Der Klimawandel hat wohl auch den Big Apple erwischt, denn seit ich hier lebe - und ich kenne New York noch als Neu Amsterdam – kann ich mich an keinen so nasskalten Oktober erinnern. Natürlich spielte Kälte zu einem Großteil meiner Existenz keine nennenswerte Rolle und Regen war mir tagsüber sogar willkommen, sodass meine Erinnerungen womöglich nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen.
Nichts desto Trotz hatte ich nicht vor dieses Jahr meine Halloween-Show wegen des miesen Wetters ausfallen zu lassen oder gar meinem Publikum in der feuchten Kälte seine Halloweenstimmung vorzeitig zu verderben.
Daher war mein erster Gedanke mich an den Wettermagier meines Vertrauens zu wenden. Samuel, unser Teilzeitmitbewohner an der Kreuzung, wie unser kleines Anwesen offiziell heißt, erklärte mir leider, dass er für ein paar Minuten, vielleicht auch für eine Stunde das lokale Wetter bitten könnte mitzuspielen – seine Worte, nicht meine – aber der Boden im Park an meiner üblichen Stelle wäre dann immer noch durchnässt. Zudem würden andere lokale Entitäten – wieder seine Worte – womöglich uns ungewünschte Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Ich fand ja, dass ein einfaches Sorry-geht-nicht auch gereicht hätte. Magier eben.
Aber zum Glück bin ich nicht alleine. Vielmehr habe ich eine Partnerin, die beinahe noch mehr daran interessiert ist, unsre jährliche Halloweenparty auf keinen Fall ausfallen zu lassen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Ella schon nach zwei Tagen den perfekten Platz aufgetrieben hat.
Da stehen wir also nun, vor dieser Kirche aus dem vorvorigen Jahrhundert.
»Eine Kathedrale, echt jetzt?« Ich schaue meine Gefährtin zweifelnd an. Gut, das alte Gotteshaus mit seinen verspielten Türmen sieht schon irgendwie unheimlich aus, so wie es ganz ohne Beleuchtung irgendwo im Nirgendwo an der 10. Ecke 48. in der Nähe des Hell‘s Kitchen Park steht. Heutzutage sagt zwar kein New Yorker mehr Hells Kitchen sondern Clinton zu diesem Stadtteil, aber ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als hier sich irische Gangs ausgetobt haben. Mit Owney „The Killer“ Madden hatte ich Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhundert ein paar denkwürdige Begegnungen. Nun ja, das war natürlich alles, bevor die Fünf Familien der Cosa Nostra die Unterwelt übernahmen, aber ich schweife ab.
»Süße, eine Kathedrale ist es nur, wenn es ein Bischofssitz ist.« Ella nun wieder. Ist ja klar, dass meine belesene und zugegeben viel schlauere Freundin mal wieder zu meiner Bildung beitragen muss. Zum Glück habe ich die naturgegebene Gabe so etwas mit geradezu stoischer Gelassenheit hinzunehmen. Jedenfalls von Leuten, mit denen ich schlafe.
»Schön, lass es mich anders sagen: Eine Kathedrale, ECHT jetzt?«
Die blonde Magierin kichert und verdreht pflichtschuldig ihre Augen.
»Das ist die Saint Elise Church, die hat voll die gruselige Geschichte. Außerdem steht sie seit Jahren leer und …«, ich kann nur schmunzeln, wie begeistert sie ist, »… sie haben noch eine Orgel.«
Ich schaue sie einen Moment ratlos an.
»Eine Orgel, Sin. Eine echte Orgel! Du könntest diesmal jemand engagieren, der deine Geschichte mit Life-Musik untermalt. Wie cool ist das denn?«
Ich mustere sie einen Moment, wie so oft von ihren Ideen verblüfft, hingerissen von ihrem Enthusiasmus und ganz sicher verliebt. Wann immer ich mich frage, warum ich mir den ganzen sozialen Stress mit Leuten antue, muss ich nur in ihre leuchtenden Augen sehen. Ich selbst halte ja von dem ganzen Party-Kram nichts. Also fast nichts. Natürlich. Aber wenn es sie glücklich macht, dann will ich nicht so sein.
»Gehen wir mal rein und schauen, ob ich vorher noch ein paar Sachen machen lassen muss. Können wir die Kirche eigentlich mieten oder müssen wir sie kaufen?«
Hey, es ist unfair mich für verschwenderisch zu halten. Ich lebe sonst sehr schlicht und jammern nicht die ganzen Sozi, Polit und Ökonom … ologen darüber, dass es eines der großen Probleme der heutigen Zeit ist, dass so viel Geld ungenutzt auf irgendwelche Konten versauert?
Na also, ich tue etwas für Allgemeinheit.
Was ich nach Halloween mit einer Kirche anstelle? Ich habe keine Ahnung.
Aber Ella und ich besitzen unter anderem noch ein altes Theater, eine Sporthalle und einen stillgelegten U-Bahnhof. Keine Ahnung warum, aber wir haben offenbar beschlossen, die Örtlichkeiten zum Selbstkostenpreis an Vereine, Kunstveranstaltungen und Stiftungen zu vermieten.
Also wenn Ella diese Kirche kaufen will, meinetwegen.
»Und, schon eine Idee, welche Geschichte Du uns dieses Jahr erzählen wirst?« Ella grinst breit, doch ich gebe mich betont verschlossen.
»Ich habe da eine oder zwei Ideen.«
»Und?«
Ich öffne den einen Flügel des Kirchentors. Das Knarren der alten Scharniere klingt schon sehr vielversprechend.
»Erst einmal sehen, was der alte Bau so an Stimmung hergibt«, vertröste ich sie, aber in meinem Kopf nimmt die Show bereits Gestalt an.
Mist. Nun hat es mich doch erwischt: Ich bin in Halloweenstimmung.