Tariqs Kurzgeschichten

Es gibt 78 Antworten in diesem Thema, welches 18.541 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (20. Oktober 2024 um 18:08) ist von Tariq.

  • Liebe Tariq

    Eine sehr gelungene Geschichte, in der das nahende Unglück geschickt vorbereitet wird.

    Ich konnte sie hören. In der Stille, die meinem Schrei folgte, hatte ich ihren hören können. Weit entfernt und – tief unter mir. Ich fuhr herum und starrte auf den Boden unter meinen Füßen.

    „Dora! Komm zu mir, meine Kleine. Steig die Stufen wieder nach oben! Ich warte hier!“

    Ein Schluchzen, kaum vernehmbar, dann erneut ganz leise: „Ich kann nicht!“

    „Du kannst, mein Schatz, komm! Komm zu mir herauf!“

    „Es geht nicht. Die Tür kommt nicht näher. Ich steige schon so lange hinauf, Mama. Die Treppe hört nicht auf!“

    Dieser Absatz steigert die Anspannung, löst sich gleichzeitig auf und packt den Leser emotional.

    Wirklich gut gemacht :sekt:

  • Vielen lieben Dank, Sensenbach .

    Das ist eine Geschichte, die mich selbst ein bisschen verblüfft hat. Geschrieben in anderthalb Stunden und danach nur noch einzelne Worte verbessert. Es passiert wirklich selten, dass ich mit einem Text mal so zufrieden bin, dass er in seiner ursprünglichen Form bestehen bleibt. Wenn ich da an die "Henkersmahlzeit" denke - das war ein echter Kampf. :rofl:

    Also nochmal - herzlichen Dank für dein Lob. Und - Prost! :sekt:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Eine weitere Geschichte aus dem "Weird Tales"-Thread:

    Zoe

    „Und deshalb, bitte: Wenn Sie unsere Tochter bei sich haben, geben Sie sie uns zurück. Die Bitte kommt aus den unendlich verzweifelten Herzen ihrer Eltern. Haben Sie Mitleid, lassen Sie unsere Zoe frei. Wir vermissen sie und wollen sie wieder bei uns haben. Geben Sie uns unser Kind zurück. Bitte ...“
    Der Satz endet mit einem Schluchzen und dann bricht die Stimme. Zitternd krallen sich die Finger der weinenden Frau in ein weißes Taschentuch.
    Ihr Mann zieht sie sanft zur Seite. Weg vom Mikrofon, von den laufenden Kameras, von den neugierigen Augen der Reporter. Er legt den Arm um ihre bebenden Schultern und murmelt beruhigende Worte neben ihrem Ohr.
    An dem Platz, an dem die Frau bis eben stand, hat sich ein Kriminalbeamter aufgebaut.
    „Wir bitten die Bevölkerung dringend um Mithilfe“, verkündet er. „Die zehnjährige Zoe Gerber wird seit drei Tagen vermisst. Zuletzt hielt sie sich mittags an der Haltestelle des Schulbusses am Kirchhof auf. Wenn Sie das Mädchen später noch gesehen oder verdächtige Aktivitäten bemerkt haben, wenden Sie sich bitte umgehend an die nächste Polizeidienststelle. Die Beschreibung des Kindes ist online unter http://www.missedchildren_zoe.com einzusehen. Jeder kleine Hinweis ist wichtig. Helfen Sie uns, das Mädchen zu finden. Vielen Dank.“
    Der Mann tritt zurück. Murmelnd packt die Reportermeute ihr Equipment zusammen und verstaut es in den Fahrzeugen der Sender.

    „Wie oft willst du dir das noch anschauen, Monika?“
    Die Stimme, die das gesagt hat, lässt eine schlecht verhohlene Ungeduld und auch Unverständnis erkennen.
    Monika Gerber, die auf dem Sofa sitzt, drückt die Pausentaste auf der Fernbedienung und wendet sich um. „Ich weiß es nicht, Hartmut“, antwortet sie leise. „Aber heute musste ich einfach ...“ Sie hebt den Kopf und schaut ihn an. „Morgen wird -“
    „Ich weiß!“ Die zwei Worte zerschneiden das, was Monika Gerber sagen will, wie ein scharfes Schwert. Gleich darauf seufzt ihr Mann. „Ich weiß, dass Zoe morgen für tot erklärt wird. Tut mir leid, Schatz, ich wollte dich nicht anschreien.“
    Sie nickt. Wie damals auf der Pressekonferenz kneten ihre Hände ein weißes Taschentuch. „Fünfzehn Jahre und mir ist, als wäre es gestern gewesen. Ich denke jeden Tag daran. Und die Schuldgefühle schlagen dann über meinem Kopf zusammen wie eine große Woge.“
    „Hör auf, dich zu quälen. Wir waren uns doch einig, nicht mehr darüber zu sprechen. Den Tag morgen überstehen wir auch noch und dann lassen wir sie in Frieden ruhen. Also gönn auch dir endlich Frieden. Wenn es dir hilft, gehen wir morgen zusammen zur Bushaltestelle zum Gedenkstein.“
    Monika Gerber nickt.
    Das Telefon klingelt. Hartmut hebt ab, lauscht kurz und reicht den Hörer seiner Frau. „Deine Mutter“, meint er leise.
    Monika erhebt sich und geht mit dem Telefon in die Küche.
    „Hallo, Mama“, hört er noch, dann schließt sie die Tür. Er vermutet, dass seine Frau wieder weinen wird. Ihre Mutter ruft jedes Jahr am Tag von Zoes Verschwinden an und versucht zu trösten. Und natürlich weiß sie auch, was für morgen ansteht.
    Er selbst benötigt keinen Trost. Die Worte des Predigers haben ihm damals gereicht und er hat Frieden finden können. Doch Monika fühlt sich schlecht, das weiß er. Diese verdammte Pressekonferenz hat ihren Zusammenbruch zur Folge gehabt, obwohl sie vorher so stark und gefasst gewesen ist und ihre kurze Rede wirklich gut über die Bühne gebracht hat. Und sie erholt sich nicht davon. Bei den kleinsten Gelegenheiten kommen die Erinnerungen an den letzten Tag mit Zoe mit voller Wucht und werfen sie buchstäblich zu Boden. So wie heute.
    Seine Frau tritt aus der Küche, ein gequältes Lächeln auf den Lippen. „Sie hat es kurz gemacht diesmal“, meint sie entschuldigend, „wahrscheinlich, weil sie selber geweint hat.“
    Er nickt. Seine Schwiegermutter ist Monikas Fels gewesen in der Zeit nach der Pressekonferenz.
    Das Telefon klingelt erneut. Er zieht fast verärgert die Brauen zusammen. Noch jemand, der ihnen mitteilen will, wie sehr er mit ihnen fühlt? Das kann keiner. Niemand ist in der Lage, auch nur zu ahnen, was er empfindet. Und was er damals empfunden hat, in den Tagen, als Zoe noch bei ihnen gewesen ist.
    Mit einer raschen Bewegung bedeutet er Monika, sitzenzubleiben, und geht mit steifen Schritten zum Telefon.
    „Gerber“, meldet er sich knapp.
    Es rauscht in der Leitung.
    „Wer ist da?“, verlangt er zu wissen.
    „Hier ist Zoe.“
    Er fährt zusammen. „Das ist ein schlechter Scherz“, zischt er mit mühsam unterdrückter Wut in der Stimme und die Knöchel der Hand, die den Telefonhörer hält, werden weiß, so fest krampfen sich seine Finger darum. „Und ich verbitte mir diese Geschmacklosigkeit! Zeigen Sie gefälligst etwas Respekt! Unsere Tochter wird morgen für tot erklärt.“
    „Hier ist Zoe.“
    „Hören Sie auf damit!“, schreit Hartmut in den Apparat. „Unsere Tochter hieß Zoe, das ist richtig. Aber so haben wir sie nie genannt. Also: wie war Zoes Kosename?“
    Eine Weile bleibt es still am anderen Ende.
    „Hier ist Zozo.“
    Der Hörer poltert zu Boden. Mit schreckensbleichem Gesicht starrt Hartmut Gerber seine Frau an.
    „Was ist?“, fragt sie verständnislos. „Wer war das?“

    Zwei Minuten später sitzen beide im Auto. In wahnwitzigem Tempo setzt Hartmut rückwärts aus der Garageneinfahrt und lässt dann den Wagen mit kreischenden Reifen davonschießen. Die Fahrt durch die abendliche Stadt scheint kein Ende zu nehmen. Irgendwann bleiben die letzten Häuser der Vorstadt hinter ihnen zurück und das Auto verlässt ein paar Kilometer weiter die Hauptstraße.
    Sie sprechen kein Wort miteinander. Stumm starren sie durch die Frontscheibe, während Hartmut den Wagen über den halb zugewachsenen Waldweg quält. Auf einer winzigen Lichtung hält er, schaltet den Motor ab und sieht Monika kurz an, bevor er die Fahrertür öffnet und aussteigt.
    Die letzten Meter gehen sie zu Fuß. Nebeneinander, Hand in Hand, erreichen sie die Stelle, an der sie vor fünfzehn Jahren ihre Tochter getötet und begraben haben.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Oh, die Geschichte wurde nur von Dir in Deine Kurzgeschichten eingefügt...Dachte schon, ich hätte ein Dejá Vu.

    Gut ist sie, definitiv.

  • Drei Herzen für eines

    (Schreibwettbewerb Januar/Februar 2023 "Das schwarze Kleeblatt")

    „Ein Kleeblatt, Papa, ein vierblättriges Kleeblatt!“

    Der Mann setzt die Axt ab und wendet sich um.

    Mathilde, seine jüngere Tochter, rennt auf ihn zu. Sie reckt ihm die Faust entgegen und er bewundert den zwischen ihren kleinen Fingern eingeklemmten Fund.

    „Es bringt Glück, Papa.“

    „Meinst du?“ Er lacht. „Mir hat auch einmal ein Kleeblatt Glück gebracht. Allerdings war es nicht so schön grün wie deines, sondern schwarz. Und es hatte nur drei Blätter.“

    „Drei?“ Die Nase der Sechsjährigen kraust sich misstrauisch. „Das bringt kein Glück. Und schwarze gibt es gar nicht.“

    Über den Kopf seiner Tochter hinweg sucht sein Blick den seiner Frau und als sie sich treffen, lächelt sie wissend.

    Während das Mädchen singend mit seinem Schatz davon hüpft, lehnt er die Axt an den Hackklotz und tritt zu ihr. Seine Hand streicht über ihren geraden Rücken und sie legt für einen kurzen Moment den Kopf an seine Schulter, bevor sie mit dem Rupfen des Huhnes fortfährt. Einen Augenblick bleibt er stehen und sieht ihr zu, beobachtet, wie ihre schmalen Hände arbeiten, Hände, die nicht für Arbeit geschaffen zu sein scheinen. Noch einmal streicht er ihr über den Rücken, dann geht er zurück zu seiner Axt.

    Am Abend bringt er seine Jüngste zu Bett und kommt danach wieder in den behaglichen Wohnraum zurück. Helene, die Ältere, ist noch wach und hilft der Mutter beim Garn aufwickeln.

    „Gab es wirklich ein schwarzes Kleeblatt, das dir Glück gebracht hat?“, fragt sie ihn nach einer Weile.

    „Wer sagt das?“

    „Mathilde.“

    Er lacht, doch dann wird er wieder ernst.

    „Ich denke, du bist mit deinen vierzehn Jahren alt genug, um die Geschichte zu hören“, meint er und setzt sich an den Tisch.

    Helene nickt und sieht ihn erwartungsvoll an.

    „Ein junger Wilderer liebte einst ein Mädchen“, beginnt er. „Sie begegneten einander zum ersten Mal in dem Wald, in dem er jagte. Und dort trafen sie sich von da an jedes Mal. Sie verriet ihm nicht, wie sie hieß. Immer trug sie Männerkleidung und, was für ein Mädchen seltsam war, sie schoss ebenso gut mit dem Bogen wie er.

    Eines Tages, als sie gerade einem Reh nachstellten, hörten sie Jagdhörner. Erschrocken sahen sie sich an, denn das konnte nur bedeuten, dass der König im Wald jagte. Rasch versuchten sie sich verstecken, aber die Hunde stöberten sie auf.

    Der König kam herbei und wies seine Männer an, die beiden Wilderer in den tiefsten Kerker des Schlosses zu werfen. Da trat das Mädchen vor, nahm den Hut vom Kopf und ihr langes, blondes Haar fiel über ihren Rücken.

    Der König erkannte seine Tochter. In seiner Wut befahl er, den Wilderer sofort am nächsten Baum aufzuhängen. Doch die Prinzessin drohte, dass sie ihrem Leben ebenfalls ein Ende setzte, falls der Vater ihren Liebsten tötete. Und dann erinnerte sie ihn an das Versprechen, das er ihrer Mutter kurz vor deren Tod gegeben hatte: Dass die Tochter einmal heiraten durfte, wen sie wollte, wenn sich derjenige als würdig erwies.

    Weil er seine verstorbene Frau unendlich geliebt hatte, stimmte der König zähneknirschend zu und befahl dem Wilderer, am Abend ins Schloss zu kommen.

    Der hatte die ganze Zeit wie erstarrt daneben gestanden und zugehört. Seine Liebste umarmte ihn zum Abschied, raunte ihm zu, dass sie fest an ihn glaubte, und folgte ihrem Vater nach Hause.

    Am Abend kam der Wilderer wie befohlen ins Schloss. Noch immer war er völlig benommen von der Offenbarung, in wen er sich verliebt hatte. Natürlich durfte er die Prinzessin nicht sehen, als er ankam. Man brachte ihn sofort zum König und der führte ihn zu einem Tisch in der Ecke des Zimmers. Dort stand unter einer Glasglocke ein Blumentopf, in dem ein einzelnes, schwarzes Kleeblatt wuchs. Auf den drei zarten Blättchen ruhte in der Mitte ein Tautropfen, in dem etwas eingeschlossen war, so winzig, das der Wilderer es nicht erkennen konnte.

    ‚Man sagt, das Kleeblatt bedeutet Glück‘, begann der König, ‚und dieses hier wird über das eure entscheiden. Sieh es dir genau an. Sehen die einzelnen Blättchen nicht aus wie Herzen?‘ Er lachte, doch es klang gehässig. ‚Bevor du meine Tochter heiraten darfst‚ erfüllst du folgende Aufgabe: Um zu beweisen, dass du es ernst mit ihr meinst, musst du vorher drei anderen Mädchen das Herz brechen. Für jede verratene Liebe wird eines dieser drei Blättchen vertrocknen und sich vom Stängel lösen. Erst wenn sich das dritte gelöst hat, kann der Tautropfen, der das Herz meiner Tochter enthält, herabfallen und sobald er den Boden berührt, ist es frei für dich.‘

    Sorgfältig besah sich der Wilderer die Glocke von allen Seiten und ruckte probehalber am Tischchen. Das schwarze Kleeblatt erzitterte, doch der Tropfen fiel nicht.

    ‚Darf ich es anfassen?‘, fragte er zögernd.

    Der König nickte und das gehässige Grinsen vertiefte sich.

    Vorsichtig hob der Wilderer die Glasglocke hoch und stellte sie neben den Blumentopf. Mit dem Finger versuchte er, den Tropfen anzutippen. Doch die Pflanze wich aus. Er konnte sie nicht berühren.

    Der König hatte zugeschaut. ‚Wenn es dir gelingt, werde ich dich als ihrer würdig ansehen. Ruht ihr Herz aber nach einem halben Jahr immer noch auf dem Kleeblatt, hast du sie auf ewig verloren. Und nun verschwinde!‘

    Der Wilderer war entsetzt über die Aufgabe, denn er konnte sich nicht vorstellen, ein angemessener Ehemann zu sein, nachdem er die Herzen von drei Mädchen gebrochen hatte. So ein Schuft war er nicht. Und er glaubte auch nicht daran, dass der König Wort halten würde. Aber er liebte seine Prinzessin. Also ließ er ihr ausrichten, sie möge auf ihn warten, und verließ verzagt das Schloss.

    Am Torbogen saß eine alte Bettlerin, die einen Groschen von ihm erbat. Er hatte keinen, doch er schenkte ihr ein Viertel Brot und ein Stück Käse aus seinem Rucksack. Dann wollte er weitergehen.

    ‚Wohin willst du jetzt noch?‘, hörte er sie fragen.

    ‚Ich habe kein Ziel‘, gab er zurück. ‚Erst einmal weit weg von hier.‘

    ‚Dann bleibe die Nacht über in meinem Haus und brich morgen früh auf. Ich kann dir nicht viel bieten, aber du warst freundlich zu mir und sollst wenigstens ein Dach über dem Kopf haben.‘

    Der Wilderer blieb stehen. Es war schon spät und er hätte es nicht mehr bis zu seinem Heim geschafft, bevor es dunkel wurde. Also drehte er sich um und ging mit ihr.

    Als er am nächsten Tag nach dem Morgenmahl aus der Tür trat, fragte sie ihn, was er vorhatte. Doch er verriet ihr kein Wort von seiner Aufgabe. Daraufhin wollte sie wissen, ob er wirklich drei Mädchen das Herz brechen würde.

    Verwundert starrte er die Alte an. Er hatte ihr doch nichts erzählt.

    ‚Woher weißt du davon‘, gab er zurück anstelle einer Antwort.

    Sie lächelte nur. ‚Das ist nicht wichtig‘, meinte sie.

    ‚Natürlich will ich das nicht tun‘, flüsterte er bitter. ‚Nur gibt es keinen anderen Weg für mich. Tue ich es nicht, kann ich sie nicht gewinnen.‘

    ‚Doch, das kannst du. Komm noch einmal herein ins Haus.‘ Die Alte fasste ihn am Ärmel und zog ihn mit sich.

    Schon am Abend kehrte er zurück an den Hof. Er wurde zum König vorgelassen, der bereits triumphierte, weil er annahm, dass der Wilderer aufgegeben hatte.

    Doch der erklärte, dass er eine andere Möglichkeit gefunden hatte, den Tautropfen vom Kleeblatt rollen zu lassen.

    Der König lachte nur. Er war sich sicher, dass es eine solche nicht gab, so sicher, dass er mit dem Wilderer zu dem Blumentopf hinüberging.

    Der hob die Glasglocke ab und stellte sie daneben.

    ‚Es ist alles noch wie gestern‘, beteuerte der König. ‚Nichts hat sich geändert.‘ Zur Bekräftigung versuchte er diesmal selbst den Tautropfen zu berühren und nickte zufrieden, als das Blatt seinem Finger auswich.

    Doch der Wilderer schüttelte den Kopf. ‚Es hat sich etwas geändert‘, entgegnete er leise und holte ein kleines Messer aus seiner Tasche. Bevor der König ihn daran hindern konnte, durchtrennte er mit einer schnellen Bewegung den zarten Stängel des Blattes. Es fiel auf die Erde und der Tautropfen rollte von den drei schwarzen Blättchen herunter.

    Der König war fassungslos. ‚Du wirst sie trotzdem nicht bekommen‘, zischte er, rot vor Wut. ‚Ich gebe meine Tochter doch keinem dahergelaufenen Lumpen!‘

    Daraufhin hielt der Wilderer das kleine Messer hoch, das er benutzt hatte. ‚Sie sagte, ich solle es Euch zeigen‘, erklärte er.

    ‚Sie?‘ Der König nahm es, betrachtete es und ließ es dann erschrocken fallen.“

    Der Vater schaut lächelnd ins Kaminfeuer.

    „Und ...?“ Helene, atemlos vom andächtigen Lauschen, sieht ihn verwirrt an. „Das ist doch kein Ende. Wie ging es weiter?“

    „Gar nicht. Damit war die Aufgabe gelöst.“

    „Aber hat er die Prinzessin bekommen?“, forscht sie ungeduldig.

    Er nickt. „Sie durfte mit ihm gehen. Er erzählte ihr von der Prüfung und zeigte ihr das Messer, das er aufgehoben und wieder eingesteckt hatte, bevor er mit ihr das Schloss verließ. Sie erkannte es als das ihrer Mutter, das diese einst von ihrem Ehemann, dem König, als Geschenk erhalten hatte.“

    „Aber wer war die Alte?“, fragt Helene.

    „Wir haben es nie erfahren“, meint er und schüttelt lächelnd den Kopf.

    „Und wir haben weder sie noch ihr Haus je wiedergefunden“, erklingt die weiche Stimme der Mutter hinter ihr. „So konnten wir uns nicht einmal bedanken. Nur ihr Messer ist noch da und das bewahren wir gut auf.“

    Inspiriert von ...

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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    Einmal editiert, zuletzt von Tariq (3. März 2024 um 19:37)

  • Heyho Tariq

    Ich neige mein Haupt in Demut und Scham.

    Scham deswegen, weil ich gerade erst jetzt verstanden habe, wo der tiefere Sinn lag.

    Asche auf mein Haupt!!! - Ich habe die Erzählung im Wettbewerb dreimal gelesen und nicht verstanden, was Du mir gesagt hast. Jetzt ist der Groschen gefallen...großartig! :nummer1:

  • Vielen Dank, Der Wanderer :)

    Vielleicht magst du mir sagen, was genau du im Wettbewerbs-Thread nicht verstanden hast und woran es lag, dass es hier im Thread funktioniert hat? Dann kann ich nochmal nachbessern. ?(

    (Hofft, dass die Geschichte nicht nur mit dem Bild verständlich ist ... :/ )

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Heyho Tariq

    Du brauchst da gar nichts "nachbessern".

    Ich Esel habe nur nicht gesehen, wie alles miteinander zusammenhängt:

    Der Mann mit der Axt und seine Frau, deren Hände zu schmal für harte Arbeit zu sein scheinen, der junge Wilderer und seine unbekannte Liebe, die den Bogen treffsicherer führt als er selbst, das Bettelweib vor dem Stadttor, das dem nach Hilfe Suchendem diese gewährt, ohne offenbart zu werden.

    Die Auflösung einer scheinbar unlösbaren Aufgabe durch die Macht der Liebe - und dies noch beidseitig: Selbst der König kann sich ihr, und sei es auch nur in der Erinnerung, nicht entziehen oder verweigern.

    Das alles ist in sich so schlüssig und wundervoll.

    Und ich hab's dreimal nicht gesehen...

  • Ein Kindermärchen :)

    :queen::jennagorn:DIE WÜNSCHE DES EINHORNS :jennagorn::queen:

    Es war einmal eine kleine Prinzessin, die hatte einen besten Freund: ein kleines Einhorn. Es war nicht größer als ein junges Kätzchen. Aber das störte weder das Einhorn noch die Prinzessin. Die beiden waren unzertrennlich.
    Eines Morgens zog die Prinzessin ein rosa Kleid an. Sie mochte es sehr. Alle Rüschen waren an den Außenrändern mit goldenem Band gesäumt und die Vorderseite war mit Goldfaden bestickt. Das kleine Einhorn saß auf ihrem Bett und sah ihr zu. Als die Prinzessin fertig war und sich vor dem Spiegel betrachtete, hörte sie es leise seufzen.
    Verwundert drehte sie sich um.
    „Was ist denn?“, fragte sie besorgt. „Bist du krank?“
    „Nein.“ Das kleine Einhorn schüttelte den Kopf.
    „Warum seufzt du dann? Bist du traurig?“
    Ihr Freund senkte den Blick und gab keine Antwort.
    Da setzte sich die Prinzessin neben das kleine Einhorn aufs Bett.
    „Ich will wissen, was mit dir los ist, also sag es mir“, verlangte sie. „Bitte“, fügte sie noch hinzu, denn ihr fiel rechtzeitig ein, dass man seinen Freunden keine Befehle gibt, auch nicht, wenn man eine Prinzessin ist.
    „Ich bin neidisch.“
    Die Antwort vom kleinen Einhorn war so leise gewesen, dass die Prinzessin sie fast nicht verstanden hatte.
    „Neidisch?“, fragte sie zurück. „Warum denn?“
    „Weil du so schön aussiehst. So hübsch. Und dein Kleid ist wundervoll rosa mit so viel Gold. Und ich ...“ Wieder seufzte das kleine Einhorn.
    Die Prinzessin betrachtete ihren Freund. Sein weiches Fell war schneeweiß, die Hufe glänzten poliert, und sie liebte die kleinen Ohren und großen, dunklen Augen.
    „Was gefällt dir denn an deinem Aussehen nicht?“, fragte sie verwundert.
    „Ich bin ... ich bin nur weiß.“ Die großen, dunklen Einhornaugen füllten sich mit Tränen.
    „Ich finde dich schön, wie du bist.“ Sie streichelte das weiche, weiße Fell.
    Doch sie spürte auch, dass der Trost dem kleinen Einhorn nicht reichte.
    Eine Weile überlegte sie angestrengt, bis ihr etwas einfiel. „Ich habe eine Idee“, verkündete sie. „Komm mit.“
    Sie nahm ihr schneeweißes kleines Einhorn auf den Arm und verließ mit ihm das Zimmer.
    „Wo gehen wir hin?“, fragte es und es klang immer noch traurig.
    „Zu meiner Mutter“, erklärte die Prinzessin. „Vielleicht hat die eine Idee.“
    Das Einhorn schwieg. Es glaubte nicht, dass die Königin hier helfen konnte, denn um das Aussehen zu ändern, musste man schon ein Zauberer sein.
    Die Prinzessin lief durch die langen Gänge des Schlosses, bis sie das Zimmer der Königin erreichte. Um diese Zeit saß die Mutter meist mit ihren Damen zusammen und trank Tee. Doch ein trauriger bester Freund ist wichtig genug, um das Teetrinken zu stören, dachte sie bei sich.
    Sie klopfte an die hohe Tür und hörte ein königliches „Herein!“
    Die Prinzessin trat ein.
    „Mama, du musst mir helfen“ sagte sie aufgeregt.
    Die Königin stellte ihre Tasse ab. „Begrüße die Damen“, forderte sie ihre Tochter auf. „Was ist das für ein Benehmen?“
    Die Prinzessin schämte sich und holte das Vergessene schnell nach.
    Zufrieden nickte die Mutter. „Also, liebes Kind, wobei brauchst du Hilfe?“, wollte sie wissen.
    „Mein Freund ist traurig.“ Die Prinzessin setzte sich auf einen freien Stuhl und nahm ihr Einhorn auf den Schoß. „Er will nicht mehr weiß sein und er ist ein bisschen neidisch auf mein Kleid.“
    Die Königin sah das Einhorn fragend an. „Wie möchtest du denn aussehen?“, fragte sie.
    „Auch rosa“, flüsterte das Einhorn. „Aber viel bunter. Und vielleicht ... vielleicht goldene Hufe und ein goldenes Horn. Aber das wird eh nicht gehen.“
    Nachdenklich legte die Königin den Kopf schief.
    „Doch, ich denke, das lässt sich machen“, gab sie zurück. „Es wird nicht ganz einfach, aber es könnte gelingen.“
    Das Einhorn wurde ganz aufgeregt. „Wie denn?“, stieß es hervor. „Was muss ich dafür machen?“
    „Du brauchst einfach nur Bunt und Gold.“
    Erstaunt sah das Einhorn die Königin an.
    „Bunt und Gold?“, wiederholte es zögernd. „Wo findet man so etwas?“
    Die Königin hob bedauernd die Hand und griff dann wieder nach ihrer Teetasse. „Es tut mir leid“, erwiderte sie, „aber das weiß ich nicht. Da musst du wohl suchen, kleines Einhorn.“
    Die Prinzessin merkte, dass ihr Freund noch mehr Fragen stellen wollte, aber auch, dass ihre Mutter nicht mehr dazu sagen würde. Schnell hielt sie deshalb dem Einhorn das Maul zu, nahm es wieder auf den Arm und stand auf.
    „Vielen Dank, Mama“, meinte sie hastig. „Wir gehen dann mal auf die Suche nach Bunt und Gold.“ Sie nickte den Damen ihrer Mutter höflich zu und verließ das Zimmer der Königin.
    Draußen auf dem Gang blieb sie stehen und legte nachdenklich den Finger an die Nase.
    „Wo findet man Bunt und Gold?“, flüsterte sie.
    Das kleine Einhorn ließ verzagt die Ohren hängen. „Ich habe keine Ahnung“, gab es traurig zurück.
    „Bunt ist der Garten“, fiel der Prinzessin ein. „Die ganzen Blumen, das sind so viele Farben! Wir könnten den Gärtner fragen, ob er ein paar davon abgeben kann.“
    Da das Einhorn nichts dagegen hatte, machten sie sich auf den Weg in den Garten. Sie liefen die sauberen Wege entlang, schauten in den Schuppen mit den Gartengeräten und gingen sogar bis zur letzten Ecke, wo der große Komposthaufen war. Nirgendwo fanden sie den Gärtner.
    „Wo kann er nur sein?“, fragte die Prinzessin. Noch einmal sah sie sich um und da entdeckte sie ihn. Er kniete neben dem großen Springbrunnen und zupfte Unkraut.
    Rasch lief sie hin.
    „Wir brauchen Bunt, Gärtner“, sagte sie außer Atem, als sie ihn erreichte.
    Der Mann hob den Kopf. „Bunt?“, fragte er. „Wofür denn?“
    Die Prinzessin zeigte auf das Einhorn. „Es will nicht länger weiß sein“, erklärte sie.
    „Ah, ich verstehe.“ Der Gärtner stand auf. „Doch ich habe leider kein Bunt für dich, Prinzessin.“
    „Aber ich dachte, deine Blumen ...“ Die Prinzessin sprach nicht weiter. Sie hatte so gehofft, dass der Gärtner ihr helfen konnte.
    „Die Blumen?“, fragte der Gärtner. „Soll ich sie pflücken und dir geben? Was tust du dann damit? Das Fell des Einhorns können sie nicht färben.“
    Die Prinzessin nickte und ließ den Kopf sinken. „Das stimmt“, gab sie zu. „Wer könnte uns dann helfen?“
    Der Gärtner legte den Kopf schief. „Ich würde es in der Küche versuchen“, riet er. „Da gab es vor kurzem Kekse mit herrlich buntem Zuckerguss.“
    „Stimmt, ich erinnere mich! Vielen Dank!“ Auf das Gesicht der Prinzessin kehrte die Freude zurück und auch das kleine Einhorn hob die Ohren wieder.
    Die beiden flitzten, so schnell sie konnten, zur Schlossküche.
    Die dicke Köchin zuckte erschrocken zusammen, als die Prinzessin zur Tür hereinstürmte.
    „Martha“, stieß sie völlig außer Atem hervor. „Wir brauchen Bunt! Von den Keksen!“
    Die Augen der Frau wurden ganz rund, so sehr staunte sie.
    „Ihr braucht den Hund?“, fragte sie. „Na dann nehmt ihn mit, da drüben unter der Bank liegt er.“
    Sie zeigte mit dem Kochlöffel hinüber zum Tisch.
    „Bunt!“, rief die Prinzessin, der wieder eingefallen war, dass Martha nicht mehr so gut hörte. „Wir brauchen Bunt, nicht den Hund!“
    „Achso, rund“, meinte Martha verstehend. „Was ist denn rund, Kindchen?“
    Die Prinzessin seufzte. Der Lärm in der Küche war auch wirklich störend. So viele Leute redeten durcheinander, Töpfe schepperten, die Küchenmagd sang beim Abwasch …
    „Seid bitte mal alle ruhig!“, brüllte sie und stampfte mit dem Fuß auf.
    Der Krach wurde immer leiser, bis man schließlich nichts mehr hörte außer dem leisen Brummen des riesigen Kühlschrankes in der Ecke.
    „Also, Martha. Wir brauchen Bunt“, wiederholte sie klar und deutlich. „Das, mit dem der Zuckerguss für die Kekse gefärbt wird.“ Und diesmal verstand die Köchin.
    „Ach so“, sagte sie kopfschüttelnd. „Na sag das doch gleich, Prinzessin. Den Zuckerguss färben wir mit Streuseln.“
    Sie ging zum großen Küchenschrank hinüber und nahm einen dicken Tontopf heraus, den sie zum Tisch brachte.
    „Hier“, verkündete sie. „Das sind sie.“
    Die Prinzessin schaute ins Innere und hob auch das kleine Einhorn hoch, damit es hineinschauen konnte.
    „Hm, bunt sind sie ja“, meinte es zögernd. „Aber wie sollen sie mein Fell färben?“
    Die Prinzessin griff in den Topf, holte eine Handvoll der Streusel heraus und rieb sie dem Einhorn ins Fell.
    „Iiihh, das kitzelt!“, rief es, als sie den Bauch erreichte. „Funktioniert es?“
    Langsam nahm die Prinzessin die Hand weg. Streusel rieselten auf den Fußboden und Martha runzelte ärgerlich die Stirn. So etwas mochte sie gar nicht. Ihre Küche war immer sauber!
    „Nein“, meinte die Prinzessin traurig. „Die Streusel liegen alle unten, meine Hand ist ganz klebrig und dein Fell ist immer noch weiß.“
    Wieder ließ das Einhorn verzagt die Ohren hängen.
    „Ihr macht das ja auch ganz falsch“, erklärte Martha. Sie nahm der Prinzessin das Einhorn ab und trug es zur Hintertür hinaus.
    „Peterle!“, rief sie den Küchenjungen, der mit einem Gartenschlauch ihre Kräuterbeete begoss.
    Der Junge drehte sich um. „Was ist?“
    „Mach das Einhorn nass!“, befahl Martha.
    Die Prinzessin riss erschrocken die Augen auf. „Nass?“, rief sie angstvoll. „Aber dann kann es doch nicht mehr in meinem Bett schlafen!“
    Das Einhorn nickte. „Ich möchte nicht nass gemacht werden“, protestierte es leise.
    „Papperlapapp“, entgegnete Martha. „Wer bunt werden will, muss vorher nass gemacht werden, sonst wird das nix. Dann muss das Einhorn eben heute Nacht in der Badewanne schlafen. Morgen ist es wieder trocken. Los, Peterle!“
    Die Prinzessin konnte ihren kleinen Freund gerade noch auf dem Boden stellen und hastig ein paar Schritte zurückgehen, da plätscherte auch schon das Wasser vom Gartenschlauch auch ihn hinab. Er ertrug die Dusche tapfer, obwohl das Wasser sehr kalt war. Nur die Augen kniff er ein wenig zu.
    „Das reicht!“, kommandierte Martha, die kurz in der Küche verschwunden war und nun mit einem Handtuch und dem dicken Tontopf zurückkehrte. Rasch rubbelte sie das Einhorn, bis das Fell zwar noch nass war, aber nicht mehr tropfte. Dann legte sie das Tuch weg und griff in den Topf. Die Handvoll Zuckerstreusel, die sie herausholte, vertrieb sie langsam in dem Fell. Zuerst der Rücken, dann der Bauch. Dem Einhorn gefiel das, es war fast so schön wie gestreichelt werden. Als Marthas Hand über seine Nase rieb, musste es herzhaft niesen. Noch zwei Mal griff die Köchin hinein in den Topf und langsam färbte sich das schneeweiße Fell bunt. Es schimmerte in vielen Farben, aber rosa war am stärksten, was wohl daran lag, dass es von den rosa Streuseln am meisten gab.
    „So“, meinte Martha und wischte sich die klebrigen Hände an ihrer Schürze ab. „Da habt ihr Bunt. Pass auf, dass das Einhorn schön trocknen kann und sich auch später nicht mehr nass macht. Es darf nicht mehr mit dir in die Badewanne oder ins Schwimmbad und du musst es auch gut vor Regen schützen. Sonst verliert es die Farbe wieder und wird weiß, wie es vorher war.“
    Die Prinzessin hatte zu allem eifrig genickt. „Ich passe gut auf, Martha“, versicherte sie. „Vielen Dank! Komm, kleines Einhorn!“
    Sie hob ihren Freund hoch und sprang davon. Kurz drehte sie sich noch einmal um und winkte, und Martha und Peterle winkten zurück.
    „Zurück ins Schloss“, entschied die Prinzessin. „Du musst unbedingt sehen, wie schön du aussiehst.“
    Sie rannte mit dem nassen Einhorn unter dem Arm hinauf in ihr Zimmer. Außer Atem hielt sie es vor den großen Wandspiegel, der neben ihrem Kleiderschrank hing.
    Verzückt betrachtete das kleine Einhorn sein buntes Fell. Es war fast noch schöner als das Kleid der Prinzessin.
    „Und jetzt lass uns überlegen, wo wir Gold herbekommen“, schlug es vor.
    „Nein.“ Die Prinzessin schüttelte den Kopf. „Es ist fast Abend. Mein Kleid ist voller bunter Flecken und meine Hände und Arme kleben, weil ich dich getragen habe. Ich werde jetzt baden und du darfst so lange auf dem Klodeckel sitzen. Und wenn ich fertig gebadet und wieder ein sauberes Kleid angezogen habe und die Wanne wieder leer ist, dann setze ich dich rein und gehe runter zum Essen.“
    Auf dem Klodeckel sitzend sah das Einhorn mürrisch zu, wie die Prinzessin ihr Kleid auszog, während das Wasser in die Wanne lief, und dann in das duftende Schaumbad stieg.
    „Hast du schon eine Idee wegen dem Gold?“, fragte es vorsichtig.
    Die Prinzessin ließ sich ein wenig Zeit mit der Antwort, sie schrubbte sich erst mal das klebrige Zeug ab. Irgendwann war sie fertig und lehnte sich zurück.
    „Ich hatte an den Schmied gedacht. An einer Rüstung im Waffensaal habe ich Gold gesehen und auch an den Schwertern, die an der Wand hängen. Vielleicht kann er dir ein bisschen abgeben für deine Hufe.“
    „Und für mein Horn“, ergänzte das kleine Einhorn und leckte zwei klebrige rosa Tropfen vom Klodeckel, die von seinem Kinn gefallen waren. „Das soll auch golden werden.“
    „Und für dein Horn“, murmelte die Prinzessin. Eine Weile plätscherte sie noch im Wasser, dann stieg sie heraus und trocknete sich ab. „Ich geh mich anziehen, bin gleich zurück.“
    Das Einhorn nickte, doch die Prinzessin war schon verschwunden und sah es nicht mehr. Gleich darauf kam sie - in einem sauberen, himmelblauen Kleid - zurück und setzte ihren Freund in die inzwischen geleerte Badewanne.
    „Gute Nacht“, meinte sie. „Morgen geht’s weiter mit der Suche. Wenn mein Unterricht beendet ist.“
    Das kleine Einhorn wollte noch fragen, ob es tatsächlich bis dahin in der Badewanne sitzen bleiben musste, aber die Prinzessin löschte das Licht und schloss die Tür. Traurig leckte es seine klebrigen Hufe ab. Eigentlich konnte es zufrieden sein. Sein Fell war bunt und morgen würde es trocken sein. Das langweilige Weiß war verschwunden.
    Die Traurigkeit verschwand und zufrieden schlief es ein.

    (Fortsetzung morgen, da nicht alles in einen Post passt)

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Hallo liebe Tariq!

    Nun habe ich es endlich verstanden und die Geschichte gefunden! Die ist wirklich sehr süß und sehr kindgerecht. Ich kann mir vorstellen dass sie der kleinen Prinzessin sehr gefallen hat.<3

    Nun bin ich ja gespannt wie sie an die goldene Farbe herankommen. Ist die Fortsetzung auch schon fertig?

    (Das Augenrollen bezog sich auf das Stofftier. Auch wenn ich etwas kitschig veranlagt bin ist Rosa gar nicht meine Farbe und ich habe auch niemals - nie - in meinem Leben rosa Sachen getragen. Aber ich weiß natürlich dass die meisten kleinen Mädchen das lieben. Meine Tochter war ja auch so).

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Vielen lieben Dank dir, Kirisha <3:thumbsup: Hier kommt der Rest


    Am nächsten Morgen kam die Prinzessin ins Badezimmer zum Zähneputzen.
    „Darf ich raus?“, fragte das Einhorn schüchtern, das die Nacht in dem stockfinsteren Raum nicht so toll gefunden hatte.
    Die Prinzessin - weiter fleißig ihre Zähne schrubbend - strich mit dem Finger über das bunte Fell.
    „Ja“, verkündete sie. „Du bist getrocknet. Aber dein Fell ist verklebt und nicht mehr so schön weich wie vorher.“
    „Aber es ist bunt“, entgegnete das Einhorn, „und das ist viel wichtiger.“
    Die Prinzessin hob es aus der Wanne und trug es aufs Bett. „Bis nachher“, meinte sie. „Ich muss zum Unterricht.“
    Nach dem Mittagessen kam sie zurück.
    „So“, sagte sie. „Lass uns zum Schmied gehen.“
    Sie hob das Einhorn vom Bett und nahm es wieder unter den Arm. „Du bist stachlig“, murrte sie.
    Ihr kleiner Freund reckte trotzig das Kinn. „Aber bunt“, gab er zurück.
    Der Schmied in der königlichen Hofschmiede hatte seine Tür weit geöffnet. Es war heiß in dem dunklen Raum. Verwundert sah er von seiner Arbeit auf, als die beiden zu ihm kamen.
    „Nanu, Prinzessin“, knurrte er und wischte sich über die Stirn. „Ich denke nicht, dass du mit deinem feinen Kleid hier sein solltest.“
    „Ich passe schon auf“, gab die Prinzessin hastig zurück. „Wir wollten dich nur fragen, ob du etwas Gold für uns hast?“
    „Gold?“ Der Schmied starrte sie an, als wüsste er nicht, ob er antworten oder über die Frage lachen sollte. „Wofür brauchst du Gold?“
    „Er braucht es. Für seine Hufe.“ Sie nahm ein Bein des Einhorns hoch und streckte es dem Schmied entgegen. Das rosa Zuckergussfell knisterte dabei leise.
    „Und für mein Horn“, ergänzte das kleine Einhorn erneut.
    „Gold. Für Hufe und Horn.“ Der Schmied begann zu lachen, so sehr, dass Tränen über sein schmutziges Gesicht rollten.
    „Jawohl!“, brüllte das kleine Einhorn zornig. „Hör auf zu lachen!“
    Der Schmied prustete noch ein, zwei Mal, gehorchte dann aber.
    „Ich kann dir nicht einfach so Gold geben, Einhorn“, sagte er. „Bevor ich welches zum Schmieden verwende, muss ich den König fragen, weil es unglaublich teuer ist. Außerdem müsstest du deine Hufe einzeln in geschmolzenes Gold eintauchen. Das wäre sehr wahrscheinlich schmerzhaft! Wenn du es trotzdem willst, dann frag den König.“
    Das kleine Einhorn erwiderte nichts. Misstrauisch beobachtete es, wie der Schmied wieder an den Amboss trat, um weiterzuarbeiten. Der Hammer sauste herab, traf mit hellem Klingen auf das glühende Eisen. Funken stoben.
    Erschrocken zuckte das Einhorn zusammen. „Ich will hier weg“, flüsterte es und kuschelte sich enger an die Prinzessin, wobei sein Fell erneut knisterte.
    „Du kratzt!“, beschwerte sie sich, nachdem sie sich beim Schmied bedankt hatte und mit dem Einhorn wieder nach draußen gegangen war.
    Ihr Freund sagte nichts darauf, aber er wusste, dass sie Recht hatte. Er fühlte sich selbst nicht besonders wohl.
    „Wer könnte noch Gold haben?“, fragte er stattdessen.
    Die Prinzessin kaute auf dem Daumennagel. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte.
    „Wir könnten den Schneider fragen“, schlug sie vor. „Er hat das Goldband an mein Kleid gemacht.“
    „Ich will aber kein Goldband an den Hufen“, beschwerte sich das Einhorn.
    „Dann denk selber nach und mach einen besseren Vorschlag“, gab die Prinzessin beleidigt zurück. Sie ging zurück in den Schlosspark, setzte sich dort auf eine Bank und stellte das Einhorn neben sich. Stumm hockten sie nebeneinander.
    „Wie wäre es, wenn wir den Maler fragen?“, fragte das Einhorn nach einer Weile leise. „Er hat Gold an die Türen gemacht und an die Wände und die Decken.“
    Die Prinzessin gab nicht sofort eine Antwort. Sie war noch ein bisschen ärgerlich auf ihren Freund. Längst hatte sie die Lust verloren, ihm alle seine Wünsche zu erfüllen.
    „Okay“, stimmte sie schließlich zu. „Lass uns den Maler fragen. Aber wenn der uns auch nicht helfen kann, habe ich keine Idee mehr.“
    „Na dann los.“ Das Einhorn war froh, dass die Prinzessin wieder mit ihm redete, es unter den Arm nahm und sich mit ihm auf den Weg machte.
    Der Maler hatte - genau wie der Schmied - seine Werkstatt in einem Nebengebäude des königlichen Schlosses. Die Prinzessin klopfte an die Tür und weil niemand ‘herein’ sagte, öffnete sie sie vorsichtig.
    Der Maler, dessen grauer Kittel vorn mit bunten Klecksen gesprenkelt war, hörte auf in einem Topf mit dunkelblauer Farbe zu rühren und hob den Kopf. Als er sah, wer da hereingekommen war, ließ er vor Schreck den Rührstab fallen, der in den Topf plumpste und seinen Kittel mit weiteren Farbklecksen verzierte. Leider bekam auch das himmelblaue Kleid der Prinzessin zwei ab. Sehr verärgert besah sie sich das Malheur. „Alles wegen deinem Gold“, zischte sie dem Einhorn zu.
    Verlegen zog es den Kopf ein. „Tut mir leid, aber dafür kann ich doch nichts“, antwortete es leise.
    „Guten Tag, Prinzessin“, sagte der Maler. „Das ist kein passender Ort für feine Kleider.“
    „Das habe ich auch gerade gemerkt“, murmelte sie verärgert. „Wir bleiben nicht lange. Nur eine Frage, Maler: Kannst du uns ein bisschen Gold geben?“
    „Gold?“ Die Augen des Mannes wurden rund vor Staunen. „Wofür?“
    „Für seine Hufe.“ Sie hielt ihm das zuckerrosa Einhorn unter die Nase.
    „Und für mein Horn“, ergänzte das kleine Einhorn wieder, doch diesmal wiederholte es die Prinzessin nicht.
    Der Maler überlegte.
    „Ich habe Gold für dich“, meinte er. „Aber man muss damit sehr vorsichtig sein, weil es sehr dünn ist. Man nennt es Blattgold und ich kann damit Verzierungen an Wände und Türen machen.“
    „Genau so was will ich!“, rief das Einhorn begeistert. „Ist mir egal, ob es dünn ist.“
    „Du wirst dich damit aber sehr in Acht nehmen müssen, nirgends anstoßen. Man darf deine Hufe nicht mehr bürsten, deshalb darfst du auch nicht in Schlamm laufen.“
    „Das mache ich sowieso nie“, entgegnete das Einhorn beleidigt. „Ich bin doch kein Ferkel.“
    „Gut, also wenn du es trotzdem haben möchtest, dann komm mit.“
    Der Maler nahm der Prinzessin das Einhorn ab, ging mit ihm in einen Nebenraum und setzte es auf den Tisch dort. Dann füllte er einen Topf mit Wasser, entnahm aus einer Kiste ein raschelndes Blatt Papier und faltete es behutsam auseinander.
    „Jetzt darf keiner niesen“, mahnte er, „sonst fliegt das Gold einfach weg.“
    Das Einhorn nickte hastig und hielt vorsichtshalber die Luft an. Neugierig schielte es in das aufgefaltete Papier.
    „Willst du das wirklich?“, hörte es die Prinzessin fragen.
    Es drehte sich um.
    Sie stand da mit verschränkten Armen und hatte die Augenbrauen zusammengezogen. „Was ist, wenn das Gold abgeht?“
    Das Einhorn wollte schon antworten, dass man dann ja neues drauf machen könnte, aber bevor es etwas sagen konnte, erklärte der Maler, dass es kein zweites Mal Gold auf die Hufe geben würde. Es sei einfach zu teuer.
    „Ich nehme mich in Acht“, versicherte das Einhorn und hob den Kopf. „Da passiert schon nix.“
    Die Prinzessin sagte nichts mehr. Stumm stand sie daneben und beobachtete, wie der Maler eine hauchzarte Folie aus Gold auf das Wasser im Topf legte. Sie schwamm!
    „Jetzt tauche deinen Huf rein“, forderte er das Einhorn auf, „aber ganz langsam.“
    Es gehorchte, setzte vorsichtig den rechten Vorderhuf auf das Goldblatt und drückte es so unter Wasser.
    „Ich hab es kaputt gemacht!“, klagte es erschrocken. „Es schwimmt nicht mehr.“
    „Nein, nein“, versicherte der Maler. „Das muss so sein. Heb den Huf heraus.“
    Wieder gehorchte das Einhorn. Die Prinzessin ließ ein verwundertes „Oh!“ hören und auch das Einhorn staunte. Der Huf war golden!
    Vorsichtig drückte der Maler das Gold mit einem sauberen Tuch fest. Dann nahm er ein neues von den raschelnden Papieren. Noch dreimal wiederholten sie das Ganze und am Ende hatte das Einhorn tatsächlich vier goldene Hufe.
    Das gefiel ihm ungeheuer gut. Endlich nicht mehr diese normalen, graubraunen Hufe. Die hatte jedes Pferd und jedes Einhorn. Aber mit diesen Hufen war man etwas Besonderes. „Das Horn auch noch!“, verlangte es energisch und der Maler runzelte verärgert die Stirn.
    „Das kann man auch freundlicher sagen“, mahnte die Prinzessin.
    „Jaja.“
    „Hast du bitte noch etwas Gold für das Horn, Herr Maler?“, fragte sie höflich.
    „Na gut“, gab der Maler zurück. „Weil du mich so nett bittest.“
    Und wirklich ein paar Minuten später glänzte das Horn ebenso golden wie die Hufe.
    Das Einhorn war glücklich.
    „Heb mich hoch“, sagte es zur Prinzessin. „Wir können gehen.“
    „Hast du nicht etwas vergessen?“, fragte sie mahnend.
    Das Einhorn sah an sich herunter. „Nein, alle vier Hufe und das Horn sind fertig. Nichts vergessen.“
    Die Prinzessin schüttelte nur den Kopf. „Dankeschön, Herr Maler“, sagte sie, dann nahm sie ihren Freund wieder auf den Arm
    „Vorsichtig“, rief das Einhorn. „Komm nicht an mein Horn oder meine Hufe, sonst geht das Gold ab!“
    „Ich passe schon auf“, murmelte sie und es klang traurig.

    Am Abend saß das Einhorn am Fußende des Bettes der Prinzessin. Der Nachmittag war nicht schön gewesen. Sie hatten zwar eine Menge zusammen unternommen, aber meistens hatte es sich sehr in Acht nehmen und nur still dastehen müssen, damit nicht das Gold an den Hufen zerkratzt wurde. Die Prinzessin saß allein auf ihrer Schaukel und spielte allein mit den Hunden. Und sie war auch allein im Pferdestall gewesen. Das Einhorn wartete lieber, bis sie vom Ausritt mit ihrem Pony zurückkam. Glücklich hatte sie ausgesehen, obwohl das Pony ein langweiliges, braunes Fell und ganz normale Hufe hatte. Und die Prinzessin lobte das bunte Fell und die Goldhufe gar nicht. Zu gern hätte das Einhorn gehört, wie sehr ihr sein neues Aussehen gefiel. Sie sprachen überhaupt nicht mehr viel miteinander, nachdem sie den Maler verlassen hatten. Irgendwie war alles … verändert.
    Nun, am Abend dieses unschönen Tages, überlegte das Einhorn. Es betrachtete sein buntes Fell. Wunderschön und genau so, wie es sich das gewünscht hatte. Aber die Prinzessin hatte heute mehrmals gesagt, dass es stachelig und kratzig sei. Außerdem musste sie sich oft die klebrigen Hände waschen. Und deshalb durfte das Einhorn auch nicht - wie gewohnt - neben ihr auf dem Kopfkissen liegen.
    Leise seufzte es und musterte die im Kerzenlicht glänzenden Hufe. Dann rieb es sein weiches Maul am bunten Fell und - zuckte zurück. Kratzig war es wirklich, bunt, aber kratzig. Die Prinzessin hatte Recht. Und zum ersten Mal fragte es sich, ob es wirklich so bleiben wollte. Schön, ohne Zweifel, aber doch von allen tollen Dingen ausgeschlossen aus Sorge, dass die Schönheit verschwinden könnte. Und dieses Ausgeschlossensein machte ihm Angst. Die Freundschaft mit der Prinzessin war doch viel …
    Noch einmal seufzte es.
    „Prinzessin?“, wisperte es kaum hörbar.
    Die Prinzessin sah von ihrem Märchenbuch auf. „Was ist?“, fragte sie. „Wenn du jetzt noch einmal fragst, ob du auf mein Kissen darfst, werde ich ernstlich böse.“
    „Nein, nein“, wehrte das Einhorn hastig ab. „Ich wollte dich fragen, ob du … ob du mich bitte waschen kannst. Ich möchte wieder … weiß sein.“
    Erstaunt setzte sich die Prinzessin im Bett auf.
    „Warum denn?“, fragte sie verwundert. „Du hast doch endlich alles, was du wolltest, und du siehst genau so aus, wie du es dir gewünscht hast.“
    „Ja, so sehe ich aus“, bestätigte das Einhorn. „Aber ich kann nicht mehr bei allem dabeisein, weil ich ständig Angst habe, mich schmutzig zu machen, nass zu werden oder meine Hufe zu zerkratzen. Und ich habe nicht alles, was ich wollte. Ich glaube, ich … ich habe durch meine dummen Wünsche unsere Freundschaft in Gefahr gebracht. Und das will ich wieder rückgängig machen. Ich will wieder gerne von dir getragen werden, mit den Hunden im Gras liegen und auf deinem Kopfkissen schlafen. Also, wie ist es: Würdest du mich bitte sauberwaschen?“
    Die Prinzessin legte die Stirn in Falten. „Aber was, wenn dabei deine Hufe Kratzer bekommen?“
    Das Einhorn lachte. „Wer braucht schon goldene Hufe!“, rief es laut.
    Da lachte die Prinzessin mit, stand auf und brachte ihren besten Freund ins Bad. Und weil sie sich beim Waschen des Einhornes mit nassspritzte, hatten sie an dem Abend so viel Spaß wie an den beiden letzten Tagen nicht.
    Und obwohl das Einhorn wegen des klatschnassen Fells die Nacht in der Badewanne zubringen musste, war es so glücklich wie lange nicht mehr.


    - Ende -

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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    Einmal editiert, zuletzt von Tariq (20. Februar 2024 um 17:45)

  • Hallo liebe Tariq

    da ich vergessen hatte diesen Thread zu abonnieren wurde er mir gar nicht angezeigt. Auch nicht in den "ungelesenen Beiträgen" ... (?) Naja. Nun habe ich ihn ja doch wiedergefunden.

    Es ist eine sehr schöne Geschichte geworden. Bei "Einhorn" hatte ich tatsächlich direkt gedacht dass es sicherlich eine Fantasygeschichte wird und war dann überrascht dass du sie (mehr oder weniger) in der realen Welt platziert hast. Mir gefällt sehr gut dass du da ein paar praktische Sachen einbaust die für eine kleine Leserin sicherlich einen Lerneffekt haben (Das Färben mit Streuseln und das Auftragen von Blattgold) und die du auf eine Weise erklärst dass man es sich gut vorstellen kann. Ich hatte da ganz spannende Bilder vor Augen.

    Und natürlich die Moral von der Geschichte dass der Wunsch nach Schönheit manchmal auch Quälerei mit sich bringt (ich denke da immer an Stöckelschuhe mit denen ich bis heute nicht laufen kann und die ich mir daher nur in Notfällen antue z.B. zur Hochzeit meiner Tochter. Denke noch mit Grausen an die hundert Meter Wegstrecke die ich da zurücklegen musste.)

    Mir gefällt auch der wichtigere Punkt dass für eine echte Freundschaft andere Dinge wichtig sind als die äußerliche Schönheit. Das hast du sehr bildhaft und klar dargestellt.

    Zwischendurch bringst du ein paar sehr gute kindgerechte Dialoge zwischen der Prinzessin und ihrem Einhorn und auch der Umgebung. Die zeigen die Persönlichkeit der beiden und wie sie mit Hindernissen umgehen und die machen auch Spaß für die Leserin.

    Eine sehr schöne Geschichte die ich auch meinen Enkelkindern vorlesen würde. (Das Mädel ist allerdings noch zu klein).<3

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Vielen lieben Dank fürs Lesen, liebe Kirisha, schön, dass es dir gefallen hat.

    Jaaaaaa, das einzige Fantasy-Element ist das sprechende Einhorn, da hast du natürlich Recht. :jennagorn:Das Schreiben hat mir Spaß gemacht und da die Geschichte etwas länger geworden ist als eigentlich geplant (wegen der Moral ^^ ), ist daraus eine kleine Tages-Challenge geworden. Und die Kids hatten jeden Abend ein Stück zum Vorlesen.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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    Einmal editiert, zuletzt von Tariq (26. März 2024 um 14:59)

  • Eins wollte ich noch kurz einfügen. In einer kurzen Episode fragt die Prinzessin ihr Einhorn ob es nicht etwas vergessen hat und das Einhorn versteht nicht worauf sie hinaus will.

    Diese Passage fand ich sehr gut weil ich mir denke dass die kleine Leserin das sofort versteht weil sie sicher selbst schon oft diese Frage gehört hat und weiß worauf sie abzielt. Durch diese indirekte Formulierung bekommt die Leserin das Gefühl dass sie schlauer ist als das Einhorn und ich denke mir dass das Kind beim Lesen bestimmt dazwischenruft und sagt dass es weiß was gemeint ist. Sowas gefällt glaube ich Kindern extra gut. (und nebenbei ist es ja auch gut darauf hinzuweisen). Vielleicht kennst du die Bücher von Mamma Mu (die sind ja auch ins Deutsche übersetzt). Da passieren auch gerne zwischendurch Dinge die man nur durch die Zeichnungen indirekt erraten kann aber die die Figuren im Text nicht thematisieren. Ich denke das macht den Kindern auch viel Spaß.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Diese Passage fand ich sehr gut weil ich mir denke dass die kleine Leserin das sofort versteht weil sie sicher selbst schon oft diese Frage gehört hat und weiß worauf sie abzielt. Durch diese indirekte Formulierung bekommt die Leserin das Gefühl dass sie schlauer ist als das Einhorn und ich denke mir dass das Kind beim Lesen bestimmt dazwischenruft und sagt dass es weiß was gemeint ist.

    Das weiß ich nicht, aber ja, das könnte durchaus so gewesen sein ^^ . Muss ich mal fragen, ich hab ja nicht selbst vorgelesen. :D

    Vielleicht kennst du die Bücher von Mamma Mu (die sind ja auch ins Deutsche übersetzt). Da passieren auch gerne zwischendurch Dinge die man nur durch die Zeichnungen indirekt erraten kann aber die die Figuren im Text nicht thematisieren. Ich denke das macht den Kindern auch viel Spaß.

    Nein, die kenn ich nicht. :hmm: Muss ich meine Tochter mal danach fragen.

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    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
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    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Findus und Pettersson kennt sie aber bestimmt.

    Ja, die auf jeden Fall. ^^

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    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
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    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Für den König

    (Schreibwettbererb Januar/Februar 2024: "Für den König")

    Die eisigen Finger der Kälte stachen bei jedem Atemzug in die Brust des Jungen. Aber das unerbittliche Toben des Sturmes machte nicht nur das Atmen schwer. Mit der fast tauben Linken umklammerte Virgas den Saum seines Umhangs und hob den Arm, um sein Gesicht so vor den Eisnadeln zu schützen. Er hatte das Zeitgefühl längst verloren, stolperte durch die Nacht, folgte den Fußstapfen im knietiefen Schnee. Die wirbelnden Flocken nahmen Virgas fast die Sicht und er konzentrierte sich allein darauf, den Schlitten und die Silhouette des Mannes, der ihn zog, nicht aus den Augen zu verlieren. Es gab kein Mondlicht und weder er noch sein Vater hatten eine Hand frei für eine Fackel, die bei diesem Sturm sowieso nicht brennen würde.

    Ohne Pause stapften sie voran. Es gab keine Straße, aber der Vater schien den Weg zu kennen. Seine dunkle Gestalt war kaum noch zu sehen und Virgas wäre fast über den Schlitten gestolpert, als der plötzlich anhielt.

    „Wir übernachten hier“, hörte Virgas seinen Vater sagen. „Dort drüben, bei den Bäumen.“

    Ohne auf eine Antwort zu warten, zwängte sich der Mann mit dem Schlitten zwischen den tief herabhängenden Zweigen durch. Virgas folgte.

    Die Stelle war gut gewählt. Weil die Äste der Nadelbäume hier so dicht wuchsen, erreichte der Schnee den Boden nicht.

    Virgas hauchte in seine Hände, doch er beklagte sich nicht. Er war zwölf, also bald ein Mann, und er würde nicht jammern wie ein kleines Kind. Ein verstohlener Blick zur Seite zeigte ihm, dass der graue Bart seines Vaters gefroren war. Schneeflocken klebten in seinen schweißfeuchten Haaren und den buschigen Augenbrauen.

    Noch immer wusste der Junge nicht, warum er mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt worden war. Sein Vater hatte ihm befohlen, alles anzuziehen, was er besaß. Virgas war der Aufforderung ohne Murren oder Fragen gefolgt. Fador Schmied war kein Freund großer Worte, das wusste der Junge, aber er hätte doch gern erfahren, warum sie den ganzen Tag schon in eisiger Kälte durch die Wildnis stapften und wohin ihre Reise ging. Was ihn am meisten wunderte: Der Vater hatte sein Werkzeug diesmal nicht mitgenommen. Wann immer man ihn als Schmied an einem anderen Ort brauchte, packte er alles ein, was er dafür benötigte. Doch heute trug der kleine Schlitten nur Decken und Felle, einen Kochkessel, zwei Schinken und zwei Brote.

    Sein Vater räumte alle Sachen außer einer Decke ab. Die legte er auf die Holzstreben und wies Virgas mit einer Geste an, sich darauf niederzulassen.

    „Kein Feuer“, meinte er. „Sieh zu, dass du warm bleibst, vor allem deine Füße und Hände!“

    Virgas kroch tiefer in seinen Umhang und schlang die Arme um sich. „Wohin gehen wir?“

    „Gondred“, stieß sein Vater hervor. „Wir müssen nach Gondred.“

    Virgas riss die Augen auf. In die Hauptstadt des Nachbarreiches? Sie würden erst übermorgen oder noch später dort ankommen, wenn das Wetter so blieb. Als kleiner Junge hatte er seinen Vater schon einmal dorthin begleitet und mit offenem Mund über den geschäftigen Hafen und die auf einem Hügel thronende Burg gestaunt.

    „Warum nach Gondred?“, fragte er verständnislos. „Der Fürst des Landes hat seine Grenze zu unserem Reich befestigt und seine Armee aufgestockt.“

    „Aus gutem Grund.“ Sein Vater betrachtete ihn lange. „Du weißt vom Königsmord. Danach fürchtete jeder, der unseren guten König Menalos näher gekannt hatte, um sein Leben. Man raunte hinter vorgehaltener Hand, dass der Bruder des toten Königs nicht nur der Nachfolger, sondern auch dessen Mörder war. Der Fürst von Gondred, ein guter Freund von König Menalos, glaubt das ebenfalls. Deswegen ...“ Er hob hilflos die Hand. „Ich war Schmied am Hof unseres ehemaligen Königs“, fuhr er fort. „Wir sind gemeinsam aufgewachsen und auch später trotz des Standesunterschiedes Gefährten geblieben.“

    „Du hast den ermordeten König gekannt?“, stieß Virgas verblüfft hervor.

    Sein Vater nickte. „Als ich heiratete und auch Menalos sich eine Königin wählte, trennten sich unsere Wege. Ich ging fort von der Burg und weil drei Dörfer weiter ein Schmied fehlte, ließ ich mich mit meiner Dinah dort nieder.“

    Er nickte versonnen. Sein Gesicht war im Dunkeln nicht zu erkennen. Virgas wusste, seine Eltern hatten sich sehr geliebt und der Tod der Mutter vor zwei Jahren den Vater schwer getroffen.

    „Und warum sind wir jetzt auf der Flucht? Das sind wir doch, oder? Du hast dein Werkzeug nicht mitgenommen.“

    „Das sind wir, du hast Recht.“ Die Stimme des Vaters hatte sich verändert. Verhaltener Zorn bebte darin. „Die Königin und ihr kleiner Sohn wurden eines Morgens tot aufgefunden, man hat nie erfahren, woran sie gestorben sind. Und Margos, der neue König, ließ nach den Vertrauten und Freunden seines ermordeten Bruders fahnden. Es hat viele davon gegeben, weil Menalos ein Mann des Volkes gewesen war. Viele flohen nach Gondred, aber viele folgten ihrem König und Freund ins Grab. Ohne Anklage, ohne Gericht. Sie verschwanden einfach.“

    „Aber dich hat er nicht gefunden!“

    „Das dachte ich auch. Bis gestern Abend dieser Soldat bei uns auftauchte, weil sein Pferd ein Eisen verloren hatte. Es war schon spät, ich wollte erst gar nicht vor die Tür gehen. Wahrscheinlich habe ich deshalb auch vergessen, mir den Mann anzusehen, bevor ich mich ihm zeige. Du weißt, das tue ich sonst immer, aber gestern habe ich nicht drangedacht. Ich trat aus der Haustür und stand ihm gegenüber. Dem Stummen Sporek, einem treuen Gefolgsmann von König Margos. Er hat mich sofort erkannt, ich sah es an seinen Augen.“

    Virgas dämmerte, was der Grund ihres überstürzten Aufbruchs gewesen war, doch er sagte nichts.

    „Ich weiß, dass Margos noch heute Nacht von mir erfahren wird“, fuhr sein Vater fort. „Und dann ist mein Leben keinen Dreck mehr wert. Und deines auch nicht. Also habe ich die Esse gelöscht, sobald Sporek davongeritten war, das Nötigste auf den Schlitten gepackt und dich aus dem Bett geholt. Es tut mir leid, Virgas“, er hob den Kopf und sah den Jungen an, „dass du wegen mir dein Heim verloren hast. Wir werden versuchen, Gondred lebend zu erreichen, und nie nach Harasien zurückkehren.“

    „Denkst du, sie folgen uns?“

    „Ganz sicher. Margos hat Angst vor dem Volk. Deshalb merzt er alles aus, was seiner Herrschaft gefährlich werden könnte. Und alte Freunde seines Bruders stehen ganz oben auf der Liste. Ich glaube aber nicht, dass sie in der Nacht weitersuchen werden. Es hat fast ununterbrochen geschneit, unsere Spuren sind nicht mehr zu sehen. Außerdem gehört dieser Wald schon zu Gondred. Margos und seine Leute haben hier nichts verloren.“

    „Und wenn sie Hunde haben? Dann finden sie uns vielleicht doch.“ Verbissen bemühte sich Virgas, die Furcht aus seinen Worten herauszuhalten.

    „Ja, möglich.“ Ernst sah der Vater ihn an. „Aber ich hoffe, dass sie an der Grenze umgekehrt sind.“

    Sie richteten sich auf den Fellen ein Lager her und schliefen, unter den Decken eng aneinandergeschmiegt, ein paar Stunden. Kaum dämmerte der Tag, drängte der Vater zum Aufbruch. Virgas schob hastig ein Stück Brot in den Mund, dann folgte er wieder dem Schlitten.

    Am Mittag erreichten sie Gondred. Keine Reiter waren aufgetaucht, keine Hunde hatten sie mit ihrem Bellen angetrieben.

    Das Stadttor war weit geöffnet, doch die doppelte Wache auf beiden Seiten verriet, dass der Fürst wachsam war. Virgas‘ Vater trat an einen der Posten heran. Der Mann hob misstrauisch eine Augenbraue.

    „Was wollt ihr?“, fragte er.

    „Ich muss zum Kommandant“, erklärte der Vater zu Virgas größtem Erstaunen. „Er kennt mich.“

    „Wie ist dein Name?“

    „Ich bin Fador, der Schmied.“

    „Warte hier!“

    Der Soldat verschwand und kehrte kurz darauf mit seinem Vorgesetzten zurück.

    „Fador Schmied!“

    Erstaunt sah Virgas, wie der Offizier seinen Vater lachend umarmte. „Wie viele Jahre ist es her?“

    „Später, Freund“, gab der ernst zurück. „Bring mich zuerst zu deinem Fürsten. Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn.“

    Während sich Virgas noch fassungslos fragte, wieso sein Vater einen Offizier der Gondreder Stadtwache ‚Freund‘ nannte und was wohl diese wichtige Nachricht war, wurden sie zur Burg geleitet. Man ließ sie überall durch und bevor sich der Junge versah, machte er an der Seite seines Vaters einen tiefen Diener vor dem Herrscher des gondrischen Fürstentums.

    „Von wem kommt deine Botschaft, Schmied, und wie lautet sie?“, hörte er den Fürsten fragen.

    „Sie kommt vom ehemaligen Hofmagier des ermordeten Königs Menalos von Harasien und sie hat keinen Wortlaut, sondern ist eine Person.“ Er nahm Virgas am Arm und schob ihn nach vorn. „Ich bringe euch Prinz Rilko, Sohn von König Menalos und Königin Yania und Thronerbe von Harasien.“

    Der Fürst stand auf, kam näher und musterte Virgas eingehend, der vor Schreck wie erstarrt war.

    „Prinz Rilko war aschblond und ihm fehlte der rechte kleine Finger“, entgegnete der Herrscher von Gondred. „Dieser Junge hat zehn Finger und rabenschwarzes Haar!“

    „Ich weiß.“ Fador Schmied senkte den Kopf. „Der Hofmagier brachte ihn in der Nacht des Königsmords zu mir. Er hatte einen Zauber über ihn gelegt, der sein Äußeres veränderte. Prinz Rilko wurde zu Virgas Schmiedsohn. Das war das Letzte, was dieser Mann und ich für unseren König tun konnten: seinen Sohn beschützen. Und das haben wir getan. Aber jetzt ist er bei mir nicht mehr sicher und ich vertraue ihn Eurer Obhut an.“

    Unter seinem Kittel zog Fador eine kostbare, goldverzierte Schwertscheide hervor, die Virgas nie gesehen hatte.

    „Nehmt das Schwert, Prinz Rilko“, bat er und verbeugte sich dabei. „Es gehörte dem ermordeten König, Eurem Vater, und es wird beweisen, dass Ihr sein Erbe seid.“

    Zögernd streckte Virgas die Hand aus. Kaum hatten seine Finger das Schwert berührt, spürte er, wie ein Prickeln seinen Körper erfasste. Die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf und als er beide Hände um den mit Edelsteinen besetzten Griff des Königsschwerts schloss, rann ein Schauer seinen Rücken herab.

    Er hörte, wie alle Umstehenden scharf die Luft einsogen. Gemurmel setzte ein und dem Fürsten entfuhr ein überraschter Laut.

    Virgas drehte sich langsam um und starrte mit weit aufgerissenen Augen in den Spiegel, der an der Wand zwischen zwei Fenstern hing. Ein unbekannter Junge sah ihm daraus entgegen, mit fremdem Gesicht und mit aschblonden Haaren ...

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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    Einmal editiert, zuletzt von Tariq (7. März 2024 um 19:43)

  • Eine Standup-Geschichte, die auf einer langen Autofahrt während des Erzählens erfunden wurde, um vier mega gelangweilte Kinder ein bisschen zu unterhalten.

    Triggerwarnung: Fäkalsprache, Alkohol :blush:

    Die Bierflasche

    In einem Papierkorb am Rande des Stadtparks lag eine halb leere Bierflasche. Sie teilte sich den Platz mit einem benutzten Papiertaschentuch, einer leeren Pommestüte und zwei Zigarettenstummeln.
    Weil sie neu war in dieser Wohngemeinschaft, wollte sie wissen, wie die anderen ihr Dasein fristeten.
    „Ich bin ganz zufrieden“, seufzte die leere Pommestüte und klang alles andere als zufrieden. „Es gibt hier ein Eichhörnchen im Park, das besucht uns in der Nacht immer.“
    „Ein Eichhörnchen?“, fragte die Bierflasche interessiert. „Was macht es denn, wenn es euch besucht?“
    „Es ... leckt mich ab“, zischte die leere Pommestüte wütend. „Und das kitzelt!“
    „Ah ja“, bemerkte die Bierflasche. „Und bei euch so?“, wollte sie von den anderen wissen.
    „Uns hat es angeknabbert und dann wieder ausgespuckt“, entrüstete sich einer der beiden Zigarettenstummel.
    „Genau, ausgespuckt!“, flüsterte der zweite empört.
    Die Bierflasche nickte verständnisvoll. „Und bei dir?“
    Das Papiertaschentuch schien erst gar nicht antworten zu wollen. Es rollte sich zu einem festen Ball zusammen und färbte sich einen Hauch rosa.
    „Auf mich hat es gekackt“, gestand es beschämt.
    Die Bierflasche klapperte betroffen. Sie konnte nachvollziehen, dass das Taschentuch nicht weiter darüber reden wollte.
    „Das ist natürlich nicht schön“, meinte sie mitfühlend. „Aber wenn euch das alles nicht gefällt – warum wehrt ihr euch nicht?“
    „Naja“, murmelte die Pommestüte verlegen. „Was sollen wir denn machen? Das ist ein starkes Tier!“
    „Ich hätte da schon eine Idee“, gab die Bierflasche zurück. „Mal sehen, ob das funktioniert. Rutscht mal ein wenig zusammen. Ich muss mich hinlegen.“

    Die Nacht kam und mit ihr das neugierige Eichhörnchen. Wie schon beim vorherigen Besuch leckte es an der leeren Pommestüte, schnüffelte diesmal nur kurz am Papiertaschentuch, knabberte wieder an einem der beiden Zigarettenstummel und spuckte knurrend Tabakfitzelchen aus. Dann entdeckte es die Bierflasche.

    Am Morgen lagen in einem Papierkorb am Rande des Stadtparks eine leere Bierflasche, ein benutztes Papiertaschentuch, eine leere Pommestüte, zwei Zigarettenstummeln und ein betrunkenes Eichhörnchen.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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