Ich weiß, es ist grad ein bisschen viel auf einmal, aber ich stell noch eine Geschichte rein, und zwar eine Kurzgeschichte, die den Titel "Hoffnung" trägt. Sie ist ein wenig älter, also verzeiht mir einige Unzulänglichkeiten in der Ausdrucksweise , und beim Schreiben ging es mir vor allem um die Botschaft, die dadurch vermittelt werden soll. Ich hoffe, das hat funktioniert und euch gefällt die Geschichte ...
Teil 1/2
Es war vorbei. Mit Schwert und Feuer waren sie gekommen und hatten Zerstörung gebracht, Schwert und Feuer hatten sie wieder mit sich genommen, als sie gegangen waren, die Zerstörung dagegen hatten sie dagelassen.
Joryn war am Boden zerstört, körperlich völlig am Ende, und auch seine seelische Verfassung war schlechter denn je. Verständlicherweise, denn was geschehen war, eignete sich keinesfalls für die Augen eines gerade einmal achtjährigen Jungen. Niemand sollte so etwas sehen, denn nirgends sollte es geschehen.
Doch jetzt war es zu spät, und nichts half mehr gegen den Schmerz und die schrecklichen Erinnerungen.
Der einzige Trost bestand darin, dass der Überfall vorbei war. Geblieben war nichts, und der Krieg dauerte an. Sicher würde noch einmal jemand kommen, vielleicht die gleichen, vielleicht jemand anderes. Im Grunde genommen machte das keinen Unterschied, das Ergebnis wäre schließlich dasselbe: Tod und Zerstörung.
Der Junge hob den Kopf und ließ ein weiteres Mal den Blick über das zerstörte Dorf schweifen, in der Hoffnung, vielleicht doch alles nur geträumt zu haben. Er wurde aufs bitterste enttäuscht. Seinem Auge bot sich derselbe Anblick wie schon unzählige Male zuvor: Trümmer, eingestürzte Wände, mannshohe Gesteinsbrocken, gesplitterte Balken, die wie Masten auf dem Deck eines Schiffes aus dem Trümmerfeld hervorragten, und vereinzelt schwelten sogar noch kleine Brände, was jedoch nur selten der Fall war, da der Überfall der marodierenden Soldaten nun schon einen ganzen Tag zurücklag. Doch noch immer lag der Rauch über dem Dorf.
Und das Schrecklichste von allen Dingen, die er zu sehen bekam, waren die Leichen, größtenteils verkohlt, blutig und verstümmelt, umgebracht von den Soldaten, die überall im Dorf herumlagen. Soweit er wusste, war er der einzige Überlebende, zumindest hatte er niemand anderen finden können, obwohl er das ganze Trümmerfeld, das einmal ein Dorf, seine Heimat, gewesen war, wieder und wieder nach seiner Familie, seinen Freunden, nach Irgendjemandem abgesucht hatte.
Eine einsame Träne bahnte sich den Weg von seinem Auge hinab über die Wange und hinterließ dabei eine feuchte Schliere im hellgrauen Staub, der sein eingefallenes, vom Gram gezeichnetes Gesicht beinahe zur Gänze bedeckte. Trotzig wischte er sie mit dem Handrücken weg und schniefte laut und vernehmlich, doch niemand konnte ihn hören. Niemand war da. Außer ihm, einem alleingelassenen Wächter der Einsamkeit.
Joryn hatte es nicht für nötig befunden, sich zu waschen, ebensowenig hatte er gegessen oder getrunken, denn er wollte nicht alleine weiterleben, wenn alle anderen tot waren. Er sah keinen Sinn darin, und die Hoffnung, dass außer ihm noch jemand überlebt haben könnte, hatte er inzwischen längst begraben. Gezwungenermaßen, doch das war ihm egal.
Vielleicht lebte außer ihm überhaupt niemand mehr, auf der ganzen Welt nicht, denn es herrschte ja schließlich Krieg. Wie viele Männer mochten wohl schon durch das Schwert gefallen sein? Er wusste es nicht, konnte sich ihre Zahl nicht vorstellen. Jedenfalls aber mussten es hunderte, tausende, ja, unzählige sein.
Eine weitere Träne trat hervor, als er an seine Familie dachte, seine Geschwister, mit denen er tagein, tagaus gespielt hatte, seine Eltern, die ihm größere Liebe entgegengebracht hatten als irgendjemand sonst auf dieser Welt und die immer für ihn dagewesen waren, wenn er sie gebraucht hatte … und noch eine, und noch eine … Er vergrub das Gesicht in seinem braunen, grob gewebten Wams und störte sich nicht im Geringsten daran, dass es mindestens genauso schmutzig war wie sein Gesicht. Joryn fing hemmungslos an zu weinen und vergaß für eine Weile die schreckliche Welt um sich herum, war ganz alleine, mit seinem Schmerz und seiner Trauer.
Was weinst du denn so, Junge?, drang plötzlich eine Stimme in sein Bewusstsein, die nicht seinen Gedanken entsprungen sein konnte, denn er hatte sie noch nie zuvor gehört, soweit er sich erinnern konnte. Es war eine tiefe, volle Stimme, die ihm in den Ohren dröhnte, trotzdem war es eine freundliche Stimme und keine hässliche, abstoßende, wie sie manchen Männern zueigen ist.
Trotzdem zeigte Joryn keine Reaktion, der Fremde konnte ihm gern gestohlen bleiben, solange er ihm nicht seine Familie zurückbrachte. Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, hörte Joryn ein tiefes, unzufriedenes Brummen, ein zweifellos von dem Fremden erzeugtes Geräusch, das zugleich auch Besorgnis auszudrücken schien.
Was ist los mit dir, Junge? Bist du verletzt? Haben sie die etwas angetan?, hörte er wieder die Stimme des Fremden, So sprich doch endlich mit mir!
Nach einem letzten lauten Schniefen war Joryn still, drehte den Kopf ein wenig und lugte durch den Spalt zwischen seinen beiden ineinander verschränkten Armen hindurch. Er sah ein einfaches, zerschlissenes Wams, genauso grob gewebt wie seines und in einem hässlichen olivgrünen Farbton, dazu einen abgewetzten Ledergürtel mit einer bronzenen Spange, und über beidem einen hellgrauen Mantel aus dicker, verfilzter Schafswolle.
Er sieht ungefährlich aus., redete Joryn sich ein, Es ist keiner von ihnen. Kein Grund, sich zu fürchten. Eine gewisse Scheu blieb, doch er riss sich zusammen und hob den Kopf. Vor ihm stand ein alter Mann in abgetragener Kleidung, er hatte einen langen grauen Bart, der ihm unordentlich auf die Brust hinabhing, und ebensolches Haar. In der rechten Hand hielt er einen knorrigen, hölzernen Stab, der ihn um einige Handbreit überragte.