Sinistre Weihnachten
Das vergangene Jahr war wirklich mal ereignisreich.
Meine Gefährtin Ella hat ihre Ausbildung zur Magierin begonnen und wie zu erwarten war, macht sie rasante Fortschritte.
Gleichzeitig versuche ich mich wieder daran zu gewöhnen, nicht mehr zur rein blutsaugenden Fraktion, sondern auch wieder zur atmenden, warmblütigen Gesellschaft zu gehören.
Damit komme ich so langsam aber sicher sogar klar. Eine weiche, anschmiegsame Liebste, vor allem in Nächten, die ich sonst mit Grübeln verbracht hätte, ist dabei durchaus hilfreich.
Außerdem habe ich von Sir Drago, unserem Chef, die Anweisung bekommen, mich bis Ende des Jahres bedeckt und vor allem aus Ärger herauszuhalten.
Damit komme ich leider nicht ganz so gut klar.
Es ist ja nicht so, als ob ich den Ärger suche, im Gegenteil habe ich mich von Elle überreden lassen hier mitten in der kanadischen Wildnis einen Winterurlaub zu verbringen.
Die Blockhütte ist geräumig und nobel eingerichtet, ganz wie man es von einem Ferienhaus eines der reichsten Männer der Welt erwarten kann, der uns nur zu gerne seine "kleine Absteige im Wald" zur Verfügung gestellt hat. Er war mit der albanischen Mafia aneinander geraten, was an sich für ihn durchaus verkraftbar gewesen wäre. Die Sturmtruppen, die zum Großteil aus Werwölfen und ein paar Trollen bestanden, waren dann aber doch nicht ganz seine Kragenweite. Gut, dass ich "zufällig" in der Gegend war.
Lange Rede kurzer Sinn: Elle und ich machen Urlaub.
Schon vier Tage sind wir hier und auch wenn der See vor der Haustür locker so manche Postkarten-Idylle in den Schatten stellt, fällt mir bereits die Decke auf den Kopf. Eigentlich kann ich ganz gut mit Ruhe und Einsamkeit umgehen. Keine Ahnung warum ich so unruhig bin.
Als ich zum sechsten oder siebten Mal durchs ganze Haus getigert bin, alle Schränke aufgemacht habe und wieder einmal Sicherheit der Türen und Fenster überprüfe, wird es Elle zu bunt:
»Himmel, Schatz! Du machst mich ganz kribbelig. Wie wäre es, wenn du raus gingst? Vielleicht nimmst Du Dir eines der Jagdgewehre und schießt uns irgendwas. Einen Hasen oder sowas?«
Ich grinse, als ich an die Rotwild-Flinten denke, die im Waffenschrank neben der Hintertür stehen.
»Süße, wenn ich mit diesem Kaliber auf einen Hasen schieße, bleiben vielleicht noch seine Pfoten übrig um daraus einen Schlüsselanhänger zu machen. Aber wenn du einen Hasen willst, kann ich Dir einen mitbringen.«
Sie seufzt theatralisch und wirft ihre Hände in die Luft.
»Nein, lass die armen Hasen am Leben, aber geh! Erschreck einen Elch, oder geh mit einem Grizzly Armdrücken, was auch immer. Aber beschäftige Dich irgendwie!«
Während sie noch so tut, als wäre sie mit den Nerven am Ende, tritt sie nah an mich heran, stellt sich auf die Zehenspitzen, obwohl ich nicht wirklich deutlich größer als sie bin, und küsst mich auf die Nasenspitze.
Ich umschlinge sie mit meinen Armen, drücke sie einige Augenblicke an mich und nicke schließlich.
»Wird wohl besser sein. Schätze, ich werde ein bis zwei Stunden weg sein.«
»Kann ruhig länger sein. Nur sei bis zur Dunkelheit wieder da ...«
Nun küsse ich sie auf die Nase. »Sag jetzt nicht, du hast Angst um mich?«
Sie lacht. »Nicht um Dich, aber um die armen Viecher, die Dich im Dunkeln treffen!«
»Frechdachs!«
Besser gelaunt ziehe ich mir schneetaugliche Kleidung an. Auch wenn ich nach wie vor eine extrem robuste Natur habe, habe ich festgestellt, dass kalte und gar nasse Füße extrem nervig sind und der eisige Kanada-Wind sogar mein inneres Biest zum Schlottern bringt.
Einer Eingebung folgend, verstaue ich meine Krummdolche unter der dicken Jacke.
Um Regel 9 meines Lieblings-Serienhelden zu zitieren: Gehe niemals ohne Dein Messer irgendwohin.
Ich bin sogar noch konsequenter und nehme beide mit.
Ich bin kaum eine Stunde unterwegs und weiß schon sicher, dass der Schnee und ich nie dicke Freunde werden. Ella will im neuen Jahr mit mir Snow-Boarden gehen, vielleicht ist es da besser, aber als passionierter Fußgänger ist mir Schnee mit teilweise Knietiefe einfach nur lästig. Das romantische Seufzen, was meiner Süßen immer entfährt, wenn sie die schneebedeckten Hänge sieht, ist mir ohnehin völlig unverständlich.
Da wittere ich etwas und halte inne. Ich drücke mich eng an einen Baum und warte geduldig.
Nach mehreren Minuten sehe ich eine Hirschin, Hirschweibchen oder Hirschkuh, was weiß ich, wie das heißt, mitsamt einem Jungtier zwischen den Bäumen in Freie treten. Als Jäger sehe ich automatisch Beute und suche ohne nachzudenken nach einer Möglichkeit zum Zuschlagen.
Natürlich ist das nur Theorie. Erstens habe ich keine Ahnung, wie man einen Hirsch ausnimmt und schon gar nicht, wie ich ihn zubereiten sollte. Außerdem würde Ella kein Wort mehr mit mir reden, wenn ich einer Hirschmamma oder noch schlimmer Klein Bambi über der Schulter zurückkäme.
Da kommt mir ein Gedanke. Wie alle Kinder des zweiten Milleniums steht Ella auf "spontane" Tier-Fotos. Bislang habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihr zu sagen wie sehr es nervt, mindestens zweimal in der Woche von ihr ein "süßes Tierbild" aufs Smartphone geschickt zu bekommen.
Daher nestle ich nun an meinem Reißverschluss und hole, so leise wie möglich, mein Smartphone heraus und halte drauf. Irgendwie fühle ich eine gewisse Befriedigung, als ob ich das Wild erlegt hätte.
Gerade tapst das Jungtier zu seiner Mutter und will an den Zitzen saugen, als Mammi und Bambi in der Bewegung erstarren.
Automatisch lausche ich ebenfalls. Ganz leise höre ich ebenfalls etwas. Stimmen. Noch sehr weit entfernt und aus verschiedenen Richtungen. Sie kommen näher, nicht schnell, aber doch schneller, als ich in diesem Tiefschnee gedacht hätte.
Hirschmutter und Kind ziehen es vor sich abzusetzen und für einen Moment überlege ich, es ihnen gleich zu tun. Wenn die Näherkommenden die Richtung einigermaßen beibehalten, kommen die Leute gar nicht in die Nähe unsres Hauses, also kann es mir gleich sein, was sie hier wollen.
Warum auch immer, entschließe ich mich dagegen.
Ich schätze es war geschwindelt, als ich sagte, ich suche nicht nach Ärger.
Und dass ich nun geradewegs auf Ärger zugehe, das spüre ich ganz deutlich in meinen Knochen.