- Offizieller Beitrag
Jetzt brach die Hölle los und der Formwandler wurde von Edmund weggedrängt. Von irgendwoher kassierte er einen Schlag gegen den Kopf, was seine alte Wunde an der Augenbraue erneut aufplatzen ließ. Aber das machte er nur an dem warmen Gefühl in seinem Gesicht aus. Er drängte sich in die Freiheit. Zwei Piraten gingen umgehend auf Trevor los, deren Schläge er schaffte, zu parieren. Durch einen Schritt zur Seite, und einem Schlag mit seinem Säbel, trennte Trevor einem der Piraten die Hand mit dem darin befindlichen Messer ab. Der schrie und hielt sich seinen Stumpf, woraufhin Trevor ihm einfach die Beine wegzog. Eilig ergriff er die lose Hand, entfernte das Messer und warf es dem zweiten Angreifer in den Oberschenkel. Schreiend ging dieser ebenfalls zu Boden und verkroch sich gleichauf hinter einer Kiste. Trevor hatte noch die abgetrennte Hand in seiner, als er einen lauten Knall hörte und einen Druck an seiner Schulter spürte. Rauch stieg aus seiner dunklen Jacke empor, während er die Quelle des Lärms fixierte. „Francis …?“, stellte er fest und beobachtete den jungen Mann dabei, wie dieser rasch Schießpulver in die Pistole stopfte. Eigentlich besaß nur der Steuermann oder Kapitän eine solche Waffe, weil sonst Streitigkeiten zu schnell eskalieren konnten. Kurz war Trevor deswegen verwirrt. Allerdings handelte es sich beim Steuermann um Francis‘ Vater. Er musste sie ihm entwendet haben.
„Schießt du feige auf mich?“, rief Trevor, winkte dem vorlauten Jungen mit der toten Hand und schnitt, ohne hinzusehen, dem Kerl am Boden den Bauch auf, zu dem das abgetrennte Körperteil gehörte. Trevor warf die Hand danach gleichgültig neben den Schreienden.
„Ich töte dich, du kranker Wichser“, spie Francis aus. „Ich gehöre jetzt zu den Piraten!“
Jetzt wird er auch noch persönlich …
Trevor kontrollierte danach seine Kleidung, ignorierte die blutende Stelle – knapp über seinem Schlüsselbein. Er steckte den Finger durch das entstandene Loch in seinem Hemd sowie Jacke und wandte sich dann Francis mit wütendem Blick zu. „Francis? Diese Klamotten waren wirklich teuer …“
Gepriesen sei Nellis Trank … Keine Schmerzen!
Der Formwandler betrat die Treppe zum oberen Teil des Hecks und ließ den jungen Matrosen, der sich offen zu den Piraten bekannt hatte, nicht aus den Augen.
Francis spannte derweil nervös den Lauf der Waffe, zitterte aber wie Espenlaub dabei, sodass es ihm nicht gelingen wollte.
Ja, fürchte dich vor mir. Das tue ich auch manchmal.
„Das ist nicht nett!“, meinte Trevor und holte mit dem Säbel aus. „Du hättest besser treffen sollen!“
Bevor Francis dazu gekommen war, die Waffe erneut auf Trevor zu richten, kullerte der Kopf des jungen Mannes über die Holzdielen. Blut bespritzte Trevors Gesicht und Kleidung, während der leblose Körper widerstandslos zu Boden fiel.
Anfänger …
Trevor hob den Kopf am Haarschopf auf und nahm die geladene Waffe an sich. Dann schaute er in die aufgerissenen Augen des Kopfes. „Guck den richtigen Piraten mit zu!“ Der Formwandler ging zurück zu Treppe und steckte Francis´ Kopf auf das obere Ende des Geländers. „Damit du was lernst …“
Seelenruhig ging Trevor danach wieder die Treppe hinunter, nachdem er Francis´ Kopf noch ein paar Mal getätschelt hatte. Der Pirat, der windend am Boden lag, und versuchte, seine Gedärme an Ort und Stelle zu halten, tat ihm fast leid. So waren Kämpfe nun mal. Entweder hatte man das Glück, sofort tot zu sein, oder mit etwas Pech eben nicht. Trevor erlöste ihn im Vorbeigehen durch einen Schuss in den Kopf und warf dann die Waffe achtlos über die Reling.
Er hasste es, das klebrige Blut an sich zu spüren. Zumindest versuchte er, sich das einzureden. Irgendwo in sich vernahm er ein höhnisches Lachen, das ihn vom Gegenteil überzeugen wollte. Vor allem, als er in die Gesichter der Piraten sah. Frank stand zusammengekauert neben seinem Kapitän. Der würde seinen Arm nicht mehr so schnell benutzen. Immerhin hatte Trevor ihm sein Schulterblatt gespalten. Ein anderer saß mit dem Messer im Bein in der Ecke und tat sich sichtlich schwer dabei, es aus dem Knochen zu ziehen. Die Meuterer hielten inne, seit Trevor den Schuss abgegeben hatte. Sie betrachteten den Dicken, der tot am Boden lag. Edmund schien besser im Kämpfen zu sein, als es er ihm zugetraut hatte, obwohl der Formwandler davon ausging, dass Edmund noch nie in seinem Leben hatte töten müssen. Das hoffte er sogar für ihn. Daran war nichts Edles. Deshalb tat es Trevor auf seine Weise. Irgendetwas in ihm hielt ihn dazu an, sich am Leben zu halten. Vielleicht war es das Blut der Formwandler. Vielleicht auch nur die Aussicht auf ein anderes Leben.
Den Piraten war anzusehen, dass sie ihre Situation überschauten. Verletzte, Tote … Ihr Bluthund war von einer "Witzfigur" besiegt worden. Weshalb Trevor ein siegessicheres Grinsen unterdrücken musste. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet und auch nicht damit, dass Trevor noch austeilen konnte. Jeder von ihnen hatte immerhin den Zusammenprall mit der Kiste gesehen.
„Einigen wir uns auf einen Waffenstillstand“, rief Armod. „Lassen wir die Gruppe in Ruhe ziehen, ohne noch weiteres Blut zu vergießen. Bedenke, du bist verletzt.“
„Wir haben nicht angefangen“, konterte Trevor und sah, wie Edmund weiter hinten am Schiff ins Beiboot kletterte. „Ihr wisst, was geschieht, wenn man ein verletztes Tier in die Ecke drängt.“
„Deine letzte Chance, Trevor … Noch kannst du die Seite wechseln“, sprach Armod weiter. „Wir sagen zu fähigen Männern nicht ‚Nein‘.“
Die aber anscheinend vehement zu euch.
Trevor schnaubte. „Verreckt einfach auf See!“
„Du bist kein Pirat!“, meinte Frank abfällig und hielt sich seinen verletzten Arm. „Ein Pirat würde niemals den Bluthund für einen verwöhnten Bengel spielen.“
Trevor musste über diese Äußerung leise lachen. Denn sie waren auch nichts anderes als Untergebene, die der Geldgier nacheiferten. Weder besser, noch schlechter als Trevor. Sein Kapitän hatte wenigstens Sklavenschiffe überfallen, die Sklaven herausgeholt und ihnen einen neuen Lebenssinn gegeben. Sich gegen die Verarmung der freien Leute gewehrt. Und wenn es ging, die Menschen an Bord unbeschadet gelassen. Ein Pirat mit Prinzipien. Unter seinem Kommando war nie eine Frau zu Schaden gekommen.
„Dann bin ich eben kein Pirat!“, stieß der Formwandler erbost aus. „Momentan gefällt mir das sogar besser! Ich werde meine Gruppe nicht verraten! Nicht für euch oder jemand anderen!“ Er steckte seinen Säbel weg.
„Ich lasse ihn nicht ziehen. Er hat meinen Sohn getötet!“, erwiderte der Troy mit Wut verzerrtem Gesicht.
„Bitte Troy …“, flehte Armod. „Wir haben auch Leute von ihnen getötet! Ein paar von uns müssen übrigbleiben. Gerade du!“
Trevor sah die toten Körper des Kochs und den von Stiev. Er bedauerte deren Tod. Sie hatten tapfer gekämpft.
„Aber es war mein Sohn!“, schrie Troy.
„Tu das nicht“, wandte Trevor ein und wollte an Troy vorbeigehen, der ihm vehement den Weg versperrte.
Genauso dumm wie sein Kind!
Troy hielt seinen Säbel vor sich. Gerne hätte Trevor ihm erklärt, dass sein Sohn sich entschieden hatte und mit den Konsequenzen leben oder sterben musste, aber vermutlich wäre er taub für derart Weisheiten gewesen. Welcher Vater wäre das nicht? Es war ein Grund mehr für den Formwandler, keine Söhne zu haben. Kinder, die er ohne Richtung auf die Welt loslassen und dazu verdammen musste, ein Leben im Schatten zu führen. Immer im Kampf mit der eigenen düsteren Seite, die ihnen im Blut lag.
„Dafür töte ich dich!“, nuschelte Troy und stach halbherzig zu.
Trevor merkte, wie der Säbel einen Finger breit seine Haut am Bauch durchdrang, mehr nicht.
Du bist kein Mörder … Nur ein alter Seemann …
Regungslos blieb er stehen, während Blut an der Klinge entlangfloss. Kurz war er der Meinung gewesen, seinen Namen aus dem Hintergrund zu hören, aber das Nachlassen des Trankes begann, Trevor die Sinne zu vernebeln.
Dem Steuermann hingegen war der Schreck über Trevors mangelndes Ausweichen oder Schmerzempfinden anzusehen. Anscheinend hatte er noch nie einen Menschen getötet und besaß deshalb eine Art Scham davor, ernsthaft zuzustechen. Etwas, das Trevor nicht mit ihm teilte.
Wie dein Sohn, verpasst du die Gelegenheit, mich zu töten.
Danach ergriff Trevor Troys Arm und drehte ihm den Säbel aus der Hand.
War das alles nötig? Trevor wollte das Schiff nur noch verlassen, bevor es seine Kräfte mit ihm taten. Er spürte bereits, wie Nellis Trank rasch nachließ. Wie ihn seine schmerzenden Knochen einholten; ebenso der Rest seiner Verletzungen. Er wusste, dass er zu stark verletzt war, um die Maskerade eines brutalen Kämpfers noch weiter aufrecht zu erhalten. War sie überhaupt eine Maskerade? Aber all diese Fragen machten ihn wiederum wütend. So wütend, dass er Troys Kopf ergriff und zunächst auf die hölzerne Reling schlug. Warum musste er immer wieder unter Beweis stellen, was er konnte? Dass er mehr war als der lustige und schüchterne Seemann? Pirat? Er wusste zurzeit nicht einmal, wer oder was er war. Wütend und ermüdet von dem Kampf, ließ Trevor seinem Hass freien Lauf und schlug den Kopf des Steuermanns unter einem lauten, tiefen Schrei so lange gegen die Reling, bis er nur noch einen fleischlichen Brei in Händen hielt. „Reicht das jetzt?“, schrie Trevor die Meuterer an. „Oder muss ich weitermachen?“ Sein Brustkorb hob und senkte sich sichtbar.
Noch ein Zucken und ich mache weiter …
„Du kannst gehen!“, gestand Armod ihm kleinlaut zu.
Trevor schaute noch einmal in die Runde. Er versuchte, sich die Gesichter jedes Einzelnen einzuprägen, für den Fall, dass er sie an irgendeinem Hafen noch mal wiedersah. Danach warf er Troy wütend über die Reling, als besäße dieser kein Gewicht und marschierte zum Beiboot. „Viel Spaß ohne Steuermann …“, nuschelte er dabei mehr an sich gerichtet.
Warum konnte ihm nicht einmal etwas Gutes passieren? Etwas Gutes, das danach nicht im absoluten Chaos endete? Dann kam ihm der Kuss mit Esther in den Sinn, der seine Wut besänftigte. Wäre er gestorben, hätte er zuvor zumindest mal eine Frau geküsst. Und gleich eine Gräfin. Aber wahrscheinlich meuchelte sie ihn dafür im Schlaf. Verdient … musste er zugeben. Wenn Männer andere Männer töteten, war das eine Sache, aber einer Frau einen Kuss stehlen … Fast bereute Trevor, nicht von Francis erschossen worden zu sein. Deswegen fühlte er sich fast schlechter als wegen der Sache mit dem jungen Matrosen. Er konnte nur hoffen, dass Esther den Grund dafür verstanden hatte – und er nicht der erste Mann war, der ihr solch eine … Geste zuteilwerden ließ. Ebenso, dass Edmund verstanden hatte, dass er ihn nicht verraten wollte.
Sechs Augenpaare starrten ihn an, als er mühsam ins Beiboot stieg. Nelli schien sich aber zu fangen und unterstützte Trevor dabei, einen Platz zu finden. Dabei entging ihm nicht, dass sie aufmunternd seinen Oberarm tätschelte.
Sie kann vermutlich nichts mehr im Leben erschüttern!
Sie durchschnitten die letzten Taue, und das Beiboot landete etwas unsanft auf der Meeresoberfläche. Wasser schwappte ins Boot, aber nicht so viel, dass es von Belang gewesen wäre. Trevor sah auf und erkannte, dass Edmund kreidebleich war. Er erkannte den Blick. Das war das Gesicht eines Mannes, der zum ersten Mal getötet hatte. So musste Trevor auch mit sechszehn dreingeblickt haben. Deshalb ergriff er die Ruder, setzte sich den anderen gegenüber und begann, das Boot vom Schiff zu entfernen.
Sein Blickfeld verschwamm immer mehr. Der Schmerz sorgte für ein Klingeln in seinen Ohren. Dennoch, Trevor ruderte. Er würde es so lange machen, bis er nicht mehr konnte.
„Junge, geht es?“, wollte Nelli wissen und durchbrach mit ihrer kratzigen Stimme die bedrückende Stille.
Trevor überkam Übelkeit, aber nickte trotzdem. Er ruderte so lange, bis das Schiff in ausreichend Entfernung war. Dabei spürte er, wie sein Puls schwächer wurde. Seine Rippen beschwerten sich ebenfalls und seine Ruderschläge verloren an Kraft, was auch den anderen auffiel.
„Sieh nur“, hörte er Esther sagen und sie deutete mit ihrem Zeigefinger unter den Formwandler.
Nachdem Trevor Esthers Finger gefolgt war, entdeckte er das rot gefärbte Wasser unter sich. Noch immer tropfte Blut von ihm in das Salzwasser. Jetzt wusste er auch, warum die Jacke so sehr an seinem Rücken klebte.
Ein Durchschuss … Wenigstens etwas …
Aber nicht nur von da fand das Rot den Weg in das Boot. Trevor hatte das Gefühl, dass es kaum eine Stelle an seinem Körper gab, die nicht tropfte.
Schwindel … Kribbeln im Gesicht … Trevor schüttelte sich.
Du Schwächling … Mach weiter!
Aber es brachte nichts. Seine Hände wurden schwach, sein Körper wollte nicht mehr. Bevor ihn die Schwärze ereilte, merkte er, wie er vornüber ins Beiboot kippte.