- Offizieller Beitrag
Nur die schwindende Helligkeit verriet, dass der Tag sich dem Ende neigte. Wie so oft drang kein Sonnenstrahl durch die dichte Wolkendecke die das verwüstete Land seit er denken konnte bedeckte. Ihm war es nur recht. Seine fahle Haut vertrug keine Sonne und seine Augen waren für Dunkelheit und Zwielicht geschaffen.
Entspannt hockte er auf dem Dach des Kirchturms und spähte in die Ferne. Seit mehreren Tagen hungerte er. Seit Tagen hatte sich keine Beute in sein Revier gewagt, obwohl die eingefallenen Wohnhäuser in der Nähe immer wieder Leute anlockte, die versuchten, noch etwas brauchbares in den Überresten zu finden. Am Horizont zeichneten sich die stählernen Gerippe von ausgebrannten Wolkenkratzern ab. Immer wieder fragte er sich, wie die Menschen dort wohl einst gelebt haben mochten. Er ließ den Blick über den Vorort schweifen. Etwa einhundert Meter von ihm entfernt war immer noch das Wrack des Transportflugzeugs zu erkennen, in dessen Bauch er vor einiger Zeit noch ein Gefangener gewesen war. Doch er hatte es geschafft, sich von seinen Fesseln und aus der Kiste zu befreien und sich endlich zur Wehr zu setzen. Nun war er frei und die Männer, die ihn transportieren sollten, hatten ihm geholfen am Leben zu bleiben.
Plötzlich erfasste er eine Bewegung in seinem Augenwinkel. Ruckartig drehte er den Kopf und fixierte die Schemen in der Ferne. Deutlich erkannte er zwei Menschen, die durch die Ruinen streunten und etwas zu suchen schienen.
Ein leises Knurren entkam seiner hungrigen Kehle, während die beiden ein Einfamilienhaus betraten. Bald würden sie die Kirche und seine ausgelegten Köder entdecken. Leute trugen eine Menge Kram mit sich herum, für den er keine Verwendung hatte. Die Menschen jedoch freuten sich und ließen oft jedwede Vorsicht außer acht, wenn sie die Rucksäcke und Waffen entdeckten.
Kurz darauf erkannte er den Lichtkegel einer Taschenlampe, der sich aus der Tür des Einfamilienhauses bewegte. Unwillkürlich kniff er die Augen zusammen. Aus dieser Entfernung blendete das Licht ihn zwar nicht, doch er hatte sich daran gewöhnt, grelles Licht zu meiden. Die Besucher näherten sich der alten Kirche. Selbst für ihn war der Sprung von der Spitze des Turms zu hoch, weshalb er behände hinunterkletterte und auf der Mauer des Hauptgebäudes Position bezog. Das Dach des einstigen Religionsstätte war längst zerstört, sodass er von außen einen guten Blick auf das Innere seines Zuhauses hatte. Wie ein Gargoyle hockte er auf dem Stein und wartete geduldig, bis die beiden Männer die Kirche betraten. Der Hunger schrie ihn an, endlich anzugreifen, doch er zwang sich zu warten.
„Was soll das denn?“, fragte einer der beiden Besucher. Sein blondes Haar war zu einem langen Pferdeschwanz gebunden und sein schlaffer Rucksack verriet, dass er noch nicht viel brauchbares gefunden hatte.
Der andere hatte kurzes, dunkles Haar und verbarg sein Gesicht hinter einem Tuch, das er sich bis über die Nase gezogen hatte. Schulterzuckend musterte er den Köder.
„Sieht aus, als hätte jemand seinen Kram hier liegenlassen“, meinte er.
„Warum sollte dieser jemand so etwas tun?“
„Woher soll ich denn das wissen?“, maulte der Vermummte. „Aber jetzt gehört es uns!“
Lachend begannen die beiden, die dargelegten Waffen, Kleidungsstücke und Rucksäcke in ihre eigenen zu stopfen.
Ihr Beobachter wartete noch einen Moment, um sicherzugehen, dass seine Besucher abgelenkt waren. Lautlos richtete er sich auf und balancierte gekonnt über die bröckelige Mauer. Als er nahe genug war, machte er sich bereit zum Sprung.