Mundburt erfährt Neues von der Insel der Kopflosen.
Ich beobachtete Kopf, wie er eine dicke Fleischwurst in Scheiben schnitt, hastig aß und den letzten Becher Rotwein hinunterstürzte. „Wie viele Geschwister hattet Ihr eigentlich?“, fragte ich, als er kurz Luft holte, „Ihr wirkt auf mich, als wäret Ihr immer der Letzte am Fressnapf gewesen.“
Er sah mich irritiert an. „Ach so, das meint Ihr! Nein, daran liegt´s nicht. Ihr glaubt ja gar nicht, welche Wohltat es ist, mit dem Mund essen zu können und sich die Nahrung nicht durch einen Trichter in den Hals stopfen zu müssen! Außerdem schmecke ich jetzt, was ich zu mir nehme, und es schmeckt köstlich!“
„Wo wir gerade bei diesem Thema sind“, sagte Gerlind, „wovon habt Ihr Euch eigentlich ernährt, als Ihr den Kopf noch unter dem Arm trugt? Durch so einen Trichter... hmnja... Rotwein geht, aber wie sah es mit Brot und Gebratenem aus?“
Kopf schüttelte denselben. „Auf unserer Insel ernähren sich die anständigen Leute von Haferbrei und klarem Wasser, wie es die Regierung vorschreibt, die Verbrecher allerdings leben in Saus und Braus.“
„Von Haferbrei und Wasser kann man doch nicht auf Dauer leben“, behauptete Wurst.
„O doch, Herr! Ihr glaubt ja nicht, mit wie wenig Nahrung ein menschlicher Organismus auskommt! Eine Schütte Hafer, eine Kanne Milch, ein halber Eimer Wasser reichen für den Tag, und man bleibt auch noch gesund dabei. Während die –“
„Ah, jetzt begreif ich!“, rief Gerlind, „die Verbrecher werden damit gestraft, dass sie sich zu Tode fressen! Pervers, aber irgendwie doch folgerichtig.“
„Zumindest die mit lebenslänglich, ja. Viele von denen sterben tatsächlich am Schlagfluss, weil sie ihrem Gott Gaster* zu sehr gefrönt haben. Den anderen wird der Kopf nach Verbüßung der Strafe ja wieder abgetrennt, und dann ernähren sie sich wieder gesund.“
„Hmm... Was mich noch interessiert, lieber Freund“, sagte ich, „wie Ihr Euren Körper ernährt habt, wissen wir jetzt. Aber wie sah´s mit Eurem Kopf aus? Auch Köpfe brauchen Nahrung, sonst hätte unser Herrgott ja nicht den Mund erschaffen, sondern bestimmt, dass man sich die Kuddeln hinten reinschiebt. Ich denke, wenn Ihr versucht habt, Nahrung herunterzuschluckten, ist sie Euch doch bestimmt wieder aus dem Hals gefallen, oder seh ich das falsch?“
„Das seht Ihr goldrichtig, mein Herr“, antwortete Kopf nach einem kräftigen Rülpser, „deshalb werden die Köpfe auf der Insel einmal am Tag für eine Stunde mit dem Halsstumpf nach unten in eine Schüssel mit warmer Liebfrauen-Milch gelegt, und ob Ihr es glaubt oder nicht, man fühlte sich danach gesättigt und erfrischt.“
„Erzählt keine Ammenmärchen!“, polterte Wurst, „wie soll das denn gehen, hä? Hab noch nie gehört, dass eine Frau, die in Milch badet, davon satt wird!“
„Ich werde es bei passender Gelegenheit mal ausprobieren“, grinste Gerlind, „muss sowieso mehr für meine Haut tun. Lasst mir Eure Adresse da, Wurst, dann geb ich Euch Nachricht.“
____________
Lat.=Magen
Mundburt befreit Wurst von einer gefräßigen Ratte und badet ihn.
Ein unheimliches Wimmern und Jammern, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, unterbrach die Diskussion. Es kam von einer Insel, auf die wir geradewegs zutrieben.
Oh! Wie das in den Ohren gellte!
Oh! Wie das die Haare zu Berge stellte!
Ich schwöre bei Gott, solch schreckliche Töne hatte ich noch nie vernommen. Auch Kopf und Wurst, die sich wieder mal stritten, verstummten.
Je näher wir der Insel kamen, desto lauter wurde der Lärm.
„Hört sich an, als beweinten dort hunderttausend kleine Kinder den Tod ihrer Eltern“, meinte Gerlind, „lasst uns weiterfahren! Hab keinen Bock, schon wieder ein Schlachtfeld zu besichtigen und über Leichen zu springen. Diesmal sind´s bestimmt keine Würste.“
„Hohoho!“, rief Wurst, „sind Würste weniger wert als Kinder?“
„Ei was, lasst uns landen!“, rief ich, „gerade weil´s Kinder sind! Die Ehre eines Ritters gebietet, gerade den Schwächsten zu helfen! Also vorwärts, frisch drauf, hei, wir hauen die Feinde zusammen! Was zögert ihr noch?“ Endlich bot sich die Gelegenheit für einen Kampf Mann gegen Mann, und nicht wie bisher Mann gegen lebende Steine oder Mann gegen alberne Würste.
„Nicht mit mir!“, rief Gerlind, „wenn du den Teufel im Leib hast, ist das dein Problem!“ Sie wandte sich verärgert an Kopf. „Dieser verdammte Kerl mit seinem Rittertum geht mir langsam auf den Geist! Das ist kein Edelmut, was er da vorhat, sondern Waghalsigkeit, wie sie die ganze Hölle zusammengenommen nicht kennt! Herr Magister, sagt Ihr doch auch mal was!“
Der Magister trat von einem Bein aufs andere. „Hmm... nun ja... bei Licht gesehen...“
„Fahrt zur Hölle!“, schrie ihn Gerlind an und wandte sich Wurst zu, „was meint Ihr, Herr Magister der Wurschtologie? Wollt Ihr auch anlegen?“
„Hmm... nun ja... ich fühle ein tiefes Widerstreben...“
„Geh zu allen Teufeln, du stinkendes Affenschwein!“
In der Tat, jetzt war noch etwas anderes zu riechen als Brackwasser und Meeresluft. Ich trat näher an Wurst heran und bemerkte eine braune Stelle auf seinem ansonsten fleckenlos-schimmelgrauen Hemd, etwa in der Höhe, wo sich bei anderen Leuten die Hinterpforte befindet. Es bestand kein Zweifel: Wurst hatte sich ins Hemd geschissen. Er stand da, zitternd, starr vor Schreck, besudelt, außer sich mit allen Anzeichen höchster Angst.
„Um alles in der Welt!“, rief ich, „Wurst, wovor hast du Angst?“
„Davor, dass er nicht mehr frisch ist!“, höhnte Gerlind. „Auch Geräuchertes muss irgendwann einmal gegessen werden, sonst fängt es an zu stinken.“
Mit einem Satz sprang Wurst auf und lief wie ein wild gewordener Bock ins Hinterschiff, wo er sich zwischen leeren Weinkannen und Stapeln von Brennholz versteckte.
„Was hast du uns da nur ins Boot geholt“, giftete mich Gerlind an, „der verdammte Narr ist so feig und dabei so sensibel, dass er sich alle Augenblicke bescheißt, wenn man mal ein starkes Wort redet! Auf solche Leute kann ich verzichten.“
Plötzlich erklang vom Hinterschiff her wildes Geschrei. „Hiii, Ahhh, Ohhh!“ tönte es; es war eindeutig Wursts Stimme. Da erschien er, eine Ratte hatte sich an ihm festgebissen; schon hing ein Gutteil seines Hemdes in Fetzen. Ich besann mich nicht lange; während Wurst wie von der Tarantel gestochen herumsprang und weiterhin „Hiii, Ahhh, Ohhh!“ schrie, nahm ich das Wurstmesser und warf es so geschickt, dass es die Ratte, ein halb verhungertes Tier, in der Mitte durchtrennte; die vordere Hälfte ließ von Wurst ab und verschwand in der Bilge, die hintere Hälfte lief ein paarmal kopflos hin und her und stürzte sich ins Meer.
Es war Kopf, der als erster bemerkte, dass dieses entsetzliche Jammern und Klagen auf der Insel verstummt war. Es war nichts mehr zu hören als der sanfte Schlag der Dünung gegen die Planken der Schnigge. Wir atmeten erleichtert auf. Kopf äußerte die Vermutung, dass wir möglicherweise einer Sinnestäuschung erlegen waren; zwar wolle er die Geräusche nicht wegdiskutieren, aber von See her höre sich manches anders an als an Land. Vielleicht liege ja auf der Insel eine große Stadt, und das Jammern sei in Wirklichkeit das Läuten vieler Glocken, wie sie in Moskau an hohen Festtagen zu hören seien, großer, mittlerer, kleiner Klöppelschwinger, allerdings durch große Entfernung verzerrt. Obwohl diese Erklärung ziemlich hypothetisch klang, glaubte ich ihm gerne; Wursts Anblick dämpfte meinen Tatendrang erheblich.
Der arme Kerl war aber auch in einer erbärmlichen Verfassung. Nicht nur dass sein Hemd in Fetzen hing und seine Innereien an verschiedenen Stellen zu Tage traten, er hatte sich auch noch weiter besudelt. Ich nahm eine leere Weinkanne und füllte sie randvoll mit Meerwasser. Dann hielt ich mir die Nase zu, ergriff Wurst mit der anderen Hand, stopfte den Stinker in die Kanne, schüttelte kräftig und goss den Sud über Bord. Das tat ich solange, bis das Wasser in der Kanne klar blieb.
Gerlind, unter deren rauer Kehle ein empfindsames Herz pochte, hatte bereits Garn und Nadel besorgt und befahl: „Ausziehen!“ Doch der Magister der Wurschtologie ließ sich nicht dazu bewegen, das Hemd auszuziehen, er drehte und wendete sich, verschränkte die Hände und hielt sie sich vorne vor, machte „ach nee“ und „muss das denn sein?“, benahm sich wie eine Jungfer, welcher der Sturm unter die Röcke fährt, gerade so, als verstoße eine unbekleidete Cervelatwurst gegen die guten Sitten. Dabei passieren auf Burg Schwarzenraben noch ganz andere Sachen; etwa, wenn die Knaben mit steifem Ackermann über die Burgmauer spazieren und dabei Dinge tun, die ich lieber nicht beschreibe. Es blieb Gerlind nichts anderes übrig, als das Hemd an Wursts Körper zu flicken.
Während sie an dem Magister herumstichelte, fragte ich: „Was war es denn nun, Herr Magister, wovor Ihr solche Angst hattet, dass Ihr Euch das Hemd besudel musstet?“
„Ach, lieber Herr, da kam einiges zusammen! Zunächst das Jammern und Heulen, das mich entsetzlich aufregte, dann sah ich das Wurstmesser auf dem Tisch, dazu die abfällige Bemerkung Eurer Marketenderin, dann der ewig hungrige Herr Kopf – da dacht ich, jetzt ist es aus mit dir.“
„Nana, was mich betrifft, Herr Kollege, da könnt Ihr beruhigt sein“, sagte Kopf, „bei Kollegen habe ich eine ausgeprägte Beißhemmung. Kollegen fresse ich nicht, Kollegen übersehe ich einfach.“
Mundburt erfährt ein Mittel gegen Verstopfung und eins gegen Durchfall.
Inzwischen hatten wir uns der Insel weiter genähert; plötzlich gab es einen Stoß, es knirschte – wir waren auf Grund gelaufen. Somit war die Frage, ob ankern oder weiterfahren, entschieden. Gerlind und Wurst blieben an Bord, Kopf, mit dem leeren Proviantkorb unterm Arm und ich, geharnischt und mit Pike und Schwert, soll heißen mit Messer und Zahn, sprangen ab und wateten zum Strand.
Die Küste war steil, und wir suchten lange nach einem Aufstieg. Schließlich fanden wir in einer Felsnische eine künstliche Treppe, allerdings mit Stufen, die so hoch waren, dass wir uns auf jede einzelne hochwinden mussten. Schließlich standen wir auf einer Hochfläche, die bis zum Horizont reichte; ganz in der Ferne schimmerten die Mauern einer Stadt mit hohen Türmen. Es war unheimlich still; nur das Knirschen des Gerölls unter unseren Schuhen war zu hören.
„Ein Oheim von mir“, fing Kopf auf einmal an, „ist ähnliches passiert wie dem guten Wurst eben. Allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.“
„Wie meint Ihr das?“
„Es ist aber eine längere Geschichte.“
„Nur zu! Wir sind noch lange nicht am Ziel!“
„Nun gut. Mein Oheim litt schwer unter Verstopfung, er saß sein Leben lang öfter auf dem Örtchen als in seinem Wohnzimmer. Auch der langstielige Apotheker*, den ihm seine Frau des öfteren angedeihen ließ, half da wenig; an einem Einlauf mit scharfem Senf, einer Mischung aus Pottasche und Schnepfendreck wäre er fast gestorben. Eines Tages, es ging schon auf Mitternacht zu – der Oheim saß bereits seit dem Vesperläuten auf dem Stuhl – hörte er vom Hof her Lärm; kurz darauf gellten Schreie durchs Haus, seine Frau schrie: „Hilfe! Diebe! Mörder!“, eine raue Stimme rief: „Geld her, oder wir fackeln die Hütte ab!“, und wüste Schritte näherten sich dem stillen Örtchen. Da tat mein Oheim einen Schiss, wie ihn zehn Prälaten und zwanzig Gerichtspräsidenten zusammen nicht fertig gebracht hätten – der Schreck hatte seine Darmträgheit in Höchstleistung versetzt. Als einer der Räuber die Tür zum Kabinett auftrat, wischte sich mein Oheim gerade den Hintern und rief: „Lieber Mann, Ihr habt mir viele Kosten erspart“ – nämlich für die teuren Abführmittel – „ich danke Euch!“, lachte aus vollem Hals und lud die Räuber ein, spätestens in drei Tagen wiederzukommen. Die kamen nicht, denn nach altem Glauben sind Irre die Kinder Gottes und bedürfen der Schonung. Der Oheim schwärmte noch tagelang von dem Überfall, sodass seine Frau schon fürchtete, er habe seinen Verstand mit ausgeschissen.“
Wir mussten ein trockenes Bachbett überspringen, dessen Grund mit einer hauchdünnen, glitzernden Schicht überzogen war.
„Ihr kennt meinen Neffen Gerbold nicht“, fuhr Kopf nach kurzer Atempause fort, „ein rechter Tausendsassa und Katzenschreck, dabei herzensgut bis in die Zehenspitzen, der immer noch denselben Kopf unterm Arm trägt, den er sich als Vierjähriger gegriffen hat, und er denkt nicht daran, ihn gegen einen anderen zu tauschen, denn dieser Kopf steckt voller Lausbubenstreiche und wunderlicher Einfälle. Wenn Ihr ihn also kennen würdet, lieber Herr, kämt ihr keine Sekunde auf die Idee, dass sich alles nicht genau so abgespielt hätte, wie ich es berichte. Gerbold, dem die immer wiederkehrenden Qualen seines Vaters stark an die Nieren gingen und erpicht darauf, dessen Beschwerden zu lindern, machte meiner Muhme** den Vorschlag, Burschen aus der Nachbarschaft zu dingen, die alle drei oder vier Tage, wenn der Vater wieder stöhnend und ächzend auf dem Nachtstuhl saß, einen Raubüberfall vortäuschen sollten. 'Scheiß doch aufs Geld!', rief er, 'wir kommen ohne Geld auf die Welt, aber mit einer guten Verdauung, also ist dem Herrgott die Verdauung wichtiger als das Geld. Ihr habt es doch am eigenen Leibe erfahren, Mutter: Schlecht geschissen ist halb gestorben!', womit er zweifellos Recht hat.
'Ei', sagte meine Muhme, 'wir können´s nicht besser machen! Lauf ins Dorf und besorg ein paar handfeste Burschen, die sich nicht den Schneid abkaufen lassen, denn mit dem Teufel im Leib kann Vater ziemlich grantig werden!' Der Vorschlag wurde also in die Tat gesetzt. Doch die menschliche Natur ist so eingerichtet, dass regelmäßig wiederkehrende Ereignisse ihr Wirkung verlieren, und bald half auch räuberisches Getöse nichts mehr. Eines Nachts, als es wieder soweit war, drangen zwei finstere Gesellen mit Mistgabeln auf den Oheim ein, machten einige Luftstöße, als ob sie es wirklich auf ihn abgesehen hätten, und schrien Zeter und Mordio. Mein Oheim aber sagte: 'Liebe Leute, wenn ihr nichts anderes macht, so hilft es nichts. Ihr müsst schon stärker zustoßen!' Da versetzte ihm einer der Männer mit der Mistgabel eins zwischen Hals und Halskrause, worauf mein Oheim die Beine in den Himmel streckte und sich donnernd entleerte. Er lachte laut und rief: 'Potz Blitz, das nenn ich einen Schiss!'“
Wir waren am Fuße einer riesigen Wanderdüne angelangt und beschlossen, den Gipfel dieses Gebirges aus Sand und Gras zu besteigen, um uns einen Überblick über die Gegend zu verschaffen. Kaum hatten wir die Düne betreten, da setzte sich sich in Bewegung, und wir kamen unverhofft zügig voran.
„Bei meinen Studien zum Königshaus Furzimen“, fuhr Kopf schwitzend fort, während wir hochstiegen, „bin ich auf Dinge gestoßen, die in keinem Geschichtsbuch verzeichnet sind. Ich lasse mal das Problem der Darmentleerung bei wogender Schlacht und in voller Rüstung weg, eine überaus unappetitliche Angelegenheit. So berichtet Herodot, die Heerstraße, auf der Alexander nach Osten zog, habe gestunken wie eine offene Abortgrube. Vor hundert Jahren nun gab es einen König in Frankreich, genannt Malfarz, dem das Gegenteil von dem beschieden war, unter dem mein Oheim litt, und zwar aufgrund einer missglückten Hämorrhoiden-Operation, bei der ihm der Arzt den Schließmuskel filetierte. Zeitzeugen berichten, der König habe sich daraufhin immer wieder spontan entleeren müssen, egal, wo er sich gerade aufhielt, auf dem Burghof, in den Gängen des Schlosses, in der Friedhofskapelle, im Theater°. Damit nicht genug: Auch seine Minister und Mätressen taten dies; denn der König war in allen Lebensbereichen leuchtendes Vorbild; sein Tun und Lassen Maß aller Dinge. Schließlich stank nicht nur die Residenz erbärmlich zum Himmel, sondern auch das Land. Wollte jemand frische Luft atmen, musste er in den Schweinestall gehen.
Da kam des Königs Narr auf folgende Idee. Er ließ sich ein möglichst genaues Bild des Königs von England, Knallfarz I., Malfarzens Erzfeind, anfertigen, und hielt es dem König, als er wieder einmal dabei war, sich in einem Winkel des Prunksaals die Hosen aufzuknöpfen, vor die Nase. Der König kniff die Hinterbacken so fest zusammen, dass ein Pfennig die Prägung verloren hätte und lief weg; zu bitter war noch die Erinnerung an die verlorene Schlacht, die ihm sein Erzfeind bereitet hatte, nur weil er, Malfarz, für kurze Zeit neben dem Schlachtfeld gekauert und daraufhin die Übersicht verloren hatte. Durch geschicktes Drehen und Wenden des Bildes erreichte es der Narr, den König dahin zu bugsieren, wohin er ihn haben wollte: Auf eine der zweihundertfünfzig offiziellen Latrinen des Schlosses.“
Kopf schwieg.
„Hmmm...“, sagte ich, „kaum zu glauben, dass ein lumpiger Narr einen König wie einen Affen, der sich vor seinem Spiegelbild fürchtet, durch die Gänge des Schlosses treibt.“
„Ha, von wegen lumpiger Narr! Dieser Narr war kein gewöhnlicher Narr. Monsieur de Clamart war gleichzeitig sein Erster Ratgeber.“
„Soso... na dann... Mal was anderes, Missjö. Ich frage mich: Als Ihr noch den Kopf unterm Arm trugt, lieber Magister, wie war´s da beim Toilettengang? Blieb Euer Kopf draußen, oder nahmt Ihr ihn mit hinein?“
Kopf lachte. „O nein, Herr Knappe, wo denkt Ihr hin? Auf dem Stuhl war gerade mal für meinen Hintern Platz! Gut, ich hätte ihn auf den Schoß nehmen können, aber bei heruntergelassenen Hosen und der Dinge, die sich weiter hinten abspielten, wohl eine ungehörige Zumutung, denn mein Kopf ist sehr feinfühlig, hat feine Ohren und eine empfindliche Nase. Ich setzte ihn auf eine Bank in die offene Tür, sodass ich mich bei der Verrichtung beobachten konnte. Ha, ich versichere Euch, lieber Herr, es war ein überaus amüsanter Anblick! Habt Ihr schon einmal jemandem zugesehen, der an hartem Stuhl leidet – übrigens eine Familienkrankheit –, wie er verzweifelt die Hände ringt, drückt und schiebt und schiebt und drückt, dass ihm die Halsadern schwellen, wie er mit der Faust auf den Stuhl und mit den Füßen auf den Boden trommelt, den Körper nach rechts und links wendet, hin und her schwankt wie ein betrunkener Matrose, und wenn er´s dann endlich geschafft hat und die steinharten Kötel in die Schüssel rasseln, die geballte Faust erlöst in den Himmel stößt und mit der anderen Hand sieghaft den Arschlappen schwenkt wie ein junger Fähnrich die Regiments-Standarte?“
____________________
* Klistiergerät, ** Tante, ° Wird so ähnlich von Ludwig XIV berichtet.
Mundburt und Kopf töten zwei gefährliche Mörder und Frauenschänder.
Vermutlich hätte der Magister noch eine Weile von seinen Abort-Erlebnissen berichtet, doch auf einmal war der Lärm wieder da, lauter und unheimlicher als zuvor, und an eine Unterhaltung zwischen zwei vernünftigen Menschen war nicht mehr zu denken. Jetzt waren ganz deutlich noch andere Töne zu hören; in das Jammern und Jaulen hinein erklang zuweilen ein elfenreines Ding-Ding-Ding, das an den Klang von Totenglöckchen erinnerte; dann wieder, und öfter, ein dämonisches Dong-Dong-Dong und ein breites Quork-Quork-Quork.
„Es sind Frösche“, rief ich erleichtert, „allerdings in einer Lautstärke, wie ich sie noch nie gehört habe. Geradezu urweltlich. Wahrscheinlich liegt dort vor uns eine Stadt oder ein Kloster mit Fischteichen. Nur dieses Jammern ist mir ein Rätsel. Es kann auf keinen Fall von gewöhnlichen Fröschen stammen. So quakt kein normaler Frosch.“
„Was meint Ihr mit Forsch?“
Es stellte sich heraus, dass es auf Kopfs Insel keine Frösche gab, und ich erklärte es ihm so gut es bei dem Lärm ging.
Wir erreichten den Kamm der Wanderdüne und blieben überrascht stehen – obwohl das Getöse immer lauter wurde, war weit und breit weder Stadt noch Burg noch Kloster zu sehen. Wir blickten auf eine weites, grünes Sumpfgelände mit Bulten von Binsen und Seeroseninseln, auf denen sich schillernde Libellen sonnten. Dazwischen blinkte schwarzes Wasser. Das, was ich für eine Stadt gehalten hatte, erwies sich als ein zerstörtes Dorf jenseits des Sumpfes. Auch die Düne war stehen geblieben.
„Das wär´s dann“, rief ich, „wenn wir nicht riskieren wollen, in dem teuflischen Morast da zu versinken, sollten wir umkehren.“
Der Magister machte ein verdrießliches Gesicht. Die Aussicht, eine Weile ohne Wein auskommen zu müssen, behagte ihm überhaupt nicht. „Thales von Milet behauptet zwar, das Wasser sei der Ursprung aller Dinge“, stöhnte er; „aber von trinken hat er nichts gesagt.“ Kaum war der letzte Laut verklungen, da tauchten vor uns zwei Gestalten auf, von denen ich in diesem Moment nicht hätte sagen können,
waren´s Weibsen oder Mannzen,
waren´s Schaben oder Schwaben,
oder waren´s sogar Franzen*
oder etwa Feuerwanzen?,
denn sie krochen mehr über den Grund als dass sie gingen, aber es mussten Tiere sein, denn nach Aristoteles ist das sicherste Zeichen für ein Tier dessen Bewegung. Diese sonderbaren Wesen waren mit erdbraunen Harnischen bedeckt, die sie vollkommen einhüllten, und mit Knüppeln bewaffnet. Ungewöhnlich waren auch die kurzen Beine mit lächerlich großen Füßen und die Eigentümlichkeit, dass jeder Zeh in einem eigenen Schuhschnabel steckte.
„Guten Tag, Ihr Herren“, rief uns eines der Wesen mit unangenehm kratziger Stimme an, „wohin des Weges?“
Inzwischen hatte das Jammern und Klagen ein geradezu infernalisches Ausmaß angenommen, sodass wir schreien musste, um uns verständlich zu machen.
„WIR WOLLNEN PROVIANT EINHOLEN“, brüllte der Magister und machte eine höfliche Verbeugung, „Wein, Brot, Fleisch und allerlei Dinge, die auf einer Seefahrt nötig sind. Gibt es hier irgendwo eine Stadt oder ein Kloster –“
„NICHTS DA!“, schrie der andere Knüppelant mit hochrotem Kopf und nahm Drohhaltung an, „keinen Schritt weiter! Das Landesinnere ist für Fremde gesperrt! Am besten, Ihr kehrt sofort um, sonst nehmen wir euch gefangen und schlagen euch die Köpfe ab!“
„Es wäre wirklich das beste“, echote sein Kumpan, „ohne Kopf ist das Leben nur noch halb so schön!“
„Hahaha!“, lachte der Magister, „das schreckt mich nicht! Dann näht ihn Gerlind wieder an!“
Doch die beiden Dragoner waren nicht zu Späßen aufgelegt. Plötzlich schwangen sie ihre knotigen Knüppel und drangen gegen uns vor.
Wieder zögerte ich keinen Augenblick. „Auf und drauf!“ schrie ich dem Magister zu, „nehmt dies hier!“ und drückte ihm das Messer in die Hand. „Und jetzt kräftig das Schwert geschwungen und nicht mit Hieben gespart!“ Ich selbst brachte die Pieke in Stellung und stach dem Roten ein Loch in die Robe, worauf der versuchte, mir die Waffe zu zerschlagen. Doch da kannte er mich schlecht; schließlich hatte ich schon mehr als ein Dutzend Knappen vom Pferd gestochen. „Hei!“, rief ich, „komm nur, hässlicher Wicht, glaubst wohl, du Schisser, du könntest einen Ritter in spe bezwingen!“, getreu dem Grundsatz, dass man die Wirkung der Waffen mit Worten steigern kann. Der Schisser, knallrot vor Wut und mit irr funkelnden Augen, richtete sich hoch auf und holte zum Querschlag aus; ich nutzte die Gelegenheit seiner ungeschützten Flanke und stach zu. Mit einem widerlichen Laut sank er zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Auch der Magister hatte inzwischen für klare Verhältnisse gesorgt; sein Gegner lag mit zerhauenem Harnisch auf dem Rücken und streckte alle Viere von sich.
Ein energisches „Dong, Dong, Dong“ erklang, und das Froschkonzert verstummte.
Was ich schon vermutet hatte, wurde jetzt, als wir die Gefallenen betrachteten, Gewissheit: Die braunen Leichen waren hässliche Erdkröten aus dem Geschlecht der Schleimgeister. Während ich es Kopf erklärte, gewahrte ich zwei Gestalten, die in gehörigem Abstand zu uns herübersahen. Da die beiden unbewaffnet schienen und einen eher verschüchterten Eindruck machten, winkte ich, und sie sprangen in langen Sätzen heran. –
_________
* Schaben, Schwaben, Franzosen = landschaftliche Synonyme für Kakerlaken.
Forts. folgt