Eine Welt ohne Namen - Im Bann von 2 Welten

Es gibt 664 Antworten in diesem Thema, welches 167.955 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (2. September 2017 um 22:02) ist von Schreibfeder.

    • Offizieller Beitrag

    Maja hat also einen kleinen Verehrer, der sie auch direkt zum Essen einlädt? Wie süß :love:
    Und Maja findet ihn also charmant? So So. Scheint, als lässt sie das auch nicht so kalt. Dass Euen ihr außerdem hilft den Hof zu fegen macht ihn für mich sofort sympathisch. ^^

    LG, Kyelia

  • Dieser Abschnitt ist vielleicht etwas merkwürdig. :huh:


    Um fünf traf Maja Tabea zum Trainieren. Sie bat sie, ein wenig früher Schluss zu machen, damit sie sich mit Euen treffen konnte. Tabea zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und sagte, Maja müsse selbst wissen, wie viel Zeit sie zum Trainieren aufwenden wollte.
    „Es ist deine Trainingszeit, die verloren geht, ich kann die Sachen schon.“
    So wie Tabea das sagte, bekam Maja irgendwie ein schlechtes Gewissen.
    Zurück in ihrem Zimmer wusch sie sich gründlich, vor allem ihre Haare, die seit dem Friseurbesuch um einiges leichter zu pflegen waren, und machte sich dann auf den Weg zum Ausgang des Hauptquartiers. In der Eingangshalle war es sehr still. Maja bestaunte, wie fast jedes Mal, wenn sie hier lang ging, das Deckengemälde.
    Euen stand an der Pforte und lächelte, als er Maja sah. Er hob die Hand und winkte kurz. Maja wusste nicht, was sie sagen sollte, und winkte nur zurück. Gemeinsam gingen sie nach draußen. Der Himmel war schwarz, genau wie die Dächer der Häuser darunter. Euen übernahm die Führung.
    „Ich finde die Dächer von Miriam fantastisch“, sagte Maja in dem Versuch, ein Gespräch zu beginnen.
    „Weiß nicht“, sagte Euen. „Ich bin hier geboren, daher finde ich sie nicht so beeindruckend. Wo kommst du denn her?“
    „Ähm“, sagte Maja. Genau dieses Thema hatte sie eigentlich vermeiden wollen. „Jakarestadt“, antwortete sie schließlich.
    „Hey, das ist ja gar nicht so weit weg von hier“, rief er.
    „Und du? Hast du schon immer hier gelebt?“, unterbrach ihn Maja, bevor er weitere Fragen stellen konnte. Sie versuchte ihn zum Reden zu bringen und es funktionierte.
    „Ja“, sagte er. „Ich muss zugeben, ich war noch niemals außerhalb dieser Mauern.“
    „Würdest du gerne mal hier weg?“
    Er lachte verlegen. „Ich müsste jetzt ja sagen, oder?“, fragte er. „Alle in meinem Alter wollen unbedingt die weite Welt sehen. Aber ich finde es schön hier und kann mir gut vorstellen mein ganzes Leben hier zu verbringen. Findest du das schlimm?“
    Maja schüttelte den Kopf.
    „Alle, denen ich das erzähle, lachen mich aus oder bezeichnen mich als Langweiler. Aber warum soll ich einen Ort verlassen, an dem es mir doch gut geht?“
    „Ich verstehe, was du meinst“, sagte Maja. Sie konnte Euens Gedanken nachvollziehen.
    Maja hatte vorgehabt, mit Karim und Jinna die Stadt zu erkunden, aber sie hatten es noch nicht geschafft. So erfuhr sie erst jetzt, dass es in Miriam einen großen Stadtpark und sogar einen See gab. Euen führte sie daran vorbei zu einer kleinen Gaststätte in der Darjen-Straße.
    Darin war es warm und schummerig. Grobe Holztische standen herum und es gab eine Bar, hinter der jemand geschäftig Getränke in Gläser füllte. Die Gaststätte war gut besucht. An einem der Tische saß eine ganze Familie, an einem anderen mehrere junge Erwachsene und den Rest des Raumes teilten sich ein paar Kartenspieler und ein alter Mann, der lustlos in einem Teller voller Eintopf herumstocherte. Euen steuerte einen Tisch am Fenster an.
    „Zwei Mal Drachenspucke, bitte“, rief er dem Kellner zu.
    Maja setzte sich und schaute nach draußen. Man hatte von hier einen tollen Ausblick auf den See.
    „Drachenspucke?“, fragte sie skeptisch.
    „Praktisch das Nationalgetränk hier“, erklärte Euen. Du bekommst es in Miriam überall.
    Man brachte ihnen zwei Gläser zum Tisch, in denen eine undefinierbare, hellgraue Masse mit schwarzen Stippen schwamm. Euen nahm einen tiefen Schluck.
    „Ist das Alkohol?“, fragte Maja. „Woher kommen die schwarzen Stippen?“
    „Die kommen von der Drachenfrucht. Und Alkohol ist nicht drin.“
    „Drachenfrucht? Das erklärt den Namen.“
    „Jep“, meinte Euen. „Drachenfrucht, Pfirsichsaft, Grapefruitsaft, Kokossirup und Banane.“
    „Na dann.“ Maja hob das Glas an, prostete Euen zu und nahm einen tiefen Schluck. Sie verzog das Gesicht.
    „Schmeckt es dir nicht?“
    Maja wusste nicht recht, was sie antworten sollte. Es schmeckte nicht schlecht. Aber auch nicht wirklich gut. Irgendwie bitter und süß zugleich, außerdem hatte es einen seltsamen Nachgeschmack.
    Sie aßen Würste und irgendein Krautzeug und redeten über dies und das. Meist waren es belanglose Dinge, zum Beispiel Erlebnisse bei der Arbeit als Libellen. Allerdings weigerte sich Euen über Sonkon oder andere hochrangige Libellen zu reden. Er meinte, man wüsste nie, wer mithörte.
    „Warum bist du eigentlich Libelle geworden?“, fragte er Maja schließlich.
    Sie wurde rot. Was sollte sie sagen? „Erzähl du doch erst mal, warum du eine geworden bist.“
    „Du redest nicht gerne von deiner Vergangenheit, oder?“, stellte er enttäuscht fest. „Na gut, ich erzähle erst von mir. Mmh. Eigentlich gibt es da nicht viel zu wissen. Es wird ganz ordentlich bezahlt, das ist der Hauptgrund.“
    Maja blickte skeptisch drein und Euen lachte mal wieder, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Er lachte oft.
    „So wie du gucken die meisten, wenn ich ihnen das erzähle. Sie verstehen einfach nicht, dass ich nur meinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Fast alle Libellen, die ich kenne, haben irgendwelche großen Ziele. Sie wollen die Welt verbessern und Gutes tun. Aber jetzt mal ehrlich: inwiefern tut man denn Gutes, wenn man Firken in kleine Stückchen hackt? Wenn die Leute etwas Gutes tun wollen, sollen sie Leibwächter werden und Reisegruppen vor Räubern bewahren. Wie siehst du das?“
    „Ähm. Ich bin mir nicht sicher. Wahrscheinlich hast du Recht und es ist wirklich nur …“
    „Warum bist du denn eine Libelle geworden?“, unterbrach er sie.
    „Familientradition“, antwortete Maja spontan. „Die Erstgeborenen bekommen das Haus und die anderen werden Libellen.“
    „Wow, deine Familie muss ja geradezu besessen von den Kamiraen sein“, staunte Euen.
    „Eigentlich nicht“, meinte Maja, stellte aber fest, dass sich das nicht gerade überzeugend anhörte. „Na gut, schon“, gab sie zu. „Mein Vater hat fast jeden Tag von ihnen geschwärmt.“
    „War in meiner Familie genauso“, sagte Euen. „Aber das ist nicht weiter verwunderlich, in Miriam wirst du kaum einen Menschen finden, der die Kamiraen nicht vergöttert. Ich selbst bewundere sie sehr. Hast du schon mal die Geschichte gehört, wie Fiona Femeno die Festung El Bat erobert hat? Ganz allein?“
    Maja schüttelte den Kopf. Sie erinnerte sich an Fionas Gesicht und stellte sich vor, wie sie hohe Mauern erklomm und mit feindlichen Soldaten kämpfte. Von allen Kamiraen konnte sie es sich bei ihr am ehesten vorstellen.
    Euen begann, zu erzählen: „Lord Haganok war der Erbauer von El Bat. Er war ein alter Freund des Königs, aber er hatte sich mit ihm zerstritten und wollte nicht mehr unter seinem Einflussbereich leben. Also erbaute er die Festung und schloss sich dort ein. Dem König war es egal – glaube ich jedenfalls – aber dann hat Haganok angefangen, das Umland zu terrorisieren. Ich hab mal gehört, dass er immer ziemlich allein war und niemanden an sich heran ließ – da ist er vor Einsamkeit verrückt geworden.
    Jedenfalls war in der Nähe wohl ein Weltentor und dadurch, dass Haganok alle terrorisiert hat, ist es schwieriger geworden das Tor vor Fürst Dreizehn zu beschützen. Irgendwann ist Fiona Femeno dann der Kragen geplatzt und sie hat dem Kerl, Lord Haganok, gesagt, wenn er nicht sofort aufhören würde, könne er was erleben.“
    „Er hat nicht aufgehört, was?“, sagte Maja.
    „Er dachte nicht im Traum daran. Und am nächsten Morgen lag seine Festung in Trümmern. Und Fiona stand neben seinem Bett und hat ihm einen guten Morgen gewünscht. Sie hatte die Mauer und einen großen Teil des Gebäudes gesprengt und sich bis zu seinem Schlafzimmer durchgekämpft.“
    „Wow“, sagte Maja beeindruckt.
    „Aber noch toller ist das, was Maja Sonnfeld gemacht hat.“
    Maja wurde plötzlich eiskalt und sie verzog das Gesicht. „Was ist daran toll?“, wagte sie zu fragen.
    „Bist du wahnsinnig?“, rief Euen. „Sie war in Andraya. Dem gefährlichsten Ort der Welt. Kein anderer Kamiraen hätte das gewagt.“
    Majas Stimmung war den ganzen Abend nicht besonders hoch gewesen, doch jetzt rutschte sie endgültig in den Keller. Ihr war klar, dass sie versuchen sollte, das Thema zu wechseln, aber sie konnte Euens Worte nicht auf sich beruhen lassen. „Vielleicht wusste sie nicht, wie gefährlich dieser Ort ist“, sagte sie. „Oder sie hat nicht so darüber nachgedacht.“
    „Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie dort war, oder? Und es überlebt hat. Es muss daran liegen, dass sie aus der anderen Welt kommt. Die Leute von dort müssen übermenschliche Fähigkeiten haben, oder so.“
    Jetzt musste Maja doch kichern. „Haben sie nicht“, sagte sie, aber Euen sprach schon weiter:
    „Ich habe sogar gehört, dass sie eine Geisel von Fürst Dreizehn befreit haben und dass Maja ihm höchstpersönlich die Zunge herausgestreckt hat.“
    Majas Kichern verstummte. „Soll ich dir sagen, was ich gehört habe“, sagte sie wütend. „Nämlich dass Maja schon aufgeben wollte und einer ihrer Freunde die Gefangene befreit hat. Und ich bezweifle, dass irgendjemand Fürst Dreizehn jemals ungestraft die Zunge herausgestreckt hat. Sowieso hatten wir bei der ganzen Sache mehr Glück …“
    In dem Moment kam eine aufgeregte Gruppe Menschen in das Gasthaus gelaufen und bewahrte Maja davor, dass Euen ihren Versprecher bemerkte. Die Gruppe rief wild durcheinander und steckte die übrigen Gäste mit ihrer Aufregung an.
    „Hey, hey!“, sagte der Wirt beschwichtigend. „Ihr bringt mir den ganzen Laden durcheinander. Setzt euch und trinkt oder geht wieder.“
    „Wir wollten nur wissen, ob ihr es auch schon gehört habt“, sagte der größte der drei Neuankömmlinge. „Es gibt einen Eindringling in Miriam. Es heißt, einer der Kamiraen ist ums Leben gekommen.“

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (25. Mai 2015 um 11:35)

  • Tabea zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und sagte, Maja müsse selbst wissen, wie viel Zeit sie zum trainieren aufwenden wollte.

    groß

    Maja bestaunte _ wie fast jedes Mal, wenn sie hier lang ging, das Deckengemälde.

    +Komma

    Man brachte ihnen zwei Gläser zum Tisch _ in denen eine undefinierbare, hellgraue Masse mit schwarzen Stippen schwamm.

    + Komma
    Außerdem ... was sind Stippen? Höre ddas zum ersten Mal und google gibt mir ein Verb dafür raus ?(

    Ah, der Unglückliche ist also da und macht Randale. Maja kann jetzt froh sein, dass sie momentan Lilia ist ^^
    Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass Euen doch schon ziemlich bald Verdacht schöpfen wird ^^

    • Offizieller Beitrag

    Ich musste schon etwas kichern. Maja und endlich mal einen Jungen, der ihr iwie gefällt :super:
    Das hab ich bisher etwas vermisst ;)
    Keine unendliche Liebesgeschichte, aber so mi 13-14 verguckt man sich dann doch mal :P
    Ich bin auf jedenfall gespannt, wie das Essen ausfällt ^^
    :stick: weiter ....

  • Miriam, die sicherste Stadt .... von wegen!
    Das 'Date' von Maja ist ja mal sehr interessant verlaufen. Aber das sie selbst, so böse gegen sich wetter, ist bestimmt eine Sache, die ihr als Libelle noch Schwierigkeiten bereiten wird (könnte ich mir zumindest vorstellen) . Dein Cliffhänger ist echt gemein, aber ich kann es jetzt kaum noch erwarten, bis es endlich weiter geht, also schreib bitte schnell weiter :stick:

    • Offizieller Beitrag

    Ja, hatte ich zuerst, aber nur, weil beim Anklicken immer die letzten Teile aufgezeigt werden und durch den Seitenwechsel kam ich dann durcheinander X/
    Hab den anderen aber aufgeholt und finde, dass Maja etwas vorsichtiger sein sollte, wenn ihre Tarnung nicht auffliegen soll. Andere in bestimmten Geschichten um die eigentlich eigene Person zu verbessern, könnte falsch interpretiert werden 8o
    Aber die Jugend wird so gut rübergebracht ^^
    Der Cliffhanger ist allerdings wirklich mies =O

    • Offizieller Beitrag

    Euen scheint ein riesen Fan von den Kamiraen zu sein. Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht, was ich von ihnen halten soll. Sie kommen mir jedenfalls nicht alle sonderlich sympathisch vor :hmm:
    Maja sollte aber aufpassen, was sie Euen sagt. Er scheint nicht blöd zu sein und wenn sie nicht will, dass ihre Tarnung auffliegt, dann wäre es vielleicht besser, die Geschichten nicht all zu sehr zu verbessern. ^^
    Ein Eindringling? Miriam ist wirklich unglaublich sicher, wenn da einfach jeder reinspazieren kann. :/ Ich bin mal neugierig, wer das ist :D

    LG, Kyelia

  • Tut mir leid, dass ich euch nach diesem Cliffhanger so lange hab hängen lassen, aber irgendwie hat mich das gute Wetter nach draußen gelockt. Außerdem kommt demnächst eine schwierige Stelle, bei der ich sehr genau aufpassen muss, was ich schreibe, deshalb drücke ich mich gerade gerne. Wenn ich da was falsches schreibe hab ich für den Rest der Geschichte Probleme.
    Und ja, Miriam kommt hier wirklich nicht besonders sicher rüber. Obwohl ich behaupten würde, dass Ottonormalverbraucher nicht einfach so reinkäme.
    Und was die Kamiraen angeht @Kyelia , die sind mir auch nicht sympathisch und sollen es auch nicht sein.

    Jetzt hab ich auf jeden Fall mal wieder einen Teil und zwar das ganze nächste Kapitel. Viel Spaß damit.


    Nacht des Schreckens


    Ein kalter Schauer lief Maja über den Rücken. Entsetzt sahen sie und Euen sich an.
    „Ach du Schande“, sagte Euen.
    Maja sprang auf und sah gehetzt zur Tür.
    „Was willst du?“ Euen griff nach ihrem Arm und hielt sie fest.
    „Wir müssen nachsehen, was passiert ist, komm.“
    „Wir müssen noch zahlen. Außerdem, wo willst du hin? Zum Hauptquartier? Da können wir nicht helfen.“
    Alle Gäste sowie der Wirt starrten die beiden verwundert an. Maja langte mit zitternden Fingern nach ihrem Geldbeutel. Sie hätte nicht erklären können, warum sie so geschockt war. Endlich erwischte sie das Geld und ging zur Theke, um es dem Wirt zu geben. Hinter sich her schleppte sie Euen, der immer noch ihren Arm festhielt.
    „Lilia, was ist los mit dir?“, fragte er verängstigt. „Lass uns einfach hierbleiben; das Ganze ist nur ein Gerücht.“
    Einer ihrer Beobachter äußerte sich dazu: „Es ist wahr“, sagte er. „Seid ihr Libellen? Dann würde ich an eurer Stelle hierbleiben. Es ist durchaus möglich, dass der Eindringling noch irgendwo in Miriam herumläuft.“
    „Siehst du Lilia, wir sollten hierbleiben“, rief Euen, aber Maja zog ihn jetzt so kräftig in Richtung Tür, dass ihm keine Wahl blieb.
    Die zwei stolperten auf die Straße.
    „Lilia“, murmelte er.
    Maja packte ihn an der Jacke. „Wo lang geht’s zum Hauptquartier?“
    Er sah sie erstaunt an und zeigte in eine Richtung.
    „Komm.“ Sie rannte los und er folgte ihr. Maja lief so schnell sie konnte. Im Augenblick war es ihr egal, ob ihre Identität aufflog, sie wollte nur wissen, was passiert war. Zwischen ein paar Hausdächern konnte sie die Fassade des Hauptquartiers erkennen und rannte darauf zu. Hinter ihr gab Euen es auf, mit ihr mitzukommen.
    Maja wusste nicht, woher sie die Ausdauer nahm, den ganzen Weg zu rennen, aber schon nach wenigen Minuten kam sie am Hauptquartier an. Vor der Tür hatte man zwei Wachen aufgestellt. Schon als sie sie von weitem sahen, versperrten sie ihr den Weg. Maja musste sich ausweisen, um ins Hauptquartier zu gelangen. Zum Glück hatte sie ihren Libellenausweis immer dabei.
    Als sie die Eingangshalle betrat, war die Stille, die hier noch vor wenigen Stunden geherrscht hatte, verschwunden. Überall standen verwirrte und besorgte Leute herum. Einige von ihnen trugen sogar Schlafanzüge, die meisten allerdings die weißen Kleider der Libellen. Ein aufgeregtes Flüstern erfüllte die ganze Halle und sie sah sowohl angespannte als auch traurige als auch völlig verängstigte Gesichter.
    „Im vierten Stock soweit ich weiß“, sagte jemand, an dem sie vorbei rannte. „Ja, ich weiß, es ist schrecklich.“
    Der vierte Stock also. Hier im Hauptgebäude oder in einem der anderen Gebäude? Schon im Hauptgebäude war er riesig, aber Maja kannte sich darin aus, denn ihr Zimmer war dort gewesen, bevor sie Libelle geworden war. Sie steuerte die nächste Treppe an und sprang sie hinauf, so schnell sie konnte. Immer wieder kamen ihr aufgelöste Menschen entgegen, die ihr manchmal verdutzt hinterher blickten.
    Im zweiten Stock merkte sie, wie sie langsam die Kräfte verließen. Sie blieb stehen und überlegte, warum sie eigentlich so rannte. Die Kamiraen konnten ihr doch egal sein, oder? Dann erschien Kandrajimos Gesicht vor ihren Augen – hoffentlich war ihm nichts passiert. Er war der einzige Kamiraen, von dem sie wenigstens ein bisschen das Gefühl hatte, dass er zu ihr hielt.
    Sie rannte weiter und kam endlich im vierten Stock an. Doch hier versperrte ihr ein weiß gekleideter Wachmann den Weg.
    „Ich muss ganz schnell hier durch“, sagte Maja eindringlich.
    „Ich darf niemanden durchlassen“, erwiderte die Wache. „Tut mir Leid Kindchen. Geh wieder ins Bett, hier kannst du nicht helfen.“
    Maja schluckte. Sie wusste, der Mann würde sie nicht freiwillig vorbei lassen. Also holte sie tief Luft und stürmte los.
    „Was?“, rief die Wache entsetzt und kam ihr entgegen, um sie aufzuhalten. Doch im letzten Moment warf Maja sich zur Seite, kugelte über den Boden, sprang wieder auf und lief weiter.
    Die Wache rannte hinterher. Maja wischte sich Blut von der Wange. Beim Versuch, sie aufzuhalten, hatte der Wächter ihr mit dem Fuß den Weg versperrt und sie im Gesicht getroffen. Doch sie spürte den Schmerz kaum. Sie flitzte um eine Ecke, bevor ihr Verfolger sie erwischen konnte, und blieb entsetzt stehen.
    Vor ihr hatte sich eine Menschentraube gebildet. Einige Frauen und Männer standen um zwei verrenkte Körper herum, die auf dem kalten Steinboden lagen. Auch der Wachmann blieb stehen und schluckte, den Blick auf die beiden Gestalten gerichtet. Maja hatte er scheinbar völlig vergessen.
    Sie ging mit weit aufgerissenen Augen näher heran, bis sich in der Menschenmenge eine größere Lücke auftat, durch die sich ihr der gesamte Anblick offenbarte. Sie verschwendete keinen Gedanken mehr an die Umstehenden, nur ganz am Rande nahm sie wahr, dass zwei von ihnen eine Trage herbeitrugen, während andere sich darum bemühten, die Umstehenden auf Abstand zu halten, und gleichzeitig eindringlich Fragen stellten.
    Majas Augen hefteten sich sofort auf die kleinere der am Boden liegenden Personen: Es war Andrea. Sie hatte grauenhafte Verletzungen und ihr hellblaues Hemd war blutgetränkt. Mit geschlossenen Augen, aber leicht geöffnetem Mund lag sie nicht auf dem Rücken oder auf dem Bauch, sondern auf der Seite, die Beine leicht angezogen, in einer Haltung, in der Maja manchmal einschlief. Niemand musste ihr sagen, dass sie tot war.
    „Komm“, sagte der Wachmann, der Maja verfolgt hatte und sich jetzt wieder an sie erinnerte, leise. Er griff nach ihrem Arm, doch sie riss sich los. Eigentlich wollte sie nur zu gerne mit ihm mitgehen und die Augen von dieser schrecklichen Szene abwenden, aber sie konnte es einfach nicht. Ihr Blick wurde wie magisch von Andreas Gesicht angezogen.
    Die Sekunden verstrichen, dann wandte sie mit großer Mühe den Blick ab und sah die andere Person an. Maja erkannte sie nicht. Es war ein Mann und es war offensichtlich, dass er ebenfalls tot war, denn ein Schwert steckte mitten in seiner Brust. Der Anblick rief in Maja tiefe Furcht hervor. Bleich, knochig und mit verfilztem, blondem Haar, das ein ausgemergeltes Gesicht umrahmte, sah er aus, als stamme er nicht von dieser Welt, sondern von einem dunkleren Ort. Einem Ort, an dem das Böse herrschte. Seine Augen waren geöffnet und zeigten leer und dunkel zur Decke. Die Gliedmaßen standen weit ab und sein Gesichtsausdruck wirkte überrascht. Das Merkwürdigste aber war seine Haut. Er trug nur ein weites, nicht zugeknöpftes, blutrotes Hemd, deshalb hatte man einen guten Blick auf den Oberkörper des Mannes. Auf der bleichen Haut hatte er ein seltsames Muster aus schwarzen und weißen Flecken, das sich bis zu den Hand- und Fußgelenken ausbreitete und sogar über den Hals bis zum Kinn und zu den Ohren.
    „Maja.“ Eine bekannte Stimme und der Gebrauch ihres richtigen Namens weckten Maja aus ihrer Trance. Jemand nahm sie an beiden Armen und drehte sie weg von dem Anblick. „Dem Himmel sei Dank, ich hatte wahnsinnige Angst um dich. Ich konnte dich einfach nirgendwo finden.“
    Maja schaute in das Gesicht des Mannes, der diese Worte aussprach, doch sie sah immer noch die beiden Toten vor sich. „Ist alles in Ordnung mit dir? Komm, du musst hier weg.“
    Mit großer Anstrengung gelang es Maja, das Gesicht des Mannes wahrzunehmen.
    „Kandrajimo“, murmelte sie.
    Er legte schützend den Arm um ihre Schulter und bugsierte sie von der Menschentraube weg. Maja wusste nicht, wohin sie gingen, und sie gab sich auch keine Mühe, den Weg zu erkennen oder sich gar zu merken. Sie fühlte sich leer und es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Als Kandrajimo eine Tür öffnete und sie hindurch schob, erkannte sie Tabea. Die weißhaarige Frau stand in der Mitte eines kleinen Raumes und sah sie ernst an. Das Fenster hinter ihr war weit geöffnet und die frische Luft, die Maja daraus entgegenschlug, half ihr ein wenig Klarheit zurückzugewinnen. Kandrajimo setzte Maja auf einen Stuhl.
    „Pass auf sie auf“, sagte er zu Tabea, „du bist möglicherweise die Einzige, die es mit ihnen aufnehmen kann.“
    Tabea nickte. „Geht es dir gut, Maja?“
    Maja antwortete nicht.
    „Sie hat gerade Andreas toten Körper gesehen“, sagte Kandrajimo. „Vielleicht hat sie einen Schock.“
    Maja blickte auf und suchte nach seinem Blick. Er schaute genauso ernst drein wie Tabea, während er in seine Tasche griff und einen Gegenstand herausholte. Es war ein Amulett. Tabea schwankte einen Moment und schloss die Augen, doch dann stand sie wieder gerade und nahm das Amulett entgegen. Sie legte es auf den Tisch.
    „Wisst ihr jetzt, ob es mehrere waren, oder nur der eine?“
    Kandrajimo schüttelte ratlos den Kopf. „Es gab keine direkten Zeugen und auch keine verwertbaren Spuren. Wir durchsuchen alles, aber du weißt, wie groß das Hauptquartier ist.“
    Tabea nickte steif nickte.
    Dann blickte der Kamiraen Maja an. „Bleib bei Tabea“, sagte er und verließ mit besorgter Miene den Raum.
    Als er gegangen war, ließ die weißhaarige Frau sich auf einen Stuhl sinken, nahm das Amulett in die Hände und betrachtete es lange. Maja beobachtete sie dabei.
    „Warum ...“, fragte sie, doch ihre Stimme versagte. Sie holte tief Luft. „Warum hatte der Mann so ein Muster auf dem Körper?“
    „Er war ein Unglücklicher“, sagte Tabea, „einer der wenigen in deren Gegenwart die Fähigkeiten der Kamiraen versagen. Sie bekommen dieses Muster, wenn sie sterben, doch wir wissen nicht, weshalb“ Sie seufzte. „Andrea war nie eine überragende Kämpferin. Sie hatte keine Chance.“
    Maja schwieg wieder. Sie hatte das Gefühl, dass gerade die gesamten letzten Tage unwichtig geworden waren. All ihre Verzweiflung und ihre Wut auf die Kamiraen schienen im Angesicht dieses schrecklichen Vorfalls zu verblassen.
    Tabea seufzte noch einmal, stand entschlossen auf und zog eine schwarze Kiste aus einem Regal. In diesem Raum standen überraschend viele Kisten herum. Maja sah sich um. Sie erblickte tiefschwarze Möbel, weiße, hauchdünne Vorhänge und Kerzenhalter, die wie bleiche Finger aus der Wand und den Tischen wuchsen. Tabea hatte einen großen Schreibtisch, auf dem ein Foto von ihr und einem erwachsenen Mann stand, die sich gegenseitig im Arm hielten. Es fiel erst auf den zweiten Blick auf, aber dem Mann fehlte der rechte Arm. Tabea stellte die Kiste auf den Tisch, nahm einen Stapel Papier heraus und begann darin herumzublättern. Zwischendurch öffnete sie noch eine zweite Box, dann eine dritte, eine vierte und so weiter. Manchmal zog sie auch ein dickes Buch oder einen Ordner hervor. Maja beobachtete sie, während sich sämtliche Schränke und auch der Fußboden mit Kisten, Büchern, Ordnern und Papierstapeln füllte.
    „Was machst du da eigentlich?“, fragte sie schließlich.
    „Ich suche nach dem nächsten Kamiraen“, antwortete Tabea.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (26. Mai 2015 um 19:44)

  • Maja schwieg wieder. Sie hatte das Gefühl, dass gerade die gesamten letzten Tage unwichtig geworden waren. All ihre Verzweiflung und ihre Wut auf die Kamiraen schienen im Angesicht dieses schrecklichen Vorfalls zu verblassen.
    Tabea seufzte noch einmal, stand entschlossen auf und zog eine schwarze Kiste aus einem Regal. In diesem Raum standen überraschend viele Kisten herum. Maja sah sich um. Sie erblickte schwarze Möbel, weiße, hauchdünne Vorhänge und Kerzenhalter, die wie bleiche Finger aus der Wand und den Tischen wuchsen. Tabea hatte einen großen Schreibtisch, auf dem ein Foto von ihr und einem erwachsenen Mann stand, die sich gegenseitig im Arm hielten. Es fiel erst auf den zweiten Blick auf, aber dem Mann fehlte der rechte Arm. Tabea stellte die Kiste auf den Tisch, nahm einen Stapel Papier heraus und begann darin herumzublättern. Zwischendurch öffnete sie noch eine zweite Kiste, dann eine dritte, eine vierte und so weiter. Manchmal zog sie auch ein dickes Buch oder einen Ordner hervor. Maja beobachtete sie, während sich sämtliche Schränke und auch der Fußboden mit Kisten, Büchern, Ordnern und Papierstapeln füllte.

    Wiederholung.
    Statt immer "Kiste" zu benutzen könntest du auch "Schatulle, oder Box" verwenden
    "Schwarze Möbel" würde ich durch dunkle Möbel ersetzten, dann kannst du die eine Wiederholung schon einmal vermeiden.

    Ansonsten bin ich mal wieder hellauf begeistert von deiner Geschichte. du hast mal wieder alles drin, Spannung, Gefühl, Verwirrung etc. Also es gefällt mir sehr gut und ich kann zwar verstehen dass du dich davor drückst weiter zu schreiben, aber ich gehe mal davon aus, dass wir alle wissen wollen wie es weiter geht. also spann uns bitte nicht wieder so lange auf die Folter.
    Als Rand Info, ich habe mir den ersten Teil mal vor genommen und bin gerade dabei ihn stück für stück durchzulesen, damit ich A.) die Geschichte von Anfang an kenne und B.) die Beziehung der einzelnen Figuren besser nachvollziehen kann.

    LG
    Kisa

  • Dieser Part war sehr berückend. Die Stimmung hast du sehr gut rübergebracht. Ich habe mir nur eine einzige Frage gestellt: Wie lange lässt man die beiden Toten einfach so im Flur liegen? Ich meine, schafft man die normalerweise nicht ein wenig schneller weg, damit eben nicht alle gucken? Ich meine, es ddauert ja auch ein wenig, bis irgendjemand die Gerüchte in der Stadt verbreitet und bis Maja dann endlich im Hauptquartier angekommen ist.

  • @Alopex Lagopus : Oh je, du hast irgendwie recht. X/ Das ist jetzt natürlich blöd. Ich gehe davon aus, dass sich das Gerücht sehr schnell herumgesprochen hat und dass Maja ungefähr fünf bis acht Minuten zum Hauptquartier gebraucht hat. Vielleicht auch nur vier. Aber trotzdem wären das natürlich mindestens zwanzig Minuten seit dem Attentat. Jetzt suche ich verzweifelt nach einer Erklärung.
    Vielleicht haben sie sich erst mal auf die Suche nach anderen Eindringlingen gemacht. Oder sie wollten, wie das bei Verbrechen manchmal geschieht, keine Spuren verwischen. Denkst du, ich muss die Stelle ganz verändern, oder reicht es womöglich, wenn ich einbaue, dass gerade jemand kommt und sich darum kümmert? Und vielleicht schon Leute dabei sind, die Umstehenden zurückzudrängen oder was-weiß-ich. Vielleicht fällt mir auch noch eine bessere Lösung ein.

  • Also ganz veränern musst du die stelle nicht, nur so, wie sie momentan ist, liest es sich so, als ob da ne große Menge steht und jeder schaut blöd. Vielleicht solltest du einfach die Menschenmenge am Tatort weglassen, wenn nur ein paar wenige da sind und du beschreibst, wie einige Leute die Leiche untersuchen, dann würde das meiner Ansicht nach überzeugender wirken :)

  • @Dinteyra
    Ich würde die Stelle nicht verändern nur vielleicht noch hinzufügen, dass der "Tatort" abgesperrt ist und Wachen da stehen die versuchen die "Schaulustigen" zu verdrängen. Außerdem könntest du Tabea oder Kandrajimo erwähnen lassen, dass schon noch den Tätern gesucht wird... so etwas in der Art hinzufügen, damit du eben nicht den ganzen abschnitt um schreiben musst :D allerdings hat mich das jetzt eigentlich nicht so sehr gestört, will ich mir das so ähnlich gedacht hatte wie du. Gerüchte bzw. solche Sachen verbreiten sich schnell und so weit war der Weg zwischen dem Hauptquartier und der Taverne ja nicht, das man das nicht in so kurzer Zeit zurück legen kann.

    LG
    Kisa, die ihren Senf dazu gibt ;)

    • Offizieller Beitrag

    ein schöner Teil und ich finde auch nicht, dass du ihn verändern müsstest. Ehrlich gesagt, mir wäre das wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, wenn Alo nichts gesagt hätte. :D
    Majas Aufregung gefällt mir jedenfalls, auch nachdem sie die Leiche gesehen hat. Ich finde, du hast die Situation glaubhaft geschildert. ;)
    Ein Unglücklicher also? Ich erinnerte mich noch dunkel, hat nicht Fürst Dreizehn so einen losgeschickt? :hmm:
    Wenn es so ist, dann hoffe ich, die Kamiraen haben jetzt endlich eingesehen, dass ihre Stadt nicht so sicher ist, wie sie denken, wenn der da einfach so reinspazieren kann, ohne bemerkt zu werden. Er ist ja sogar bis ins Hauptquartier gekommen. X/

    LG, Kyelia

    • Offizieller Beitrag

    Ich stimme Kyelia zu. Nichts ist absolut sicher, genauso wie "unsinkbar" - das kennt man ja ^^.
    An der Stelle mit dem Attentat ... muss ich auch gestehen, dass mir das nicht aufgefallen wäre, allein, weil mein Hirn weitergrattert hätte und davon ausgegangen wäre, dass man erstmal nach Spuren schaut und Co. ;)
    Genauso wie den Täter verfolgt ...
    Die Gefühle sind wirklich sehr glaubhaft rübergebracht, daher kann ich mich über nix beschweren :D

  • Diesmal nur ein kurzer Teil, weil ich danach irgendwie hänge. Aber vielleicht schaffe ich den heute auch noch. Das hier ist praktisch nur ein Appetithappen.


    Der Raum der Spiegel

    Maja zog die Füße auf den Stuhl, auf dem sie saß, und schlang die Arme um ihre Knie.
    „Andrea ist noch nicht einmal beerdigt worden“, sagte sie, „und du hast nichts Wichtigeres im Kopf, als den nächsten Kamiraen zu finden?“
    Tabea nickte abwesend. Es schien, als hätte sie die Kritik in Majas Tonfall überhört.
    „Warum?“, fragte Maja verwirrt.
    Tabea rollte eine große Schriftrolle aus, auf der so etwas wie ein Stammbaum aufgemalt war.
    „Andreas Tod war kein Unfall“, erklärte sie, „sondern ein Anschlag. Und ein guter noch dazu. Vermutlich steckt Fürst Dreizehn dahinter; auch das letzte Mal, als wir es mit den Unglücklichen zu tun hatten, war er es, der das Ganze eingefädelt hatte. Und selbst wenn er nicht dafür verantwortlich ist, wird es sich schnell herumsprechen, dass eine Kamiraen gestorben ist. Dreizehn wird den nächsten Kamiraen suchen lassen und seine Leute werden versuchen ihn zu töten, sobald er das Amulett entgegen nimmt. Das ist seine Taktik. Er greift euch an, solange ihr ahnungslos, schwach und noch nicht in Sicherheit seid. Und deshalb muss ich schnellstens Andreas Nachfolger oder ihre Nachfolgerin finden. Bevor die schwarze Garde es tut.“
    Maja vergrub den Kopf in ihren Armen. „Ich verstehe immer noch nicht, warum er das tut.“
    „Die Kamiraen und ihn verbindet eine uralte Feindschaft.“
    „Und warum?“
    „Das weiß ich nicht. Diese Fehde reicht sehr lange zurück – länger als die Kamiraen sich erinnern. Vielleicht hat es sich einfach so entwickelt. Sie haben oft seine Pläne durchkreuzt.“
    „Und wenn wir uns mit ihm versöhnen?“
    Tabea sah sie entsetzt an. „Du warst doch in seiner Burg, oder? Sogar in seinem Kerker, wenn ich richtig informiert bin. Du hast gesehen, was er tut. Willst du dich wirklich mit so einem versöhnen?“
    „Nein“, sagte Maja undeutlich, weil ihr Ärmel immer noch vor ihrem Mund hing.
    Tabea beobachtete sie einen Moment. „Er würde sich eh nicht darauf einlassen“, sagte sie dann. „Er jagt die Kamiraen seit Jahrhunderten mit zunehmender Verbitterung.“
    Maja lehnte sich erschöpft an einem Regal an. „Du hast recht“, sagte sie. „Ich wünschte nur, ich wüsste, warum er das tut. Wie alles angefangen hat.“
    „Glaub mir, das wüsste ich auch gerne.“

    Einmal editiert, zuletzt von Dinteyra (27. Mai 2015 um 15:44)

  • Maja zog die Füße auf den Stuhl, auf dem sie saß und schlang die Arme darum.

    Ich finde diesen Satz etwas unglücklich formuliert. Wenn ich mal einen Vorschlag zur Formulierung machen dürfte:
    Maja zog die Füße auf den Stuhl, auf welchem sie saß und schlang ihre Arme um ihre Knie.
    Ist nur ein Vorschlag, kannst das natürlich auch anders Formulieren, aber so wie der Satz jetzt da steht, finde ich ihn persönlich nicht wirklich gut, dass kannst du eindeutig besser ^^

    Vermutlich steckt Fürst Dreizehn dahinter; auch das letzte Mal, als wir es mit den Unglücklichen zu tun hatten, war er es, der das Ganze eingefädelt hat

    hatte
    ist ja Vergangenheit. schließlich hatte er das schon gemacht

    Und selbst wenn er nicht dafür verantwortlich ist dahinter,

    das Wort ist überflüssig ;)

    Ein wirklich sehr kurzer Teil, aber er macht mich unglaublich neugierig. Ich hoffe wirklich, dass du es schaffst heute noch weiter zu schreiben, damit ich morgen nach dem Frühstück etwas zu lesen habe ;) Ich will ja schließlich wissen wie es weiter geht. Ich kann verstehen, warum sich Tabea schnell auf die Suche nach dem neuen Kamiraen machen muss, aber etwas pietätlos finde ich es schon, da kann ich dann Majas Ansicht durchaus verstehen.
    Schreib bitte schnell weiter :stick:

  • Hab es tatsächlich geschafft. :) Ich glaube, diesen Teil werdet ihr sehr interessant finden.


    Tabea stürzte sich wieder in ihre Arbeit und reagierte äußerst gereizt, wenn jemand sie störte, und war es auch nur eine Fliege, die eine Runde zu oft ihren Kopf umschwirrte. Schließlich stand sie auf und meinte, sie müsse an einem anderen Orte weitersuchen.
    Sie gingen in Tabeas persönliches Reich, wie sie selbst es nannte, nämlich die Kellergewölbe des Hauptquartiers. Außer der weißhaarigen Frau betrat niemand jemals diesen Ort. Eine Weile schritten sie nur durch leere Gänge mit entweder weißen, oder felsig-grauen Wänden. Es war still hier unten und die immer gleichen Tunnel boten kaum eine Ablenkung, sodass Maja gleich wieder an Andrea und den Unglücklichen denken musste, wie sie leblos auf dem Boden gelegen hatten, eine Gruppe aufgeregter Leute um sie herum.
    „Die beiden lagen vor meiner Tür“, fiel ihr plötzlich ein. „Vor Andreas Tür, meine ich. Aber ich habe vor einer Woche noch in dem Zimmer geschlafen.“
    „Ich weiß“, murmelte Tabea. „Wir glauben, der Unglückliche hat sich heimlich in ihr Zimmer geschlichen und dort versteckt. Als Andrea gerade zu Bett gehen wollte, griff er sie an. Doch sie hat ihn bemerkt und sich zur Wehr gesetzt, was der Angreifer ebenfalls nicht überlebt hat.“
    Maja bekam Kopfschmerzen und rieb sich die Schläfen. „Vor einer Woche hätte er mich dort angetroffen“, sagte sie. Grauen überkam sie. „Dann wäre ich jetzt tot.“
    „Ich weiß“, sagte Tabea wieder, wobei sie Maja nicht ansah. „Wahrscheinlich hatte er gehofft, dich dort vorzufinden. Kaum jemand wusste, dass du nicht mehr in dem Zimmer schläfst. Nur eine Handvoll Menschen war sich überhaupt bewusst, dass du als Libelle arbeitest. Der Anschlag galt höchstwahrscheinlich dir.“
    Der Anschlag hatte also ihr gegolten. Langsam sickerte dieses Wissen in Majas Bewusstsein und paarte sich mit Angst und purer Verzweiflung. Warum passierte das alles ihr? Gab es denn gar keinen Ausweg? Mit einem Mal klappten Majas Beine zusammen. „Ich kann das nicht mehr“, rief sie und begann hemmungslos zu schluchzen. „Ich kann das nicht mehr, ich will nicht mehr, ich will nach Hause. Bitte, hilf mir.“
    Tabea wusste nicht, was sie tun sollte, als sie Maja so hilflos auf dem Boden hocken sah.
    „Steh auf, ich weiß, dass du stark bist. Du kannst es schaffen“, sagte sie ermutigend, aber das Mädchen schluchzte nur noch mehr. Schließlich ging Tabea zu ihr, nahm sie in den Arm und zog sie hoch. Maja konnte sich kaum auf den Beinen halten und dicke Tränen kullerten über ihr Gesicht.
    „Wenn doch zwölf Kamiraen im Hauptquartier leben“, brachte Maja stockend hervor, „warum geht dieser Unglückliche zuerst zu dem Zimmer, das er für meines hält?“
    „Weil du das schwächste Glied bist“, antwortete Tabea kurz angebunden.
    Maja hatte das dumpfe Gefühl, dass die weißhaarige Frau ihr etwas verschwieg. „Ist das wirklich die Wahrheit?“, schluchzte sie. „Bei der Versammlung der Kamiraen hat Zarah gesagt, dass Dreizehn mich noch mehr jagt, als die Kamiraen vor mir.“
    Seufzend schloss Tabea die Augen.
    „Bitte sag mir, was dahinter steckt“, rief Maja.
    „Es ist kompliziert. Und ...“ Tabea blieb stehen und sah Maja an. „Schwöre mir, dass die Kamiraen niemals von diesem Gespräch erfahren werden“, sagte sie auf einmal.
    Maja blinzelte erschrocken. „Warum?“
    Tabea sah sie nur ernst an.
    Neugierig geworden nickte Maja schließlich. Sie streckte den Rücken durch und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Okay. Ich werde nichts sagen.“
    Tabea holte tief Luft, zog eine Tür am Rande des Tunnels auf und schob Maja hinein. Sie fanden sich in einer Art Weinkeller wieder. Flaschen verschiedenster Farben reihten sich auf hohen Gestellen aneinander. Alles war mit Staub bedeckt.
    „Sieh mich an“, verlangte Tabea und Maja gehorchte.
    „Eigentlich“, begann Tabea dann zu erzählen, „ist die ganze Geschichte gar nicht so dramatisch. Das Problem ist nur, dass die Kamiraen und ich uns nicht darüber einig sind. Im Prinzip geht es um nichts weiter als die Generationen der Kamiraen. Was eine Generation ist, kannst du dir vermutlich denken: Die ersten Kamiraen waren natürlich die erste Generation. Als sie starben wurden ihre Amulette weitergegeben und deren neue Träger zählten sich zur zweiten.
    Zwei Dinge sind überliefert: Dass die Kamiraen am stärksten sind, wenn eine Generation vollständig ist, also wenn beispielsweise alle fünften Träger der jeweiligen Amulette zur gleichen Zeit als Kamiraen wirken. Die zweite Überlieferung besagt, dass die dreizehnte Generation die letzte sein wird.“
    Maja hörte gespannt zu, kaute auf ihrer Lippe und fragte sich, worauf Tabea wohl hinaus wollte.
    „Du, Maja“, sagte Tabea leise, „bist die erste Kamiraen der dreizehnten Generation. Dreizehn lässt dich verbitterter jagen als die Kamiraen vor dir, weil er das Ziel vor Augen hat. Du kannst es gerne als Endspurt bezeichnen. Wenn du oder jemand anderes aus deiner Generation stirbt, wird es keine vollständige Generation mehr geben. Dreizehn will die Kamiraen vernichten und er ist so kurz davor“, sie hob eine Hand, bei der sie Daumen und Zeigefinger nah aneinander hielt, „es zu schaffen.“
    Maja sah Tabea verwundert an. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Die Erklärung leuchtete ihr ein und trotzdem klang sie merkwürdig. Vielleicht war es auch nur deshalb, weil sie etwas anderes erwartet hatte, auch wenn sie nicht in Worte fassen konnte was.
    „Meine Generation ist also die letzte“, wiederholte sie. „Warum sollen die anderen Kamiraen nicht davon erfahren?“
    Tabea lachte freudlos. „Sie sollen bloß nicht erfahren, dass ich es dir gesagt habe. Das Problem ist, dass die anderen Kamiraen mir nicht glauben. Sie halten sich selbst für die elfte Generation und dich für die erste Kamiraen der zwölften.“
    Maja sah sie nur verwirrt an.
    „Aus irgendeinem Grund ist eine Generation vollständig aus den Aufzeichnungen verschwunden“, erklärte Tabea langsam. „In allen Bibliotheken, von Darton bis Chant, und auch in den privaten Sammlungen wirst du nicht ein Wort über die vierte Generation finden. Es muss ein mächtiger, ein sehr mächtiger Fluch dahinter stecken; ich jedenfalls kenne keinen Magier, der dazu in der Lage wäre. Aber aus meinem Kopf konnte die Information nicht gelöscht werden. Ich kann dir die Namen eines jeden Kamiraen nennen, den ich jemals gekannt habe. Doch die anderen wollen mir nicht glauben und sie haben mir verboten, dir diese Geschichte zu erzählen.“
    „Aber warum?“, fragte Maja. „Was spielt es für eine Rolle?“
    „Früher oder später wird es eine Rolle spielen. Hör mir zu, Maja“, sagte Tabea eindringlich, „ich schwöre, dass ich dir heute die Wahrheit gesagt habe. Und ganz egal was die anderen Kamiraen dir erzählen, du darfst niemals daran zweifeln, zu welcher Generation du gehörst.“
    Maja verstand nicht, warum Tabea so verzweifelt wirkte. Vielleicht spielte es für Dreizehn eine Rolle, zu welcher Generation sie zählte, doch Maja konnte es egal sein. Was ging es sie an, ob nach ihr noch andere Kamiraen kamen, oder nicht? Sie wollte ohnehin keine sein.
    Tabea raufte sich die Haare, sah Maja noch einmal nervös an und zog sie weiter.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dinteyra (28. Mai 2015 um 20:54)

  • Vielleicht war es auch nur deshalb, weil sie etwas anderes erwartet hatte, auch wenn sie nicht in Worte fassen konnte, was.

    also wenn du mich fragst, ist das Komma überflüssig

    Ansonsten ein sehr schöner Teil. Ich finde dass er dir sehr gut gelungen ist und ich bi erstaunt, dass sich Tabea und Maja immer besser verstehen. Das gefällt mir sehr gut, weil ich Tabea als Charakter echt gerne mag. Ich freue mich auf den nächsten Teil!! Schreib bitte schnell weiter :stick: