Der Kristall des Almaten.
Die affenteuerliche Landfahrt des Ritters vom Wind
Mundburt von Wolkenstein zu den Mundlosen
und anderen höchst wundersamen Völkerschaften.
Aus nachgelassenen Schriften neu herausgegeben
und mit Anmerkungen versehen
von
J. Schreyvogel, ordentlicher Narr
und außerordentlicher Prof. an der +++- Universität zu ***
Vorrede.
Hrgbr. hat lange gezögert, diese Blätter einer kritischen Leserschaft vorzulegen. Zu unglaubwürdig sind die Abenteuer, die der Ritter Mundburt von Wolkenstein erlebt haben will. Da ist von einem Volk die Rede, das von Geburt an nur ein Bein besitzt; einem anderen wachsen die Beine aus den Schultern. Dann will er Leuten ohne Mund oder Nasen begegnet sein, ferner Eisen fressenden Vögeln; ein Heiler kuriert einen Fallsüchtigen, indem er ihm ein Messer in die Stirn rammt, und vieles Unglaubliche mehr. Das Fantastischste jedoch ist der halbe Ritter auf seinem halben Pferd.
Haarsträubender Unsinn?
Vorsicht!
Wir meinen: Wenn vieles auch für uns Heutige schwer zu glauben ist, wer beweist denn, dass es auch unmöglich ist? Werden nicht immer wieder janusköpfige Rinder geboren, Menschen mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern oder einem Stummelschwanz, Babys mit Affenpelz oder wie Katzen gezeichnet?* Vielleicht sind die Gestalten des Ritters ja noch unter uns, nur wir sehen sie nicht! Abgesehen davon, dass vieles von dem, was uns der Ritter erzählt, von ehrenwerten Schriftstellern bezeugt ist. Möge die Leserschaft selbst entscheiden, was sie glauben will.
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*Vergl. „Die Hexe von Roden auf dem Berge“, hier im Forum.
Erstes Buch
Mundburt von Wolkenstein...............Ritter vom Wind
Gerlind........................................................sein Knappe
Trabto.............................................................sein Pferd
Schlagto.....................................................sein Schwert
Pinkerton.......................................................sein Zeisig
Pygmalion, Edler zu Mausloch.......................Verfolgter
Castor und Pollux...........................................Nashörner
Massissina....................................................Nubierfürst
Geil von Bock.........................................ein halber Ritter
Nid-Feuer.............................................sein halbes Pferd
Mundburt erhält einen Brief und gerät in große Verlegenheit
Ihr erinnert Euch sicherlich noch, meine lieben Haudegen und Eisenfresser, dass Liebto, mein treues Täubchen, einen Brief gebracht hatte, in dem mir mein Vater vom Tod der Mutter berichtete*. Bestürzt und traurig wollte ich gerade die Segel gegen den Wind setzen und zurück nach Schwaben fahren, das sagte der Magister: „Herr Ritter, da steht noch etwas.“
„Lest!“
Herr Knappe!
Noch tobt mein Zorn ob Eurer Flucht!
Doch fahrt ins Land der Almen Ihr und sucht
vom heil´gen Grab des Königs diesen wundertät´gen Stein
und bringt ihn mir: dann soll mein Zorn besänftigt sein!
Mathilde.
„Reichlich orakelhaft, deine Vrouwe“, meinte Gerlind, meine Gefährtin, spitz, „könnte sich ruhig etwas klarer ausdrücken.“
Diese Zeilen stürzten mich in arge Verlegenheit. Wie gerne hätte ich am Grab meiner Mutter ein paar Tränen vergossen. Wenn sie sich auch nicht viel um mich gekümmert hatte, sie war doch meine Mutter gewesen! Andrerseits … Ein junger Ritter wird dem Tod noch oft genug begegnen! Warum also am Grabe einer Toten weinen, wenn die Liebe einer Lebenden winkt!
Kurzentschlossen fragte ich: „Herr Magister, was sind Almen?“
Der Magister holte tief Luft und sprudelte los: „Eure Herrin meint Menschen, die mit nur einem Bein auf die Welt kommen, sich aber wegen der außerordentliche Breite ihres Fußes äußerst geschwind fortbewegen, indem sie wie die Spatzen hüpfen. Solinius in seiner … ähem, nennt sie Almaten oder Almen, will heißen: die Hüpfenden, nach griechisch álma, hüpfen. Es sind Äthiopier, denen ja bekanntlich alle möglichen Abnormitäten nachgesagt werden. Ob es stimmt, weiß ich nicht, ich war noch nie vor Ort. So berichtet Plinius in seiner Historia naturalis, liber VI, von einem Volk –“
„Und was meint die Herrin mit dem wundertätigen Stein?“
„Die Königspyramide dieser Almaten soll nach alter Überlieferung aus anachitischem Diamant bestehen, dem heilende und calmierende Wirkung nachgesagt wird.“
„Hmm ... Äthiopien ... Äthiopien ... Wisst Ihr, wo das liegt?“
„Sicherlich! In Afrika.“
„Und wie kommen wir dahin?“
„Mit dem Schiff? Da bin ich überfragt. Allerdings, der Weg ist einfach. Ihr müsst immer nur gegen Sonnenaufgang segeln. Aber weit werdet Ihr mit eurem Schiff nicht kommen. Ihr müsst vorher ein riesiges Gebirge überwinden, und da hausen wilde Bergvölker, die sich von fahrenden Rittern ernähren. Da hat die Dame Euch aber eine verteufelte Aufgabe gestellt! Und dann: Es ist leichter, sich mit dem Goldenen Vließ die Stirn zu wischen als dieses Grab zu finden.“
„Ha!“, rief ich, „keine Aufgabe ist mir zu schwer, kein Weg zu weit, keine Bürde zu groß, um die Gunst der Herrin zu erlangen!“
„Blödmann!“, zischte Gerlind, „meine Gunst könntest du auch ohne Grabstein haben!“
„Auf jeden Fall wünsch ich Euch viel Glück.“
„Danke – – Wie, was, wieso Euch? Kommt Ihr nicht mit?“
Der Magister antwortete ohne zu überlegen: „Nein, ich bleibe hier. Was soll ich in Afrika, wo sie sich, wie man hört, von Heuschrecken und Würmern ernähren, und wo sie weder Kuddeln, deutsches Bier noch französischen Wein kennen? Hier finde ich alles, was mein Herz begehrt.“
„Schade, Euer Wissen wird mir fehlen. Na dann, gehabt Euch wohl! Auf nach Afrika!“
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*Vergl. „Vrouwen Dienest“, 4. Haufen, letztes Kap.
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F.f