Ich muss ja wenigstens so tun, als würde ich was schreiben
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Martin sah auf seine klägliche Ausbeute hinab.
Es war zu früh im Jahr und die meisten Pflanzen besaßen noch keine essbaren Früchte oder Samen.
Immerhin hatte er zwei Handvoll saftiger weißer Merula-Beeren aufstöbern können.
Die unscheinbaren Früchte schmeckten anfangs sehr sauer, entwickelten jedoch einen süßlichen Nachgeschmack, den er sehr mochte.
Den Inhalt seiner einen Hand ließ Martin in eine der vielen Taschen seiner Robe gleiten. Schließlich musste sein Meister dringend etwas essen. Dann wollte er sich über seinen eigenen Anteil hermachen.
Hinter dem Jungen ertönte ein leises Fiepen. Erstaunt drehte er sich um und blickte in große dunkle Augen, die zu ihm aufsahen. Ein erneutes Fiepen erklang und Martin ging in die Hocke.
„Du schon wieder?“, fragte er grinsend.
Die Fuchsaugen gaben seine eigenen frei und wanderten zu Martins Hand, die noch immer die Merula-Beeren hielt.
Das kleine Tier winselte und stupste mit der weichen Nase dagegen. Martin wusste er würde es bereuen, doch er streckte die Finger und gab die Beeren frei.
„Ich kann dir einfach nichts abschlagen, du Wollknäuel“, meinte er mit einem Lächeln auf den Lippen und streckte seine andere Hand aus. Der Fuchs ließ es wider Erwarten zu, dass Martin seinen Kopf streichelte. Das Tier hatte wunderbar weiches Fell, das dem Jungen dichter und flauschiger schien, als er es erwartet hatte.
In Windeseile hatte das kleine Tier die Beeren verdrückt. Doch statt wie bei ihrer ersten Begegnung fortzulaufen, schlabberte es mit der winzigen rauen Zunge an Martins Fingern.
„Hey, das kitzelt“, beschwerte der sich. „Wo ist denn eigentlich deine Mutter, Kleiner?“
Natürlich gab das Tier keine Antwort, doch es blickte zu ihm auf, ehe es sich wieder genüsslich seiner Hand zuwandte.
„Ich muss jetzt gehen“, setzte Martin sanft hinzu, „mein Meister wartet vermutlich schon auf mich. Er ist ein brummiger alter Bär, aber fast wie ein zweiter Vater für mich.“
Er strich noch einmal mit der Hand über den Kopf des Fuchses und erhob sich dann langsam.
Beim Gehen warf er noch einmal einen kurzen Blick über die Schulter. Die Augen des Tieres folgten seinen Schritten und der Kopf zuckte nervös. Eilig blickte Martin wieder nach vorne. Er wollte sich den Abschied nicht unnötig schwer machen. Schon immer hatte er zu Tieren ein besseres Verhältnis gehabt, als zu Menschen.
Er hastete durch den Wald und achtete nicht sonderlich auf den Untergrund, über den ihn seine Füße trugen.
Er machte sich Vorwürfe. Sein Weg hatte ihn tief in das grüne Meer getragen, wo die Bäume sich dicht an dicht drängten. Er hatte Tiu viel zu lange allein gelassen. Was wenn dieser inzwischen aufgewacht war und sich wunderte, wohin sein Schüler verschwunden war. Oder schlimmer, was wenn ihn ihre Verfolger, die es sicherlich geben würde, gefunden hatten? Nein, er hätte ihn nicht alleine lassen dürfen.
Vor lauter Sorge übersah Martin eine aus dem Boden ragende Wurzel. Sein Fuß verfing sich und mit einem entsetzten Aufschrei kippte er nach vorne. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, seine Hände unter den Körper zu ziehen und vermied es so, mit dem Kopf voraus auf den erdigen Untergrund zu fallen.
Verärgert rappelte sich Martin wieder auf. Wieso passierte so etwas immer ihm? Er sah an seiner eisblauen Stoffrobe herab und stellte entsetzt fest, dass sie teilweise zerrissen und mit Erde verschmutzt war.
„Mit so etwas kann ich doch nicht herumlaufen“, grummelte er. Man würde sich überall an ihn erinnern, den Bettel-Priester-Schüler würde man ihn nennen, und was noch schlimmer war, er würde seinem Meister Schande machen. Doch erkannte er, dass er im Moment nichts daran ändern konnte. Also rieb er sich die schmerzenden Handflächen und setzte seinen Rückweg, stets auf den Untergrund achtend, fort.
So entging ihm die kleine Gestalt, die ihm unter den schattenspendenden Bäumen folgte.