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Kennt jemand noch "Reiter auf dem schwarzen Pferd" von Piers Anthony???
Durch den kam ich darauf, den Inkarnationen der Unsterblichkeit einfach mal eine Stimme zu geben. Die Story kommt in zwei Teilen hier an. Die sind zwar länger als sonst wohl üblich, aber es gibt meiner Meinung nach nur diese eine Stelle, an der überhaupt eine kurze Unterbrechung Sinn macht. Viel Spaß bis dahin. Leider habe ich irgendwas beim Format wohl nicht richtig gemacht. Sieht für mich jedenfalls irgendwie komisch aus. Sorry dafür...
Los geht's:
Tod und Phantasie
"Jetzt reicht's mir endgültig!" brüllte die Phantasie und schmetterte die Türe des Limbo auf, daß es nur so knallte.
Tod und Glaube, die am Stammtisch hinten in der Ecke saßen, fuhren erschrocken in die Höhe. Und auch der formlose Flecken Licht, der hinter der geschwungenen Theke des Limbo die Bestellungen aufnahm wurde bei dem Gelärme für einen kurzen Augenblick merklich kleiner.
Schnaubend durchquerte die Phantasie mit einigen langen Schritten die endlose Weite des Limbo und hieb krachend mit der Faust auf die Theke.
„Einen Doppelten!“ pfiff sie den Lichtfleck an, der sich beeilte, ihrem Wunsch nachzukommen. Mißbilligend blickte die Phantasie auf das kleine Glas, daß sich vor ihr auf dem polierten Holz der Theke manifestiert hatte.
„Nein!“ Sie fegte das Glas unwillig vom Tresen. „Gib mir einen Vierfachen!“
Ein etwas größeres Glas nahm Gestalt vor ihr an.
„Ach verflucht - gib mir einfach die ganze Flasche!“ schrie die Phantasie bei diesem unbefriedigenden Anblick.
Der Tod erhob sich und legte der Phantasie eine knochige Hand auf die Schulter.
„Seit wann hast du es denn nötig dich selbst anzuregen?“ fragte er in beruhigendem Ton, während die Phantasie am Verschluß der Flasche herumfummelte.
„Und warum, bitte schön, sollte ich das nicht tun?“ schnappte sie und starrte dem Tod böse ins Angesicht. Entnervt warf sie die Arme in die Luft.
„Anscheinend bin ich ja heutzutage völlig überflüssig. Die da draußen...“ ihr zitternder Zeigefinger wies auf die Tür des Limbo, hinter der sich die Außenwelt verbarg. „Die da draußen brauchen mich scheinbar nur noch, wenn mal wieder ein neuer Bestseller geschrieben werden muß! Oder ein neuer Kinohit fällig ist!“
Sie setzte die Flasche an den Mund und schüttete sich einen guten Teil des Inhaltes in die Kehle.
„Was du gerade tust, ist völlig phantasielos,“ stellte der Tod in seiner bedächtigen Art fest.
„Wie war das bitte???“ schnauzte die Phantasie und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, während sie dem Tod mit dem Finger vor'm Gesicht herumwedelte.
„Für solche Wortspielchen bin immer noch ich zuständig, damit-das-mal-klar-ist!“ Bei den letzten Worten stippte sie dem Tod heftig in die hohlen Rippen, setzte erneut die Flasche an und schielte leicht, als sie den Arm schließlich wieder sinken ließ. Der Tod warf einen befremdeten Blick zum Glauben hinüber, der sich bisher aus der ganzen Debatte herausgehalten hatte. Aus gewissen guten Gründen hielt er sich nach Möglichkeit von der Phantasie fern.
„Phantasielos, hat er gesagt,“ murmelte die Phantasie inzwischen einem imaginären Gegenüber zu und machte eine unbestimmte Handbewegung, bevor sie sich in Ermangelung einer Antwort wieder zum Tod herumdrehte.
„Willst du mal wissen, was phantasielos ist, du Gerippe?“ fragte sie ihn. Der Tod zuckte nur schweigend die Schultern.
„Willst du wissen, wo ich gerade herkomme?“ Abwesend starrte die Phantasie in die dunkle Flüssigkeit, die in der Flasche schwappte und gluckerte.
„Woher kommst du also gerade?“ fragte der Tod seufzend, der zwar für seine Geduld bekannt war, sich aber nicht gerne länger als nötig mit den Problemen anderer abgab.
„Von einem Künstler,“ sagte die Phantasie und starrte erneut abwesend in die Flasche. Dann trank sie den Rest aus und knallte das leere Gefäß auf die Theke.
„Ein Künstler, daß ich nicht lache!“ Sie stieß ein meckerndes Lachen aus und gab dem Lichtfleck hinter der Theke ein unmißverständliches Zeichen.
„Künstler, pffft! Dieser Idiot hat fast vier Quadratmeter Leinwand zur Verfügung und was macht er damit? Er malt unten in die Ecke einen schwarzen Punkt und wundert sich dann darüber, daß keiner diese Scheisse kauft!“ Unsicher wackelte die Phantasie mit dem Kopf.
„Aber ich muß dabei sein! Ich muß dabei sein, wenn er irgend so einem durchgeflippten Spinner weiszumachen versucht, daß es ihn 'innerlich zerrissen' hat, als er besoffen in den Farbtopf gefallen ist! Ich muß dabei sein, damit diesem Stümper so ein gequirlter Mist überhaupt erst mal einfällt!!!“
Bei jedem „Ich“ tippte sich die Phantasie so heftig gegen die Brust, daß es dem Tod schon beim zusehen wehtat. Erschöpft und frustriert stützte sie sich dann mit den Ellbogen auf das glatte Holz des Tresens und machte die zweite Flasche auf.
„Und willst du wissen, was er gesagt hat, nachdem er mit der Masche auch keinen Erfolg hatte?“ fragte sie den Tod erbittert.
Der warf erneut einen Blick zum Glauben hinüber. Aber der beschränkte sich darauf, die Wolke, die permanent über seinem Kopf schwebte flehentlich anzusehen. Dort rührte sich jedoch wie üblich nichts.
„Was hat er denn gesagt?“ fragte der Tod seufzend.
„Er hat gesagt, daß ihn jetzt nicht einmal mehr die Musen küssen würden und hat angefangen zu flennen.“ Die Phantasie setzte die neue Flasche an die Lippen und nahm einen tiefen Zug.
„Ja und?“ fragte der Tod. „Hast du ihn denn wenigstens geküßt?“
„Geküsst?“ echote die Phantasie und blickte den Tod an, als zweifele sie an dessen Zurechnungsfähigkeit. Dann kicherte sie haltlos.
„Ich hab' dem Kerl in den Arsch getreten, verflixt noch eins.“ Sie schüttelte den Kopf. „Geküßt - was für ein Witz!“
Sie lachte lange und lautlos. Dann sah sie den Tod ernst an.
„Glaub mir mein Alter: Ich würde eher noch einen aus der Klapsmühle küssen, wenn er mich darum bäte. Wenn's sein muß auch zweimal.“ Sie hob deprimiert die Schultern. „Aber diese glücklichen Phantasten haben mich ja nicht nötig.“
Trübselig blickte sie in ihre Flasche und nahm noch einen Schluck.
„Ich werde einfach vergessen,“ schniefte sie unvermittelt. Tränen standen in ihren Augen, als sie den Tod ansah. „Vergessen!“ bekräftige sie noch einmal, denn der Tod sah ziemlich verwirrt drein. Die Phantasie unternahm den Versuch einer Erklärung.
„Schau doch mal Kumpel, früher haben die Kinder doch wenigstens noch Bücher gelesen.“ Sie seufzte schwer. „Was war dann nicht alles in ihren Köpfen los, wenn ich da noch dran denke: Rittergefechte, Abenteuer aller Art und zum krönenden Schluß saßen sie mit allen anderen Helden an der großen Festtafel und feierten den Sieg. Oh ja, das waren noch Zeiten!“
Wieder entfuhr ihr ein tiefer Seufzer.
„Und was ist heute?“ jammerte sie. „Heute darf ich mich ja schon glücklich schätzen, wenn ich sie noch in irgend so ein bescheuertes „Super Marioland“ oder dergleichen begleiten darf. Als ob's da sonderlich was zu erleben gäbe, daß sich nicht vorher schon ein anderer ausgedacht hat.“
Noch ein Seufzer.
„Und als wäre das noch nicht genug sitzen sie auch dann noch vor einem Monitor, wenn sie eigentlich schon längst schlafen sollten. Schlafen und Träumen, wie sich's gehört.“
Die Phantasie hängte sich dem Tod so schwer an den knochigen Arm, daß der uralte Stoff seines Gewandes ein sehr verdächtiges Reissgeräusch von sich gab. Allerdings lockerte sich ihr Griff schlagartig, als sie die krumme, schleichende Gestalt der Gier sah, die gerade von der Toilette kam.
„Und wer hat Schuld daran? Woran liegt das alles??“ schrie die Phantasie mit überkippender Stimme. Mit schwankender Hand zeigte sie auf die Gier. „An dieser miesen Figur da!!!“
„Wenn sie dich das erste Mal zu Gesicht bekommen bin ich doch abgeschrieben, oder etwa nicht?“ brüllte die Phantasie wutschäumend, während die Gier ihr schleimigstes Grinsen aufsetzte.
„Dann tun sie auf einmal so als hätten sie mich nie gebraucht, als hätten sie mich nie mehr nötig, nicht wahr? Diese kleinen Drecksäcke!!!“
Gerechter Zorn blitzte in ihren Augen und die Wut brachte die tollsten Farben in ihrem Gesicht zum Vorschein.
„Stattdessen rennen sie dann dir hinterher als gäbe es nichts besseres in ihren jämmerlichen paar Jahren, dies sie da draußen haben! Kohle machen! Häuser bauen! Reich werden...Blablabla!!!“
Angeekelt spuckte die Phantasie auf den Boden, der sich unter ihren konzentrierten Wut aufzulösen begann. Allerdings nur für einen kurzen Moment, dann glänzte er wieder in alter Frische. Das Limbo war zeit- und endlos.
„Na und?“ gab die Gier süffisant zurück, der das schmierige Grinsen nicht aus dem Gesicht wich.
„Das beweist doch lediglich daß ich gute Arbeit leiste, oder nicht?“
Der Phantasie entfuhr ein scharfes Zischen. „Ja, aber auf meine Kosten!“ schrie sie. „Wegen dir bekomme ich nirgendwo mehr ein Bein auf die Erde.“
„Dann laß dir doch was einfallen,“ konterte die Gier hämisch.
„DU bist völlig phantasielos,“ sagte die Phantasie und blies der Gier ihren wüstesten Alptraum in's Gesicht. Leider zeigte der im Limbo keinerlei Wirkung.
„Dafür aber wesentlich erfolgreicher als du, meine Liebe,“ versetzte die Gier und sprang dann hastig zurück um der Flasche zu entgehen, die ihr die Phantasie über den Schädel schlagen wollte.
Während der Tod alle Hände voll dmt zu tun hatte, die tobende Phantasie an den Stammtisch zu zerren, gab der Glaube der Gier einen Wink sich wegzuscheren. Was diese auch tat. Jedoch nicht, ohne vorher noch eine mehr als obszöne Geste im Rücken der Phantasie vollführt zu haben. Dann klappte die Türe des Limbo hörbar zu.
„Jetzt setz dich erstmal und beruhige dich wieder,“ sagte der Tod beschwichtigend und warf dem Glauben einmal mehr einen drängenden Blick zu. Der beschränkte sich jedoch auf das Studium der Wolke über seinem Kopf, in der sich wie üblich nichts rührte.
Die Phantasie schluchzte herzzerreißend, leerte ihre Flasche und schnippte sofort nach einer neuen.
„Jetzt üb' doch ein wenig Mäßigung,“ warf der Glaube beschwörend ein. Er landete dami einen Volltreffer.
„Mäßigung sagst Du? Ausgerechnet du willst mir was von Mäßigung erzählen? Seit du damals die Idee mit dem Meßwein eingeführt hast ist für dich doch jeder Tag Oktoberfest!“ fauchte die Phantasie.
Der Glaube verzog gekränkt das salbungsvolle Antlitz.
„Das ist nicht fair,“ gab er zurück. „Was ist denn zum Beispiel mit den Mohammedanern? Oder mit den Buddhisten, hä?“
„Was soll denn mit denen schon groß sein?“ fragte die Phantasie eher gelangweilt zurück.
„Mohammedaner trinken nicht!“ trumpfte der Glaube auf.
Die Phantasie brach in schallendes Gelächter aus.
„Richtig, das tun sie nicht,“ sagte sie glucksend. „Deshalb rauchen sie ja auch ihre Wasserpfeifen, bis sich die Wandlung ohne Glockenläuten vollzieht, nicht wahr?“ Sie zwinkerte dem Glauben vertraulich zu.
„Und über die Buddhisten sag mal lieber gar nichts,“ fuhr sie fort. „Die haben dich doch noch immer so gebogen, wie sie es grade nötig hatten: 'Du kannst glauben oder nicht glauben. Aber wenn dir Unglück widerfährt und du nicht geglaubt hast so bist du an deinem Schicksal selbst schuld...denk mal drüber nach'...sowas in der Art ist doch deren Mantra - oder täusche ich mich da?“
Sie hielt sich den Bauch vor Lachen, während der Glaube wie ein tanzender Derwisch in die Höhe schoß.
„Darauf brauche ich nicht zu antworten!“ brüllte er mit hochrotem Kopf und schlug so heftig mit der Faust auf den Tisch, daß er den Kelch mit seinem Meßwein umstieß. Die Phantasie bekam einen Lachkrampf.
„Natürlich nicht,“ sagte sie und schnappte nach Luft. „Wenn's für dich unangenehm wird, hast du ja immer noch deine eingeschworenen Zweihundertprozenter, die mit ihren komischen Büchern für dich in's Felde ziehen, nicht wahr?“ Sie funkelte den Glauben grimmig an.
„Jetzt hört doch endlich auf zu streiten,“ versuchte der Tod zu vermitteln, dem Konflikte jeder Art schon rein beruflich zuwider waren.
„Wieso sollte ich?“ schnappte die Phantasie. „Der einzige Job den ich dem da verdanke in den letzten zweitausend Jahren sind ja wohl diese ganzen Evangelikalen, angeführt von den Zeugen Jehovas.“
„Zeugende...wer?“ fragte der Tod verständnislos.
„Zeugen Jehovas,“ erklärte die Phantasie knapp. „Das sind die Typen mit acht Millionen Mitgliedern, aber nur hunderttausend freien Plätzen in ihrem Paradies. Auf die Erklärung von denen am Tage des jüngsten Gerichts bin ich jetzt schon gespannt. Aber das dauert ja noch etwas, also marodieren sie jeden Sonntag mit ihrer ganz persönlichen Version vom größten Bestseller aller Zeiten von Haustür zu Haustür. Um die wieder loszuwerden, habe ich manchmal mehr Zeit nötig als es dauern würde, die alte Schwarte komplett neu zu schreiben.“
Bei diesen Worten fuhr der Glaube erneut in die Höhe. „Halt jetzt endlich die Fresse!“ schrie er mit schriller Stimme.
„Kein lästerndes Wort mehr über das Buch der Bücher!“ Damit warf er seinen flehendsten Blick in die wabernde Wolke über sich. Aber dort tat sich wie immer rein gar nichts.
„Prrrtz!!!“ machte die Phantasie und hielt dem Glauben einen schwankenden Mittelfinger unter die Nase.