieht. Ich will deinen Schmerz sehen. Du sollst so an deinem eigenen Leib so viel Leid erfahren, wie ihr Kreaturen unserem Volk zugefügt habt!‹

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    Weiter? Aber klar doch!

  • Ich bin dir ja noch eine Antwort schuldig @kijkou :)

    Spoiler anzeigen

    Zum ersten Abschnitt kann man ja nicht wirklich viel sagen, da ja nicht allzu viel passiert :whistling: aber zumindest haben sie einen groben Plan, wie sie die Sache angehen wollen. Das ist gut :D

    Zum zweiten Abschnitt...

    Zitat von kijkou

    »Ihr leistet hervorragende Arbeit.« Der König Memorias erhob sich vom Tisch und ging auf Eremus zu.

    <X ... Das war ja klar. Irgendwann musste er ja wieder kommen...

    Zitat von kijkou

    »Weil …« Aquilas Augen funkelten voller Erregung. »Weil ich mir nichts vorstellen kann, das erquickender wäre, als seinem Leben mit meinen eigenen Händen ein Ende zu setzen.«

    Bleib auf dem Teppich Aquila. Das schaffst du eh nicht. Tempestas rockt das Ding :evil:

    Zitat von kijkou

    ›Und ich will, dass es ganz langsam geschieht. Ich will deinen Schmerz sehen. Du sollst so viel Leid erfahren, wie ihr unserem Volk Leid zugefügt habt, ihr Kreaturen!‹

    Das ist interessant. Tempestas erzählte das ja ganz anders herum. Ich bin gespannt, was tatsächlich passiert ist. Und ob einer von beiden lügt. Bisher hat Tempestas mein volles Vertrauen ^^

    Insgesamt war das solide und gut geschrieben. Aber diesmal ist bei mir der Funken nicht ganz über gesprungen. Ich kann dir leider auch nicht erklären, woran es gelegen hat. Vielleicht daran, dass unsere... ich nenne sie mal Helden... wieder herumgewandert sind, ohne das irgendwas passiert ist. Das ist nicht schlimm, weil es kann ja nicht immer Action geben. Aber es hat mir das gewisse Etwas gefehlt. :whistling:
    Sorry. X/

    Ich bleib trotzdem dabei :love:

    LG :)

  • Hi @LadyK ^^

    Danke dir <3
    Viele liebe Grüße!

  • Hey, @kijkou, hab den neuen Post gelesen ^^

    Spoiler anzeigen

    Insgesamt ein ruhiger Part. Es passiert nix Aufregendes. Erinnert ein bisschen an die Ankunft in Evalida mit der Gasthaus- und Übernachtungssuche. Da ging es mir ähnlich wie @LadyK - es plätscherte ein bisschen dahin, ohne mich wirklich fesseln zu können. Trotzdem wie immer schöne Beschreibungen (und diesmal auch ein halbwegs erträglicher Zack :rofl: )

    Schön zu wissen, dass die Ferremetu sie nun beschützen sollen, obwohl ich Aquilas Sinneswandel nicht verstehe. Aber den versteht wohl keiner, der ganze Kerl ist ein einziges Rätsel. Von daher :pardon:

    »Weil …« Aquilas Augen funkelten voller Erregung. »Weil ich mir nichts vorstellen kann, das erquickender wäre, als seinem Leben mit meinen eigenen Händen ein Ende zu setzen.« Er schmunzelte. ›Und ich will, dass es ganz langsam geschieht. Ich will deinen Schmerz sehen. Du sollst so viel Leid erfahren, wie ihr unserem Volk Leid zugefügt habt, ihr Kreaturen!‹

    Das einzige, was mir aufgefallen ist:
    Hier wechselst du innerhalb eines Satzes vom "DU" ins "IHR". Das würde ich irgendwie anders machen. Wohl entweder oder.

    Beispiel: Du sollst so viel Leid erfahren, wie dein Volk unserem Volk Leid zugefügt habt. Ihr Kreaturen!

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hi @Tariq

    Danke dir fürs Vorbeischauen und
    ganz liebe Grüße ^^

  • So, der Teil ist jetzt auch noch ruhig, aber wichtig für weiteren Verlauf - na ja, zumindest "zwischenmenschlich" :D
    Ich wollt den Part eigentlich kürzen, und hab nicht viel gefunden.
    Falls ich Stellen findet, auf die man gut verzichten kann, bitte Bescheid geben ^^



    Kapitel 7 - Teil 4

    Nahe dem Fluss im Dorf Rekam fanden May und die anderen das Gasthaus, das ihnen der Wirt empfohlen hatte. Es schien von außen relativ groß und wirkte recht annehmlich.
    »Lasst uns zunächst einmal Zimmer reservieren. Danach solltet ihr euch nach wärmerer Kleidung umsehen. Hoch oben in den Bergen kann es sehr kalt werden«, legte Tempestas ihnen nahe.
    »May, meinst du der Umhang genügt dir? Du weißt doch – der, der aus Drachen­haar gefertigt ist. Ich hab’ ihn hier im Rucksack«, erinnerte Zack sie.
    »Ich weiß nicht«, entgegnete sie unentschlossen.
    »Ist das wahr?«, fragte Tempestas beeindruckt. »Drachenhaar schützt hervorragend vor Hitze und vor Kälte. Sehr gut, dann benötigen nur die beiden wärmere Kleidung.« Er legte jeweils einen Arm um Zacks und einen um Jiyuus Schultern und drückte die beiden spielerisch liebevoll an sich, woraufhin diese Geräusche des Missfallens von sich gaben und sich aus seinem Griff lösten.
    Nachdem sie das geklärt hatten, betraten sie die Herberge, die auch innen sehr gemütlich wirkte. Die Einrichtung war aus hellem Holz und die Vorhänge und Blumen­arrange­ments an den Fenstern schufen eine wohlige Atmosphäre.
    »Seid willkommen!«, wurden sie von einer Frau begrüßt, die ein farbenfrohes Kleid trug und gerade in den Empfangsraum kam.
    »Guten Tag. Wir würden heute gerne hier übernachten«, erklärte May.
    »Wunderbar!«, rief die Frau erfreut. »Wollt ihr vier Einzelzimmer, zwei Doppelzimmer oder ein Zimmer mit einem und eines mit drei Betten?«, fragte sie nett und lächelte freundlich.
    »Ich denke, wir nehmen zwei Doppelzimmer«, meinte Tempestas und bezahlte. Gleich darauf wandte er sich etwas zerfahren an die anderen. »Entschuldigt, ihr seid doch einverstanden?«, fragte er verunsichert.
    »Klar. Ich teil’ mir mit May ein Zimmer!«, rief Zack bestimmend.
    »Tolle Idee! Hauptsache, ich hab’ dich nicht am Hals. Dein Schnarchen hält ja keiner aus«, murrte Jiyuu und verschränkte die Arme.
    Noch bevor Zack darauf eingehen konnte, ergriff May das Wort: »Ach, Tempestas, du hast ja schon wieder bezahlt! Das geht doch nicht.«
    Dieser lächelte. »Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr. Wir müssen uns ja ohnehin gemeinsam durchschlagen«, entgegnete er.
    »Wo er recht hat, hat er recht.« Zack nahm einen der Zimmerschlüssel entgegen, die ihnen die nette Frau hinter dem Tresen reichte.
    »In diesem Gang findet ihr die Zimmer – Nummer drei und vier.« Sie deutete zu einem angrenzenden Durchgang, durch den Zack sogleich verschwand, als sie zu Ende gesprochen hatte.
    Die Zimmer waren einfach gehalten. Mit jeweils zwei Betten und Nachttischen, auf denen Kerzen standen, einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen und einem großen Wandspiegel waren diese ausgestattet.

    Zack ließ den großen Rucksack im Zimmer und die vier machten sich wieder auf, Rekam ein wenig zu erkunden. Es gab nicht sonderlich viele Geschäfte, da es kein sehr großes Dorf war. Der Großteil bestand aus Privathäusern. Lebensmittelläden gab es zwei, eine Kneipe, zwei Wirtshäuser – einschließlich dem, in dem sie waren – und einen Kleiderladen, der auch Waffen und Zubehör verkaufte. Eine Schmiede gab es in Rekam nicht, also waren die Bewohner auf Waffen aus anderen Dörfern und Städten angewiesen.
    Sie suchten den Kleiderladen auf, da Zack und Jiyuu noch wärmere Kleidung benötigten. Zack kaufte sich eine Art Pullover aus einem warmen braunen Material und Jiyuu entschied sich für einen dunkelroten Umhang mit Kapuze, unter dem sein großes Schwert genug Platz hatte.
    Nachdem sie sich ein wenig im Dorf umgesehen hatten und sie nach dem Marsch durch den Sumpf schon ziemlich erschöpft waren, beschlossen sie, zum Abendessen nur etwas Leichtes zu essen, um schnell einschlafen zu können und kauften sich daher in einem der Lebensmittel­geschäfte einen Laib Brot, den sie untereinander aufteilten. Danach machten sie sich auf den Weg zurück zum Gasthaus, denn der nächste Tag würde anstrengend werden.
    »Morgen früh kümmern wir uns gleich um genügend Proviant und brechen gleich darauf auf«, meinte Tempestas und versuchte erfolglos, ein Gähnen zu unterdrücken. »Habt eine erholsame Nacht!«, wünschte er, bevor er sich mit Jiyuu auf ihr Zimmer zurückzog.
    Auch May und Zack machten sich langsam fertig fürs Bett.
    »Das war vielleicht ein harter Tag!«, rief Zack und ließ sich aufs Bett fallen. »Bin ich froh, dass wir diesen scheiß Sumpf hinter uns haben«, meinte er. »Und dieser Idiot! Er regt mich so auf! Für wen hält der sich!?«
    »Jiyuu?« May öffnete das Band, das ihre Haare zusammenhielt und kämmte sich provisorisch mit ihren Fingern durchs Haar.
    »Nein, der Präsident der Vereinigten Staaten – ja, natürlich, wer denn sonst?«, fragte Zack mürrisch. »Andauernd provoziert er mich! Dabei hab’ ich ihm nichts getan!«
    »Zack …«
    »Warum kommt er mir immer blöd?« Er sah May erwartungsvoll an.
    »Du bist da nicht ganz unschuldig«, meinte diese vorsichtig, worauf er sie verwundert anstarrte. »Du jammerst schon ziemlich viel und wenn man dich nicht kennt, dann kann das schon etwas anstrengend werden«, seufzte sie.
    »Ja, genau, May – du kennst mich! Ich meine, wir kennen uns jetzt schon wie lange? Seit zehn – nein, fast fünfzehn Jahren! Du weißt, dass ich nicht so bin! Ich meine streitsüchtig – oder gewalttätig … Ich wollte nicht auf Jiyuu losgehen. Ich – ich hab’ nur, seit wir hier blöd durch die Gegend rennen, das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Ich hab null Ahnung, wo Susan steckt – oder ob es ihr gut geht. Ich weiß nicht, ob wir es je schaffen werden, wieder nach Hause zu kommen. Denn seien wir ehrlich – das ganze mit diesem Gott und den drei Wünschen klingt für mich ziemlich märchenhaft und ich tue mich verdammt schwer, das ernst zu nehmen. Aber wenn wir es von dieser Insel schaffen und ich ohne Susan zurückkomme, kann ich gleich wieder meine Sachen packen und verschwinden.« Er hielt kurz inne. »May, du kennst unsere Eltern. Du weißt, wie sie reagieren würden«, sagte er leise.
    May sah ihn betroffen an und nickte. »Ich weiß.«
    Zack atmete tief durch.
    »Aber das kannst du nicht alles an Jiyuu auslassen – das wäre nicht fair. Er hat es bestimmt auch nicht leicht und irgendwie wirkt er auf mich so …« Sie suchte nach einem passenden Wort. »… Verloren. Ich weiß auch nicht genau, aber Tempestas hat es ebenfalls bemerkt.«
    »Ich doch auch – ich bin ja nicht blöd«, entgegnete Zack. »Das ganze Gerede von diesen Kemai. Die müssen ihn ganz schön traumatisiert haben.« Er seufzte. »Mir geht nun mal seine Art irgendwie gewaltig gegen den Strich.«
    »Versuch bitte wenigstens, dich mit ihm zu vertragen. Immerhin werden wir noch eine ganze Weile zusammen unterwegs sein«, bat May ihn, worauf er nickte.
    »Ich versuch’s, so gut ich kann. Nein, ernsthaft – angesichts der ganzen Situation ist Streit das Letzte, was ich brauchen kann.«
    »Wir finden sie, Zack. Susan und Kate – wir finden sie«, sagte sie zuversichtlich. »Wir sollten jetzt schlafen, morgen wird wieder ein anstrengender Tag.«
    Zack streckte sich und gähnte. »Ja, du hast recht!« Er dachte noch einmal kurz nach. Irgendetwas an Jiyuu machte ihn rasend, doch was es war, konnte er sich nicht erklären. Zu Hause hatte er einige Freunde, die ihn manchmal in Rage versetzen konnten, doch handgreiflich war er zuvor noch nie geworden. Vermutlich war die Situation, in der sie sich befanden, einer der Gründe, warum er sensibler reagierte, als üblicherweise. Er konnte nicht wirklich mit jemandem darüber reden. Vor May bemühte er sich, das Thema so gut es ging zu vermeiden, da er froh war, wenn sie gerade nicht traurig oder in Sorge war. Es fiel ihm etwas leichter, mit allem umzugehen, wenn sie beide gute Laune hatten.

    »Dieses Gebirge – ist es sehr groß?«, fragte Jiyuu im Nebenzimmer interessiert.
    Tempestas überlegte. »Nun ja. Es ist beinahe so weitläufig wie Aniveûs, das höchste Gebirge auf Ignotus.« Er verstummte kurz. »Du warst noch nie draußen, oder? Ich meine, du warst stets Gefangener der Kemai in Kalatos und hast das Lager nie verlassen, nicht wahr?«, fragte er und blickte Jiyuu prüfend an, doch dieser reagierte nicht auf seine Frage. Tempestas konnte ihm sofort ansehen, dass ihm das Thema unangenehm war. »Also, verglichen mit den Bergen und Hügeln in Kalatos ist das Nubs-Gebirge gigantisch«, fuhr er mit verständnisvoller Miene fort. »Es wird dir bestimmt gefallen. Es ist ein guter Ort, um sich auszutoben.«
    Jiyuu warf ihm einen fragenden Blick zu.
    »Ach, du wirst schon sehen. Wenn man Abenteuer sucht, wird man dort auf jeden Fall fündig.« Tempestas lächelte, legte sich schließlich nieder und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf.
    »Wird es gefährlich?«, fragte Jiyuu ihn.
    »Ich denke nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Es kann jedoch nie schaden, immer auf der Hut zu sein«, meinte er und schloss seine Augen.
    Jiyuu musterte sein Großschwert, das an der Wand lehnte und fasste sich an die Stelle unterhalb seiner Brust, wo ihn einst der Kemai-Speer durchbohrt hatte und ihn nun immer eine Narbe daran erinnern würde. Wenn sein Großvater Filon nicht gewesen wäre, dann wäre er wohl nicht mehr hier. Bei dem Gedanken an ihn musste er lächeln. Dann pustete er die Kerze auf seinem Nachttisch aus und legte sich schlafen.


    Zurück in Memoria war Corvus dabei, die alte Fabrik zu inspizieren, in der das Cibusgestein schon bald zu Acrorkristallen verarbeitet werden sollte. Die von mächtigen Adlern gezogene königliche Kutsche war gerade aus Evalida zurückgekehrt und hielt vor der Fabrik.
    Aquila betrat das Gebäude und rief nach Corvus, welcher sofort angelaufen kam und salutierte.
    »Mein lieber Corvus! Wie ich sehe, warst du erfolgreich.« Aquila blickte sich um und musterte die riesigen Ladungen an Cibusgestein, nahm dann einen Münz­beutel hervor und hielt ihn dem Hauptmann entgegen. Als dieser danach greifen wollte, nahm ihn der König wieder zögernd zurück.
    »Da fällt mir ein – hast du den anderen Teil deines Auftrags erfüllen können?«, fragte er prüfend.
    »Ihr meint, die Informationen über diesen Sklaven?«, wollte Corvus wissen, woraufhin der König nickte.
    »Nun, die Kemai sind sich nicht hundertprozentig sicher, ob es sich um den selben Sklaven handelt, da sie der Meinung sind, es sei unmöglich, dass ihnen einer entkommen wäre – aber über einen, von dem sie behaupten, er habe es bis zu einer Lichtung geschafft, haben sie mir alles Wissenswerte mitgeteilt«, erklärte der Hauptmann.
    »Nun?«, meinte Aquila ungeduldig und ging ein paar Schritte.
    »Nichts Außergewöhnliches, Eure Majestät. Er wurde bereits als Sklave geboren. Seine Mutter ist im Kindbett gestorben. Er hat sich immer wieder gegen die Kemai aufgelehnt, bis sie ihn eines Tages töten wollten. Sein Vater hat sich dann für ihn geopfert, soweit ich das richtig verstanden habe. Die Kemai glauben, dass er einen Fluchtversuch der Sklaven provoziert hat. Alles in allem ein armer Kerl, Eure Hoheit.« Corvus salutierte erneut.
    Aquila schüttelte den Kopf und grinste dann. Er reichte dem Hauptmann seinen Lohn. »Gut gemacht, Corvus!«, meinte er und holte dann eine Schriftrolle hervor. »Ich habe mich nach Evalida begeben, und einige wichtige Informationen zur schnelleren Verarbeitung von Cibusgestein besorgt. Dies dürfte hilfreich sein. Unterrichte die Arbeiter. Sie sollen sich daran halten, damit die Produktion zügig vorangeht.« Mit diesen Worten gab der König ihm seinen Lohn und besagte Schriftrolle, verließ dann das Fabrikgelände und kehrte mit seiner Kutsche zum Schloss zurück.

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    Und weiter ...


    *verschnauf*
    So, jetzt hab ich ENDLICH wieder Zeit, zu lesen ^^

  • :hi1: darf ich bitten?

    Mir hat dieses zwischenmenschliche an sich gut gefallen. Allerdings hatte ich im vorherigen Teil ja schon das Problem, dass es meiner Meinung so dahinplätschert... Das hat sich hier - zumindest in den ersten Abschnitten - wiederholt.
    Es war wieder schön geschrieben, ich konnte alles verstehen und es war auch alles nachvollziehbar. Soweit also nichts weiter zu meckern. Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen.

    Spoiler anzeigen
    Zitat von kijkou

    "... und ich tue mir verdammt schwer, ..."

    Ich glaube, das heißt mich
    Sicher bin ich mir aber nicht... Daher nur kleine Anmerkung und mit größter Vorsicht genießen :D

    Zitat von kijkou

    Im Nebenzimmer unterhielten sich die beiden anderen ebenfalls noch ein wenig.

    Den Übergang finde ich nicht so glücklich. Es wirkt so gezwungen, als hättest du nicht gewollt, dass man mitten ins Geschehen von Tempestas und Jiyuu starten. Obwohl ich das persönlich besser gefunden hätte. Also diesen Satz streichen und gleich mit dem Dialog starten ^^

    Btw. Corvus wird langsam zu einem meiner Lieblinge hier :D
    Außer Tempestas, den topt niemand :love:

    LG :)

  • Hi Lady ^^

  • Zitat von kijkou

    Na vielleicht kann er Tempestas den 1. Platz ja noch streitig machen
    Oder ist das eine Frage des Aussehens?

    Wer weiß... ^^
    Momentan hat Tempestas für mich das beste Gesamtpaket :grinstare:

    Wegen der mir/mich Geschichte... Keine Ahnung, aber es klingt seltsam irgendwie. Wenn @Tariq denn Teil gelesen hat, vielleicht mag sie dann mal rüber gucken. Die ist da fitter als ich :rofl:

    LG <3