So, das Kapitel hat mich zur Weißglut getrieben, weil es das Pech hatte, ein Lückenfüller zu sein. Der Teil, der sich anschließt, ist schon sehr lange fertig und jetzt stand ich vor dem Problem, meine Geschichte zu diesem Teil hinzutreiben. Doch dieser Text ist die Brücke, der Anschluss steht und von nun an kann ich ruhiger schlafen. Viel Spaß beim Lesen und her mit Kritik und Fehlern!
Ein Weg hinein
Astra wanderte durch die Anlage. Sie fand keinen Schlaf. Ihr Rhythmus war durch die Aufregung der letzten Tage völlig durcheinander gekommen. Jetzt, weit nach Mitternacht und noch Stunden vom Tagesbeginn entfernt, fühlte sie sich zwar entkräftet, doch Ruhe wollte keine kommen. Und nachdem sie sich stundenlang auf ihrem Lager hin und her gewälzt hatte, war sie schließlich wieder aufgestanden, um Nate zu besuchen.
Ihr Quartier lag nicht weit vom Lazarett entfernt. Auf dem Weg dorthin grübelte sie über Thyras’ Worte nach. Sie war die Einzige, die Nate würde helfen können, davon war ihr Mentor fest überzeugt. Doch wie genau sie das anstellen sollte, hatte er ihr nicht verraten. Aber merkwürdig war er gewesen, verändert - hatte seine Haft dies bewirkt? Oder die Ankunft ihrer Gruppe … ?
Seufzend ließ sie die Tür zum Lazarett aufsurren und betrat die Abteilung. Ihre Schritte wurden von dem grauen Fußboden gedämpft.
Um diese Zeit war es ruhig. Ein Kittelträger kam ihr mit einem Tablett voller leerer Spritzen entgegen.
Sie blieb unsicher stehen. “Kann ich … Nate besuchen?”
Er nickte ihr im Vorbeigehen zu und verschwand in einem Durchgang knapp hinter ihr.
Stumm sah sie ihm nach. Dann wandte sie sich um und erreichte mit wenigen Schritten die schneeweiße Tür, hinter der Nate liegen musste.
Den ganzen Tag lang hatte sie gezögert, ihn zu sehen. Sie wollte nicht im Weg stehen, wenn die Ärzte ihn behandelten. Und tatsächlich graute ihr davor, zu sehen, wie der Verfall inzwischen fortgeschritten sein mochte, wie sehr er sich verändert hatte und ob er …
Bevor ihre Courage völlig versiegen konnte, trat sie in einen nüchternen, fensterlosen Raum. Die Beleuchtung war gedimmt, damit der Patient schlafen konnte, doch die flackernden Zahlen des Überwachungsgeräts raubten der Szene jede Ruhe. Das monotone grüne Leuchten- grün war gut, soviel wusste sie zumindest - verlieh dem reglos daliegenden jungen Mann im Krankenbett eine ungesunde Hautfarbe und enthüllte außerdem eine weitere Gestalt, die zusammengesunken vor dem Bett hockte.
Rett hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt und seinen Kopf in die verletzten Hände gelegt. Als die Tür mit einem sanften Surren aufgegangen war, hatte er hoch gesehen. Doch dann erkannte er Astra und seine Schultern sanken wieder herab.
Zögernd blieb sie neben dem Bett stehen.
Nate ging es schlecht, das war unverkennbar. Er keuchte in flachen, hastigen Atemzügen. Das dunkle Haar klebte an der verschwitzten Stirn, auf der dicke Schweißtropfen standen. Seine Wangen waren eingefallen und von fleckiger Röte überzogen der stoppelige Kinnbart ließ ihn zwanzig Jahre älter aussehen und er zitterte unkontrolliert, weil ihn der Schüttelfrost erbarmungslos beutelte.
Warnend piepste die Überwachung und schließlich, als hätte sich das Fieber einsichtig gezeigt, kam Nates Körper zur Ruhe. Der Patient stieß einen Seufzer aus, und für einen Moment herrschte Stille. Langsam griff Rett nach der dünnen Decke, die während der Zitterattacke bis zu Nates Hüften hinabgerutscht war, und zog sie schleppend wieder hinauf.
Astra hingegen starrte wortlos auf die blassen, aber wulstigen Striemen, die Nates Oberkörper überzogen wie ein grob gesponnenes Netz, deutlich zu erkennen auf seiner hellen Haut, gesprenkelt von Schweiß - alte Narben aus der Zeit des Krieges.
Er war ein Kind gewesen und hatte gekämpft wie ein Erwachsener.
Hastig wandte sie den Blick ab und sah hinüber zu Rett.
Auch ihm waren die Strapazen der letzten Tage deutlich anzusehen.
Mit blutunterlaufenen Augen, um die dunkle Ringe gezeichnet waren, betrachtete er den Freund. “Er stirbt. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal mit ansehen kann.” Müde rieb er sich mit beiden Händen übers Gesicht. Einer der Verbände löste sich und baumelte blassweiß um das gebräunte Handgelenk. “Wir waren bei Kay, weißt du? Als sie gestorben ist. Sie … hat ein Medikament bekommen und ist eingeschlafen. Ein besserer Tod als das Verrecken an Tetanus, soviel ist sicher - aber tot ist sie trotzdem. Und ich saß daneben …” Er verstummte und stöhnte. “Und als Ivy dann auf die Plattform gezerrt wurde … und dann Nate … und …” Seine Hände sanken herab und ruhten still zwischen seinen Knien. “Es war keine Zeit. Keine Zeit, es zu begreifen.” Starr blickte er auf den flackernden Monitor. “Jetzt stirbt Nate - und ich soll wieder zusehen. Ich müsste es. Aber ich kann es nicht. Er ist mein treuer Freund und ich habe ihm geschworen - ich …” Seine Stimme brach. Dann erhob er sich. Seine Rechte ballte sich zur Faust, seine Linke verweigerte ihm diesen Dienst, trotzdem war der Kampf in ihm deutlich zu erkennen. “Ich muss um Ivys Willen stark bleiben.” Brüsk strich er über Nates Arm. “Mein Freund, ich gehe. Damit ich für sie da sein kann. Ich kümmere mich um sie … “ Die letzten Worte klangen gepresst, halb erstickt, dann wandte sich Rett ab und stürmte mit langen Schritten aus dem Zimmer.
“Astra, es ist mitten in der Nacht!” Atesch sah deutlich genervt aus. Kein Wunder, sie hatte ihn aus dem Schlaf gerüttelt, von dem sie alle in letzter Zeit zu wenig bekommen hatten.
“Ich weiß und es tut mir leid”, erklärte sie, während sie ihm die Jacke hinhielt. “Aber ich würde dich nicht wecken, wenn es nicht wichtig wäre.”
Er brummte irgendetwas, stand auf und nahm ihr dabei sein Kleidungsstück ab. Als er kurz zum Waschbecken trat und sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, konnte sie einen Blick auf seinen Rücken und auf sein sichtbares Zeichen der Manifestation werfen - ein großes, unregelmäßiges Mal von tiefroter Farbe. Wie eine Brandnarbe in Form einer zuckenden Flamme.
“Es geht um Nate, nehme ich an?” Ateschs lange Finger kratzten an seinem dunklen Kinnbart. “Was hast du vor?”
“Ich will versuchen, mein Licht in ihn zu schicken, so wie Artax es mit der Finsternis getan hat. Und es wäre mir wohler, wenn ein weiterer Elementaler mit dabei wäre, für den Fall, dass Artax ein paar unangenehme Überraschungen eingebaut hat.”
Seufzend fuhr Atesch in seine Jacke. “Warum nicht Su?”
“Weil du körperlich stärker bist.” Astra zuckte die Achseln.
Resignation malte sich in Ateschs Züge. “Dann los.”