Die Prämisse in der Literatur

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 2.233 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (26. November 2019 um 07:58) ist von Thorsten.

  • Die Prämisse in der Literatur

    Oft liest man in Schreibratgebern oder hört bei Gesprächen an der Supermarktkasse von der Prämisse.

    Was ist das eigentlich? Wozu ist das gut, und brauche ich das?

    Wenn man googelt steht da: Die Prämisse ist das, was einem Projekt, oder einem Vorhaben gedanklich zugrunde liegt.

    Die Prämisse ist also die Botschaft, die von der Geschichte transportiert wird. Die „Moral“ von der Geschichte. Wenn ihr also gefragt werdet, was die Botschaft eures Romans ist, dann möchte der Fragesteller möglicherweise keine Nacherzählung, sondern es geht ihm um die Prämisse. Also 500 Seiten zusammengefasst in einem Satz. Ich habe mal ein paar Beispiele mitgebracht.

    Herr der Ringe
    Mit Freundschaft und Mut lässt sich das Böse besiegen

    Vielfach genutzt
    Die Macht der Liebe rettet die Welt

    Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte
    Geiz macht unglücklich

    Romeo und Julia
    Verbotene Liebe endet tragisch

    Das ist schon mal ganz für sich genommen interessant. Es wird aber noch besser! Ich habe mal einen Roman gelesen, der so um 1850 spielt, dort verliebt sich ein reiches Mädchen in einen armen Jungen. Das Ganze endete tragisch. Jetzt könnte man es dabei belassen sich die Tränen abwischen und die Welt bejammern. Aber was ist hier die Prämisse? Hier ist nämlich eine durchaus erzieherische/politische Botschaft versteckt.
    Die Prämisse lautet nämlich: Eine nicht standesgemäße Ehe endet im Unglück!
    Also, jeder Bürger bleibe an seinem Platz!

    Es lohnt sich also auch als Leser nach der Prämisse des Romans zu fragen. Oder, wie wir es aus der Schule kennen. Was will uns der Autor mit seiner Geschichte sagen?

    Die Prämisse kann auch als zentraler Konfliktpunkt begriffen werden, also These und Antithese bilden. Beim Schreiben kann die Prämisse also helfen die Geschichte zu strukturieren.

    Heldin versus Antiheld
    Glaubt an die Kraft der Liebe / Hält Liebe für sentimentalen Schnickschnack

    Sauron versus Die Ringgemeinschaft
    Will die Welt allein Beherrschen / Glaubt an Kooperation und Freundschaft

    Was mache ich als Autor mit dem Wissen von der Existenz einer Prämisse? Einige sagen, man sollte die Prämisse seiner Geschichte vor dem Schreiben definieren. Dann kann man die Geschichte daran aufbauen. Zum Beispiel kann man Held und Antiheld anhand der vorgegebenen Prämisse agieren lassen. Das hat etwas, finde ich. Demnach sind allerdings Dinge, die der Prämisse nicht dienen oder ihr gar widersprechen, beim Schreiben kritisch zu betrachten.
    Andere Autoren schreiben einfach drauf los, ohne Prämisse. So machen es viele entdeckende Schreiber, aber dann geht es ja an die Überarbeitung. Stephen King sagt, er schaut sich die erste Fassung seines Manuskripts an und findet dann die verborgene Prämisse. Wenn er dies getan hat, beginnt er diese in den nächsten Fassungen herauszuarbeiten. So geht es auch.

    Kann ein Roman ohne Prämisse funktionieren? Ich denke beinahe, nein! Irgendwie habe ich aber ein ungutes Gefühl, mir von einer Prämisse sagen zu lassen, was ich schreiben darf und was nicht. Andererseits, ein Roman bei dem es um nichts geht, ist auch irgendwie unbefriedigend.
    Für mich hat das Nachdenken über die Prämisse dazu geführt, mein eigenes Schreiben neu zu betrachten. Rückblickend haben einige meiner Geschichten mehrere Prämissen, die sich manchmal ins Gehege kommen. Das ist natürlich nicht zielführend, wenn man sein Geschreibsel einem Publikum anbieten möchte.

    Was denkt ihr über die Prämisse? Fallen euch interessante Prämissen von Romanen ein, die ihr gelesen habt? Haben eure Geschichten eine Prämisse? Macht ihr euch darüber vorher schon Gedanken oder legt ihr einfach los?:chaos:

  • Hm, ich denke, in manchen Fällen (nicht allen!) verwechselst Du Prämisse mit Quintessenz.

    Prämisse ist eher eine Grundlage, auf der etwas beruht, etwa ein Roman. Das kann tatsächlich auch mal eine Kernaussage sein, wie die Sache mit dem "Jeder Stand hat seine Ehre, übt er treulich seine Pflicht (aber wehe nicht!)", aber beim Herrn der Ringe ist die Voraussetzung, dass der böse Sauron einfach keine Ruhe gibt. Oder einfach der Fakt, dass es Elben, Zwerge und Hobbits überhaupt gibt.
    Anders gesagt, gibt es meist mehrere Prämissen.

    Ich versuche es einmal anhand einer Aussage zu zeigen, wie sie im "täglichen" Leben vorkommen könnte:

    Unter der Prämisse, dass Du Deinen Teil der Vereinbarung diesmal einhältst, gebe ich Dir eine letzte Chance.

    Kernaussage Quintessenz: Letzte Chance für Dich. (oder: Ich bin ein Trottel, der immer wieder auf Dich reinfällt :patsch: )
    Voraussetzung (Prämisse) : Ich gehe davon aus, dass Du Deinen Teil diesmal auch erfüllst und mich nicht hängen lässt.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Das wäre dann eher die Grundidee des Romans. Ist das nicht etwas anderes als die Prämisse?

    Gute Frage.

    Obwohl ich dazu tendiere zu sagen, dass eine Grundidee noch einmal etwas Anderes ist. Tolkien mag sich wohl gedacht haben (reine Spekulation meinerseits als Gedankenspiel):

    Wie wäre es eigentlich, wenn ich meine Linguistik-Kenntnisse mal in eine eigene Sprache fließen lasse.
    Wie wäre noch eine Sprache?
    Cool, jetzt Leute, welche die Sprachen sprechen!
    Hm, wo ich schon mal das Setting habe, warum das nicht in Romanform zu etwas zusammenbasteln? (Oh, und meine ganzen Gedichte und Lieder bringe ich da auch noch unter, ganz sicher!

    Das Ganze würde ich als Grundidee sehen, es muss ja nicht ganz am Anfang der EINE RING gestanden haben, in seinen (meinen ^^) Überlegungen.

    Prämissen wären hier aber dann wieder, dass Tolkien überhaupt die Skills hatte, eine eigene Sprache zu entwickeln, oder den Fließ, das alles noch unter einen Hut zu bringen.

    -------------------
    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Hallo Sensenbach,

    ein interessantes Thema. Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt Fachbegriffe durcheinander werfe: Früher habe ich mir keine wirklichen Gedanken zur Prämisse gemacht. Ich habe drauflos geschrieben, weil ich etwas erzählen wollte, von dem mir oft noch gar nicht bewusst war, dass es aufs Papier wollte. Bei der Überarbeitung sind mir dann ähnlich wie bei King diese unbewussten "Kernaussagen" aufgefallen. Bewusster Plural.

    Heute ist es etwas anders: Ich bin immer noch zum größten Teil entdeckender Schreiber, mache mir jedoch auch im Vorfeld Gedanken, über die "größte" Aussage oder Prämisse der Geschichte, ehe ich damit beginne. Allerdings versuche ich das mehr als einen Leitfaden zu sehen und nicht als feste Schiene. Es kann immer noch vorkommen, dass sich während des Schreibprozesses andere Prämissen oder Themen auftun, die behandelt werden möchten. Und wenn es so ist, nehme ich die gern mit an Bord.

    Rückblickend haben einige meiner Geschichten mehrere Prämissen, die sich manchmal ins Gehege kommen.

    Ich sehe kein Problem, wenn eine Geschichte mehrere Prämissen oder Aussagen hat. Die Vielfalt daran ist doch sehr interessant! Und wenn es Gegensätze sind, ist es auch in Ordnung! Ich bin generell kein Freund von zu sehr durchgeplanten Geschichten, die zu fest in einer Schiene stecken. Schreiben ist doch ein kreativer Prozess, warum also an starren Grundregeln á la "Eine Geschichte braucht die eine Prämisse!" festhalten, wenn man doch auch flexibel sein kann. Menschliches Verhalten und die Welt bergen oft viele Widersprüche in sich. Geschichten, denen dieser kleine "Makel" fehlt, da er vielleicht dem Wegkürzen (weil für Prämisse irrelevant) zum Opfer gefallen ist, fehlt in meinen Augen oft auch der realistische Touch.

    Letztendlich ist es auch Interpretationssache, was der Autor mit seiner Geschichte sagen wollte, sofern er dies nicht öffentlich gemacht hat. Und wenn er viele Dinge sagen möchte, hat sein Werk vermutlich auch viele kleine Aussagen unter dem Schirm der einen "großen" Prämisse. So zumindest ist es bei meinen Geschichten.

    Durch Umwege sieht man mehr von der Welt.

  • Kann ein Roman ohne Prämisse funktionieren? Ich denke beinahe, nein! Irgendwie habe ich aber ein ungutes Gefühl, mir von einer Prämisse sagen zu lassen, was ich schreiben darf und was nicht. Andererseits, ein Roman bei dem es um nichts geht, ist auch irgendwie unbefriedigend.

    Wir schreiben ja nicht aus dem leeren Raum raus - wir fangen mit Ueberzeugungen an wie Dinge sein sollten, besser sein koennten, anders sein koennten - und dann schreiben wir eine Geschichte die wir vor dem Hintergrund dieser Ueberzeugungen interessant finden.

    Also - geht zumindest mir so...:)

    Bei mir ist eine Ueberzeugung zum Beispiel 'Blindes Vertrauen in automatische Technik ist fatal' - und das Thema fliesst natuerlich immer wieder ein wenn ich SciFi schreibe.

    Im Nachhinein, wenn ich eine Geschichte habe die ich interessant finde kann ich dann da die ganzen normativen Ueberzeugungen die ich so fuer die Welt haette wieder rausholen (interessiert mich aber nicht sonderlich...) Daher denke ich nicht dass es ohne geht.

    Was fuer mich verlaesslich nicht funktioniert, ist wenn die Geschichte schon mit einer take-home Message wie Nicht standesgemaesse Liebe endet tragisch. oder so geschrieben ist - da kommt dann meistens was belehrendes raus, auf den Versuch mir zu sagen wen von den Protagonisten ich jetzt moegen muss reagiere ich verlaesslich allergisch - ich mag statt dessen kaputte Typen die ich aus dem Alltagsleben nicht so kenne, ich mag ambivalente Typen und Situationen wo ich mir nachher meine Gedanken machen kann 'was haette ich denn selber?'

    Also - 'ich schreib' jetzt mal eine Geschichte ueber Suchtgefahr im Internet' kann vielleicht fuer eine Kurzgeschichte funktionieren wenn jemandem das Thema am Herzen liegt, aber fuer einen Roman ist das fuerchte ich eher ein Rezept zu flach zu bleiben und kuenstlich zu wirken. Wuerde ich nicht machen und auch nicht empfehlen.

    Es bei einer Geschichte zu belassen die erzaehlenswert ist weil sie interessant ist (auf welche Weise auch immer) - reicht eigentlich.

    Tolkien mag sich wohl gedacht haben (reine Spekulation meinerseits als Gedankenspiel)

    Nicht so weit daneben...

    JRRT hat mal ein bisschen scherzhaft gesagt dass Mittelerde nur existiert weil er eine Welt haben wollte in der man elbisch spricht. Das war wohl ein wesentlicher Teil seiner Motivation, aber an anderer Stelle beschreibt er seine Faszination mit den Heldenliedern (Beowulf, die Edda...) - und so ein Legendarium wollte er auch fuer sich erschaffen.

    Nun war er allerdings auch christlich gepraegt, also kamen da viele Ideen vom absolute Guten und Boesen, dem einen Schoepfergott und so weiter rein. Frodo und Sam vs. Sauron ist da so eine David vs. Goliath Geschichte, und der leidende Erloeser (statt strahlendem Helden) sollte dem einen oder anderen auch bekannt vorkommen.

    Andere Themen die ihm (aus der Zeit) wichtig waren sind z.B. Naturverbundenheit und das einfache Leben (Hobbits und Elben) gegen industrielle Produktion und Kriegsfuehrung (Saruman und Sauron).

    Aber selbst bei JRRT der schon ein detailversessener Planer war ist viel umgeschrieben worden - wenn man sich die ersten Entwuerfe von LORT anschaut wo Streicher ein Hobbit ist etc. dann sieht man eine ganz andere Geschichte - da kamen viele Ideen dann mittendrin und JRRT ist wieder an den Anfang und hat nochmal geschrieben.

    Will sagen - mit Ueberzeugungen ist er an den Start gegangen, mit einer take-home Message oder einer fertigen Quintessenz der Geschichte eher nicht.