Vielen Dank für eure Kommentare.
Kisa: Vielen Dank für den Tipp, ich werde versuchen, Karim und Jinna etwas aktiver einzubringen. Ich glaube, daran liegt es tatsächlich. Aber im Moment sind sie einfach nicht die wichtigsten Akteure der Geschichte, deshalb wird es in den nächsten Teilen erst mal nicht dazu kommen.
Jetzt habe ich endlich den nächsten Teil fertig. Ich war ein bisschen von dem allgemeinen Krea-tief betroffen, dass momentan im Forum umzugehen scheint und außerdem habe ich verzweifelt ein Dokument gesucht, in dem ich die Geschichte meiner Welt aufgeschrieben habe. Ich möchte mich nämlich nicht in Widersprüche verwickeln und für den nächsten Teil habe ich es gebraucht.
Draußen war es kalt und windig. Maja ging den Hang hinab zum Bach. Dort saß Feodor auf einer selbstgeschaffenen Eisscholle über dem gurgelnden Wasser und ließ Schnee auf sich herabrieseln. Er sah wütend aus, aber nicht halb so aufgebracht wie Maja sich fühlte. Als sie sich neben ihn auf einen Stein setzte, sah er sie verwundert an.
„Was ist passiert?“
„Nichts.“
„Na dann.“ Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Schnee zu. Eine Weile schwiegen sie.
„Willst du es mir wirklich nicht erzählen?“, fragte er schließlich. „Du siehst aus, als wolltest du mit jemandem reden.“
„Jimo Kandrajimo ist hier.“
Feodor schien nicht zu verstehen, was sie meinte. Aber wie sollte sie auch ihre Gefühle ausdrücken? Wie sollte sie ihre Mischung aus Wut auf die Kamiraen, Hoffnung auf die Erlaubnis zurückzukehren und Angst vor einer Enttäuschung ausdrücken?
„Glaubst du, er ist wegen dir hier?“, fragte Feodor.
Maja nickte: „Weshalb sonst?“
„Er ist ständig hier. Mindestens alle zwei Wochen, manchmal auch öfter. Ab und zu kommt auch Tamor vorbei. Meister Wolf und Jimo Kandrajimo kennen sich seit sie beide sechs waren. Sie sind ziemlich eng befreundet.“
Bei diesen Worten verschluckte Maja sich an ihrer eigenen Spucke und begann zu husten. Feodor klopfte ihr auf den Rücken.
„Seit sie beide sechs waren? Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass die zwei gleich alt sind?“, würgte sie hervor.
Das konnte doch nicht sein. Meister Wolf sah mindestens 30 Jahre älter aus als Kandrajimo.
„Sie sind beide 126“, sagte Feodor.
Maja lachte, was allerdings bloß wieder in einem Hustenanfall endete.
„Du willst mich nur verarschen.“ Sie glaubte ihm kein Wort.
„Das will ich nicht, ehrlich.“
„Aber wie können sie so alt geworden sein? Nein, du lügst. Meister Wolf, ja, vom Aussehen könnte er so alt sein. Und ich habe schon immer geglaubt, dass Zauberer, wenn es sie gibt, sehr alt werden können. Aber Jimo Kandrajimo sieht so alt aus wie mein Vater. Wie soll das gehen?“
„Er ist ein Kamiraen. Sie altern anders als andere Menschen. Langsamer.“
In dem Moment wurde Maja zum ersten Mal richtig bewusst, dass es mehr als eine Pflicht war, eine Kamiraen zu sein. Feodor hatte Maja nicht in seine Aussage über diese hineingezogen. Er hatte nicht gesagt: Ihr altert langsamer. Aber genau das hätte er tun können. Denn so war es. Würde es ihr gehen, wie Kandrajimo? Würden ihre Freunde alt und klapprig sein, wenn sie in der Blüte ihres Lebens stand? Würden alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten sterben, lange bevor sie selbst das Ende ihres Daseins erreichte?
„Weißt du, wie alt der Älteste von ihnen ist?“, fragte sie.
„Kandrajimo ist der Älteste.“
„Und vorher? In früheren Generationen?“ Maja wurde unruhig.
„Die ersten Kamiraen lebten am längsten. Es heißt, die letzte Kamiraen der ersten Generation starb, als sie fast tausend Jahre alt war.“
„Tausend?“ Das übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen.
„Ja, aber das ist lange her. Schon die zweite Generation wurde gerade mal halb so alt wie die erste und ich glaube nicht, dass sie heute älter als zweihundert bis dreihundert Jahre werden können. Wenn sie nicht vorher getötet werden. Die Kamiraen werden von Generation zu Generation schwächer, jedenfalls wenn man glaubt was von den früheren Generationen geschrieben steht.“
Maja blickte zu Boden, die Augenbrauen düster zusammengelegt.
„Maja, ich weiß, du willst zurück in deine Welt. Als meine Eltern mich damals zu Meister Wolf gebracht haben, damit ich das Zaubern erlerne, wollte ich auch zuerst nicht bleiben. Meister Wolf musste mich in seiner Hütte einsperren, damit ich nicht weglaufe.“
„Ich kann nicht weglaufen, weil ich jetzt einen Haufen Feinde habe, denen ich nie etwas getan habe – denen ich noch nicht einmal begegnet bin!“, rief Maja aufgebracht. „Allen voran Fürst Dreizehn, der Psychopath, vor dem alle Angst haben, gegen den aber keiner was unternimmt. Wenn die Kamiraen solche Helden sind, warum sorgen sie nicht dafür, dass er niemandem etwas antut? Warum halten sie ihn nicht auf?“
„Ich lese viel in alten Büchern über die Kamiraen. Sie haben es versucht.“ Feodor stand auf und begann am Rand des Baches auf und ab zu gehen. „Es war die neunte Generation“, sagte er laut. „Sie stellten ihn auf Kalienepi, einer Insel auf der anderen Seite des Gebirges. Auf der Hochebene von Renora brach ein Kampf aus, wie die Welt ihn nie gesehen hatte.“ Feodor blickte Maja an und sie glaubte, etwas in seinen Augen zu erkennen, was sie nicht genau beschreiben konnte. Es war eine Mischung aus Wehmut, Schmerz und Kampfgeist und Maja hätte schwören können, dass sein Blick Steine hätte schmelzen können. „Er hat sie alle getötet“, sagte Feodor und blieb stehen.
„Er hat alle zwölf getötet?“, keuchte Maja ungläubig.
„Ja. Die Kamiraen sind stark, aber sie sind nicht unbesiegbar. Es gibt einige Menschen, die es problemlos mit einem oder zwei von ihnen aufnehmen. Fürst Dreizehn hat schon viele Kamiraen getötet, nicht nur die neunte Generation, auch davor und danach welche.“
„Dann muss er sehr alt sein, oder?“, fragte Maja.
„Das ist er. Er ist in den Aufzeichnungen mehrerer Kamiraen vorhanden. Wahrscheinlich hat er schwarze Magie angewendet, um sein Leben zu verlängern.“
„Und Tabea?“
„Welche Tabea?“
Maja ließ enttäuscht die Schultern hängen. Offenbar kannte Feodor Tabea nicht. Sie war sich sicher, dass Tabea auch älter sein musste, als ein normaler Mensch. Sie hatte so eine Aura und wenn Maja sie ansah, konnte sie nicht sagen, wie alt sie war. Und Tabea hatte schon bevor sie Maja in diese Welt gebracht hatte andere Kamiraen zu ihrer Aufgabe geführt. Aber auch wenn Feodor Tabea nicht kannte, er wusste wirklich eine ganze Menge. Maja fragte sich, woher nur.
„Jimo Kandrajimo bringt manchmal Bücher aus der Bibliothek der Kamiraen mit, damit Meister Wolf sie lesen kann“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Es sind übrigens auch Bücher über deine Welt dabei. Meister Wolf ist fasziniert von ihr und ich auch.“
„Dann musst du doch verstehen, warum ich dorthin zurück will.“
„Nein. Du hast hier eine Aufgabe. Vielleicht sind die Kamiraen schwächer geworden, als sie einst waren, aber die Menschen setzen immer noch all ihre Hoffnungen in sie. Sie erwarten Dinge von ihnen, die sie niemals erfüllen könnten, aber das ist egal. Solange die Menschen nur daran glauben. Was glaubst du, würden sie sagen, wenn eine Kamiraen sich plötzlich weigert, eine zu sein? Wenn ein Mädchen sich plötzlich vor der Aufgabe drückt, die sie alle mit Freuden übernehmen würden? Sie würden es nicht verstehen, sie würden dich hassen. Außerdem: unsere Welten sind nicht ganz voneinander getrennt. Du kannst das, was du hier erlebt hast, nicht vergessen. Die Welt ohne Namen wird dich immer wieder einholen. Auch in deiner Heimatstadt wird es Menschen geben, die das Geheimnis kennen. Die von dir erfahren werden.“
„Dann gehe ich ihnen aus dem Weg“, sagte Maja, aber sie wusste, wie unglaubwürdig es klang. Sie konnte Feodor nicht in die Augen sehen, stattdessen starrte sie auf einen kleinen Zweig hinter seinem Kopf.
„Du bist eine Kamiraen, glaubst du, du könntest so weiterleben wie zuvor?“, schnaubte Feodor. Er wirkte ein wenig gekränkt. Maja fragte sich, warum er das Ganze so persönlich nahm. Was ging es ihn überhaupt an? Warum wollten alle sie immer überzeugen zu bleiben?
„Ich bin dreizehn!“, fauchte sie ihn an. „Ganz egal was die Leute denken, ich kann ihnen nicht helfen.“
„Hast du irgendwelche Minderwertigkeitskomplexe? Johanna II war zwölf als sie den Thron bestiegen hat und die ersten Jahre ihrer Regentschaft waren die friedlichsten und glücklichsten, die die zwölf Königreiche je erlebt haben. Warum glaubst du, dass du nichts erreichen kannst, nur weil du jung bist?“
„Das ist überhaupt nicht wahr!“, rief sie. „Aber ich will nun mal tun, was Dreizehnjährige tun. Ich will zur Schule gehen und schlechte Noten in Englisch bekommen. Ich will mich mit meinen Eltern und meinem Bruder streiten und abends mit ihnen Spiele spielen. Ich will meine Familie zurück. Ich konnte mich nicht einmal von ihr verabschieden und ich habe keine Ahnung, was man ihnen erzählt hat. Vielleicht suchen sie immer noch nach mir. Vielleicht denken sie, ich bin tot!“ Maja schossen Tränen aus den Augen. „Die Kamiraen haben mich niemals gefragt, ob ich eine von ihnen sein will und egal, wie heldenhaft es auch ist, ich will das nicht. Vielleicht hätte ein anderes Mädchen kein Problem damit, vielleicht wäre sie stolz darauf, eine Kamiraen zu sein, aber ich bin es nicht. Vielleicht wäre ich es, wenn man mich gefragt hätte, aber man hat mich nie gefragt. Ich will mein Leben führen wie ich es will und wenn es langweilig ist, ist mir das auch egal, aber von einem Haufen alter Leute lasse ich mir nicht vorschreiben, wie ich es verbringen soll!“
„Ja, ja, schon klar“, sagte Feodor. „Du hast ja Recht, aber du kommst nicht mehr aus der Sache raus. Außerdem hast du die Fähigkeiten der Kamiraen und ihr langes Leben. Und ich weiß genug über deine Welt um sagen zu können, dass die Leute dort ziemlich verwundert sein werden, wenn du in achtzig Jahren immer noch wie vierzig aussiehst.“
Er sagte das in einem so sachlichen Ton, dass Maja der Kragen platzte. Genau das war es, was sie so erschreckte. Es war genau das, was schlimmer war als alles andere. Man hatte ihr nicht nur eine Aufgabe gegeben, nein. Man hatte sie verzaubert. Und zwar so, dass es ihr fast unmöglich werden würde, in ihr altes Leben zurückzukehren. Selbst wenn sie die Kamiraen überzeugte sie zurückzulassen – diesen Fluch konnte sie nicht loswerden.
Sie ließ Feodor unter seiner Schneewolke stehen und rannte in den Wald hinein.