Ein Junge steht von den Toten wieder auf, ein Müllwerker entdeckt Körper mit abgeschnittenen Köpfen, ein Mann stürzt in einen Schacht und entdeckt einen Schatz, ein grünes Ei fährt in den Himmel auf – es geschehen seltsame Dinge in und um das beschauliche Städtchen Lunenborg. Und dann gibt es auch noch einen Kampf, einen Kampf mit unerhörten, auf der Erde noch nie da gewesenen Mitteln...
Brain War – Der Krieg der Hirne
Ein Fortsetzungsroman
Erster Teil: Hasetépeté
1
Der Jogger bog das Gebüsch auseinander, um besser sehen zu können. Deutlich erkannte er zwei Füße, die aus dem Schilf ragten. Er zog sein Handy hervor und alarmierte den Rettungsdienst und die Polizei.
Man schrieb Mittwoch, den 6. April. Über dem Kalkbergsee lag eine bleigraue Wolkendecke. Zeit: 8 Uhr 27. Temperatur: Luft 12, Wasser: 6 Grad Celsius.
Der Rettungsdienst traf noch vor der Kriminalpolizei ein und holte den leblosen Körper aus dem Röhricht. Sofort begannen zwei Sanitäter mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Doch ihre Bemühungen waren vergeblich; der Patient zeigte auch nach Gabe fließenden Sauerstoffs und intensiver Herzdruckmassage weder Atmung noch Puls, und da er völlig unterkühlt war, ging der Notarzt davon aus, dass bei dem Knaben, den er trotz seiner außergewöhnlichen Größe auf etwa zwölf Jahre schätzte, jede Hilfe zu spät kam.
Der Junge wurde in den Rettungswagen gelegt und sicherheitshalber zwecks weiterer Untersuchungen ins städtische Klinikum gebracht, das bereits verständigt worden war.
Der Wagen fuhr an die Rampe, Türen öffneten sich, die Arzthelfer stiegen ein –
„Ich denk´ der is daut“, sagte der eine, über die Bahre gebeugt. Er kratzte sich am Kopf. „Issa dat?“, fragte er den Sanitäter, der gerade hinter dem Wagen erschien. Der warf einen Blick hinein und sagte: „Ja, dat issa.“
Der angeblich tote Junge blickte die beiden Männer mit großen, verängstigten Augen an.
Einen Augenblick geschah nichts; zu groß war das Erstaunen. Dann zogen die Helfer die Bahre mit dem Jungen eilig aus dem Wagen und schoben sie und in die Notaufnahme.
Die Nachricht von dem Wiederauferstehungswunder verbreitete sich mit Windeseile unter dem Klinikpersonal. Sofort waren Ärzte und Krankenschwestern zur Stelle - soweit sie gerade abkömmlich waren -, die den Knaben anstaunten und versuchten, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Doch der reagierte weder auf Ansprache noch auf Gesten. Er lag stumm da, sein Blick war auf einen imaginären Punkt in weiter Ferne gerichtet. Schließlich gelang es einer Ärztin, beruhigende Worte murmelnd, ihn vorsichtig zu untersuchen. Zu ihrer großen Überraschung stellte sie fest, dass der Patient weder Puls noch Atmung zeigte. Trotzdem schien sein Zustand stabil, und jetzt nahm der Knabe sogar den Blick zurück und schaute die Ärztin mit großen, staunenden Augen an.
Die Ärztin wandte sich zu ihrem Kollegen um und schüttelte leicht den Kopf. „Das verstehe ich nicht“, murmelte sie.
In der Annahme, er müsse hungrig sein, setzte man dem Knaben den Mittagstisch vor. Doch er machte keinerlei Anstalten, zu Messer und Gabel zu greifen, es hatte sogar den Anschein, als rümpfe er angeekelt die Nase. Auch die Essenspantomime, die Schwester Maria zum Gaudi der Anwesenden aufführte, blieb ohne Erfolg. Der Teller wurde wieder weggestellt, und da der Zustand des Knaben weiterhin stabil schien, brachte man ihn zur weiteren Untersuchung in die Orthopädie.
2
Im Untersuchungszimmer des Dr. Bernhard waren, von der seltsamen Nachricht angelockt, auch einige fachfremde Kollegen anwesend. Als der Patient hereingeschoben wurde, verstummte das Geraune, und alle Augen richteten sich auf den Ankömmling. Eine Krankenschwester entblößte seinen Oberkörper. Zum Vorschein kamen eine schmale, weiße Brust ohne Grube, und auffällig runde Schultern. Sofort fiel das Fehlen von Rippen und Brustwarzen auf, das einige der anwesenden Mediziner zunächst als klassische Athelie, eine seltene Fehlbildung beim Mann, deuteten. Dr. Bernhard sah sofort, dass er nicht den Oberkörper eines normalen zwölfjährigen Jungen vor sich hatte. Er drückte die Haut an mehreren Stellen leicht ein. Dann umfasste er einen Ellenbogen und bewegte den Unterarm mehrmals hin und her. Je länger Dr. Bernhard untersuchte, desto öfter schüttelte er den Kopf. Schließlich gab er der Schwester das Zeichen, den Knaben wieder anzuziehen. Als er sich zu den Kollegen umdrehte, lag auf seinem Gesicht der Ausdruck allerhöchsten Erstaunens.
„Meine Damen und Herren“, sagte er, „der Patient besitzt anscheinend keine Knochen. Ich frage mich, ob er bei seiner Größe überhaupt gehen kann.“
Der Knabe hatte die Untersuchung stillschweigend über sich ergehen lassen. In seinem Blick lag das Erstaunen eines Menschen, der zum ersten Mal die Sonne erblickt. Doch jetzt zeigte er Anzeichen totaler Erschöpfung, und er wurde wieder zurück in die Notaufnahme gebracht. Dort hielt man ihm sämtliche Nahrungsmittel unter die Nase, welche die Klinikküche zu bieten hatte, doch er reagierte nicht. Allerdings gelang es einer Schwester, ihm etwas Wasser einzuflößen, woraufhin er sich leicht erholte.
Man war ratlos. Wovon ernährte sich das seltsame Wesen? Höchste Eile war geboten, denn der Junge verfiel immer mehr. Er lag mit geschlossenen Augen auf der Liege, völlig leblos, ohne das geringste Lebenszeichen. Es war nicht festzustellen, ob er überhaupt noch lebte oder schon tot war, denn Puls und Atmung hatte er bisher ohnehin nicht gezeigt.
In aller Eile wurde eine Infusion vorbereitet, doch es zeigte sich, dass der Patient keinen Blutkreislauf besaß.
Dr. Bernhard starrte auf dem reglos Daliegenden. Es war unfassbar. Der Körperbau des Jungen widersprach so gründlich den Regeln der menschlichen Anatomie, dass er auf die Idee kam, ein Wesen von einem anderen Stern vor sich zu haben.
Diese Erkenntnis, laut gedacht, stachelte die Suche nach einem geeigneten Nahrungsmittel weiter an und erhitzte die Gemüter. Allen war klar: Das seltsame Wesen durfte auf keinen Fall sterben, denn der Menschheit bot sich jetzt, wenn die Vermutung des Kollegen stimmte – und dafür sprach einiges – die Möglichkeit, zum ersten Mal mit einem Außerirdischen zu kommunizieren. Zu groß war der Erkenntnisgewinn, den sich die Wissenschaften davon erhoffen durften – abgesehen von den Doktorhüten, die dabei zu gewinnen waren.
Aber auch der hinzugezogene Ernährungsexperte wusste keinen Rat. Er zuckte mit den Schultern. Einen solchen Fall von Nahrungsverweigerung habe er, abgesehen bei einigen Hungerstreikenden, noch nicht erlebt. Er schlug eine Zwangsernährung vor, doch die Frage nach dem Womit und Wie ließ er unbeantwortet.
Der Knabe lag nach wie vor unverändert mit halb geschlossenen Augen auf der Liege. Er sah nicht schlechter, aber auch nicht besser aus als vor zwei Stunden, als man ihn aus dem Schilf gezogen hatte. Ja, jemand äußerte sogar die Vermutung, er sehe aus, als könne er noch stunden-, wenn nicht sogar noch tagelang in diesen Zustand verharren, ohne zu verhungern.
„Ich würde noch einen Schritt weitergehen“, meinte jemand. „Er sieht aus, als könne er noch nicht einmal sterben.“
Doch man wollte es nicht darauf ankommen lassen und suchte händeringend nach eine geeigneten Nahrung. Einer der Anwesenden, die um die Liegestatt herumstanden, ein angesehener Physiologe, bemerkte, wenn der Knabe keine Atembewegungen zeige hieße das nicht automatisch, dass er keinen Stoffumsatz habe, denn irgendwoher müsse ja allein seine Bewegungsenergie kommen.
„Herr Kollege, Sie denken da an eine anaerobe Verdauung“, fragte jemand, „an eine Art alkoholische Gärung?“
„Nicht unbedingt. Dann müssten Gärgeräusche zu hören sein.“
Sofort horchte die Ärztin, die den Knaben untersucht hatte, seinen Leib ab. Dann drehte sie sich um und verkündete: „Nichts. Absolut ruhig!“
Doch jetzt geschah etwas Überraschendes. Schwester Maria war an die Liege getreten und tätschelte dem Knaben die Wange. Plötzlich drehte der den Kopf und begann, an Marias Hand zu lecken.
In das erstaunte Schweigen hinein rief die Schwester: „Das ist es! Er leckt Salz!“
Sofort wurde ein Pfleger zu Klinikapotheke geschickt, der nach wenigen Minuten mit mehreren Päckchen reinstem Steinsalzes zurück kam. Man löste etwas davon in warmem Wasser auf und benetzte mit der Salzlösung die Lippen des Knaben.
Im Saal herrschte knisternde Stille. Alle blickten erwartungsvoll auf das Gesicht des Jungen.
Zunächst erfolgte keine Reaktion.
Doch dann –
„Da! Das Jungche leckt sich die Lippen“, flüsterte Schwester Maria andächtig.
„Das heißt, er will mehr haben“, raunte eine andere.
Schwester Maria griff beherzt zu und richtete den Knaben auf, ihre Kollegin hielt ihm das Glas an die Lippen: Er trank, erst zögerlich, dann in vollen Zügen.
Ein hörbares Aufatmen ging durch den Saal. Jemand machte den Anfang, und schließlich klatschten alle.
Der berühmte Physiologe blickte betreten zur Seite. An alles hatte er gedacht, nur nicht an schnödes Salz.
*
Nachdem sich der Knabe wieder erholt hatte, versuchte man behutsam, ihn auszufragen, wie er hieße, wo er wohne, wie es zu dem Unfall auf dem Teich gekommen sei. Doch es erwies sich, dass er weder die Landessprache noch eine andere der geläufigen Verkehrssprachen verstand. Ein zufällig in der Klinik als Patient anwesender Sprachwissenschaftler versuchte es in weiteren, zum Teil exotischen Idiomen – vergeblich, aus dem Jungen war kein Wort herauszubringen.
Da trat eine Krankenschwester hervor, stellte sich vor die Liege, wies mit dem Zeigefinger auf ihren üppigen Busen und sagte mehrmals laut und deutlich: „Ich – Maria – ich – Maria.“
Der Knabe lächelte, wies seinerseits mit dem Finger auf sich und sagte mit hoher, gläserner Stimme: „Hasetépeté – Hasetépeté.“
3
Die Meldung von dem außerirdischen Jungen, der sich von Steinsalz ernährt, verbreitete sich mit Windeseile über den gesamten Globus. Da die Öffentlichkeit schon zu häufig auf Fake-News hereingefallen war, hielten sich die Reaktionen zunächst in Grenzen. Als dann jedoch die Klinik die Existenz eines jungen Patienten bestätigte, dessen Körperbau von dem eines Menschen stark abwiche, brach ein regelrechtes Twitter-Gewitter los. Die sozialen Medien überschlugen sich mit Meldungen von unbekannten Flugobjekten, die man hier und da in dieser Mittwochnacht gesehen haben wollte. Einige Bewohner der Gegend um den Kalkbergsee schworen, kurz nach Mitternacht ein Ufo gesehen zu haben, das einige Zeit über dem See schwebte. Doch eine Auskunft, welche der 'Landesbote' in gewohnt gründlicher Recherche beim Wetteramt einholte ergab, dass es sich dabei um ein rundes Wolkengebilde gehandelt habe, das sich wenig später auflöste, ein für diese Jahreszeit und Wetterlage zwar ungewöhnliches, aber doch keineswegs übernatürliches Phänomen. Gleichwohl, die Leute blieben dabei: Ein Ufo habe den Knaben verloren, und der sei glücklicherweise in den Kalkbergsee gefallen, ohne Schaden zu nehmen.
*
Hasi, wie Hasetépeté jetzt liebevoll genannt wurde, erholte sich zusehends, und nach drei Tagen war er soweit, dass man an seine Entlassung denken konnte. Doch wohin? Und: Wer würde die Kosten übernehmen? Konnte er Gasteltern zugemutet werden, jetzt, wo er noch kein Wort verstand? Wie würde er sich entwickeln? Vielleicht zu einem Cyber-Monster? Da hatte man schon die erstaunlichsten Dinge erlebt!
Da kam jemand auf die nützliche Idee, doch erst einmal, bevor man sich weiter den Kopf zerbreche, Hasis ausländerrechtlichen Status feststellen zu lassen. Schwester Maria rief in ihrer Mittagspause in der Bundesanstalt für Ausländer und Migration, kurz BaMf, an und schilderte den Fall.
Die Sachbearbeiterin, nachdem sie eine Weile still nachgedacht hatte, meinte, bei der Person handele es sich ihrer Einschätzung nach um einen umF, der unter dem –
„Um einen was?“, unterbrach Schwerster Maria verdutzt.
„– um einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling aus einem Nicht-EU-Staat“, fuhr die Dame, offenbar über so viel Unwissenheit verärgert, mit spitzer Stimme fort. Damit stehe er unter dem Schutz der UN-Kinderrechts-Konvention von 1989, so die Dame weiter, und habe Anspruch auf angemessene Unterbringung und, da er schulpflichtig sei, auf geeignete Beschulung. Sie empfahl, als nächsten Schritt die LSB, die Landesschulbehörde, zu informieren zwecks Erstellung eines Förderbedarfsgutachtens. Ob es sich um den Jungen handele, von dem alle Welt rede, fragte sie noch. Schwester Maria bejahte. Dann sei ja wohl eine Familienzusammenführung schlecht möglich, ließ sich die Dame vernehmen, und es müsse schleunigst ein amtlicher Betreuer bestellt werden.
Die Landesschulbehörde wurde in Kenntnis gesetzt, und einige Tage später erschienen eine Dame und ein Herr, die sich als Mitglieder der Förderkommission auswiesen. Sie legten dem umF vom Ufo, wie Hasetépeté von der Boulevardpresse jetzt genannt wurde, mehrere Intelligenztests vor und schieden mit dem Eindruck, einen vollständigen Idioten vor sich zu haben. Deshalb regten sie seine Unterbringung in einer speziellen Einrichtung des Roten Kreuzes für betreutes Wohnen an.
Als Schwester Maria dies erfuhr, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und rief: „Nur über meine Leiche! Ich lasse das Jungche doch nicht mit Drogensüchtigen und Essgestörten zusammen in einen Raum! Ach, das arme Jungche!“
Nun, soweit war es noch nicht, die Verfahren benötigten Zeit und zogen sich hin. Hasi logierte weiterhin in seinem Zimmer im Klinikum, von Schwester Maria, die ihn mittlerweile in ihr weites Herz geschlossen hatte, treu umsorgt. Sie war auch die einzige Person, die er näher an sich heran ließ. Ansonsten wirkte er scheu und in sich gekehrt. Seine Zeit verbrachte er mit wenigen Unterbrechungen auf der Liege, Tag und Nacht mit halb geschlossenen Augen vor sich hindösend. Den üblichen Zeitvertreib von Knaben seines Alters verschmähte er. Auch die Bilderbücher und Comics aus den Wartezimmern, die ihm die Schwester ab und zu brachte, ließ er verächtlich links liegen.
Es schien tatsächlich, als habe er keinerlei geistige Interessen.
Da kam dem Sprachwissenschaftler, dessen Genesung nur sehr langsam voranschritt, nach durchwachter Nacht eine bizarre Idee. Wenn Hasis Herkunft außerirdischer Natur ist – und daran besteht nach den Röntgenbildern kein Zweifel –, grübelte er morgens um vier, dann besitzt er möglicherweise auch eine Intelligenz, die sich nicht nach irdischen Maßstäben beurteilen lässt. Vielleicht sei dieser angebliche Idiot ja gar kein Idiot, sondern ein Wesen mit uraltem, unbekanntem Wissen.
Wie elektrisiert fuhr er hoch.
Die Idee war zwar fantastisch, aber auch zu verlockend, um nicht sofort in die Tat umgesetzt zu werden. Er schrieb seiner Frau eine Mail, sie möge ihm doch noch heute das Heft mit dem Stein von Trouette vorbeibringen.
Hoffnungsvoll, fast beglückt, ließ er sich wieder zurück in die Kissen sinken. Vergeblich versuchte er, die Siegesfantasien, die jetzt auf ihn einstürmten, als verfrüht zurückzuweisen. Schließlich erlag er und gab sich ihnen genüsslich hin. Wie oft hatte er davon geträumt, die geheimnisvollen Schriftzeichen entziffert zu haben und unsterblichen Ruhm zu ernten. Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland hatten es versucht und sich daran erfolglos die Zähne ausgebissen... Schon sah er sich mit bescheidenem Lächeln die Glückwünsche der Kolleginnen und Kollegen entgegennehmen, sah seine Frau, wie sie ihn vor allen Leuten umarmte und einen Kuss auf die hohe Denkerstirn drückte, sah andere, auch neidische Blicke, sah das Blitzlichtgewitter der Fotografen... Vor seinem inneren Auge tauchten die dicken schwarzen Headlines der Boulevardpresse auf... Vor allem aber sah er die Überschrift in 'Science of Europe': „Rätsel um Stein von Trouette endlich gelöst!“ Darunter ein Bild des Steins, daneben SEIN Foto, und dann ein langer Artikel... Es wäre die Krönung seiner Karriere gewesen.
Schließlich schlief er ein, ermüdet von so viel berauschender Perspektive.
*
Nachdem seine Frau wieder gegangen war, ließ der Professor Schwester Maria kommen und bat sie, das Heft mit der Abbildung des Steins offen auf Hasis Tisch zu legen und, wenn möglich, unauffällig seine Reaktion zu beobachten. Schon nach wenigen Minuten kehrte sie aufgeregt zurück und berichtete, Hasi sei, kaum dass er das Foto gesehen habe, in helles Entzücken ausgebrochen und habe in seiner Sprache geredet. Dabei habe er das Heft interessiert durchgeblättert, sei aber immer wieder zur Seite mit dem Stein zurückgekehrt. Dann sei er auf einmal aufgesprungen, habe in der Kiste mit den Spielsachen gewühlt, einen Esel und eine Barbiepuppe herausgenommen und neben das Heft auf den Tisch gestellt. Dabei habe er aufgeregt auf zwei Zeichen auf dem Stein gedeutet. „Er hat die Zeichen für Pferd und Jungfrau erkannt“, rief sie überglücklich, „also ist er alles andere als ein Idiot, der Gutste!“
Der Professor lächelte süß-sauer. Diese Erkenntnis hätte er gerne selber verkündet. „Ob er geistig normal ist, dazu erlaube ich mir noch kein Urteil“, sagte er schmallippig. „Wir müssen erst sein kognitives Potential erkunden. Sagen Sie“ – er blickte die Schwester ernst an – „haben Sie sonst noch jemanden von dieser... ähem... Entdeckung erzählt?“
„I woher denn! Ich bin doch sofort zu Ihnen gerannt!“
„Das ist gut so. Das Beste wird sein, es bleibt unter uns. Sowie die Presse davon erfährt, ist hier der Teufel los, und ich glaube nicht, dass Hasi dem Ansturm gewachsen sein wird, von der Klinik mal ganz abgesehen. Also, Schwester, kein Wort zu irgendjemanden! Alles andere überlassen Sie bitte mir.“
„Was haben Sie denn mit Hasi vor?“
„Ich weiß er noch nicht, denke aber –“
„Schwester Maria bitte sofort ins Schwesternzimmer!“ Die Stimme im Lautsprecher klang nicht sehr freundlich.
Forts. folgt