Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 125.890 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

    • Offizieller Beitrag

    Während Thyra und Jaris zur Ruhe kamen und sich Schlafen legten, setzten Daphne und Theical ihren Plan in die Tat um. Sie verließen das Haus des Arztes, nicht aber ohne vorher seine Zustimmung zur Hilfe in der Tasche zu haben. Der alte Mann und seine Frau standen hinter ihnen und dem rechtmäßig Herzog. Blieb zu hoffen, dass sie das auch noch im entscheidenden Moment taten. Denn sie hatten von ihnen gefordert, bei der Panik etwas mitzuwirken. Sie wollten nicht, dass sich die alten Leute in Gefahr begaben, aber damit würden sie sie wirklich unterstützen. DIe beiden Eheleute sollten also andere Andersgesinnte aufsuchen von denen sie um die Treue zu Aras wussten, und mit diesen etwas rebellieren, wenn Daphne und Theical das Zeichen gaben. Hoffentlich geschah nichts. Vorerst würde sie schließlich noch in der Stadt bleiben müssen, aber lang würde ihre Revolte auch nicht mehr dauern.

    „Kannst du die Stallung sehen?“, rief Theical so still er konnte, aber gerade so laut, dass Daphne es hören konnte. Diese hatte sich an der Innenmauer, die die Stadt von der Burg trennte, empor gehangelt und hing nun wenig elegant an einem Vorsprung um darüber hinweg in den Innenhof der Burg blicken zu können.
    „Ja“, kam als einfache Antwort zurück, dann schwang sich Daphne hoch und legte sich mit dem Bauch auf die Mauer. „Um ein paar Fuß haben wir uns verschätzt, aber sie ist hier“, hörte er sie noch murmeln, bevor auch Theical nach dem Seil griff, das Daphne an der Mauer befestigte. Er war lang nicht so gut darin, irgendwo einzubrechen, weshalb er das Hilfsmittel dankend zur Kenntnis nahm.
    Mit aller Kraft stemmte er seine Füße gegen die Mauer und zog sich Schritt für Schritt am Stein in die Höhe, bis er unmittelbar neben Daphne hing.
    Nun konnte er einen eigenen Blick in den Hof werfen, doch mehr als fünf wandelnde Fackeln und einige Feststehende, war nicht viel in der Dunkelheit zu erkennen. Mit dem Wetter hatten sie wirklich einen Glücksgriff getan, es war bewölkt und der Mond ließ sich nur ab und zu blicken. Man würde sie also nicht so schnell kommen sehen, wenn sie sich etwas intelligent anstellten.
    „Los“, meinte Daphne und schwang sich über die Mauer, sie hangelte sich noch etwas seitlich, dann ließ sie sich auf dem Dach eines Holzbaus fallen. Dabei landete sie so lautlos, dass man meinen konnte, sie hätte Verwandtschaft mit einer Katze.
    Theical dagegen stellte sich deutlich ungelenker an. Das sah viel leichter aus, als es eigentlich war. Er brach normalerweise in keine Häuser ein und über eine gut sieben Meter hohe Mauer war er auch noch nie geklettert.
    Dennoch gelang es ihm, fast genauso leise neben Daphne zum Stehen zu kommen.
    Geduckt bewegten sie sich auf die der Fackeln abgewandte Dachseite zu, wo die Diebin kurz im Kreis lief, bevor sie einige Male mit dem Fuß auftrat. Dabei wurde ihr Fluchen kontinuierlich lauter, weshalb Theical schon glaubte, man würde sie entdecken, doch dann erklang ein leises Ächzen und das Holz gab unter ihnen nach. Einen erschrockenen Schrei ausstoßend fielen beide in die Tiefe. Glücklicherweise landeten sie in einem Haufen Stroh, was die Tiere jedoch nicht daran hinderte in reges Wiehern auszubrechen.
    „Autsch“, murmelte Daphne und rieb sich für einen Moment das Gesicht vor Schmerz verzogen den Hintern.
    „Na, wenn das keiner gehört hat“, murmelte Theical. Er rieb sich noch den schmerzenden Rücken, als Daphne schon zur Tür eilte und durch einen Spalt in der vom Wetter gezeichneten Tür auf den Innenhof blickte.
    „Vier Soldaten“, meinte sie und ließ ihr Genick knacken. „Und alle kommen hier her.“
    „Also Plan C?“, fragte Theical und hielt inne, sich das Stroh aus den Haaren zu zupfen. Daphne blickte noch einmal nach draußen, dann kam sie zu ihm zurückgehechtet und riss sich noch im Gehen die Knöpfe ihres nun einfachen Kleides auf und verwuschelte ihre Haare. Einen kurzen Moment war er abgelenkt, bevor er seine Augen zur Stalltür wandte, hinter der laute Schritte und aufgeregtes Stimmengewirr zu ihnen schallte. Mit klopfenden Herzen wartete er, bis das erste Quietschen der Tür erklang, dann öffnete er auch die Knöpfe seines Hemdes und warf sich auf Daphne, drückte sie zurück ins Stroh. Lieber schnell, bevor er den Mut und den Glauben in diesen Plan verlor. Wenn das gut ging, dann würde er sich selbst einen Orden verleihen.
    Daphne grinste erst breit, bevor sie frech einen Kussmund formte und ihn noch weiter zu sich zog, bis ihre Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren. Er konnte sogar schon ihren warmen Atem auf seiner Haut spüren und für einen kurzen Moment vergaß er sogar, dass seine Großmutter tot und sein Großvater in Gefangenschaft war, mal abgesehen von den ganzen anderen Problemen. Er blickte ihr einfach nur in die rehbraunen Augen und spürte sein rasendes Herz.

    Die Schritte wurden lauter, bis sie abrupt hielten und stattdessen ein lautes Räuspern erklang.
    Erschrocken fuhren beide herum, während Daphne schnell die Knopfreihen ihres Kleides zusammenzog und die Hand vor den Körper presste.
    „Was geht denn hier vor?“, sprach der vordere der Soldaten mit fester und strenger Stimme. Seine Hand ruhte auf dem Griff seines Schwertes und er wirkte nicht, als würde er es im Ernstfall nicht auch benutzen.
    „Ich … wir … also“, stammelte Theical gespielt überrascht vor sich hin. Dass die Wachen auftauchen würden, war natürlich vorhersehbar gewesen und überraschte ihn keinesfalls, dennoch war ihm die Situation unangenehm, obwohl er wusste, dass es nicht ernst gemeint war. Aber umso leichter fiel es ihm, die Rolle des Überrumpelten zu spielen. Die Röte, die ihm zusätzlich ins Gesicht schoss, passte jedenfalls hervorragend. Schelmisch grinste er noch zu Daphne, die sich ihr Kleid versuchte krampfhaft zuzuhalten.
    Der Wachmann runzelte die Stirn und musterte beide ungeduldig auf eine Antwort wartend.
    „Was denn nun?!“, schrie er ihnen beinahe entgegen, was sie zusammenzucken ließ. Der Plan war das Eine, die Reaktionen der Menschen das andere.
    „Es ist nichts passiert!“, rief Theical aus und wedelte mit den Händen abwehrend in der Luft herum.
    Der Soldat schien zurecht wenig beeindruckt und trat näher an sie heran. Von oben blickte er auf sie herab und entblößte bei Daphnes Anblick zwei Reihen gelblicher Zähne.
    „Das sah für mich aber ziemlich eindeutig aus.“
    „B-Bitte, wir haben erst gehei-“, nuschelte Daphne, hielt sich dann aber die Hände vor den Mund, als hätte sie bemerkt, dass sie etwas völlig falsches angesprochen hatte. Ängstlich blickte sie zu dem Kerl mit den leicht schiefen Gesichtszügen empor.
    „So so“, machte dieser. „Ihr habt die Gesetze also nicht geachtet?“
    „Wir … also“, griff Theical ein. Ein wenig schob er sich vor Daphne, sodass er nun zwischen ihr und dem Soldaten stand, dessen durchbohrender Blick nun auf ihm und nicht mehr auf dem geöffneten Kleid ruhte.
    „Mit Absicht!“, zischte ein anderer Soldat von hinten.
    „Wir“, versuchte es Theical noch einmal, um zumindest den Anschein walten zu lassen, dass er sich verteidigen wollte.
    „Ihr wisst, was auf Verrat steht?“, unterbrach der Soldat vor ihm. Ein fieses Grinsen schlich sich in das hässliche Gesicht.
    „B-Bitte nicht“, jammerte Daphne. „E-Es wird nicht wieder vorkommen.“
    „Da sagst du etwas Wahres.“ Der Wachmann drehte sich etwas seinen Leuten zu und wies sie mit einer Handbewegung an, an Daphnes und Theicals Seite zu treten. „Ihr seid verhaftet, wegen Missachtung der fürstlichen Gesetze.“
    Zwei der Soldaten kamen auf sie zu und umgriffen ihre Schultern und Arme mit eisernen Händen. Halbherzog begannen sie sich zu wehren, während sich Daphne zu Theicals Erstaunen sogar Tränen aus den Augen drückte.
    „Nein bitte, ich werde es nie wieder machen“, rief sie aus, als man sie vorstieß und wenig sanft aus dem Stall und über den Hof bugsierte. Schauspielerisch konnte er wirklich noch viel von ihr lernen.
    „Tut ihr nicht weh!“, forderte er dagegen nur mit brüchiger Stimme. Er war froh, dass er überhaupt noch Wörter über seine Lippen brachte. Dieser Plan konnte genauso gut nach hinten losgehen und dann wären sie eben solche Gefangenen wie alle anderen auch. „Nehmt mich, aber lasst sie gehen!“, versuchte er es noch einmal, doch von den Wachen kam keine Antwort. Lediglich der Griff um seine Arme wurde noch fester und der Soldat, der Daphne vor sich her schob, stieß ihr lachend in die Kniekehlen, was sie stolpern und beinahe auch hinfallen ließ. Die Schurkin ließ es wimmernd über sich ergehen und gab sich weiterhin als die schwache und überrumpelte Frau, die eben mit ihrem Leben abgeschlossen hatte.

    Der Weg führte durch einen schmucklosen Seiteneingang und durch dunkle Gänge. Laut den Plänen, die ihnen Zacharas gezeichnet hatte, handelte es sich ganz klar um den Kerker und als die ersten Gitterstäbe in ihr Sichtfeld rückten, und Jammernd und Klagegeschrei an die Ohren drang, war daran auch nicht mehr zu zweifeln. Fast ausnahmslos alle Zellen waren besetzt und meist sogar zu mehreren. Es stank fürchterlich nach Urin und anderen halbverdauten und verwesten Sachen. Zerlumpte und abgemagerte Menschen saßen dort im Halbdunkeln und flehten um Gnade, als sie die Wachen sahen. Doch die Männer würdigten die Gefangenen keiner Blicke und liefen schnurstracks auf zwei andere Zellen zu. Dort eingekerkert, waren bereits zu links, einige Männer.
    Das Klappern von Schlüsseln erklang und ließ die dürren Gestalten an die Gitterstäbe kommen, doch eine der Wachen zückte sein Schwert und richtete es auf die Wehrlosen, während sein Partner das Schloss öffnete und Theical grob hineingeschubst wurde. Protestierend wandte er sich sofort um, doch die Tür war bereits wieder verschlossen und hinterlistig grinsend verschwanden die Männer mit Daphne etwas weiter den Gang hinunter. Mit Argusaugen beobachtete er sie. Hoffentlich würde ihr Plan nicht darin scheitern, dass sie der Diebin etwas antaten. Das Husten und Keuchen der Männer hinter ihm, machte die Situation auch nicht besser. Allerdings lag ihm auch das altbekannte Geräusch von quietschenden und kratzenden Ratten in den Ohren, dennoch nahm er erst den Blick von Daphne, als er es sicher war, dass es ihr gut ging und sie ebenfalls in einer Zelle saß.

    • Offizieller Beitrag

    Daphne wurde von den Wachen auch recht unsaft in eine Zelle geworfen.
    "Um Euch wird sich der Herzog sicherlich persönlich kümmern wollen, sobald wir ihn über Euer Vergehen aufgeklärt haben", spottete die Wache, ehe sie die Tür schloss und mit den anderen davonspazierte.
    "Um Euch wird sich der Herzog ...", äffte die Schurkin die Wache mit verstellter Stimme nach und erhob sich vorsichtig, nachdem sie die Knöpfe wieder geschlossen hatte. Ihr offenbarte sich in der Zelle ein mindestens genauso erbärmlicher Anblick, wie in Theicals. Verängstigte Frauen kauerten in den Ecken und trauten sich nicht einmal zur neuen Insassin aufzusehen. Mitleidig sah sie auf die mageren Personen hinunter, die nur noch ein Schatten ihrer selbst waren. Aber Daphne hatte keine Zeit lange untätig zu sein. Sie wusste ja, dass es unter Aras´ Herrschaft anders sein würde - zumindest hoffte sie das. Eilig zog sie ihren Rock hoch und löste das um den Oberschenkel gebundene Werkzeug. Sie hatte gehofft, dass man sie nicht noch abtasten würde, nach Messern oder Ähnliches, aber da man sie ohnehin in einer eher waffenlosen Situation entdeckt hatte, schienen das die Wachen ausgeschlossen zu haben. Umgehend machte sie sich am Schloss zu schaffen. Diese waren recht alt. Einerseits ein Segen, weil es dafür kein großes Wissen im Öffnen benötigte, andererseits machte sie das auch schwerfälliger. Die Schurkin brauchte einen Moment, ehe sie den schweren Stift so bewegt hatte, dass sich das Schloss öffnete.
    Vorsichtig schaute sie auf den dunklen Gang, aber die Wachen waren bereits abgezogen. Man ließ die Leute einfach dort unten allein zum Verrotten zurück. Innerlich flehte Daphne, dass es Theics Großvater den Umständen entsprechend gut ging und er nicht auch noch der Tyrannei zum Opfer gefallen war.
    Daphne blickte zurück in die Zelle und gab einen Pfiff von sich, der die Frauen aufblicken ließ.
    "Wenn ihr hier heraus wollt, dann wartet noch einen Moment. Seid leise und gebt Ruhe, bis ich andere befreit habe. Danach dürft ihr randalieren, rennen, schreien und wahlweise Wachen niederhauen."
    Verwirrt schauten sich die Frauen an, nickten aber Daphne zögerlich zu und blieben vorerst sitzen.

    Die Schurkin hingegen trat vor die Zelle und lief zu der zurück, wo sie Theical eingesperrt hatten.
    "Alles in Ordnung da drinnen?", flüsterte Daphne durch das Gitterfenster, hinter welchem Theical umgehend auftauchte.
    "Ging schon mal besser. Was ist mit dir?"
    "Ja, alles in Ordnung."
    Schnell war auch dieses Schloss geöffnet und Daphne kümmerte sich auch um die anderen, hinter denen Männer und Frauen saßen, die sich entweder aufgelehnt hatten oder die Steuern nicht mehr zahlen konnten. Weinend und wimmernd, aber auch wütend und rebellisch, bedankten sich die Befreiten bei den beiden, bevor sie sich in kleinen Gruppen zusammenschlossen und einen Weg in die Freiheit suchten.
    "Was ist mit meinem Großvater?", hakte der Taschendieb nach.
    "Ich mache weitere Zellen auf. Wir werden ihn finden."
    Sie wandte sich ab und lief die Gänge weiter entlang, die sich immer mehr mit Menschen füllten. Theical schaute in der anderen Richtung nach.
    "Habger?", fragte Daphne in die Zellen hinein und bekam allmählich Panik, dass sie den alten Mann nicht finden würde. "Habger der Schmied?"
    Nach vier weiteren Zellen winkte Theical sie zu sich.
    "Hier ..."
    "Galypso sei Dank", murmelte Daphne und die Angst fiel von ihr ab.
    Beim Öffnen zitterten noch ihre Hände, denn noch war unklar, in welcher Verfassung er war. Sie wollte Theical zumindest eine gute Nachricht an diesem Tag gönnen. Sie schwang die Zellentür auf und dahinter waren drei Herren, darunter ein alter Mann, der sich mit Mühe und Not aufrappelte. Er schien länger nichts getrunken zu haben, ebenso gegessen, aber anscheinend saß er noch nicht lange dort fest.
    "Wartet, wir helfen Euch!", verlautete Daphne und schnappte sich Habger unter dem einen Arm und Theic unter dem anderen.
    "Theical, was suchst du denn hier?", murmelte er verwirrt.
    "Lange Geschichte, Großvater, jetzt holen wir dich erst einmal hier heraus."
    Jamir umfasste den Arm seines Enkels.
    "Deine Großmutter, sie ist ..."
    "Ich weiß", nuschelte der Taschendieb betrübt und klopfte seinem Großvater den Dreck von den Klamotten.
    "Theic ...", flüsterte Daphne und verwies auf die Tür, durch welche die anderen verschwanden. "Wir müssen uns beeilen. Sie werden bald ..."
    Kaum wollte die Schurkin auf die Zeit aufmerksam machen, erklang im Hof, nicht weit entfernt, die Alarmglocke. Sie schafften Habger aus der Zelle und Daphne hielt zwei Frauen auf, die in ihrer gesessen hatten.
    "Wärt ihr so freundlich und würdet dem Herren hinaus helfen?! Nutzt das entstehende Chaos und macht, dass ihr aus der Burg kommt."
    "Theical, was wird das?", wandte sich Habger an seinen Enkel, der ihn unsicher ansah.
    "Das werde ich dir alles später erklären, aber es ist wichtig, dass du jetzt mit diesen Frauen gehst."
    "Was ist mit euch beiden?", hakte der alte Schmied nach.
    "Wir haben noch etwas zu erledigen."
    Schweren Herzens gab der Taschendieb seinen Großvater in die Obhut der Frauen, aber der Plan beinhaltete nur dessen Befreiung, der Rest lag in der Hand des Schicksals. Kurz sah Theic Habger nach, aber dann besinnte er sich auf den weiteren Verlauf ihres Daseins. Umgehend begann sich Theical zu konzentrieren und versuchte so viele Schatten ausfindig zu machen, wie er aufspüren und kontrollieren konnte.
    "Du schaffst das!", spornte ihn unterdessen Daphne an.
    "Das sagst du so einfach. Ich habe nie wirklich diese Kräfte eingesetzt."
    "Dann wird es eben Zeit", antwortete die Schurkin, die nicht verstehen konnte, wie er magisch begabt sein konnte, es aber nie einsetzte, geschweige ausbaute. Tiere kontrollieren zu können hätte Daphne einiges an Arbeit erspart, was ihre Einbrechertätigkeiten anging. Während sie sich nervös umsah, bildete sich hinter dem Taschendieb ein schwarzer, fiepender Teppich, weshalb Daphne immer weiter ihr Gesicht verzog. Ratten waren ihr allgemein zu wider, aber es war Teil ihrer Ablenkungstaktik. Dennoch wären ihr Hasen und Schmetterlinge lieber gewesen.
    "Ich glaube, das reicht", wimmerte die Schurkin, als immer mehr der Nager hinter Theic auftauchten. Überrascht betrachtete der Taschendieb die immense Anzahl an Tieren, die er zu sich manövriert hatte.
    "So ... So viele waren es ja noch nie!", gestand Theic und versuchte anscheinend die Verbindung zu ihnen nicht zu verlieren.
    "Ich beglückwünsche dich später, in Ordnung?", jammerte Daphne weiter und hielt nach dem Gang Ausschau, der in das Innere der Burg führte. "Wir müssen dort entlang."
    Gesagt, getan. Daphne ging voraus und schaffte zwischen sich und die Ratten so viel Abstand wie möglich. Überall war das Scheppern der Rüstungen zu hören und das wilde durcheinander brüllen von Wachleuten. Das Gute an so vielen Gefangenen war, dass sie die Zahl der Soldaten überstieg, damit hatte der neue Herzog sich eine eigene Rebellenarmee zusammengerafft, die man nur auf die Burg loslassen musste. Daphne und Theic folgten einer Treppe, die in den oberen Teil der Burg führte und die Schurkin öffnete nach einem Moment des Lauschens die Tür. Selbst dort waren alle in Alarmstimmung, angestachelt durch das Volk, welches begonnen hatte, sich einen Weg aus der Burg zu bahnen. Die meisten Diener und Hofleute bekamen nicht einmal mit, dass die beiden in der Tür standen und sich Daphne ganz eng an den Türrahmen presste.
    "Alles klar, lass sie frei", nuschelte sie mit zugekniffenen Augen und Theic lenkte die Ratten geradewegs in die Burg, ehe er die Verbindung zu ihnen abbrach und die Tiere wild durcheinanderennen ließ.
    "Ratten ... Ratten, überall sind Ratten!" Hörten sie eine ältere Frau schreien, die ihr Kleid anhob und davonlief.
    "Du kannst deine Augen wieder aufmachen", sprach Theical und Daphne kam seinem Anraten nach. Sichtlich erschöpft, grinste der Taschendieb sie an.
    "Das war knapp", erklärte er. "Lange hätte ich sie alle nicht mehr mit ihrem Schatten bannen können."
    "Das war großartig", gab Daphne zu und beneidete ihn fast etwas für sein magisches Talent. "Widerlich, aber großartig."
    Sie liefen weiter und folgten der Beschreibung von Zacharas. Die Treppen hinauf, wieder hinunter, die Gänge an der Kapelle entlang und nutzen das Chaos, was durch die Gefangenen und die Ratten enstanden war. Überall liefen oder rannten Menschen umher, Scheiben wurden eingeschlagen, als die Menschen von draußen anfingen mit Steinen zu werfen, worüber die Wachen kaum Herr wurden. Je mehr sie in die Burg drangen, desto ruhiger wurde es aber, weil ein Teil der Soldaten die Räumlichkeiten des neuen Herzogs schützten. Daphne und Theic mussten sich erneut bedeckt halten und schlichen weiter.
    "Ich gehe vor", murmelte Daphne, als sie verschiedene Räume durchquerten, da sie auf dem Flur ein zu leichtes Ziel darstellten. Der Taschendieb wartete im Zwischenzimmer und lehnte neben der Tür dicht an der Wand. Die Schurkin betrat das Gästezimmer, welches anscheinend für Besuch hergerichtet wurde, denn als sie vorsichtig nach allen Seiten schaute, schloss sich eine Schranktür und ein Diener starrte sie überrascht an.
    "Wer seid Ihr und was sucht Ihr hier?"
    Daphne starrte den Herren mittleren Alters an und versuchte schnellstmöglich eine Ausrede zu erfinden.
    "Ich bin ... eine Mätresse des Herzogs. Er schickte mich, um den Besuch zu empfangen." In diesem Moment konnte sie nur hoffen, dass der Besuch auch männlich war. Erst sagte der Mann mit dem blonden Haar nichts, aber dann begann er künstlich zu lachen.
    "Wohl kaum", näselte der Diener arrogant. "Unser Herzog achtet auf Stil und Etikette. So etwas Zerlumptes wie Euch würde er wohl kaum zu einer seiner Mätressen ernennen."
    Daphne sog, in Begleitung eines entsetzten Quietschens, Luft ein.
    "Ich werde jetzt die Wachen holen!", fügte der Diener hinzu und wollte gerade durch die Tür treten, als diese mit voller Wucht zugeschlagen wurde. Wieder offen, streckte Theic seinen Kopf durch den Spalt und sah zu, wie der Diener rücklings umkippte.
    "O entschuldigt", sagte der Taschendieb in einem sarkastischen Tonfall. "Wie ungeschickt von mir!"
    Gemeinsam fesselten sie ihn und steckten ihn in den Schrank, aus welchem er gerade noch Bettzeug entnommen hatte. Schnell schlossen sie die beiden verzierten Holztüren und verriegelten sie. Sie schlichen weiter und kamen irgendwann in den Bereich, wo sich der Turm direkt vor ihnen befand. Noch immer waren die Rufe des Unmutes über den neuen Herrscher zu hören, ebenso wie die Soldaten, die dagegenhielten. Jetzt konnten die beiden nur hoffen, dass sich der Herzog nicht in Zacharas´ Gemächern breit gemacht hatte. Theical zog den Schlüssel hervor und nach einigen Metern durch Gestrüpp, standen sie vor dem Turm.
    "Beeil dich", moserte Daphne, die die Anspannung kaum noch aushielt.
    "Ich mach ja schon!", entgegnete ihr Theical und stieß die Tür zu Zacharas´ ganz privatem Gemach auf. Es war leer, zumindest war dort keiner anwesend, die Räumlichkeiten jedoch strotzten nur vor Prunkt und stilvollem Geschnörkel.
    "Zacharas meinte, es sei unter seinem Bett!", erinnerte sich der Taschendieb und sie folgten der Treppe in sein Schlafzimmer. Auch dieser Raum war unbewohnt. Anscheinend wollte der Oswaldo nichts mit Aras´ Andenken zu tun haben, weswegen er den Turm unbenutzt ließ. Die beiden verschwendeten keine Zeit und suchten in einer verstaubten Kiste, die sie unter dem Bett hervorgezogen hatte, nach dem Buch. Theical entdeckte das Buch und nahm es an sich, während Daphne eine alte Tasche erspähte. Kurzerhand ergriff sie diese und hängte sie sich um.
    "Was machst du da?", fragte Theical nach und schaute dabei zu, wie Daphne die Schranktür öffnete.
    "Ich bin eine Diebin. Ich stehle natürlich, wonach sieht es für dich denn aus?"
    "Jetzt?"
    "Wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet, aber nicht nur für mich. Zacharas wird sein Reich zurückfordern, dabei sollte er auch aussehen wie ein Herzog, damit sich dies wieder in den Köpfen seines Volkes manifestiert und nicht wirken wie ein obdachloser Straßengauner. Der Rest lässt sich vielleicht zu Geld machen, was wir alle gebrauchen können. Schau du lieber ins Buch und sieh´ nach, ob du mit einem seiner Sprüche etwas anfangen kannst."
    Daphne steckte unzählige Dinge in die Tasche, auch einige Sachen von Zacharas´ Anrichte und so ziemlich alles, was groß genug war, um in die Tasche zu passen - darunter eben auch Gewänder für den Herzog - ein Holzferd und Herrenschmuck. Theical durchblätterte das Buch und sein Blick blieb schlussendlich an einem Feuerzauber hängen.
    "Das könnte ganz nützlich sein ...", erwiderte der Taschendieb und zeigte auf die entsprechenden Zeilen.
    Daphne schaute über seine Schulter und betrachtete die Seite.
    "Ludere cum ignis", wiederholte Theic die Zeile und plötzlich formte sich ein kleiner Feuerball in seiner rechten Hand. Erschrocken sprang der Taschendieb auf und wedelte wie wild mit seiner Hand herum.
    "Du brennst!", schrie Daphne und hielt nach einer Vase Ausschau, aber von Blumen hielt der Herzog anscheinend nicht viel.
    "Ach wirklich?! Wäre mir gar nicht aufgefallen!" Theic rannte im Zimmer auf und ab, dicht gefolgt von Daphne, die den Flammenball mit der Seidenbettdecke ersticken wollte, aber plötzlich löste sich der Feuerball und traf das Bett, welches umgehend in Flammen aufging.
    "Zacharas´Bett brennt!", schrie Daphne.
    "Kannst du mal aufhören das Offentsichtliche zu erwähnen?!", schrie der Taschendieb.
    "Entschuldige, ich habe Panik!", erwiderte die Schurkin lautstark, aber dann hielt sie inne. "Ob das auch unter "Chaos stiften" durchgeht?"
    "Indem wir seine Burg abfackeln?", jammerte Theical heiser.
    "Noch ist es nicht seine Burg."
    "Stimmt", bemerkte auch Theic und grinste schelmisch. Blitzschnell schmissen wie alles, was brennbar war, auf das Bett und schnappten sich das Buch, so wie Daphne die Tasche, um die Flucht zu ergreifen. Wieder außerhalb angekommen, entfachte Theic in einem Flur der Burg ein weiteres Feuer, indem er die Teppiche in Brand steckte.
    "Das sollte als Ablenkung reichen", stellte er fest und beide versuchten, zwischen dem Chaos hindurch, wieder in die Stadt zu gelangen. Immherin hatte sie sich, durch das Loch in der Scheunendecke, einen Fluchtweg fernab des Tores gelassen. Vollkommen gehetzt und außer Atem, erreichten sie die Mauer und brachten sich in Sicherheit. Die Tore waren mittlerweile geöffnet worden, aber nicht nur, weil man versuchte die Gefangenen wieder einzufangen, sondern auch, weil die Bediensteten vor den Ratten und dem Feuer flohen. Dabei war dem Taschendieb anzusehen, dass er vermutlich hoffte, dass sein Großvater heil aus der Sache herausgekommen war.

    Daphne und Theical versteckten sich in Häuserwinkel und dunklen Ecken, immer wieder musste sie warten, bis einige Soldaten an ihnen vorbei waren, weshalb der Taschendieb immer wieder einen Blick ins das Buch riskierte. Irgendwann, fast beim Haupttor zur Stadt angekommen, fing er an zu lachen.
    "Wusstest du, dass unser guter Zacharas sogar Gedichte schreibt?"
    "Ist das dein Ernst?", frotzelte die Schurkin und der Taschendieb hielt ihr den entsprechenden Ausschnitt breit grinsend entgegen.

  • Mit gemischten Gefühlen kehrte Aras in das Gasthaus zurück. Die Aktion im Dorf beschäftigte ihn immer noch. Hätte er die Wachen vielleicht doch zum Schweigen bringen sollen, anstatt sich nachgiebig im verrußten Schonstein über dem Kamin zu verstecken? Zum Glück kamen die Wachen nicht auf die Idee, Holzscheite aufzulegen. Lang genug blieben sie ja. Zehn Minuten verharrte der Herzog in dem engen Schacht, nur mit den Armen und Beiden verkeilt. Hoffend, dass sich kein Ruß löste und seine Position verriet.
    Die junge Frau war selbst verwundert, als sie ihn, nachdem die Soldaten wieder verschwunden waren, suchte. Mit diesem Versteck hatte selbst sie nicht gerechnet, was die Raffinesse umso deutlicher machte.
    Sie unterhielten sich. Über die aktuelle Situation, den weiteren Werdegang und ihre Familie. Ihr Mann wurde verhaftet und im Kerker gefangen gehalten. Er widersetzte sich dem neuen Regime.
    Aras erinnerte sich an seine Zeit als Herscher über diese Lande. Er gab offen zu, auch nicht immer rechtens gehandelt zu haben. Dies war auch nie seine Absicht, es jedem recht zu machen und sich alle Bürger zu Freunden zu machen. Aber grundlos sperrte er nie jemanden weg. Erstrecht riss er keine Familie entzwei, nur um seines Unmutes willen. Er selbst hatte kaum Familie.

    Zurück im Gasthaus suchte er gleich Engel auf, um sich ihrer anzunehmen und sich selbst von ihrer Anwesenheit trösten zu lassen. Zwar war er weiterhin gemischte Gefühle ihr gegenüber, schien sich aber immer noch genug mit ihr verbunden zu fühlen. Vor dem Chaos sah er sie und ihren Mann als glückliches Ehepaar, das selbst er nicht trennen konnte. Und nun trennte Oswaldo selbst das Bündnis zwischen ihnen. Aras wollte einfach nicht verstehen, warum er das tat. Engel war doch eine hübsche, eigentlich lebensfrohe und liebreizende Frau. Zumindest in seinen Augen.
    Also warum schmiss Oswaldo das Bündnis der Ehe wegen anderen Frauen hin? Ging es ihm um Macht, um Kontrolle? Selbst Zacharas wusste, wann Grenzen zu ziehen waren. Und hier waren eindeutig die Grenzen überschritten worden! Immerhin entehrte Oswaldo nicht nur den Sinnbegriff "Ehe", sondern auch die unschuldigen Frauen. Er verärgert damit die Männer und schürt unbewusst Konflikte. Was als Gesetz gelten soll, würde früher oder später zu einer gewaltigen Revolte führen.
    Lag es vielleicht an Clewin? Aras' einzigen Sohn? An sich wahrer Thronfolger. Wollte Oswaldo Engel damit zeigen, wie falsch sie sich damals verhalten hatte?

    Mit Bier und Brot machten sie es sich gemütlich und schwiegen sich vergnügt an. Sie brauchten sich nichts sagen, um sich zu verstehen. Die Stille gab mehr Preis als unzählige Worte. Zumal auch keiner von beiden wusste, was er hätte sagen sollen. Alles schien falsch zu laufen in ihren Leben.

    Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Thyra stolperte aufgeregt herein. "Aras ... das solltest du dir ansehen", sagte sie atemlos und wollte schon wieder hinausstürmen. Genau in diesem Moment kam Jaris zur Tür hinein und sie krachten ineinander. Schultern packend, starrte er ihr tief in die Augen und rüttelte sie leicht. "Beruhige dich!"

    "Aber ..."
    Tosend sprang Aras auf, stampfte den Bierkrug auf den Tisch und hechtete mit großen Schritten auf sie zu. Er stieß sie zur Seite und riskierte einen Blick hinaus. Engel war dicht hinter ihm und linste ebenso raus auf die Burg. Tiefschwarzer Rauch stieg auf, gefolgt von verdächtig wirkenden Lichtspielen.
    "Ist das Feuer?"
    "Die Burg brennt..!"
    "Welchen Teufel haben die denn verärgert? Das ist unerhört! Niemand brennt meine Burg so einfach ab!"
    "Das habe ich auch schon gesagt."
    Aras schüttelte nur mit dem Kopf. "Da sagt man denen einmal, sie sollen Unruhe stiften..."
    "Was, wie, wo?", plautzte Thyra heraus und schaute ihn entsetzt an. "Ihr habt das angeordnet?"
    "Das", Er deutete auf das Flammeninferno hin, "habe ich garantiert nicht angeordnet! Ich hoffe für sie, sie haben das Buch dabei!"
    "Ich mache mir eher Sorgen um die beiden, als um das Buch...", erwiderte die Jägerin.
    "Der Auftraf lautete, mir das Buch zu bringen! Lieber sollen sie sich ein Bein brechen, als mein Buch im Feuer verbrennen zu lassen!"

  • Thyra ballte die Hände zu Fäusten und zählte innerlich bis Zehn. Es half nicht.
    "Ich hoffe du erstickst an diesem dämlichen Buch!", brüllte sie den Lord an. Bis jetzt hatte sie versucht zu glauben, dass der herzog ein Herz hatte, aber so war es kein Wunder, dass Engel sich von ihm abgewandt hatte. Von ihrem Wutausbruch aufgeschreckt, ließ Fenrir ein drohendes Knurren vernehmen. Thyra versuchte sich zusammenzureißen, um bei Fenrir keine unbedachte Reaktion auszulösen und atmete einmal tief durch. "Irgendwas müssen wir doch tun!" Ihre Stimme war ruhiger, zitterte aber noch vernehmlich von unterdrückter Wut. Verzweifelt warf sie einen Blick in die Runde. bei dem Gedanken an Theic und Daphne, eingeschlossen in den Flammen, zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Zu ihrem Glück entpuppten sich die Wachen am Stadttor, nach einem Wechsel am Nachmittag, ebenfalls als Anhänger von Zacharas. Die beiden beobachteten die unzähligen Männer dabei, wie sie verzweifelt eine Horde Menschen zu beruhigen versuchten, die aus der Stadt flüchten wollten. Immer wieder fiel Zacharas´ Namen und dass sie glaubten, dass dieser für das Chaos verantwortlich war, um sie aus den Fängen von Oswaldo zu befreien und sein Reich zurückzufordern. Indirekt stimmte das ja, aber das Chaos hatten andere verursacht. Auch der Arzt war darunter, den Theical und Daphne zuvor kennengelernt hatten. Anscheinend wollte er seine humpelnde Frau aus dem bevorstehenden Bürgerkrieg heraushalten. Mütter mit ihren Kindern drängten sich weiter an die Männer heran, Väter drohten damit sich mit Gewalt in die Freiheit zu kämpfen, wenn man sie nicht so gehen ließe. Und mitten drin war auch Theicals Großvater, wieder aufrechter Haltung, der mit aller Macht versuchte, die Wachen dazu zu bringen, die Leute rauszulassen.
    "Das gewinnt eine ganz falsche Richtung. Sie fangen sonst an sich noch gegenseitig zu bekämpfen", murmelte Theic besorgt in dem Versteck und Daphne stimmte ihm zu.
    "Ich glaube, sie brauchen einen Beweis dafür, dass ihr alter Herzog noch lebt. Etwas, was sie vereint."
    Der Taschendieb nickte.
    "Glaubst du, wir sollten sie ..."
    "Warum nicht!", erwiderte die Schurkin und lächelte. "Wir halten doch auch nach Verbündeten Ausschau oder nicht?!"

    So kam es, dass Theical und Daphne aus dem Versteck traten und sich lautstark bei den Menschen Gehör verschafften. Hilfreich dabei war auch, dass der Arzt und Habger bestätigen konnten, wer sie waren und was sie vermutlich angezettelt hatten. Beide versicherten der Meute, dass Zacharas van Júmen noch lebte und dass dieser außerhalb der Stadt wartete. Ein Aufatmen ging durch die Reihen der Leute und sie schlossen sich dem Taschendieb und der Schurkin an. Etwas zögerlich öffneten die Wachen das Tor und ließen alle in die Freiheit. Daphne und Theical überließen es den Menschen selbst, ob sie ihnen folgen oder abhauen wollten. Aber abgesehen von einer handvoll Menschen, die zurückblieben, um andere zu warnen und zu sammeln und einigen, die sich lieber aus dem Staub machten, liefen alle den beiden hinterher. Es waren bestimmt zweidutzend Soldaten und doppelt so viele Stadtbewohner. Darunter auch einige, die Theical und Daphne aus dem Kerker kannten.
    "Wir sind gar nicht mal schlecht!", brüstete sich die Schurkin unterwegs und versank in einem andauernden Lächeln.
    "Wie meinst du das? Weil wir Feuer gelegt haben und nun mit einer Horde, teils verängstigter Leute die Stadt verlassen?!"
    Daphne seufzte.
    "Vor ein paar Tagen war ich nur eine Schurkin, die andere bestahl. Und jetzt befreie ich eine Stadt mit euch. Also ich finde, moralisch habe ich mich da wirklich verbessert."
    "Na, erzähl das mal Oswaldo."
    Gallernd lachte Daphne, denn ja, aus seiner Sicht war sie vermutlich weniger heldenhaft in ihrem Handeln gewesen, so wie alle anderen auch.
    "Vielleicht mache ich das öfters."
    "Was?", hakte Theical grinsend nach. "Eine Stadt abfackeln?"
    Daphne stieß ihn mit ihrem Ellenbogen an.
    "Wir haben keine ganze Stadt abgefackelt, bloß ein paar Zimmer der Burg und Zacharas´ Turm. Stein lässt sich wieder errichten, aber Tote holt man nicht mehr aus ihren Gräbern."
    Erschrocken fuhr Daphne zu Theical herum. In dem Chaos hatte sie ganz vergessen, dass auch in seiner Familie jemand der grundlosen Tyrannei zum Opfer gefallen war.
    "E-Es tut mir leid!", stammelte Daphne, als sie Theics traurigen Gesichtsausdruck sah.
    "Schon gut", antwortete er leise. "Du hast ja irgendwo recht. Steine lassen sich errichten, aber Leben ..."
    "Wir werden die Verantwortlichen zu Rechenschaft ziehen, Theic."
    Für Daphne gehörte dazu auch Engel. Die Schurkin konnte nicht beim Namen nennen, warum sie die Frau nicht leiden konnte. Vielleicht lag es an ihren Erfahrungen mit Hofdamen. Allein bei dem Wort schwoll ihr eine Wutader am Hals an. Häufiger hatte sie die Damen ihrer Burg dabei belauscht, wie sich diese über sie lustig gemacht hatten, wobei sie ihr unterstellt gewesen waren. Blonde, große Frauen, die sie immer anschauten, als sei sie eine Missgeburt auf zwei Beinen. Ebenso blond wie Engel es war und mindestens genauso falsch. Falsch - das war das Stichwort. Engel hatte die ganze Misere angefangen, als Anführerin der Rebellen und stand nun vor den Scherben ihres eigenen Vorhabens. Verdient, wie die Schurkin fand. Zu oft hatte Daphne schon in Büchern darüber gelesen, dass es andere besser meinten, oder das zumindest glaubten, aber eigentlich alles viel schlimmer machten. Auch Daphnes Familie hatte man manches Mal versucht vom Thron Delyveihs zu stürzen, aber nie war es jemanden gelungen. Und Daphnes Vater? Er war ein gerechter Herrscher, dem manche Entscheidungen, die er treffen musste, schwer zu schaffen machten. Das konnte sie ihm ansehen und als Einzige, die sich dafür interessierte, wie schwer es war, hatte sie eigentlich immer einen besondere Beziehung zu ihrem Vater gehabt, bis zu dem Tag, als er sie verheiraten wollte. Das zerstörte etwas zwischen ihnen, auch wenn das vermutlich auch einer der Entscheidungen war, die ihm nicht leicht gefallen war. Die Meermänner, so wie man ihr Volk salopp nannte, bestachen durch ihre Größe und raue Art. Die Schurkin war sanftmütiger und hielt eben Baumstämme werfen nicht gerade für eine geeignete Wettkampfdisziplin - nicht für sie. So manches Mal hatte sie Angst, dass man sie werfen würde.

    Während sie den Hügel hinauf spazierten, um zum Gasthaus zu kommen, überkam Daphne ein Gefühl, dass sie als Heimweh wahrnahm, während sich Theic mit seinem Großvater unterhielt. Sie hatten sich nach all der Zeit einiges zu erzählen, auch wegen Jamir, Theics Großmutter, da wollte sich die Schurkin nicht hineinhängen. Immer mal wieder, wenn Daphne länger über ihre Heimat nachdachte, stach etwas in ihre Brust. Sie vermisste ihre Brüder, ihre Eltern und die salzige Luft. Schwer atmete sie durch. Wenn der Plan gelang, sie von Aras bezahlt wurde, dann konnte sie vielleicht irgendwann einmal zurückkehren. Nicht um dort zu bleiben, vielleicht nur, um einmal nach dem Rechten zu sehen.
    "Alles in Ordnung?", fragte Theical und Daphne fuhr zum Taschendieb herum.
    "Na klar", antwortete sie gespielt heiter. "Da werden die anderen aber Augen machen, nicht wahr?!"
    "Ich mache mir eher Gedanken, wie Aras auf das Feuer reagiert."
    "Welches Feuer? Ich weiß von nichts", entgegnete die Schurkin grinsend.
    Als beide ihren Blick wieder nach vorne richteten, entdeckten sie schon Thyra, die in die Hocke ging und sich vor Freude die Hände vor den Mund hielt, als sie Theical und Daphne erspähte. Euphorisch winkte Daphne ihr zu und Theical wedelte mit dem Buch, als die Silhoutte von Zacharas hinter der Jägerin auftauchte. Auch Jaris kam hinzu, der eine entspannte Körperhaltung einnahm.

    Oben angekommen, fiel Thyra Theical und Daphne um den Hals und freute sich, dass sie abgesehen von einem verrusten Gesicht, keinerlei Blessuren davongetragen hatten. Auch Habger begrüßte die Jägerin freudig, da sie ihn ja kannte. Der alte Mann freute sich, dass die gesamte Gruppe wohlauf war, darunter eben auch der Herzog, der von den anderen Menschen und Soldaten angestarrt wurde, als sei er ein Geist. Gemurmel ging durch die Reihen, da manche doch bezweifelt hatten, dass er noch lebte und man ihnen einen Doppelgänger auftischte, aber kaum erhob sich die Stimme Aras´, war allen klar, dass er es war.
    "Ihr habt das Buch?", fragte er kalt und Theical runzelte die Stirn.
    "Ja, Zacharas, uns geht es gut, danke der Nachfrage!", maulte der Taschendieb, anscheinend selbst überrascht von seinen direkten Worten.
    "Für was wollt ihr beiden Dank? Dafür, dass ihr erledigt habt, was verlangt worden ist und ihr im gleihen Atemzug auch noch meine Burg abbrennt?!"
    "Wer sagt denn, dass wir das waren?", fiel ihm Daphne mürrisch ins Wort. "Feuer legen kann ja wohl jeder."
    "Wart ihr es?", verlangte Aras zu wissen.
    "Ja!", gestand Theical. "Aber Ihr habt selbst gesagt, wir sollen die Sprüche anwenden, die in dem Buch stehen."
    "Außerdem haben wir ja nicht alles abgefackelt. Ein paar Sachen habe ich mitgehen lassen", warf die Schurkin ein und überreichte Zacharas die Tasche. "Etwas Kleidung für Euch, damit Ihr auch wieder ausseht wie ein Herzog und ein paar Dinge, die so herumstanden, falls wir etwas später zu Geld machen wollen, aber das überlasse ich Euch. Ich will immerhin nicht etwas verhökern, was noch von Wert für Euch ist, ich bin ja kein Monster."
    Überrascht schaute der Herzog auf die Schurkin hinunter. Damit hatte er vermutlich nicht gerechnet.
    "Und wie geht es jetzt weiter?", verlangten Jaris und Thyra fast mit einer Stimme zu wissen und schauten sich die Leute an, die den beiden anderen gefolgt waren.
    "Wir sollten die Verwirrung nutzen", gab Jaris zu bedenken. "Schon bald wird das Feuer gelöscht sein und die Wachen bekommen Zeit sich zu formatieren. Entweder jetzt oder alles war umsonst."
    "Sehe ich auch so", stimmte Thyra zu.
    Gerade als Zacharas van Júmen antworten wollte, würde Gebrüll laut. Frauen fingen an herumzuschreien und es dauerte nicht lange, bis man den Auslöser dazu gefunden hatte. Es war Engel, die sich frei unter der Gruppe bewegte.
    "Knöpft diese Hure von Frau auf!", schrie eine, weshalb sich die Gruppe durch die Stadtleute drängte und sah, wie einer der Soldaten sich etwas schützend vor die Blondine schob.
    "Leute ... Leute", brüllte der Soldat. "Beruhigt euch. Unser Herzog ist hier und er wird sich sicherlich um sie kümmern, beruhigt euch!"
    Einige Hofdamen und Bäuerinnen erkannten Engel natürlich als die Gattin des Mannes, der ihre Kinder und Ehemänner einsperren ließ, als Anführerin des Komplotts gegen Zacharas. Auch, weil sie zuvor unter ihnen gelebt hatte.
    "Ich habe das so nicht gewollt!", verteidigte sich Engel. "Ich konnte ja nicht ahnen, was Oswaldo ... Wir wollten doch nur ..."
    "Es ist mir egal, was du wolltest!", schrie eine andere und spukte ihr weinend vor die Füße. "Wegen dir saß mein Mann über Tage im Kerker, bis er jämmerlich verdurstet ist!"
    "Meinen Vater hat man gefoltert, weil er offenkundig sagte, dass es uns unter Zacharas tausendfach besser ging!", erklang es von weiter hinten. Daphne schaute zu Aras, dem leicht die Gesichtsfarbe entglitt. In seiner Haut wollte sie nun nicht stecken. Dass er etwas für diese Frau empfand war offenkundig und ihr mehrfach erzählt worden, aber an ihrer Lage konnte niemand etwas ändern. Engel hatte sich dort selbst hineingeritten. Die Eskalation allem war nur indirekt ihre Schuld, aber als Anführerin der Rebellen, trug sie eine sehr immense Mitschuld, egal was ihr Gatte ohne ihr Wissen tat. Ohne sie, wäre es vermutlich niemals dazu gekommen. Weiterhin schimpften die Leute auf Engel ein und diese versuchte sich weiterhin zu erklären, aber vergebens. Gab es dafür überhaupt eine Entschuldigung? Daphne konnte das alles nicht wirklich einordnen, denn sie war nicht allzu lange Teil der Gruppe wie die anderen.
    "Ich werde sie zur gegebener Zeit zur Rechenschaft ziehen!", verlautete Zacharas schließlich und versuchte seiner Stimme anscheinend keine persönliche Note zu geben, so dass man ihm die unangenehme Situation anmerkte. "Aber dazu ist jetzt nicht die richtige Zeit. Wir müssen uns um Oswaldo kümmern."
    Die Worte ihres Herzogs beruhigten die Bewohner nur mäßig, aber ihm widersprechen wollte auch keiner. Für den Moment hatten sie ihren Unmut über die Person Kund getan und ließen von ihr ab, nach Erklärungen suchend, warum sie nicht in Ketten lag. Viele vermuteten leise, dass sie mit dem Beisein an Zacharas´ Seite nur ihren Hals aus der Schlinge ziehen wollte. Daphne trat an Engels Seite und grinste sie etwas schlemisch an.
    "Eine Menge Freunde habt Ihr da", frotzelte die Schurkin und erfasste mit kreisendem Zeigefinger die Leute, die sich nun in Scharen an ihren Herzog wandten. "Ihr solltet Euch, wie in den guten, alten Tagen zum Handarbeiten zusammensetzen und ich weiß ziemlich genau, was sie für Euch knüpfen werden."
    "Halte deinen vorlauten Mund!", erwiderte Engel forsch. "Du hast ja keine Ahnung, was wir eigentlich bezwecken wollten. Wir wollten ein besseres Land erschaffen, aber ..."
    "Aber aus irgendeinem Grund, erzeugte die Gewalt, die Ihr brauchtet, um Euch etwas anzueignen, was Euch nicht gehörte, nur noch mehr Gewalt, wie unerwartet", fiel Daphne der Frau ins Wort und kehrte lieber zu Theical und Thyra zurück, wo der Taschendieb der Jägerin gerade gestand, dass seine Großmutter mangels Versorgung verstorben war. Thyra musste anscheinend schlucken, als sie davon erfuhr und litt mit ihrem Freund. Sie hatte seine Großmutter so sehr gemocht und diesen Tod hatte sie nicht verdient.
    "Von mir braucht diese Schachtel kein Mitleid erwarten!", murmelte Theical und warf einen finsteren Blick zu Engel.
    "Von mir erstrecht nicht!", stimmte Thyra ihm zu.

    • Offizieller Beitrag

    Theical blickte über die ganzen Menschen. Zwar musste er Jaris zustimmen, sie mussten sich beeilen, und zurückschlagen, bevor sich jemand formatieren konnte, aber sonderlich schnell durfte das auch nicht gehen. In den Menschen steckte der Wille zu überleben, daran bestand kein Zweifel. Aber ein Großteil von ihnen kam eben aus dem Kerker. Sie brauchten Wasser und Essen und mussten wieder zu Kräften kommen, bevor sie für irgendwas brauchbar waren. Er wollte nicht das Leben dieser ganzen Fremden auf dem Gewissen haben. Wenn er und die anderen ihr Leben riskierten, war das das Eine, aber diese Schwachen und Kranken in einen Kampf gegen ausgebildete Soldaten zu schicken, war Selbstmord. Sie würden kaum gegen sie ankommen.
    Theical sah zu Aras. Der Herzog stand etwas abwesend herum und schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Vermutlich ging es um den Zwiespalt wegen Engel. Unverständlich, wie Theical fand, für ihn jedenfalls stand die Entscheidung, wie man mit ihr verfahren müsste, fest.
    Sein Blick fiel auf das ranzige Buch, das er noch immer in Händen hielt. Was sollte er damit jetzt machen? Wozu brauchte Zacharas es? Er hoffte wirklich, er und Daphne waren nicht umsonst losgerannt. Immerhin... vielleicht konnte er mit dem Buch etwas lernen, seine Fähigkeiten nun doch verbessern. Er konnte seine Magie noch immer nicht leiden, und er sah keinen Sinn in ihrer Anwendung, aber hilfreich war sie allemal.
    Er sah zum Schloss. Es brannte noch immer und eine dunkle Wolke schob sich in den Himmel. Vielleicht war es doch nicht ganz unpraktisch seine Elementarkraft auszubauen.
    "Also was ist jetzt dein großartiger Plan?", fragte er mit skeptischen Unterton und wandte sich Zacharas zu. Dieser schreckte aus seinem Gedanken und blickte über die Menschen.
    Theical spürte, wie auch die anderen neugierig zu Aras sahen und auf eine Antwort hofften.

  • Thyra und Daphne huschten geduckt von Hügel zu Hügel auf die Stadt zu.
    "Lockt ihn raus, sagt er", giftete Thyra. Daphne kicherte. "Ich hätte mich ja auch lieber um Engel gekümmert, um das Volk zu beruhigen."
    "Am Ende machen die Bauern beide kalt, weil in ihren Augen keiner gerecht ist."
    Daphne zuckte die Schultern. "Gehupft wie gesprungen. Aras ist das kleinere Übel."
    Thyra grinste und deutete mit den Augen auf den Eingang der Stadt. Die Wachen, die mit Daphne und Theic gegangen waren, waren tatsächlich nicht ausgetauscht worden. Die Stimmung in der Stadt schien zu gären. Die Jägerin schob sich den Köcher auf dem Rücken zurecht und flüsterte: "Ich hoffe Theic und Habger schaffen es die Mistgabeln aufzumotzen."
    "Und ich, dass Jaris und Aras ihnen die Taktik näher bringen können."
    "Naja, was ist an: Wenn sie aus der Stadt kommen, piekst sie so fest wie möglich, nicht zu verstehen?"
    "Pieksen?" Daphne lachte leise. "Das klingt wie: Lässt sie uns mit Heu bewerfen, bis sie bluten."
    "Nach, du weißt, was ich meine", schmollte Thyra, während Daphne abermals das Seil über die Stadtmauer warf. Nacheinander zogen sie sich daran in die Höhe, die Füße fest gegen die Wand gestemmt. Thyras Hände schmerzten, so krampfhaft krallte sie sich an das Seil.
    Nicht nach unten sehen. Nicht nach unten sehen. Das Mantra in ihrem Kopf beruhigte sie nur mäßig und als sie endlich oben war, zwang sie sich erleichtert aufzuatmen, statt an den Rückweg zu denken, der bedeutend schneller gehen musste, als der Aufstieg.
    Die beiden Frauen ließen den Blick schweifen und entdeckten eine Versammlung vor der Kaserne in der Nähe der Stadtmauer.
    Daphne stieß Thyra in die Seite. "Na wenn das nicht der gute Oswaldo ist." Dann rief sie laut: "Ey Oswaldo! Aras sagt du bist nicht mehr als ein Putzlappen!" Die Köpfe der Männer ruckten herum und starrten sie ungläubig an.
    "Und was passiert mit Lappen?!", rief Thyra mit klopfendem Herzen.
    "Sie werden ausgewrungen!", beantwortete Daphne ihre Frage. Daphne schien deutlich mehr Spaß daran zu haben als Thyra.
    Die beiden hörten wie wilde Befehle gebrüllt wurden.
    "Ui, jetzt aber los!", meinte Thyra.
    Daphne nickte, setzte aber noch nach: "Aras wartet vor der Stadt. Komm raus wenn du dich traust!"
    Dann fuhren sie auf dem Absatz herum und rannten zurück zum Seil. Während Daphne so schnell wie möglich daran runter rutschte, zückte Thyra Pfeil und Bogen und hielt die Soldaten auf Distanz. Nachdem der erste tödlich getroffen war, brüllte ein Mann in schicker Uniform: "Zurück! Großmäulige Weibsbilder sind die Verluste nicht wert!" Oswaldo.
    "Kluger Junge", nuschelte Thyra und schwang sie über die Mauer. Als sie etwa die Hälfte zurück gelegt hatte, spürte sie das Seil unter ihren Händen flattern, die Spannung ließ nach. Im Fallen schaute sie nach oben und sah, dass einer der Soldaten nicht hatte widerstehen können und das Seil durchgeschnitten hatte. Sie war zu erschrocken um zu schreien und Sekundenbruchteile später spürte die den harten Aufprall, der ihr die Luft aus den Lugen trieb.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    Eilig half Daphne Thyra auf, die sich kurz noch ihren Hintern rieb.
    "Also ich bin schon mal weicher gelandet", murmelte die Jägerin und beide warfen einen Blick hoch zur Mauer, wo sich zwei Soldaten auf dem Wehrgang positionierten und ihre Bögen spannten.
    "Wir sitzen in der Falle", nuschelte Daphne noch, die keinerlei Kampferfahrung hatte und Thyra wusste, wenn sie nun nach ihrem Köcher greifen würde, hätten die Soldaten bereits ihre Pfeile abgeschossen, bevor sie ihn einspannen konnte. Laut knirschte das Holz der totbringenden Waffen und innerlich verabrschiedete sich Daphne von ihrem Leben. Alles, was sie bisher erlebt hatte, lief an ihrem inneren Auge ab und es war unmöglich auch nur ein Gefühl festzuhalten, zu viel prasselte auf sie ein. Und wahrscheinlich ging es ihrer Freundin genauso.
    Aus etwas Entfernung war ein Knurren zu hören, welches vermutlich von Thyras Wolf, Fenrir, stammte, aber auch dieser konnte nicht an der Mauer hochspringen, um die Schützen auszuschalten.
    "Sagt euren letzten Worte ...", schrie ein Soldat die Mauer hinunter. Die Jägerin hatte einige von ihnen verletzt, wenn nicht sogar getötet. Gnade konnte sie wohl keine erwarten.
    Doch plötzlich riss etwas die beiden Männer hinfort, weshalb der eine Pfeil in die Luft schoss und der andere strak zu Boden ging. Dabei erwischte er Thyra an ihrem linken Bein.
    Die Jägerin hatte kaum Zeit ihrer Wunde nachzuschreien, denn sie zog umgehend einen Pfeil aus dem Köcher und spannte ihren Bogen.
    "Bring dich in Sicherheit!", mahnte Thyra Daphne und starrte zur Mauern hinauf, von wo Scheppern zu hören war. "Ich decke uns den Rücken!"
    "Das kannst du vergessen, ich lass dich hier nicht im Stich, auch wenn jede meiner Fasern danach schreit", gab die Schurkin offen zu und zog Thyra am Ärmel mit sich, während sie sich rückwärts von der Mauer entfernten. Plötzlich tauchte jemand auf und schaute über die Mauer, Thyra schoss. Sekunden vergingen, aber der fremde Mann parierte blitzschnell den Pfeil mithilfe seiner breiten Axt.
    "Was zum ...", zischte Thyra, auch wegen des brennenden Schmerzes und ergriff umgehend noch einen Pfeil, während sie lief.
    "Ist das der Dank dafür, dass ich die Soldaten beseitigt habe?", schallte es unterdessen wütend von der Mauer und beide Frauen hielten inne. Die Jägerin sah, wie der Blick des blonden Mannes, der über die Mauer spähte, so wie der von Daphne erstarrte.
    "Franzi?", schrie der Hüne plötzlich und Daphne sagte gar nichts, während Thyras Blick zwischen ihrer Wunde, Daphne und dem Fremden hin- und her wechselte. Da Daphne Thyra immer noch an ihrem Arm festhielt, entging der Schurkin vermutlich nicht, dass diese am ganzen Leib zitterte. Aus seiner Starre erwacht, ergriff der blonde Mann, dessen Haarfarbe Thyra nur anhand seiner etwas längeren Deckhaare ausmachen konnte, ein Seil mit Haken und ließ es ander Mauer hinunter. Vor den beiden Frauen baute sich ein über einzneunzig großer Mann auf, der seine Streitaxt wieder an seinem Rücken verstaute und sich auf die Knie fallen ließ.
    "Wie geht es deinem Bein?", erklang es von Daphne benommen und mit Tränen erstickter Stimme. Perplex schaute die Jägerin die Schurkin an und ja, im ersten Moment fiel Daphne nichts Besseres ein.
    "Kennt ihr euch?", bekam die Schurkin als Antwort von Thyra, die sie musternd ansah. "Und ja, ist bloß ein Streifschuss. Es hätte schlimmer sein können."
    Beruhigt nickte Daphne und Tränen kullerten an ihren Wangen hinunter, als sie zitternd wieder zu dem Mann herumfuhr, der einfach nur dahockte und sie anstarrte.
    "Sieben Jahre ...", nuschelte er und die Schurkin merkte, wie auch ihm die Stimme versagte. "Sieben Jahre ..."
    Thyra schaute sich um, aber der Rest schien Oswaldos Befehl nachgekommen zu sein, dass sie den Aufruhr nicht wert waren - zumindenst für den Moment. Daher löste sich Daphne kurz von der Seite der Jägerin und ging auf den blonden Mann zu, dessen Namen sie sich noch nicht getraut hatte laut auszusprechen. Sie wollte erst ganz sichergehen, dass er nicht einer dieser Fantasien war, die sie bei dieser Nahtoterfahrung erlebt hatte. Erst als sie kurz vor ihm stand erklang ein: "Yorick?"
    Ihr Bruder erhob sich und schloss Daphne in die Arme, die er selbst immer nur "Franzi" nannte, denn seine Axt trug den gleichen Namen. Yorick küsste wiederholt Daphnes Stirn und drückte sie immer wieder an sich.
    "Schön dich zu sehen", wimmerte die Schurkin und Thyra trat an ihre Seite.
    "Ich dachte fast, du seist tot", murmelte Yorick.
    "Ich will dieses Widersehen wirklich nur ungern unterbrechen, aber wir sollten zu Theical und dem Rest zurück. Wir haben unsere Nachricht überbracht."
    "Du hast recht", stimmte Daphne ihr zu und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ohne vieler Worte verzogen sich die drei in den Wald zurück und konnte dort weitaus offener sprechen, als drekt vor der Stadtmauer.
    "Und ihr kennt euch woher", platzte es direkt aus Thyra heraus, als sie weit genug in Sicherheit waren. Dabei schaute sie Daphne mit einem Blick an, der die Schurkin die Röte ins Gesicht trieb.
    "O nein, das siehst du völlig falsch, Thyra. So ist das nicht."
    "Natürlich nicht", nuschelte die Jägerin grinsend und griff einmal mit schmerzverzerrten Gesicht an ihre Wunde.
    "Was ist nicht so?", forderte Yorick umgehend zu wissen, der keinen Schritt von der Seite seiner Schwester wich, nur hatte Daphne diesen noch nicht als das offenbart. Lediglich der Name ihres ältesten Bruders war bisher gefallen.
    "Nein, Thyra, wirklich nicht. Er ist mein Bruder!"
    Die Jägerin blieb stehen und starrte beide an. Yorick war groß, blond und gebaut wie man es von den Nordmenschen immer sagte. Daphne hingehen war klein, dunkel und keinerlei Kämpferin.
    "Und wer von euch ist das adoptierte Kind?", fragte die Jägerin trocken. Yoricks Zeigefinger wanderte in Richtung seiner Schwester.
    "Warum bin ich immer die Adoptierte?", maulte Daphne grinsend.
    "Weil Tristan und ich uns zumindest ähneln?", gab Yorick leise lachend von sich. Auf die Frage hin, wie Yorick nach Yilmburg kam, gab es für ihn nur eine Antwort. Heinrich. Er jagte ihm schon seit ewiger Zeit nach, weil dieser sich immer an Daphnes Fersen geheftet hatte. In der Hoffnung so seine Schwester wiederzufinden, folgte er ihm bis nach Yilmburg, wo er dessen Spur mitten in der Revolte verloren hatte. Aber vermutlich war dieser ohnehin bereits geflohen. Selbst Yorick war nicht entgangen, wie schlecht es diesem Land unter der Führung von Oswaldo ging und man sprach ihn sogar in einer Schenke an, ob er nicht für dessen Sache kämpfen wollte, was der Hüne dankend abgelehnt hatte. Seine Schwester mitten unter den Rebellen zu finden, überraschte ihn über alle Maßen. Aber wenn sie Zacharas van Júmen half, dann konnte er vielleicht auch nützlich sein. Vor allem hatte er nicht vor, seine Schwester gleichauf wieder alleine zu lassen. Nicht in einem Krieg. Auch Daphne klärte ihre Bruder auf, warum sie das tat. Dass sie so ihre Chance auf Freiheit näherkam, selbst wenn das Leid der Leute, welches sie gesehen hatte, bereits überwog.
    "Wenn sie aber wirklich adoptiert wäre, hätte ich sie vermutlich schon geheiratet!", stellte Yorick klar und kassierte dafür einen Schlag gegen seinen Arm von Daphne.
    "Hör auf immer so etwas zu sagen, das klingt mehr als falsch", beschwerte sich die Schurkin und war insgeheim froh, dass sich nichts zwischen ihnen geändert hatte.
    "Warum? Ich liebe meine Schwester, sonst wäre ich dir wohl kaum nachgejagt."
    "Es klingt trotzdem falsch, auf die Art, wie du das immer sagst."
    "Ich finde so etwas wahnsinig niedlich", frotzelte Thyra von der Seite. "Ein Mann, der ausspricht, was er fühlt."
    "Ja, ja, ermutige ihn auch noch. Solche Scherze hat er früher immer mit mir gemacht, weil meine Größe irgendwann langweilig wurde, und weil man uns selten für Geschwister hielt. Das macht ihm auch noch Spaß. Wie geht es deinem Bein?", lenkte Daphne vom Thema ab.
    "Ach, ein kleiner Verband und etwas Salbe und ich bin ganz die Alte."
    Beruhigt nickte die Schurkin und lief mit hochrotem Kopf voraus. Yorick zwinkerte Thyra zu und stiefelte seiner kleinen Schwester nach.
    "Lauf nicht weg ... Ich liebe dich doch!"
    "Halt deine dämliche Fresse", schimpfte Daphne von weiter vorne. "Du hast nicht mehr alle Latten am Zaun, das hast du! Wehe du blamierst mich vor den anderen!"

    Es dauerte nich lange, da hatten die drei den Wald hinter sich gelassen und kehrten zu den anderen zurück.

    • Offizieller Beitrag

    Mit aller Geduld, die er in ihrer verzwickten Lage noch aufbringen konnte, blies Theical mit einem Blasebalg Luft ins Feuer. Sein Großvater hatte die Küche des Gasthauses zu einer provisorischen Schmiede umgebaut. Viel Zeit blieben ihnen nicht, großartig Waffen zu schmieden und die Menschen auszurüsten, aber es machte wenig Sinn sie alle gegen bewaffnete und ausgerüstete Männer zu schicken, die schon seit Jahren im Kampf gebildet wurden. Gegen die fehlende Erfahrung konnten sie nun auch nicht mehr viel machen - Jaris und die wenigen Soldaten, die ebenfalls aus der Stadt geflohen waren und sie unterstützen wollten, gaben sich dabei schon die größte Mühe. Sie wollten den Leuten zumindest das Wichtigste beibringen. Also ausweichen und parieren. Einige der geflohenen Frauen nutzen unterdessen den Rest der Küche und alles, was sie an Nahrungsmitteln fanden, um die müden und schwachen Gefangenen aus den Kerkern wieder zu Kräften zu bringen. Die übrigen Menschen, diejenigen, die nichts konkretes zu tun hatten, nahmen das Gasthaus auseinander und suchten im und um das Gebäude nach allem, was man zu einer Waffe umfunktionieren konnte. So hatten sie zum Beispiel begonnen, Messer und Gabeln an lange Stöcke zu zurren, um sie als Speere benutzen zu können. Ob das so funktionierte wagte Theical zu bezweifeln, aber sehr viel Auswahl blieben ihnen in ihrer Situation sowieso nicht. Und der Wille etwas zu tun, half auch schon vielen Leuten.
    Zacharas unterdessen erklärte einem kleinen Kreis von Mutigen wie man das Buch lesen musste, was Theical und Daphne aus seiner Burg entwendet hatten. Zu erst hatte Theical noch geglaubt, diese Aktion wäre völlig umsonst gewesen, aber Aras hatte selbst gesagt, dass mit Hilfe dieses Buches jeder zaubern konnte. Und eben das wollten sie sich nun zu nutze machen. Natürlich handelte es sich lediglich um einfache Sachen, aber jeder Bürger, der fähig war zu lesen und ein wenig Talent für Magie mitbrachte, war tatsächlich in der Lage, Feuer zu entzünden und andere Sachen durch die Gegend zu wirbeln. Und unter Aras' Anleitung lernten diese zehn Auserwählten Zaubersprüche.
    Theical dagegen sparte sich seine Magie lieber für später auf. Wer wusste schon, wann er es unbedingt brauchte.
    "Ich hole frisches Holz", kündigte er an, doch sein Großvater war so in seinem Tun vertieft, dass er lediglich ein zustimmendes Schnaufen von sich gab. Seit Stunden hämmerte und werkelte er, doch egal wie oft Theical ihn zur Pause überreden wollte, Habger ließ nicht mit sich reden. Er wollte unbedingt dem Mann an den Kragen, der ihm die Frau genommen hatte. Und obwohl es eigentlich nicht seine Art war, verspürte auch Theical einen großen Hass auf Oswaldo.
    Er verließ die Küche und lief vor die Taverne, zu dem Stapeln Holz, die an der Häuserfront entlangstanden. Dabei waren die Menschen nur unschwer zu übersehen, die unter Jaris Anweisungen Bewegungsabfolgen trainierten und dabei genau von den abtrünnigen Soldaten beobachtet wurden. Ihnen allen war klar, dass sie an diesem Tag keine Elitekrieger mehr erschaffen würden, aber es würde die Verluste hoffentlich eindämmen.

    Lautes Knattern ließ Theical in seiner Bewegung, Holz auf seine Arme zu schlichten, inne. Ein wenig verwirrt, sah er sich erst um, dann fiel sein Blick in die Ferne, in die Richtung in der die Stadt lag. Sein erster Gedanke galt Daphne und Thyra, die ja losgezogen waren, um Oswaldo aus seinem Loch zu locken, aber schnell stellte er fest, dass es nicht die beiden Frauen sein konnten. Es sei denn, sie hatten eine Kutsche gestohlen.
    Laut und in einer erstaunlichen Gewichtigkeit näherte sich das Gefährt mit einer Handvoll Reiter, die es begleiteten.
    Ohne anzuhalten, raste sie über den Weg, direkt an dem Gasthaus vorbei, sodass Jaris und auch einige der Männer und Frauen zur Seite springen mussten. Theical hätte ebenfalls sein Holz fallen lassen, als ein Reiter unmittelbar an ihm vorbeipreschte.
    "Wer ...?", mehr brachte er gar nicht heraus, da war die Kutsche schon am Gasthaus vorbei und sauste die unwege Straße weiter. Einer der Nachreiter wurde kurz langsamer, als er die Menschen erblickte, doch er hielt nicht an. Stattdessen schien er sein Tempo noch mehr zu beschleunigen.
    "Glaubst du, das war Oswaldo?", fragte plötzlich Jaris. Theical nahm seinen Blick von der Kutsche und blickte den Söldner mit hochgezogener Augenbraue an.
    "In dem Fall wäre das wirklich armselig", murmelte er.
    "Das war nicht Oswaldo",erklang Daphnes Stimme. Die Frau trat gemeinsam mir Thyra und einem fremden Mann aus dem Wald auf die Lichtung. "Den Kerl haben wir eben noch deutlich in der Stadt gesehen."
    "Und er hätte uns fast umgebracht", kommentierte Thyra, woraufhin sie sofort einen besorgten Blick von Jaris erntete. Seine Augen fixierten sich auf der kleinen Wunde an Thyras Bein. "Es ist ja nichts passiert!", wehrte die Jägerin deshalb sofort ab.
    "Du solltest dich dennoch untersuchen lassen", bestand Jaris auf eine Behandlung.
    Grinsend entschied Theical sich aus der Sache herauszuhalten. Stattdessen musterte er den riesigen Kerl, der neben Daphne stand und die Szene aus neugierigen Augen beobachtete. Dabei stieß er Daphne einige Male in die Seite und als sein Blick auf dem Taschendieb landete, grinste er nur noch breiter und hob die Augenbrauen.
    "Mein Bruder, Yorick", meinte Daphne nur trocken. "Er hat uns geholfen." Sie machte eine ausladende Handbewegung.
    "Wie mir scheint, könnt ihr sicher jede Hand gebrauchen", er lachte laut. "Und ich habe sogar zwei davon."
    "Lass den Scheiß", gab Daphne grinsend von sich. "Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Oswaldo hat den Braten geschluckt, es wird nicht mehr lang dauern."
    Da Theical nicht so recht wusste, was er darauf erwidern sollte nickte er einfach nur, hielt aber er den Mund und verzog sich mit dem Holz und mit gerunzelter Stirn zurück in die Küche. Das Letzte, das er noch mitbekam, was ein Witz von Yorick über Daphnes und seine Größe.

  • Thyra grinste in einem fort. War Daphne schon alleine quirlig und nicht auf den Mund gefallen, so war sie in Kombination mit ihrem Bruder einfach nur noch komisch.
    Als sie Theic und den anderen ins Gasthaus folgte, ließ sie zu, dass Jaris ihr stützend unter einen Arm griff, auch wenn sie alleine gehen konnte. Schade war es lediglich um die schöne Hose ...
    Drinnen angekommen musterte sie die neue Einrichtung. Aus dem Herd war eine provisorische Esse errichtet worden, daneben stand ein Blasebalg. Habger stand mit nacktem Oberkörper an einem improvisierten Amboss und schlug auf glühendes Metall ein.
    Um sie herum saßen die Gefangenen, die von den Frauen versucht wurden aufzupeppeln. In einer Ecke lehnte Holzstöcke, an denen Gabeln und Messer festgebunden waren, Mistgabeln und mit Stoff umwickelte und in Öl getränkte Fackeln. Thyra zog eine Augenbraue in die Höhe. Das konnte ja heiter werden.
    "So, Ihr seid also der große Zauberer Zacharas van Jûmen?", riss Yorick sie aus seinen Gedanken. Die Jägerin ließ sich auf einer Tischplatte nieder, Jaris bezog neben ihr Stellung.
    Sie beobachtete, wie Aras sich zu seiner vollen Größe aufrichtete.
    "Ganz Recht", sagte er. "Ich studiere die Magie schon seit etlichen Jahren kann ohne Übertreibung sagen, dass sich mir fast alle ihrer Geheimnisse erschlossen haben."
    Yorick grinste auf den Zauberer herab, den er immer noch um ein Stück überragte und legte seinen Zeigefinger ans Kinn.
    "Hm, groß seid Ihr aber trotzdem nicht ..."
    Daphne und Theic brachen in schallendes Gelächter aus, auch Thyra konnte sich nicht zurück halten. Dennoch warf sie zwischen zwei Lachern ein: "Ist das nicht der falsche Zeitpunkt sich hier gegenseitig aufzuziehen?"
    Yorick zwinkerte ihr zu, wich aber einen Schritt zurück, um zu verstehen zu geben, dass er ihr zustimmte.
    "Unfassbar ...", hörte sie Aras grummeln, aber auch er enthielt sich eines Konters.
    "Wie sieht der Plan aus?", fragte Daphne schließlich in die Runde.
    "Ich werde Oswaldo mit den Bauern und einigen Soldaten in Empfang nehmen", begann Aras zu erklären. "Der Rest der Soldaten und Jaris wollen versuchen seinen Truppen in den Rücken zu fallen."
    Thyra legte nachdenklich die Stirn in Falten. Die Bauern als erstes loszuschicken würde bedeuten sie als Kanonenfutter zu benutzen, andererseits würden sie auch andersherum herbe Verluste einfahren und eine bessere Idee hatte sie auch nicht. Abwartend blickte sie zwischen Jaris und Aras hin und her, während Habgers Hammerschläge die Hütte mit ihrem eignen Puls erfüllten.
    Jaris zog ein Stück Pergament aus seinem Umhang und breitete es auf dem Tisch aus. Es zeigte skizzenhaft die umliegende Landschaft und mit Pfeilen hatten er und Aras markiert, wie sie vorgehen wollten.
    Aras und seine Männer würden Oswaldo frontal angreifen. Die Soldaten und der Herzog bildeten die erste Linie. Dahinter würde Theic die Bauern in den Kampf führen. Aras hatte ihnen in der zeit ein paar Kniffe und Tricks aus seinem buch gelehrt. Theical war wie geschaffen dafür, sie im Kampf zu kommandieren. Der Rest unter Jaris' Kommando, würde sich in den Hügeln verstecken und einen Bogen schlagen, um hinter Oswaldo zu gelangen. So konnten sie ihn in die Zange nehmen.
    Thyra überflog die Skizze und fand einen geeigneten Ort, wo sie sich mit ihrem Bogen positionieren konnte.
    "Ich werde hier drüben Aufstellung beziehen und versuchen die Aufmerksamkeit der Feinde von Jaris abzulenken." Sie merkte, wie Jaris widersprechen wollte, ließ ihn aber nicht zu Wort kommen. "Wenn Daphne will, kann sie mit mir kommen. Fenrir wird sich denke ich den Bauern und Theic anschließen."
    "Und was mache ich?", fragte Yorick voller Tatendrang.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Jaris musterte Daphnes Bruder misstrauisch. Der Mann lachte zuviel. Und zwinkerte zu oft, vor allem in Richtung Thyra. Er verkrampfte sich, zwang sich jedoch ruhig zu bleiben.
    "Du kannst dich meinem Trupp anschließen", bot er ihm schließlich dennoch an. Kurz hatte er überlegt, ihn zu den Bauern und Zacharas zu stellen, doch die würden in erster Linie die Stellung halten und sich verteidigen und nichts war für angreifende Bogenschützen so wertvoll, wie ein übermäßig großer Mann, der aus der Menge herausragte und eine große Lücke in die gegnerische Linie reißen würde, sollte er fallen. Außerdem bezweifelte Jaris, dass Daphne ihren Bruder als Igel wiederbekommen wollte.
    Yorick grinste ihn nur an und nickte. Er schien es kaum erwarten können.
    Die Missionsbesprechung dauerte noch eine geraume Zeit lang an, doch schließlich verstreuten sie sich um irgendwelche Aufgaben zu erledigen. Jaris trat auf das Feld vor dem Gasthaus um die bei strahlender Sonne trainierenden Bürger, Bauern und Soldaten zu inspizieren. Der Anblick drehte ihm beinahe den Magen um. Der Großteil der Männer schien noch nie eine Waffe in der Hand gehalten zu haben und beäugten die Schwerter, Speere und Stöcke so, als wollten sie sie als Baumaterial für eine Hütte verwenden oder damit Schafe Hüten.
    "Worüber denkst du nach", fragte eine Stimme hinter ihm plötzlich. Jaris zuckte zusammen und fuhr herum. Hinter ihm stand Thyra, die ihn fragend ansah. Niemand sonst konnte sich so an ihn ranschleichen wie sie. Er warf ihr ein trauriges Lächeln zu.
    "Guck dir diese Menschen doch an", forderte er sie auf. "Bauern, Handwerker, Hausangestellte. Sie haben keine Ahnung was sie tun." Er seufzte. "Sie werden scharenweise fallen oder fliehen, bevor der Kampf anfängt."
    "Sie kämpfen für etwas woran sie glauben", widersprach Thyra. Jaris schüttelte den Kopf. Er hatte schon oft genug - viel zu oft - gegen Menschen gekämpft, die an etwas glaubten. Damals, als er noch ein Söldner war, wurde seine Truppe ständig irgendwo hingeschickt, wo Menschen gegen Unrecht rebellierten. Am Ende entschied eben doch blanker Stahl über bloßen Willen.
    "Glaub mir", begann er. "Wenn man erst einmal auf dem Schlachtfeld steht vergisst man wofür man kämpft. Es zählen nur noch deine Waffe und der nächste Gegner. Und diese Menschen haben keine Ahnung wie man mit einer Waffe umgeht und ihre größten Gegner sind sie selbst. Das wird ein einziges Gemetzel. Vielleicht verlieren wir, vielleicht gewinnen wir sogar. Doch der Großteil dieser Personen wird auf jeden Fall sterben. Ist es das alles wirklich wert?" Die Nomadin ließ ihren Blick über das Feld mit der sich abmühenden Menschenmasse schweißen. Dann sah sie ihm in die Augen.
    "Natürlich", antwortete sie. "Diese Leute haben das Recht sich gegen ein unterdrücktes Leben zu entscheiden, selbst wenn die Alternative vielleicht der Tod ist. Und sie wissen wofür sie sich entschieden haben."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Sich uneins über sein Gemüt scharte der Herzog die Bauern und Bettler um sich, um ihnen die Kunst der Magie zu erläutern. Er wusste nicht, inwiefern sie es ausnutzen würden. Es ausnutzen, nicht nur in diesem Kampf, sondern auch weiterführend es einzusetzen. War es vielleicht sogar falsch, seinen Untertanen das Zaubern beizubringen?
    Jahre lang studierte er diese Mächte, schrieb sie nieder und versuchte sie und sich selbst zu perfektionieren. Und nun sollte er all dieses Wissen, all diese Macht an gepeinigte, willensschwache Leute weiter vermitteln. Er tat es freiwillig, seinem Volke zu Ehren. Er wusste, dass er allein nicht gegen Oswaldos gesammte Heerschar antreten konnte. Und er wusste, dass selbst der kleinste Mann, die zarteste Frau und das jüngste Kind in der Lage waren, zumindest einfache Magie zu erlernen.
    Mit Erstaunen und teilweise auch Entsetzen verfolgten die Gepeinigten seine Anweisungen. Wusste er schließlich mehr als alle hier zusammen vermutlich jemals wissen könnten. Gleichzeitig war auch Aras erstaunt über so manche Begabtheit der vorübergehenden Zauberlehrlinge. Vor allem die Jüngeren stachen durch ihre Überzeugung heraus. War es doch die Fantasie, die ihnen dabei half. Beflügelt davon zauberten sie Feuerbälle und wirbelten Steine herum. Einfache Dinge, die aber den entscheidenen Vorteil bringen konnten.

    "Denkt immer daran", wiederholte Aras seine Grundworte, "Der schönste Gedanke gibt euch die nötige Kraft, Magie zu wirken!"
    "Lord Aras, was ist Euer schönster Gedanke?", fragte einer der Männer leicht betrübt. Er selbst hatte noch Keinen gefunden.
    Mit verharrendem Blick ruhte der Herzog auf seinem Gesicht und kehrte in sich. Er wusste, die Wahrheit würde der aktuellen Situation nicht förderlich zugute kommen. Andererseits war er kein Mann, er gerne log. Thyra, Theical, Jaris und Daphne kannten sein Geheimnis bereits. Engel sowieso.
    Aber diesmal entschied er sich, doch die Wahrheit zu verschweigen. Mit Gedanken an Engel sprach er mit glücklichem Gesichtsausdruck: "Das Lächeln der lieben Kinder erquickt meine Seele!"
    Die strahlenden Augen der Frauen hätte man sehen sollen, als diese Worte seine Lippen verließen.
    "Ich selbst hatte eine schwere Kindheit ohne Mutter. Umso mehr freue ich mich, wenn ich immer Kinder lachen sehe."
    "Was wird genau unsere Aufgabe sein, Herzog?"
    Voller Überzeugung blickte er hinauf und presste sich die geballte Faust an die Brust. "Wir werden Oswaldo und seinen Mannen zeigen, dass unser Wille stärker ist als deren Rüstungen und Waffen!"
    Jaris lächelte verhalten. War er schließlich anderer Meinung. Dennoch kannte er bereits Aras' Macht genügend, um zumindest ihm vertrauen zu können, dass er sich im schlimmsten Falle selbst verteidigen konnte.
    "Wir werden sie aufhalten, bevor sie überhaupt in unsere Nähe gekommen sind! Ob ihr sie töten müsst, ist euch überlassen. Ich persönlich werde für nichts garantieren."
    Lautes Gebrüll folgte aus der kampfbereiten Meute. "Wir werden sie niederschmettern!" "Für Zacharas, den wahren Herrscher!"

    • Offizieller Beitrag

    So zogen alle los, allem voran Zacharas van Júmen. Daphne trennte sich mit Thyra, ab einer gewissen Entfernung zur Stadt, vom Rest, was zur Folge hatte, dass sie dabei zusah, wie Jaris der Jägerin einen innigen Kuss gab, ehe sie unterschiedliche Wege einschlugen. Peinlich berührt davon, starrte die Schurkin gewollt in eine andere Richtung. Nur leise bekam sie die liebevollen Worte der beiden mit.
    "Pass auf dich auf!", flüsterte der Soldat Thyra zu.
    "Das Gleiche wollte ich dir sagen."
    "Halte dich immer bedeckt", erklang es plötzlich neben Daphne und als sie sich umdrehte, entdeckte sie Yorick hinter sich, der Theical neben sich hatte, wie auch Aras einmal in die Runde blickte.
    "Bedecke du dich lieber, Bruderherz", erwiderte die junge Frau. "Mich sieht man kaum, aber bei dir sieht das anders aus."
    "Wird schon schiefgehen", versuchte sie der Hüne zu beruhigen, mit eher mäßigem Erfolg. Noch eimal ließ sie sich von ihrem Bruder drücken und wünschte auch Theic und Aras viel Erfolg. Dann trennten sich ihre Wege.
    Thyra und Daphne sollten einen eroberten Wachturm aufsuchen, von dem aus die Jägerin alles recht gut überblicken konnte. Die Schurkin, die keinerlei Nahkampferfahrung hatte, war dort einigermaßen sicher. Sicher im Sinne von: weniger in Gefahr als der Rest. Mit Seilen ausgestattet, erklommen sie den Turm, da bei der Eroberung die Holzreppen im Inneren zerstört wurden. Eigentlich gut für die beiden Frauen, so konnte niemand so einfach zu ihnen hinauskommen, schlecht nur dahingehend, dass ihnen zur Flucht nur der direkte Weg blieb. Oben angekommen, erklang schon Kampfgebrüll und die Bauern, Soldaten hämmerte wie wild auf ihre Schilde, ein paar davon nur zusammengenagelte Holzbretter. Thyra spannte umgehend einen Pfeil ein und schaute in die Richtung, aus der der Lärm zu ihnen drang.
    "Siehst du was?", hakte Daphne kleinlaut nach.
    "Noch nicht, ich warte, bis sie zum Markplatz kommen, da habe ich offenes Feld."

    • Offizieller Beitrag

    Unschlüssig stand Theical eine ganze Weile vor den Bauern und betrachtete sie überfordert. Er sollte se in den Kampf führen, in einen Kampf dessen Ausgang ungewiss war. Wobei ungewiss das falsche Wort war. Er konnte sich schon denken, wie er ausgehen würde, aber auf dieses Ende hoffte er einfach nicht.
    "Also was hast du vor?", riss Yorick ihn aus seinen Gedanken.
    Nachdenklich blickte Theical noch einmal auf die Leute, dann auf den Marktplatz. In die Stadt zu gelangen, war einfach gewesen. Hatten sich die Soldaten und Menschen dort ebenfalls noch auf ihre Seite geschlagen. Aber wie nun weiter verfahren? Zwar hatte sich um Zacharas eine ganze Menge Anhänger versammelt, aber sie waren immer noch zu wenige, um gegen eine Armee zu bestehen. Und Theic hatte wenig Lust diese Menschen, welcher Überzeugung auch immer, in den Tod zu führen. Davon abgesehen, dass er ebenfalls nicht erpicht darauf war, sein Leben für irgendeinen Herzog zu geben. Hätte Oswaldo nicht seine Großmutter auf dem Gewissen, er hätte seinen Großvater befreit und dann das Weite gesucht.
    "Frontal haben wir keine Chance", murmelte Theical vor sich hin. "Wir müssen die Deckung der Häuser verwenden und dürfen sie nicht in der Masse bekämpfen."
    Yorick folgte seinem Blick. Auf dem Marktplatz tummelten sich vielleicht drei Duzend Menschen und bewarfen die Soldaten mit allem, was sie zu fassen bekamen. Sie waren nicht Teil ihrer eigenen Revolte, aber scheinbar hatten Daphne und Theical genug Ärger in der Stadt provoziert, dass nun immer mehr Menschen aufsässig wurden. Allerdings wurden auch Stimmen für Oswaldo laut. Dem Gekloppe auf dem Markt nach zu urteilen, hatten sie einen kleinen Bürgerkrieg losgetreten. Blieb zu hoffen, dass alle zur Vernunft kamen, wenn Zacharas wieder auf dem Thron saß. Denn sonst brachte ihre Revolte gar nichts, wenn die Menschen hinter Oswaldo standen. Alle konnten sie schlecht beseitigen.
    "Du meinst, wir locken sie in die Gassen?" Yorick schien seine Denkweise zu verstehen und als Theical nickte, stand Yorick auf und hob seine Axt vom Rücken. "Ich bin dabei."
    "Wir auch"
    , stimmte Habger im Namen der anderen Männer und Frauen zu, die hinter Theic warteten. Es waren diejenigen, die dank des Buches ein wenig mit Magie herumfuchteln konnten. Zu wenig für einen offenen Kampf. Aber genau richtig, um mit dem Vorteil der engen Gassen zu kämpfen. Ein Nicken ging durch die Reihen.
    Und nachdem Theical das Zeichen gegeben hatte, das sie sich einen anderen Weg suchen und sich in den Gassen um den Marktplatz verteilen sollten, scherten sie langsam aus. Immer in Fünfergruppen. Das wiederum hatte zwar zu Folge, dass es gerade für zwei Trupps reichte, aber besser als nichts. Dafür bildeten Yorick, Habger und er die dritte Gruppe.
    Geduldig sahen sie dabei zu, wie immer mehr Soldaten auf den Markt kamen. Sie versuchten die Burg zu verteidigen, offensichtlich hatte sich Oswaldo im Inneren verbarrikadiert. Aber das Problem dort hineinzukommen, überließ er getrost Zacharas.
    "Da!", meinte Yorick. Er deutete auf zwei Soldaten, die in ihrer Nähe gerade einen Mann zu Boden warfen und ihn mit Waffen und Füßen bearbeiteten. Theic schloss für einen Moment die Augen, dann nahm er den Blick von dem regungslosen Mann und trat stattdessen aus seinem Versteck.
    "Hey", rief er gerade so laut, dass die beiden Wachen ihn hören konnten. Irritiert drehten sie sich zu ihm um. "Was glotzt ihr so? Ihr habt echt die gleiche hässliche Visage wie Oswaldo von und zu Ochsenhintern!" Er streckte den beiden die Zunge raus und verzog angeekelt das Gesicht. "Zacharas hat ja wenigstens noch seine Magie, aber was hat Oswaldo? Das Vertrauen der unfähigsten Soldaten, die ich je gesehen habe!" Er lachte künstlich und endlich hatte er die beiden Männer so wütend gemacht, dass sie ihre Vorsicht vergaßen und auf ihn zugerannt kamen. Schnell nahm Theical die Beine in die Hand und verschwand zurück in die Gasse. Dort wurden die beiden Soldaten schon von Yorick und Habger erwartet. Der Nordmann ließ seine Axt rotieren und innerhalb weniger Sekunden lag einer der Männer mit einer breit klaffenden Wunde in der Brust auf dem Boden. Habger überwältigte den zweiten Mann und rammte ihm ein Küchenmesser in den Bauch.
    Mit klopfenden Herzen verfolgte Theical die Szene. Er konnte sich nicht helfen, aber die Männer taten ihm leid. Und zum ersten Mal seit unzähligen Stunden wurde ihm klar, dass dieser Aufstand nicht nur hieß, dass er vielleicht sein Leben verlieren konnte, sondern, dass auch er Leben nehmen musste. Übelkeit überkam ihn. Er war kein Mörder. Er konnte noch nicht einmal jemanden verletzen, die dann töten?

  • Thyra scharrte nervös mit dem Fuß. Durch das glaslose Fenster konnte sie den Marktplatz überblicken. Den Pfeil locker auf die Sehne gelegt und die Ellbogen auf der Fensterbank aufgestützt, beobachtete sie mit Daphne das Geschehen.
    Entgegen den Klischees platzierten die Truppen sich nicht an gegenüberliegenden Enden, schwangen Reden und griffen dann unter lautem Gebrüll an, sondern die Soldaten verliefen sich schon in den Gassen der Stadt. die einzigen die sich tatsächlich auf dem Marktplatz trafen waren Aras und Oswaldo mit ihrer ausgewählten Leibwache.
    "Ich hätte lieber Theic und Yorick im Blick", murmelte Thyra, die noch nicht so genau wusste, wohin sie zielen sollte. Sie beschränkte sich darauf Aras im Blick und ihm bei Bedarf den Rücken frei zu halten. Auch von Jaris und den anderen keine Spur. Sie machte sich Sorgen...
    "Daphne, sagst du mir, falls du die beiden entdeckst?"
    Sie spürte wie die Schurkin nickte.
    "Hey ist alles in Ordnung?", fragte sie ohne den Blick vom Geschehen abzuwenden.
    "Ich hab Angst", kam die zaghafte Antwort.
    Thyra seufzte.
    "Ich auch. Aber wir haben keine Wahl, oder? Es wird schon alles gut werden."
    Sie merkte, dass sie versuchte sich selbst aufzubauen und begann auf ihrer Lippe zu kauen. Sie fand es unerträglich hier oben einigermaßen in Sicherheit zu sitzen, während die anderen ihr Leben riskierten. Sie war fest entschlossen die anderen zu unterstützen so gut es ging. Just in diesem Augenblick schlug Daphne ihr aufgeregt auf dem Arm.
    "Da unten!"
    Wild fuchteltend deutete sie in die Gassen der Stadt. Thyra kniff die Augen zusammen.
    "Theic!", entfuhr es ihr. Er stand in einer engen Gasse nahe des Marktplatzes. Erleichtert atmete sie auf, als sie sah, dass er wohlauf war.
    "Nicht Theic! Yorick!", brüllte Daphne sie an. Etwas weiter war der Hüne mit drei feindlichen Soldaten beschäftigt, die wild auf ihn einhieben und ihn zurückdrängten.
    Thyra zögerte keine Sekunde, spannte die Sehne, zielte während sie ausatmete und schoss. Noch bevor der Pfeil sich in den Hals des Männer bohrte, hatte sie schon einen weiteren Pfeil abgeschossen und den nächsten erledigt. Yorick fällte den letzten und sah dann in ihre Richtung. Grüßend legte die Jägerin die Finger an die Schläfe. Der Krieger erwiderte den Gruß und verschwand dann Richtung Theic.
    Thyra atmete schwer aus. Es war seltsam einen Menschen zu töten...

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    - F. Scott Fitzgerald

  • Wie Duellanten standen sich die Männer gegenüber. Zwei Gruppen, zwei Parteien. Aras mit vier Soldaten und fünf Bauern gegen Oswaldo und sein Dutzend Leibwächter. Wie eine Arena präsentierte sich der Marktplatz, die Häuser ringsum das Kampffeld abgrenzend.
    Nur noch wenige Stände befanden sich hier, wo einst reges Treiben herrschte.

    "Hier stehen wir nun also!", rief Aras Oswaldo zu. Mit offenen Armen zeigte er ihm, dass er keinerlei Panzerung trug. Nur seine Kutte und ein leichter Harnisch waren sein Schutz.
    "Dass Ihr Euch überhaupt hierher traut, Zacharas!", entgegnete Oswaldo und präsentierte ebenfalls sein Antlitz. In schwerer Rüstung, aus des Magiers Waffenkammer, mit Kettenhemd und Brustpanzer.
    "Ein wahrlich ungleicher Kampf, den Ihr führen wollt, Oswaldo!"
    "Es liegt nicht an mir, der unpassend gerüstet ist."
    Lauthals verfiel Aras in Lachen. "Ihr habt keine Ahnung, wozu meine Magie fähig ist. Ich werde Euch vernichten, bevor Ihr auch nur einen Schritt nach vorn tätigt."
    Selbstbewusst machte Oswaldo zugleich diesen Schritt ihm entgegen und erwiderte mit noch mehr Gelächter: "Ich erzittere richtig vor Eurer Zauberkunst!"

    Der Magier kochte vor Wut. Wurde er gerade verspottet von diesem Bastard.

    "Wo sind Eure Waffen, Meistermagier?", fragte er mit breitem Grinsen und zog geradewegs sein Schwert aus der Scheide. "Ach, ich vergaß! Ihr besitzt ja keine!"
    "Um zu kämpfen, benötige ich keinerlei Klingenwaffen, Oswaldo! Meine Waffe ist mein Verstand!"
    Hochnäsig blickte der Verräter ihm entgegen und versuchte sich aufzubäumen. Aras imponierte dieses Gehabe nicht im Geringsten.
    "Das einzige, was ich für den Nahkampf besitze, ist mein Dolch. Nicht mal besonders scharf. Umso schmerzvoller wird es für Euch, wenn er sich in Eure Brust bohrt!"
    "Und wie wollt Ihr das anstellen, Herzog? Wie Ihr seht, trage ich eine Rüstung. Die wird es liebend gern mit Eurem Brotmesser aufnehmen."
    "Ich werde Euch enthaupten lassen für diese blasphemische Behauptung! Bevor Ihr auch nur mit der Wimper zucken könnt, wird Euer Kopf als Mahnmal vor Eurem Haus prangern!"
    "Große Worte, aber keine Taten! Seht Euch an, van Júmen! Wie ein Bettler steht Ihr dort, umgeben von Gesindel. Ihr könnt über kein Heer gebieten."
    "Und Ihr, Oswaldo, könnt über kein Reich gebieten! Schämt Ihr Euch nicht, Eure eigene Frau, Tochter und Familie dermaßen hintergangen zu haben?! Unter meiner Herrschaft musste keine Frau leiden, kein Kind hungern und kein Bauer betteln! Ihr seid es nicht würdig, auf diesem Thron Platz zu nehmen! Möge Gott Euer gnädig sein, denn ich bin es nicht!"

    Aras zückte seinen Zauberstab, behielt ihn aber noch an der Hüfte verdeckt und schickte zwei Soldaten voran.
    Oswaldo zögerte keine Sekunde und befahl all seinen Männern, anzugreifen. In Formation marschierten sie los, die Schwerter gezückt und Speere nach vorn gerichtet.
    Aras wusste, seine Soldaten brauchten Unterstützung, sonst wären sie innerhalb Minuten tot. Doch wartete er noch einen Moment, bis die zwei Fronten fast aufeinanderprallten.
    Dann gab er das Handzeichen. Ehe man sich versah, preschten die Bauern im Gleichschritt an ihm vorbei und warfen ihre mitgeführten Steine nach ihnen. Aus dem Nichts fingen die Steine Feuer und wurden zu flammenden Geschossen.
    Oswaldos Gefolgsleute schreckten kurz zurück, splitteten sich auf und lösten die Formation.
    Immer mehr Steine warfen die Bauern nach ihnen und immer wieder wurden sie entzündet.
    Doch löste es nicht das Problem. Mit dieser Art von Magie hatten die Gegner bereits gerechnet. Unbeeindruckt davon parierten sie einfach die Feuerbälle mit den Schilden und gingen nun gezielt auf die Bauern los.
    Aras verharrte immer noch geduldig an Ort und Stelle, während die anderen sich mit Freuden in den Kampf stürzten. Geschürt vom Eifer strecken die Knechte ihre Hände nach den Ständen aus und schleuderten Obst und Gemüse um sich. Alle möglichen Handelsgüter flogen durch die Luft, wirbelten wie ein Sturm um sie herum und verschafften ihnen somit einen kleinen Schutzwall.
    Im gleichen Moment prallten die Soldaten aufeinander. Doch gegen aller Vermutung wurden nicht Aras' Mannen überwältigt, sondern Oswaldos. Wie Geisterhände schossen greifende Schatten aus ihren Körpern heraus und schoben die Widersacher vor sich hin. Metall prallte auf Metall, Schwerter klirrten und Speere splitterten. Lautes Kriegsgebrüll unterstützte sie, die wilde Horde bestehend aus zwei mittelprächtigen Soldaten.
    Aras legte zuvor finstere Magie auf sie, wodurch ihnen die Willensstärke mehr Kraft verlieh.

    Plötzlich ertönte ein fernes Schreien. Es waren Thyra und Daphne. "Es ist eine Falle!" "Sie wollen euch umzingeln!"

    Als hätte man es ahnen müssen, marschierten nun aus sämtlichen Straßen weitere Soldaten auf den Marktplatz, um Oswaldo zu unterstützen.
    Thyra reagierte sofort und verschoss Pfeile in alle Richtungen. Aber es waren zu viele, um sie alle aufzuhalten.
    Zacharas schickte die anderen beiden Soldaten los, um zwei Ecken abzusichern, während er den Bauern zu Hilfe kam. Einige von ihnen waren bereits in den Nahkampf übergegangen und versuchten sich mit Schaufeln, Steinen und Gerümpel zu verteidigen.
    So gut es ging versuchte er sie zu beschützen, die Wachen in Schach zu halten und gleichzeitig genügend Druck aufzubauen, um wieder die Oberhand zu gewinnen. Mit Stechschritt watete er über die Pflastersteine, übersät mit Dreck, Scherben, Blut und zermatschen Früchten. Die Hände wirbelten umher, malten Kreise und gedachte Runen in die Luft.
    Er konzentrierte sich auf den Moment, versuchte alles andere auszublenden und begann mit seinem Schauspiel. Die Macht in ihm entfesselnd, zermalmte er mit streichenden Handbewegungen die Holzbarren und übrig gebliebenen Marktstände und ließ die Trümmer einem Sandsturm gleich über den Boden hinwegfegen.
    Oswaldo, der Feigling, wollte fliehen. Doch Aras fixierte seinen scharfen Blick auf einen herumwirbelnden Spaten, visierte den falschen Herzog an und warf ihm das Objekt an die Beine. Die Wucht war so heftig, dass ihm glatt der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und er mit lautem Scheppern aufklatschte.
    Kurzzeitig ließ Aras von ihm ab und drehte sich dem Wachturm zu, auf welchem Thyra und Daphne stationiert waren. Er sah, wie die Wachen versuchten, einzudringen. Nur Fenrir bot ihnen Einhalt. Das Tier brauchte dringend Unterstützung.
    Aras zielte unmittelbar vor Fenrir und entsendete schnell kleine Schockzauber. Zwirbelnd wie tänzelnde Pfeile flogen sie geradewegs darauf zu, verfehlten nur knapp den auf halber Strecke stehenden Brunnen und explodierten nach dem Aufprall in tausend glimmernde Splitter. Zwar verscheuchte der Funkenflug Fenrir, bespickte dafür aber die Aggressoren mit glühender Asche.

    • Offizieller Beitrag

    Daphne wusste gar nicht mehr, wo sie hinschauen sollte. Überall schrie jemand, ob feindlich oder nicht. Zacharas van Júmen beschwor seine Magie, was die Schurkin gedanklich gefangen nahm. Nicht, weil sie es faszinierend fand, sondern, weil es ihr bewusst machte, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gab, als es ihre überaus realistische Ansicht der Welt zuließ. Sie hatte seit ihres Lebens so viele Bücher verschlungen, in denen es um Magie, Gut und Böse, ebenso deren Kriege ging, dass sie niemals gedacht hätte, in einem solchen mitmachen zu müssen. Es war eine Sache dies anhand von Wörtern zu lesen, als tatsächlich das Feuer auf seiner Haut zu spüren und die Schreie wahrzunehmen. Das Spannen des Bogens glich für sie allmählich dem Kratzen auf Glas. Sie wusste ja, dass es nicht anders ging, aber in ihrem Inneren flehte sie darum, nicht selbst jemanden das Leben nehmen zu müssen, denn dahingehend hatte sie keine Erfahrung. Jemanden austricksen oder mal in die Bewusslosigkeit schicken, das war ihr schon des Öfteren gelungen, aber den letzten Schritt war sie noch nie gegangen.
    "Pfeile!", durchbrach ein Ruf ihre Gedanken. "Ich brauche Pfeile, Daphne, schnell!"
    Es war Thyra, die den Letzten aus dem Köcher auf ihrem Rücken ergriff und umgehend abfeuerte. Eilig fuhr die Schurkin herum und hielt nach der Tasche Ausschau, die sie mitgenommen hatten.
    "Hier!", erwiderte Daphne, als sie den Köcher von Thyra auffüllte und ein Ziel nach dem anderen fokussierte. Gerade eben noch musste sich ihr treuer Wolf in den Wald zurückziehen, als einige Soldaten ihren Turm umzingelt hatten. Nun rannten diese Männer schreiend umher und warfen ihre Rüstungen von sich, unter denen sich glühende Ascheflocken verirrt hatten und an deren Kleidung nagten.
    "Das ist alles nicht richtig!", nuschelte Daphne, die nicht auf viel Aufmerksamkeit seitens der Jägerin hoffen konnte, da diese versuchte ihren Freunden zu helfen. "Das hätte alles gar nicht passieren dürfen!"
    "Ist es aber", antwortete unverhofft die Jägerin. "Und ich hoffe, Aras reißt dieser Engel den Kopf vom Hals und ihrem Gatten gleich mit."
    "Welche Wahl hat er denn?", erwiderte Daphne und warf ihre Stirn in Falten, während ein unsicheres Lächeln über ihre Lippen huschte. "Straflos geht das nicht aus und bedenkt man die Gesetze des Adels ... Hofverrat wird selten belohnt."
    Sarkasmus fiel ihr schwer.
    "Zum Glück! Wäre ja noch schöner. Wegen ihr ist Theicals Großmutter gestorben und viele andere."
    Nickend stimmte Daphne ihrer neugewonnen Freundin zu, die eine andere Seite des Turmes wählte, um von dort aus ihre Ziele zu erfassen.
    "Ich glaube, es wird allmählich Zeit, dass wir unsere Verstärung rufen!", rief Thyra. Kurz schaute sich Daphne um und sah, wie Theical durch die Gassen rannte. Gefolgt von einem Schwarm Ratten, der nicht nur Teil der Ablenkung war, sondern diese Biester schienen auch beißen zu können. Ihr Bruder war stetig an seiner Seite, was die Schurkin hoffen ließ, dass beide das einigermaßen unbeschadet überstehen würden. Unweit von Aras, kämpfte sich Jaris durch die Massen, teils mit seiner Magie, teils mit der bloßen Klinge. An ihm konnte Daphne erkennen, dass er weit mehr war, als ein einfacher Soldat. Er beherrschte sein Handwerk, kombinierte gezielte Tritte mit Schwerhieben und Blitzen, sodass er sich immer mehr Raum verschaffte, wodurch Thyra sich weitesgehend um die anderen kümmern konnte. Feuerstränge schossen aus der Hand des Soldaten, während zeitnah kleinere Barrieren Pfeile abhielten. In diesem Moment war Daphne dankbar dafür, dass Jaris sich auf deren Seite befand. Und was konnte sie? Sie konnte auf ihren Fingern pfeifen, was sie umgehend tat, als ihr die Worte der Jägerin wieder ins Gedächtnis kamen. Sie pfiff so laut sie konnte und während das Geräusch vom Wind davongetragen wurden, tauchten an den Mauern bereits die Bogenschützen auf, die sie zurückgehalten hatten. Jäger von Ymilburg, so wie von außerhalb, die ihre Bögen auf Seitens Zacharas´ stellten. Die Pfeile schossen durch die Luft, zischend und laut. Daphne trat einen Schritt zurück und ihr wurde unlängst klar, wie für sie diese Schlacht ausgehen würde. Für so etwas, konnte sie weder Geld noch Gold annehmen. Das war kein einfacher Diebstahl, was sie dort tat, das war Krieg und eine Söldnerin war sie nicht.

  • Jaris sog verzweifelt Luft in seine Lungen. Er brauchte sie um durchzuhalten. Um ihn herum hatte sich ein Kreis von Soldaten gebildet, die stetig näher drängten. Vorsichtig verlagerte er das Gewicht. Obwohl es ein trockener Tag war, versanken seine Stiefel ein wenig in dem schleimigen Morast, der sich aus Erde und Blut gebildete hatte. Männer lagen ausgestreckt zwischen den kämpfenden Menschen. Männer, die einst ein Leben, eine Zukunft hatten. Jetzt waren sie nurmehr Futter für die Raben. Und wenn er sich nicht vorsah, würde es Jaris am Ende des Tages genauso gehen. Einer seiner Widersacher stürzte vor, Jaris parierte seinen Schwerthieb und nutzte den Schwung seines Angreifers aus, um ihn, bekräftigt von einem festem Stoß, an ihm vorbei stürzen zu lassen. Ein Tritt gegen die Schläfe gab dem Soldaten die wage Hoffnung in ein paar Stunden wieder aufzuwachen, doch Jaris hatte währenddessen bereits den Blick von ihm genommen. Ein Blitz aus seiner Fingerspitze traf einen weiteren Angreifer, der zuckend zu Boden sank. Der Söldner drehte sich um die eigene Achse und ließ seine Klinge tief in die, ihrer Deckung verwehrte, Brust eines ausholenden Mannes versinken. Ein Tritt beförderte einen weiteren aus seinem Blickfeld, während er sein Schwert befreite und es einen Halbkreis beschreiben ließ, der an dem schutzlosem Hals eines Gegners entlangführte. Dieser umklammerte Fassungslos seine Kehle, während er röchelnd zusammenbrach. Jaris wischte sich die Blutsprenkel, die sein Gesicht benetzten, mit dem Hemdsärmel ab. Drohend musterte er die Gesichter, der ihn umzingelnden. Sie wussten, dass der, der als erstes auf ihn zustürmte, dies wohl kaum überleben würde, doch wann würde ihnen aufgehen, dass sie ihn besiegen würden, wenn sie gleichzeitig angriffen. Jaris sah, wie die Idee in den Augen der Wachen zu glimmen begann und sich Sehnen und Muskeln unter der Haut anspannte. Entschlossen schluckte er den Kloß im Hals herunter. Irgendwann musste es eben so enden, auch wenn der Gedanke an Thyra ihm die Tränen in die Augen trieb. Doch er würde würdevoll untergehen. Stehend, mit dem Schwert in der Hand.
    Ein Brüllen löste sich aus der Kehle eines der Männer und nahezu synchron schossen sie auf ihn zu. Jaris ließ das Schwert in der Luft herumwirbeln und wappnete sich. Dann durchbohrte ein Pfeil die Kehle eines Mannes vor ihm. Eine Axt fuhr fast zeitgleich vom Himmel und bohrte sich in die Schulter eines weiteren, die krachend nachgab. Jaris war so überrascht, dass er es beinahe nicht geschafft hätte sich umzudrehen und ein heransausendes Schwert zu parieren. Seine Ohren vernahmen ein Sirren und instinktiv beugte er sich zu Seite, sodass der Pfeilschaft an ihm vorbeiflog und sich mit der Spitze voran in eine Brust zu seiner Seite bohrte. Der Söldner machte einen Sprung rückwärts, in der Hoffnung, dass der Träger der Axt dort genügend Raum geschaffen hatte, und ließ eine weiteren weitaus stärkeren Blitz aus seinen Fingern fahren. Er bohrte sich in sein Ziel, doch anders als sonst sprang er von dort auf dessen Begleiter über, so dass gleich drei Mann bewusstlos zu Boden sanken. Jaris brachte nicht die Kraft auf sich darüber zu wundern und suchte stattdessen alle Richtungen hektisch nach weiteren Gegnern, die mit erhobenen Klingen auf ihn zustürmten, ab. Doch da waren keine mehr. Die Bauern und Handwerker hatten wider jedem Erwarten tatsächlich die Oberhand gewonnen und die restlichen Wachen zogen sich gerade stolpernd und hastend ins Innere der Burg zurück. Hinter ihm stand ausgerechnet Yorick, der die kettenbewehrten Finger gerade über die Schneide seiner Axt fahren ließ.
    "Irgendein Schädel hat eine Kerbe hinterlassen", beklagte der blonde Hüne sich beiläufig und grinste ihn dabei an. "Oder vielleicht war es auch die Schulter dieses armen Tropfs hier." Er versetzte dem vor ihm liegenden Körper einen leichten Stoß mit der Stiefelspitze. Jaris unterdrückte ein gequältes Gesicht, als ihm klar wurde, dass ausgerechnet dieser Schönling ihm das Leben gerettet hatte, und brachte stattdessen sogar ein dankbares Lächeln heraus.
    "Danke für deine Hilfe", sagte er. "Wenn du nicht gewesen wärst, dann wäre ich jetzt vermutlich nur die Kerbe im Schwert eines dieser Männer." Sein Blick auf die Soldaten zu seinen Füßen verdeutlichten seine Worte.
    Yorick schüttelte nur den Kopf. "Mir sind die Gegner ausgegangen und ich hasse nun mal Langeweile."
    "Das nächste Mal teilen wir gerecht auf", versprach Jaris. "Ich übernehme nur eine Hälfte und du kannst den Rest haben." Yorick lachte laut auf. Vielleicht war der Mann doch gar nicht so übel.
    Der Halbelf hob den Blick suchend zu dem Wachturm, der sich hinter ihnen in die Höhe schraubte. Er wusste, wer ebenso dazu beigetragen hatte sein Leben zu retten. Thyras Gestalt zeichnete sich selbst für ihn nur undeutlich ab. Er konnte sie für ihre Treffsicherheit aus dieser Entfernung nur bewundern.
    "Heda", rief Zacharas ihnen über die Köpfe der anderen hinweg zu. "Da wartet noch eine Burg auf uns, die erobert werden muss." Jaris verzog gequält das Gesicht.
    "Und ich hatte schon gefürchtet wir würden den kompletten restlichen Tag nur in der heißen Sonne herumstehen", äußerte sich Yorick voller Tatendrang.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

  • Die Hand gen Burg gerichtet deutete Zacharas Jaris und Yorick weiter an, sich schnell dorthin zu begeben, während er mit den Augen Oswaldo anvisierte. Dieser konnte sich bereits einige Meter davonstehlen, schien aber am Bein verletzt zu sein. Mit Humpeln und schmerzverzerrtem Gesicht, stützte er sich auf seinem Schwert ab und ergriff langsam die Flucht zurück in die Burg. Aras reagierte sofort mit angemessener Härte und schleuderte einen kleinen Blitz ihm entgegen, der ihn erneut zu Boden warf.
    "Ihr bleibt hier!", rief Aras ihm entgegen und richtete starr seinen Zauberstab auf ihn. "Für einen selbsternannten Heerführer seid Ihr aber sehr schwach!"
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte Oswaldo ihn an, stemmte sich verkrampft mit den Ellenbogen vom Steinpflaster ab und kroch nun rückwärts weiter. "Ihr werdet dafür büßen, Zacharas! Meine Männer sind in vielen Städten unterwegs! Mein Tod bedeutet nichts!"
    "Für mich bedeutet Euer Tod genügend!" Ohne weitere Worte verpasste er dem Verräter einen Schockzauber nach dem anderen, scheuchte ihn durch deren Wucht ein Wenig über den Boden.
    Oswaldo schrie sich die Seele aus dem Leib, verfluchte Aras und seine Magie. Mit Narben übersät und die Rüstung blutverschmiert lag er völlig erschöpft herum und atmete schwer.
    Aras hielt den Zauberstab auf ihn gerichtet und trat näher heran, bis er direkt vor ihm stand. "Ihr seid erbärmlich, Oswaldo! Ich hatte deutlich mehr Widerstand erwartet." Dann zückte er seinen Dolch und ging in die Hocke. Oswaldo schaute ihn entsetzt an und versuchte krampfhaft das Schwert ihm entgegenzurecken. Doch war er zu schwach und konnte kaum die Finger beugen.
    "Es wird nicht sehr wehtun, das verspreche ich Euch", gab Aras von sich, bevor er mit dem Dolch die seitlichen Riemen durchtrennte und den Brustpanzer abnahm. Der ganze Körper bebte und zitterte. Wusste Oswaldo doch, dass er sich nicht wehren konnte und jeden Moment des Todes sein würde.
    "Tötet mich ruhig, Zacharas. Ich habe mein Ziel zwar nicht erreicht, aber bereue meine Tat auch nicht."
    "Euer Tot wird mir keinen Spaß bereiten, aber er ist nötig." Dann senkte er die Spitze auf die Brust und lehnte sich mit aller Kraft auf den Dolch. Tief drang er ins Fleisch ein, durchstach sein Herz und bereitete ihm ein schnelles Ende. Mit Röcheln und Krämpfen verabschiede Oswaldo sich von der Welt, ohne ein weiteres Wort von sich zu geben.
    Mit betrübtem Gesicht beobachtete er den Leichnam und kehrte in sich. War es nun vorbei? Was meinte Oswaldo damit, dass seine Männer in vielen Städten unterwegs seien? War dies etwa nur der Anfang?

    "Mein Lord!", sprach einer der Bauern ganz erschöpft, sich krümmend und schnaufend vor Luftknappheit. "Oswaldos Männer haben sich in die Burg zurückgezogen. Was sollen wir nun tun?"
    "Wir werden sie verfolgen! Bis der letzte Widersacher zur Rechenschaft gezogen wurde!"
    Mit einer kurzen Handbewegung schickte er sein Gefolge voran zu Jaris und Yorick, die schon fast den Burghof erreicht hatten.
    "Ja, mein Herr!"
    Aras verfolgte die Meute aus den Augenwinkeln, blickte zurück zu Thyra und Daphne und suchte dann Theical, der auch irgendwo in der Nähe herumstreunern musste. Laut Aras' Erfahrung, schien es Theical nie weit von ihm wegzutreiben. Vielleicht war es auch nur Einbildung und er freute sich nur zu sehr, dem kleinen Mann stets zur Seite zu stehen.
    Als der Magier in dann am Rande des Marktplatzes entdeckte, erhob er sich vom Boden, riskierte nochmals einen Ringsumblick über das Schlachtfeld und stampfte dann mit energischem Schritt auf Theic zu.

    • Offizieller Beitrag

    Ein wenig bedeppert stand Theical am Rande des Marktplatzes. Gerade eben war er noch mit Yorick durch die Gassen gerannt und jetzt stand er völlig allein in der Gegend herum. Yorick war davon gesprintet, um Jaris zu helfen, der von so vielen Soldaten umzingelt war, dass er sich unmöglich allein hätte befreien können. Liebend gern hätte er ebenfalls geholfen, aber gerade, als er Daphnes Bruder nacheilen wollte, fiel sein Blick auf zwei Bauern, die von vier Soldaten eingekreist und angegriffen wurden. Der Mann und die Frau verteidigten sich mit allem, was ihnen zur Verfügung stand, doch lang würden sie den Kampf nicht mehr durchhalten.
    Überfordert blickte Theic zwischen Jaris und den Bauern hin und her, entschied sich dann aber für die Bauern, denn offenbar hatten die anderen die Situation ganz gut unter Kontrolle, nicht zuletzt dank Thyras Unterstützung.
    Mit dem letzten bisschen Kraft, das ihm geblieben war, schickte er seinen lebendigen Rattenteppich auf die vier Soldaten. Die kleinen Tiere suchten sich eifrig ihren Weg durch jede noch so kleine Lücke in den Rüstungen und krochen anschließend am Körper der Männer empor. Töten konnte er damit nicht, aber die Bisse der Viecher lenkten die Soldaten zumindest so weit ab, dass die Bauern mit ihren provisorischen Waffen auf sie einprügeln und sie schließlich zu Boden befördern konnten. Den letzten Akt bekam Theical schon nicht mehr mit, da er die Augen schloss und sich lieber zu seinen Freunden umdrehte.
    Erleichtert stellte er fest, dass es beide Männer gut überstanden hatten.
    Als die restlichen Soldaten sich schließlich zurückzogen und ein hörbares Aufatmen durch die Reihen der Bauern ging, sackte Theical erschöpft zusammen und sah dabei zu, wie die vielen Ratten auseinanderstoben und in den Gassen verschwanden. Der Tag ging eindeutig schon zu lang und die Aufregung der letzten Stunden machte ihm zu schaffen.
    Er sah dabei zu, wie Zacharas dem selbsternannten Herrscher einen Dolch in die Brust stieß.
    Im ersten Moment glaubte Theical so etwas wie Genugtuung zu verspüren, dass der Kerl, der am Tod seiner Großmutter ebenso Schuld trug wie am verkümmerten Leben der Leute hier. Doch das Gefühl dauerte nicht lang an. War es wirklich recht, einen Menschen zu töten, nur weil dieser ebenfalls gemordet hatte? Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht war es besser, Oswaldo aufzuhalten, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte. Und Schaden hatte er genug angerichtet. Erstaunlich, dass sie es alle überlebt hatten.
    "Was sitzt du hier so herum? Es ist noch nicht vorbei", erklang plötzlich Aras' Stimme neben Theic und als er aufsah, blickte er direkt in das Gesicht des Fürsten.
    Ohne etwas auf die Worte zu erwidern, erhob sich Theical mit zittrigen Beinen. Am liebsten wäre er dort sitzen geblieben, aber Zacharas hatte Recht. Zwar war Oswaldo aus dem Weg, aber er hatte noch immer Anhänger, die gerade auf dem Weg waren, sich in die Burg zurückzuziehen.
    "Wie geht's weiter?", fragte Theical, während er mit seinen Augen den flüchtenden Menschen folgte. "Sie zum Aufgeben zwingen, oder alle töten?" Das letzte Wort kam ihm nur schwer über die Lippen. Zwar hatte er den anderen geholfen, die Stadt zu befreien, aber aktiv hatte er niemandem das Leben genommen. Ihm reichte es, dass er an diesem Schlachtfest beteiligt war. Allein das würde ihm die nächsten Nächte den Schlaf rauben.
    "Sie sind Verräter", meinte Zacharas nur.
    "Sie sind jemandem gefolgt, der ihnen ein besseres Leben versprochen hat. Und einigen ging es bestimmt wirklich besser, die dann die Augen vor dem Schlechten verschlossen haben. Kann man es ihnen verübeln?"
    "Herzog!", rief jemand und zog die Aufmerksamkeit des Fürsten auf sich. "Zacharas van Júmen!"
    Keuchend kam vor ihnen ein Soldat zum Stehen. Er verbeugte sich eifrig und sprach dann aufgeregt weiter. "Sie haben die Tore geschlossen, wir kommen nicht in die Burg."
    Zacharas und Theical tauschten einen kurzen Blick.
    "Und was machen wir jetzt?", fragte der Mann und sah Zacharas fordernd von unten an, wartete auf neue Befehle.
    Theical hob die Augenbrauen, als er dabei zusah, wie der Soldat vor Aras buckelte. Völlig übertrieben.
    "Ich wüsste jemanden, der dort reinkommt, um uns vielleicht die Tore von innen zu öffnen", mischte sich Theical ein, ehe der Fürst zu einer Antwort ansetzen konnte. Fragend blickte er ihn an, weshalb Theic nur zu dem Wachtum zeigte, in dem sich Thyra und Daphne verbarrikadiert hatten. "Daphne ist eine Diebin, wenn sie es nicht schafft, dann keiner."