Es gibt 220 Antworten in diesem Thema, welches 68.740 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. Januar 2019 um 11:40) ist von 97dragonfly.

    • Offizieller Beitrag

    Galib wollte ihn umbringen? Was plant der Kerl nur? Auf jeden Fall sehr mysteriös und Galib bleibt unheimlich. Ich frage mich was Kasim angestellt hat um den alten Kauz derart zu verwirren. So aufgelöst sieht man ihn ja eher nicht. :hmm:

    LG, Kyelia

  • Spoiler anzeigen

    Das verstehe ich irgendwie nicht ...
    Es ist doch gut, dass sie zurück sind ... *steht auf dem Schlauch*

    Ich hab's etwas abgeändert, vielleicht ist jetzt eher deutlich, was ich damit zum Ausdruck bringen wollte. ^^'

    Währenddessen kann ich die Reaktion des Königs und die von Harun sogar sehr gut nachvollziehen, allerdings finde ich dass der König Kasim mehr oder weniger Hausarrest verpasst, irgendwie nicht wirklich passend dafür, dass er ja theoretisch gesehen den Prinzen entführt hatte, auch wenn Kadir, die eigentlich treibende Kraft hinter dem ganzen gewesen ist.

    Hm, gut, man könnte es in der Tat als verschärften Hausarrest sehen, ich denke, an gegebener Stelle werde ich darauf genauer eingehen bzw. erklärende Sachen hinzufügen. Unrecht hast du nicht. :)

    So. Da sind wir wieder - mein Gehirn und ich.
    Ich muss zugeben, ich hatte unglaublichen Spaß, den nächsten Abschnitt zu schreiben (was in Hinsicht auf die Ereignisse wahrscheinlich etwas makaber wirkt xD). Es ist vollkommen anders geworden, als ich es ganz zu Beginn geplant hatte, aber ich bin mit meiner Lösung/dieser Variante viel zufriedener als mit der eigentlichen.


    ~.~.~

    Mit einem dumpfen, pochenden Schmerz hinter der Stirn, erwachte Elham aus ihrem unruhigen Schlaf; flatternd öffneten sich ihre Lider. Der herbe Geruch verbrannter Kräuter ließ sie einen Moment verwirrt in ihren Kissen liegen, während der letzte Rest eines Traumes am Rande ihres Bewusstseins nagte.
    Stöhnend rollte sich die Seherin auf die Seite, erhob sich schwerfällig und ging barfuß schwankend durch das Zwielicht des schwindenden Tages. Draußen verschmolz das letzte Lila mit dem schwarzen Kleid der Nacht, doch sie hatte keinen Blick für diese Schönheit.
    Übelkeit erfasste sie; zitternd tastete sie nach dem Waschtisch, der auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand. Unter ihrem Gewicht wankte der Tisch auf das kürzere der beiden Vorderbeine.
    Elham versuchte nicht, das Würgen zu verhindern. Sie beugte sich über die leere Waschschüssel und spuckte ihr karges Abendmahl aus. Kalter Schweiß rann zwischen ihren Schulterblättern den Rücken hinab und benetzte das leichte Gewand, das lose ihre Rundungen umspielte.
    Ismet konnte grausam sein, furchterregender und kälter als sein Vetter Tod, der sich oftmals gnädiger erwies. Sie spürte seine eisigen, unsichtbaren Finger an ihren Oberarmen, bemerkte, wie sie zu ihrer Kehle wanderten und ihr für einen Moment das Atmen erschwerten. Ohne mit der Wimper zu zucken gab sie sich dem Schicksal hin, flehte jedoch stumm eben jenes an, einst gefestigte Stränge zu kappen und neu zusammenzuflechten.
    Die Atmosphäre, die stehende Luft in ihren Räumen änderte sich; der sonst anregende Duft getrockneten Lavendels schwand, machte dem scharfen Geruch von Lampenöl und etwas viel Intensiverem Platz. Hustend und keuchend sank Elham auf die Knie. Der Druck um ihren Hals ließ nach, doch die Hoffnung in ihrem Herzen sank tiefer, als die Wellen der Vision sie überkamen. Lodernde, beinahe unnatürliche Flammen flackerten wie Lichtblitze vor ihrem inneren Auge auf. Eine Hand vor den Mund gepresst, krallte sie die Finger der anderen in den dünnen Stoff über ihrer Brust.
    Die Eindrücke verblassten nur quälend langsam. Elham versuchte bewusster zu atmen, doch es half nichts, noch immer hatte sie das Gefühl, beißenden Rauch in ihre Lungen zu ziehen.
    Machtlosigkeit lähmte ihren Körper, ließ sie zu einem Spielball verkommen. Wie oft hatte sie versucht, den König und sein Gefolge zu warnen? Wie oft sich bemüht, über den Rat an ihn heranzukommen, nur um am Ende ein ums andere Mal bereits an den Toren des Palastes abgewiesen zu werden? Nun war es zu spät.
    Ächzend stemmte sich die Seherin auf die Beine, wankte zu ihrem Fenster und stieß es weit auf. Vielleicht beruhigte die Nachtluft ihre brennende Kehle.
    Keuchend schreckte sie zurück, als sich der Gestank von Rauch sogar verschlimmerte. Hastig huschten ihre hellen Augen umher. Hinweg über die kargen Lichter der Stadt, hinaus über die flachen Dächer der Steinbauten, die in diesem Teil der Stadt dicht an dicht standen. Im lichteren Viertel vor den Palastmauern, wo die ausschweifenden Villen jener standen, welche die Gunst des Königs genossen, stiegen im Mondschein erste Rauchschwaden auf.

    Arif schreckte aus seinem ungewollten Schlummer, als Alarm geschlagen wurde. Dunkler Glockenklang schrillte in seinen Ohren; trampelnde Schritte vor seinem Studienzimmer und laute Rufe hallten inzwischen durch das gesamte Haus. Wirsch kämpfte sich der Oberste Rat aus dem niedrigen Sessel und eilte schnellen Schrittes zur geschlossenen Tür. Als er sie aufriss, stieß er das dunkle Holz beinahe in das Gesicht eines jungen Dieners. Wasser schwappte vor seine Füße, als der Junge versuchte, den Eimer in seinen Händen im Gleichgewicht zu halten. Mit gerunzelter Stirn verlangte Arif zu wissen, was geschehen war.
    »Feuer … Feuer im … im Hof«, stammelte der Junge und eilte mit großen Schritten weiter. Arif folgte ihm durch die gewundenen Flure, hin zu einem der vier offenen Bogengänge, die den gepflasterten Hof eingrenzten. Abrupt hielt er unter einem der Bögen inne. Ihm stockte der Atem, als er erkannte, was brannte.
    Der flache Brunnen, der sich in der Mitte als eine wunderschöne, kurvige Tänzerin zu einem Springbrunnen entfaltete, war statt von sprudelndem Wasser von züngelnden Flammen umgeben. Das rundliche Gesicht des Wasserspeiers, das seiner verstorbenen Frau nachempfunden worden war, wirkte bizarr mit dem strahlenden Lächeln im Schein der Flammen. Die schwungvolle, grazile Haltung der Tänzerin, einen Arm gen Himmel gestreckt, den anderen Richtung Grund, erschien von Schatten zum Leben erwacht.
    Mit offenstehendem Mund sah Arif zu, wie die Diener mit vollen Eimern zu dem Brand hasteten. Ein stechender Gestank wehte zu ihm heran und in seinem Innersten zog sich sein Magen zusammen. Er wollte seine Bediensteten aufhalten, sie davon abbringen, Wasser in den Brunnen zu schütten, doch es war zu spät. Eine Säule heißen, tief orangefarbenen Feuers stob gleißend hell über den Rand des Beckens hinaus und erfasste schreiende Männer und Frauen, ergriff die Kleider und Leiber jener, die das Pech hatten, sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen zu können. Die, die noch nicht in der Nähe des Brandes gekommen waren, wichen taumelnd zurück, die Hände vor die Gesichter gerissen.
    Arif erwachte aus seiner Starre, brüllte und schickte die Unverletzten Decken und Vorhänge holen, um das Feuer zu ersticken, doch keiner hörte auf die Stimme ihres Herrn. Unter den Bewohnern war Chaos ausgebrochen. Aus dem Haus drang das plötzliche Schreien von Frauen und Kindern, jemand rief voller Schrecken, dass im Inneren Rauch aufstieg.
    Als der Oberste Rat zurück nach drinnen eilte, schlugen ihm aus dem nahen Küchenbereich mit einer unvermittelten Wucht eine weitere Flammenwalze entgegen. Hitze peitschte ihm ins Gesicht und er stolperte zurück.
    Der Wasserspeicher, schoss es ihm voller Grauen durch den Kopf.
    Es war unmöglich, sich dem Brandherd zu nähern, und so rief er zum Rückzug auf, ließ weitergeben, das Haus ganz zu verlassen, als das Feuer die ersten Wandteppiche und Möbel erfasste. Nicht zurück in den Hof hinaus, wo es keine Möglichkeit zur Flucht gab.
    Er hörte seine Mädchen kreischen, als Arif an ihrem Zimmerflügel vorbeikam. Hektisch winkte er sie zu sich heran, wies sie an, sich etwas vor die Münder und Nasen zu halten, während er sie weiter schickte, hin zum Vorraum und Eingang. Hustend und weinend hingen seine jüngsten Töchter an seinem Kaftan, während seine Zweitälteste ihnen entgegenkam und panisch meinte, die Tür sei versperrt und niemand bekäme sie auf.
    Eine der beiden Hauswachen, den einzigen, die er besaß und überhaupt in seiner Nähe duldete, rammte immer wieder seine Schulter gegen das Holz der Tür. Es gab kaum unter seinen Anstrengungen nach, auch nicht, als Arif es ihm gleichtat.
    »Es hilft nichts«, meinte die Wache und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Blicke trafen sich einen Moment und Arif erschauderte bei der Gewissheit, die ihm in den dunklen Augen begegnete - sie war ein Spiegelbild seiner eigenen, schlimmsten Befürchtung.
    Mit rasendem Herzen sah sich der Oberste Rat um, schickte seine ältesten Töchter und die Hauswache zu den vergitterten Fenstern, während er selbst an eines herantrat und mit aufsteigender Verzweiflung an ihnen rüttelte. Die anderen um ihn herum begannen zu schreien, versuchten auf sich und ihre Notlage aufmerksam zu machen, doch ihr Haus lag in einer der ruhigen, breiten und etwas abgeschiedenen Straßen der Stadt.
    Etwas erschütterte das Gebäude und sie zuckten zusammen, als neuerliche Hitze zu ihnen heranwehte. Arifs Töchter schrien auf und eilten zurück zu ihrem Vater, der versuchte sie in seinen Armen aufzunehmen. Gemeinsam wichen sie in die hinterste Ecke des Vorraumes, kauerten sich auf den Boden, während er über ihre Rücken und bebenden Schultern strich, ihre Haare und feuchten Wangen küsste.
    Seine letzten Gedanken schweiften zu Ranya, seiner Ältesten, die nach einem kurzen Auftauchen am Nachmittag überstürzt erneut verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht war. Stumm betete er all jene Götter an, für die er keinen Namen hatte, dass wenigstens sie in Sicherheit war.

    Die ersten Palastwachen brüllten in Alarm von den Aussichtspunkten, als der dunkle Rauch und helle Lichter über mehreren Häusern und Plätzen Alsahars aufstiegen. Nur wenig später riefen die ersten Diener von brennenden Brunnen in den Höfen, während aus den Bädern arme Seelen mit brennenden Kleidern eilten und ziellos durch die Gänge rannten.
    Galib stand auf einem der schmalen Wehrgänge an der Nordseite des Palastes. Gedankenverloren rieb er an dem verschlossenen Glas in seinen Händen, während er hinab auf den Stall an der Außenseite der Mauer blickte. Dunkle Gestalten huschten durch die Schatten der Nacht, gefolgt von einem roten Glühen und Funken, die sich rasch zu einem weiteren Brand entfalteten und knisternd die Umgebung erhellten. Die grünen und blauen Farben ihrer knielangen Kaftane schimmerten, als sie die Fackeln fortwarfen und mit gezückten Waffen zurück zu den inzwischen weit offenstehenden Haupttoren eilten.
    Leise seufzend wandte der alte Diener den Blick ab, verdrängte das Klirren von Stahl auf Stahl und das jämmerliche Wiehern der Pferde unter ihm.
    Einen Moment starrte er auf den umherwirbelnden Goldstaub im Glas, bevor er langsam den mit Wachs versiegelten Pfropfen löste. Anklagend schwoll das Wimmern in seinen Ohren an.
    »Genießt Euer Mahl, Almaw«, raunte Galib und sah zu, wie ein Teil des Staubs sich erhob und vom Wind ergreifen ließ. Es stob an ihm vorbei, drang durch die Ritzen der Mauern, bis nur noch ein winziger Rest goldener Körner am Boden des Behälters übrigblieb. Mit einem unscheinbaren Lächeln drückte er den Pfropfen wieder an seinen Platz, verstaute das Glas in einem Ärmel seiner Robe und machte sich mit steifen Schritten auf den Weg, zu den Gemächern des Königs.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (31. Mai 2016 um 16:36)

  • Ja so ist es einleuchtender, was du gemeint hast ^^
    Wenn man es weiß, ergab sogar die alte Version einen Sinn XD

    So zu dem Teil:

    »Feuer im Innenhof, mein Herr.«

    Hier finde ich die Anrede unpassend. Klar ist er der Herr, aber es BRENNT zum Henker XD
    Es wäre mir egal. Ich hätte ihm wahrscheinlich nur Feuer entgegengeschleudert und mit einer Hand in den Innenhof gewedelt, während ich versucht hätte das Wasser dorthin zu bringen ... :hmm:

    Wie auch immer ^^
    Ansonsten war es gut ^^
    Ich hatte zwar kurz Schwierigkeiten wer Arif ist, aber als die Töchter zur Sprache kamen, fiel mir wieder ein, dass Ranya seine Tochter ^^
    Kann man nur hoffen, dass diese rechtzeitig kommt und es ihr gelingt ihre Familie zu retten :(
    Ich mochte Arif ...
    Und ich will jetzt endlich wissen, was es mit Galibs Staub auf sich hat XD

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Das war echt dramatisch. Habe ich das richtig verstanden, dass das Wasser brennt? Dann wurde da wohl sabotiert, zumal Galbis "Freunde" ja brandstiftend herumgerant sind im letzten Absatz.

    Elham und Galib rangieren bei mir mittlerweile beide auf dem gleichen Platz, nämlich dem ersten xD Ich find die super geheimnisvoll, wie wahrscheinlich jeder hier, und das macht den Reiz aus. Was haben die mt der Geisterwelt oder den Dämonen zu schaffen?

    Los, weiter!

    Zitat von Kitsune

    Flatternd öffnete sie die Lider.

    Lider können flattern, aber man kann nichts flatternd öffnen :D

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"

    • Offizieller Beitrag

    Ein sehr guter Teil. Die Panik und die plötzliche Hektik hast du super rüber gebracht und ich war vom Text gefesselt. An eine Pause war gar nicht zu denken. :D
    Das Wasser brennt also? Schlechter hätte es die Stadt gar nicht treffen können und scheinbar ist Galib mit seinen komischen Handlangerfreunden daran schuld. Der Kerl weiß, wo man ansetzen muss, um der Stadt den größtmöglichen Schaden beizufügen. Ich frage mich nur, was sein Ziel ist. Der Diener wird mir immer geheimnisvoller, anstatt Fragen geklärt werden. :hmm:
    Bin gespannt wie es weiter geht und ob Arif auf der Sache wieder herauskommt, oder ob die Flammen ihn erwischen. :/


    LG, Kyelia

  • Ein schöner Teil. Du hast das mit dem Feuer wirklich gut beschrieben und mir ist Galib jetzt noch unheimlicher und unsympathischer als er es am Anfang war. Ich wünschte der würde langsam krepieren.
    Naja, ich denke mal, das werde ich nicht so leicht bekommen. Ich freue mich auf jeden fall auf den nächsten Teil der hoffentlich bald kommen wird :stick:

    xoxo
    Kisa

  • Etwas gedauert (fragt nicht, wie oft ich den Abschnitt neu angefangen habe), aber nun geht es weiter. (Wie immer ein Dank an euch, nebenbei.)


    ~.~.~

    Der Geruch leichter Fäulnis leitete Galib, gemeinsam mit den goldenen Funken, die im Schein lodernder Öllampen schimmerten. Kopflos eilten Diener umher, nur eingeholt von Wachen, die sich mit gezogenen Waffen vorbeizwängten, dem Klang von brüllenden Kämpfen nach.
    Bedacht stieg Galib über die zusammengesunkenen Leiber jener Seelen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit hatten bringen können. Ein herber Duft verbrannten Fleisches hing in der Luft, wehte von den Höfen herein und krallte sich in Haaren und Kleidern fest.
    Als der alte Mann den Westflügel des Palastes erreichte, färbten rote Rinnsale den hellen Marmor unter seinen Füßen, die sich langsam zu Lachen sammelten. Seufzend holte er mit schmerzenden Knien weiter aus, hinweg über einen Gardisten mit offener Kehle. Sorgsam hob Galib seine Robe, damit der Saum nicht beschmutzt wurde.
    Ein letztes Mal bog er in einen Seitengang. Vor den Zimmern des Königs war der Weg beschwerlicher, unsteter; die Nase gerümpft, wich der alte Diener im Zickzack den Körpern aus, deren hellgrüne Kaftane blutverschmiert waren. Einige der Männer lehnten gurgelnd an den Wänden, die Glieder bizarr verrenkt. Ein letztes Mal zuckten sie auf, als der goldene Staub sie beinahe sanft berührte, bevor sie schlaff zusammensackten.
    Das Fluchen des Königs drang laut heran. Auf Galibs Lippen zeichnete sich ein leises Lächeln ab, während er in das kleine, schmucklose Vorzimmer trat. Mit dem Fuß schob er eine der umgeworfenen Bänke beiseite; die leeren, bunten Vasen, die einst darauf gethront hatten, lagen in mehreren Scherben verstreut davor.
    Der Herrscher selbst war in seiner Wohnstube. Der Diener hatte kein Auge für das Chaos der umhergeworfenen Kissen und niedrigen Tische. Etwas anderes fing seinen Blick viel zu verlockend ein.
    Zwei Männer der königlichen Leibgarde hielten den König an den Armen, zwangen ihn auf die Knie; einer von ihnen presste eine Hand in seinen Nacken, sodass er mit demütig gesenktem Kopf vor Galib kauerte. Genugtuung durchflutete den Diener und er erschauderte.
    Der Mann vor ihm, derjenige, der die Schuld am Tode seiner geliebten Königin trug, hockte nun vor ihm - das lange Nachtgewand halb von den Schultern gerutscht, das halblange, schwarze Haar wirr vor dem breiten Gesicht, die Augen funkelnd vor Zorn, als er ihm nun mit zusammengerückten Brauen entgegensah. Oh, wie lange hatte er darauf gewartet? Wie lang Unmut unter seinen Männern gesät, wie viele Worte hinaustragen lassen, bis es endlich Früchte trug? Einzig vor Harun hatte Galib immer Halt gemacht, obwohl er nicht leugnen konnte, dass er ihn achtete. Doch der Hauptmann war zu loyal diesem Mann gegenüber, zu sehr in Freundschaft verbunden. Haruns Vater war gemeinsam mit ihm und dem König nach Alsahar gekommen; unerwartet waren sie vor den Toren aufgetaucht.
    Ein einfacher Wanderer hatte das Herz der Prinzessin erobert. Ein Wanderer ohne Gott und Achtung. Die Erinnerung jagte Galib einen neuerlichen Schauer über den Rücken.
    Zerzaust wie der König nun war, auf den Knien vor ihm - dort war sein Platz.
    »Was bedeutet das alles?«, verlangte der Herrscher knurrend zu erfahren. Ein kräftiger Stoß in den Nacken ließ seinen Atem einen Moment stocken.
    Galib lächelte. Er spürte die Kälte hinter sich, wusste die Dunkelheit, die sich zu einer wabernden Wolke manifestierte, während sich der faule Geruch verstärkte. »Ihr seht müde aus, Nadim.«
    Er weigerte sich, diesem Mann vor sich noch weiteren Respekt zu zollen. Die Mundwinkel des Dieners senkten sich, die Lippen zu einer verbissenen Linie erstarrt. »Mir scheint, Ihr solltet ruhen. Seit dem Tag, als die Prinzessin - nein, die rechtmäßige Herrscherin starb, solltet Ihr ruhen. Ihr seid nichts weiter als ein verlauster Wanderer der Wüste.«
    Nadims Gesicht verzog sich bei der Erwähnung seiner verstorbenen Frau, ehe seine Züge erlahmten. Seine Schultern sackten tiefer, bis sie schließlich leicht bebten. Gerade, als der alte Diener meinte, er weine, drang das kratzige Lachen an seine Ohren. Einen kurzen Moment schüttelte es den Körper vor ihm, dann stieß Nadim einen langgezogenen Seufzer aus.
    »Mein Herz starb mit Kayra«, raunte er, ließ den Kopf dabei hängen. »Es ist mir gleich, was mit mir geschieht«, fuhr er kaum hörbar fort. »Doch wenn meinem Sohn ein Haar gekrümmt -«
    »Dem Prinzen geht es gut«, unterbrach Galib schroff. Eine feine Gänsehaut überzog seine Arme, als sich der Schatten hinter ihm merklich verfestigte. »Er ist von Kayras Blut, er besitzt ihre Gabe, er hat ihre Gesinnung – ihr Herz.« Seine Mundwinkel zuckten. Kadir war sicher in seinen Räumen, fernab der Rangeleien und Feuer, außerhalb der Reichweite Haruns. »Er ist der rechtmäßige Herrscher und unter ihm wird Alsahar, wird Albalad wieder zu wahrem Glanz erstrahlen.«
    Nadim hob den Kopf und sah zwischen Haarsträhnen zu ihm auf. Seine schmalen Lippen verzerrten sich zu einem feinen, kaum sichtbaren Grinsen. »Ebenso ist er von meinem Blute. Rastlos, voller Neugier, nur von Wind zu bändigen.« Ein seltsamer Ausdruck stahl sich in die dunklen Augen, einem Aufleuchten gleich.
    Wut fraß sich wie ein Geschwür durch die Eingeweide des Dieners. Mit einer flüchtigen Bewegung der Hand deutete er den Wachen, ihren Gefangenen aufzurichten. Bedacht trat Galib an ihn heran, packte einige Strähnen seines Schopfes und riss den Kopf weit in den Nacken, sodass Nadims Kehle bloß vor ihm lag. Der König verzog keine Miene, nur sein Grinsen war etwas breiter geworden.
    Die Dunkelheit lauerte wie ein hungriges Tier hinter ihm. Galib bemerkte die verunsicherten Blicke der Gardisten, die sie sich zuwarfen, doch er beschloss, sie zu ignorieren. Mit schmalen Augen sah er hinab, stutzte jedoch, als er der silbernen Kette gewahr wurde. Mit seinen freien Fingern zog er das Amulett unter der Seide des Nachtgewands hervor und starrte auf die feine Hand, in deren Fläche ein blauer Stein als Auge eingelassen worden war.
    Schief lächelte Nadim zu ihm auf. »Ich mag gottlos sein, doch ich weiß um mein Schicksal. Lange, lange bevor ich die Freiheit der Wüste hinter mir ließ. Nur habe ich nie damit gerechnet, dass es durch deine Hand geschieht, alte Eule.«
    Schwer atmend starrte Galib auf den Anhänger in seinen zitternden Fingern, bevor er sie darum schloss und die Kette mit einem kräftigen Ruck vom Hals des falschen Königs zerrte. Kurz war er geneigt, ihn zu erwürgen, doch er traute seinen schmerzenden Gelenken nicht mehr. Er hatte nicht vor, sich vor den Wachen lächerlich zu machen und Nadim die Gelegenheit für einen weiteren, letzten Spott zu schenken. Stattdessen gab er das Haar des Mannes frei und wich einige Schritte zurück. Ohne zu dem Schatten hinter sich zu blicken, der inzwischen zu einer menschlichen Gestalt herangewachsen war, straffte der alte Diener die Schultern. Stumm erteilte er Almaw den Befehl, zu fressen.
    Eiseskälte und Fäulnis, ebenso wie der Duft nach feuchter Erde und Sand fluteten seine Sinne. Das Licht der Lampen erlosch beinahe, bevor es wie nach Luft schnappend wieder kräftig loderte. Der Schatten war verschwunden, hinein durch die Poren und jede Öffnung Nadims, die sich ihm geboten hatte.
    Mit weit aufgerissenen Augen sprangen die Wachen von dem nun zuckenden Körper fort. Gebannt und sichtlich verstört beobachteten sie, wie ihr König röchelnd und gekrümmt zu Boden ging, die Hände an seinen Hals gedrückt. Seine Finger formten sich zu Krallen, Nägel kratzten an seiner Haut.
    Unbewegt betrachtete Galib den ungleichen Todeskampf, der viel zu kurz andauerte. Als habe Nadim sein Schicksal in der Tat längst angenommen, noch bevor der Diener seine Räume betreten hatte.
    Die letzten Krämpfe ließen von ihm ab. Schwarzer Rauch waberte aus seiner Nase und über die mit leichtem Schaum bedeckten Lippen. Ein Flüstern erfüllte den Raum, trieb die beiden Wachen dazu, sich angsterfüllt umzusehen und noch weiter von dem leblosen Leib abzurücken.
    Ein Wehklagen und Aufschrei mischten sich in das echoartige Raunen, hallten von den glatten Wänden wider und fraßen sich tief in Galibs Innerstes. Der schemenhafte Körper des Schattens schwebte einen Moment zu lang über dem toten König, einen Wimpernschlag. Kurz fürchtete der Diener, der Leib würde sich mit geisterhaften Regungen erheben und auf ihn zuspringen. Flach atmend rieb er die schwitzenden Handflächen an seiner Robe, doch nichts geschah.
    Schnaufend holte er mit bebenden Fingern das Glas aus seinem Ärmel, löste den Pfropfen und wisperte der gespenstischen Stimme entgegen, brachte sie mit scharfer Zunge zum Verstummen. Die dunkle Gestalt vor ihm, die sich noch immer über Nadim beugte, flirrte in der Luft. Schwarz züngelten die unklaren Umrandungen wie Flammen auf. Bevor sie in viele einzelne goldene Funken zersprang, kehrte sie Galib das bleiche Gesicht zu. Kalte, durchscheinende Augen musterten ihn anklagend. Seine Worte wankten einen Moment, doch dann zerstob sie und der Diener umschloss das kleine Gefäß fester.
    Nachdem der Pfropfen den runden Glasrand wieder verschloss, hob Galib den Behälter vor sein Gesicht, ein unsicheres Lächeln auf den Lippen, während der Sturm des Staubs darin wilder denn je tobte.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (27. Juni 2016 um 16:47)

  • Ein aufschlussreicher Teil, der meine dunklen Befürchtungen Galib betreffend sogar noch übertreffen. Sehr gut geschrieben und ich habe absolut nichts auszusetzen. Hut ab dass du das so gut hinbekommen hast, da ist es auch nicht schlimm, dass wir etwas länger auf diesen Part warten mussten :D

    xoxo
    Kisa

    • Offizieller Beitrag

    Richtig unheimlich. Galib, dieser intrigante Alte. Ich weiß nicht, aber obwohl seine Methoden wohl eher etwas fragwürdig sind, finde ich seine Figur immer noch super. Ich mag ihn und seinen schattigen Goldstaub irgendwie xD
    Um den König ist es natürlich schade. ;( Die Szene wsr nebenbei gesagt, echt super geschrieben. :thumbup:
    So, der Alte wollte also Rache für die Königin. Ob da noch mehr dahinter steckt? :hmm:
    Lass uns nicht zu lang warten. ;)

    LG, Kyelia

  • Sehr gut geschrieben. Deine Geschichte hat wegen des Settings so ein 1000 und eine Nacht Hintergrund - das gefällt mir sehr gut.

    Der Sturm des Goldstaubes - war der Sturm in der Wüste, den niemand vorhersehen konnte, auch von Galib?
    Ich bin gespannt, wie es weitergehen wird.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Galib, dieser verdammte ... ach egal, sein Charakter ist einfach ein klasse Bösewicht, der irgendwie doch nur ein "Diener" zu sein scheint. Es kam ja so rüber, dass er das Wesen zwar irgendwie befehligt, aber Angst vor ihm hat. Jedenfalls hat er ordentlich Chaos gestiftet, aber der König hat wohl Vorkehrungen getroffen.
    Ich schließe mich den anderen also an, was die Bewertung des Parts angeht ^^ Sehr nais.

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"

  • So, da ich gerade eine Masse an Text produziere, weil ich Kapitel fünf langsam beenden möchte, geht es auch schon weiter.

    ~.~.~


    Mit wippendem Bein saß Kadir auf seinem mit einem Mal viel zu weichem Bett. In seinem Schlafgemach brannte eine Vielzahl von Öllampen. Aus irgendeinem Grund ertrug er die Dunkelheit zu dieser Stunde weniger als zuvor; etwas lauerte in den Schatten seiner Zimmer. Es ängstigte ihn und ließ das Grummeln in seinem Magen anschwellen, stellte ihm die Haare auf den Armen und im Nacken auf.
    Ein ums andere Mal starrte er zu den Fenstern hinaus. Hinter den Palastmauern war es viel zu hell und unruhig für die Nacht. Etwas musste in Alsahar geschehen sein und niemand schien es für wichtig zu erachten, ihn aufzuklären.
    Auch im Palast schien etwas nicht zu stimmen. Zu viele Wachen waren anwesend, versperrten sowohl den Durchgang zu seiner Zimmerflucht als auch jenen zu seinem Wohnbereich. Der verborgene Weg zu seiner Vogelkammer war mit einem Holzbalken versperrt und selbst die Tür zum geheimen Ausgang war durch eine schwere Kommode von seiner Seite unzugänglich. Im Hof vor seinen Zimmern war eine ungewöhnlich große Anzahl von Gardisten postiert.
    Kadir wurde den Eindruck nicht los, verunsicherte Rufe und Schreie von den Mauern und aus den nahen Gängen zu hören. Es war eben jenes Gebrüll gewesen, das ihn aus seinem dösenden Schlummer gerissen hatte, nachdem die Anstrengung des letzten Tages ihren Tribut verlangte.
    Nun war er hellwach, das Herz wummernd in der Brust. Ganz gleich, wie oft er versuchte, eine Erklärung von den Wachen einzufordern, stets wurde er von ihnen mit halbherzigen Beschwichtigungen abgespeist. Der Prinz hatte die schwankende Lüge in der unsteten Stimme des Mannes vor seinem Schlafzimmer noch immer im Ohr. Kadir fühlte sich zu schwach, empört zu sein, zumal ihm die flüchtigen Blicke der Gardisten untereinander nicht entgangen waren. Mehrfach hatte er nach Harun verlangt, nur um vertröstet zu werden, dass der Hauptmann anderweitig verhindert war und er sich keine Gedanken zu machen brauchte.
    Seufzend schloss der Prinz die Augen. Er war gehbehindert, nicht dumm - und noch immer der Thronfolger. Wie konnte man annehmen, dass er sich in dieser sichtlichen Unruhe hinlegen und schlafen konnte? Etwas ging vor sich, etwas, von dem man nicht wollte, dass er es mitbekam.
    Kadirs Finger krallten sich in die Seide unter ihm. Auf seiner Unterlippe kauend überlegte er, was er tun sollte. Er musste zu Harun, da war er sich sicher. Nur wie? Er könnte versuchen, die Kommode zu verschieben, um zu entkommen, doch zum einen konnte er kaum auftreten – der überhasteten Flucht vor den Räubern der Nacht sei Dank – und zum anderen würde es zu viel Lärm machen, um unbemerkt zu bleiben. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er mit seinem verdammten Bein ohnehin nicht genug Kraft aufwenden könnte, um das Ding auch nur einen Zentimeter vorwärts zu bewegen.
    Ein kalter Hauch ließ Kadir unvermittelt erschaudern. Der Duft feuchter, süßlich geschwängerter Luft schwebte einen Moment um ihn. Hastig wandte sich der Prinz herum. Dort in den Schatten hinter ihm, wo das flackernde Licht der Lampen nicht hinreichte, schien etwas zu lauern und ihn mit silbern glänzenden Augen zu mustern. Zitternd starrte er auf die Erscheinung, doch statt der lähmenden Angst, die ihn sonst ergriff, durchflutete ihn eine ungeahnte Ruhe, die seinen in den Ohren rauschenden Puls beschwichtigte. Der Eindruck verblasste rasch, zerstob wie feine Sandkörnchen im Wind.
    Rau lachte Kadir auf und schüttelte den Kopf. Er sah Gespenster. Wieder und wieder, seit er ein Kind war. Wenn er sich recht erinnerte, war es seine Angst vor der Dunkelheit gewesen, die ihn in die Ställe zu den Pferden getrieben hatte. Damals, als sie ihm noch Geborgenheit und Freude geschenkt hatten.
    Zögerlich wandte er seinen Blick zur Wache zurück, versuchte sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er musste zugeben, dass er sich in ihrer Gegenwart mitnichten sicher fühlte. Der Mann wirkte zu wachsam; seine Muskeln unter dem Kaftan waren angespannt und seine Hand lag unablässig am Heft seines Säbels. Als erwarte er jeden Moment einen Angreifer, den es abzuwehren galt.
    War es das, was gerade geschah? Wurde der Palast, gar die ganze Stadt angegriffen? Doch warum wurde er dann in seinen Zimmer gehalten und nicht in Sicherheit gebracht? Dafür waren die geheimen Gänge da.
    Eingehend starrte der Prinz auf den gestrafften Rücken des Mannes. Er musste handeln. Das befremdliche Ziehen in seiner Brust kehrte zurück, als er sich eingestand, dass er dem Gardisten vor seiner offenen Tür nicht traute, ebenso wie all den anderen Männern nicht, die er nicht zuordnen konnte. Nicht, dass es ungewöhnlich war; er machte sich selten die Mühe, sich jede Einzelheit der Gardisten einzuprägen, doch zumindest seine persönliche Leibwache kannte er ausreichend. Diese Männer gehörten nicht dazu.
    Hatte man so wenig Vertrauen in ihn, dass man ihm neue Gesichter unterschob, deren Namen er nicht einordnen konnte? Dachte man, der Thronfolger würde erneut das Weite suchen, sobald sich ihm die Gelegenheit ergab? Dieses Verhalten passte weder zu Harun noch zu seinem Vater.
    Seine Gedanken schweiften zu Kasim, doch die seltsame Sorge um ihn hatte im Moment keinen Platz in seinem Kopf. Was sein Herz nicht davon abhielt, seinen Verstand zu verraten.
    Kadir fuhr in den unsichtbaren Spalt zwischen seine Matratze, bis seine Finger den glatten Griff eines Messers ertasteten. Erleichtert atmete er auf, machte sich dann mit den Augen auf die Suche nach seinem Gehstock. Er musste hier weg. Das war ihm plötzlich so klar wie der Nachthimmel.
    Ein neuerlicher Schemen links von ihm ließ ihn zusammenzucken. Sein Herz schlug wild bis zu seinem Hals, als er merkte, dass diese Gestalt bei seinen Fenstern fester, wirklicher erschien als die Erscheinung nur Bruchteile zuvor. Als sie sich auch noch bewegte, zuckte Kadirs Hand zurück zu dem Messer, doch bevor er es herausziehen konnte, erhellte das warme Licht einer Lampe Haruns dunkles Gesicht.
    In Kadirs Brust hämmerte es ungezügelt, während er das gespenstisch unbewegte Gesicht des Hauptmannes musterte. Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle. Geräuschlos kam Harun näher, doch bevor der Prinz auch nur Atem für Worte schöpfen konnte, legte sein Freund einen Finger auf die Lippen. Ohne Hast schlich er am Bett des Prinzen vorbei, direkt auf den Gardisten zu.
    Kadir fuhr zusammen, als die Wache sich unvermittelt rührte. Ein verhaltenes Gähnen ließ auch Harun innehalten, dann rückte er vorsichtig näher.
    Die Luft in den Lungen zurückhaltend, beobachtete der Prinz, wie Harun blitzschnell den Mann von hinten packte und dabei seinen Arm geschickt um den Hals legte, während der freie linke sich dahinter an den Nacken drückte. Eng presste sich der Hauptmann an seinen Gegenüber, ließ ihm keine Gelegenheit, sich zu wehren oder mehr als ein ersticktes Grunzen von sich zu geben. Beinahe lautlos zog Harun den zusammensinkenden Körper in die dunklere Ecke neben dem Durchgang. Erst nach einigen weiteren Sekunden ließ er ihn los, bettete den reglosen Mann halb an die Wand.
    Kadir schnappte nach Atem. Bevor er jedoch Worte finden konnte, deutete der Hauptmann ihm mit schroffer Geste, weiterhin still zu sein.
    Aus dem Nebenraum drangen ähnlich dumpfe Laute und der Prinz meinte sogar, das Schleifen von Stiefeln auf Marmor zu hören. Ein nicht zu bändigendes Zittern erfasste Kadir, doch er blieb, wo er war, und schwieg. Mit geweiteten Augen beobachtete er stattdessen, wie Harun den Gardisten vor sich von seinem Waffengurt befreite und ihn sich selbst umband.
    Vom Hof aus schrillte ein Pfiff. Eilig schritt der Hauptmann zu den Fenstern, nickte in die Dunkelheit und kehrte endlich zu Kadir zurück. Mit undurchdringlicher Miene ging er vor ihm in die Hocke.
    »Hör zu, stell jetzt keine Fragen. Versuch ruhig zu bleiben und tu, was ich dir sage.« Während Harun sprach, eilten einige zerzauste Gardisten ins Schlafgemach und schoben flink die Kommode vor dem Geheimgang beiseite. Mit in seinen Ohren wummerndem Puls sah Kadir zu ihnen. Sie trugen nur leichte Schuhe und Reitkleidung - weiches Leder, das sich eng an ihren sehnigen Körper schmiegte.
    Harun lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich, nahm die schmächtigen Hände Kadirs in seine schwieligen; der Prinz bemerkte, dass auch der Hauptmann wie für einen langen Ritt gekleidet war.
    »Wir müssen fort. Schnell«, fuhr sein Freund, sein Vertrauter seit Kindertagen, fort, nickte dann einem der Gardisten zu, als dieser zischend zur Eile gemahnte. »Bleib still, egal was draußen geschieht, egal was du siehst. Du musst uns vertrauen, verstanden?«
    Kadir brachte nur ein Nicken zustande, ehe Harun ihm auf die wackligen Beine half und einen Arm unter seine Achseln schlang. Halb getragen, führte der Hauptmann ihn hinaus durch den Geheimgang, dicht gefolgt von jenen Gardisten, die mit ihm aufgetaucht waren.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (27. Juni 2016 um 16:49)

  • Mega stimmungsvoll :D Bin echt begeistert und habe vielleicht ein paar Kleinigkeiten im Wahn überlesen. Aber egal, super Teil, weiter! Die plötzliche Rettungsaktion kommt mir wie gerufen, weil da muss echt was im Busch gewesen sein, wie der Prinz auch festgestellt hat.

    Nur, was war nochmal mit seinem Fuß, wurde das überhaupt schonmal erklärt? Ein Tritt von einem Pferd? Jedenfalls dachte ich bisher immer, das wird nie wieder was, aber hier stand jetzt "immer noch nicht richtig auftreten" - das heißt für mich, das wird wohl wieder?

    Zitat von Kitsune

    So, da ich gerade eine Masse an Text produziere, weil ich Kapitel fünf langsam beenden möchte, geht es auch schon weiter.

    worauf wartest du? Es gibt eh nichts zu korrigieren, also los :thumbsup:

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"

  • Kann mich Wysis Lob nur anschließen :thumbsup: .
    Galib verfügt also über Magie, und Kadir sieht Gestalten mit Silberaugen, die ihm anscheinend freundlich gesonnen sind. 8o
    :stick:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Ich schließe mich ebenfalls meinen Vorrednern an.
    Ein sehr gelungener Teil, der mich wirklich neugierig macht, wie es im nächsten Abschnitt weiter gehen wird. Du hast die Szene wunderbar umschrieben, sodass man sich jedes Detail sehr gut vorstellen konnte, was dazu geführt hat, dass mein Kopfkino die ganze Zeit über wunderbar mitgelaufen ist.
    Bin gespannt, was als nächstes passieren wird :stick:

    xoxo
    Kisa

  • Spoiler anzeigen

    Nur, was war nochmal mit seinem Fuß, wurde das überhaupt schonmal erklärt? Ein Tritt von einem Pferd? Jedenfalls dachte ich bisher immer, das wird nie wieder was, aber hier stand jetzt "immer noch nicht richtig auftreten" - das heißt für mich, das wird wohl wieder?

    Ich hab über die Stelle nochmal drübergeschaut und etwas abgeändert.
    Kurz gesagt: An sich ist mit Kadirs Fuß alles in Ordnung, er ist bei seinem Ausflug aus dem Palast unglücklich umgeknickt. Der Tritt vom Pferd (da erinnerst du dich richtig), hat sein Bein außer Gefecht gesetzt - das wird nicht mehr. Der Fuß schon. ^^

    Ich bin mit dem nächsten Abschnitt nicht ganz zufrieden, gerade mit dem Ende, komm aber gerade zu keinem besseren Ergebnis, deswegen lass ich das vorerst so und kümmere mich um den Rest des Kapitels.


    ~.~.~

    Kasims Finger ruhten auf dem vibrierenden Glas der Phiole, die sich unter dem Kragen seiner Kleidung abzeichnete. Das Lederband schnitt in seine Haut; stumm zählte er seinen Herzschlag, der sich dem gleichmäßigen Rhythmus anpasste.
    Schwer atmend kniete er in der Mitte seiner Kammer, starrte auf den schattigen Fleck vor sich. Die Wände um ihn herum schienen seit geraumer Zeit näherzukommen. Das Licht der Öllampe in der Nische wankte, klammerte sich jedoch eisern an das Leben. Es war schwer, allein anhand der Flamme zu erkennen, wie lange er bereits wirklich hier war.
    Er hörte das Scharren von Schuhsohlen, als seine Wachen erneut von einem Bein aufs andere traten. Kasim musste nicht aufblicken, um zu wissen, wie sie sich erneut ansahen. Er verstand ihr Murmeln nicht, doch das bereitete ihm weniger Sorgen. Zitternd presste er die Hände vor seine Ohren, als das Jaulen und Wehgeschrei anschwoll. Seit Verschwinden des Dieners plagte es ihn. Einen Moment fürchtete er, taub zu werden. Doch die Männer schienen von etwas anderem beunruhigt, schenkten ihm keinerlei Beachtung. Jäh zuckte Kasim zusammen, als das Geschrei schrill durch die Kammer hallte, und kniff die Augen zu. Wieso hörten sie das nicht?
    Die Phiole zitterte an seiner bloßen Brust, als wollte sie ihn beruhigen. Erleichtert stellte er fest, dass die tosenden Geräusche abklangen, wenngleich nicht verstummten, als er sich auf das Gefühl auf seiner nackten Haut konzentrierte. Langsam ließ er seine Arme in den Schoß sinken, während ihm der Kopf schwirrte. Verzweiflung brannte hinter seinen Lidern. Er musste hier heraus, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. Stolz und Ehre hin oder her.
    Mit einem Mal misste er die Weite der Steppe. Selbst die Wüste mit ihrer trockenen Hitze und Unwirtlichkeit wäre ihm genehmer als sein steinernes Gefängnis. Ein wenig konnte er nachempfinden, wie der Prinz sich fühlen musste.
    Kasim starrte auf seine Hände. Eine der Wachen könnte er überwältigen, doch die zweite wäre problematisch. Seit Stunden hatte er kaum etwas getrunken, gegessen noch weniger. Auf seine Bitte hin hatten sie ihm nur eine halbleere Wasserflasche zugeworfen, die nun unbeachtet in der Ecke lag.
    Seine Überlegungen stockten abrupt; durch ein Flüstern aufgeschreckt, sah er gerade noch, wie die Gardisten vor dem rettenden Ausgang zusammensanken. Sie gaben keinen Laut, nicht einmal ein Grunzen von sich. Kasim sprang auf, ignorierte den Schwindel, das Pochen an seinen Schläfen. Es war die Gestalt hinter den Männern, die seine volle Aufmerksamkeit auf sich zog.
    Eine hagere Frau stand leicht nach vorn gebeugt über ihnen, eine Hand erhoben, die andere auf einen der Körper gerichtet. Ihr silbernes Gewand schimmerte im Lampenlicht des Ganges. Der Blick ihrer grauen Augen war direkt auf Kasim gerichtet, als sie den Rücken durchstreckte. Er erschauderte, meinte, sie schaue direkt in sein Innerstes. Kein Lächeln zierte ihre dunklen Lippen, keine Fältchen umspielten ihr Gesicht. Mit fließender Bewegung schritt sie auf ihn zu und streckte den Arm zu ihm.
    Ohne nachzudenken, einer Eingebung folgend, nahm er ihre Hand. Augenblicklich schien der Druck in seinem Kopf, das Brausen in seinen Ohren, nachzulassen. Er fühlte sich leicht. Ihre Finger waren kühl, wenn nicht kalt, und die tiefdunkle Haut der Frau schimmerte golden, als erneut Licht auf sie traf.
    Kasim ließ sich widerstandslos von ihr hinausziehen, über die beiden Gardisten hinweg und ein Stück den Gang hinab. Ein letztes Mal sah er zurück, schluckte trocken. Bei beiden Männern hob und senkte sich die Brust; es wirkte, als wären sie in einen tiefen Schlummer gesunken. Er wagte es nicht, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Frau sie überwunden hatte. Oder wo sie wie aus dem Nichts herkam.
    Der Geruch von Tau, nachtblühenden Blumen und lauer Sommerluft umspülte ihn, als er sich wieder seiner Führerin zuwandte. Ihr dichtes, krauses Haar wippte auf und ab; fiel loderndes Lampenlicht darauf, wirkte das Schwarz ihres Schopfes wie von Silber und Gold gesprenkelt.
    Kasim schauderte. Mit plötzlicher Gewissheit erinnerte sie ihn an Kadir, so klar, dass sein Herz schneller schlug als ohnehin schon. Plötzlich schwand die Leichtigkeit, machte einer inneren Unruhe Platz, der Furcht, noch immer in seiner Kammer zu hocken und einem Wahn zu erliegen.
    Je weiter sie eilten, desto größer wurde sein Unbehagen. Kasim schreckte zurück, stolperte, als er unerbittlich weitergezogen wurde, nachdem sie um eine Ecke bogen. Rauch brannte in seiner Kehle, doch es war der grausige Anblick mehrerer Wachen und Diener in ihrem eigenen Blut und ihrer von Blasen überzogener, geröteter Haut, der ihm den Magen beinahe umdrehte. Ein fürchterlicher Gestank erinnerte ihn an die blutigen Schlachtfeste der Nomaden seiner Heimat.
    Die Frau ließ ihm keine Zeit zu zaudern. Obwohl ihre Hand sanft in seiner lag, hielt sie eine Kraft inne, die Kasim zum Straucheln brachte. Sein Puls raste und ihm schwindelte; er brauchte frische Luft, doch die Hitze der letzten Tage lauerte in den Gängen, weiter genährt von Feuern, die in den Höfen um sich gegriffen hatten, an denen sie vorbeikamen. Der Schrecken darüber hatte jedoch keine Zeit, sich in Kasims Herzen festzusetzen.
    Rufe und Schritte wurden laut. Erneut versuchte Kasim innezuhalten, um dem Alptraum in die andere Richtung zu entschwinden. Er stemmte sich gegen den Zug der Fremden, vergeblich.
    Nicht dorthin, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn er jetzt einer Palastwache in die Arme lief, hätte er sich in seiner Kammer genauso gut in die Säbel der Gardisten werfen können.
    Der ausladende, fensterlose Gang, der sich mit der nächsten Biegung vor ihnen eröffnete, war jedoch leer. Lachen von Blut spritzten unter ihren Schritten auf. Nur am Rande seines rasenden Verstandes bemerkte Kasim, dass der Kleidersaum der Frau unbefleckt blieb. Schnaufend sah er sich hastig um, lauschte den panischen Rufen und trampelnden Schritten, die sich immer mehr von ihnen entfernten. Da wusste er, dass sie erst recht in die falsche Richtung gingen, nicht hinaus aus dem Palast, sondern tiefer in sein Innerstes.
    »Halt«, japste Kasim und versuchte noch einmal erfolglos, anzuhalten. Nun schnürte ihm Panik die Brust zu. Mit beiden Händen umklammerte er jene der Frau, stemmte sich mit aller Kraft gegen sie, nur um auf dem Absatz seiner Schuhe weitergeschleift zu werden.
    Dann, plötzlich, öffnete sich die Wand vor der nächsten Abzweigung vor ihnen. Ohne es verhindern zu können, schlitterte Kasim direkt in die Arme Haruns, der aus dem kühlen Dunkel eines Geheimganges auftauchte. Mit einem Grunzen fing der Hauptmann den jüngeren Mann auf, hielt ihr gemeinsames Gleichgewicht, während Männer hinter Harun fluchend innehielten, bevor sie in seinen Rücken laufen konnten.
    »Was machst du hier?«, grollte die dunkle Stimme des Hauptmannes, als er Kasim eine Armeslänge von sich schob.
    Verwirrt, zitternd und sprachlos sah sich der junge Wanderer zu allen Seiten um. Die Frau, seine Führerin, war verschwunden, hatte sich wie in Luft aufgelöst. Einzig ein letzter, würziger Duft hing noch in der Luft, der Kasim unerwartet sehnsuchtsvoll an seine heimatliche Steppe erinnerte. Tränen stachen in seinen Augen; er schluckte sie herunter, als er stammelnd versuchte zu erklären, was vorgefallen war. Doch der Hauptmann hörte ihm nicht einmal wirklich zu, schüttelte nur den Kopf. Ein Mann hinter ihm zischte und Harun erwiderte scharf etwas über die Schulter zurück. Erst da trat er beiseite und ließ zwei Gardisten aus dem Gang hervortreten.
    Kasims Herz machte einen Sprung, als er Kadir zwischen ihnen erblickte. Seine Augen wirkten viel zu groß in dem ausgelaugten Gesicht. Als der Prinz auf ihn aufmerksam wurde, straffte er sichtlich die Schultern und versuchte sich von dem Mann, der ihn stützte, etwas zu entfernen, war jedoch zu wacklig auf den Beinen, um allein stehen zu können. Sein Mund war zu einer eisernen, geraden Linie gepresst.
    »Wir sollten uns beeilen, Hauptmann. Wir sind uns nicht sicher, wie viele der Geheimgänge zugänglich sind«, raunte ein weiterer, ergrauter Gardist, der als Letzter heraustrat. Harun nickte, blickte nachdenklich auf Kasim hinab, bevor er erneut den Kopf schüttelte.
    »Hilf ihnen, Junge. Der Prinz sollte so unerkannt wie möglich von hier fort«, sprach der Hauptmann leise zu ihm und nickte in Kadirs Richtung. Dann eilte er den Weg hinab und winkte ungeduldig. Die anderen Wachen beäugten Kasim misstrauisch, doch der Prinz lächelte ihm schwach entgegen. Er zuckte kaum sichtlich mit den Schultern, bevor er gestützt weiterhumpelte.
    Zittrig atmete der Wanderer aus. Noch einmal wandte er sich herum, doch die Frau, die ihn direkt hierhergeführt hatte, blieb verschwunden. Er klammerte sich an seine Phiole und war erleichtert über den Schmerz, den er spürte, als das Lederband erneut in seine Haut schnitt.
    »Beeil dich, oder wir lassen dich zurück«, grummelte die letzte Wache und schubste ihn unsanft an der Schulter voran.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (3. Juli 2016 um 15:50)

  • Kasims Finger ruhten auf dem pulsierenden Glas der Phiole, die sich unter dem Kragen seiner Kleidung abzeichnete.

    Wie kann denn Glas bitte pulsieren? Nur so als Frage am Rande?!

    Ohne nachzudenken, einer Eingebung folgend, nahm er ihr(ihre) Hand.

    In meinen Augen ein sehr guter Teil. Du hast mal wieder auf jegliche Kleinigkeit geachtete. Ich bin mal wirklich gespannt, wohin die Gardisten nun Kadir bringen wollen. Das dürfte noch sehr interessant werden :D

    xoxo
    Kisa

    • Offizieller Beitrag

    Ich weiß nicht, was du hast, der Teil ist wirklich super und auch geheimnisvoll. Was war das für eine seltsame Frau, die Kasim direkt zu Harun und Kadir gebracht hat? Ixh hoffe, siw kommen aus dem Schloss ehe Galib etwas merkt. :hmm:

    LG, Kyelia

  • Ich wette, die geheimnisvolle Frau war der Geist von Kadirs Mutter. ^^
    Anscheinend brauchen sich Kadir und Kasim, um Galib entgegen zu treten. Der eine sieht diese Wesen, der andere hat etwas in einer Phiole. 8o
    Ich fand den Teil ebenfalls gut :thumbsup: .

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Ich dachte bei der Frau eigentlich an die Seherin, Elam oder so. Auf den Geist bin ich nicht gekommen, hatte ich aber auch nicht mehr in der Birne, dass es die gibt :D
    Ansonsten war doch alles okay, wobei ich zugeben muss, dass ich nicht jeden Satz genau untersucht habe xD

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"