Unglücklich schaute Nelli Trevor nach. Sie verfluchte diesen dämlichen Pirat, der sich als sein Vater herausgestellt hatte. Hätte sie gewusst, was diese miese Kröte seinem Sohn zu sagen gehabt hatte, sie hätte einem Gespräch niemals zugestimmt. Nun fühlte sie sich als Medium benutzt und schuldig, weil es dennoch ihr Mund gewesen war, der diese Sachen ausgesprochen hatte. Die Alte hatte gehofft, Trevor helfen zu können, ihm eine Möglichkeit zu geben, sich von seiner Vergangenheit zu verabschieden. Dass diese ihn belastet hatte, war mehr als offensichtlich gewesen. Nun hoffte sie einfach, nicht noch mehr Wunden aufgerissen zu haben.
Ihre Hände vergruben sich im Sand und sie atmete tief durch um ihre Wut über Johnny und sich selbst zu zügeln. Sie hätte es besser wissen müssen, sie hatte doch so viele Jahre Erfahrung. Langsam atmete sie ein und wieder aus. Sie ließ ihre drei Reisebegleiter viel zu nah an sich ran, sie fühlte sich für jeden von ihnen verantwortlich – selbst Edmund!
Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal solche Gefühle für Menschen entwickelt hatte, ihr letzter Lehrling war schon mindestens fünfzig Jahre her. Das arme Mädchen hatte sie damals aus einer Hütte im Welt gerettet, in der sieben Wüstlinge sie gefangen gehalten hatten um sie dann an einen adligen Lüstling zu verschachern. Das Mädchen hatte gerade mal zwölf Sommer gezählt und schon so traurige Augen gehabt, dass es Nelli das Herz gebrochen hatte. Sie hatte sie kurzfristig betäubt um sie dann zu sich zu nehmen und auszubilden. Hübsch war die kleine gewesen mit ihrem pechschwarzen Haar. Später hatte die Heilerin dann erfahren, welche Geschichte der Adlige und die Wüstlinge erzählt hatten, doch darüber hatte sie nur lachen können. Das junge Mädchen war zu einer stolzen und selbstbewussten Frau heran gewachsen und war als Hexe und Heilerin völlig glücklich gewesen.
„Nelli...Ist alles in Ordnung?“ erklang eine Stimme neben ihr und ließ sie zusammen zucken. Esthers besorgter Blick lag auf ihr und hinter ihr warf Edmund ihr misstrauische Blicke zu.
„Ja, alles in Ordnung, schätze ich“, erwiderte sie beruhigend und winkte ab, wobei ihr Blick aber dennoch in Richtung von Trevors Gestalt glitt, die schon fast im Dschungel verschwunden war.
„Habt ihr euch gestritten?“ fragte die Magierin, die Nellis Blick gefolgt war. Die alte Heilerin seufzte leise und schüttelte den Kopf.
„Nicht wir beide. Ich habe Trevor die Möglichkeit gegeben, mit dem Geist seines Vaters zu sprechen. Das ist wohl etwas aus dem Ruder gelaufen“, erklärte sie und erntete dafür nur ein amüsiertes Schnauben von Edmund, während Esther sie mit hochgezogenen Augenbrauen anschaute.
„Du kannst mit Geistern reden?“ fragte die junge Frau noch mal nach und Nelli nickte. Manchmal vergaß sie, dass das für die meisten nicht so selbstverständlich war, wie es seit je her für sie gewesen war.
„Ich glaube, du musst aus der Sonne, Hexe. In deinem Kopf läuft noch irgendwas durcheinander“, kam es von Edmund und er schüttelte den Kopf. Die Alte verdrehte die Augen. Manchmal fragte sie sich wirklich, warum sie sich auch Sorgen um den Händlersohn machte.
„Nicht viel schlimmer, als in deinem, Söhnchen“, brummte sie und streckte ihre Finger, die sich im Sand verkrampft hatten. Esther sah hingegen eher so aus, als ob sie diese Nachricht nicht wirklich überraschen würde, eher als ob sie so etwas erwartet hätte.
„Interessant...“ murmelte sie nur und schaute erneut zu Trevors Silhouette.
„Keine Sorge, er kommt wieder. Er braucht nur ein bisschen Zeit“, merkte Nelli noch beruhigend an und hoffte, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen. Aber sie glaubte auch nicht, dass der junge Formwandler sie im Stich lassen würde, nicht nachdem er sie so vor seinem Vater verteidigt hatte.
„Also wo ist denn das Segel, was geflickt werden muss?“ lenkte sie schließlich das Gespräch in eine völlig andere Richtung. Sie musste jetzt etwas tun, um sich nicht mehr ganz so nutzlos vorzukommen. So sehr sie es auch mochte, sich um andere zu kümmern, umso mehr hasste sie es, wenn sie selbst diejenige war, die umsorgt werden musste.