Hallo Freunde des Mittelalters! Dies ist die herzhafte, herzerfrischende, herzallerliebste, herz - - was sag ich? die ritterromantische Geschichte des Mundburt von Wolkenstein, der in die Welt zog, um ein rechter Ritter zu werden und dabei die köstlichsten, komischsten, krausesten, ha!, knackigsten Aberteuer erlebte, die man sich denken kann...
Die Abenteuer des fahrenden Ritters vom Wind
Mundburt von Wolkenstein, erzählt von ihm selbst.
Neu herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von
J. Schreyvogel,
außerordentlicher Narr und ordentlicher Prof. an der +++- Universität zu ***
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Erstes Buch: Des Ritters Geburt, Jugend und Unterweisung.
Der erste Haufen
Mundburt von Wolkenstein..................................Fahrender Ritter
Burghard von Wolkenstein.............................................sein Vater
Marie-Louise..............................................................seine Mutter
Liebto..........................................................................seine Taube
Apollon.....................................................................seine Pferd
Hildegardis............................................................eine Verehrerin
Gerlind.................................................................seine erste Liebe
Burg Wolkenstein
Statt eines Vorworts
Wie man von Nattern pflegt zu sagen,
dass sie der eig´nen Mutter Leib zernagen,
so ist´s die Seuche, die in diesen Tagen
dem Menschen schlägt schwer auf den Magen.
Doch warum wollt ihr gleich verzagen?
Lest dieses Büchlein mit Behagen,
und schon verfliegt das Zittern und das Plagen!
Wer wird da nach was Bess´rem fragen?
Mundburts Empfängnis und Erzeuger.
Als mein Vater, Gottes und des Kaisers Ritter Burghard VII. zu Wolkenstein, Markgraf von Aue-Lichtenfeld, meinte, genug geprasst, gezecht, gefurzt, gehauen und gestochen zu haben, ehelichte er die Freifrau Marie-Louise von Katzenellenbogen-Katerberg aus jungem, aber steinreichem Adel (mein Vater war wieder mal pleite), eine Braut so frisch, so gesund, so lieblich, so entzückend schön, wie man selten eine findet, dazu nicht kirchengläubig, aber opferstöckig. Deren Großvater, Haardnack von Katzenellenbogen, ein Kerl wie ein Hauklotz, hatte vom Kaiser als Dank für geleistete Kriegsdienste fünf Dörfer mit Menschen und Mägden samt Feldflur in bester Lage geschenkt bekommen, die er in blühende Landschaften verwandelte und dann gehörig ausplünderte. An dieser drallen Deern rieb und scharschwänzelte mein Erzeuger, bis er sein Füllhorn ausschüttete; daraufhin förderte sie in angemessener Frist etwas zutage, das die Welt bis dato noch nicht gesehen hatte: Mich.
Dies geschah im Jahre meiner Geburt dreizehnhundertzweiundzwanzig.
Mein Papa war in jungen Jahren ein lustiger Geselle und wackerer Haudrauf, der keinem Händel aus dem Weg ging, dazu ein starker Esser und Trinker. Deshalb hielt er sich einen tüchtigen Vorrat an Nahrungsmitteln; zum Beispiel Mainzer und Parmeser Schinken, geräucherte Ochsenbacken, gepökelte Schweinsköpfe, dazu eimerweise Senf; auch an Kaviar durfte es nicht fehlen, noch an Bratwürsten, Leberwürsten, Blutwürsten und anderen in Darmschläuche gepresste Fleischwaren; der Berg an Knoblauch füllte den halben Zwinger. Da er gerne Geselchtes aß, stiegen im ganzen Land die Salzpreise. Auch der Weinkeller war gut und reichlich sortiert; am meisten liebte er Mosel, aber auch eine Arsch-Leckerei* verschmähte er nicht, desgleichen einen Bordeaux, Muskateller, Traminer, Riesling, Fiesling und dergleichen. Er trieb es wie ein Sauspieß und war immer so gefüllt, dass er sich schon beschiss, wenn er nur zu furzen glaubte. Die Humpen krachten aneinander, die Becher klangen, die Fäuste flogen, kernige Flüche und geselliges Grölen erfüllte die Luft.
Ha! Wenn ihr mir nicht glaubt, fragt meine alte Amme Hildegard, die kann´s euch bestätigen.
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*Gemeint ist: Aarschleckerchen, eine Weinsorte
Mundburts Elternhaus.
Burg Wolkenstein, unser Stammsitz, liegt einsam auf der Spitze eines schroffen Felsens; der Zeigefinger eines urweltlichen Riesen über der Landschaft. Lediglich eine Holzbrücke, von starken Seilen gehalten, verbindet die Burg mit dem Rest der Welt. Zur nächsten Bergwand sind es nur wenige Schritte, doch dazwischen liegt ein Abgrund, so tief, so unheimlich, so unergründlich, dass auch am hellen Mittag kein Lichtstrahl seinen Grund erreicht. Der Volksmund will wissen, dass dort unten ein Drache haust, der es auf herzige Fröken abgesehen hat; tatsächlich verschwindet manchmal eine blutjunge Fraue spurlos, doch ernsthafte Leute suchen das Ungeheuer dann nicht in der Drachenschlucht, sondern auf Burg Hohenlohe, von der aus ein übel beleumdeter Ritter immer wieder Angst und Schrecken verbreitet.
Dieser einzigartigen Lage ist es zu verdanken, dass Burg Wolkenstein noch nie eingenommen wurde; droht Gefahr, wird die Brücke herabgelassen; sie hängt dann, unerreichbar für die Angreifer, in die Schlucht hinab. Doch wie so oft liegen Segen und Fluch auch hier eng beieinander; denn bei gefällter Brücke ist auch der einzige Zugang nicht nur für die Feinde gekappt, sondern auch für die Kaufleute. Deshalb haben die Burgherren immer darauf geachtet, genug Lebensmittel vorrätig zu halten, denn eine Belagerung zehrt nicht nur an den Nerven. Zusätzlich legte mein Urgroßvater, Markgraf Burghard IV, einen geheimen Flucht- und Versorgungsstollen an, der irgendwo draußen auf der Alb beginnt und irgendwo tief unten im Burgfelsen endet. Da er geheim blieben soll, dieser Gang – seit der Papst Acht und Oberacht über den Kaiser verhängte, ziehen immer öfter marodierende Söldnerbanden durchs Land – beiß ich mir eher die Zungenspitze ab, als dass ich nähere Einzelheiten ausplaudere.
Da fällt mir ein... Möglicherweise hat meinen Urahn nicht die Angst vor drohender Nahrungsmittelknappheit, sondern die Weissagung der Wahrfrau zu dem Tunnelbau veranlasst.
– Schreiber, ist genug Dinte für einen Abschweif da?
Gut, dann schreibt: Im Jahre Zwölfhuntertsechsundneunzig – ein paar Jährchen mehr oder weniger ist´s auch gut – kam eine Bande von Gauklern, Fiedlern und Komödianten auf die Burg, um sich ein paar Heller zu verdienen. Unter ihnen war auch eine lendenlahme Alte, mit einem Buckel wie eine Mansarde und einer Warze wie ein Krötenkopf auf der Nase, der man die Fähigkeit des Zweiten Gesichts nachsagte. Bei einem Gelage nun kam es zu einem starken Wortwechsel zwischen meinem Urahn und einem der Komödianten, beides ausgemachte Hitzköpfe. Mein Urgroßvater nahm, indem der Kerl seine Beleidigungen vorbrachte, einen Ochsenziemer und hieb dem Mimen eins übers Gesicht, worauf der blutend niederging. Das brachte die Alte entsetzlich auf, sie schrie meinen Urgroßvater an: „Hatz, Herz und Hölle! Das habt Ihr nicht umsonst getan! Zur Strafe werden gläserne Heere diese Burg zerstören, und kein Lot Korn wird auf Euren Äckern wachsen!“
Vielleicht hat es Burghard, der sonst kein Zimperling war, tatsächlich mit der Angst bekommen und ließ den Tunnel als Fluchtweg aushauen. Wie dem auch sei – seitdem sind über hundert Jahre Jahre vergangen, und Burg Wolkenstein steht immer noch, stolz, erhaben, ein Palas zwischen Himmel und Erde. Wahrscheinlich hat die Alte nur gesponnen. Denn was, bitte schön, sind gläserne Heere?*
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*Eis und Schnee. Fakt ist, dass Burg Wolkenstein seit Mitte15. Jh. verlassen dasteht, wahrscheinlich aufgrund der sogen. Kleinen Eiszeit, die europaweit den Niedergang der Wirtschaft zur Folge hatte.
Mundburts vorgeburtliche Wahrnehmungen.
Wenn ich ehrlich bin, an die ersten Wochen meines Daseins im Bauch meiner Mutter kann ich mich nicht erinnern. Meine Wahrnehmungen begannen erst, nachdem mir der Herrgott die Seele eingehaucht hatte. Viel war es nicht; ich weiß nur noch, dass es stockfinster war, doch das störte mich nicht, denn ich kannte ja kein Licht. Verwirrend hingegen waren die vielen unbekannten Geräusche, die auf mich eindrangen. Da pochte, gluckerte, knurrte, knarrte, kratzte, brummte, polterte, zischte, bratzte es; zuweilen waren auch helle bis sehr hohe Töne zu hören, mal sanft und leise, mal ohrenbetäubend stark. Bald lernte ich, die Herkunft dieser Geräusche zu unterscheiden; einige kamen aus nächster Nahe, wie zum Beispiel dieses Brummen und Gluckern, oder von weiter oben, wie dieses regelmäßige Pochen; andere schienen aus weiter Ferne zu kommen. Das waren eigenartige Geräusche, ein Knarren, Poltern, Trommeln und ein seltsames Stimmengewirr, Töne, die mich jedesmal aus dem Schlaf schreckten. Mit der Zeit stellte ich gewisse Regelmäßigkeiten fest; etwa, dass es besonders stark brummte, wenn es zuvor viel gegluckert hatte, oder, dass dieses Lautgewirr, das von draußen kam, immer dann besonders stark war, wenn es gleichzeitig heftig polterte und knarrte. Natürlich konnte ich mir damals keinen Reim auf all diese sonderbaren Laute machen, trotzdem habe ich alle diese Geräusche sorgfältig im Gedächtnis behalten und später aufschreiben lassen, um herauszufinden, was dahinter steckte. Hier ist die Liste und das Ergebnis meiner Nachforschungen:
Das regelmäßige Pochen – der Herzschlag meiner Mutter
Die sehr hohen, leisen Töne – ihre Stimme, wenn sie normal redet
Die sehr hohen, lauten Töne – ihre Stimme, wenn sie eine Magd herunterputzt
Das Gluckern – ihre Verdauungsgeräusche
Das Brummen – sie lässt einen fahren
Das Zischen – sie pisst
Das Bratzen – sie kackt
Die hellen Töne – die Stimme meines Vaters
Das Kratzen – er streicht sich übers Kinn
Das Poltern – er liefert sich mit einem seiner Zechbrüder einen Faustkampf
Das Knarren – die Gartenbank unter seinem Gewicht
Das Röhren – mein Vater rülpst mit offenem Mund
Das seltsamen Gesänge – mein Vater und seine Zechbrüder lassen es sich gut gehen.
Zuweilen wurde es ziemlich eng, und zwar immer dann, wenn es draußen hoch her ging. Ich kam erst nach meiner Geburt darauf, aus welchem Grund. Meine Eltern saßen dann am Mittagstisch, und meine Mutter stopfte sich mit Kuddeln* voll, ihrer Lieblingsspeise, während sich mein Vater mit den versammelten Zechbrüdern unter haha! und hoho! über einen Scheißdreck stritt, zum Beispiel, ob das Ei eher da war als die Henne, ob es gesünder sei, dass Bier aus dem Fass zu trinken oder aus Schnabelschuhen und ähnlichen Schwachsinn. An eine dieser Darbietungen kann ich noch gut erinnern, denn es zog gerade ein Gewitter auf (bin mir allerdings nicht mehr ganz sicher, ob es nicht eher meine Mutter war, die da donnerte). Nach dem, was ich später erlebte, muss sich folgendes abgespielt haben:
„Ha!“, schreit eine raue Stimme, „sagt doch, Herr Ritter, – hick! – was war eher da, der Durst oder das Trinken!“ – „Das Trinken!“, antwortet eine hohe Stimme, „kaum bist du auf der Welt, schon trinkst du!“ – Es war Vaters Stimme, denn trotz seiner enormen Außenmaße klang seine Stimme immer noch wie die eines Jünglings, der den Stimmbruch verpasst hat. – „Unschinn!“, ruft ein anderer heiser und rülpst kräftig, „der Durscht war zuerscht da! Unscher Herr Schesus hat Eschig jetrunken, weil er – rülps – durschtig war!“ – „Hoho! Gab´s denn damals diesen elenden würstchen... ähh... hick... württemberger Krätzer schon?“ Brüllendes Gelächter. – „Ich trink auch ohne Durst!“, wieder mein Vater, „denn regelmäßiges Trinken hält gesund! Ein augenscheinlicher Beweis dafür ist, dass es Leute gibt, die, solange sie nüchtern sind oder zu wenig getrunken haben, einen mit Wein, Bier oder Met gefüllten Becher nicht fest in der Hand halten können, ohne heftig zu zittern.“ Zum ersten Mal erfuhr ich, dass die Sätze meines Vaters umso länger wurden, je mehr er getrunken hatte. – „Manche wackeln sogar mit dem Kopf, wenn sie – upps! – nicht genug intus haben“, bemerkt die raue Stimme. – „Wie kommt es denn“, ruft ein anderer, „dass meine Frau nicht mit dem Kopf wackelt, obwohl sie nicht trinkt?“ – „Ha, ganz einfach, Fr-eund, weil sie kein Ge-hihirn hat, das den G-geist des Wei-weines aufnimmt!!“ – „Oho, du Rattenschwanz, das nimmst du sof-fort zurück, s-sonst –“ – „Was“, lässt sich jetzt eine tiefe Stimme vernehmen, die bisher geschwiegen hatte, „regst du dich auf, Lothar, Fassbier hat doch Recht! Nach Platon sind Frauen aus schwatzhaften Männern entstanden, und im nächsten Entwicklungsschritt werden sie in Vögel verwandelt. Und, hast du bei einem Huhn schon mal Gehirn entdeckt?“ – „Doch, du musst nur genau hinsehen, du Hosenscheißer“, koddert jetzt eine hohe Stimme – die meiner Mutter – „aber wenn ich dich genau ansehe, Freund Rattenschwanz, kann ich hinter deiner Stirn noch weniger Hirn entdecken als hinter einem Hühnerschnabel!“ In die verblüffte Stille hinein ruft mein Vater: „Hey, Ihr Liebden, und Ihr, Frau, hört auf zu streiten! Trinken wir, denn wer immer trinkt, stirbt nicht! Heda, Knappe, die nächste Buteille entkorkt, aber dalli!“ Und Vater brüllt los (gottseidank waren alle diese Geräusche durch die Bauchdecke meiner Mutter gedämpft, sonst wär ich wahrscheinlich taub zur Welt gekommen):
„Tanzen, springen, schöne Sach`
trinken Roten oder Weißen
und nichts tun den ganzen Tag
außer Pissen oder Scheißen!“
Da ließ sich auch meine Mutter nicht lumpen, sie lieferte die zweite Strophe:
„Pisse wie ein junger Gott,
doch nicht in, sondern neben den Pott,
wie auch die Glocken von meinem Schatz
nicht hängen in, sondern neben dem Matz!“
Und schon fielen die anderen Genossen ein, dem Vernehmen nach alles tüchtige Kumpane, Saufbrüder und Kegelschieber, sodass die Hunde auf den Nachbarburgen zu heulen anfingen:
Pisse wie ein junger Gott,
doch nicht in, sondern neben den Pott...
So ging es hin und her, bis es einen dumpfen Schlag gab; ich vermutete, jemand sei umgefallen, was sich als richtig erwies, denn mein Vater rief: „He, Knecht, einen Eimer Jauche her und ihm ins Gesicht geschüttet, damit er wieder hochkommt!“
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°Knödel aus fetten Schweinedärmen
Mundburt lernt seine Eltern kennen und spielt seiner Mutter einen vorgeburtlichen Streich.
Ja, lieber Leser, du hast richtig gelesen. Ich hörte Vater sagen: „He, Knecht, einen Eimer Jauche her und ihm ins Gesicht geschüttet, damit er wieder hochkommt!“
Plötzlich verstand ich alles, was draußen geredet wurde, obwohl ich selbst nicht sprechen konnte, denn ich hatte den Mund voll mit einer süßlichen Flüssigkeit. Es war ein Wunder, und ich begreif´s bis heute nicht. Nun ja, Wunder, was heißt das schon bei so einem wie mir. Nicht nur das Hörwunder, nicht nur meine Geburt – mein ganzes späteres Leben war, wenn nicht gerade ein Wunder, dann aber zumindest in höchstem Maße verwunderlich.
Ein andermal ging es weniger hoch her – es war kurz vor meiner Niederkunft, und mein Vater hielt es wohl für angebracht, eine ernsthaftere Lebenshaltung an den Tag zu legen, zumindest für ein paar Stunden. Da er ziemlich leise sprach, konnte ich nicht alles verstehen, aber was ich verstand, gab mir doch schwer zu denken, sodass ich beinahe meine Geburt verpasste.
„Ich habe“, sagte mein Papa, „nie lesen und schreiben gelernt, denn ich bin ein Ritter zu Gottes und des Kaisers Ehr, und kein Pfaff oder Afftheiker. Trotzdem kann sich meine Handschrift sehen lassen, was Dutzende von zerhauenen Jammerlappen beweisen. Versteh auch nicht, warum sie jetzt überall diese... äh... Universitäten gründen. Wozu? Brauch kein Latein. Rede, wie´s mir gefällt, nicht Lateinisch sondern Deutsch, auch wenn manche behaupten, das sei ein Afterdialekt, den nur Bauern und Schweine verstünden. Von mir aus! Ich sage Arschloch und nicht culus, sage Scheißdreck und nicht faeces – was übrigens nach nichts riecht – sage Sausack, wozu es, hab ich mir sagen lassen, überhaupt keine Übersetzung ins Lateinische gibt.“
Es knallte scharf, sodass ich in meinem Warmbad vor Schreck eine Rolle rückwärts machte. Später lernte ich, dass gerade ein Korken aus der Sektflasche geflogen war.
„Schaut euch doch nur diese akadämliche Jugend an!“, fuhr Vater mit ah!... oh!, das ist ein Tropfen! fort, „haben doch keinen rechten Gewinn davon, sich den Arsch mit der Rute zerstriemen zu lassen, werden vielmehr immer dümmer, einfältiger, verträumter und verwirrter. Wollen eine andere, modernere Welt! Ha, diese Affenschwänze! Papst, Kaiser und die Fürsten sind froh, dass sie so ist wie sie ist, die Welt und wollen sie keinen Deut anders! Daran seht ihr, diese Lernerei zwängt die Jugend geistig doch nur ein, verhindert, dass sie sich geistig entfaltet, und, verdamm mich!, der klare Menschenverstand bleibt letztendlich auf der Strecke. Und was kommt hinten dabei heraus? Pfaffen, Ärzte, Advokaten, Stadtkämmerer, Steuereintreiber und, hol mich der Teufel, ähnliches Gesindel, und alle liegen dem Bürger auf dem Beutel! Dabei ist jeder Narr sicherer im Urteil als einer dieser hodenlahm studierten Rechtsverdreher!“
„Lieber Mann, übertreibt Ihr jetzt vielleicht nicht ein bissl?“, wand meine Mutter ein.
„Ich übertreibe? Mitnichten, Frau! Zu Beweis und Exempel erzähl ich Euch mal einen Fall. Hat mir Lothar erzählt, und der redet keinen Stuss.“ Ein eigenartiges Geräusch war zu hören, das sich von all denen unterschied, die ich bisher gehört hatte. Später lernte ich, dass mein Vater gerade seinen Wein schlürfte.
„Ihr kennt doch, Frau“, hob er an, „den Garkoch am Marktplatz zu Ulm. Eines Tages so um Johannis* setzte sich ein Lanzenträger vor seinen Laden, nahm ein Stück Brot heraus und begann zu essen. Dabei ging seine Nase wie die eines Trüffelschweins, denn der Bratenduft aus der Küche kitzelte seinen Riechsinn. Der Koch ließ das ruhig geschehen; als jener aber sein Brot verzehrt hatte, fasste er ihn beim Kragen und verlangte Bezahlung für den Bratenduft. Der Ulan entgegnete: 'Holla, Freundchen! Hab ich Fleisch angerührt? Bei allen Heiligen: Hab ich nicht!' Also sei er dem Koch nichts schuldig. Wenn er so besorgt um seinen Bratenduft sei, solle er ihn doch einfangen und auf Flaschen ziehen. Außerdem habe er noch nie gehört, dass irgendwo Bratenduft verkauft würde, weder in Rom, London, Paris, und schon garnucht in Ulm, das sich zu diesen Städten verhielt wie ein Hanswurst zum Kaiser. 'Schert Euch zum Teufel!', schrie er, 'Ihr riecht, als habe man nasuam ad culem'**. – Der Koch, aufgebracht von solcher Rede, schrie: 'Nichts da, culem hin, culem her, Ihr zahlt, sonst verklage ich Euch bei Gericht!' Und weiter: Wie käme er dazu, fremde Leute mit seinem Bratenduft kostenlos zu füttern, dann wäre er bald banca rotta. Der Lanzenträger griff nach seine Pike, um sich zur Wehr zu setzen.
Bei dem Lärm lief das Volk von allen Seiten zusammen. Unter den Gaffern befand sich auch der Baccalaureus Petersilius Pilzschnitzel, ein namhafter Gesetzesschinder und Beutelschneider. Sobald ihn der Garkoch sah, lief er auf ihn zu und schilderte ihm den Fall. Pilzschnitzel legte bedächtig die Stirn in Falten, eine Verrichtung, die laut Gebührenordnung bereits eine Mark kostet, legte den Kopf in den Nacken wie ein Gehenkter, den man vom Seil schneidet – die nächste Mark – flüsterte erst etwas auf griechisch, was sich so anhörte wie hähne-mähn-heu, aebte-mähn-gras – wieder eine Mark – dann auf lateinisch (was ich nicht verstand, denn Mama ließ gerade einen fahren), sagte dann: 'Hmm, zunächst die Beweisaufnahme'. – Er wandte sich an die Zuschauer. – 'Leute!', rief er, 'hat außer dem wackeren Kämpen hier noch jemand Bratenduft gerochen?' – Keiner meldete sich, denn jeder hatte Angst, er müsse bei Verurteilung des Ulanen zahlen. – 'Aber ich rieche ihn doch', zeterte Meister Ewert, 'er kommt direkt aus meiner Küche! Er ist echt und keine Einbildung!' – 'Das mag ja sein', erwiderte Pilzschnitzel, 'aber könnt Ihr auch beweisen, dass ihn der Ulan auch wirklich gerochen hat?' – Natürlich! Er hat deutlich geschnuppert und dabei die Nase bewegt!' – 'Aha!', rief Pilzschnitzel, 'das ist ja schon mal was! Also, Herr Lanzenträger, schnuppert einmal und bewegt dabei die Nase!... Gut, das reicht. Nun, habt Ihr etwas gerochen?' – 'Nein!' – 'Hmnja', brummte der Baccalaureus, 'Meister Ewert, das ist ein schwieriger Fall! Um ihn bewerten zu können, muss ich erst einen Kollegen von der Olfactorischen Facultät als Berater hinzuziehen. Kostet – –' Pilzschnitzel nannte einen gepfefferten Preis.
Der Garkoch war mittlerweile derart in Harnisch geraten, dass er, um die causa an ein für ihn günstiges Ende zu bringen, seine Großmutter zum öffentlichen Verkehr freigegeben hätte, denn er fürchtete erhebliche Absatzeinbußen, wenn die Kundschaft nur noch röche, aber nicht kaufte. – 'Herr Baccalaureus!', rief er, 'ich zahle jeden Preis –'“
Hier wurde Papas Rede von einem unangenehm kratzig knisternden Geräusch überlagert, sodass ich nichts mehr verstehen konnte, und das eine Weile andauerte. Später tauchte dieses Geräusch immer dann auf, wenn sich mein Vater das Kinn rieb. Endlich verschwand das Knistern, und seine Worte waren wieder klarer zu vernehmen.
„ – 'sagte der Narr, ich löse Euch den Fall für ein paar anständige Bratwürste und einen Eimer Senf.' – 'Wie viele wollt Ihr?', fragte der Koch sofort. – 'So viele, wie Sterne in meine Narrenkappe passen!' – 'Einverstanden!', rief der Meister, 'das schaffen wir!' – Der Narr wandte sich an den Ulanen. – 'Seid Ihr zufrieden, Missjö?', fragte er, 'dass der Ulmer Stadtnarr den Streit schlichtet?' – 'Schockschwerenot ja!', rief der, 'ich bin´s zufrieden!' – Der Narr befahl nun dem Lanzenträger, ein Geldstück aus der Tasche zu ziehen, was dieser auch tat und ihm einen florentiner Gulden hinreichte. Der Narr beäugte den Gulden von vorne und hinten, biss auf ihm herum, warf ihn auf die Ladentheke, dass es klimperte, legte ihn dem Garkoch erst auf die Schulter, dann auf die Hand, fragte endlich: 'Glaubt Ihr, dass er echt ist?' Der Garkoch –“
Wieder erklang dieses Schlürfen, dann fragte mein Vater: „Was meint Ihr, Frau, wie geht die Geschichte wohl aus?“ – „Weiß nicht“, sagte meine Mutter, „hab zum Nachdenken wohl zu viele Kuddeln gegessen!“
Ha! Aber ich wusste es! Der Garkoch darf an dem Geldstück riechen, und der Narr erklärt ihn für bezahlt! War ja nicht schwer zu erraten. Begann, um auf mich aufmerksam zu machen, wie wild zu strampeln, denn wie gerne hätte ich meiner Mutter unter die Arme gegriffen. Doch anstatt auf mich zu achten, fing sie an zu schreien, als habe sie der Löwe gebissen: „Oh ooh OOOOH!“, rief sie, „ich glaub, es geht los! Ah Aah! AAAH!, lieber Mann, holt die Heb-Amme!“ – Mein Lämmchen“, sagte mein Vater, „hab dich nicht so! Das erste Mal ist immer das schwerste! Du wirst sehen, das Hundertste kommt von selbst!“ – „Pah!“, rief meine Mutter zurück, „von wegen! Vorher schneide ich dir deinen ab!“ – „Meinen?“ – „Ja deinen!“ – „Nicht doch! Wo sollen denn dann –“
Mir wurd´s zu bunt, ich strampelte wieder los. Mutter kreischte auf, dann war Ruhe. Enttäuscht von solchem Geschwätz verkroch mich so gut es ging, trat aber aus Versehen noch einmal zu. Und wieder ging es los: „Ih iih IIIH, Mann, beeilt Euch, ich halt´s nimmer aus!“ – Das Spiel begann mich zu interessieren. Immer, wenn ich gegen eine dieser weichen Wände stieß, fing meine Mutter an zu jammern und zu kreischen. Doch dann blieb ein Bein irgendwo stecken, auch hatte ich den Eindruck, dass meine Höhle immer enger und trockener wurde. Allmählich wurde ich müde und schlief ein. – –
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* Johannistag, 21. Juni
** die Nase am Hintern
Mundburts Geburt und Namensgebung
Ich erwachte, weil mich irgendetwas Kaltes, Zangenartiges gepackt hielt und in eine Richtung zog, die mir nicht behagte. Zwar hatte ich keine Ahnung wohin, doch mein Instinkt sagte mir, dass es mir außerhalb meiner jetzigen Behausung nie wieder so gut gehen würde. Warf also blitzschnell den Hintern herum und sah mich nach einem Fluchtweg um. Unterdessen ging draußen ein Lärm los; hörte die Hebamme schreien: „Jessesmariachosseff, das Kind ist weg, das Kind ist weg!“, worauf meine Vater nach einem kräftigen Rülpser zurückrief: „Kein Problem, Frau Amme, dann machen wir eben ein neues! Wer das erste geschafft hat, schafft auch ein zweites!“
Inzwischen hatte ich mich auf gut Glück weiter nach oben gestrampelt, gelangte durch einen engen, gewundenen Schlauch in die untere Hohlvene meiner Mutter (später habe ich diesen Fluchtweg an einer geschlachteten und halbierten Sau rekonstruiert), von da aus über die Lunge in die Luftröhre, worauf meine Mutter fürchterlich husten musste. Alles weitere ging jetzt so schnell, dass es sich einer genauen Beschreibung entzieht; nur soviel: Plötzlich war um mich eine rasende Helligkeit, ich fand mich in einem Tuch wieder, und meine Mutter rief: „Das ist es ja, das Kind, mein Gott, wie kann das sein?“ Jetzt wurde es dunkel, denn Vater und die Amme beugten sich über das Tuch. „Potztausend!“, rief Papa, „eine Mundgeburt! Also soll der Kleine Mundburt heißen!“ –
Ihr glaubt mir nicht? Ihr sagt, es sei gegen alle Wahrscheinlichkeit? Pah! Gerade deshalb, sag ich euch, könnt ihr mir glauben! Erklären uns die Theologen doch, dass der Glaube der Beweisgrund für das ist, was gegen alle Wahrscheinlichkeit steht. Auch in der heiligen Schrift finde ich nichts, was dagegen stritte. Steht nicht dort: Bei Gott ist kein Ding unmöglich? Item! Wenn er wollte, könnte eine Frau ihr Kind durchs Ohr empfangen, warum, in drei Teufels Namen, könnte er nicht zur Abwechselung Freude an einer Mundgeburt haben? Wo doch Plinius von allerlei absonderlichen Geburten berichtet! Wurde Bacchus nicht aus Jupiters Lende geboren, und ist nicht Minerva aus seinem Ohr gekrochen? Und ihr wollt mich einen Lügner nennen? Ich bitt euch, liebe Leute, macht euch den Kopf nicht mit solch törichten Zweifeln dick!
Forts. folgt