Es gibt 124 Antworten in diesem Thema, welches 22.609 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (15. Oktober 2024 um 14:27) ist von LadyK.

  • Edmund setzte einen Fuß auf den steinernen Steg der Grafschaft von Silberberg und genoss das Gefühl wieder Boden unter den Füßen zu haben, der beim Laufen nicht schwankte. Wie er diese Schiffsreisen hasste! Und seinen Vater, der ihn dazu gezwungen hatte! Und seine Mutter, die es zugelassen hatte! Und das Wetter, weil es für die Jahreszeit viel zu heiß war!


    Vom Essen, das nebenbei bemerkt schmeckte, als hätte der Koch versucht, eine Planke mit seinen Socken zu würzen, einmal abgesehen, war auch die Besatzung höchst unwillig ihre Aufgaben gewissenhaft zu erledigen. Immer wieder hatte er sie auf offensichtliche Fehler hinweisen müssen. Der Kapitän hatte seine Lizenzen wahrscheinlich auch nur beim Glücksspiel gewonnen ...

    Edmund hoffte, dass die Besatzung ihm auf der Weiterfahrt mehr Beachtung schenken würde. Faules Pack!

    Einige andere Reisende betraten nach ihm das Festland, sahen ihn kurz an und hatten es dann erstaunlich eilig, den Steg und den Hafen zu verlassen. Vermutlich strebten sie den Markt an. Und Edmund konnte sie verstehen, auch ihn hielt nichts am Hafen. Es stank fürchterlich nach Fisch … und er glaubte immer noch das Essen des Kochs in der Nase zu haben.

    Etwas Vernünftiges zu Essen stand also ganz oben auf der Liste. Das Geschäft – und der Geschäftspartner seines Vaters - konnte warten.

    Hinter ihm ertönte ein Ächzen.
    Edmund wandte sich um. Einer der Matrosen - der Name war ihm entfallen (irgendwas, das er sich unmöglich merken konnte) - hievte die Truhe von Bord und über das Pflaster hinter ihm her zum Ende des Stegs. Gemeinsam mit vier anderen, war ihm der Mann von seinem Vater vor der Abreise als Teil der Mannschaft zugewiesen worden. Sie sollten ihn und seiner Reise begleiten und ihm unter die Arme greifen. Seltsamerweise murrte und fluchte der Kerl aber die ganze Zeit darüber, dass ihm die ehrbare Aufgabe zugefallen war, Edmund auf seiner Tour über den Markt zu begleiten.

    Immerhin hatten die Matrosen extra Streichhölzer gezogen, wer von ihnen Edmund begleiten durfte und dieser Mann hatte gewonnen. Warum er sich nun so anstellte, wollte ihm nicht begreiflich werden.

    „Geht das nicht etwas schneller? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ Er wippte ungeduldig mit dem Fuß und sah sich im Hafen um. Bei der Gelegenheit konnte er sicher auch schauen, ob er einen vernünftigen Koch fand.

    Der Blick, den sein Begleiter ihm zuwarf, hätte tödlich sein können, hätte Edmund dem Mann weiterhin Beachtung geschenkt.
    „Natürlich, Herr. Ich könnte die Kiste auch zum Anwesen Eures Geschäftspartners werfen, aber dann würde ich die Ware vermutlich beschädigen. Und da ich Eure zarten Hände nicht beanspruchen will, zerre ich sie vorsichtshalber lieber ganz vorsichtig und allein über das Pflaster.“

    Edmund hob die Augenbrauen. Der Mann wirkte in seinen Augen nicht wie jemand, der eine Kiste mit Waffen werfen konnte.

    „Dann macht das, ...“

    „Stiev! Mein Name ist Stiev!“, stieß der Mann zornig aus.

    Edmund nickte gnädig. Stiev war der Name. Unmerkbar!

    Er zuckte die Schultern.

    Ohne weitere Worte abzugeben, verließ er den Steg und folgte den anderen Reisenden, die es nun immer eiliger hatten – ein Paar mittleren Alters sah er sogar rennen. Vermutlich hatten sie auch Hunger.
    Er glaubte die Worte „er verfolgt uns“ zu vernehmen. Aber das musste er sich einbilden.



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

  • Zufrieden trat Esther aus der Miene heraus, dicht gefolgt von ihrem Leibwächter. Nachdem die Sprengung des nächsten Abschnitts wie geplant verlaufen war, hatte sie keinen Grund mehr, hier zu warten. Mit einer fließenden Bewegung verstaute sie ihren Zauberstab und machte sich auf den Weg zurück in das Anwesen. Das sie zu Fuß ging, gefiel weder ihrem Vater noch der Leibwache, dennoch weigerte sie sich bei diesem herrlichen Wetter in eine Kutsche zu steigen. Kurz hatte sie erwogen, ein Pferd satteln zu lassen, aber ihr Beschützer war kein guter Reiter und er tat ihr jedes Mal seine Unmut kund, dass er nicht mithalten könne.

    Schwungvoll passierte sie den schmalen Trampelpfad zur Stadt hinunter und strich sich dabei eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht.

    Dass die Mine sich so nahe an der Stadt befand, war etwas misslich, aber nicht zu ändern. Durch ihren Schutzschild dürften die Bewohner jedoch nichts von der Explosion bemerkt haben.

    Um nicht lange aufgehalten zu werden, wählte sie einen Weg um den Marktplatz herum, nahe der Stadtmauer entlang. Dort, wo viele Menschen unterwegs waren, würde sie kaum einen Fuß vor den anderen setzten können – ihr Gesicht kannte man in der gesamten Grafschaft. Und auch wenn sie sich sonst die Zeit nahm, um für die Bürger von Silberberg da zu sein, so war am heutigen Tag Eile geboten. Ihr Vater hätte bei ihrem Zuspätkommen dann nur wieder Gelegenheit, sie zum Bleiben zu bewegen.

    Esther seufzte leise, als sie den Vorhof des Anwesens betrat. Sämtliche Bedienstete grüßten sie freundlich und neigten ihre Köpfe.

    Blumenrabatten säumten den Hauptweg zum Eingangstor, vor dem bereits ein sorgenvoll dreinblickender, älterer Herr auf der untersten Treppenstufe stand.

    Sie setzte ein entschuldigendes Lächeln auf und hauchte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. „Bin ich zu spät“, wollte sie wissen?

    Leonhard Melchior Graf von Silberberg runzelte die Stirn und sah auf sie herab. „Nein, aber ich hatte schon die Befürchtung, du würdest es werden.“

    Sie kicherte. „Dann ist doch alles in bester Ordnung!“, rief sie im Hinaufgehen.

    „Du und deine Magie“, wetterte ihr Vater, doch darauf reagierte Esther schon gar nicht mehr.

    Einen Blick auf die prunkvolle Inneneinrichtung des imposanten Anwesens verschwendete sie nicht, sondern rannte gleich auf ihr Zimmer. Dort begrüßte sie direkt eine ausgewählte Sammlung an auffällig geschneiderten Kleidern. Zu jedem stand ein passendes Paar Schuhe bereit und zahlreiche Schmuckstücke lagen auf dem Tisch unter dem Fenster.

    Esther zog eine Augenbraue hoch. Das konnte nicht sein Ernst sein. Die Kleider hätten allesamt genauso gut Hochzeitskleider sein können.

    Nichtsdestotrotz rief sie im nächsten Moment nach ihrer Zofe und begann damit, ihre Haare zu öffnen. „Ich werde das blaue Kleid tragen“, sagte Esther, nachdem ihre Bedienstete die Kammer betreten und sich verneigt hatte.

    Zwar wollte sie nicht mit ihrem Aussehen oder mit dem Reichtum, aber es konnte vom Vorteil sein. Wie nannten das die Zofen? Reize ausspielen?

    Verdammt nochmal! Sie wollte doch nur einen Auftrag haben. Und vielleicht waren ihre nächsten Gäste bereit, ihr einen solchen zu verschaffen.

    • Offizieller Beitrag

    Trevor schwankte zur rechten Seite, dann zur linken Seite. Das gleichzeitige Rasseln der Ketten ging ihm allmählich auf die Eier. Und wieder nach rechts, dann nach links.
    „Das letzte Mal, als ich so behandelt wurde, habe ich dafür bezahlt“, stieß er aus, während der etwas unförmige Pirat vor ihm nur verächtlich schnaubte.
    Da hing er nun, Trevor, der Pirat, der Formwandler … in einem Käfig. Beide Hände an die Decke der Holzkiste gekettet. Er müsste nur die Form eines Kindes annehmen und könnte sich so aus den Fesseln befreien, aber er passte als Kind trotzdem nicht durch die Gitterstäbe, deshalb sparte er sich seine Kräfte vorerst. Sein beiges Lieblingshemd hing ihm wegen des vorangegangenen Kampfes nur noch in Fetzen von seinem Körper, seine Hose hatte beinahe die Bezeichnung nicht mehr verdient. Der Stoff an den Knien war aufgescheuert und einige Löcher zierten den dunklen Stoff.
    Die Piraten von Goldzahn Billy waren echt nicht zimperlich mit ihm umgegangen. Anscheinend waren sie davon ausgegangen, dass Silberaugen Johnny Lösegeld für seinen Piraten bezahlen würde, aber dem war nicht so gewesen. Sein Kapitän wusste, dass er es schaffte, sich aus misslichen Lagen zu befreien. Das hatte Trevor bisher immer geschafft.
    „Wenn ich hier rauskommen, tanze ich mit deinen Nieren Menuett!“, drohte Trevor dem Piraten, der ihn daraufhin missmutig musterte.
    „Mal schauen, ob du auf dem Markplatz immer noch so eine große Klappe hast, wenn jemand Geld dafür bezahlt, dich jagen zu dürfen.“ Der Pirat grinste und offenbarte einen Mund voller fauliger Zähne.
    „Schon mal was von einer Zahnbürste gehört?“, nuschelte Trevor mit gerümpfter Nase.
    „Was?“
    „Ehm nichts … Ich bin Pirat! Das ist quasi die Berufsbezeichnung meiner … unserer Tätigkeit. Man setzt ein Kopfgeld auf uns aus … und wir werden über alle Weltmeere gejagt.“
    „Du bist aber ein Formwandler. Das haben wir an Bord der Moonshine gesehen.“

    „Sicher, dass ihr alle nicht vorher zu viel Rum hattet? Das kann schon mal passieren. Man sieht Frauen, wo keine sind …“ Trevor lachte. „Du hast sicherlich seit Jahren keine mehr … gesehen!“
    „Du bist ein Formwander!“, beharrte der Pirat, und Trevor platzte die Hutschnur und rüttelte an seinen Ketten.
    „Lass mich raus!“, brüllte Trevor. „Was ihr mit mir macht, ist aber selbst für Piraten unehrenhaft! Du kannst froh sein, dass ich hier eingesperrt bin, ansonsten …“
    Eine Glocke unterbrach Trevor in seiner Tirade und er spürte, dass das Schiff, die Eiserne Jungfrau, anlegte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis sie ihn in der Kiste aus dem Schiff hieven würden, um ihn auf den Marktplatz gegen eine Kiste Rum zu tauschen. Und schon ging die Ladeluke auf, und Trevor wurde samt Kiste ans Tageslicht gebracht. Die Sonne brannte in seinen Augen, da er Tage in der Dunkelheit verbracht hatte. Trotzdem tat die frische Luft gut. Frisch war vermutlich übertrieben, denn ein Hafen roch meist weniger angenehm als eine Kloake, aber zumindest war es nicht mehr so stickig wie unter Deck dieser Nussschale.
    Die restlichen Piraten liefen wild umher, ließen Trevor auf einem Karren nieder, der von einem alten Esel von Bord gebracht wurde.
    Trevors Wächter bekam die Aufgabe, ihn auf dem Mark anzupreisen. Vielleicht half Trevors Fähigkeit ihm zumindest ab jetzt weiter. Eilig nahm er die Form eines kleinen neunjährigen Mädchens an und schrie um sein Leben.
    „Ich wusste, dass du ein Formwandler bist!“, krakeelte der Pirat, aber Trevor ging nicht darauf ein.
    Stattdessen bettelte er die Menschen auf dem Markt im Vorbeifahren an. „Hilfe, ich wurde von einer Horde geisteskranker Seeleute entführt!“, jammerte Trevor mit kindlicher Stimme. „Sie halten mich für einen Formwandler … Die Gicht und der Rum haben sie vollkommen verblödet!“
    „Halt deine Schnauze!“, befahl der Pirat und schlug mit seinem Säbel gegen die Gitterstäbe. „Sonst setze ich den Preis von zehn Silberschilling noch herunter.“
    „Zehn?“, erwiderte Trevor empört. „Ich bin mindestens zwanzig wert! Ich werde nicht nur verkauft, sondern auch noch beleidigt.“
    Trevor schrie weiter in Gestalt des kleinen, blonden Mädchens und hoffte, dass sich jemand erbarmen würde, ihn aus dem Käfig zu befreien, ohne ihn zum Abschuss freizugeben.

    • Offizieller Beitrag

    Edmund war zufrieden und satt, als er wieder über den Markt lief. Mittlerweile war es weit nach Mittag und sein Geschäftspartner stand sich wahrscheinlich schon die Beine in den Bauch. Aber das hatte Edmund nicht am Essen hintern können. Das Etablissement, in dem er gespeist hatte, würde er definitiv weiterempfehlen. Leider hatte der Besitzer den Koch nicht hergeben wollen.
    Der Lärm auf dem Markt war infernalisch. Überall wurden Waren in einer Lautstärke angeboten, als ginge es um Leben und Tod. Irgendwo fiedelte jemand ohrenbetäubende Laute aus einem Instrument. Die Bezeichnung Musik hatte der Klang nicht verdient. Dazu kamen die Geräusche unzähliger Kühe, Ziegen, Schafe und Federvieh. Von den fein gekleideten Herren und Damen und vor allem den einfachen Menschen, die ihre täglichen Einkäufe tätigten, ganz zu schweigen.
    Sein Vater nannte diese Geräusche die Musik des Handels.
    Für ihn klang es einfach nur, als hätte die Stadt Darmbeschwerden.
    Edmund seufzte, straffte die Schultern. Das Anwesen des Grafen lag am anderen Ende der Hauptstraße. Eventuell sollte er sich doch eine Kutsche besorgen, die ihn fuhr? Mit vollem Magen sollte man sich nicht zu sehr bewegen.


    Er war noch keine zwei Schritte gekommen, da erblickte er einen schäbig aussehenden Mann, der angeregt mit einem Soldaten diskutierte. Die beiden standen vor einem Käfig, in dem ein kleines Kind saß. Über den Lärm hinweg verstand Edmund nichts, obwohl er nur wenige Schritte entfernt stand, allerdings war der Grund recht offensichtlich.
    „Menschenhandel ist hier erlaubt?“
    „So weit ich das mitbekommen habe, will der Graf es auf seinen Märkten nicht",
    stöhne der Matrose und setzte die Kiste ab. „Hört mal, es macht wirklich Spaß Euch dieses Ding nachzuschleppen, aber findet Ihr nicht, wie sollten uns langsam mal beeilen? Adlige warten zu lassen, bringt dem einfachen Mann meist nur Probleme.“
    Edmund musterte den Matrosen, dessen Name ihm bereits wieder entfallen war.
    „Zum Glück bin ich kein einfacher Mann, sondern reich.“
    Der Matrose stieß die Luft aus.
    „Vielleicht sollten wir den Grafen dennoch nicht warten lassen. Nur ein Vorschlag.“
    Edmund hörte ihm nicht mehr zu. Was ging ihn das Geschwätz anderer an? Nach seiner Meinung hatte er schließlich nicht gefragt.
    Der Soldat entfernte sich, ohne noch einen Blick auf das Kind zu werfen. Dieses streckt die Hand durch den Käfig und rief ihm etwas nach, das entfernt an „Nein, geht nicht.“ erinnerte.
    Ihre Blicke trafen sich. Und Edmund erkannte die Tränen in den Augen des Mädchens. Ob sie schon vorher da gewesen waren, oder es nun erst begann zu weinen, wusste er nicht. Die Verzweiflung war jedoch spürbar.
    Edmund wandte sich ab und ging weiter. Allerdings hörte er nun das Kind deutlich aus dem umliegenden Gegrölle heraus. Es bescherte ihm ein schlechtes Gewissen.
    Warum war der Soldat einfach abgezogen? Wenn doch Menschenhandel verboten war? Ob er sich hatte bestechen lassen? Geld regelte schließlich alle Probleme.
    Und warum hörte er unter der Musik des Handels nun ausgerechnet diese Kinderstimme so penetrant?


    „Geht schon mal vor und kündigt mich an“, hörte er sich zu seinem eigenen Verdruss selbst sagen.
    „Aber…“, der Matrose musterte ihn, „Euer Vater meinte, dass ich Euch beschützen soll.“
    Edmund deute auf den Degen an seiner Seite.
    „Das schaffe ich auch allein.“
    Der Matrose wirkte erst, als wollte er noch etwas sagen (und insgeheim erhoffte es sich Edmund), dann zuckte er die Schultern. Und verschwand fluchtartig, als wären die Totengötter persönlich hinter ihm her.
    Edmund blieb zurück.
    Er sollte mitgehen und die Waren beschützen, statt sich um Belanglosigkeiten zu kümmern. Er konnte sich sehr gut selbst verteidigen, aber wer verteidigte die Waren? Dieser Stumpfschädel sicher nicht. Aber da war diese nervtötende Stimme, die ihn nicht mehr losließ.
    Der kann sich was anhören, wenn er die Waren verliert!


    „Ihr verkauft das Kind?“
    Er trat an den Käfig heran. Das Kind hing in Lumpen, die nicht einmal mehr als Waschlappen nutzbar gewesen wären. Im Grunde wirkten sie nicht mal mehr wie Stoffe. Viel zu groß und sie stanken.
    Wobei der Gestank auch von dem Mann ausgehen konnte, der sich von einem dicklichen Interessenten zu Edmund umwandte.
    „Interesse?“
    Edmund kräuselte die Nase. Das dreckige Grinsen und der Atem des Mannes stanken noch mehr als der Rest von ihm. Und der Mann hinter ihm wirkte nicht weniger zwielichtig.
    Noch konnte er einfach gehen.
    „Menschenhandel ist in der Grafschaft Silberberg nicht erlaubt. Der Soldat lässt Euch aber weitermachen?“
    Der Mann sah ihn kurz verwirrt an, dann lachte er.
    „Das ist ja auch kein Mensch!“ Er machte eine ausladende Geste, die das Mädchen in den zerlumpten Kleidern einschloss.
    Edmund hob die Augenbrauen. Für ihn sah das Kind schon sehr menschlich aus.
    „Es ist ein Gestaltwandler. Ein gewiefter Kerl!“
    „Ich bin kein Gestaltwandler“
    , schluchzte das Kind. „Glaubt mir doch endlich.“
    Flehend sah es Edmund aus großen Augen an. Der wandte sich ab.
    „Sie sagt, sie wäre kein Wandler.“
    Gestaltwandler waren unglaublich selten. Warum also sollte ein so dreckiger Kerl gerade einen dieser Wandler auf einem unbedeutenden Markt in einer kleinen Grafschaft wie Silberberg anpreisen? Mit solchen Funden ging man auf die großen Märkte oder sogar in ein Auktionshaus.
    „Wollt ihr ihn nun kaufen, oder nicht? Aber verschwendet nicht meine Zeit!“
    Edmund wog den Kopf. Was sollte er mit einem Kind anfangen? Er hatte keine Verwendung dafür. Kinder waren laut, schmutzig - vor allem dieses Kind - und für eine Reise absolut ungeeignet. Andererseits tat es ihm leid. Wie konnte der Soldat das Kind einfach seinem Schicksal überlassen? Selbst wenn die Möglichkeit bestand, dass es sich um einen Formwandler handelte...
    Gerecht war diese Behandlung nun wirklich nicht. In einem Auktionshaus gäbe es wenigstens ordentliche Kleidung. Und ein Bad. Wer kaufte schon etwas, in das er dann erst noch Kleidung und eine Wäsche investieren musste, ehe er es nutzen konnte?
    Vielleicht konnte er das Kind irgendwo wieder aussetzen? Aber dann hatte er nutzlos Geld verschwendet und hatte davon nichts.
    Edmund wandte sich ab. Dafür hatte er keine Zeit.
    „Herr, bitte“, flehte die Stimme des Mädchens. Mit großen Augen sah es erst zu den anderen beiden Männern, dann ihn traurig an. „Ich kann mich nützlich machen, Eure Sachen tragen. Nur bitte lasst mich nicht hier.“
    „Ich habe Leute, die meine Sachen tragen. Dafür brauche ich kein Kind.“
    „Ich bin gereist!“
    , schoss das Kind nach. „Ich kenne mich auf dem Meer aus.“
    „Ich habe Matrosen, die sich auskennen.“
    Ganz davon zu schweigen, dass er selbst einen Kompass bedienen konnte. Was sollte ein Kind mehr können, als er beherrschte?
    Das Mädchen mustere Edmund und berief sich dann darauf, dass es überall von dieser Heldentat erzählen würde. Weit über die Grenzen dieser Grafschaft hinaus.
    Edmund zögerte.
    Was nutzte ihm dieser Ruhm? Er war reich und konnte sich notfalls auch die Anerkennung durch Gold sichern...
    Wobei dies kostspielig war...

    Und die Frauen mochten Helden.


    Edmund schwelgte in der Vorstellung.
    Hinter sich hörte er die Stimme des Kindes, das ihm zuflüsterte, wie stolz seine Eltern wären, würde er diese Heldentat begehen, ein armes wehrloses Kind zu retten. Sein Herz wäre so rein, dass er sich vor Verehrerinnen nicht mehr retten könne. (Passend zu seinem sowieso schon guten Aussehen natürlich.)
    Edmund wandte sich zurück an den Händler.
    Davon abgesehen: war das Mädchen nicht auch in Nöten? Konnte er eine Frau (ein Mädchen) einfach so zurücklassen?


    Der Händler wollte gerade mit dem anderen Herrn einschlagen, der nunmehr einen seltsam gierigen Blick aufgesetzt hatte. Irgendwas an diesem Kerl bereitete Edmund eine Gänsehaut – und dabei war es nicht er, der im Käfig saß. Und das Wetter war erstaunlich warm und sonnig.
    „Wie viel?"
    Die beiden Männer hielten inne.
    „Da seid Ihr zu spät!“, blaffte der Dicke. „Die Kleine gehört mir!“
    „Was bietet Ihr denn?“,
    meinte jedoch der schmutzige Händler, der nun wohl mehr Profit witterte.
    „11!“, warf sich der Dicke bereits vor.
    „11 was?“ Edmund hob die Augenbrauen.
    „Silberschilling", meinte der Händler.
    Edmund schwieg. 11 Silberschilling für ein Kind? Dafür konnte er glatt die Woche in Silberberg übernachten. Das war zu viel! Für einen Gestaltwandler war das vielleicht gerechtfertigt, wenn nicht sogar zu wenig, aber ein Kind? Er hatte keinen Nachweis! Sollte er sich einen geben lassen?
    Ach was überlegte er überhaupt? Er würde einfach gehen! Was für eine Unverschämtheit.


    Seine Füße bewegten sich nicht. Der Fette grinste.
    „12“, hörte sich Edmund sagen.
    „15!“
    „15?“
    Edmund musterte den Kerl, der allmählich zu schwitzen begann. „16!“ Was tat er hier eigentlich? Er handelte den Preis auch noch nach oben? Sein Vater wäre ausgestiegen.
    Aber wenn das Kind doch ein Wandler war? Vielleicht ließe sich irgendwo doch noch mehr heraushandeln und er würde wieder Gewinn machen?
    „30!“
    „30 Silberschilling?! Ihr habt ja wohl den Arsch offen!“,
    stieß Edmund aus, ehe er sich wieder auf seine Herkunft besann. „35!“
    Der Dicke knurrte, sagte aber nichts mehr.
    „Abgemacht!“, schlug der Händler auch sofort ein. Die Kleine geht an Euch.“
    Verwirrt starrte Edmund den Kerl einen Moment ratlos an. Was war passiert?

    • Offizieller Beitrag

    Der Käfig öffnete sich für Trevor und er war gegen dreißig Silberschilling freigekauft worden. Allerdings sah sein Retter seltsam verwirrt aus.

    „Ehm ... danke?!“, sprach Trevor zu dem gut gekleideten Herren, der mit bleichem Gesicht dem Piraten das Geld übergab.

    Trevor kannte den Kodex. Er wusste, dass er nun seinem Lebensretter danken und loyal zur Seite stehen musste. Sich einfach aus dem Staub zu machen, kam leider nicht infrage.

    „Danke?“, wiederholte der bleiche Mann und schüttelte seinen Kopf. „Ja, freut mich, wenn ich helfen konnte.“

    Trevor verließ den Käfig und hielt sich die viel zu weite Hose an Ort und Stelle. Jedoch bedachte er den Piraten noch einmal mit einem bösen Blick, ehe er ein paar Schritte vorausging. „Und jetzt muss ich Euch helfen. So lange, bis Ihr mich aus Euren Diensten entlasst!“, schilderte Trevor. „Wie darf ich Euch nennen?“

    „Mein Name ist: Edmund Wendel Vinzenz von Stein. Aber du kannst mich Edmund nennen! Ich weiß allerdings immer noch nicht, was ich mit einem Kind anfangen soll!“, erörterte der sichtlich reiche Kerl.

    Trevor musterte ihn genau. Viel raus kam er anscheinend nicht. Sein Hautton war dazu zu blass und seine Fingernägel zu sauber. Er schien ein Händler oder Adliger zu sein. Vielleicht beides.

    „Ich bin mehr als ein Kind. Ich kann ein Reiseführer sein oder Euch helfen, lästige ... Menschen vom Leib zu halten“, begann Trevor aufzuzählen. „Papa ...?!“

    Mit der Formwandler-Sache konnte er nicht umgehend heraus platzen. Die Gefahr war zu groß, dass der reiche Pinkel ihn gleich wieder verkaufen oder sogar töten würde.

    „Nenn mich nicht Papa!“, erwiderte Edmund und funkelte Trevor böse an. Danach wanderte der Blick des reichen Mannes über Trevors Körper. „Hast du nichts anderes zum Anziehen? Du siehst aus, als hätte man dich zum Putzen verwendet.“

    Trevor sah an sich runter. Die Kleidung hatte lange gehalten, allerdings nicht der Folter der Piraten widerstanden. Danach sah er Edmund skeptisch an. „Na schön ... nicht die Papa-Nummer. Aber wie wäre es mit einer kleinen Schwester? Das lässt das Herz einer jeden Frau ... höher schlagen? Vor allem, wenn Ihr Eure Schwester hübsch einkleidet und ihr viel kauft?“

    Tatsächlich sah der Kerl mehr so aus, als würde er keine Gelegenheit auslassen, sich feiern zu lassen. Der ganze Schmuck und sein Aufzug ließen ihn wie einen Sohn wirken. Was Trevors Glück war. Ein geschäftiger Mann hätte niemals dreißig Silberschillinge für ihn bezahlt. Nicht mal für einen nützlichen Sklaven! „Und nein. So ein Piratenschiff bietet wenig Läden, in denen man sich einkleiden kann. Ich wurde gezwungen, die Kleider eines ... toten Piraten zu tragen!“

    Edmund fuhr sich genervt über sein Gesicht. Nein, der Kerl war kein erfahrener Händler. Ansonsten hätte er Trevor direkt einen Tritt in den Arsch gegeben und ihn davon gejagt.

    „Wollt Ihr mich etwa jetzt aussetzen?“, hakte Trevor mit mitleidigem Blick nach und schob seine Unterlippe nach vorne. Er musste verhindern, dass er seinem Kodex nicht nachkommen konnte. Das brachte Unglück und noch mehr Pech konnte er nicht gebrauchen.

    Deshalb schaute er Edmund an, musterte ihn nochmal. Danach stemmte Trevor seine Arme in die Hüfte.

    „Ich brauche keine kleine Schwester!“, erwiderte Edmund und zog kurzerhand seine Jacke aus, um sie Trevor zu geben.

    Das war wirklich ein netter Akt der Barmherzigkeit. Das musste selbst Trevor zugeben. Dieser Kerl hatte irgendwas an sich, dass ihn arrogant, aber auch sympathisch wirken ließ. Das verwirrte sogar den Piraten.

    Bevor sich Edmund in Bewegung setzte, um einfach wegzugehen, ging Trevor ihm nach. Warum tat er das? Wenn jemand seine Hilfe nicht wollte, sprach wohl nichts dagegen, den Kodex zu umgehen. Aber aus irgendeinem Grund wollte Trevor das nicht auf sich sitzen lassen. „Na gut ... Ihr habt wohl zu viel für ein Kind bezahlt, was?!“, wandte Trevor ein. „Könnte Euch dann ein ... Formwandler hilfreich sein?“ Die letzten Worte kamen absichtlich leiser über seine Lippen.

    „Ja ja. Ein Formwandler wäre hilfreicher als du und günstiger gewesen“, antwortete Edmund und winkte ab.

    „Aye ...“, wandte Trevor ein. „Aber ich kann nichts für den Preis, den Ihr gezahlt habt.“

    Trevor bog in eine kleine Seitengasse ab und hoffte, der reiche Kerl würde ihm folgen. Offen auf dem Markt konnte er seinen Wert nicht beweisen.

    Um die Ecke schmulend, erkannte Trevor, dass Edmund sich reichlich schwer damit tat, ihm zu folgen. Er wirkte zögerlich. Aber dennoch drehte der Mann auf seinen teuren Schuhen herum und folgte Trevor.

    Trevor lief noch etwas in die dunkle Gasse hinein und ging sicher, dass ihnen keiner gefolgt war. Warum tat er das nochmal? Er wusste es nicht. Aber sich als nutzloses Kind abstempeln wollte er sich auch nicht lassen. Oder? Trevor fuhr sich genervt von sich selbst über seine Nasenwurzel. „Ich bin nützlich ...“, erwiderte er schließlich. „Ich kann sein, was immer Ihr braucht ...“ Trevor stellte sich hin und nahm abwechselnd die Form einer hübschen Dirne an, danach eines Hünen, der Edmund um rund zwei Köpfe überragte, eines Piraten, eines kleinen Jungen und schlussendlich ... seiner wahren Form. „Mein Name ist Trevor van Dyyken! Und mein Dank verpflichtet mich, Euch zu helfen.“

    „Ha, also doch!“, verlautete Edmund, nachdem er Trevor zuvor etwas sprachlos angesehen hatte. Sein sichtlich nachdenklicher Gesichtsausdruck ließ für Trevor nur eine Vermutung zu. Sicherlich überlegte er, was er mit ihm anstellen sollte. Und wenn ein Mann wie er überlegte, hieß das selten etwas Gutes.

    „Ihr müsstet Euch nicht selbst die Hände schmutzig machen. Ihr lauft hier trotz Eures Reichtums ohne Leibwache herum ... Selbst wenn Ihr kämpfen könnt, heißt das nicht, dass Ihr Euch gegen mehrere Gegner durchsetzen könnt. Ich könnte Eure Leibwache mimen. Das würde Euch sicherlich auch davor bewahren, noch mehr Geld auszugeben.“

    Trevor lächelte den reichen Edmund an.

    „Für was ich Geld ausgebe, ist immer noch meine Sache! Und das einzig Bedrohliche hier bist du ... Immerhin hast du mich in eine dunkle Gasse gelotst! Ich brauche niemanden, der mich bevormundet! Erst recht kein ... Was genau bist du jetzt eigentlich? Wenn du mich mit dieser Gestalt beeindrucken willst, dann lass dir gesagt sein, dass das nicht wirkt!“ Edmund schwieg kurz, sah Trevor an und drehte sich fast beleidigt herum. „Du brauchst andere Kleidung, so können wir nicht zum Grafen!“

    Trevor brauchte einen Moment, um seine Worte zu sortieren. Anscheinend wollte er ihn doch mitnehmen. Oder hatte er ihn falsch verstanden? Dieser Kerl verwirrte ihn. Was war jetzt Sache? „Zieht mir an, was Ihr für richtig haltet?“, wandte Trevor zögerlich ein. „Schlimmer als Lumpen wird es wohl kaum sein.“

    Trevor hatte sich geirrt. Nachdem Edmund mit ihm fertig war, trug er ein schwarzes Seidengewand mit Stehkragen samt weißem Hemd darunter. Die schwarzen Stiefel waren noch steif, mussten erst eingetragen werden. Egal in welchen Kampf Trevor geraten würde, er befürchtete, dass das Hemd sowie die Jacke umgehend reißen würden. Natürlich das alles erst, nachdem man Trevor gebadet und gebürstet hatte. Sein brünettes Haar war zu einem ordentlichen Zopf zusammengeknotet worden, und seinen dezenten Bart hatte Edmund ordentlich rasieren lassen. Zumindest den Part, den Edmund nicht haben wollte. Fast fühlte sich Trevor davon etwas überfahren. Er war ein Pirat und kein Edelmann. Trotzdem hätte jetzt vermutlich niemand Trevor für einen wilden Wassermann gehalten. Um seinen Herren beschützen zu können, entwendete Trevor noch kurzerhand ein Schwert von einer schlafenden Wache, die es nicht besser verdient hatte. Jetzt stand seiner Maskerade nichts mehr im Weg, während sich die beiden Männer einem riesigen Anwesen näherten, das selbst Trevor ins Staunen versetzte.

    • Offizieller Beitrag

    Edmund war genervt. Und verwirrt. War er wirklich auf diese alberne Schmiererei reingefallen? Wie sollte er das vor irgendwem rechtfertigen? Er würde dafür sorgen müssen, dass niemals nie irgendjemand jemals davon erfuhr!

    „Wo hast du eigentlich den Säbel her?“

    „Ausgeliehen", gab Trevor trocken von sich.

    Ja klar, und ich bindie Göttin der Tiefsee!

    „Wenn du mir Probleme machst, lass ich dich zurück.“

    Das Letzte, was er wollte, war es, sich mit den Wachen des Grafen anzulegen.

    „Mach ich nicht!“

    Edmund wollte noch etwas sagen, doch seine Füße lenkten seine Gedanken auf ein viel wichtigeres Problem.

    „Wir hätten eine Kutsche nehmen sollen! Nach dem ganzen Gelaufe in der Stadt tun mir die Füße weh!“, begann er genervt sein Leid mit der Welt zu teilen. „Und jetzt muss ich auch noch bis zum Anwesen des Grafen laufen! Für wen hält der sich?! Und das bei dem Wetter! Es ist viel zu warm! Was spricht eigentlich gegen ein Anwesen in der Stadt, statt irgendwo außerhalb! Wie unpraktisch! Obwohl ich ihn verstehe: diese Grafschaft ist häßlich!“ Edmund richtete seine neue Jacke. Diejenige, die er Trevor gegeben hatte, hatte er verbrennen lassen. Zwar hatte Trevor sie ihm zurückgeben wollen, aber sie hatte bereits zu sehr gestunken. „Und du! Wegen dir habe ich Unmengen an Geld ausgegeben! Davon abgesehen, dass es mir bereits zum Nachteil gereichen könnte, dass ich mich mit dir blicken lasse!“

    Trevor nickte nur und schwieg.

    Immerhin schien er seine Scharlatanerie zu bereuen!

    „Das wirst du alles abarbeiten!“

    Das hätte er sich ersparen können. Aber nein, aus irgendeinem Grund hatte er sich dazu hinreißen lassen, für den Kerl 30 Silberschilling zu zahlen, noch mehr Geld in Kleidung zu investieren, dafür durch die halbe Stadt zu laufen und nun stampfte der Kerl wie ein Bauerntrampel neben ihm her. Wohl bemerkt ein gut gekleideter Bauerntrampel. Ein gutaussehender, gut gekleideter Bauerntrampel!

    Edmund schielte zu Trevor.

    Sah er wirklich so gut aus, oder hatte er diese Gestalt absichtlich gewählt? Jedenfalls konnte niemand leugnen, dass es sich nicht gelohnt hätte, den Dreck abzukratzen.

    In einem Auktionshaus bekäme er sicherlich viel Geld für ihn. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass er ihm sogar freiwillig folgte und etwas von einer Schuld plapperte. Umso leichter wäre es, ihn zu verkaufen.

    Oder er behielt ihn. Immerhin sah er deutlich besser aus, als die restlichen Matrosen auf dem Schiff. Und als Wandler war er nicht auf diese eine Gestalt beschränkt.

    Blieb zu hoffen, dass sich Esther nicht auch als Flop herausgestellte.

    Am Tor angekommen, meldete sich Edmund bei dem Pförtner an. Zu seinem Glück hatte der Matrose sein Erscheinen tatsächlich bereits angekündigt und man ließ sie ohne großes Gezeter ein.

    Die beiden Männer folgten dem alten weißhaarigen Mann durch einen großen Garten über eine gepflasterte Auffahrt zu einer breiten Flügeltür. Edmund interessierte sich weniger für das Anwesen mit der strahlenden Fassade und dem bunten Garten. Trevor dagegen schien seine Umgebung gerade zu aufzusaugen. Und ehe sich Edmund versah, war Trevor von seiner Seite gewichen und betrachtete eines der Blumenbeete.

    Was machte er denn nun?

    Edmund wollte gerade etwas sagen, da brach Trevor eine der Blumen ab, weshalb er sich entschloss nichts gesehen zu haben. Ohne einen Laut wandte er sich zurück und folgte dem Diener zur Tür.

    „Ich habe einen Diener vorgeschickt. Wo ist der?“

    Der Alte musterte ihn.

    „Ich werde ihn zu Euch bringen.“

    In einem großen Salon ließ man sie schließlich warten. Edmund widerstand dem Drang von einem Fuß auf den anderen zu treten und sich in einen der Sessel zu setzen. Er wollte zurück aufs Schiff und die Füße hochlegen. Davon abgesehen hatte er Hunger.

    Er musterte Trevor.

    „Was hast du mit der Blume gemacht?“

    Trevor sah ihn unschuldig an.

    „Welche Blume?“

    Wollte der Kerl ihn verarschen? Er hatte es doch genau gesehen.

    „Du hattest eben noch eine Blume! Die du im Garten gepflückt hast.“

    „Keine Ahnung, wovon Ihr sprecht.“

    „Ich lass mich von dir nicht nochmal hereinlegen."

    „Vertraut mir einfach ..."

    „Das fällt mir jetzt nicht gerade leicht ... "

    Trevor zuckte die Schultern. Im gleichen Moment öffnete sich die Tür und der Matrose mit der Kiste betrat den Empfangsraum.

    „Na endlich!“, stieß Edmund aus. Es wäre selten peinlich gewesen, hätte er nicht einmal die Ware gehabt, die er verkaufen wollte.

    Die Tür ging ein zweites Mal auf.

    Ein älterer Mann in guter Kleidung, die sichtbar ein Vermögen wert war, betrat den Raum. Edmund neigte höflich den Kopf vor dem älteren Herrn.

    „Edmund Wendel Vinzenz von Stein, nehme ich an?“

    „Sehr wohl, und Ihr müsst Graf von Silberberg sein! Ich hoffe, Ihr verzeiht meine Unpünktlichkeit. Ich bin untröstlich, aber ich wurde…aufgehalten.“ Dabei warf er einen Blick über die Schulter zu Trevor, der etwas fehl am Platz im Raum stand. Der räusperte sich lediglich höflich.

    Dann galt Edmunds Aufmerksamkeit wieder dem Gastgeber. „Ihr habt eine wunderschöne Grafschaft, Graf von Silberberg.“

    Edmunds Blick fiel auf die dunkelhaarige Frau, die hinter dem Mann eintrat und mit ihrem blauen Kleid förmlich ins Auge stach. Ausladend betonte das Kleid genau die richtigen Stellen. Als wäre die Gräfin bereits für einen gesellschaftlichen Abend herausgeputzt, zu welchem sie allen Anschein nach nicht gehen wollte. Ihr Gesichtsausdruck wirkte etwas genervt. Doch ein aufgesetztes Lächeln vertrieb diesen Eindruck sofort.

    Beflügelt und den bisherigen Tag vergessend wandte sich Edmund der Dame des Hauses zu.

    Sie war definitiv kein Flop! Von ihr musste er nicht erst den Dreck abkratzen.

    „Und Ihr müsst die verehrte Gräfin sein, Esther Ottilia von Silberberg. Ich bin höchst erfreut, Euch kennen zu lernen.“ Er verbeugte sich. „Wenn Ihr die Bemerkung erlaubt, das Kleid steht Euch hervorragend und betont Eure Schönheit.“

    Esther verdrehte die Augen, lächelte aber augenblicklich wieder. Entweder war sie von der Wartezeit genervt, oder von dem vielen Stoff.

    An ihm konnte es jedenfalls nicht liegen.

    „Und was führt Euch hierher?“, wollte der Graf wissen. Er bot Edmund einen der Sitzplätze im Raum um einen niedrigen Tisch an. Edmund blieb jedoch stehen. Es wäre unhöflich gewesen, sich einfach zu setzen. Davon abgesehen wäre er wohl nicht mehr auf die Füße gekommen. „Es war, glaube ich, Euer Vater, der Euch ankündigte, er blieb dabei jedoch recht wage.“ Auch Vater und Tochter blieben stehen.

    Edmund nickte. Das glaubte er gern. Sein Vater hatte ihm mehrfach eingeschärft, dass niemand wissen durfte wie wertvoll die Schiffsladung war oder wohin die Reise ging. Auch bei dem Grafen sollte er dabei so wage wie möglich bleiben. Wobei dieser nicht so dumm wirkte, dass er nicht 1 und 1 zusammenzählen konnte. Lediglich die Mannschaft kannte das Ziel.

    „Mein Vater schickt mich, um Euch dies anzubieten.“ Er winkte nach dem Matrosen, der die Kiste neben ihm abstellte. „Noch vier weitere dieser Kisten lagern auf meinem Schiff. Vater hat die darin enthaltenen Armbrüste und Säbel selbst handverlesen. So weit uns zu Ohren kam, wollt Ihr Eure Wache aufstocken und mit den neusten Waffen ausrüsten.“

    Silberberg war nur ein Umweg auf seiner eigentlichen Reise, den sein Vater seinetwegen eingeplant hatte. Die eigentliche Reise ging nach Sarima. Der Seeweg war jedoch nicht ganz ungefährlich. Es gab Strömungen und Riffe und es hieß immer wieder, dass Kreaturen der Meere die Schiffe in die Tiefe rissen. Fragte man Edmund, handelte es sich dabei lediglich um besagte Strömungen. Aber ihn fragte ja niemand. Jedenfalls hielt es sein Vater für besonders schlau, einen Magier mit an Bord zu nehmen. Die Wahl hatte er Edmund überlassen. Und bei den ganzen alten, verstaubten und selbstüberzeugten Vertretern, wollte er doch lieber etwas fürs Auge. Und Esther schien dem mehr als gerecht zu werden. Attraktiv und wie er unter vorgehaltener Hand gehört hatte, nicht unbegabt auf dem Gebiet der Schutzmagie. Aber vor allem attraktiv. Davon durfte er sich in diesem Augenblick selbst überzeugen.

    Nachdem er seine Wahl an seinen Vater weitergegeben hatte, hatte dieser sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, und aus ein paar Gerüchten und Beziehungen wurden die neusten und besten Waffen. Woher auch immer der Alte das Zeug gezaubert hatte. Einen Tag später hatte er Edmund auf den Weg geschickt.

    „Euer Vater in allen Ehren, aber das werdet Ihr wohl nicht aus reiner Nächstenliebe anbieten. Wie viel Silber möchtet Ihr für diesen Aufwand?“

    Edmund winkte ab.

    „Kein Silber. Sondern Eure Tochter.“

    Dem skeptischen Blick, der ihm nun von Vater und Tochter entgegengebracht wurde, verriet ihm, dass der Graf wohl etwas mehr als ein paar Kisten Waffen für die Dienste seiner Tochter wollte. Hatte er es doch gewusst.

    „Ich halte es zudem für angemessen", er holte ein kleines Bündel aus seiner Hosentasche. Zur Sicherheit hatte er es die ganze Zeit bei sich getragen. „Euch ebenfalls dies hier anzubieten, schließlich ist der Dienst Eurer Tochter mehr wert als ein paar Waffen oder Silber.“ Er entwickelte das Bündel und beförderte einige reine Edelsteine zu Tag. Darunter mehrere Diamanten und Achate. „Vor meiner Abreise habe ich diese persönlich bei einem magiekundigen Schmuckschmied in Auftrag gegeben.“ In zwei der sieben Steine waren magische Symbole eingraviert, die restlichen in bedeutungsschwere Formen geschliffen, mit denen Edmund nur bedingt etwas anfangen konnte. Doch man hatte ihm versichert, dass die Steine für einen Magier durchaus interessant und wertvoll wären.

    Noch immer sagte keiner etwas. Weshalb Edmund nicht sicher war, ob er soeben etwas Falsches gesagt hatte. Mal wieder.

  • Esther stockte der Atem. Wie gebannt starrte sie auf die schillernden Steine und hielt sich im letzten Moment davon zurück, einen der Achate in die Hand zu nehmen.

    Sie konnte es schon deutlich vor ihrem inneren Auge sehen – Sie, wie sie mit den Steinen ihren Zauberstab verstärkte und jeden anderen Magier in den Schatten stellte.

    Vorausgesetzt die Steine waren echt und keine Fälschung. Jedoch war das nicht das Einzige, was sie beschäftigte. Schon als sie den Raum nach ihrem Vater betreten hatte, vernahm sie eine merkwürdige Präsenz. Argwöhnisch betrachtete sie die drei Männer nacheinander. Etwas war seltsam an ihnen oder vielleicht nur an einem? Sie schob das Gefühl beiseite und konzentrierte sich auf das Wesentliche.

    „Was genau wollt Ihr von meiner Tochter?“, verlangte ihr Vater zu wissen.

    „Nun, verehrter Graf, ich habe noch eine weite Reise vor mir, bei der man mir die Gesellschaft einer Magierin empfohlen hatte“, antwortete Edmund offenkundig wahrheitsgemäß. Den Blick, den er ihr dabei zuwarf, erwiderte sie mit einem aufgesetzten Lächeln.

    „Wohin?“

    Ist doch egal! Sag ja!

    Sollte dieser … Edmund … wahrhaftig echte Magiesteine gebracht haben, so musste sie diese haben – unbedingt.

    „Sarima.“ Die Antwort des Händlerssohns kam zögerlich.

    Sie selbst kannte Sarima nur von einigen Karten und Erzählungen. Neugier packte sie – was wollte dieser Kerl an einem Ort wie diesen?

    „Nein“, hörte sie den Grafen sagen.

    Nein!?

    „Nein?“, fragte Edmund überrascht. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass man sein Angebot ausschlug.

    „Ihr müsst verstehen, dass ich meine Tochter nicht jedem überlasse und obwohl ich zugeben muss, dass Eurer Angebot reizvoll ist und ich sie beim Ausleben ihrer magischen Fähigkeiten unterstütze, kann ich die Gräfin keinesfalls einer solchen Gefahr aussetzen.“ Ihr Vater warf ihr einen quälend langen und warnenden Blick zu. „Steine hin oder her.“

    Esther spürte, wie dieses Gespräch zu einem Desaster wurde und doch wusste sie, dass man gegen Graf Leonhard nicht ankommen konnte, solange man keine guten Argumente vorwies. Ein Seitenblick auf ihren Vater verriet ihr, dass sein Entschluss längst unumstößlich war.

    Wehmütig sah sie auf die Steine herab, die nacheinander wieder in den kleinen Beutel rutschten. Damit schwanden auch ihre Hoffnungen darauf, ihre Magie weiter zu steigern.

    Sie straffte sich und versuchte Edmunds Blick einzufangen. Der allerdings sah mit betretener Miene auf den Boden, bevor er sich wieder gefasst an den Grafen wandte.

    „Ich kann Eure Bedenken durchaus verstehen, Graf von Silberberg“, meinte der Händlerssohn. „Lasst es mich wissen, falls Ihr Euren Entschluss ändert.“

    „Ihr werdet vergebens warten“, erwiderte Leonhard und erhob sich schwermütig. „Allerdings sollt Ihr für diese Nacht meine Gäste sein. Meine Dienerschaft wird Euch die Zimmer zeigen und Euch Speisen zubereiten.“

    Damit war zumindest für ihren Vater die Unterhaltung beendet. Mit einem höflichen Kopfnicken verabschiedete er sich von seinen Besuchern.

    Esther drehte sich schwungvoll herum, um die Wucht ihres Kleides unter Kontrolle zu halten, sah einmal kurz zu Edmund zurück und folgte ihrem Vater hinaus.

    Während sie hinter ihm hinterherlief, schmiedete sie ihren Plan.

    Noch bevor der Abend hereinbrach, schlich Esther auf leisen Sohlen aus ihrer Kammer. Sie schulterte ihren Reisesack und schloss vorsichtig die Tür hinter sich. Obwohl sie sich bereits hinter einem Schild verbarg, der ihre Gestalt verschleierte und die von ihr verursachten Geräusche dämpfte, ging sie lieber auf Nummer sicher. Den Zauberstab auf Hüfthöhe erhoben, schritt sie durch die verlassenen Gänge des Anwesens und fand sich bald darauf in dem Korridor wieder, in dem man Edmund und seine beiden Begleiter untergebracht hatte.

    Sie ließ den schützenden Schild sinken und klopfte vorsichtig an. Ohne auf eine Antwort zu warten, trat sie ein.

    Drei verdutzte Augenpaare starrten sie an. Edmund gewann zuerst seine Fassung zurück, indem er sich geschmeidig von dem gemütlichen Sessel erhob und sie anlächelte.

    Bevor er allerdings das Wort an sie richten konnte, fuhr sie ihm dazwischen. „Sind die Steine echt?“, wollte sie wissen.

    Edmund schien für einen Moment von der Frage überrumpelt zu sein. „Das sagte ich bereits.“

    Esther versuchte in der Miene des Anderen zu lesen.

    Verdammter Dreck! Was tat sie hier überhaupt? Sie drehten ihren Zauberstab in der Hand. „Ich gehe mit“, teilte sie kurzerhand mit. „Der verehrte Graf hat seine Meinung … geändert.“ Sie hoffte, dass die Pause in ihrem Satz niemanden auffiel und lächelte.

    „Wie erfreulich!“, säuselte der Händlerssohn.

    „Allerdings habe ich eine Bedingung“, stellte sie schnell klar. „Ihr händigt mir einige Steine aus.“ Auf keinen Fall würde sie den Kerl begleiten ohne dafür zumindest eine Anzahlung zu erhalten

    „Jetzt sofort?“

    „Oder Ihr kehrt ohne einen Magier auf Eurer Schiff zurück.“ Dann ließ sie ihr Lächeln noch strahlender werden. „Ich halte vier Steine als Anzahlung für akzeptabel. Den Rest gebt Ihr mir, sobald wir den Hafen verlassen haben.“

    Edmund schien ihre Worte auf sich wirken zu lassen und so wie sie seinen Blick deutete, nicht nur das. „In Ordnung.“

    Huch – das war einfacher als gedacht.

    Sie überwand ihre Überraschung. „Kommt“, forderte er die drei Männer auf, die sie daraufhin geplättet anstarrten. „Was habt Ihr gedacht, weshalb ich jetzt bei Euch auftauche? Am Morgen kann ich keinen Fuß vor die Tür setzen ohne aufgehalten zu werden. Mein Vater hält es daher für besser, direkt aufzubrechen. Also – Los!“

    Bei allen Silbererzen! Abermals überkreuzte sie gedanklich die Finger und setzte darauf, dass niemand ihre kleinen Lügen bemerkte.

    Während Esther die Steine einsackte, die Edmund ihr aushändigte, sammelten die anderen ihre Sachen in Windeseile zusammen.

    Sie sah, wie der Matrose sich die Kiste wieder auf den Rücken hieven wollte.

    „Lasst sie hier!“, wies sie schnell an und bemerkte, dass ihre Reaktion viel zu schnell gekommen war. „Mein Vater weiß, dass die Kiste hier steht und wird sie später holen lassen“, schob sie hinterher.

    Nach kurzem Zögern schien alle einverstanden.

    Zu gern hätte sie einen Schild errichtet, aber mit Sicherheit fiel es nur auf, wenn sie gerade jetzt einen Zauber wob.

    Die drei Männer folgten ihr den Korridor entlang, sie durchschritten die Eingangshalle und traten in die noch immer warme Abendluft hinaus.

    Vor einigen Stunden hatte sie dafür gesorgt, dass man eine Kutsche bereit stellte. Hätte sie Edmund zu Fuß durch die Stadt gejagt, wären bestimmt unangenehme Fragen aufgetaucht. Ihr magischen Bannzauber sorgten dafür, dass sich die Bediensteten nicht weiter um sie kümmerten.

    „Ah“, keuchte Edmund erleichtert „das nenne ich angenehmes reisen! Aber ich würde Eurem geschätzten Vater für diese großzügige Geste danken. Wird er Euch verabschieden?“

    Esther, die an der Spitze ging, rollte die Augen und dreht sich zu dem Händler um. „Wir haben uns bereits verabschiedet und der verehrte Graf ist im Moment wegen eines anderen Geschäftes außerstande Euren Dank zu empfangen.“

    Edmund sah zum Anwesen zurück und schien einen Moment mit sich zu ringen. Dann wandte er sich abrupt wieder um. „Dann sei es so“, seufzte er. „Vielleicht bietet sich mir die Möglichkeit, ihm auf schriftlichen Weg dafür zu danken.“

    Nicht, solange ich das verhindern kann.

    Esther nahm erleichtert neben dem Kutscher auf dem Bock Platz. Sie musste auf jeden Fall bei dem Diener bleiben, auch wenn es sich führ ihren Stand nicht gehörte.

    Als sie Edmunds fragenden Blick sah, zuckte sie gespielt belustigt die Schultern „Ich vertrage Kutschfahrten an der frischen Luft besser.“

    Und deshalb gehst du direkt auf ein Schiff …

    Ohne weitere Zwischenfälle passierten sie den Markt und bald schon konnte Esther in der Dämmerung den gewaltigen Dreimaster erkennen, dessen Segel eingeholt waren.

    Ihr Herz hämmerte bis zum Hals – sie musste Edmund irgendwie dazu kriegen, noch am Abend abzulegen, auch wenn die gesamte Besatzung vermutlich gerade schlief.

    Als das Gefährt hielt und sie alle ausgestiegen waren, brachte Esther den Kutscher dazu, wieder zum Anwesen zurückzufahren. Kurze Zeit später löste sie ihren Zauber auf.

    Sie stellte sich bildhaft vor, wie der Diener auf der Straße stand und nicht wusste, wie er dorthin gekommen war.

    Nacheinander stiegen sie die Planke hinauf.

    Bis hierin hatte sie es schon mal geschafft.

  • 10 Silberschillinge? Du spinnst doch! Du willst mich ausnehmen, du bösartiges Weib!“, keifte der Mann vor ihr. Nelli verdrehte die Augen und zuckte sichtbar gelangweilt mit den Schultern. „Ich kann dich jetzt entweder von der Bordell-Krankheit befreien oder ich lasse es. Mir ist es völlig egal, ob dein Stängel jetzt brennt und juckt oder nicht. Deine Entscheidung“, brummte die Alte und wedelte abweisend mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Ihr Blick ruhte gelassen auf dem rot angelaufenen Gesicht ihres Gegenübers. Die etlichen hervortretenden Adern an seiner Nase und die blutunterlaufenen Augen sagten ihr bereits alles, was sie über die Aktivitäten ihren potentiellen Kunden wissen musste. „Ich bin gespannt, wie du das deiner Frau erklären willst. Jolanta wird sicher absolut begeistert sein...“, fügte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue hinzu während ihre Finger einen unsteten Rhythmus auf der Tischplatte klopften. Der Mann brummte noch etwas unverständliches über Wucher und Hexen, ehe er ihr die Münzen hinlegten. Sie grinste breit, wobei sie zwei Zahnlücken offenbarte und schob ihm eine kleine Phiole mit einer grünlichen Flüssigkeit hin. „Du wirst es nicht bereuen.“ Sie sammelte das Geld ein und steckte es in den kleinen Beutel, den sie unter ihrer dreckigen Schürze verbarg, ehe sie ihrem Patienten den Rücken zu kehrte. Sie war sich nicht sicher, ob die Wirkung des Trankes ihn so glücklich machen würde, aber der Ausschlag im Gesicht würde ihn eine Weile von den Mädchen der Freudenhäuser fern halten. Die würden ihr auch danken, wenn sie diesen Grobian nicht mehr ständig ertragen mussten.

    Sie hörte die Tür ins Schloss fallen und streckte ihren Rücken durch, ehe sie zum Feuer ging um nach dem Trank zu schauen, der da leise vor sich hin köchelte. Die tief violette Färbung verriet ihr, dass es Zeit war, die nächsten Zutaten hinzuzufügen. Sie nahm sich Mörser und Stößel und zerrieb eine der kleinen Wurzeln, die im Bündel über der Kochstelle hingen. Als sie sie hinzufügte, zischte die Flüssigkeit im Kessel und nahm nun die Farbe von geronnenem Blut an. Die Kräuterkundige schnupperte daran und brummte zufrieden. Ja, genau sollte das aussehen. Kurz ließ sie das Ganze noch ziehen, ehe sie sich die sauberen Phiolen nahm und mit einer Kelle und einem Trichter nach und nach den Trank einfüllte. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein Windstoß riss ihr die Kräuter von der Leine, die sie da zum Trocknen aufgehängt hatte. Ein paar fielen ins Feuer, wo sie sofort mit einem leisen Rascheln in Flammen aufgingen. Verärgert drehte sie sich zu dem Störenfried um, den sie als einen Matrosen erkannte. Langsam watschelte sie auf ihn zu. „Wie kann ich dir helfen, mein Junge?“, fragte sie und leckte sich über die spröden Lippen. Der Matrose knetete seine Mütze und fühlte sich sichtlich unwohl, während er sich in dem kleinen Raum umschaute. Schweiß lief ihm die Stirn hinab und man sah ihm an, dass er gerne überall wäre, nur nicht hier. Nelli seufzte. „Kann ich nun helfen oder bist du nur hier um meine Zeit zu verschwenden, Jungchen?“ Ihre Stimme klang wie das Knarzen eines alten Türschlosses, das schon sehr, sehr lange Zeit nicht mehr geölt worden war. Der junge Mann zuckte zusammen und schluckte schwer. „Ich...Ich...Ich bin Matrose auf einem der Handelsschiffe. Unser Smutje ist krank und kein anderer Arzt will uns helfen, weil wir nicht bezahlen können“, stotterte er und Nelli stieß abweisend die Luft aus. „Ich arbeite auch nicht für umsonst, Söhnchen“ wiegelte sie ab und wollte sich gerade umdrehen, als der junge Mann einen Schritt auf sie zuging. „Bitte...Ich bitte Euch. Wir reisen mit dem Sohn eines reichen Händlers. Der ist grade an Land um Geschäfte abzuschließen. Ich bin sicher, dass er Euch gut bezahlen wird“, flehte er und schaute sie mit großen Augen, bei denen jedes junge Mädchen schwach geworden wäre. Nelli hingegen erinnerte er so nur an ein Kaninchen, was kurz vor der Schlachtung stand. Dennoch seufzte sie schließlich ergeben. Der Junge tat ihr leid und sie hatte sowieso gerade nichts besseres zu tun. „Na gut...Ich packe meine Tasche und komme gleich mit.“ Die Alte wies den Matrosen an das feuer zu löschen, während sie sich von ihm schildern ließ, was genau den Smutje plagte. Sie nahm ihre große Tasche und begann allerhand Tinkturen und Tränke einzupacken. Das würde auf jeden Fall nicht billig für diesen Händlersohn werden, das konnte sie ihm so schon versprechen. Sie griff nach ihrem Gehstock und drückte dem dankbaren jungen Mann ihre Tasche in die Arme. „Bring mich schon hin“, brummte sie und folgte ihm langsam, immer auf ihren Stock gestützt durch die bevölkerte Stadt. Trotz der späten Stunde waren noch allerhand Menschen unterwegs, die sie unverhohlen musterten und den Seemann mitleidig anstarrten. Sie ließ sich an Bord des Schiffes helfen und begab sich direkt in die Kajüte des kranken Koches, dem wohl sein eigenes Essen nicht bekommen war.

    • Offizieller Beitrag

    Trevor lehnte an der Reling und schaute zum offenen Meer hinaus. Er sinnierte über seine neue Beschäftigung und darüber, dass dieser Edmund naiver war, als Trevor zuvor angenommen hatte. Er hatte der Adligen tatsächlich die Nummer „Ich darf mitreisen, aber wir müssen aus dem Anwesen flüchten“ abgekauft. Aber wer war Trevor schon, dass er Edmund auf diese Lüge hinwies? Ihm war der Schutz dieser Magierin auf jeden Fall lieber. Er kannte die Gewässer, in die Edmund reisen wollte, und schon so manches Schiff war aus dieser Gegend nicht mehr zurückgekehrt. Allerdings beunruhigte Trevor der Blick der jungen Frau, mit dem sie ihn ab und an bedachte. Hatte sie ihn bereits als Formwandler entlarvt? „Schwachsinn“, dachte sich Trevor. Es war ja nicht so, als stünde es ihm auf die Stirn geschrieben. Oder hatte Edmund ihn verpetzt?

    Urplötzlich hörte Trevor etwas hinter sich, das klang, als täte jemand seinen letzten Atemzug. Keuchend, regelrecht pfeifend, schob sich eine alte Frau die Planke zum Schiff hoch, dicht gefolgt von einem jungen Matrosen, den Trevor bereits an Bord dieses Schiffes gesehen hatte.

    „Bist du von einem Rudel streunender Katzen aufgezogen worden?“, krakeelte Trevor und nahm der alten Frau vorsichtig die schwere Tasche ab. „Wie wäre es, wenn du der Dame hilfst?“

    „Aber … Ich … Die Frau …“, stotterte der Matrose vor sich hin, der beinahe Angst vor der alten Dame zu haben schien.

    Trevors Mutter hätte ihn umgehend mit einem Rohrstock vermöbelt, wenn er als junger Mann neben einer alten, schwerbeladenen Frau hergelaufen wäre, ohne ihr die Last abzunehmen. Er mag zwar Pirat geworden sein, aber er war kein … unhöflicher Pirat. „Halt dein Maul und mach … was immer du hier machen sollst!“, schimpfte Trevor weiter und gab dem Matrosen zum Schluss noch eine Schelle gegen den Hinterkopf. Dann widmete er sich der alten Frau. „Verzeiht bitte die Unhöflichkeit dieses … Vollpfostens“, sprach Trevor lächelnd, zückte die gepflückte Blume aus seiner inneren Jackentasche und überreichte sie der alten Frau. Die Blume sah nicht mehr ganz so frisch aus, aber die Alte wirkte auch, als sei sie bereits gestorben, aber zu faul zum Umfallen. „Willkommen auf der Eleftheria! Wie kann ich Euch weiterhelfen? Sucht Ihr jemanden?“

    „Hier soll es einen kranken Smutje geben“, antwortete die alte Frau kichernd. „Ich bin geholt worden, um ihm zu helfen.“

    „Eine Heilerin?“, hakte Trevor nach.

    „So etwas in der Art, ja“, erwiderte die alte Frau und grinste, wodurch ihre unvollständigen Zahnreihen zu sehen waren.

    „Das könnte der Grund sein, warum das Schiff noch nicht abgelegt hat …“, dachte Trevor laut. „Ganz zum Verdruss einer jungen Adligen, die es überaus eilig hat, hier wegzukommen.“

    „Wo ist denn der Smutje?“, wollte die Heilerin wissen und sah sich um. „Wo geht’s lang, Bursche?“

    „Bursche?“, wiederholte Trevor. So war er seit Jahren nicht mehr bezeichnet worden. Aber gut, das Spiel konnte er auch.

    „Na, dann komm mal mit, Oma. Der Smutje wird sicherlich in der Mannschaftsunterkunft liegen.“ Trevor ging voraus und führte die alte Frau unter Deck.

    „Seid Ihr der Händlersohn, der mich danach bezahlen wird?“, wollte die Alte wissen, woraufhin Trevor zu lachen begann.

    „Nein, ich bin sein … Mann für das … Grobe. Ich werde ihn aber umgehend über Euer Dasein in Kenntnis setzen.“

    Der kranke Smutje war nicht zu überhören. Und auch nicht zu überriechen. Er krümmte sich vor Schmerzen in seiner Hängematte und ließ Gase ab, die jeglicher Menschlichkeit entbehrten.

    Trevor stellte die Tasche der alten Dame neben sie ab und ließ die beiden allein. Und das nicht nur, weil ihm speiübel wurde. Er wollte Edmund in seinem Zimmer aufsuchen. Er sollte immerhin erfahren, dass die Crew eigenmächtig eine Heilerin konsultiert und versprochen hatten, er solle sie bezahlen. Das würde sicherlich amüsant werden.

  • Nachdenklich trommelte Esther auf dem Holz herum. Das Schiff war in einem einwandfreien Zustand und – soweit sie dies beurteilen konnte – schwimmendes Vermögen. Sicherlich hatte der Eigner hierfür eine stattliche Summe hingelegt. Der Eleftheria fehlte es an nichts, stellte Esther schnell fest. Doch eines konnte sie weit und breit nicht sehen: gut die Hälfte der Besatzungsmitglieder. Der Steuermann hatte ihr wenig redselig erklärt, dass Edmund ihnen bis zum Tagesanbruch Landgang gewährt hatte und sie vorher gewiss nicht ablegen würden. Als sie dann noch erfuhr, dass der Smutje erkrankt in seiner Matte lag, warf sie ihre letzte Hoffnung über einen früheren Aufbruch endgültig über Bord.

    Plötzlich stieg ihr der Duft von verbrannten Tabak in die Nase und sah aus dem Augenwinkel, wie der Steuermann an seiner Pfeife knabberte. „Sagt mir“, hörte sie die raue Stimme des Seemannes, „kennt Ihr das Ziel dieser Reise?“

    Sie nickte knapp und blickte vom Steuerstand aus auf das Deck hinab, wo sich gerade Edmunds sonderbare Begleiter auf der Reling abstützte. „Und kennt Ihr die Gewässer?“, fragte sie, ohne aber ihr Augenmerk von dem jungen Mann abzuwenden.

    „Nein“, erklärte der Steuermann und paffte an seiner Pfeife. „Aber die Geschichten genügen, um jeden Seebären erzittern zu lassen.“

    Sie ließ die Worte unbeantwortet und beobachtete, wie ein Matrose in Begleitung einer älteren Frau die Eleftheria betrat. Es folgte eine kurze Unterhaltung zwischen den Neuankömmlingen und Edmunds Begleiter. Letzterer nahm die Tasche der Frau an sich und führte diese über das Deck.

    Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich von dem Steuermann und folgte den beiden unter Deck. Solange sie nicht wusste, wer dieser Kerl war, wollte sie ihn lieber im Auge behalten. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn mit einem Zauberspruch zu entlarven, aber sie hatte keine Lust, direkt Keile zwischen die Anwesenden zu treiben. Außerdem schien von ihm zunächst keine unmittelbare Gefahr auszugehen.

    Bevor sie die schützenden Innenräume des Schiffes betrat, warf sie noch einen Blick auf ihre Umgebung. Weit und breit war allerdings noch niemand aus ihrem Elternhaus zu sehen. Sie hoffte, das dies auch so bleiben würde. Obwohl sie sich sicher war, dass ihr Verschwinden bis zum Morgengrauen nicht auffiel, spannte sie sich innerlich an.

    Hab Vertrauen in deine Zauber!

    Nur einen Lidschlag später verschwand sie unter Deck.

    Wenige Schritte später hörte sie Stimmen. Die Tür einer Kabine stand weit offen, sodass Wortfetzen ungehindert nach draußen drangen.

    Sie blieb stehen und lauschte von Neugier getrieben. Jemand berichtete, dass die Matrosen eigenmächtig eine vermeintliche Heilerin geholt hatten, um den kranken Smutje behandeln zu lassen. Daraufhin verstand sie, wie ein anderer sich darüber beschwerte.

    Ein Schmunzeln huschte über ihre Lippen angesichts Edmunds aufgebrachter Stimme und sie klopft kurzerhand gegen die offen stehende Tür. Gleichzeit drehten sowohl Edmund als auch sein Begleiter die Köpfe in die entsprechende Richtung.

    Sie setzte ein verlegenes Lächeln auf. „Wenn sie eine Heilerin ist, dann ist Euer Smutje in den besten Händen“, meinte sie und nahm damit Bezug auf das geführte Gespräch.

    Vermutlich würde die alte Frau ihm nur ein Brechmittel geben.

    Wie von selbst wanderte ihr Blick auf Edmunds Begleiter. „Und Ihr seid?“

    „Trevor“, antwortete dieser knapp und nickte ihr zu. „Der Mann für´s Grobe.“

    Sie zog kurz die Augenbraue hoch und bedachte danach Edmund mit einem Blick.

    „Ich habe Euch eine Kabine direkte neben meiner herrichten lassen“, ergriff der Händlersohn das Wort. Seine Miene hellte sich auf.

    „Vielen Dank“, sagte sie und war froh darüber, nicht bei der restlichen Besatzung schlafen zu müssen. Zu gern hätte sie gewusst, wer dafür das Feld hatte räumen müssen, aber sie verkniff sich die Frage. „Ich bin dann noch ein wenig an der frischen Luft“, schob sie nach und schlenderte wieder zurück. Dass sie es nur tat, um ihre Bannzauber zu überprüfen, eröffnete sie selbstverständlich nicht. Beruhigt stellte sie fest, dass nach wie vor kein Bediensteter ihres Vaters zu entdecken war.

    • Offizieller Beitrag

    Edmund stapfte wütend über das Deck der Eleftheria. Der Bursche von dem Trevor gesprochen hatte, war gerade dabei das Deck zu schruppen, mit Wasser, das beinahe noch dreckiger war als die Planken. Der Mann hielt aber inne, als er Edmund erblickte und zog den Kopf ein. Hätte er sich mal mit dem Rest der Mannschaft einen schönen Abend an Land gemacht. Eigene Blödheit…

    „Ich soll also die Dienste der Heilerin zahlen, ja?“, fragte er und versuchte dabei seinen Zorn zu unterdrücken.

    Der Matrose trat unsicher von einem Fuß auf den anderen und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.

    Edmund stemmte die Hände in die Seiten und sah den jungen Matrosen von oben herab an.

    „Ich…es tut…mir leid … Herr.“

    Ach was…

    Was hatte sein Vater ihm nur für Schwachköpfe überlassen? Hatte er jeden Einfaltspinsel angenommen, der gerade stehen konnte?

    „Was für ein nichtsnutziger Trottel bist du eigentlich? Wer hat dir erlaubt, dieser Hexe eine Bezahlung anzubieten? Und das Geld eines anderen?!“

    „Ähm … niemand … aber wir … ich…“

    „Hör mit dem Gestammel auf!“

    Der Kerl zog den Kopf zwischen die Schultern und knetete seine Mütze.

    „Ich dachte, das wäre die einzige Möglichkeit. Sie war die letzte Heilerin, die ich auftreiben konnte.“

    „Ach halt den Mund!“ Edmund rümpfte die Nase. „Deine Stimme schmerzt meine Ohren.“

    Edmund musterte ihn noch eine Weile.

    „Du bist gefeuert!“

    Was er brauchte, waren Männer, die machten, was er sagte und keine eigenmächtigen Entscheidungen trafen.

    „Aber … “

    Ein anderer Matrose trat zu ihnen, eine halb gerauchte Pfeife in der Hand. Der Kerl hatte filzige, graue Haare und sah aus wie eine ältere Version des jungen Matrosen.

    „Herr, das ist mein Sohn.“

    „Prima.“ Edmund warf die Arme in die Luft. Das war eine ganz zauberhafte Information.

    Er deutete zum Hafen.

    „Dann kannst du gleich mitgehen!“

    „Herr bitte“, flehte der ältere Mann. Er beugte seinen Oberkörper nach vorn, als wollte er die Planken mit der Zunge sauber lecken. „Wir sind auf das Geld angewiesen, das wir hier verdienen … “

    „… Ist das mein Problem?“, gab Edmund unbeeindruckt zurück.

    „Meinem Sohn tut es leid. Es war dumm.“ Der Alte drückte seinen Sohn ebenfalls nach unten und stieß ihm in die Seite, worauf hin der Bursche eine Entschuldigung murmelte.

    „Wenn ich etwas einwerfen darf“, meldete sich der Matrose zu Wort, der ihn zum Anwesen des Grafen begleitet hatte. Sein Name war irgendwas Unbedeutendes mit T oder so. „Der Kerl ist der Steuermann … ähm, es wäre sicherlich von Vorteil, wenn wir ihn behalten würden.“

    Edmund massierte sich genervt mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Er blickte zu der runzligen alten Frau, die sichtlich amüsiert aus dem inneren des Schiffes trat.

    Er wollte diese Frau nicht auf dem Schiff. Irgendwie beunruhigte ihn allein ihre Anwesenheit.

    Was hätte sein Vater an seiner Stelle getan? Vermutlich wäre es bei ihm niemals so weit gekommen, dass die Mannschaft eigenmächtige Entscheidungen traf und einfach sein Geld vergab.

    „Ich nehme an, der Smutje hat von seinem eigenen Fraß gegessen? Bekommt Ihr ihn wieder hin?“

    Die hässliche alte Schabracke nickte zuversichtlich.

    „Glückwunsch“, meinte Edmund an den Matrosen gewandt. „Du wurdest soeben befördert und wirst ab jetzt machen, was die Hexe von dir verlangt und dein Verdienst geht direkt als Zahlung an die Alte.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und nun verschwindet. Wenn ich eure hässliche Visage noch einmal ertragen muss, fliegt ihr von Bord.“

    Der Steuermann nickte und schob seinen Sohn davon. Der Bursche verbeugte sich und rannte los.

    „Vergiss deinen Eimer nicht!“, brüllte Trevor ihm nach. „Das Unterdeck muss geschruppt werden.“

    Edmund holte Luft und wollte gerade Trevor anpaffen, dass er nichts zu befehlen hatte. Doch als der Matrose zusammenzuckte und zurück stolperte, zuckte er nur die Schultern.

    „Und nehmt gefälligst sauberes Wasser dafür“, fügte er hinzu.

    Er wandte sich wieder an die Hexe.

    „Wenn Ihr fertig seid, könnt Ihr Euch bezüglich der Bezahlung bei mir melden. Wir bleiben noch einen Tag im Hafen liegen, ich spreche morgen mit dem Hafenmeister.“

    Die alte Vettel wollte er sicherlich nicht länger als nötig an Bord haben.

    „Ähm. Das geht nicht!“ Esther trat zwei eilige Schritte an ihn heran. Edmund bewunderte einen Moment die braunen Locken, die sich im leichten Wind wogen. Die schönen goldenen Augen, die in der Dunkelheit und dem Fackelschein zu leuchten schienen. Seine Wut verrauchte. Dann hob er eine Augenbraue.

    „Warum sollte das nicht gehen?“

    Esther zögerte nur einen kurzen Moment.

    „Vater erwartet ein weiteres Handelsschiff und braucht dafür den Anlieger. Die Gebühr würde sich verdoppeln, wenn Ihr weiter hier bleiben wollt.“

    Edmund musterte sie. Warum gab sie es nicht einfach zu? Ein derart überstürzter Aufbruch aus dem Anwesen und diese Eile: Selbst ihm war klar, dass der Graf seiner Tochter eine solche Reise nicht erlaubt hatte. Natürlich freute er sich, dass sie es dennoch bevorzugte, die Reise zu begleiten, - was zweifellos an seiner Ausstrahlung lag – und er würde mit den Konsequenzen leben, aber wenigstens zugeben konnte sie es doch. Oder?

    „Dann werde ich mit Eurem Vater nochmal reden.“ Er blickte zu der alten Frau. Es fiel ihm schwer, ihr zu trauen. Sie wirkte eher als hätte sie einen Heiler dringender nötig. Oder einen Totengräber. Er hatte keine Lust auf See den Ausbruch einer Krankheit zu verbuchen, nur weil die Alte vielleicht nicht mehr richtig sehen konnte oder senil war, und den Kerl deshalb falsch behandelte.. „Wir brauchen eine zuverlässige Mannschaft. Ich will die alte ...", er sah kurz zu der Hexe, „Dame nicht zwingen mitzureisen, auf ihre späten Tage. Wir werden einen Koch brauchen und wenn es doch mehr als nur eine Magenverstimmung ist, riskieren wir auf See alle krank zu werden. Euer Vater wird das sicher verstehen.“ Er beobachtete Esthers Reaktion. Diese schien mit sich zu hadern.

    „Also ich für meinen Teil hätte nichts gegen eine kleine Reise", mischte sich die Alte ein.

    „Aber ich dagegen, dass Ihr mitreist!“, zischte Edmund. Verschwor sich nun alles gegen ihn? Niemand nahm seine Autorität ernst! Er würde sie nicht mitnehmen! Sie war alt und wer wusste, was sie auf See erwartete. Was die Mannschaft brauchte, war sicherlich kein Mütterchen, das schon auf der Schwelle zum Tod stand. Ihren Tod würde er sich nicht auf die Segel streichen.

  • Der Smutje schlief wenig später absolut entspannt, die Tränke zeigten fast augenblicklich ihre Wirkung. Das leise Grummeln seines Magens zeigte, dass sich dort alles zu lösen schien. Nelli streckte ihre Glieder und richtete sich ein wenig mehr auf. Ihr Blick fiel auf die Blume, die der junge Mann ihr geschenkt hatte und ein leises Kichern kam über ihre Lippen. Schon lange war niemand mehr so charmant zu ihr gewesen und sie durchaus bereit, dass allein schon als Bezahlung gelten zu lassen.

    Jedenfalls so lange, bis sie einen krakeelenden, schreienden Kerl auf dem Deck sah, der anscheinend der Händlersohn zu sein schien. Er erinnerte sie an ein kleines, verwöhntes Kind, dass seinen Willen nicht bekommen hatte. Er zeterte, keifte und fauchte seine Mannschaft an. Vielleicht auch eher ein altes, zickiges Waschweib, wenn sie es sich so recht überlegte. Oder eine Mischung aus beidem. Nelli schmunzelte bei so viel jugendlicher Dummheit und hörte sich das Ganze ruhig an. Als er jedoch begann, gegen sie zu wettern, verlor sie langsam aber sicher die Geduld.

    Macht Euch keine Sorgen, Herr. Der Smutje wird bald wieder auf den Beinen sein“, merkte sie ruhig an und lächelte nachgiebig.

    Und Ihr seht aus, als könntet Ihr einen Tee vertragen. Es tut mir sehr leid, falls meine Anwesenheit Euch so viel Ärger bereitet.“ Sie tätschelte ihm sanft den Arm und stützte sich dann wieder auf den Stock. Ihr Blick glitt zu der jungen Adligen, die auch irgendwie unzufrieden wirkte. „Und Eure Frau scheint auch einen Tee vertragen zu können.“ Nelli genoss es das Farbenspiel im Gesicht der Frau beobachten zu können, während der Händlersohn sichtlich angetan von dem Gedanken zu sein schien.

    Ich bin nicht seine Frau...“, brachte die Dunkelhaarige empört hervor, woraufhin Nelli ein entsetztes Gesicht aufsetzte.

    Nicht? Ich hätte schwören können, dass da eine Schwingung zwischen Ihnen beiden ist. Ich entschuldige mich vielmals. Anscheinend trügen mich meine Sinne...“ Die Alte schaute zu dem jungen Mann, der ihr die Blume geschenkt hatte.

    Söhnchen, könntest du mir die Kombüse zeigen? Dann mache ich noch einen Tee zur Beruhigung und lasse die Herrschaften dann mit ihrem Schicksal allein.“ Der junge Matrose warf ihr einen amüsierten Blick zu und nahm ihr erneut ihre Tasche ab.

    Komm, Oma, ich zeige dir den Weg.“ Sie hakte sich bei ihm ein und ließ sich in die Kombüse führen, bevor ihr jemand widersprechen konnte. Der quengelige Händlersohn würde schon noch Respekt lernen, dafür würde sie sorgen. Mal sehen, ob er sie wirklich so dringend würde los werden wollen. Ihr stand der Sinn nach einem neuen Abenteuer, diese Stadt und ihre Bewohner langweilte sie und es wurde Zeit, weiter zu ziehen. Dies schien für sie die perfekte Möglichkeit zu sein, auch wenn sie dafür vielleicht etwas tiefer würde in die Trickkiste greifen müssen.

    In der Küche setzte sie Wasser auf und kramte in ihrer Tasche nach den passenden Kräutern und mischte zwei verschiedene zusammen. Ein Tee für die junge Dame und einen für dieses verwöhnte Kind. Beide mit völlig unterschiedlicher Wirkung. Der eine belebend und erfrischend und der andere mit eher einschläfernder Wirkung. Und mit ein paar unangenehmeren Nebenwirkungen, die ihm hoffentlich etwas Demut beibringen würden.

    • Offizieller Beitrag

    Trevor begleitete die alte Dame in die Kombüse und stellte ihr zwei Gusstöpfe auf die Herdplatte. Das benötigte Feuer darin hatte er schnell entfacht, während die Heilerin ihre Kräuter sortierte und mischte. Die Tees köchelten und die alte Frau warf nacheinander unterschiedliche gemahlene Kräuter hinein.
    „Ist das eigentlich deine richtige Gestalt oder befindest du dich gerade in einer Wandlung?“, fragte die Alte nach einer Weile an Trevor gerichtet, der in seiner Bewegung innehielt und den Holzscheit nicht umgehend in den Ofen steckte.
    „Was?“, fragte Trevor mit hoher Fistelstimme und räusperte sich umgehend. „Was?“, wiederholte er dann mit tieferer Stimme.
    „Jungchen, ich bin schon ein paar Jahre auf der Welt … und bin bereits ein paar Formwandlern begegnet. Ihr habt diese seltsame Aura um euch. So eine Art zittrige Sphäre. Gute Magier oder … Hexen wie ich riechen euch eine Meile gegen den Wind.“
    „Hexe?“, fragte Trevor verunsichert und roch nebenbei an seiner Kleidung. Eine Meile gegen den Wind? So etwas ging? Und was war eine Sphäre?
    Die Alte lachte. „Wenn ich ehrlich zu dir bin, fällt es dir vielleicht leichter, das auch zu mir zu sein. Und keine Sorge, ich werde schon niemanden etwas sagen. Wäre ja schade um das hübsche Gesicht.“
    Trevors Gesicht lief zu einer vollreifen Tomate an. „Ich sage … mal nicht, dass ich keiner bin“, rang er sich das Zugeständnis ab. „Und befinde mich derzeit zumindest in keiner Wandlung.“
    Schmunzelnd nahm die Alte das hin. „Man nennt mich übrigens Nelli. Und wenn ich ehrlich bin, gefällt mir eure Gruppe so gut, dass ich mich gerne anschließen würde.“
    Nun lachte Trevor. „Das glaube ich nicht. Wir reisen in ziemlich gefährliche Gewässer.“
    „Genau deswegen ja“, antwortete die Hexe. „Bevor ich von der Welt abtrete, will ich noch einmal ein Abenteuer erleben. Die Stadt ist ziemlich langweilig geworden. Früher war ich nie lange an einem Ort, aber mir fehlte der Antrieb.“
    Das konnte Trevor irgendwie nachvollziehen. Auch, wenn er sich nach einer Art Sesshaftigkeit sehnte, war das Leben auf See wenigstens nie langweilig oder eintönig gewesen. Das würde er vermutlich irgendwann am meisten vermissen, wobei er sich nie als Bauer sah, der tagtäglich die gleiche Arbeit verrichtete.
    „Die hübsche, junge Frau nehmt ihr doch auch mit“, wandte Nelli ein.
    „Sie ist eine Magierin und hilft uns mit Schutzzaubern …“
    „Und wer kuriert eure Wunden oder Verletzungen?“
    Das war in der Tat eine gute Frage. Allerdings glaubte Trevor nicht, dass Edmund eine Hexe ohne Weiteres mitnahm. Das hatte er an Deck schon sehr deutlich gemacht. Nach der Diskussion mit ihm, ahnte Trevor, dass Edmund nur jemanden mitnahm, wenn er einen Vorteil aus ihm ziehen konnte. Keinen böswilligen Vorteil, aber reine Nächstenliebe reichte eben auch nicht.
    „Ach … das wäre nochmal schön. Eine solches Abenteuer, bevor der Sensenmann an meine Haustür klopft …“, säuselte Nelli, und Trevor zog seine Brauen tief in sein Gesicht.
    War ja klar, dass er wieder auf diese Mitleidsnummer anspringen musste. Egal welches Alter Frauen besaßen. Es war bei ihm wie mit kleinen Tieren. Wenn sie ihn nur einmal ansahen … Genauso war er in Gefangenschaft geraten. Er hatte die Form einer jungen Frau angenommen, damit diese nicht als Geisel genommen worden war, da sein Piratenschiff, dass das Schiff geentert hatte, kein Handels- sondern Reiseschiff überfallen hatte. Er hatte dem stumpfsinnigen Kapitän gleich gesagt, dass dort keine Waren oder Reichtümer zu finden waren, aber niemand hatte auf ihn gehört. Und dann war er von seiner eigenen Mannschaft verschleppt worden. Aber immerhin … die Gesichter, als Trevor die Wandlung nicht mehr aufrechterhalten konnte, waren unbezahlbar gewesen. Keine reiche Tochter saß im Käfig, für die sie Lösegeld bekommen konnten, sondern das neue Mannschaftsmitglied. Blöd nur, dass sie dadurch seine Wandlerfähigkeiten erkannt hatten. Trotzdem … er musste sich abgewöhnen, auf jede vorgeschobene Unterlippe anzuspringen. Das nahm er sich vor … nach Nelli.
    „Ich werde mit Edmund reden. Eine ältere Hexe … Heilerin an Bord zu haben, ist besser, als gar keine. Das mit der Hexe solltest du dir aber für einen späteren Zeitpunkt aufheben.“
    „Spätestens nachdem der Händlersohn sich etwas entspannt hat“, erwiderte Nelli mit einem seltsamen Blitzen in den Augen. „Der Tee ist fertig!“
    Trevor stellte zwei Tassen bereit, während Nelli die Tees mit einer Kehle füllte.
    Trevor bekam bei der Tasse, die für Edmund bestimmt war, ein komisches Gefühl. Das Blitzen in den Augen der Hexe … der Fokus auf Entspannung. In erster Linie hatte Trevor versprochen, Edmund zu beschützen. Und Nelli konnte Trevor so viele Komplimente machen, wie sie wollte, er war auch nicht erst seit gestern auf der Welt. „Geh nur schon vor“, wandte Trevor ein. „Ich nehme die Tassen. An Bord ist es ziemlich … wacklig. Und du benötigst zum Gehen bereits einen Stock. Das Esszimmer ist auf der anderen Seite des Decks. Der Vorraum vor den Gästezimmern.“
    Die Hexe verließ zusammen mit Trevor die Kombüse. Er entdeckte dabei den jungen Matrosen, der ihn auf eine Idee brachte. „Ach, jetzt hätte ich beinahe das feine Gebäck vergessen. Edmund hasst es, Tee ohne Gebäck serviert zu bekommen. Ich hole es schnell. Ansonsten kannst du dein Anliegen sofort vergessen“, log Trevor. „Sag meinem Herrn, dass ich gleich da bin.“
    Nelli musterte Trevor skeptisch, und dieser grinste das unschuldigste Grinsen, das er auf Lager hatte. Das genügte anscheinend, sodass die Hexe weiterlief. „Na schön, Jungchen. Vertauscht die Tassen nur nicht. Der Sohnemann erscheint mir aufgedreht genug.“
    „Niemals …“, antwortete Trevor mit tiefer Stimme, und ging die Stufen zurück unter Deck. Bevor er sich für Nelli aussprach, musste er sichergehen, dass die Alte nicht versuchte, sie alle umzubringen. Deshalb stellte er Esthers Tasse in der Kombüse ab und begab sich in die Mannschaftsunterkünfte. „Oh … Francis“, rief Trevor melodisch. „Du siehst unheimlich müde aus. Tee?“
    „Tee?“
    „Tee!“, versicherte Trevor.
    Der musternde Blick des Matrosen entging ihm nicht. „Trink. Den. Tee!“, stieß er durch zusammengebissene Zähne empor. „Oder willst du mich beleidigen?“
    Mit zittrigen Händen nahm der Matrose skeptisch den Tee entgegen. Das Porzellan klapperte auf dem Unterteller und Francis nippte daran. „Der ist gut!“, sagte er und nahm einen größeren Schluck.
    Hatte sich Trevor vielleicht geirrt und der Tee war harmlos?
    „Sehr gu…“, wollte der Matrose wiederholen und klappte wie ein nasser Sack nach hinten. Schnell überprüfte Trevor, ob der junge Mann noch atmete, aber das laute Schnarchen verriet es ihm bereits.
    „Ein Schlaftee!“, stieß Trevor fast erleichtert aus. Vermutlich sollte das ein kleiner Racheakt an Edmund sein, den Trevor der Hexe nicht mal verübeln konnte. Immerhin war er nicht zimperlich im Umgang mit anderen Menschen. Vor allem in seiner Wortwahl. Aber das wäre für eine Weiterreise sicherlich nicht förderlich gewesen. Die reichen Herrschaften sahen das weniger als Streich, eher als Attentat. Er nahm sich vor, das mit der Hexe noch einmal zu besprechen, aber das hob er sich erstmal für später auf. Sie war eine talentierte Kräuterkundige und vermutlich mehr, als sie in ihr vorerst sahen, weshalb Trevor beschloss, dass es besser war, sie dabei zu haben und sie nicht zu brauchen, als umgedreht.
    Trevor betrachtete den schnarchenden Matrosen, warf ihn sich über die Schulter und dann kurzerhand in eine Hängematte. Da Hängematten aber die Angewohnheit besaßen, sich zusammenzuziehen, landete Francis auf der anderen Seite auf dem Fußboden.
    So geht es auch …
    Trevor griff in seine Seitentasche, in der sich ein geliehener Flachmann befand. Er schüttete den darin befindlichen Rum über den Matrosen, damit es wirkte, als hatte er zu tief ins Fass geschaut. Danach richtete Trevor pfeifend für Edmund eine zweite Tasse des Tees her, der auch für Esther bestimmt war. Den restlichen Schlaftee kippte er sich in den Flachmann. So etwas konnte nie schaden, dabei zu haben. Dann ging Trevor mit den beiden Tassen und trockenen Keksen aus der Kombüse ins Esszimmer der gehobenen Herrschaften. Er stellte Esther und Edmund den Tee vor die Nase und setzte sich Nelli gegenüber.
    „Ist das nicht eine nette Geste der Heilerin?“, wollte Trevor von den beiden wissen.
    Esther wirkte genauso skeptisch wie Edmund. Aber nachdem beide von dem Tee gekostet hatten, schienen sie positiv überrascht.
    „Nicht schlecht …“, erwiderte Edmund beinahe freundlich, „für Tee.“
    „Die Kekse sind etwas trocken“, sagte Esther hustend und legte ihren räuspernd neben die Tasse.
    Kein Wunder. Die sind vermutlich so alt wie Nelli.
    „Ich bin ja dafür, dass wir die Heilerin mitnehmen“, wandte Trevor schließlich ein und grinste jeden über beide Wangen an. Er wusste, dass er mit der Tür ins Haus fiel, aber anders ging es wohl nicht. Edmund hätte ansonssten nur wieder gefragt, wann die alte Frau von Bord verschwindet. „Eine ältere Heilerin ist besser als keine. Vor allem dorthin, wo wir hinwollen. Und wenn Ihr, Edmund, Bedenken wegen ihres Alters habt, dann werde ich eben ihr auch etwas helfen. Ich konnte mich von ihrem Können … überzeugen … und glaube, das könnte äußerst amüsant werden. Zu unserem Vorteil vielmehr ...“
    Trevor lehnte sich entspannt zurück. Dabei entging ihm der fragende Blick von Nelli nicht, den sie Edmund zuwarf. Und jener lag vermutlich nicht daran, dass sie seine Antwort abwartete, sondern vielmehr daran, dass der reiche Sohnemann noch nicht mit dem Gesicht den Tisch liebkoste.

  • Zunächst hielt Esther nichts davon, die ältere Frau mit auf die Reise zu nehmen. In der Hinsicht war sie mit Edmund einer Meinung, auch wenn sie selbst eine andere Wortwahl bevorzugt hätte. Aber im nächsten Moment schoss ihr etwas durch den Kopf und sie hätte sich beinahe selber gegen die Stirn geschlagen. Sie wusste nicht, ob es war brachte, aber den Versuch war es wert.

    „Auf gar keinen Fall!“, zeterte Edmund los und stellte die Tasse auf den kleinen Tisch zurück. Er holte für einen neuerlichen Schwall Worte Luft. „Ich habe vorhin schon Gründe vorgebracht, warum ich sie nicht länger auf dem Schiff sehen …“

    „Ich stimme Trevor zu“, unterbrach Esther ihn schnell und nippte an dem Tee. Sie musste gestehen, dass dieser unheimlich gut tat und sie – zumindest für den Moment – etwas aufhellte. „Eine Heilkundige an Bord zu haben, dürfte für uns alle von Vorteil sein. Ich bin zwar eine Magierin, aber meine Kenntnisse in der Heilkunst sind nicht großartig ausgeprägt.“ Gar nicht, traf es zwar besser, aber in ihren Ohren klang es schöner, wenn sie sich nicht direkt herabstufte.

    Während das Gesicht der Alten zufrieden wirkte, sah Edmund aus als würde er gleich in Ohnmacht fallen.

    Dann massierte er mit den Fingerspitzen seine Schläfen und schloss die Augen. „Also gut“, keuchte er und spießte Trevor mit einem Blick auf. „Du bist mir für sie verantwortlich!“

    Esther verbarg sich erneut hinter ihrer Tasse und sah die anderen drei abwechselnd an. „Damit besteht wohl auch kein Grund mehr, einen weiteren Tag mit der Abreise zu warten, oder?“, fragte sie zwischen zwei Schlucken.

    Gefährlich langsam drehte der Händlersohn den Kopf zu ihr herum, doch bevor er etwas sagen konnte, deutete sie mit ihrer Tasse auf die … Heilerin.

    „Sie kann den Smutje unterwegs behandeln und ihn währenddessen vertreten. Wer so guten Tee kocht, wird auch Mahlzeiten zubereiten können“, meinte sie. Außerdem bot eine Seereise kaum Abwechslung was die Speisen betraf und somit sank der Anspruch um einiges nach unten. „Und er“, sprach sie weiter und schwenkte ihre Tasse in Trevors Richtung, „hat zugesichert, der Heilerin zu helfen.“

    Trevor und die ältere Frau wechselten einen Blick.

    Als sie Edmund ins Gesicht sah, spürte sie die Anspannung in sich steigen. Entweder hatte sie ihn endgültig provoziert oder überredet. Sie war sich nicht sicher, aber sie konnte seinen Mundwinkel zucken sehen.

    „Trevor, sag dem Steuermann, dass wir im Morgengrauen ablegen“, wies Edmund an, ohne aber Esther aus den Augen zu lassen.

    Fast hätte sie aufgejubelt. Sich bis Tagesanbruch zu verbergen, würde ein Kinderspiel werden! Aber etwas im Blick des Händlersohns gemahnte sie zur Vorsicht. Ob er etwas von ihrem kleinen Schwindel bemerkte? Unsinn …

    Innerlich seufzte sie und entschied sich, die Sache aufzulösen – sobald sie Silberberg hinter sich gelassen hatten. Solange müsste sie das Geheimnis noch für sich behalten. Zur Sicherheit.

    Wo sie aber schon einmal bei Geheimnissen war …

    „Trevor!“, hielt sie den jungen Mann zurück, der in Begriff war, mit der älteren Frau die Kabine zu verlassen.

    Es war an der Zeit, zu ergründen, was er war. Sie hatte keine Lust, hinterrücks von einer seltsamen Kreatur erdolcht zu werden oder gar schlimmeres.

    Während Trevor sich zu ihnen herumdrehte, schoss Esther in die Höhe, zog in einer fließenden Bewegung ihren Zauberstab aus dem Gürtel und hielt ihn dem jungen Mann direkt unter die Nase.

    Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Edmund ebenfalls aufsprang und in seiner Hast den Stuhl umstieß.

    Die Heilerin regte sich nicht.

    Trevor verharrte zunächst in seiner Bewegung, hob dann aber langsam beide Hände auf Kopfhöhe.

    Schnell murmelte Esther die entsprechende Zauberformel und schmunzelte über das Ergebnis. „Formwandler“, sagte sie. „Ich habe gleich gespürt, dass an Eurer Präsenz etwas nicht stimmt.“

    Trevors Gesichtsausdruck glich dem eines geprügelten Hundes und unweigerlich fragte sie sich, ob Edmund wusste, wen oder was er da mit schliff.

    Sie blickte über ihre Schulter und konnte weder Überraschung noch Bestürzung in seinem Gesicht sehen. Nachdenklich wandte sie sich an den Wandler und steckte den Stab ein. „Es ist mir gleich, was Ihr mit der Information macht, Edmund“, sagte sie und ging an Trevor vorbei, der sie lauernd ansah. „Was?“, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. „Es gibt Orte, an denen Magier wie ich gejagt werden. Ich wollte nur wissen, mit wem ich es zu tun habe.“ Damit wäre auch diese Hürde geschafft.

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    Edmund fuhr sich über das Gesicht und ließ sich zurück in den Sessel fallen. Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er erleichtert war. Als Esther den Stab auf Trevor gerichtet hatte, war er für einen Moment vom Schlimmsten ausgegangen.

    Er sah zu Trevor und der alten Frau, die noch immer im Raum standen. Die faltige Alte wirkte nicht überrascht über die Enthüllung. Hatte sie es bereits gewusst oder verbarg sie es gut? Ging von ihr eine unmittelbare Gefahr aus? Zumindest wirkte sie nicht, als würde sie gleich kreischend von Bord rennen, und überall in Silberberg verkünden, dass er einen Formwandler versteckte. Ob die Alte überhaupt noch rennen konnte? Davon abgesehen würde ihn ihr Verschwinden nicht stören – was wiederum hieß, dass er sie definitiv nicht loswurde.

    Er beschloss, sie dennoch im Auge zu behalten. Nicht nur wegen Trevor … auf keinen Fall wegen ihm! Wegen ihm war die alte Vettel ja überhaupt noch da! Sondern weil er ihr nicht traute. Genau!

    „Was ist mit euch? Braucht ihr eine Einladung?“, blaffte er, um seine Verunsicherung zu verschleiern. Die natürlich gar nicht wirklich existierte! „Habt ihr keine Aufgaben, die ihr erledigen müsst?!“

    Der Blick der Alten mahnte ihn nochmal nachdrücklich zur Vorsicht. Er würde sich Augen am Hinterkopf wachsen lassen und mit Sicherheit nichts anfassen oder Essen, an dem sie die Finger gehabt hatte. Tatsächlich schmeckte der Tee gar nicht so schlecht, aber das musste er sie ja nicht unnötig oft wissen lassen.

    Schlimm genug, dass sie nun mit ihnen reisen würde. Naja. Sollte sie sterben, konnte er diese Schuld bequem auf Trevor und Esther abschieben.

    Die Hexe trollte sich mit einem Grinsen, das er nicht deuten konnte und auch Trevor machte sich davon.

    „Ach, und in meinem Zimmer liegen Schuhe, die poliert werden wollen und Kleidung, die gewaschen werden muss“, rief er Trevor nach. Dieser bleib stehen und sah zu ihm zurück.

    Edmund erhob sich von seinem Stuhl und durchquerte den Raum.

    „Morgen will ich vor Sonnenaufgang geweckt werden und nach dem Ablegen ein Frühstück an Deck genießen. Kümmere dich darum. Und vor allem kümmere dich darum, dass die Alte meinen Speisen nicht zu nahe kommt!“ Als er mit dem Wandler auf gleicher Höhe war, blieb er stehen und musterte ihn grimmig. „Und fall mir nie wieder in den Rücken, verstanden!? Ich mag dich aus deinem Käfig geholt haben, aber es ist ein Leichtes, dich und dein Geheimnis irgendwo gewinnbringend wieder zu verkaufen.“

    Trevor blickte ihn an, als wollte er etwas sagen, eine Verteidigung vorbringen, dann nickte er aber nur.

    Edmund lief an ihm vorbei, um Ruhe in seinem eigenen Zimmer zu suchen.

    Was sprach eigentlich dagegen, sich mit einem Teil der Ware aus dem Staub zu machen und diesen ganzen Chaoten das Schiff zu überlassen? Sollten sie doch wen anderes mit ihren dummen Argumenten und Geheimnissen nerven!

    Aber sein Vater würde davon erfahren. Und egal wie: er würde ihn finden.

    Bei dem Gedanken durchfuhr ihn eine Gänsehaut.


    Der nächste Morgen begann viel zu früh. Trevor weckte ihn zu seiner eigenen Überraschung zuverlässig. Gerade, als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont krochen.

    Edmund unterdessen kroch stöhnend unter seine Decke zurück. Trotz der Erschöpfung und dem ganzen Gelaufe tags zuvor, war er noch lang wach gewesen und hatte zwei der Seekarten studiert, die er mit sich führte, sowie die Ausgaben notiert und die nächsten Tage geplant. Die Eleftheria war beladen und abfahrbereit. Mittlerweile sollten auch die letzten Matrosen ihren Weg zurückgefunden haben.

    Ohne seine Wenigkeit würden sie den Hafen aber nicht verlassen können! Er musste die Anweisungen geben, ohne die seine Mannschaft aufgeschmissen sein würde.

    Aber das hatte sicherlich noch fünf Minuten Zeit …

    Als er schließlich angezogen an Deck stand – das hatte er selbst machen müssen, da dieser Faulpelz Trevor nicht einmal hatte warten können, bis er aufgestanden war, um ihm dabei zu helfen – fingen die Segel bereits den Wind ein und die Eleftheria bewegte sich auf die offene See zu. Hinter ihm wurde der Hafen von Silberberg bereits kleiner und kleiner.

    Edmund blinzelte einige Male ungläubig in die Sonne.

    Die Mannschaft ging wie die Male zuvor routinemäßig ihrer Arbeit nach.

    Das war das Letzte!

    Er lief an dem jungen Matrosen vom Vortag vorbei, der mit seltsam verkniffenem Gesicht über der Reling hing. War der Kerl etwa seekrank? Was ein schlechter Seemann!

    „Hast du nichts zu tun?!“, blaffte Edmund ungehalten. Der Mann gab ein resigniertes Seufzen von sich. „Dann füttere das Vieh und überprüfe anschließend Mast und Segel! Ich will nicht, dass das Schiff im nächsten Sturm auseinanderfällt!“

    Der Matrose sah ihn mit grünem Gesicht an, verbeugte sich, kniff dabei das Gesicht zusammen und stapfte schwankend unter Deck zu den Tieren.

    Edmund sah ihm finster nach. Gut! Und wenn er jetzt kein angemessenes Frühstück bekam, würden Köpfe rollen!

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    Trevor hatte keine Lust, den Zorn von Edmund noch weiter auf sich zu ziehen und quatierte Nelli zunächst in eines der freien Zimmer ein, bevor er sich an die Aufgaben machte, die Edmund ihm aufgetragen hatte. Die Jahre als Schiffsjunge steckten noch in ihm, weshalb ihm das alles nicht schwerfiel. Dabei war es egal, ob man einem Kapitän der Marine oder einem Piraten diente. Die Jungen besaßen überall die gleiche Stellung.
    Nachdem die Sonne untergegangen war, hörte er die Mannschaft noch etwas unter Deck singen und feiern. Allerdings war Trevor sicherlich nicht danach, sich ihnen anzuschließen. Er ließ seinen Nacken kreisen und spürte noch immer die Enge der Kiste in seinen Knochen, in der er tagelang gesessen hatte. Er fühlte sich wie ein Stock im Wind … oder doch eher wie ein Storch im Salat? Irgendetwas dazwischen. Seine Glieder waren steif, und das viele Hin- und Herlaufen machte es nicht besser. Es ging Richtung Sarima. Trevor machte sich nicht die Illusion, dass sie unbeschadet durch diese Gegend kamen. Und meist war es der Muskelkraft der Besatzung geschuldet, ob ein Schiff erfolgreich einen Sturm passierte oder nicht. Deswegen hatte sein ehemaliger Kapitän keine Schwachmaten um sich geduldet. Das rettete Silberaugen Johnny zwar auch nicht vor der Gefangennahme der Marine und seiner Erhängung, aber Trevor hatte so gelernt, auf sich zu achten.
    Als es leicht anfing zu regnen, zog sich Trevor sein feines Hemd und die Jacke aus und legte die Sachen über die Nagelbank. Edmund würde ihn vermutlich Kielholen lassen, wenn auch nur ein Faden an der Kleidung lose herumhing.
    Trevor begann, sich an der Innenseite der Webleinen des Großmastes hoch zu hangeln.
    Bei den Wesen des Meeres, ich krepiere gleich …
    Ja, er war alles andere als fit, aber da er niemanden in der Gruppe sah, der körperliche Anstrengungen gewohnt war, wollte er lieber nichts dem Zufall überlassen. Edmund würde wohl kaum beim Einholen der Leinen Blasen an seinen Händen riskieren …
    Nachdem er den Untermast komplett erklommen hatte, kletterte er auf gleichem Weg wieder nach unten und wiederholte das alles viermal. Es half auch dabei, seinen Verstand zu klären. Obwohl er derzeit niedere Arbeiten erledigte, war es doch das Beste, was ihm seit langem passiert war. Er war nicht mit dummen Piraten unterwegs, die ein Passagierschiff nicht von einem Handelsschiff unterscheiden konnten. Zudem war seine alte Crew entweder tot oder in alle Himmelsrichtungen zerstreut, nachdem das Schiff von Silberaugen Johnny von der Marine überrannt worden war. Trevor hatte nur überlebt, da sein Kapitän ihn bewusstlos geschlagen und dann über Bord geworfen hatte. Eine fast väterliche Geste, die aber Trevor mit einem schlechten Gewissen zurückließ. Vielleicht hätte er seinem Kapitän helfen können. Vielleicht sollte es einfach nicht sein.
    Trevor schnappte sich danach seine Oberbekleidung und klemmte sie unter seinen Arm. Sie wieder anzuziehen war sinnlos, nachdem er vorzog, früh ins Bett zu gehen. Sein kleines Zimmer, das Edmund ihn zugeteilt hatte, befand sich seinem gegenüber. Es war ein Bediensteten-Zimmer, aber so musste Trevor nicht bei der Mannschaft schlafen. Ihm genügten zudem ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl, um es bereits als luxuriös abzutun. Dennoch war da eine Kleinigkeit, die an ihm nagte. Auf halben Weg ging er noch einmal ein paar Schritte rückwärts und klopfte an das Zimmer der jungen Magierin. Etwas genervt trommelte er mit seinen Fingern auf den Türrahmen herum, nachdem er erst nach dem zweiten Klopfen Geräusche aus dem Zimmer vernahm.
    Esther öffnete die Tür und schaute Trevor nachdenklich an, bevor sie ihn schlussendlich hineinbat.
    „Würdet Ihr Euch etwas überziehen?“, bat sie ihn dann und schloss die Tür.
    Trevor schaute an sich hinunter. Stimmte etwas an ihm nicht? Viele Seeleute liefen ohne Oberbekleidung an Deck herum. Er seufzte und zog sich kurzerhand das Hemd über den Kopf. Wenn die Gräfin etwas dagegen hatte, wollte er wegen solch einer Kleinigkeit keinen Streit vom Zaun brechen. „Ich hätte eine Bitte an Euch …“, fing er an, während er sich in sein Hemd friemelte, „es wäre furchtbar nett, wenn Ihr nicht überall erwähnt, was ich bin.“
    Esther zog eine Braue nach oben, als hätte sie mit solch einer Bitte nicht gerechnet. „In Ordnung“, stimmte sie jedoch zu. „Sonst noch etwas?, fragte sie, und Trevor blinzelte ungläubig.
    Das war einfacher, als gedacht …
    Wiederholt sah sie ihn fragend, fast erwartungsvoll, an.
    „Ehm … äh … Nöö, das war alles. Dann … schlaft gut … oder so etwas Ähnliches …“, stammelte Trevor und verließ das Zimmer wieder. Vielleicht konnte sie Formwandler nicht leiden. Er spürte zumindest eine recht ablehnende Haltung. Vielleicht lag es auch daran, dass er geschwitzt hatte und er vermutlich wie eine Horde alter Socken roch … Das war es sicherlich. Unter gehobenen Herrschaften lief man immerhin nicht herum wie ein streunender Hund, der Trevor irgendwie war. Deshalb machte er im Gegensatz zu seinem vorherigen Leben lieber Gebrauch von seiner Waschschüssel im Zimmer.
    Danach ging Trevor schlafen, stand früh genug auf, um Edmund zu wecken und stand wenig später mit Nelli in der Kombüse. Edmund hatte zwar gesagt, dass die Hexe nicht an sein Essen sollte, aber er hatte auch gesagt, dass Trevor sich um die Alte kümmern sollte, was er nur konnte, wenn sie bei ihm war. Deshalb assistierte sie ihm, während er für Edmund und Esther Frühstück vorbereitete. Nur ungern hatte sich der bereits gesundete Smutje aus seiner Kombüse vertreiben lassen, aber er konnte danach immer noch das Essen für die Mannschaft vergiften. Trevor machte dem reichen Händlersohn Rührei, Bohnen, Speck, frisches Brot und gebratene Kartoffeln, bei denen Nelli ihm den Rat hab, gemahlenes Rosmarin drüber zu geben, das sie ihm reichte. Die Kräuter der Hexe waren wohl zu mehr geeignet, als Tee zu machen. Und gegen Rosmarin war wohl nichts einzuwenden. Allerdings warnte Trevor die Hexe, das mit dem Tee nicht noch einmal zu versuchen.
    „Fast fürsorglich, der Bursche“, erwiderte Nelli, und Trevor verdrehte die Augen.
    „Es ist besser für uns alle, wenn wir nicht umgehend versuchen, uns umzubringen. Das schafft vermutlich schon die See.“
    Nelli kicherte, und als Trevor die beiden Teller nahm, um sie den Herrschaften zu servieren, spürte er einen Klaps auf seinen Hintern.
    „Das wollte ich schon die ganze Zeit machen …“, giggelte die Alte, und Trevor drehte sich zu ihr herum.
    „Das ist … Warum … Ich sollte an Deck“, antwortete Trevor perplex und wandte sich mehrmals zu Nelli verwirrt herum.
    An Deck angekommen, stellte Trevor alles bereit, während Edmund bereits auf den Tisch zu stolziert kam. „Das wurde aber auch Zeit. Das nächste Mal geht das etwas schneller …“, beschwerte sich der reiche Händlersohn und legte sich ein Tuch auf den Schoß. „Ich hoffe, danach lande ich nicht auch krank im Bett.“
    „Kann ich nicht versprechen …“
    , antwortete Trevor abwesend und servierte ebenso den Wein, während Silberberg allmählich am Horizont verschwand. Jetzt waren sie unterwegs. In zwei Wochen konnten sie ihre Vorräte auffrischen, danach sollte eine Weile kein Hafen mehr kommen, der auf direkten Weg nach Samira lag. Trevor wollte sich gar nicht vorstellen, was geschah, wenn Edmund sich mit Salzfleisch – und Fisch zufriedengeben musste. Seine Laune würde es sicherlich nicht verbessern. Aber zunächst fehlte Trevor den Meeresgott an, dass er ihnen guten Wind, aber wenig Stürme schenkte. Edmund wartete mit dem Essen anscheinend auf seine ebenso reiche Reisebegleitung. Trevor zog es derweil vor, mit Nelli zusammen in der Kombüse zu essen. So bekam Trevor zumindest für einen Moment eine Verschnaufspause.

  • Sorgfältig verflocht Esther ihre Haare und verknotete sie im Nacken, sodass alles fest zusammenhielt. Nicht einmal der raue Seewind würde dem etwas anhaben können!

    Bevor sie ihre Kabine verließ, prüfte sie ein letztes Mal den Sitz ihrer Kleidung und betrat wenige Lidschläger später mit hoch erhobenen Kopf das Deck der Eleftheria. Ihr war bewusst, dass zahlreiche und ausschließlich männliche Augenpaare ihren Schritten folgte, was sie dazu veranlasste, nur noch mehr den Rücken durchzudrücken.

    Wenn ihr Vater sie jetzt hier so sehen würden.

    Sie hatte ihn nicht oft auf Reisen begleitet und wenn, dann hatte er wie ein Juwel auf sie geachtet. Nicht einen Schritt konnte sie ohne ihre Leibwache gehen. Erst in der Ausbildung bei der Gilde hatte er sie loslassen müssen, zumindest für eine Weile. Und selbst als ausgebildete Magierin unterstand sie seinem Schutz, wofür sie eigentlich hätte dankbar sein müssen. Doch nach einiger Zeit fühlte sie sich nur noch eingeengt.

    Ihr Blick streifte Trevor, der an ihr vorbeiging und sie ein wenig verunsichert ansah.

    Unwillkürlich musste sie an seine Bitte zurückdenken und unterdrückte ein Lächeln. Wenn sie ihm etwas Böses wollte, hätte sie es schon gehandelt. Nein, es war einfach Unrecht, jemanden zu jagen, nur weil dieser anders war. Sie würde seiner Bitte nachgehen, solange er es für nötig erachtete. Nur weil sie sich alle auf Edmunds Schiff befanden, hatte sie Trevors Geheimnis offenbart. Der Händlersohn musste entscheiden, wie weit er dem Wandler traute. Aber irgendetwas sagte ihr, dass Edmund längst wusste, was Trevor war.

    Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn, wo Edmund an einem gedeckten Tisch auf sie wartete. Dieser schien sie auf eine unbestimmte Weise zu mustern. Sie ließ es über sich ergehen und nahm auf dem gegenüberliegenden Stuhl Platz.

    „Guten Morgen“, grüßte der Händlersohn sie und lächelte sanft.

    Für einen Moment war Esther zu verwirrt, um darauf reagieren zu können. Noch vor wenigen Augenblicken hatte sie gehört, wie er quer über das Deck brüllte und nun schien er wie ausgewechselt.

    Dann fasste sie sich und erwiderte den Gruß mit einem ebenso angedeuteten Lächeln.

    In ihr keimte der Drang auf, ihn danach zu fragen, wie er geschlafen hatte. Aber da er bereits begann, sich seine Gabel vollzuladen, fing sie zunächst ebenfalls mit dem Essen an.

    Davon abgesehen musste sie eine Sache noch aus dem Weg räumen, bevor sie überhaupt an einfache Gespräche denken konnte.

    Nachdem sie schweigen einige Bissen ihres Frühstückes verzehrt hatte, legte sie die Gabel zur Seite. „Ich muss Euch etwas gestehen, Edmund“, sagte sie geradeheraus. Solche Sachen musste man schnell abhandeln, wie einen Splitter herausziehen.

    Der Händlersohn hielt inne, hörte mit dem Essen auf und sah sie abwartend an.

    Nervös strich sie sich eine dünne Haarsträhne zurück und sah, wie Edmund ihre Bewegung mit seinem Blick verfolgte.

    „Mein Vater … hatte seine Meinung zu meiner Mitreise nicht geändert“, gestand sie dann und versuchte in Edmunds Gesicht eine Gefühlsregung abzulesen. „Genau genommen, weiß er nicht, dass ich mitgefahren bin.“

    Plötzlich stand Edmund auf, drehte sich um und warf die Arme in Luft. „Ehe wir weiterfahren: Hat noch jemand irgendwelche Ankündigungen, Geheimnisse oder schlechte Neuigkeiten, die er loswerden will? Noch sind wir in der Nähe von Silberberg!“

    Einige anwesenden Besatzungsmitglieder hatten sich verwirrt umgewandt. Edmund ließ seine Worte einen kurzen Moment wirken. „Nein? Gut! Ihr macht mich alle wahnsinnig!“

    Unsicher, wie sie darauf reagieren sollte, lehnte sie sich auf dem Stuhl ein wenig zurück. „Ich versichere, dass ich nichts Böses wollte“, ergänzte sie, als Edmund sich wieder gesetzte hatte.

    Er wirkte nicht einmal sonderlich überrascht oder zornig, musste sie verwundert feststellen. Trotzdem wusste er mit Sicherheit, dass ihr überstürzter Aufbruch aus Silberberg für Aufruhr sorgte. Es war nur eine Frage der Zeit bis ihr Vater die Flotte auf die Suche nach ihr losschickte.

    „Wir hatten vereinbart, dass Ihr mir die restlichen Magiesteine aushändigt, sobald wir den Hafen von Silberberg verlassen haben“, redete sie weiter. „Aber angesichts der … Situation halte ich es nur für gerecht, dass Ihr mir die Steine gebt, sobald Ihr Euch von meinen Fähigkeiten überzeugen konntet. Sofern Ihr nicht wieder Kurs auf Silberberg nehmen wollt …“

    Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann ließ sich auch Edmund in seinem Stuhl zurücksinken und fuhr sich über das Gesicht. „Nun denn. Es ist, wie es ist.“

    Esther blinzelte verwirrt. Vielleicht benötigte er einen Magier so dringend, dass er mit allen Konsequenzen leben konnte. Wenn sie den Informationen des Steuermanns Glauben schenken durfte, würden sie noch einmal im Hafen von Scalimar anlegen und dort die Vorräte aufstocken. Und ihres Wissens lebten dort keine Magier, weshalb Silberberg auf Edmunds Reise die letzte Möglichkeit gewesen war. Es sei denn …

    Ihr Hals wurde trocken. Oder hatte er sie vor seiner Reise bewusst ausgewählt und auf die Zustimmung ihres Vaters gesetzt?

    „Ihr bringt mich nicht zurück?“, nahm sie das Gespräch schließlich wieder auf.

    Sie erhielt ein Kopfschütteln als Antwort. „Ich ahnte es bereits, war jedoch der Annahme, Ihr hättet Eurem Vater eine Nachricht hinterlassen.“

    Da war er wieder – der Moment, in dem sie sich hätte selber gegen den Kopf schlagen können. Natürlich! Eine Nachricht. Manches war so einfach

  • Nelli saß mit Trevor in der Kombüse und ließ sich das Frühstück schmecken. Kochen konnte der Junge, das musste sie ihm lassen. Und dumm schien er auch nicht zu sein, so weit sie das zu diesem Zeitpunkt schon beurteilen konnte. Doch bisher hatte sie ihr Bauchgefühl noch nie im Stich gelassen. In all den Jahren hatte sie sich eine hervorragende Menschenkenntnis angeeignet, die sie viel aus dem Verhalten ihres Umfelds lesen ließ. Und was sie bis jetzt gesehen hatte, schien diese Truppe sehr amüsant zu werden. Froh, ein weiteres Mal der Langeweile entkommen zu sein, schob sie ihren leeren Teller von sich. Ihr Blick ruhte nachdenklich auf dem jungen Matrosen, der wahrhaftig der Vernünftigste an Bord zu sein schien. Die junge Magierin war noch grün hinter den Ohren, sich kaum ihrer Kräfte bewusst, die sie erreichen könnte, wenn sie sich bemühen und über ihren Tellerrand hinaus schauen würde. Und der Händlersohn...Der war ein Thema für sich. Das er mehr war, war offensichtlich, auch seine Aura hatte eine merkwürdige Verfärbung, auch wenn er sich dessen vielleicht nicht so bewusst war. Wobei sie sich immer noch nicht des Bildes erwehren konnte, dass er bei ihrem ersten Treffen hinterlassen hatte: Ein verwöhnter, kleiner Junge, der es nicht gewohnt war, seinen Willen nicht zu bekommen und dem sein Reichtum zu Kopf gestiegen war. Mit ihm würde sie sicher den meisten Spaß haben.

    Wie bist du eigentlich an diesen Schnösel gekommen, Junge?“, fragte sie schließlich interessiert und beobachtete, wie der junge Matrose abwinkte.

    Lange Geschichte. Auf jeden Fall stehe ich in seiner Schuld“, erklärte er und die Alte nickte langsam.

    Mein Beileid...“, grinste sie nur und zwinkerte ihm zu. Sie half ihm das dreckige Geschirr von ihnen und den hohen Herrschaften abzuwaschen und überließ dann dem Smutje wieder seine Kombüse, damit der dann die Mannschaft versorgen konnte. Sie stützte sich auf ihren Stock und watschelte langsam Richtung Treppe. Mühsam kletterte sie die Stufen nach oben und blinzelte gegen die Sonne. Sie humpelte in Richtung der Reling und lehnte sich dagegen, während die Stadt in der Entfernung immer kleiner wurde. Sie lauschte dem Gespräch der jungen Magier und des Händlersohns und war kurz davor, ihm zu erzählen, dass sie weit mehr konnte, als nur heilen. Aber sie sah sich schon im Wasser zurück nach Silberberg paddeln. Oder auch eben nicht, Schwimmen war sicher nicht ihr größtes Hobby.

    Aus dem Augenwinkel nahm Nelli eine silbrige Gestalt wahr und seufzte. Na toll, nicht mal Mitten auf dem Meer hatte sie ihre Ruhe. Warum mussten denn auf diesem Schiff auch schon Menschen gestorben sein? Wenn sie die Kleidung des jungen Mannes neben sich aber musterte, dann musste der schon seit etlichen Jahrhunderten tot sein. Und der würde ihr jetzt die ganze Reise lang auf den Keks gehen. Sie verzog das Gesicht und ließ ihren Blick dann über das Deck gleiten, auf dem einige junge Männer Oberkörperfrei herum liefen. Ein leichtes Grinsen schlich sich auf ihre Lippen und sich kicherte leise. Ja, daran würde sie sich sicher gewöhnen können.

    • Offizieller Beitrag

    So ein Schiff war nur mäßig geeignet, wenn es darum ging, jemandem aus dem Weg zu gehen. Seltsamerweise schaffte es Esther in den letzten Tagen wunderbar, während ihm die Hexe immer wieder über den Weg zu laufen schien, an jeder Ecke aus der Dunkelheit kroch wie ein Wiedergänger aus seinem Grab. Manchmal konnte es durchaus anstrengend sein, eine so anziehende Persönlichkeit wie die seine zu haben! Zwei Passagiere, die eigentlich nicht eingeplant waren.

    Nun machte der Formwandler zwar brav, was er ihm sagte, aber die alte Frau bereitete ihm eine Gänsehaut.

    Wäre Esther doch nur etwas mehr wie die Alte. Doch sie zeigte ihm lediglich die kalte Schulter. Wobei, ja nicht einmal die, denn obwohl er sie vor wenigen Minuten noch gesehen hatte, schien sie nun vom Erdboden verschluckt.

    Edmund lehnte sich an die Reling auf dem obersten Deck und beobachtete das Treiben. Immerhin konnte er den Anblick der muskelbepackten leicht bekleideten Männer genießen. Einige von ihnen waren ihm unbekannt und hatten erst in Silberberg angeheuert. Alles Männer, die die Weisheit mit Löffeln gefressen hatten und keine Ratschläge von ihm annehmen wollten. Oder es taten und dann völlig falsch umsetzten!

    Davon abgesehen merkte Edmund einmal mehr, dass er das Reisen hasste. Den größten Teil des Tages war es langweilig, der Kurs musste nicht allzu oft korrigiert werden, das Wetter war gut und sie kamen gut voran. Noch ein paar Tage und sie würden ihr Zwischenziel erreichen. Und er konnte sich endlich die Beine vertreten!

    Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete gelangweilt ein paar Wolken. Was hatte sich sein Vater nur dabei gedacht? Warum konnte er nicht einfach Zuhause bleiben, während andere diese unsägliche Arbeit und Reiserei für ihn erledigten? Wozu hatte man Geld, wenn man die Arbeit dann dennoch selbst erledigte?

    Zu allem Überfluss bleichte die Sonne seine Haare aus und er konnte deutlich spüren, wie seine Haut braun und trocken wurde. Davon abgesehen klebte überall an seiner Kleidung Salz. Gut, dieses Problem hatte er lösen können, in dem er Trevor jeden Abend seine Kleidung zum Waschen, Glätten und Polieren übergab. Doch das machte den Stoff auch kratzig und er verlor an Glanz und Farbe.

    Entsprechend dieser unzumutbaren Umstände war Edmunds Laune schlechter als gewohnt.

    Schritte näherten sich.

    „Ich habe den Wein, den Ihr wolltet.“

    Edmund musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass es Trevor war. Er wedelte mit der Hand.

    „Stell ihn ab.“

    Ein Plopp verriet ihm, dass Flasche und Kelch den Weg auf den blanken Boden gefunden hatten.

    „Doch nicht auf den Boden!“, maulte Edmund und wies mit der Hand auf den Tisch, den man unweit von ihm aufgestellt hatte. Ein recht wackliges Ding, aber den Wein sollte er tragen.

    „Ähm … klar.“ Trevor bückte sich, hob Flasche und Glas wieder auf und lief die Schritte bis zu dem kleinen Tisch. „Kann ich sonst noch etwas tun?“

    Edmund sah zum Krähennest. Wenn er ehrlich war, gingen ihm so langsam die Ideen aus. Nach vier völlig ereignislosen Tagen wusste er nichts mehr mit sich anzufangen.

    „Mir ist langweilig!“, stieß er deshalb qualvoll aus.

    „Ja, so eine Seefahrt kann ... langweilig werden“, meinte Trevor verunsichert.

    „Mach was!"

    „Was denn?“

    Musste er ihm denn alles aus der Nase ziehen?

    In diesem Moment fiel sein Blick auf Esther, die auf der anderen Seite des Schiffes auftauchte.

    Endlich Ablenkung!

    Vielleicht konnte er mit Esther ein schönes kühles Glas Wein

    in der Sonne genießen.

    Edmund stieß sich von der Reling ab, blieb aber mit dem Ärmel an einem Holzsplitter hängen und kam auf dem rutschigen Deck ins Schlittern. Er versucht noch sich an der Kante des Tisches elegant abzufangen, doch die Beine rutschten ihm weg, der Tisch brach und Edmund klatschte mit dem Kopf auf die Kante. Und riss den Tisch mit sich die steile und ebenfalls rutschige Treppe neben sich hinunter. Mehrfach versuchte er sein Ausgleiten noch abzufangen, scheiterte aber grandios mit wedelnden Armen Halt zu finden.

    Benommen und verknotet blieb er liegen.

    Schöne Wolken über ihm.

    Welcher Idiot kam eigentlich auf die Idee, den Tisch in die Nähe der Treppe zu stellen?

    Und hatte er nicht befohlen das lockere Tischbein reparieren zu lassen?

    Von irgendwoher erklang ein Lachen.

    Frechheit!

    Schritte, dann schob sich ein Schatten in sein Blickfeld.

    „Seid Ihr bei Bewusstsein?“

    „Nein“, gab Edmund von sich. In der Hoffnung es wäre nur ein Traum.

    Ein Blick zu Esther ließ ihn vermuten, dass diese ebenfalls über sein Ausgleiten kicherte.

    Trevor hielt ihm die Hand entgegen.

    „Könnt Ihr aufstehen?"

    Edmund entwirrte seine Beine und setzte sich auf. Alles noch dran.

    „Ja“, gab er genervt von sich und ignorierte die Hand. Die Blicke der Umstehenden war er sich voll bewusst. Wie würde es wirken, wenn er sich nun auch noch aufhelfen ließ?

    Edmund wischte sich über das Gesicht und ein Blick in seine Hände verriet ihm, dass er blutete. Widerlich. Schrecklich! Ungeheuerlich!

    „Habe ich nicht gesagt, dass man den Tisch reparieren soll?“, maulte er in die Runde. „Und jemand soll gefälligst dafür sorgen, dass die Stufen nicht derart nass sind!“ Immerhin waren Frauen an Bord und eine alte Frau, die einen solchen Sturz vermutlich nicht überleben würde. Oder die Reise.

    „Hervorragend“, knurrte er, als sein Blick auf sein Hemd fiel, „den Fleck bekomme ich nie mehr raus!“

    Reisen waren das Letzte!

    „Ihr blutet.“, stellte Trevor geistreich fest.

    „Ach was! Natürlich blute ich!“

    Er konnte froh sein, dass er sich nichts gebrochen hatte!

    „Wir sollten vielleicht Nelli…“

    „Nur über meine Leiche!“

    „Aber ihr müsst doch Schmerzen haben?“

    Trevors Blick glitt skeptisch zwischen Edmund, dem zerbrochenen Tisch und der Treppe hin und her.

    „Nein!“

    Den einzigen Schmerz, den er spürte, war das Ego, das in Mitleidenschaft gezogen wurde.

    „Aber das Schiff ist dreckig … aus der kleinen Wunde könnte etwas Gefährliches werden und …“

    „Ich werde diese alte Hexe dennoch nicht in die Nähe meines Gesichts lassen! Würden die Leute hier ihrer Arbeit nachkommen, statt zu gaffen, wäre das Schiff auch sauber!“

    Augenblicklich trollten sich die umstehenden Matrosen und taten zumindest so, als würden sie arbeiten.

    Edmund streckte den Rücken und klopfte sich den nassen Dreck und Holzspäne von den Ärmeln. Seine Kleidung konnte er wegwerfen!

    „Naja, so eine dicke Narbe macht sich sicherlich gut auf Eurer Stirn ... “

    Edmund zögerte. Auf Narben hatte er keine Lust. Aber…sich die Blöße geben, und dieser alten Hexe eine Wundversorgung überlassen? Die machte es wahrscheinlich nur noch schlimmer. Da verließ er sich lieber auf sein Blut.

    „Nichts bringt mich da freiwillig hin!" Edmund wandte sich ab und wollte gehen. Nur raus aus dieser peinlichen Situation. Und der dreckigen Kleidung.

    „Ich habe geschworen, Euch zu beschützen."

    „Klappt ja hervorragend."

    Edmund spürte noch, wie sich die Welt erneut drehte, dann wurde er geschultert. So musste sich ein nasser Kleidersack fühlen.

    Geht’s noch?! Lass mich runter, du Trampel!“

    „Werde ich. Bei Oma.“

    „Ich befehle dir, mich sofort abzusetzen!“

    Trevor tat, als würde er ihn nicht hören.

    „Bist du taub?!"

    War er offenbar wirklich. Und nach zwei weiteren erfolglosen Versuchen gab Edmund auf. Stattdessen tippte er Trevor in den Rücken. Er war ebenso muskulös wie auch die anderen Matrosen. Er passte hier definitiv besser her als Edmund. Sollte er die Reise doch zu Ende bringen!

    Edmund ignorierte die Blicke der Umstehenden erhobenen Hauptes - so weit das mit hängendem Kopf ging – und genoss das Tragen ohne es natürlich wirklich zu genießen(!). Ein kleines Grinsen konnte er sich dennoch nicht verkneifen.

    Unter Deck wurde er im Zimmer der Hexe abgesetzt.

    „Huch. Was bringt mir denn die Katz vor die Tür?“, fragte Nelli. Auch in ihrem Gesicht meinte Edmund ein Grinsen zu erkennen. Jeder machte sich hier über ihn lustig!

    Edmund warf Trevor einen Blick zu, sollte er ja schweigen!

    „Ein heimtückischer Angriff!“, meinte er dann.

    „Angriff?“

    „Ja.“

    „Von?“

    „Das geht Euch nichts an.“

    „Sicher?“

    „Habt Ihr nun etwas, um die Wunde zu versorgen, oder wollt Ihr Euch nur lustig machen? Dann gehe ich wieder!“ Edmund machte sich schon auf den Weg, wurde aber von Trevor zurück gezogen. Mit verschränkten Armen blieb Edmund genervt stehen. Das war doch lächerlich. Er hatte eine Möchtegernheilerin nicht nötig.

    „Lasst mich mal sehen“, sprach die Alte und drückte ihm noch während dem Reden mit dem Finger unsanft im Gesicht und an der Wunde herum. „Platzwunde", kicherte sie, „das sollte genäht werden.“

    Edmund spürte lediglich ein Ziepen, bei dem er sich nicht sicher war, ob es am Gegrabsche in seinem Gesicht lag oder an der Wunde.

    „Kommt nicht in Frage!“ Das war nicht notwendig. „Das ist nur ein Kratzer!“

    „Jaja. Wie sagtet Ihr nochmal, ist das passiert? Sieht aus als wäre das Schiff über Euer Gesicht gefahren.“

    Edmund fixierte die Alte sauer. So falsch war das nicht.

    „Ihr werdet nicht fürs Fragenstellen bezahlt.“

    „Genau genommen werde ich gar nicht bezahlt.“

    Die Alte kramte in ihren Sachen und mischte irgendwas dubioses zusammen.

    „Ihr dürft mitreisen. Das sollte genug Bezahlung sein.“

    Die Alte zuckte die Schultern.

    „Gut, wenn Ihr es nicht genäht haben wollt … sei‘s drum, aber macht mich nicht verantwortlich, wenn das hübsche Gesicht nicht richtig verheilt.“

    Sie kam mit ihrem gemischten Behälter auf ihn zu. Es stank wie eine Mischung aus den abgetragenen Socken der kompletten Schiffsbesatz und aus dem, was der Koch so zusammenrührte.

    Er würde sich nichts von dieser Pampe ins Gesicht schmieren lassen!

    Als sie näher kam, wich er zurück, pralle aber gegen Trevor, der ihn nicht gehen ließ.

    Was war dass hier?

    Ein Angriff auf Leib und Leben!

    • Offizieller Beitrag

    Trevor hatte anscheinend nicht genug gebetet. Da war es! Das erste Unwetter! Es war kein schlimmes Unwetter. Mehr ein Sommergewitter, aber die Böen hatten es in sich. Sie rissen an den Segeln, sodass sie drohten, abzureißen. Trevor half den Seeleuten, die Segel zu streichen. Sie alle stemmten sich gegeneinander und zogen am Tau die Segel des Fockmastes nach oben. Das Schiff schwankte wie wild in den sich auftürmenden Wellen. In der Ferne konnten sie zwar schon wieder einen wolkenlosen Himmel erspähen, aber das half ihnen gerade nicht weiter.
    Plötzlich rutschte einer der vorderen Seeleute aus und verlor den Halt. Trevor, Stiev und einige andere fielen hin oder auf ihre Knie und versuchten, das Tau mit den Händen festzuhalten, ehe das flatternde Segel sie alle mit sich riss. Unsanft prallte Stiev gegen Trevor, der wie wild fluchte. Beide merkten, dass ein paar anderen Männern das Tau aus den nassen Händen entglitt, und ehe beide etwas machen könnten, wurden sie Richtung Flaschenzug gezogen.
    Aber sie dachte gar nicht daran, loszulassen. Auf gerade mal einem Viertel der Reise bereits ein Segel zu verlieren, wäre eine ziemlich miese Sache geworden. Stiev und Trevor prellten gegen den Mast und hielten das Tau weiter fest, während der Rest der Männer versuchte, wieder aufzustehen.
    „Das Ding reißt mir den Arm ab!“, schrie Stiev, und dem konnte sich Trevor nur anschließen.
    Es sah aus, als steckten Stiev und Trevor beinahe in einer innigen Umarmung, so sehr wurden beide ineinander gedrückt. Hinzu kam, dass Trevors Schulter rebellierte, da sie stetig gegen den Mast gedrückt wurde. Ein lautes Knacken ließ Trevor losbrüllen. „Bei allen Meereswesen … helft uns endlich.“
    Die Männer hatten endlich das andere Ende des Taus wieder unter Kontrolle und zogen, während Stiev und Trevor immer noch am Mast hingen wie fehlplatzierte Galionsfiguren. Doch plötzlich verflüchtigte sich der Wind und es wurde geradezu windstill. Ein Teil der Männer, die voller Eifer am Tau gezogen hatten, fielen auf ihre Hintern und die anderen beiden kamen frei. Es dauerte einen Moment, bis alle die junge Magierin an Deck erspäht hatten, die ihren Zauberstab wieder einsteckte.
    Sie amtete sichtbar durch und kam dann auf die Gruppe Männer zu. „Sind alle in Ordnung?“, fragte sie beinahe melodisch und betrachtete jeden einzelnen.
    „Danke“, murrte Trevor kleinlaut und rammte seine Schulter kurzerhand gegen den Fockmast, um die Schulter wieder einzukugeln.
    Aua … tut das weh … Jetzt nur nicht Wimmer! Nicht vor einer Gräfin wimmern! Atme den Schmerz einfach weg …
    „Jetzt ja, oder?“, fragte Trevor. Auch er wandte sich dem Rest zu, der zwar wie er vollkommen durchnässt war, aber niemand schien verletzt.
    Esther musterte ihn mit einer erhobenen Braue. Anscheinend hatte das Wegatmen nicht so funktioniert, wie sich Trevor das gedacht hatte.
    Durch das Schutzschild, dass Esther aufgebaut hatte, regnete es nicht einmal mehr. Ungläubig standen nun alle herum, hielten die Hände geöffnet und waren verwundert, dass der Sturm zwar außerhalb des Schildes noch tobte, aber nicht ein Tropfen zu ihnen durchdrang.
    Nachdem die Männer sie lange genug angestarrt hatten, machte sie alle darauf aufmerksam, dass ihr Schild nicht ewig halten würde, weswegen die Männer umgehend zu den Tauen liefen, um sie einzuholen. Trevor hatte genug geholfen. Seine Schulter schmerzte für diesen Tage genug. Zudem gehörte er nicht zur Crew. Er atmete noch einmal tief durch, um den Schmerz zu beseitigen und schaute dann Esther an. „Wir sollten unter Deck, bevor der Schild nachlässt.“
    „Geht und ruht Euch aus, ich werde sicherstellen, dass mein Schild noch eine Weile hält.“
    Klar, lass die Gräfin mit einer Horde Männer alleine an Deck, die sie bereits jetzt anschauen, als sei sie eine Hexe …
    „Dann … warte ich so lange“, meinte Trevor, der, wenn er schon einen verwöhnten Händlersohn bewachte, sicherlich keine Magierin alleine unter abergläubigen Volldeppen lassen würde.
    Aber tatsächlich besaßen die Männer genug Zeit, alle Segel zu streichen, bis der Schild nachließ. Wie begossene Straßenhunde standen sie im Regen. Trevor wandte sich einmal mehr zu der hübschen Magierin um. „Jetzt?“, wollte er von ihr wissen, während ihm der Regen am Gesicht hinablief.
    Esther versicherte sich noch einmal, dass die Männer mit allem fertig waren, während ihre Kleidung auch bereits vollkommen durchnässt schien. Aber dann ging sie vor und Trevor folgte ihr.
    Er ließ der Gräfin lieber den Vortritt. So machte man das doch, oder nicht? Er wusste es nicht. Sein Umgang mit Frauen war in seinem Leben eher rudimentär vertreten. Vermutlich machte er ohnehin alles falsch … Warum sich Mühe geben?
    Zusammen betraten sie kurz danach den Speisesaal des Schiffes, in dem zu deren Überraschung Edmund und Nelli saßen. Die Hexe trug dem reichen Sohnemann gerade eine neue Schicht der Salbe auf, die er so abscheulich fand. Trevor musste zugeben, dass es aussah, als hätte ihm ein Schwarm Möwen an den Kopf geschissen, aber diese Bemerkung behielt lieber für sich. Obwohl Esthers Gesichtsausdruck wirkte, als dachte sie das gleiche.
    Erschöpft ließ sich Trevor in einen Stuhl fallen, während die Magierin sichtlich zögerte, sich in Gegenwart von Edmund zu setzen.
    „Setzt Euch nur …“, forderte Trevor deswegen Esther auf. „Und nochmal Danke für Eure Hilfe an Deck. Solch ein Schild macht die Arbeit um Längen leichter.“
    „Ich schätze, für genau solche Fälle bin ich ja hier“, antwortete Esther und bat um einen kurzen Moment, um sich trockene Kleider anziehen zu können.
    „Das solltet Ihr auch“, bestätigte Edmund, während er versuchte, die Paste im Gesicht zu behalten. Jaja, einerseits sich dagegen wehren, aber Narben wollte er auch keine riskieren, wie es aussah.
    Trevor konnte Esther wohl kaum verbieten, sich umzuziehen und nickte nur. Wobei er sich allein bei der Bestätigung schon doof vorkam. Er erlaubte es ihr schließlich nicht, sondern nahm es nur zur Kenntnis. Er hingegen verblieb in seiner nassen Kleidung und schaute eine Weile der Prozedur von Nelli zu.
    „Och Gottchen, du bist ja ganz nass, Jungchen“, trötete sie, nachdem sie Trevor gesehen hatte und holte eine Decke hervor, die sie ihm umlegte.
    Schmerzerfüllt jaulte Trevor auf und rutschte in seinem Stuhl tiefer, als Nelli ihm an die Schultern tätschelte.
    „Was ist denn?“, wollte sie wissen.
    „Er hat sich seine Schulter ausgekugelt und dann selbst wieder eingerenkt“, ertönte es hinter ihm von der Magierin, die in neuer Kleidung und offenem Haar um ihn herumtrat. In dem Aufzug, so fand Trevor, sah sie beinahe bürgerlich aus. Fast ein bisschen besser, als in diesen Tonnen voll Stoff, die auch schon Trevor hatte tragen dürfen. Er empfand daher mit der Frauenwelt reines Mitleid.
    „Ist heute Waschtag?“, wollte jedoch Edmund von Esther wissen. „Oder soll ich auch Trevor mit Eurer Wäsche betrauen?“
    Esther räusperte sich. „Nein, das ist nicht nötig, danke. Ich fühle mich in meiner Magierrobe recht wohl.“
    Na klar, als hätte sich eine Gräfin von einem Formwandler in der Unterwäsche rumwühlen lassen. Selbst Trevor war nicht so dumm, das anzunehmen.
    „Ich gebe dir mal schnell was gegen die Schmerzen“, mischte sich Nelli ein und begann, in ihrer Tasche herumzuwühlen. „Da habe ich ihn ja.“ Etwas ungelenk watschelte die alte Dame zu einem Schrank, holte vier kleine Becher heraus und stellte sie vor sich auf den Tisch. „Den habe ich selbst gebrannt. Aus Kräutern und Himbeeren.“
    „Was ist das?“, wollte Trevor wissen, bevor er dasaß wie Edmund.
    „Alkohol. Du hast dir bereits den Arm selbst wieder eingerenkt. Gegen den Rest hilft nur ein ordentlicher Schluck von meiner Medizin.“
    Nelli schenkte zittrig, aber recht präzise ein und schob Trevor den Becher hin. Dem Rest goss sie auch ein und verteilte es. „Hilft auch gegen Kälte!“, erklärte Nelli und klopfte aufmunternd auf die Schulter von Esther. Diese schien jedoch abzuwarten, bevor sie sich den Becher nahm.
    „Und wogegen soll das mir helfen?“, wollte Edmund wissen.
    „Na hoffentlich gegen das vorlaute Mundwerk“, antwortete Nelli spitzzüngig.
    Bevor Edmund genügend Luft eingesogen hatte, um zu antworten, erhob Trevor seinen Becher. „Wir sollten darauf trinken, dass wir beide den Tag einigermaßen unbeschadet überlebt haben“, schlug er vor.
    „Ach Junge“, entgegnete Nelli lächelnd. „Du hast dich bei harter Arbeit verletzt. Der da …“ Sie deutete auf Edmund. „ist die Treppe runtergefallen.“
    „Es war ein Angriff!“, beharrte Edmund weiter auf seiner vorherigen Geschichte.
    „Von was?“, hakte Nelli nach. „Von dem zerbrochenen Tisch am Fuße der Treppe? Wenn auf Euch bereits Möbelstücke losgehen, solltet Ihr Euch Gedanken machen.“
    Trevor entwich ein Lachen bei dem Bild, dass der Tisch Edmund böswillig angefallen hatte, und auch Esther schien das äußerst amüsant zu finden, da sie sich dem Gelächter anschloss. Sie musste immerhin den bitterbösen Angriff direkt mit angesehen haben.
    „Frechheit!“, blökte Edmund. „Vermutlich habe ich es Euch dann zu verdanken, wenn ich vollkommen entstellt bin.“
    „Euch kann nichts entstellen“, versicherte ihm Trevor beschwichtigend und hielt immer noch den vermaledeiten Becher in der Hand. In der Hand von dem Arm, der wehtat.
    Trevor exte einfach seinen Becher weg und stellte ihn dann auf den Tisch. Der Schnaps war gut, würzig und besaß einen süßen Abgang. Allerdings war er schon recht stark.
    Nelli tat es Trevor gleich und leckte sich danach noch über ihre runzligen Lippen. „Das war ein gutes Jahr gewesen“, lobte sie sich selbst.
    Blieben nur noch die beiden Gutbetuchten.
    Trevor lehnte sich von innen gewärmt vorsichtig an den Stuhl und ließ ein leises „Booock bock bock booock“ über seine Lippen kommen, was an die beiden gleichermaßen eine Aufforderung war.
    Esther zögerte noch einen kurzen Moment und exte dann den Becher genauso, wie es Trevor getan hatte. Beim Absetzen hustete sie kurz, aber ihre roten Wangen zeigten, dass ihr tatsächlich wärmer wurde.
    Edmund nahm dem Becher und runzelte die Nase.
    Noch einmal gackerte Trevor leise vor sich hin, während Nelli um den Tisch herumging, um nachzuschenken.
    „Viel … hilft viel!“, versprach die Hexe dabei, und Trevor konnte nicht behaupten, traurig darüber zu sein, mehr … Schmerzmittel zu bekommen.
    „Seht es so“, wandte Trevor ein. „Schlimmer als das Zeug in Eurem Gesicht ist es auf keinen Fall.“
    Edmund sah skeptisch auf, schien zu überlegen, aber trank dann ebenso den Schnaps in einem Mal. „Könnte besser sein“, erwiderte der Händlersohn, schob dabei aber den Becher reichlich nah an die Flasche der Alten heran.
    Es dauerte nicht lange, da hatten sie alle die erste Flasche geleert. Wegen Schmerzen, Kälte, guter Laune und dem eigenen Anblick im Spiegle, was die Hexe dazu veranlasste, eine zweite auf den Tisch zu stellen.
    Alles rein aus medis… meme … medizinuischen Gründn nadürlich … Trevor müde … Trevor ins Bett will …