Es gibt 197 Antworten in diesem Thema, welches 6.613 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (12. Mai 2024 um 18:51) ist von Thorsten.

  • Auf der Flucht


    Sanft fällt Schnee vom Himmel und einzelne Flocken zischen als sie in die Flammen der Kohlebecken und Fackeln fallen. Andere erreichen den Boden und werden rasch von unzähligen Hufen und Füßen zertreten. Das Getümmel ist unbeschreiblich - ein ganzer Wagenzug ist auf einmal angekommen, und die Fuhrknechte sind damit beschäftigt Esel und Maultiere abzuschirren und zu den Stallungen zu bringen, Wagen zu sichern, Zelte für die aufzuschlagen die nicht im nahen Gasthaus nächtigen können und Waren abzuladen die besser nicht die Nacht auf den Wagen verbringen sollten.

    Er ist so gut wie unsichtbar in der Menge, niemand achtet auf ihn als er sich durch den Schneematsch arbeitet und an fluchenden Knechten vorbeidrängt.

    "Wem gehört dieser Wagen?", fragt er einen der Söldner die etwas abseits stehen und den Zug bewachen.

    Der Mann fixiert ihn kurz mißtrauisch, dann antwortet er, vermutlich ist ihm einfach langweilig.

    "Dem Kaufmann Jarondes", schnauzt der Söldner barsch.

    Das ist alles was er wissen will - er geht durch das Gewühl auf die Taverne zu, in den Schankraum der noch leer ist weil jeder draußen beschäftigt ist, geht zur Theke wie jemand der in wichtigen Angelegenheiten kommt. Sein Herz schlägt wild, aber diesmal muß der Plan funktionieren. Wenn nicht... er möchte diesen Gedanken nicht zu Ende bringen.

    "Ich soll für den Kaufmann Jarones einen Krug Rum, ein gutes Stück Brot und ordentlich Braten bringen!", redet er den Mann hinter der Theke an.

    Der fixiert ihn einen Moment.

    "Geld?", fragte er schließlich gedehnt.

    Er zeigt den silbernen Halbpfennig.

    "Und Jarondes wird das Wechselgeld zählen soll ich ausrichten!", setzt er hinzu.

    Der Wirt nickt, dreht sich stumm um und beginnt Rum in einen Krug zu füllen, verkorkt ihn und stellt ihn auf die Theke, schneidet dann Brot und Braten ab und zählt schließlich einen Haufen Kupfermünzen vor ihn hin.

    "Noch was?", fragt der Wirt.

    Er schüttelt den Kopf, greift nach den Münzen und schiebt sie in seine Tasche. Der Wirt beachtet ihn gar nicht mehr, sondern dreht sich weg. Jeden Moment erwartet er laute Rufe, aber nichts passiert und er nimmt Essen und den Krug und geht wieder aus der Schankstube hinaus. An der Tür begegnen ihm schon die ersten Fuhrknechte, und er murmelt eine Entschuldigung als er sich an ihnen vorbei in die verschneite Dämmerung bewegt.

    Fackeln und Laternen erhellen das Lager das hier plötzlich an der Wegkreuzung entstanden ist. Er hat noch nie so viele Wagen und Fuhrwerke auf einmal gesehen, aber hier ist die große Handelsstraße die von der Küste zu den Bergen führt. Allmählich ist so etwas wie Ordnung aus dem Chaos entstanden, die meisten Tiere sind schon im Stall, die Wagen abgedeckt und die Zelte errichtet. Kochfeuer werden entzündet, Söldner die zum Begleitschutz mitziehen gehen auf Wache, andere deren Schicht erst später beginnt in die Taverne. Aber immer noch beachtet ihn niemand. Seine Schritte knirschen im Schnee, aber das Geräusch geht unter, und niemand wirft einen Blick auf ihn, er ist wie unsichtbar.

    Es ist ein seltsames Gefühl.

    Der Braten in seiner Hand duftet so lecker, das Wasser läuft ihm im Mund zusammen, aber er traut sich nicht vor allen Leuten hineinzubeißen. Was, wenn er jemandem seltsam vorkommt?

    Endlich erreicht er das Versteck das er sich ausgesucht hat - eine Lücke zwischen den Stapeln an Feuerholz das an der Wand eines Stalls lagert. Er wirft einen hastigen Blick nach hinten - aber hier ist es zu dunkel als daß ihn jemand sehen könnte - dann verschwindet er in die Lücke. Hier ist er vor dem Wind und Schnee geschützt. Er kauert sich nieder um mehr Wärme zu haben, dann endlich schlägt er seine Zähne gierig in den saftigen Braten und das frische Brot.

    Er ißt alles auf, bis auf den letzten Krümel, und dann leckt er sich noch die fettigen Finger ab. Nachdenklich betrachtet er den Krug und zieht den Korken heraus. Der Rum hat einen aromatischen Geruch. Der erste Schluck aber brennt in seinem Mund, er schafft es ein wenig hinunterzubekommen und das Getränk warmt seinen Bauch, den Rest spuckt er aus. Er verkorkt den Krug wieder - vielleicht kann er ihn später an einen der Söldner verkaufen.

    Er tastet seine Tasche ab. Es kommt ihm nicht ganz wirklich vor, aber die Münzen sind alle da. Er zieht sie hervor und betrachtet sie - viel Kupfer, Pfennige und Halbpfennige, ein paar Stücke. Die Art von Münzen die man bei ihm vermuten könnte. Ein Schatz den er jetzt auch verwenden kann.

    Einen Moment zögert er.

    Wer aber einen Taler durch Lüge und Betrug erwirbt, der betrügt seine Seele und sie bleibt dunkel. So steht es im Buch Ädon, so hat es der Dorfpriester mehr als einmal gesagt. Aber was soll er damit anfangen, daß er verprügelt wird wenn er versucht ehrlich zu sein? Das Silber war ein Geschenk. Und wenn er beginnt darüber zu lügen, sich zum Burschen eines Kaufherren macht - dann wird er dafür belohnt?

    Was für ein Gott ist Ädon wenn er das zuläßt? Aber er läßt ja noch ganz andere Dinge zu, die Dörfer die abgebrannt wurden, die Menschen die umgebracht wurden...

    Er schnaubt.

    Es war sein Silber, und wenn er nun mal lügen muß um es zu verwenden, dann ist es so.

  • Hallo Thorsten

    Wieder ein schöner Rückblick in Tanreds "Wanderzeit". Ich muss ihm Respekt zollen für die clevere List. :thumbsup:

    Auch seine Gedanken bezüglich der Ädons-Lehre sind nachvollziehbar.

    Er schnaubt.

    Es war sein Silber, und wenn er nun mal lügen muß um es zu verwenden, dann ist es so.

    Der Zweifel, dass alles, was da verkündet wird, gut und richtig ist, war ja schon gesät in ihm. Jetzt scheint er zu wachsen.

    Spoiler anzeigen

    Zwei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen.

    Der Mann fixiert ihn kurz mißtrauisch, dann antwortet er, vermutlich ist ihm einfach langweilig.

    Das erscheint mir irgendwie zu viel. Den blauen Text brauche ich eigentlich gar nicht. Dass er antwortet, verrät mir die nächste Zeile und dass ihm vermutlich langweilig ist, das möchte mein Hirn nicht gesagt bekommen. Es will selber überlegen, warum er trotz des Misstrauens antwortet. Das misstrauische Fixieren löst bei mir Kopfkino aus. :D

    Das ist alles was er wissen will - er geht durch das Gewühl auf die Taverne zu, in den Schankraum der noch leer ist weil jeder draußen beschäftigt ist, geht zur Theke wie jemand der in wichtigen Angelegenheiten kommt.

    Diese Wiederholung ist mir beim Lesen aufgefallen. Erst dachte ich, dass er sich doch zur Theke "durchschieben" könnte, aber der Schankraum ist ja noch leer. Also passt das "gehen" an der Stelle. Doch vor der Taverne herrscht Gewühl, da könnte er sich vielleicht "durchschieben/-drängeln"?

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Der Zweifel, dass alles, was da verkündet wird, gut und richtig ist, war ja schon gesät in ihm. Jetzt scheint er zu wachsen.

    Ich finde es spannend hier immer wieder mal eure Gedanken zu lesen - mein Blick auf die Szene war eher, dass man erfaehrt dass Tanred die Predigten seiner Kindheit einfach falsch interpretiert hat - ich finde die Idee dass er hier tatsaechlich einen Betrug begeht eher abwegig - er erwirbt ja kein Geld durch Betrug wie in dem Zitat das ihm im Kopf rumgeht, sondern er hat es geschenkt bekommen...

    Fuer mich ist die Szene so was wie der Abschied von seinem eher naiven und woertlichen Kinderglauben... den wir spaeter mit sehr viel reiferen Interpretationen des Lehrsatzes kontrastiert sehen werden...

    Zwei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen.

    Danke - leicht zu korrigieren:danke:

  • Der Horizont im Osten wurde schon heller, als sich die Wagen endlich in Bewegung setzten und über den unbefestigten Dorfweg in Richtung der Handelsstraße davonratterten. Niemand schaute dem Aufbruch der Gaukler zu, kein Fenster wurde geöffnet, keine Laterne entzündet und keine Hand hob sich um ihnen zuzuwinken. Niedrige Hecken, Felder und kleine Baumgruppen, schemenhaft in der Dunkelheit zu erkennen, zogen langsam an den Wagen vorbei und Tanred blickte auf den Weg vor ihm ohne viel zu sehen. Er hatte einen Mantel um sich geschlungen und fühlte sich endlich wieder halbwegs warm, aber seine Gedanken kreisten und wollten nicht zur Ruhe kommen.

    "Wird es nicht auffallen, wenn wir so früh von hier aufbrechen?", fragte er schließlich Ketran die neben ihm auf dem Wagen saß und die Zügel hielt. "Machen wir uns so nicht erst recht verdächtig?"

    Ketran lachte kurz auf.

    "Wir sind nicht die erste Truppe die mitten in der Nacht aufbrechen muß, Tan", erklärte sie. "Es ist nicht einmal das erste Mal daß diese Truppe das tut... Auch wenn es meistens bei solchen Dingen um eine Bauerntochter geht und man Land gewinnen will bevor der Vater von der Sache Wind bekommt..."

    Er nickte, betrachtete dabei nachdenklich einen winzigen Ädonsschrein am Wegrand.

    Was sie sagte ergab Sinn, aber er hatte trotzdem das Gefühl als wüßte die ganze Gegend davon was in der Nacht geschehen war, als würden sich jetzt schon Verfolger aus Erbor aufmachen - und die Wagen waren so viel langsamer als Reiterei...

    "Niemand weiß von unserer Verwicklung in die Sache", fuhr Ketran leise fort als hätte sie seine Gedanken gelesen. "Perren ist vorsichtig bei solchen Treffen. An einem kleinen Ort ist es unvermeidbar daß jemand ahnt daß er Teil der Gauklertruppe sind, weil das die einzigen Fremden sind die da sind. Aber nahe einer Stadt wie Erbor wo jeden Tag Kaufleute kommen und gehen und andere Gaukler unterwegs sind - da weiß niemand wie er angekommen ist. Der Verräter kann der Garde nicht gesteckt haben daß sie uns suchen müssen, denn er weiß nicht genau wer Perren ist. Also können sie noch nicht hinter uns her sein."

    Noch nicht...

    Tanred hatte die Bedeutung die in diesen Worten lag durchaus erfaßt.

    "Aber wenn sie mal anfangen die Vorfälle zu untersuchen und Fragen zu stellen - dann können sie hinter uns her sein", murmelte er, ob zu sich selbst oder Ketran wußte er nicht genau.

    Ketran widersprach nicht, sondern blickte statt dessen nach Osten. Der Himmel über einer Reihe von Eichen wurde definitiv heller, nicht mehr nachtschwarz, sondern tiefblau.

    Tanreds Gedanken kehrten zu Perren und Wulfgar zurück. Die beiden hatten es mit vermutlich sechs Soldaten der Garde zu tun - wenn sie den Kampf verloren hatten, wenn einer von ihnen gefangen genommen war... Dann konnten die Verfolger schon viel schneller kommen...

    "Machst du dir keine Sorgen um Perren?", fragte er leise.

    Ketran zuckte mit den Schultern.

    "Nicht mehr als sonst", antwortete sie. "Er weiß was er tut. Und du machst dir keine Vorstellung was zwei geübte Kämpfer anrichten können wenn sie Deckung, den Schutz der Nacht und eine Armbrust haben - und die Zeit einen Hinterhalt vorzubereiten. Das ist kein offener Kampf, das ist ein Katz- und Maus Spiel bei dem aus dem Verborgenen zugeschlagen wird. Perren und Wulfgar kennen diese Art der Kriegsführung gut, die Soldaten wahrscheinlich nicht."

    Sie blickte einen Moment in die Nacht.

    "Die Soldaten sind wahrscheinlich schon tot...", setzte sie dann hinzu. "Das bedeutet, es wird noch länger dauern bevor irgend jemand in Erbor etwas erfährt. Vermutlich passiert das nicht vor Mittag - und bis dahin sind wir schon weit."

    Tanred seufzte. So viele Tote... Der Verräter Godhelm, der Armbrustschütze, ein Dutzend Soldaten der Garde... Es hätte sich gut anfühlen müssen, diese... Rache an den Soldaten die sein Heimatdorf zerstört hatten mitzuerleben. Aber alles was er spüren konnte war Ekel vor sich selbst, vor dem Blut das über ihn gespritzt war. Und dahinter nur Leere. Obwohl er sich mehrmals mit kaltem Wasser abgerieben hatte, hatte er das Gefühl immer noch nicht sauber zu sein...

    "Es ist so anders als in den Geschichten...", murmelte er.

    "Ja, so ganz anders...", bestätigte Ketran. "Jemanden im Kampf zu töten ist nie schön, Tan. Aber manchmal nötig. Und ich würde mir Sorgen um dich machen wenn du jetzt nicht nachdenklich und unsicher wärst, sondern begeistert von deinem Kampfgeschick erzählen würdest. Die Kerrinsmänner brauchen keine Mörder die Freude am Töten haben, sondern Menschen wie dich, die im entscheidenden Moment das tun was nötig ist und sich danach fragen ob es richtig war."

    Sie seufzte.

    "Ich wünschte ich könnte es dir einfacher machen, Tan - aber ich weiß nicht wie. Wir alle mußten da durch..."

    Er sah sie mit großen Augen an.

    "Du auch?", fragte er.

    Ketran nickte langsam und in Gedanken.

  • "Wieso halten wir hier? Eine halbe Meile weiter ist ein Dorf, da können wir die Nacht verbringen und eine Vorstellung geben", fragte Rocas gereizt und warf die Hände wütend in die Höhe. "Es ist jetzt die beste Jahreszeit um Geld für den Winter zu verdienen - wir können es uns nicht erlauben mal nach Lust und Laune zu pausieren." -- "Und wo ist eigentlich Perren?", fügte sein Bruder herausfordernd hinzu. "Sollte er nicht sowas entscheiden?"

    Die nördliche Straße von Erbor nach Terred führte durch lichten Auwald, immer wieder unterbrochen von Feldern, Weiden und verstreuten Höfen. In der Ferne war durch die Bäume hindurch an und an das glitzernde Band des Flusses Galta zu sehen, darauf die Kähne der Flußschiffer. Die Straße selbst war eine der alten arianischen Straßen und auch wenn ein Jahrtausend der Benutzung seine Spuren hinterlassen hatte war sie eben, breit und immer noch besser zu befahren als viele der kleinen Verbindungswege im Hinterland - vermutlich ein Grund dafür daß sie recht belebt war. Ein steter Strom von Fuhrwerken und Handkarren zog an den drei Wagen der Gaukler vorbei die bei einem Brunnen angehalten hatten um die Pferde zu tränken.

    Ketran seufzte.

    "Ich denke es wird Zeit euch alle zu sagen warum wir so früh aufgebrochen sind", begann sie und winkte die anderen herbei. "Und warum Perren und Wulfgar momentan nicht hier sind."

    Die Truppe versammelte sich in einem Halbkreis um Ketran. Auf einigen Gesichtern malte sich Besorgnis, auf anderen Ärger. Fret hielt sich nah bei Vinlind, er schien fast den Tränen nahe zu sein.

    "Es hat letzte Nacht sowas wie ein... Mißverständnis gegeben", begann Ketren. "Perren und Wulfgar waren unterwegs weil sie mit Händlern Geschäfte machen wollte - ich glaube es ging um Stoffe für Kostüme. Tanred ist mitgekommen um sich umzuhören. Und kaum haben sie sich mit den Händlern zusammengesetzt, kommt ein anderer Mann rein, vielleicht ein ehemaliger Kunde, und schreit was von Betrug und Verbrechern durch die Taverne. Und anscheinend hat er auch Schläger mitgebracht, jedenfalls gibt es ein Handgemenge, jemand ruft den Büttel, irgendwann werden Dolche gezogen und am Ende sind zwei der Händler und der Büttel tot."

    Sie hob den Blick und sah Rocas und Ofyas direkt an.

    "Ich weiß nicht genau wie sowas in eurer Heimat weiter geht, aber in Gondred untersucht der Magistrat der Stadt wenn ein Büttel mit einem Dolch im Bauch stirbt. Jeder in der Taverne hat Perren und Wulfgar mit den Händlern gesehen, sie waren mitten im Getümmel - also würden sie erstmal eingesperrt werden wenn die Wache sie zu fassen bekommt. Wir würden dann - als mögliche Zeugen für den Charakter und die Geschäfte der beiden - festgesetzt werden. Mit Glück irgendwo in der Stadt, mit etwas Pech im Kerker. Bis die Verhandlung zu Ende ist kann gut ein Mond vergehen - in dem wir keine Vorstellung geben und daher nichts einnehmen. Und wie Rocas richtig festgestellt hat ist jetzt eigentlich die beste Zeit für unsere Vorstellungen. Und alles dafür daß der Magistrat am Ende feststellt daß wir nichts mit der Sache zu tun haben. Also haben die beiden beschlossen daß sie sich erst mal nicht mit uns zusammen sehen lassen während wir die Gegend verlassen - und uns später wieder treffen."

    Sie blickte in die Runde, und zu seiner Überraschung sah Tanred, daß die meisten zu dieser Lügengeschichte nachdenklich nickten.

    "Ich hoffe, Rocas, das findet auch deine Zustimmung", fügte sie etwas sarkastisch hinzu.

    Der Perlaner nickte, fast gegen seinen Willen. Er sah aus wie jemand der nach einem Grund suchte, Anstoß zu nehmen, aber einfach keinen finden konnte.

    "Wird es Perren und Wulfgar gut gehen?", fragte Fret leise. Vinlind legte ihm die Hände von hinten auf die Schultern.

    "Ich denke schon", antwortete Ketran. "Sie werden vermutlich erst mal gesucht werden, aber zu Fuß sind sie nicht sehr auffällig, und sie wissen sich durchzuschlagen. Sie werden das schon schaffen..."

    Arngard seufzte leise. Auch sie sah besorgt aus - und müde.

    "Ich wünschte solche Erfahrungen würden uns erspart bleiben", sagte sie. "Aber was hilft das wünschen - wie Ädon will geschieht. Wohin sind wir jetzt unterwegs?"

    "Zum Kloster Sant Erran", antwortete Ketran. "Das ist der Treffpunkt, und aus Erfahrung weiß ich, daß wir in den Dörfern dort auch die eine oder andere Vorstellung geben können. Aber das wichtigste ist, erst einmal etwas Weg hinter uns und den Magistrat von Erbor zu bringen..."

  • Ich glaube ich hätte Mühe gehabt mir da eine plausible Geschichte auszudenken. Aber die klingt gut.

    Die Frustration der Gaukler kann ich mir vorstellen. Dennoch besteht auch eine nicht geringe Gefahr dass mal irgendwann einer die Lunte riecht und begreift dass da in der eigenen Truppe Sachen laufen die wirklich gefährlich sind. Es ist schon riskant.

    wie Ädon will geschieht.

    Der Satz ist irgendwie unvollständig? Entweder "was Ädon will geschieht" oder "Wie Ädon es will geschieht es"? Oder "Es geschieht wie Ädon will".

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Ich glaube ich hätte Mühe gehabt mir da eine plausible Geschichte auszudenken.

    Come on, Murissa hatte das Problem die ganze Zeit irgendwelche Luegengeschichten zu erfinden :D

    Der Satz ist irgendwie unvollständig?

    Ja, das soll hier eher so eine formelhafte Wendung wie inschallah sein...

  • Tanred betrachtete den Sonnenuntergang. Mächtige Wolken türmten sich über dem Wald auf, und während die Gipfel dieses himmlischen Gebirges noch golden umstrahlte waren, waren die tiefen Regionen schon in blauen Schatten gehüllt. Hohe Schleierwolken leuchteten fast weiß auf, und eine Schicht von niedrigeren verstreuten Wolkenfetzen bot ein Spiel von rötlichem Glanz und grauem Schatten das sich von Minute zu Minute veränderte.

    Wahrscheinlich würde es in der Nacht ein Gewitter geben.

    Aber das war nicht wichtig.

    Ein Stück hinter ihm standen die drei Wagen und ein Kochfeuer prasselte einlandend in der Mitte, aus einem Kessel der darüber hing stieg schon appetitanregender Geruch auf und Tareia war schon dabei Schalen zu verteilen. Die Pferde waren in einen Stall gebracht und gut gefüttert - aber all das bedeutete nur daß sie nicht von der Stelle kamen und die ganze Nacht hier bleiben würden.

    Während vielleicht schon Verfolger unterwegs waren.

    Von nervöser Energie erfüllt ging er unruhig hin und her. Vor seinem inneren Auge konnte er sie sehen, die dunklen, konischen Helme, die schwarzen Umhänge, das dunkle Lederzeug und unter ihnen die Rappen, in vollem Galopp, wie sie Meile auf Meile in rasendem Tempo zurücklegten bis sie die Wagen umringen würden...

    Er trat nach einem Stein, kickte ihn zur Seite. Es half nichts, sie konnten die Nacht nicht weiterfahren - weder die Geschichte die Ketran erzählt hatte gab das her, noch konnten die Pferde ohne Pause die Wagen ziehen. Sie waren schon recht lange gefahren - die letzten Fuhrwerke die hier am Gasthaus angekommen waren.

    Hier an der großen Handelsstraße gab es immer wieder solche Orte für Reisende - große Komplexe mit Stallungen für die Pferde, Esel und Maultiere der Fuhrknechte, einem Gasthaus mit einer Schankstube und Zimmern für die, die sich diesen Luxus leisten konnten und einer großen freien Fläche für Zelte und Wagen für alle anderen. Es war nicht so einsam wie auf den unbefestigten Straßen durch das Hügelland, hier flossen die großen Warenströme durch Gondred - Felle, Leder, Wolle und Roheisen wurden zur See gebracht, dafür kamen Wein, Gewürze, Stoffe, Glas und Keramik von den Häfen ins Hinterland. Und gerade war die ruhige Zeit auf den Straßen - die Galta war schiffbar, und viele Waren wurden von den Flußschiffern auf Barken transportiert - zur Schneeschmelze wenn der Fluß schäumend über die Ufer trat oder im Winter wenn gefährliche Eisschollen auf ihm trieben war keine Schiffahrt möglich und alles mußte über die Straße gebracht werden.

    Er blickte sich um, studierte das kleine Zeltlager das sich gebildet hatte und den Fachwerkbau des Haupthauses - irgendwie kam ihm dieser Ort bekannt vor... Aber er konnte die Erinnerung nicht finden. Schulterzuckend ging er zu den Wagen zurück. Sie sollten hier nicht so viel Zeit verbringen... aber was konnte er machen?

    Die Sonne war unter den Horizont gesunken, und das Licht wurde rasch schwächer. Schatten sammelten sich unter den Bäumen und ließen den Wald zu einer dunklen, fast bedrohlichen Masse verschmelzen. Unzählige Kochfeuer der Reisenden ließen Rauch und Funken in den Himmel steigen, und der Lärm von vielen Stimmen übertönte die Geräusche des Waldes.

    Tanred schlenderte langsam zu den Gauklern, lehnte sich dort schweigend an ein Wagenrad und starrte ins Feuer.

    Ungebeten erschienen wieder die Bilder in seinem Kopf. Der Schwerthieb - erst aufwärts, ein harter metallischer Klang. Dann der Schlag nach unten, die Klinge beißt mit einem feuchten Geräusch in Widerstand. Warmes Blut spritzt. Und dann das entsetzliche, feuchte Röcheln, Blut das aus Mund und Nase quillt...

    "Alles in Ordnung mit dir, Tan?"

    Er schrak hoch, blickte auf Arngard die sich neben ihn setzte. Dann schüttelte er den Kopf.

    "Nein, ich... es geht mir so viel im Kopf rum, zu viel, und ich hab' die letzte Nacht nicht geschlafen..."

    Sie legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter.

    "Ich kann's mir vorstellen", sagte sie leise. "Du hast gesehen wie bei diesem Gemenge jemand getötet wurde, oder?"

    Tanred seufzte. Wenn es nur das wäre...

    "Ich...", begann er, dann brach er ab. Wenn er ihr doch nur alles erzählen könnte, sie einfach ins Vertrauen ziehen statt jetzt Lügen und Halbwahrheiten zu verbreiten wie Ketran. Fast wäre es aus ihm herausgebrochen, aber im letzten Moment schluckte er die Worte wieder herunter. Er konnte es nicht - er hatte seinen Eid als Kerrinsmann geleistet.

    "Kannst du dir das wirklich vorstellen?", fragte er bitter.

    Arngard zögerte lange, blickte starr ins Feuer. Licht und Schatten flackerten in ihem Gesicht, und sie schien auf einmal nicht mehr ganz bei ihm zu sein, tief in Gedanken oder Erinnerungen versunken. Endlich, nach einer halben Ewigkeit, bewegte sie sich.

    "Weißt du, es ist nicht...", begann sie leise. "Ich habe..." Dann brach sie unsicher ab und biß sich auf die Lippen. Tanred blickte sie an, sie hatte irgend etwas sagen wollen, etwas Wichtiges, da war er sich sicher, und es ging ein stummer Kampf in ihr vor, aber schließlich stieß sie leise den Atem aus und nickte zu sich selbst.

    "Was?", fragte er.

    "Nichts", erwiderte sie leise. "Gar nichts, nur eine alte Erinnerung."

    Beide starrten schweigend ins Feuer, während die Dämmerung langsam der Nacht wich und die Schwärze immer näher an die Feuer kroch wie ein geduldiger Verfolger.

  • Dieser Abschnitt ist wieder sehr stimmungsvoll geschrieben und ich kann mir vorstellen wie Tanred sich fühlt. Aber das nun für sich behalten zu müssen ist ... nicht gut. Nun hat er also ein Geheimnis vor Arngard und sie hat offenbar auch eins vor ihm dass sie sich nicht traut ihm zu sagen. Keine gute Basis. Irgendwann wird wohl die Bombe doch platzen und die ganze Gauklertruppe auseinanderfliegen. Ich weiß nicht wie lange man so ein Geheimnis wahren kann ohne dass nicht irgendwann Misstrauen in der ganzen Truppe entsteht. Denn jetzt wird man wohl häufiger lügen müssen. Kann das lange gutgehen?

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Irgendwann wird wohl die Bombe doch platzen und die ganze Gauklertruppe auseinanderfliegen.

    Yep, da steht jetzt was im Raum. Ob das laenger gutgehen kann - ich denke ja, es ist ja ueber weite Strecken ein professioneller Zusammenschluss, selbst wenn jemand ahnt dass der andere Geheimnisse hat - man arbeitet halt bis zum Ende des Jahres weiter zusammen.

    Aber Du hast ein gutes Gespuer fuer Themen - die Fragen die aufgeworfen werden und die Verwicklungen sind natuerlich weiter Thema in der Zukunft...:D

  • So, heute habe ich den letzten Abschnitt von Teil 1 fertig bekommen. Damit werde ich mir erst mal eine Pause goennen, ich habe jetzt seit Dezember konsequent jeden Tag 1-2 Seiten Text produziert (mit sehr wenigen Ausnahmen...).

    Im Forum wird das noch eine Weile laufen, wir sind hier erst in Kapitel 7/12.:)

    An dieser Stelle ein :danke:an alle Leser.

  • Ich bleibe gerne dran.

    Das gilt für mich genauso :thumbup:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Wolkenfetzen zogen über den Himmel. In der Ferne waren Hügel zu sehen die in Regenschleier gehüllt waren, dazwischen lag Heideland, ab und an von einem Weiler der von Feldern umringt war unterbrochen. Tanred starrte in die karge Landschaft ohne viel wahrzunehmen. Er hatte auch die letzte Nacht kaum geschlafen, immer wieder waren die gleichen Bilder hochgekommen, und inzwischen hatte alles um ihn herum irreale Züge bekommen.

    Und sein Herz hämmerte immer noch - vor einer halben Stunde hatten die Wagen einen Kontrollposten der Garde passiert, und obwohl das Pergamment mit dem Siegel des Magistrats von Terred wieder seine Wirkung getan hatte war ihm gewesen als könnte jeder Blick eines Soldaten hinter seine Maske sehen. Doch niemand hatte ihn auch nur zweimal angeschaut...

    Ein kurzer Regenschauer begann, doch er saß nur neben Ketran zusammengesunken auf dem Bock, den Wollumhang über den Kopf gezogen. Wasser rann an ihm herab.

    Er hatte einen Mann getötet. Und seine Seele damit unwiderruflich vor Ädon gezeichnet...

    Plötzliche Hufschläge von hinten drangen in seine Gedanken.

    Einen Moment starrte er auf das was er sah, bis die Wahrheit in seine trägen Gedanken drang.

    Sie waren gekommen. Die Reiter der Schwarzen Garde waren hier!

    Es waren drei, mit dunklen Helmen, Schuppenpanzern über dunklem Lederzeug und kurzen Lanzen in der Hand, und sobald sie die Wagen überholt hatten, bauten sie sich quer auf der Straße auf. Ketran legte warnend eine Hand auf Tanreds Schulter, aber der einzige Gedanke der durch seinen Kopf zog war 'Abrechnung' - er hatte gegen Ädons Gebot verstoßen, und nun kam die Strafe dafür.

    "Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte Ketran, scheinbar ungerührt. Nur jemand der sie gut kannte, hätte das leise Zittern in ihrer Stimme wahrgenommen.

    "Wagen wenden!", befahl der erste der Reiter barsch. "Wir eskortieren euch nach Erbor."

    Kein Irrtum möglich... Tanred sank innerlich zusammen. Sie waren nicht schnell genug gewesen, und das war jetzt der Preis...

    "Weshalb denn?", fragte Ketran, diesmal mit einer Spur von Besorgnis in der Stimme. "Wir haben vom Magistrat von Terred freies Geleit zugesichert!"

    Einen Augenblick lang wirkte der Soldat unsicher, aber er schüttelte ärgerlich den Kopf.

    "Spielt keine Rolle - ich habe meine Befehle! Wendet die verdammten Wagen!"

    Ketran zuckte mit den Schultern und begann dann vorsichtig, den Wagen auf der engen Straße zu wenden. Tanreds Gedanken begannen zu rasen als die drei Soldaten zu den anderen Wagen ritten. Wo er vorher wie gelähmt gewesen war, kamen ihm auf einmal Dutzende von Ideen in den Kopf - es waren nur drei Soldaten, wenn die Gaukler sich zusammentaten und sie überraschten, dann war es vielleicht möglich sie zu überwältigen. Oder... sie würden mehr als einen Tag bis Erbor brauchen - während der Nacht konnten vielleicht Dinge getan werden. Oder...

    Ketran drückte seine Schulter. Hart.

    "Mach nichts unüberlegtes, Tan", warnte sie leise. "Ich arbeite an einem Plan, aber wenn du eine Dummheit machst, kann ich auch nichts mehr tun. Und denk' nicht mal über einen Kampf nach - nicht ohne Perren und Wulfgar."

    Er schnaubte, aber nickte schließlich.

    Ein Plan... Als ob Ketran jetzt noch irgend etwas Rettendes tun konnte.

    Langsam rollten die Wagen zurück nach Erbor, immer unter den wachsamen Blicken der drei Reiter. Ein neuer Regenschauer begann, kalte Tropfen über die Wagen zu gießen.

  • "So schnell sieht man sich wieder..."

    Der schwarzhaarige Offizier an der Straßensperre trug keinen Helm, aber ein Umhang über dem dunklen Kettenhemd zeigte sein Rangabzeichen. Er musterte erst die drei Wagen, dann die drei Reiter die die Gaukler eskortierten.

    Ketran seufzte.

    "Uns wurde befohlen, nach Erbor umzudrehen...", erklärte sie und deutete mit einer vagen Geste auf die Reiter.

    "Tatsächlich?", fragte der Offizier gelangweilt, trat auf die Straße, hakte die Daumen unter seinen Schwertgurt und baute sich breitbeinig vor den Reitern auf. "Und warum genau denn das?"

    "Wir haben unsere Befehle!", knurrte ihn der Anführer der Reiter an. "An die wir uns halten. Und jetzt aus dem Weg!"

    Der Offizier kniff die Augen zusammen und musterte den Reiter von oben nach unten, machte aber keinerlei Anstalten aus dem Weg zu gehen. Die Pferde tänzelten nervös und das Klappern ihrer Hufe ertönte in der plötzlichen unangenehmen Stille.

    "Kann ich diese Befehle mal sehen?", fragte er schließlich.

    "Die sind mündlich erteilt worden!"

    "Aha...", meinte der Offizier gedehnt und nickte übertrieben. "Und weshalb genau sollen diese guten Leute zurück nach Erbor gebracht werden?"

    "Das wissen wir nicht, der Befehl war nur, die drei Wagen zurück zu bringen. Also halt' uns hier nicht auf!"

    Der Offizier kratzte sich am Kinn und blickte abschätzig über die drei Reiter.

    "Mir gefällt dein Ton nicht, Freund", stellte er fest. "Absolut nicht. Diese Truppe Gaukler hat ein Dokument mit dem Siegel des Magistrats von Terred das ihnen freies Geleit zusichert. Und ganz offenbar wollen sie nicht nach Erbor sondern in Richtung Terred. Du hingegen hast keinen schriftlichen Befehl und auch keine Ahnung weshalb du sie von ihrer Reise abhalten willst. Also würde ich sagen daß die Wagen wieder umdrehen und dahin fahren wo sie verdammt noch mal hin wollen."

    "Das ist doch lächerlich!", rief der Reiter. "Ich lasse mich von euch doch nicht aufhalten?"

    Plötzliche Bewegung kam bei seinen Worten in die Soldaten, die am Straßenrand warteten - auf einmal wurden Armbrüste zur Hand genommen, Speere und Schilde gepackt und ein paar Männer mehr bauten sich auf der Straße auf und senkten Lanzen.

    "Mir gefällt dein Ton immer noch nicht", sagte der Offizier, diesmal schneidend. "Gar nicht. Einmal bin ich Truppenführer und du nur einfacher Soldat. Und dann unterstehe ich dem Kommando des Militärbezirks Terred - und rate mal - wir sind in Terred. Nicht in Erbor. Von dir brauche ich mir gar nichts sagen zu lassen, und wenn es dir nicht passt, dann beschwer' dich verdammt noch mal bei meinem Kommandanten. Und jetzt rate ich dir, mit deinen Kameraden den Heimweg nach Erbor anzutreten und diese Gaukler ihrer Wege ziehen zu lassen, oder ich lasse euch alle drei in Eisen legen!"

    Der Reiter sah einen Moment aus als wollte er widersprechen, besann sich aber dann eines besseren, preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen machte eine knappe Geste zu den anderen und die drei Pferde preschten die Straße in Richtung Erbor davon.

    Der Offizier schnaubte und wandte sich dann an Ketran.

    "Ich bedaure die unglücklichen Umstände - bitte setzt euren Weg fort!"

    Tanred starrte ihn wie vom Blitz getroffen an während Ketran den Wagen zu wenden begann.

  • Das ist ja gerade nochmal gutgegangen. Nur gut dass Ketran die Ruhe bewahrt hat. Da frage ich mich ja glatt wer die undurchsichtigen Leute eigentlich geschickt hat die die Gaukler zum Umkehren zwingen wollten.

    Noch eine andere Frage: Ich hatte mich bei meiner eigenen Story mal gefragt ob man eigentlich einen von Pferden gezogenen Wagen überhaupt auf so einer Straße wenden kann und sie nicht zu eng dafür ist? Der Wagen hat mit Pferden davor doch einen ziemlichen Radius? Ich hatte mir vorgestellt dass man eventuell abspannen muss was wohl ziemlich aufwändig wäre. Ich hatte mir auch vorgestellt dass die Waldwege früher wohl nicht besonders breit waren.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Den Twist hattest Du nicht erwartet, oder?:D

    Da frage ich mich ja glatt wer die undurchsichtigen Leute eigentlich geschickt hat die die Gaukler zum Umkehren zwingen wollten.

    Die Verfolger sind schon die fuer die man sie haelt.

    Die Idee die ich hier im Kopf hatte ist eher - so eine Verfolgung ist vom Standpunkt der anderen gar nicht so einfach. Die arbeiten zwar alle am Ende fuer den gleichen Koenig, aber natuerlich haben sie kein Telephon oder Funk um schnell Information auszutauschen - die reist eben genauso schnell wie ein Reiter. Und das fuehrt dazu dass weder die Verfolger so genau wissen wen sie eigentlich schnappen sollen weil sie selber keine Zeugen verhoert haben und nur Info aus dritter Hand haben - und eben auch die Soldaten an der Strassensperre keine Ahnung von irgendwelchen Vorkommnissen in Erbor haben.

    Man kann einfach nicht das Gegenstueck einer modernen Fahndung in einer mittelalterlichen Gesellschaft durchfuehren.

    Aber vom Standpunkt des Verfolgten stellt man sich natuerlich vor dass 'die da alle' zusammenarbeiten - das schlechte Gewissen macht's...

    Ich hatte mir auch vorgestellt dass die Waldwege früher wohl nicht besonders breit waren.

    Die sind auf einer der gepflasterten arianischen Handelsstrassen - im Wesentlichen kann man die Wagen die ich so kenne auf der Stelle wenden, die Raeder sind ja nicht angetrieben, wenn die auf der einen Seite vor und auf der anderen zurueck rollen geht das ganz gut, und Pferde koennen problemlos langsam zur Seite gehen - das ganze Gespann kann also wenden wenn der Wagen selbst auf die Strasse passt und die Pferde dabei durchs Gebuesch gehen - das koennen die ja problemlos.

    Insofern ist das einfacher als mit einem Auto.

  • "Jetzt sollten wir endgültig in Sicherheit sein...", murmelte Ketran eine Weile später.

    Böiger Wind jagte schon wieder kalte Regentropfen durch die Luft, aber Sonnenschein fiel schon durch ein Wolkenloch und zauberte einen zarten Regenbogen auf die dunkle Wetterwand zur Linken.

    "Und was wenn die drei ihrem Kommandanten Bericht erstatten und sie doch noch einen schriftlichen Befehl bekommen?", fragte Tanred gepreßt. "Was dann?"

    "Es sind Soldaten", antwortete sie als ob das allein alles erklären würde. "Die gehen den Weg des geringsten Widerstands. Wenn sie berichten daß sie uns nie angetroffen haben, dann passiert nichts weiter und es gibt keinen Ärger. Wenn sie hingegen berichten daß sie uns eingeholt haben, aber wieder abziehen mußten, dann kann alles mögliche unerfreuliche passieren - das wollen sie nicht riskieren."

    Tanred seufzte. Es schien ihm alles zu unglaublich - ein Offizier der Schwarzen Garde hatte dafür gesorgt daß sie davon kamen? Das ergab doch alles keinen Sinn! Oder war es ein Eingreifen Ädons? Eine Rettung im letzten Moment? Aber warum?

    "Es ist einfach sich die Garde als einen Block vorzustellen, Tan", erklärte Ketran weiter. "Fast alle von ihnen sind Ausländer, sie tragen dunkle Rüstungen, und sie wollen genau diesen Eindruck machen. Aber es stimmt eben nicht - sie kommen nicht mal alle aus dem gleichen Land. Die drei die uns verfolgt haben waren aus den Stadtstaaten, die an der Straße waren Eloraner. Außer daß sie alle Edreds Silber nehmen haben sie nicht so viel gemeinsam. Statt dessen pflegen sie auch ihre internen Rivalitäten."

    "Aber daß sie uns ziehen lassen, wenn wir schon so verdächtig sind daß sie uns folgen?!"

    Ketran lachte auf, und es lag ein bitterer Unterton in ihrem Lachen.

    "Du hättest die alten Zeiten erleben sollen", sagte sie. "Als die Gerichtsbarkeit für fast alles bei den Grafen lag. Da mußte selbst ein Mörder nur über die Grenze der nächsten Grafschaft um erst mal sicher zu sein. Und wenn die Grafen kein gutes Verhältnis miteinander hatten, dann gab es keine Möglichkeit den Verbrecher vor ein Gericht zu bekommen. Im Vergleich dazu sind die Verwaltungsbezirke der Garde riesig, und wenn du nicht grade einen Brief hast der dir freies Geleit zusichert, dann verfolgen sie Verbrecher im Prinzip auch über die Grenzen der Bezirke. Nur das königliche Recht reichte damals durch das ganze Reich - nur hat sich der König selten persönlich mit Verbrechern aus dem gemeinen Volk beschäftigt..."

    "Aber... Wie kann es sein daß ein Mörder einfach so davon kommen kann?", fragte Tanred verwirrt. "Die Grafen müssen doch begriffen haben daß so keine Gerechtigkeit herrscht?!"

    Ketran zuckte müde mit den Schultern.

    "Einige vielleicht...", meinte sie zweifelnd. "Anderen war es offenbar nicht so wichtig. Sonst wären die Femegerichte nicht entstanden."

    "Die gab es wirklich?", fragte Tanred verblüfft.

    Jeder im Dorf seiner Kindheit hatte die Geschichten über die Femerichter gekannt - mutige Männer und Frauen die unerkannt unter dem Volk lebten und sich ab und an zusammenfanden um an geheimen Orten Recht zu sprechen wo die Grafen Unrecht zuließen - allerdings maskiert, so daß sie niemand erkennen konnte und für ihre Taten verfolgen konnte. Es gab ganze Balladen die beschrieben wie selbst ein Graf der seine Leibeigenen mißhandelte nicht jenseits der Gerechtigkeit war und vor so ein Tribunal gestellt und verurteilt wurde. Und am Ende mit dem Tode bestraft wurde.

    Aber nie hatte jemand erklären können wie man so ein Gericht zu Hilfe rufen konnte, oder wer ihm als Büttel diente, und der Gedanke daß maskierte Richter einem Grafen auflauern konnten um ihm den Prozeß zu machen war Tanred schon damals komisch vorgekommen. Und doch schien Ketran anderer Meinung zu sein...

    "Ja, die gibt es wirklich", antwortete sie. "Auch wenn sie nicht gerade viel Wirbel um ihre Existenz machen. Und ich nehme an die Wahrheit ist etwas rauher als in den Geschichten die man sich so erzählt. Manchmal wird jemandem der Prozeß in Abwesenheit gemacht und er dann aus dem Hinterhalt getötet wenn er für schuldig befunden wurde. Das Recht seinem Richter gegenüberzustehen gibt es da nicht unbedingt. Aber es gibt mehr Femerichter und ihre Helfer als du wahrscheinlich denkst - sie haben Augen und Ohren überall."

    Tanreds Augen verengten sich als durch den Schleier seiner Müdigkeit ein Gedanke aufstieg.

    "Hat Perren etwas mit diesen Gerichten zu tun?", fragte er mißtrauisch.

    Ketran strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte sinnend auf den Weg. Der kurze Regenschauer hatte schon wieder nachgelassen und blasses Sonnenlicht erhellte die Straße voraus.

    "Perren hat auch vor mir seine Geheimnisse, Tan", sagte sie langsam. "Nur weil wir ein Paar sind vertraut er mir nicht alles an. Aber wie kommst du auf die Idee? Er ist Graf, und hat weltliche Gerichtsbarkeit inne - wieso sollte er Femerichter sein?"

    Tanred zuckte mit den Schultern. Sie hatte Recht - wieso sollte er im Geheimen tun was er ganz offen tun konnte?

    "Augen und Ohren überall", antwortete er nachdenklich. "Das klingt genau nach dem was Perren für die Kerrinsmänner tut..."

  • Das Geflecht wird immer etwas komplizierter. Nichts ist wie es scheint und Dinge zu durchschauen ist nicht einfach. Eine sehr interessante Darstellung.

    Ich glaube jetzt nicht dass Perren ein Feme-Richter ist. Weil ich mir vorstelle dass er höhere Ziele verfolgt als einzelne Verbrecher zu verfolgen. Es sei denn dass bestimmte Personen diesem höheren Ziel im Weg stehen würden.

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  • Das Kloster von Sant Erran war anders als Tanred erwartet hatte. Er kannte bisher nur Klöster aus der Heidelandschaft von Mittelgondred wo sie sich, Burgen gleich, einsam auf einer Hügelkuppe erhoben.

    Sant Erran hingegen ähnelte mehr einem ganzen ummauerten Dorf, oder eher einer kleinen Stadt, die sich auf halber Höhe an eine bewaldete Bergflanke schmiegte. Ein mächtiger Ädonsdom mit einem hohen Glockenturm, gemauert aus grauem Stein, überragte alles, aber in seinem Schatten ragten viele andere Gebäude auf - mindestens zwei weitere Ädonshäuser mit eigenen Türmen, eine große Halle mit Schieferdach, ein wuchtiger, breiter Turm der wie eine eigene Burg wirkte und kleinere, Wohngebäude und dann eine ganze Reihe von kleineren, mit Holzschindeln gedeckten Gebäuden von denen nur die Dächer über die Mauer die das Gelände umgab ragten. Rauch stieg aus zahllosen Kaminen in den Himmel.

    Den Hang hinauf war der Wald gerodet und statt dessen waren terrassenförmig Felder und Obstwiesen angelegt, und an den Südhängen wuchs etwas über Gestellen was Wein sein mochte. Schafe, Ziegen und einige Kühe weideten weiter oben.

    Unterhalb des Klosters, im Tal, war eine halbe Stadt zu finden - niedrige Holzgebäude drängten sich eng zusammen, überragt wieder vom steinernen Glockenturm eines Ädonshauses, und Tanred sah Lagerhäuser, Stallungen, einen kleinen Markt und an einem Fluß eine Sägemühle. Die Luft war voll vom würzigen Geruch von Holzkohle und frischer Maische - offenbar war eines der Gebäude unten das Sudhaus einer Brauerei - und das Hämmern von Stahl auf Stahl verriet die Existenz einer Schmiede.

    Überall waren Menschen zu sehen, viele von ihnen Mönche in braunen oder seltener in schwarzen Roben, aber die allermeisten in den normalen Bauernkitteln die das einfache Volk in Mittelgondred gewöhnlich trug. Karren und Fuhrwerke brachten Ladungen von Holz und Kohle herbei und fuhren schwer mit Fässern und Bündeln beladen wieder ab. Tanred begann zu verstehen, warum Perren ausgerechnet ein Kloster als Ziel für die Truppe bestimmt hatte - sie würden nicht in erster Linie für die Mönche aufführen, im Dorf unterhalb des eigentlichen Komplexes würden sie mehr als genug Zuschauer finden.

    In diesem Moment glänzte etwas hoch am Glockenturm auf und Tanred kniff seine Augen zusammen um die Quelle des Lichts besser zu erkennen. Da war ein Ädonsauge das wachsam über das Kloster und seine Ländereien blickte, und plötzlich begriff er, wie das Kloster und seine Umgebung sinnbildlich für Ädons Kirche und die Welt standen - es war eine eigene kleinere Welt die sie hier betraten.

    Und im gleichen Moment wurde er wieder daran erinnert daß man Ädons Blick nicht entkommen konnte - er sah dem Menschen auf den Grund der Seele. Und Tanred wand sich innerlich unter diesem Blick als wieder die Bilder in seinem Kopf aufstiegen und er den Schatten der auf seiner Seele lag wieder spürte...

    Er holte einen tiefen Atemzug. Er mußte sich zusammenreißen... Die Gaukler mußten die Lügen glauben die Ketran ihnen erzählt hatte, er durfte nichts tun was irgendwen auf die Idee brachte daß die Dinge anders lagen. Egal was passierte...

    "Wieso ist dieses Kloster so viel größer als die anderen?", fragte Tanred, mehr um sich abzulenken als weil er es wirklich wissen wollte, zu Ketran gewandt die neben ihm den Wagen fuhr.

    "Anderer Orden...", erwiderte sie schulterzuckend. "Manche der Orden müssen arm sein, andere können im Namen Ädons Besitz anhäufen und sind dann nur schwer von den Ädonsgrafen zu unterscheiden."

    Er musterte die massiven Mauern des Klosterkomplexes, die vorspringenden Wehrtürme und das zinnenbewehrte Tor - dieses Kloster konnte so gut als Schutz dienen wie jede Burg die er kannte.

    "Hat dieser Orden denn auch Soldaten?", fragte er.

    Ketran schnaubte amüsiert.

    "Nicht daß ich wüßte...", sagte sie. "Die Domanasier sind kein Ritterorden - ja, solche gibt es auch. Aber sie haben Büttel und Reisinge um für Ordnung zu sorgen. Und mehr als genug Geld sie zu bezahlen."

    Er seufzte.

    Es war offensichtlich daß Ketran die Idee falsch fand daß ein Kloster Land besaß, eine Brauerei und ein Sägewerk und dann zum Ruhm Ädons einen prächtigen Dom erbaute. Die Mönche hier waren sicher sehr verschieden von den Bettelmönchen die in seiner Kindheit ab und an durch das Dorf gekommen waren. Aber war diese Art des Dienstes an Ädon schlechter?

    Er wollte sich kein Urteil anmaßen, aber insgeheim hatte er den Verdacht daß Ketran recht hatte, es wirkte etwas falsch an der Idee die er hier vor sich sah...