Der Falke schlug wild mit den Flügeln und schien dennoch still in der Luft zu stehen, und dann, auf einmal, legte er die Flügel an und schoß dem fernen Wald entgegen, steil nach unten.
Tanred folgte ihm mit den Augen bis er den Vogel vor dem Gewirr der Baumwipfel verloren hatte, dann lehnte er sich gegen die Zinnen des Burgturms und blickte nach unten, auf eine Welt aus wucherndem Grün die von hier oben auf dem Turm so ferne schien.
"Ich könnte dich durch die Augen eines Falken sehen lassen...", murmelte Maldua. "Wenn du wolltest. Aber ich vermute, es wäre besser für deinen Seelenfrieden es nicht zu tun..."
Einen Augenblick lang war er wirklich versucht, ihr Angebot anzunehmen, und das erschreckte ihn. Ädon hatte die Magie verboten weil ihr Gebrauch so verführerisch war, weil jeder Schritt zum nächsten führte obwohl jeder für sich genommen so einfach aussah. Und dennoch - die Sehnsucht nach der wilden Freiheit des Falken konnte er nicht so ohne weiteres abschütteln.
Mit Mühe wandte er sich von dem Panorama ab das sich vor ihm ausbreitete und sah statt dessen Maldua an. Er sah keine Bosheit in ihren Augen, nur... Wehmut vielleicht? Ihre Miene war schwer zu deuten.
"Es ist die Magie des alten Wegs, Tanred", erklärte sie. "Die Macht des Landes, die Geheimnisse der Bäume und Wälder, die Kraft der Lebewesen um uns her. Wir sind eins, eins mit allem im Rad der Zeit, und daher kann ich sehen was der Vogel sieht und spüren was der Bär spürt."
Einmal mehr hatte er das Gefühl daß etwas hinter ihren Worten lag, daß sie ihm hier nicht beiläufig etwas erklärte, sondern daß es ihr wichtig war, ihn diese Dinge wissen zu lassen. Aber warum? Das Buch Ädon machte keinen Unterschied - wer Magie verwendete, stellte sich damit gegen Ädons Willen, zerstörte das Gleichgewicht und verkaufte so seine Seele an Pathon. Wozu die Magie verwendet wurde spielte keine Rolle.
Und trotzdem - konnte es schaden, mehr über diese Dinge zu wissen?
"Der alte Weg...", sagte er langsam. "Gibt es denn noch andere Magie?"
Maldua lächelte traurig.
"Ja, Tanred", antwortete sie. "Sehr andere Magie. Wenn du möchtest daß eine Frau dich küßt, dann kannst du sie umwerben, sie zu verstehen lernen, sie zum Lachen bringen, mit ihr tanzen - und vielleicht wird sie es irgendwann tun. Oder du kannst ihr Dorf abschlachten, ihre Familie als Gefangenen nehmen, foltern und quälen und ihr anbieten daß sie erst sterben dürfen wenn du deinen Kuss bekommen hast. So unterschiedlich kann Magie sein."
Sie atmete einen Moment tief durch, trat neben ihn und blickte dann über den Wald.
"Solche - andere - Magie ist vor langer Zeit nach Gondred gekommen, zur Zeit der Kyrenai vor vielen tausend Jahren. Sie hat das Land gequält und geschunden und ihre Spuren eingebrannt, Spuren die bis heute noch zu finden sind. Sie hat Dinge gerufen die niemand in diese Welt rufen sollte der bei Verstand ist. Die Magie von Kyrenai liegt wie ein Fluch auf diesem Land. In den Ebenen von Kyran, weit im Westen von hier, siedelt nach all den Jahrtausenden immer noch niemand weil bis zum heutigen Tag... Dinge dort umgehen. Blut ist in Strömen vergossen worden damit Teufel und Dämonen sich davon nähren können und den Kyrenai zu Willen sind, und die blutgetränkte, geschundene Erde erinnert sich... "
Tanred lief ein Schauer über den Rücken. Die warmen Sonnenstrahlen schienen bei ihren Worten an Kraft zu verlieren, substanzlos zu werden, und auch das Licht wurde irgendwie fleckig und grau, aber sie sprach weiter als würde nichts ungewöhnliches passieren.
"Wer kann es den Ädoniten verdenken daß sie das ihre getan haben um das Land von dieser Magie zu reinigen? Sie wußten nicht, was hier geschehen war als ihre Schiffe damals aus dem arianischen Reich kamen. Erst allmählich haben sie die Natur des Bösen kennengelernt. Und ihre eigene Art gefunden, dagegen zu kämpfen."
Sie wandte sich um und sah ihn ernst an. Er fröstelte.
"Verwechsle diese Arten von Magie nie, Tanred", sagte sie. "Nicht für einen Moment. Auch wenn wir das gleiche Wort verwenden, es ist nicht das Gleiche. Die Magie der Kyrenai frißt sich wie ein Krebs in diese Welt, sie hat nichts aber auch gar nichts mit dem alten Weg zu tun. Vergiß das nicht!"
Er nickte, unsicher und eingeschüchtert. Er wünschte sie würde endlich aufhören damit, nicht mehr weiter über Teufel und Dämonen reden. Schatten schienen über die Turmmauern zu fließen die vorher nicht da gewesen waren und die dort nicht hingehörten, und die Sonne war grau und substanzlos geworden.
"Laß uns in den Garten gehen...", murmelte sie. "Da gibt es einen Strauch - Teufelsbann - der Geruch hilft. Du merkst, selbst über manche Dinge zu reden ruft... Dinge in der Seele hervor..."
Schweigend folgte er der Herzogin, als sie die lange Wendeltreppe den Turm hinunter schritt, und dann durch Korridore und Treppen eine kleine Tür zum Kräutergarten erreichte. Warmes Licht fiel von außen herein, nicht mehr grau und fleckig, und dankbar trat er in den Duft des sonnendurchfluteten Gartens.
Auf einer Bank zwischen blühenden Stauden saß ein Mädchen in einem moosgrünen Kleid, vielleicht einen oder zwei Winter jünger als Tanred. Fuchsrote lange Haare fielen offen über ihre Schultern, und ihre grünen Augen blitzten zornig als sie auf Maldua zuging.
"Hier steckst du. Ich hab' dich überall gesucht", begann sie ohne Umschweife ohne Tanred auch nur eines Blickes zu würdigen. "Wenn du dich nun endlich entschlossen hast dich auf die Seite von Graf Perren zu stellen, dann möchte ich ihn begleiten und meinen Teil tun. Ich bin sicher daß er meine Kräfte gut brauchen kann."
"Meine Tochter Felua", erklärte Maldua milde, zu Tanred gewandt. "Du hast sie schon kennengelernt..."
Er wollte den Kopf schütteln, aber in diesem Moment sah das Mädchen ihn an und legte auf eine eigenartige Weise den Kopf schräg während ein spöttisches Lächeln über ihre Lippen glitt. Fuchsrote Haarsträhnen fielen über ihre Stirn...
"Du...", stammelte er, während sie lachte und nickte, sich dann wieder ihrer Mutter zuwandte.
"Oder hast du gehofft daß ich nichts mitbekomme wenn mir keiner was sagt? Ich habe es satt anderen zuzusehen wie sie ihren Teil tun - ich bin wirklich alt genug um jetzt selbst loszuziehen, du kannst mich nicht ewig auf Eschgeir festhalten."
Tanred hörte kaum was sie sagte und starrte Felua immer noch mit offenem Mund an. Felua war der Fuchs gewesen! Er hatte von der Herzogin gehört die Hexe war, und von ihrer Magie, aber irgendwie waren das trotzdem... nur Geschichten gewesen. Aber ihre Tochter war ein Fuchs gewesen!
Und plötzlich war Magie etwas sehr Reales in seinem Leben...