Liebe Schreiberlinge,
die eigene Welt ist ne' echt schmucke Sache. Man bastelt, schreibt und spinnt sich schlichtweg aus. Doch dann stellt man sich nach dem ersten Entwurf die Frage, wie diese ganze in Worte gekleidete Welt eigentlich auf die Leser*innen wirkt. Man selbst hat beim Schreiben vielleicht epische Schlachten vor Auge, aber bei den Leser*innen selbst kommt eher so mittelmäßige Spannung an. Man übersieht gern simple Dinge. Man macht sich dem legendären Infodump schuldig, ohne es zu merken.
Daher sammel ich hier Textfragmente aus meinem Projekt, über die ich brüte, an denen ich mir die Zähne ausbeiße oder die eine wichtige Rolle spielen und ich dankbar bin für Eindrücke, um meine eigene "Verfasser-Blindheit" besser abschütteln zu können. Ich meine, wer kennt es nicht? Da liest man dreimal selbst Korrektur, findet nüscht - und dann kommt prompt jemand um die Ecke, schaut zwei Sekunden auf den Text und verkündet lässig:
"Yo, da fehlt ein Wort und der dritte Satz von unten ist ja mal voll verschwurbelt."
(Diese Leute verdienen ne' satte Gehaltserhöhung, by the way)
Zum besseren Verständnis fasse ich hier kurz zusammen, was mein Projekt ist und um was es grob geht:
Mein Projekt ist eine mehrbändige Fantasy-Reihe, in der es darum geht, dass Menschen durch Risse in Fußböden in einer anderen Welt landen. Eine Welt unter der Erde, wo es kein Sonnenlicht gibt, dafür Magie, betrunkene Faunwesen, nachtragende Bäume, lebende Puppen aus Porzellan und Magie. Menschen, die aus der Oberwelt durch eben solche Risse gekrochen und in der Welt namens "UnterDrunter" Zuflucht gesucht haben, werden von den Einheimischen "Kriecher" genannt.
Wer mehr wissen möchte, kann gern in folgendem Post alles wichtige nachlesen:
UnterDrunter - Weltenbau & Infos
Jedoch ist Hintergrundwissen nicht nötig, da ich mich über jeden noch so kurzen Eindruck freue.
Let's fetz!
Ausschnitt aus dem ersten Buch - zweiter Teil - erstes Kapitel:
(Erste Szene, die in dem magischen "UnterDrunter" spielt)
Folcolum le Miséricordieux vertrat die Ansicht, dass man gar kein so übler Mistkerl sein konnte, wenn man offen zugab, dass man hin und wieder ein Mistkerl war. Wahrhaftige Ungeheuer waren blind für ihre Taten. Sie ließen sich Denkmäler errichten und trugen Kronen aus Gold, während das Volk vor den Schlossmauern verhungerte. Folcolum verabscheute Kronen. Könige. Es widerstrebte ihm, sich einer Weltordnung zu fügen, in der weltfremde Narren sämtliche Fäden in den Händen hielten. Ebenso wie es ihm widerstrebte, sich Misserfolgen zu ergeben.
»Kurzschluss.«
Folcolum zerrte sich die verrußte Schutzmaske vom Gesicht und schleuderte sie quer durch den Raum. Die Maske prallte gegen eine der Kupfersäulen des vor Elektromagie aufgeheizten Wintergarten und fiel klappernd zu Boden. Ein weiterer Testlauf war gescheitert.
»Muss dieses Dingsbums immer so laut knallen?« Amando kam aus seinem Versteck unter einem der Tische gekrochen. Er war ein blasser Puppenjunge mit lächerlich bunten Haaren und keinerlei magischer Begabung. »Meine Ohren tun weh.«
Folcolum ignorierte die Beschwerde seines Lehrlings und nahm die Überreste des Apparats aus der fast gänzlich weggeschmolzenen Halterung. Sein neuestes Versagen war kochend heiß und brannte sich zornig durch die Schichten seiner Schutzhandschuhe.
»Die Ladung war zu hoch«, stellte er fest und ließ den Apparat auf den Tisch fallen, ehe die Hitze auch seine menschliche Haut zerfraß. »Es benötigt wohl etwas mehr Zisch und weniger Wumms.«
Amando zuckte gleichgültig mit den Schultern. Der Bursche war nicht sonderlich interessiert an der Maschinerie der Welt, geschweige denn an mathematischen Formeln, Alchemie oder Elektrizität. Jedoch gab er offen zu, dass er keinerlei Interesse und noch weniger Lust hatte, irgendwas Neues zu lernen.
Folcolum schätzte ehrliche Faulheit. Man konnte ausgezeichnet mit ihr arbeiten und lief nicht Gefahr, zu hohe Anforderungen zu stellen. Amando war vielleicht kein großer Denker, dafür aber ein hervorragender Laufbursche. Er tat, was man ihm sagte und besorgte, was auch immer man verlangte, so lange er seinen Arbeitstag mit einem ausgiebigen Spaziergang verbummeln konnte und das Gefühl hatte, er würde für das ganze Nichtstun auch noch bezahlt werden.
Amandos größtes Talent war jedoch die Fähigkeit, stets zur rechten Zeit in Deckung zu gehen. Ein nützliches Talent, wenn man mit Dingen hantierte, die in acht von zehn Fällen explodierten. Ein menschengroßer Brandfleck mitten auf dem Mosaikboden war alles, was an Folcolums letzten, weniger schnellen Lehrling erinnerte. Eine halbe Sekunde. Mehr brauchte Magie nicht, um einen in Flammen aufgehen zu lassen.
Die Überreste des Apparats waren inzwischen soweit abgekühlt, dass Folcolum sie genauer untersuchen konnte. Er öffnete ein kleines Fach am unteren Ende und betrachtete nachdenklich das verkohlte Innere. Seine Befürchtung wurde bestätigt; die Energiequelle hatte sich komplett selbstzerstört. Typisch für einen Tag, der ohne Koffein begonnen hatte.
»Lauf in die Stadt und besorg mir neues Kupfer. Oh, und Kaffee. Ganz wichtig. Lass es dir vor Ort frisch mahlen. Ich trau diesen fertig abgepackten Säcken von diesem Halsabschneider nicht.« Folcolum warf dem Jungen einen Sack mit Murmeln zu. »Nimm dir Zeit für die Auswahl des Kupfers.«
Amando sprintete mit der Begeisterung eines Jungen los, der die Chance witterte, sich mal wieder vor der eigentlichen Arbeit zu drücken; und das einen ganzen Tag lang. Er war gerade bei der Flügeltür zum Haupthaus angelangt, als diese mit Wucht geöffnet wurde. Die linke Türseite erwischte Amando hart und das Knacken von porzellanartigen Knochen erklang. Der Junge brach ächzend zusammen.
»Achherjemeni«, sagte Floyk, der Bote. »Was steht der Bursche auch direkt hinter der Tür?«
Folcolum ließ sich auf seinen Hocker sinken und rieb sich die müden Augen. So viel zu seinem Lehrling. Das war der dritte Bursche in einem bedauernswert kurzen Zeitraum. Er sollte wirklich damit aufhören, sich für diese zerbrechlichen Puppenkinder zu erbarmen.
»Äußerst unglücklich.« Folcolum seufzte schwer. »Er wollte gerade gehen.«
Floyk zerrte mit seiner knittrigen Hand an seiner zerknitterten Fliege. Es gab an dem hageren Boten keine einzige glatte oder gebügelte Stelle. Er war zerknittert auf die Welt gekommen und würde auch zerknittert sterben.
»Ich habe Nachrichten, mein Herr.«
»Ein Bote mit Nachrichten.« Folcolum musterte den reglosen Puppenjungen. In der hellen Stirn klaffte ein faustgroßes Loch, wo die Haut eingebrochen war. »Ich bin begeistert. Wirklich.«
Floyk, der immun gegen jede Form von Sarkasmus war, schlug sich stolz auf die Brust.
»Aber ja doch, mein Herr. Ich bin Bote. Nachrichten auf schnellem Fuß.«
Eher Nachrichten im Schneckentempo. Floyk war eine alte Krücke unter den Boten und alles, was er brachte, hatte Folcolum in der Regel bereits Stunden zuvor von den Jüngeren gehört. Generell waren Boten seiner Meinung nach längst überholt.
Floyk plusterte sich auf.
»Neue Kriecher sind durch die Risse gekommen, Herr.«
»Das tun sie immer.« Folcolum machte eine wegwerfende Handbewegung. »Auf der Oberwelt herrscht Krieg. Gier. Mal brennen Dörfer, mal steht das Meer in Flammen. Es gibt keinen Tag, in dem niemand angekrochen kommt. Ich hoffe, du hast mir mehr zu bieten als das.«
Floyk zerrte erneut an seiner zerknitterten Fliege. Er zögerte einen kurzen Moment, dann sagte er: »Es gibt Gerüchte, Herr.«
Folcolum fand langsam Gefallen an dem Gespräch. Er mochte Gerüchte, denn sie waren nur so lange Gerüchte, bis sie zu Tatsachen wurden. Einmal ausgesprochen, überdauerten sie. Gerüchte waren wie Ideen; sie hatten Macht. Ihre Worte verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Töten konnte man beides nicht, denn es war schlichtweg immer viel zu spät.
»Und diese Gerüchte lauten?«
Floyk trat nervös von einem Bein auf das andere.
»Der Ikarus, Herr. Er ist zurückgekommen.«
Folcolums Herzschlag dröhnte in seinen Ohren. Seine Müdigkeit war mit einem Schlag vergessen. Der Ärger über den Verlust seines Lehrlings wie weggewischt.
Der Ikarus.
Neunundvierzig Jahre lang hatte er gesucht und gelauscht. Er hatte Fragen gestellt, Zungen gelockert und mehr riskiert, als er zu verlieren hatte. Neunundvierzig Jahre hatte ein Misserfolg den nächsten gejagt. Eine Spur nach der anderen war im Nichts verlaufen. Und plötzlich kam er zurückgekrochen.
Folcolum hätte am liebsten aus vollem Hals geschrien, dann gelacht und dann wieder geschrien. Jedoch beherrschte er seine Emotionen. Nichts war gefährlicher als falsche Hoffnung.
»Besagen diese Gerüchte explizit, dass es sich um ihn handelt?«
»Ja, mein Herr.« Der Bote schluckte mehrmals hektisch. Seine knochigen Finger zerquetschten seine traurige Fliege. »Die Magie ... äh, reagiert auf ihn. Es soll Zeichen geben, Herr. Eine Magierin in Kupferburg sprach von einer ... äh... Abwehrreaktion.«
Folcolum atmete tief und genüsslich ein.
Abwehrreaktion.
Hatte ein einziges Wort je süßer geklungen? Diese Welt hatte den Ikarus ebenso wenig vergessen, wie es Folcolum getan hatte. Natürlich nicht. Wie könnte man ihn auch vergessen? Den Jungen aus der Oberwelt, der sich alles genommen und nichts als Asche zurückgelassen hatte. War dieser Narr wirklich so dumm und kehrte nach Jahrzehnten in die Welt zurück, die er vor die Hunde gehen ließ?
»Der Ikarus.« Die Worte brannten wie Säure auf Folcolums Zunge. Es war ein Brennen, welches er auf eine fast perverse Art genoss. »Nun, dann wollen wir unserem verlorenen Bruder einen angemessenen Empfang bereiten.«