Es gibt 415 Antworten in diesem Thema, welches 29.525 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (14. Januar 2025 um 09:42) ist von Thorsten.

  • Ich fühl mich - ehrlich gesagt - außerstande, hier mit dir zu diskutieren, Thorsten . Ich wollte dir lediglich meine Gedanken beim Lesen mitteilen, weil ich denke, dass es für einen Autor hilfreich ist, zu wissen, was in den Köpfen der Leser vorgeht. Aus deinen Antworten auf die Kommis von mir, Kirisha und ichuebenoch entnehme ich, dass du unglaublich sorgfältig recherchiert hast. Dein enormes Wissen über das Leben und die Gepflogenheiten der damaligen Zeit finde ich beachtlich. Aber dieses Wissen erlaubt dir mMn keine genaue Vorhersage, wie Menschen reagieren. Du schreibst, wie du glaubst, dass Tanred reagiert. Das ist okay. Ich sage, wie ich glaube, dass Tanred auch reagieren könnte. Es sind eben einfach nur verschiedene Meinungen. Ich will gar nicht von dir überzeugt werden, dass du es historisch korrekt geschrieben hast. Das gestehe ich dir gern zu. Ich will auch nicht, dass du - nachdem du meine Gedanken zu Tanred gelesen hast - jetzt der Meinung bist, deinen Text verteidigen zu müssen.
    Du schreibst.
    DU.
    Und ich sage dir lediglich, was bei mir ankommt. Wie es auf mich wirkt. Welche Fragen sich bei mir auftun. Und was ich vermisse. Wie gesagt, ich will nicht überzeugt werden, dass Tanred sich - an der historischen Lebenssituation gemessen - korrekt verhält. Dafür kenne ich mich zu wenig damit aus und wenn er das in deiner Version für dich tut, dann ist das so. Mir ist diese Korrektheit nicht so wichtig. Ich lege für mich mehr Wert darauf, wie Tanred sich - an seinen Erlebnissen gemessen - verhält. Und hierzu hatte ich anderes erwartet. Aber ich bin nicht maßgeblich. Tanred ist deine Figur.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Tariq - ich glaube wir reden da ein bisschen aneinander vorbei - die Diskussion mit Kirisha hat ein paar historische Tangenten genommen, aber der Kernpunkt ist:

    Fuer mich ist an dieser Stelle die Erwartung einiger Leser dass Tanred wuetend auf Perren sein sollte oder dass er das Gefuehl haben sollte sein Vertrauen wurde missbraucht ueberraschend.

    Das sollte nicht so sein dass man das beim Lesen so wahrnimmt. Und da kann es einfach sein dass mein Text an irgend einem Punkt die entscheidende Botschaft nicht rueberbringt.

    Falls das so ist, wuerde ich gerne verstehen wo der Punkt ist - was bringt einen Leser dazu diesen Eindruck zu bekommen?

    Ich will Dich nicht ueberzeugen dass ich hier Recht habe (ich weiss, ich neige dazu, und gerade hier tut mir der Eindruck sehr leid...) sondern ich will verstehen ob ich falsch abgebogen bin, und wenn ja wo.

    Moeglicherweise ist es auch kein Eindruck den ich korrigieren kann - das weiss ich nicht. Aber mir hilft diese Diskussion enorm zu verstehen wo das Problem eigentlich ist.

  • Hallo Thorsten ,

    Jo - und da wuerde mich interessieren - an welchen Punkt fehlt Info im Text? Ist das ganze Szenario das ich hier skizziert habe unplausibel? Ist nicht klar dass die Zeit zwischen Teil 1 und 2 groesser ist als ein paar Tage? Kann man nicht erschliessen warum Tanred so getrieben ist nach Gerechtigkeit zu suchen? Ist unklar dass er gar keine persoenliche Loyalitaet zu Kerrin haben kann? Oder ist das Problem was anderes?

    Das mehrere Monate vergangen sind ist denke ich schon klar.

    Der Knackpunkt aus meiner Sicht ist wie schon geschrieben das Perren Tranred nicht früher eingeweiht hat. Worauf hat er eigentlich gewartet? Die Zeit hätte er eigentlich nutzen können um Tanred auf seine Rolle vorzubereiten schließlich ist das eine enorme Menge die da auf Tan zukommt. Angefangen von Etikette und Auftreten, Kenntnis über Kerrins persönliches Umfeld bis zum Verhältnis der einzelnen Adelshäuser zu Prinz Kerrin und untereinander.

    Tans Suche nach Gerechtigkeit/Rache ist durchaus plausibel dargestellt.

    Das er keine persönliche Bindung zu Kerrin hat dürfte auch klar sein. Würde ich in einer Gesellschaft in der Lehnsabhängigkeiten quasi vererbt werden auch nicht erwarten.

    Eine Sache die mir allerdings erst jetzt in den Sinn gekommen ist stört mich allerdings tatsächlich. Wieso läßt Perren seinen Schützling eigentlich monatelang unbeaufsichtigt durch Kerst spazieren?

    Das Ketana von seinem Plan nicht begeistert ist dürfte ihm klar sein. Ebenso daß Edred seine Zuträger und Spitzel vor Ort hat. Fällt den falschen Leuten die Ähnlichkeit zwischen Tan und Kerrin auf wars das für Tan. Das ist nicht nur leichtsinnig sondern schon gefährlich. Und das wäre für Tan tatsächlich ein Grund sauer auf Perren zu sein.

  • Danke fuer die Einschaetzung!:danke:

    Worauf hat er eigentlich gewartet? Die Zeit hätte er eigentlich nutzen können um Tanred auf seine Rolle vorzubereiten schließlich ist das eine enorme Menge die da auf Tan zukommt. Angefangen von Etikette und Auftreten, Kenntnis über Kerrins persönliches Umfeld bis zum Verhältnis der einzelnen Adelshäuser zu Prinz Kerrin und untereinander.

    Das bezieht sich jetzt auf Perrens Motivation... Ich mag dazu (weder im Thread noch in der Geschichte) zu viel verraten, an der Frage 'was hat Perren wirklich vor' soll sich der Leser ruhig ein bisschen abarbeiten, es sind im Text immer wieder kleine Hinweise.

    Hier konkret zu den Punkten:

    Einmal hat Perren eigentlich eine Menge Vorbereitung gemacht - Tanred hat schon bei den Gauklern angefangen mit der Waffe zu ueben und Arianisch zu lernen, ist dann ins Kloster gekommen,... Sehr viel mehr konnte Perren plausiblerweise nicht inmitten einer Gauklertruppe machen ohne dass zu viele Fragen aufgeworfen werden.

    Und dann ist die Liste die Du schreibst fuer den Plan eigentlich nicht so wichtig - Etikette, Kenntnis ueber das Umfeld, Adelshaeuser - das braeuchte Tanred wenn er den Adel taeuschen sollte. Das ist aber nicht der Plan - hier ist der Plan:

    "Wie du sagtest - wir brauchen einen Kerrin", antwortete Perren. "Ein Name reicht nicht mehr aus, nicht wenn wir das Volk zu einem Aufstand bewegen wollen. Aber jemand der Kerrin sein könnte - der dem Namen eine konkrete Gestalt gibt - das ist etwas anderes. In dessen Namen - selbst wenn wir nie behaupten daß es Kerrin ist - könnten wir die Menschen zu den Waffen rufen. Niemand erwartet, daß du Kethana oder die Adeligen täuscht."

    Das einfache Volk wartet auf einen 'Erloeser' - 'wenn doch Kerrin kaeme' - und Perren will ihnen genau so einen bieten - eine Projektionsflaeche fuer ihre Sehnsuechte und Hoffnungen, jemanden fuer den ein Bauer zur Waffe greifen wuerde:

    "Wir brauchen keinen Kerrin wie der echte gewesen wäre — wir brauchen Kerrin wie er hätte sein sollen. Du hast eine Offenheit die Menschen für dich einnimmt, du hast eine vorsichtige Bescheidenheit an dir die für einen Prinzen eine hohe Tugend wäre, und man nimmt dir sofort ab daß du dich mit den Sorgen und Nöten des einfachen Volks auskennst. So ein Kerrin kann Menschen begeistern, sie dazu bringen zur Waffe zu greifen — und notfalls auch ihr Leben für ihn zu wagen."

    Wieso läßt Perren seinen Schützling eigentlich monatelang unbeaufsichtigt durch Kerst spazieren?

    Das Ketana von seinem Plan nicht begeistert ist dürfte ihm klar sein.

    Um, nein - das ist ihm lange Zeit nicht klar. Er geht davon aus dass er im Auftrag und mit dem Einverstaendnis von Kethana handelt (und wird ja die ganze Zeit von ihr finanziert, man sieht es in der Geschichte nicht, aber er gibt sehr viel von ihrem Silber aus bei Treffen wie dem das Tanred mal arrangiert - und als er wirklich erfaehrt dass dem nicht so ist, rastet er voellig uncharakteristisch fuer ihn komplett aus

    "Ädons Schatten und Pathons Verdammnis!", fluchte Perren ungehemmt und hieb mit der Faust auf den Tisch. Tanred blickte ihn erschreckt an - es war selten daß der Prinzipal so die Beherrschung verlor und Blasphemie von sich gab.

    Deshalb sucht er auch einen Verraeter innerhalb der Truppe.

    Ebenso daß Edred seine Zuträger und Spitzel vor Ort hat. Fällt den falschen Leuten die Ähnlichkeit zwischen Tan und Kerrin auf wars das für Tan.

    Ich weiss nicht... Es kommt drauf an ob die Adeligen die Tanred im Teil 1 so komisch anschauen denken 'Hey, da ist Kerrin' oder 'Das ist ja interessant - dieser Gaukler da sieht Prinz Kerrin schon aehnlich'.

    Maldua zum Beispiel (die Kerrin gekannt hat) braucht eine Weile um die Verbindung zu sehen - und dann geht sie keinen Moment davon aus dass sie tatsaechlich den Prinzen vor sich hat.

    Dass ein Spitzel von Edred Kerrin umbringen wuerde ist naheliegend - aber dass er er jeden umbringen wuerde der ihm aehnlich sieht? Wenn der echte Kerrin an den Hof kaeme - wuerde er in der Stadt mit einer Gauklerin in einem Zimmer hausen, ab und an in die Burg kommen und nie seine Mutter sehen - oder wuerde Kethana ihn mit einer guten Leibwache ausstatten und in der Burg unterbringen?

    Es ist fuer den Hof nicht besonders plausibel dass Tanred der echte Kerrin ist (nicht zuletzt weil doch einige wissen dass er es nicht sein kann) - daher keine Geruechte und keine Aufmerksamkeit. Ein Typ halt der aussieht wie Kerrin.

  • Hallo Thorsten ,

    deine Argumente sind soweit plausibel. Ganz überzeugt bin ich allerdings trotzdem nicht. Warum? Weil es ein kleines aber vor allem unnötiges Risiko ist. Perrens ganzer Plan baut darauf auf das Tan in die Rolle des Prinzen schlüpft. Stößt diesem etwas zu war alles umsonst. Die Zeit einen Ersatz für ihn zu finden dürfte Perren wahrscheinlich nicht haben. Das zu riskieren finde ich halt ziemlich leichtsinnig.

    Zu einem Attentat durch Edreds Leute..

    Dass ein Spitzel von Edred Kerrin umbringen wuerde ist naheliegend - aber dass er er jeden umbringen wuerde der ihm aehnlich sieht? Wenn der echte Kerrin an den Hof kaeme - wuerde er in der Stadt mit einer Gauklerin in einem Zimmer hausen, ab und an in die Burg kommen und nie seine Mutter sehen - oder wuerde Kethana ihn mit einer guten Leibwache ausstatten und in der Burg unterbringen?

    Für sich allein tatsächlich sehr unwahrscheinlich. Aber Edred weiß vermutlich auch daß eine Gruppe Kerrinsmänner mit einer Gauklertruppe durchs Land ziehen die ihm schon zweimal durch die Finger geschlüpft sind. Verknüpft er diese beiden Infos mit einander ist es schon nicht mehr ganz so unwahrscheinlich.

  • Der Knackpunkt aus meiner Sicht ist wie schon geschrieben das Perren Tranred nicht früher eingeweiht hat. Worauf hat er eigentlich gewartet?

    Meine Frage wäre eher andersherum gewesen. Du hast geschrieben, dass Tanred diese so gewichtige Sache drei Monate lang im Kopf bewegt, bevor er Perren darauf anspricht. Da habe ich mich gefragt: Echt? Der wartet drei Monate, bis er nachfragt? Muss ihm von der Sache nicht der Kopf platzen? Das spricht nicht dafür, dass Perren eine Vaterfigur für ihn ist. Oder wenn doch, dann eine übermächtige Figur, der man nicht wagt, Fragen zu stellen. Oder Tanred hat beschlossen, alles ungefragt zu akzeptieren, so wie Perren ja auch verlangt hat. Selbst wenn es ja für ihn bedeutet, dass er als zentrale Figur der Rebellion ("Kerrin") im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen wird und das für ihn auch eine besondere Gefahr sein dürfte. Es ist etwas anderes als der Lehrling oder der unterste Mitläufer zu sein.

    Jedoch weiß ich nicht, ob du dich an dieser Stelle damit aufhalten musst, dass alles zu hinterfragen und neu zu überlegen. Du kannst nicht alle 100% zufriedenstellen. Menschen sind nicht perfekt. Und jeder denkt vielleicht zu diversen Details auch etwas anders. Die Story ist spannend genug, dass man schon allein deswegen weiterliest.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Perrens ganzer Plan baut darauf auf das Tan in die Rolle des Prinzen schlüpft. Stößt diesem etwas zu war alles umsonst.

    Also, das waere daemlich wenn es so waere - Perren konnte ja nicht wissen dass er Tanred finden wuerde waehrend er seinen Plan schon sechs Jahre lang verfolgt.

    Ich will hier nicht im Detail ausbreiten was Perrens kompletter Plan ist, aber er ist schon um einiges komplexer und beinhaltet verschiedene Alternativen - teilweise werden wir ihn spaeter noch kennenlernen.

    Aber Edred weiß vermutlich auch daß eine Gruppe Kerrinsmänner mit einer Gauklertruppe durchs Land ziehen die ihm schon zweimal durch die Finger geschlüpft sind. Verknüpft er diese beiden Infos mit einander ist es schon nicht mehr ganz so unwahrscheinlich.

    Ich halte das fuer sehr unplausibel dass Edred selbst sich ueber eine Gauklertruppe gross Gedanken gemacht hat bevor Kethana ihm die Info auf einem Silbertablett serviert hat.

    Ich stelle mir das Regieren eines Reiches wie Gondred eher muehsam vor - da hat man als Koenig nicht unbedingt Zeit jeder kleinen Gruppe von Rebellen nachzugehen... Eine Gruppe Gaukler ist keine Armee, ein Kerrin-lookalike ist keine Armee - da ist keine unmittelbare Bedrohung, Kethanas Armee ist da deutlich gefaehrlicher.

    Echt? Der wartet drei Monate, bis er nachfragt? Muss ihm von der Sache nicht der Kopf platzen?

    Jein... nachdem Perren ihn hat schwoeren lassen zu folgen auch wenn er den Plan nicht kennt und er weiss dass Perren auf Geheimhaltung Wert legt braucht er halt eine Weile um die Worte zu finden die er sagen will.

    Er war wuetend, er hat sich an seinen Eid erinnert und dass er Perren vertrauen sollte, er hat sich Gedanken gemacht was er jetzt sagen soll und das mit sich selbst ausgemacht - bis er zu einem Ergebnis gekommen ist:

    Er hatte sich die Worte schon so lange in seinem Kopf zurechtgelegt daß es sich seltsam anfühlte an sie nun wirklich auszusprechen. Mehr als seltsam. . . Seit dem Tag an dem Alfrec ihm von Kerrins Tod erzählt hatte, war er durch ein Wechselbad von Gefühlen gegangen — Wut auf Perren der ihn und so viele andere belogen hatte und verzweifelte Hoffnungslosigkeit hatte ich mit dem Wunsch, dem Prinzipal einfach vertrauen zu können wie bisher abgewechselt. Und jetzt. . . jetzt fühlte er sich seltsam ruhig, fast losgelöst.

    Tanred ist halt (qua Vorgeschichte) eher vorsichtig. Er hat ja einiges zu verlieren wenn er gleich irgendwas rausrotzt und Perren ihn feuert. Sich da zu ueberlegen was er wie sagen will scheint mir jetzt nicht abwegig.

  • Ichuebenoch  Kirisha  Tariq

    Okay, nach einiger Diskussion hier - :danke:- ziehe ich jetzt mal die Folgerung dass es nicht so ganz selbsterklaerend ist was mit Tanred in den drei Monaten passiert und warum er Perren erst jetzt konfrontiert.

    Ich denke ich werde das als Rueckblende in Tanreds Ueberlegungen an dem Punkt an dem er Perren anspricht und der nicht sofort antwortet schreiben - der Abschnitt der einen Post weiter oben zitiert ist wird dann entsprechend laenger werden.

    Das ist nicht super-elegant weil dann einiges an Plusquamperfekt kommt, aber ich will Teil 1 mit dem Knaller aufhoeren, und in Teil 2 ist vorher eigentlich wenig Platz dafuer, das heisst das scheint mir die beste Loesung zu sein. Dann wird klar dass Tanred schon sauer war, aber auch schon Ueberlegungen hinter sich hat und ein paar der Implikationen durchgeknobelt hat - und hoffentlich macht das auch klar warum er jetzt weitgehend abgeklaert wirkt.

    Was den Problemkreis Perrens Plaene, Tanred als Kerrin etc. angeht - da geht meine Tendenz dazu das zu diesem Zeitpunkt einfach nicht genauer zu erklaeren - einfach weil Tanred da auch noch kein Gefuehl dafuer hat. Es wird spaeter einiges dazu zu sehen sein wie das alles in der Praxis funktioniert.

    Also, nochmal danke an alle - diese Diskussion war schon sehr erhellend fuer mich.

  • "Und das ist die Wahrheit über das was letztes Jahr passiert ist", beendete Perren seine Erzählung.

    Am Tisch, um den die Gaukler versammelt saßen, hätte man eine Nadel fallen hören, so tief war das plötzliche Schweigen. Tanreds Blick wanderte von einem Gesicht zum nächsten. Die Kerrinsmänner unter den Gauklern waren natürlich nicht überrascht von Perrens Worten, auf ihren Gesichtern malte sich eher Anspannung oder Nervosität. Ketrans Augen suchten abwechselnd Vinlinds und Tareias Blick, und Wulfgar schaute zu Fret als ob er den Jungen der so aussah als hätte sich der Boden zu seinen Füßen plötzlich aufgetan durch die pure Macht seines Willens beruhigen konnte.

    Arngards Gesicht war zu einer bleichen Maske erstarrt, nur die Art wie sie ihre Kiefer aufeinanderpreßte zeigte ihre Anspannung, sonst verharrte sie regungslos während ihre Augen kalt funkelten. Ihre Hände ballten sich langsam zu Fäusten bis die Knöchel weiß aussahen. Die beiden Stadtstädter, Ofyas und Rocas, blickten sich überrascht, aber am Ende eher nachdenklich an. Irgend eine stumme Botschaft wurde zwischen den Brüdern ausgetauscht. Tareias Gesicht war im Schock erstarrt, während sich bei Seshani eher Verwirrung malte. Aber das war keine wirkliche Überraschung - weder bei den beiden Brüdern noch bei ihr hatte Perren große Hoffnungen gemacht daß sie Sympathie für die Sache der Kerrinsmänner hatten - keiner von ihnen kam aus Gondred, wer auf dem Thron saß konnte ihnen egal sein. Vinlind fuhrt sich nervös durch die Haare während sie Ketrans Blick auswich. Was sie dachte war unmöglich zu erkennen, aber sie hatte die Wahrsagenummern und Zauberkunstsücke in der Truppe gemacht, sie war es gewohnt andere zu täuschen...

    Die Stille wuchs und wurde fast unerträglich. Tanred hatte den Drang irgend etwas zu sagen, egal was, nur um das erdrückende Schweigen zu beenden. Wenn sie erst miteinander sprechen würden, dann würden die anderen vielleicht verstehen...

    Am Ende war es Arngard die als erste das Schweigen brach. Tanred hatte diesen Moment seit Wochen gefürchtet, aber jetzt wo er wirklich gekommen war, verblaßten selbst seine schlimmsten Ahnungen unter dem eisigen Blick mit dem sie ihn fixierte.

    "Seit wann bis du Teil davon?", zischte sie. "Von dieser... Verschwörung?"

    "Etwa seit Sant Joranstag...", antwortete Tanred leise. "Kurz vor Heltaford... Ich wollte es dir sagen, so oft, das mußt du mir glauben aber... Ich hatte einen Eid geschworen... Ich konnte nicht..."

    Er brach ab, hilflos.

    "Ich Schaf...", fauchte Arngard. "Ich dummes, naives Schaf! Daß mit Perren irgendwas nicht stimmt, den Verdacht hatte ich schon lange. Aber daß ich dem Neuen vertrauen kann, der grade in die Truppe gekommen ist? Davon habe ich mich wieder und wieder überzeugt." Mit jedem Wort das sie ausstieß wurde ihre Stimme lauter. "Aber du hast es trotzdem irgendwie geschafft in so eine Sache reinzukommen! Und ich hab' dir vertraut, Pathon verdamm' mich! Ich dummes Schaf hab' dir wirklich vertraut! Aber du hast deine verdammte Entscheidung getroffen Tan! Dann steh' jetzt dazu!"

    Sie stand so heftig auf daß ihr Stuhl nach hinten umkippte und mit einem Krachen auf den Boden schlug und ging aus der Taverne ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen. Mehrere Blicke von anderen Tischen folgten ihr neugierig, aber bald wandte sich jeder wieder seinen Angelegenheiten zu. Tanred starrte auf den Tisch. Seine Wangen waren flammend rot, und er wagte nicht den Blicken der anderen zu begegnen. Und in seinen Augen brannten ungeweinte Tränen.

    Tareia und Seshani wechselten einen Blick, dann standen sie beide zugleich auf.

    "Was auch immer ihr vorhabt - das ist nicht mein Kampf.", sagte die schwarzhaarige Tänzerin. "Und Seshanis auch nicht. Ich will in eure Fehden nicht reingezogen werden. Mir ist egal welcher hohe Herr auf dem Thron sitzt."

    Tareia schüttelte noch kurz den Kopf, dann drehte sie sich brüsk um und verließ den Tisch. Seshani zögerte noch einen Moment, warf einen Blick zu Ketran.

    "Es tut mir leid, Ket...", murmelte sie. "Aber das ist zu viel... Auch für Freundschaft gibt es Grenzen..."

    Ketran nickte traurig während sie beiden Frauen nachblickte. Perren blickte fragend zu Rocas und Ofyas die leise in der Sprache der Stadtstaaten miteinander flüsterten. Er hatte das ungute Gefühl, daß die Kerrinsmänner bald alleine um den Tisch sitzen würden, aber es war nur ein Gefühl am Rande seines Bewußtseins, fast verdrängt vom Schock der plötzlichen Leere in ihm. Ohne wirklich etwas zu sehen starrte er auf den Platz, wo Arngard gerade noch gesessen hatte. Vielleicht konnte er ihr nachgehen, doch noch mit ihr reden? Vielleicht würde sie verstehen wenn er es ihr in Ruhe erklärte, alleine...

    "Wenn wir bei der Truppe bleiben, muß es sich für uns lohnen", sagte Rocas plötzlich zur allgemeinen Überraschung.

    "Wir brauchen keine Söldner...", knurrte Wulfgar verärgert, aber Perren hob seine Hand um ihn zu unterbrechen.

    "Wie viel?", fragte er knapp.

    Rocas zuckte die Schultern.

    "Nachdem wir jetzt wissen daß wir das Silber das verteilt wird nicht einnehmen müssen... sagen wir erst mal das Vierfache von dem was wir letztes Jahr bekommen haben."

    "Und dann?", fragte Perren, die Augen zusammengekniffen.

    "Wenn alles gut geht und der König deiner Wahl auf dem Thron sitzt?" Rocas Mund verzog sich plötzlich zu einem Grinsen. "Wir spielen wenn der Einsatz stimmt - Land und Titel für uns. Das sollte ja dann kein Problem sein!"

    "Das ist unverschämt!", fuhr Wulfgar hoch. "Wer nur für seinen Gewinn kämpft, der wechselt die Fahne sobald er ein besseres Angebot hat! Was soll das? Was können diese beiden... Gaukler denn überhaupt was auch nur annähernd so viel wert sein sollte?"

    Ofyas sah ihn mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck an.

    "Wir haben eine Vergangenheit in Perla, großer Mann...", sagte er vieldeutig. "Und es gibt einen Grund warum wir hier sind und nicht mehr dort. Neben der Akrobatik können wir schon das eine oder andere das Perren bei so einer Rebellion nutzen kann."

    "Also - was ist?", fügte sein Bruder zu Perren gewandt hinzu.

    Perren nickte und streckte seine Hand aus.

    "Das Vierfache in Silber jetzt, Rittergüter für euch wenn wir siegen - sofern es irgendwie in meiner Macht steht. Mein Wort als Graf des Reiches darauf."

    Beide Brüder tauschten einen überraschten Blick, dann schlug erst Rocas und dann Ofyas in den Handel ein. Wulfgar schüttelte nur den Kopf während Ketran sehr nachdenklich aussah und Branwen einen generell mißbilligenden Blick in die Runde warf.

    Vinlind seufzte.

    "Ich schätze mir bleibt nicht viel Wahl...", sagte sie langsam. "Du setzt mir den Dolch auf die Brust, Perren - es ist ja auch meine Truppe... Wenn ich aussteige, stehe ich mit nichts da..."

    "Wir würden deinen Teil auszahlen wenn du das willst", erklärte Ketran leise. "Auch wenn ich hoffe daß du verstehen kannst warum wir kämpfen müssen..."

    Vinlind lachte bitter.

    "Kann ich das?", fragte sie niemanden bestimmten. "Vielleicht... Was soll's... Ich täusche Menschen schon so lange auf der Bühne, wieso sollte ich sie nicht mal täuschen wenn es um etwas wirkliches geht? Ich wünschte ihr hättet mich nie so überfahren, aber ich bin dabei... Möge Ädon uns allen gnädig sein."

  • Tanred starrte in die kleine Kammer, in der er in den letzten Monden so viele Nächte verbracht hatte auf die einfachen Wandteppiche deren Muster ihm vertraut geworden waren, die verrauchten Balken der Decke, den niedrigen Tisch mit dem Kerzenleuchter der unter dem kleinen, mit öligem Pergament bedeckten Fenster stand. Und er blickte auf das bestickte Hemd das noch auf dem Bett lag, das Geschenk daß ihm Arngard zu Lichtkehr gemacht hatte...

    Es war fast alles wie immer. Nur Arngard war nicht mehr da.

    Sie hatte nicht einmal abgewartet... Er hatte ihr erklären wollen, hatte gehofft daß sie, wenn er ihr in die Augen sah und ihre Hände nahm, spüren würde wie wichtig sie für ihn geworden war, daß er sie nie belügen hatte wollen...

    Aber sie hatte keine Zeit verloren sondern war schon verschwunden. Ihre Sachen waren weg, die Stickarbeiten die am Morgen noch auf der Truhe gelegen hatten genauso wie ihre Winterstiefel und ihr Mantel neben der Tür.

    Ein Hauch ihres Dufts hing noch in der Luft. Oder vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

    Im Grunde hatte er es schon geahnt... Nachdem Arngard ihm zu Anfang des Winters erzählt hatte wie sie vor Jahren von ihrem Partner benutzt worden war um an Höfe zu kommen wo er dann Menschen vergiftet hatte, hatte er den Gedanken daran, was sie wohl davon halten würde daß Tanred ein Kerrinsmann war einfach vermieden. Bis heute wußte er nicht, was er von ihrer Geschichte halten sollte war es wirklich so passiert? Wieso sollte ein Giftmörder überhaupt durch die Burgen und Kloster Gondreds gezogen sein? Aber er hatte wenig Zweifel daran daß es Arngard mit jedem Wort ernst gewesen war.

    Und jetzt...

    Er wollte den Gedanken nicht zu Ende denken, statt dessen starrte er einfach weiter auf das leere Bett.

    Irgendwie... hätte er eine Entscheidung treffen müssen. Irgendwie hatte er entweder Arngards Vertrauen haben können oder die Kerrinsmänner... Jetzt hatte sie die Entscheidung getroffen...

    Er wischte sich Tränen aus den Augen und nahm einen zitternden Atemzug.

    Was würde Kerrin jetzt tun?

    Der Gedanke kam plötzlich und Tanred lachte bitter. Nach allem was er von Prinz Kerrin wußte was nicht viel war, ein paar Brocken die Alfrec erzählt hatte und ein paar mehr Beobachtungen die Perren ihm mitgeteilt hatte nachdem er ihn mit der Wahrheit über den Prinzen konfrontiert hatte nach all dem wäre der echte Kerrin wahrscheinlich schmollend zu irgendjemandem gerannt und hätte verlangt daß Arngard bestraft werden würde...

    Aber was würde der Prinz aus der Geschichte die Perren allen vorspielen wollte tun?

    Er würde seine Fehler erkennen und daraus lernen, aber dann sein Pflicht sehen und weiter machen, trotz des Schmerzes...

    Tanred wischte sich ziellos durch das helle Haar.

    Irgendwie war das kein Trost...

  • Für dich wahrscheinlich keine Überraschung. Ich finde die Szenen zwischen Arngard und Tanred besonders schön. Jetzt sieht es ja so aus als ob er sie nie wiedersehen wird. Aber wenn du schon so ein Geheimnis angelegt hast (der Giftmörder) wirst du das vermutlich noch irgendwann auflösen und daher taucht sie wahrscheinlich doch nochmal auf. Darauf bin ich schon sehr gespannt!

    Das waren jetzt zwei sehr intensive Abschnitte und ich schätze die Probleme fangen jetzt erst an. Es ist sehr spannend!

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  • Ich finde die Szenen zwischen Arngard und Tanred besonders schön.

    Dankeschoen!

    Hm doch, so ein bisschen ueberraschend kommt das schon. Ich hatte Dich eher als die Romantikerin auf dem Schirm, waehrend die beiden ja irgendwie... aneinander vorbei ihre Beziehung fuehren - und die Szenen hier sind eben eher dass die Realitaet einen Besuch abstattet.

    Also, eher ernuechternd als romantisch...

    Aber wenn du schon so ein Geheimnis angelegt hast (der Giftmörder) wirst du das vermutlich noch irgendwann auflösen und daher taucht sie wahrscheinlich doch nochmal auf.

    Ich muss ehrlich sagen - ich hab' keine Ahnung. Arngard hat sich so ein bisschen in diese Geschichte reingedraengt, sie ist wirklich eine Figur die ich so eigentlich vorher nicht geplant hatte und die beim Schreiben zum Leben erwacht ist, und ploetzlich kam sie da auch mit ihren Geheimnissen an...

    Jetzt laeuft sie erst mal aus der Geschichte raus, aber nachdem sie sich an meine vage Vorstellung wie das Ganze weiter gehen soll bisher nicht gehalten hat, weiss ich auch nicht ob sie nicht wieder auftauchen wird.

    Sie wird's mich wissen lassen wenn ich an eine Stelle komme wo das moeglich ist nehme ich an...:)

  • Hm doch, so ein bisschen ueberraschend kommt das schon. Ich hatte Dich eher als die Romantikerin auf dem Schirm, waehrend die beiden ja irgendwie... aneinander vorbei ihre Beziehung fuehren - und die Szenen hier sind eben eher dass die Realitaet einen Besuch abstattet.

    Also, eher ernuechternd als romantisch...

    Es muss auch nicht zwingend romantisch-mit-happy-end sein. Ich mag es wenn man die Gefühle zwischen ihnen spürt und das bekommst du gut hin.

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  • Das Geräusch von unzähligen Tropfen, die von den Dächern fielen, begleitete Tanred, Ketran und Perren auf ihrem Weg durch Kerst.

    Nach dem Sant Akanta Tag kam der Frühling oft plötzlich und auch in den Bergen war das anscheinend so - die Sonne stand hoch an einem stahlblauen Himmel und ihr Licht gleißte auf den Schneefeldern der Berge, aber während die Nächte noch frostig waren, taute der Schnee in der Stadt unter Tags recht rasch. Das Ergebnis waren Dächer auf denen sich schon die ersten Lücken im Weiß auftaten - unter denen dann rote Schindeln oder grauer Schiefer zu sehen war, beeindruckende Eiszapfen die in Richtung der Gassen tropften und Straßen die von einer rutschigen Mischung aus blankem Eis und braunem Schneematsch bedeckt waren.

    Erst als sie das Stadttor passierten wurde der Weg besser - hier hatten unzählige Schlittenkufen den Weg platt gefahren und dann das Eis der Nacht unter ihrem Gewicht in kleine Stücke zerbersten lassen so daß auch Stiefel ohne eine Nagelsohle Halt fanden. Hier schlossen sich auch die anderen Gaukler an - die, die noch bei der Truppe geblieben waren. Vinlind war in einen leichten Wollmantel gehüllt unter dessen Kapuze nur eine Strähne ihres langen, dunklen Haars hervorschaute, aber Ofyas und Rocas trugen trotz des Sonnenscheins dicke Fellwesten. Fret hatte sich schüchtern bei Branwen untergehakt die als einzige gekleidet war, als wäre der Frühling schon gekommen und ihre grauen Haare im Wind wehen ließ.

    Vor der Stadt stand der Nadelwald schon ohne Schnee da und reckte sich dunkel dem Himmel entgegen. Die ersten Raubvögel kreisten über den Bäumen und dem Flußtal. Weit unten rauschte dort ein machtvoller Strom von schlammigem Schmelzwasser. Noch konnte man mit Schlitten über die Straße fahren, und so waren viele Fuhrwerke unterwegs - bergauf strengten sich Pferde oder Maultiere an ihre Last zu ziehen, bergab bremsten die Fahrer den Schwung so daß immer wieder Eis aufspritzte wo die stählernen Bremsen tiefe Furchen in das Eis rissen.

    Tanred hatte für nichts davon ein Auge. Er starrte auf den Weg vor seinen Füßen und setzte mechanisch einen Schritt nach dem anderen.

    Arngard war so komplett aus seinem Leben verschwunden als hätte sie nie existiert. Einen Abend lang hatte er andere Tavernen in Kerst abgesucht, sogar nach ihr gefragt, aber sie war nicht aufzufinden gewesen. Vermutlich hatte sie die Stadt schon verlassen. Und alles was ihm blieb war die Erinnerung an ihr blasses, zur Maske erstarrtes Gesicht als sie die Wahrheit erfahren hatte...

    Seitdem funktionierte er bur noch, irgendwie... Ketran hatte versucht mit ihm zu reden, aber was konnte sie ihm schon sagen das er nicht schon wußte? Am Ende wäre es, was auch immer er getan hätte, auf die einfache Wahl herausgelaufen - Arngard oder die Kerrinsmänner.

    Und diese Entscheidung war einfach... Er mußte nur an die vielen Galgen denken die er auf seiner Reise gesehen hatte, an die Art wie die Schwarze Garde Rache an Menschen genommen hatte die gar nicht beteiligt gewesen waren als Perren und Wulfgar ein paar von ihnen getötet hatten - und an sein Heimatdorf das die Söldner niedergebrannt hatten nachdem sie fast alle Bewohner massakriert hatten. Die Garde betraf alle, es gab keine Sicherheit vor ihr im Rest von Gondred, sie konnten das Leben eines jeden von einem Moment auf den anderen zerstören und niemand zog sie dafür zur Rechenschaft.

    Er wollte Kerrinsmann sein, er wollte daß die Soldaten und ihre Anführer nicht ungestraft davon kamen. Gegen die Not von Gondred verblaßten seine eigenen Wünsche.

    Eine Phantasie, in der er Perren im Stich lies und mit Arngard zusammen ein Leben plante... die funkionierte einfach nicht. Dieser Tanred würde nicht mit seinem Gewissen leben können...

    Und trotzdem, nichts davon machte die Leere in ihm besser.

    "Hier sind wir!", unterbrach Perren seine trüben Gedanken.

    Tanred blickte auf. Sie hatten ein kleines Gehöft erreicht, ein Haupthaus, ein Stall und eine Scheune umschlossen einen kleinen Innenhof, von Schneematsch bedeckt, und dort stand ein Wagen. Keiner wie die Wagen der Gaukler, bunt und im Wesentlichen eine komplette Hütte auf Rädern, sondern
    wenig mehr als ein Fuhrwerk das nach oben mit Leinwand verkleidet war und so einen sehr windigen Innenraum bot.

    "Das? Das ist nicht dein Ernst!", sagte Rocas entgeistert.

    "Nicht bequem, aber unauffällig", erklärte Perren. "Auf den Straßen sind hunderte solcher Wagen unterwegs - selbst wenn jemand uns haarklein der Garde beschreibt, sie werden uns nie in der Menge finden."

    Ofyas trat vor und ließ seine Hand über das graue Holz wandern, dann die eisenbeschlagenen Räder und den groben Stoff. In seinem Gesicht war ein Ausdruck der schwer zu beschreiben war - vielleicht irgendwas wie faszinierter Ekel.

    "Wo sollen wir schlafen?", fragte er schließlich.

    "Draußen", meinte Ketran trocken. "Der Wagen mit dem ich als Kind unterwegs war, war auch nicht besser - unter dem Wagen läßt sich ein trockenes Plätzchen finden, und wir können immer einen Unterstand aus ein paar Bäumen und einer Zeltplane bauen wenn es wirklich regnet."

    "Und unsere Sachen?", fragte Vinlind skeptisch. "Die Kostüme, die Feuerschalen? Die Bühne? Wo bringen wir all das unter?"

    "Wir werden eine sehr viel einfachere Truppe sein...", sagte Perren mit einem schiefen Lächeln. "Vor allem wird es wieder Ketrans Truppe sein - ich selbst bin nicht mehr Perren der Prinzipal sondern Anduas der Lautenspieler. Und wir werden hauptsächlich Musik machen, vielleicht ein paar Geschichten erzählen oder ein wenig Taschenspielerei von Vinlind. Nichts von den spektakuläreren Dingen."

    Rocas nickte resigniert.

    "Daß gute Akrobaten nicht in diesem... Gefährt... hausen, das ist offensichtlich", stellte er fest.

    "Wir müssen alle Opfer bringen", entgegnete Ketran trocken. "Denk' an einen guten Beutel Silber, dann wird dir gleich wärmer."

    Die beiden Stadtstädter sahen sich missmutig an, dann zuckte Ofyas mit den Schultern.

    "Was genau tun wir dann in Ketrans Truppe?", fragte er.

    "Theaterspielen...", erwiderte Ketran mit einem hintergründigen Lächeln.

    "Ich dachte wir machen Musik?", fragte Fret plötzlich leise.

    "Das Theater spielen wir abseits der Bühne", erklärte Perren. "Ohne daß jemand weiß daß wir Gaukler sind. Die Einzelheiten dazu können wir unterwegs ausarbeiten, aber das wichtigste von Anfang an ist, daß wir immer - und ich meine immer - ein Stück aufführen das 'Der geheimnisvolle Prinz' heißen könnte."

    Ofyas warf einen fragenden Blick in Richtung Tanred, und Branwen nickte.

    "Tanred ist unser Kerrin im Verborgenen", erklärte sie. Die beiden Brüder grinsten und Vinlind nickte nachdenklich.

    "Das heißt, wir werden nie zugeben oder auch nur andeuten daß er wirklich Kerrin sein könnte", führte Perren aus. "Aber wir werden ihn so behandeln daß die Leute von sich aus auf die Idee kommen können wenn sie ihre Phantasie ein bisschen spielen lassen. Das wichtigste ist: Niemand kommandiert Tan herum. Nicht daß er nicht mit anpacken soll - aber wir fragen ihn immer höflich um Hilfe. Die er uns dann gewähren wird. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen daß er jemands Laufbursche ist."

    "Klingt einfach genug...", murmelte Rocas. "Und was macht Tanred?"

    Perren kratzte sich am Bart.

    "Ich hatte gehofft, daß Vinlind hier die eine oder andere Idee beisteuern kann", erwiderte er.

    Die Gauklerin grinste und zwinkerte Perren zu.

    "Vertrau' mir, Perren", sagte sie verschmitzt. "Wenn ich mit ihm fertig bin, dann wird er ein Prinz sein. Die Damen bei Hof werden ihm Botschaften schicken und die Ritter für ihn Drachen erschlagen..."

  • Tariq  Kirisha  Ichuebenoch

    Nachdem jetzt alle Zeit hatten den Text zu verdauen:) - wird aus dem Abschnitt hier

    "Das heißt, wir werden nie zugeben oder auch nur andeuten daß er wirklich Kerrin sein könnte", führte Perren aus. "Aber wir werden ihn so behandeln daß die Leute von sich aus auf die Idee kommen können wenn sie ihre Phantasie ein bisschen spielen lassen. Das wichtigste ist: Niemand kommandiert Tan herum. Nicht daß er nicht mit anpacken soll - aber wir fragen ihn immer höflich um Hilfe. Die er uns dann gewähren wird. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen daß er jemands Laufbursche ist."

    nochmal ausreichend klar dass es nicht darum geht Leute zu taeuschen die Kerrin kennen und denen vorzugaukeln dass Tanred der echte Prinz waere, sondern darum eine Figur zu praesentieren auf die Menschen ihre Hoffnungen richten koennen?

    Der Punkt ist schon sehr wichtig, ich will nicht dass Leser hier den Eindruck haben dass Tanred tatsaechlich Kerrins Rolle einnehmen soll und etwa dem Adel als wiedergekehrter Prinz praesentiert werden soll.

  • ich will nicht dass Leser hier den Eindruck haben dass Tanred tatsaechlich Kerrins Rolle einnehmen soll und etwa dem Adel als wiedergekehrter Prinz praesentiert werden soll.

    Für den aktuellen Zeitpunkt in der Geschichte kann ich das abnicken.

    Aber

    ... was wird später? Angenommen Edred wird verjagt, angenommen die Königin im Exil ist dann nicht mehr im Exil, sondern wieder amtierende Herrscherin. Was passiert dann mit Tanred? Freundlicher Schulterklopfer von Perren mit einem "gut gemacht, du kannst jetzt gehen"? Oder muss er sich vielleicht sogar fürchten, weil er ja viel weiß und schon allein deshalb der Königin gefährlich erscheinen könnte?
    Das waren die Fragen, die ich schon in der letzten Debatte bei Tanred vermisst hatte und die du nicht wirklich nachvollziehen konntest. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du versucht, mir anhand von Tanreds vergangenen und aktuellen Lebensumständen zu erklären, dass diese Fragen bei ihm nicht auftauchen bzw. dass die Antworten ihm nicht wichtig sind, weil seine Priorität ganz klar die Rache ist (das was er Wunsch nach Gerechtigkeit nennt). Ich will die Antworten auch nicht wissen, zumindest nicht jetzt sofort. Ich dachte nur, dass sind Fragen, die man sich automatisch stellt, wenn man erfährt, dass man für etwas benutzt wird.

    Mal sehen, wie Tanred nach dieser Ansage von Perren reagiert.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • ... was wird später? Angenommen Edred wird verjagt, angenommen die Königin im Exil ist dann nicht mehr im Exil, sondern wieder amtierende Herrscherin. Was passiert dann mit Tanred? Freundlicher Schulterklopfer von Perren mit einem "gut gemacht, du kannst jetzt gehen"? Oder muss er sich vielleicht sogar fürchten, weil er ja viel weiß und schon allein deshalb der Königin gefährlich erscheinen könnte?

    Okay, ich hab' das auf dem Schirm. :thumbup:

    Einmal muss ich sagen - ich hatte das nicht so angelegt, aber mir gefaellt irgendwie dass Perren von Euch doch recht... kuehl aufgenommen wird. Dass Leser da ins Gruebeln kommen und raten - was will der Mann wirklich - das ist eigentlich gar keine so bloede Dynamik.

    Was Dein 'angenommen' betrifft - Perren zettelt grade gegen den Willen der Koenigin im Exil einen Aufstand an wo sie verhandeln moechte - die erste Frage die sich da stellt ist glaube ich - was ist eigentlich mit Perren wenn die Sache weitergeht? Kann er damit rechnen in Gnade wieder aufgenommen zu werden - will er das ueberhaupt (er weiss ja um den Trumpf 'Kerrin ist nicht mehr am Leben, daher hat die Regentin keine Legitimation')?

    Wenn Perren abserviert wird - dann hat Tanred auch nicht viel zu erwarten...

    Ich denke Tanred wird schon ueber diese Fragen nachgruebeln - aber vielleicht spaeter wenn die Geschichte nicht mit so vielen neuen Entwicklungen zu tun hat (momentan hat Tanred glaube ich primaer Arngard im Kopf...)

  • Langsam hängte Tanred den schweissnassen Waffenrock zum Trocknen auf. Die Bewegungen waren ihm den Winter über vertraut geworden, genau wie das Gefühl des Holzschwerts in seiner Hand oder der Geruch der Fechthalle - all das war immer mehr Teil seines Lebens geworden. Er hatte hier in langen, anstrengenden Stunden gelernt mit Schwert und Schild zu kämpfen, mit dem Dolch, dem Speer, sogar mit anderen in der Schlachtreihe und vor allem mit dem Zweihandschwert.

    Und jetzt war dieser Teil seines Lebens vorbei... Morgen würden er mit den anderen zusammen wieder als Gaukler ausfahren.

    Der alte Waffenmeister stand hinter ihm als Tanred sich umdrehte. Er hielt ein Langschwert in einer einfachen Lederscheide und einen Dolch in der Hand.

    "Meister Alfrec?", fragte Tanred überrascht.

    "Ich hab' schon einige Schüler gehabt, Tanred", begann sein Lehrer nachdenklich. "Söhne von Königen und Herzögen genauso wie Bastarde von Rittern. Und ab und an sogar jemanden aus dem gemeinen Volk. Weiß Ädon du warst nicht der Schlechteste davon. Du solltest jetzt zumindest imstande sein, die meisten deiner Gegner mit deiner Fechttechnik zu überraschen und so deine Kämpfe für dich zu entscheiden. Aber sei nicht übermütig - es gibt keinen wirklichen Ersatz für Jahre an Erfahrung und Training. Wenn du in eine Schlachtreihe mußt, sorg' dafür daß gute Leute um dich herum stehen. Egal wie gut du alleine bist - du mußt dich auf deine Kameraden verlassen können. Und Pech... Pech kannst du immer haben."

    "Ja, Meister...", murmelte Tanred und nickte. Alfrec reichte ihm das Schwert.

    "Zum Abschied", brummte er. "Besser ich wähle dir eine Waffe aus als daß ich sowas Wichtiges Graf Sigwulf überlasse."

    Tanred zog vorsichtig die Klinge aus der Scheide. Sie sah nach nicht viel aus, der Stahl glänzte nicht sondern war von einem matten Grau in dem sich fast unsichtbare wolkenartige Muster verbargen.

    "Chryseianischer Rauchstahl, auch wenn die Machart der Waffe gondrisch ist", erklärte Alfrec. "Härter als alles was die Schmiede hier herstellen können, aber auch biegsamer. Die Schneide hält die Schärfe besser. Sieht nach einer einfachen Waffe aus, aber wird dich im Kampf nicht im Stich lassen. Und es ist die Art von Klinge die ein Prinz im Exil haben könnte."

    Tanred blickte ihn scharf an, plötzlich aufgeschreckt. Alfrec lachte.

    "Es ist nicht so schwer zu erraten was Sigwulf mit dir vor hat, Tanred. Einige bei Hof machen sich so ihre Gedanken..."

    Tanred liß die Klinge wieder in ihre Scheide gleiten und schnallte sich das Schwert um. Sollte sich Perren Gedanken machen wer von seinem Plan wußte oder nicht...

    "Manche sagen, ein Schwert ist nur ein Stück Stahl, ein Werkzeug um einen anderen im Kampf zu besiegen...", sagte der Waffenmeister während Tanred den Gurt fest zog. "Andere sagen, es hat eine Seele, oder es wird Teil der Seele des Ritters, wenn er es verliert, dann verliert er seine Ehre."

    Alfrec zuckte die Schultern.

    "Mein Leben lang denke ich schon über diese Frage nach, aber einer guten Antwort bin ich nicht nahe gekommen. Mal denke ich, es kommt nur auf den Kämpfer an - und zu anderen Zeiten bin ich sicher daß ein Schwert mehr als nur ein Werkzeug ist, daß es auf seine Art lebt. Du mußt es wohl selber rausfinden..."

    Alfrec reichte Tanred den Dolch. Tanred zog ihn ebenfalls aus der Scheide und betrachtete ihn - eine alte Waffe, der Griff mehrfach mit Draht repariert, und die Klinge matt von Kratzern und dem Werk von Wetzsteinen.

    "Und diese Waffe?", sagte er und blickte den Waffenmeister fragend an.

    "Nichts besonderes", entgegnete der. "Der Dolch den ich oft in der Schlacht getragen habe bevor ich königlicher Waffenmeister geworden bin. Höchstens sentimentaler Wert. Aber er hat mich nie im Stich gelassen - vielleicht bringt er dir Glück."

    "Danke, Meister Alfrec", sagte Tanred verlegen. Er hatte ein Gefühl daß die Geste sehr bedeutungsvoll war, aber keine Ahnung wie er die Worte finden sollte die das ausdrückten. Aber Alfrec schien auch nichts dergleichen von ihm zu erwarten.

    Der Waffenmeister seufzte.

    "Ich habe schon viele junge Ritter ausgebildet und aus dieser Halle gehen sehen...", sagte er leise. "Manche waren selbstsicher, andere vorsichtig. Am Ende waren manche eine Enttäuschung, und andere... andere haben meine wildesten Erwartungen übertroffen. Man kann es nicht vorher wissen... Ich kann als Lehrer nur so viel tun, der Rest liegt in Ädons Hand..."

    "Ich werde euch nicht enttäuschen, Meister", versprach Tanred.

    "Gib keine Versprechen von denen du nicht weißt ob du sie halten kanst", tadelte Alfrec ihn. "Du ziehst in den Krieg, egal wie Sigwulf das nennen will. Und im Krieg ist manches anders... Ich kann es dir nicht beschreiben, du wirst es erleben. Geh' mit Ädon, Tanred."

  • Den Abschnitt finde ich sehr schön mit vielen nachdenkenswerten Ideen. Nach dem Schaukampf gegen Wulfgar hatte ich erwartet dass Tanred jetzt als zukünftiger Held gefeiert wird. Stattdessen holt sein Lehrer ihn auf den Boden der Tatsachen zurück und warnt ihn davor dass das echte Leben ganz anders ist als die Trainingsläufe die er geübt hat. Das finde ich wirklich sehr gut. Auch das Abschiedswort dass es jetzt an ihm ist zu beweisen was er kann und wie viel davon im wahren Leben taugt gefällt mir sehr. Es lässt alles offen und so ist es ja auch im Leben.

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    In meiner Jugend war ich eine begeisterte Wettkämpferin und immer wieder erstaunt darüber wie anders es sich anfühlt ernsthaft zu trainieren oder auf einen Wettkampf zu gehen. Fehlendes Talent war ich gezwungen durch beharrliches Training auszugleichen. Was bis zu einem gewissen sogar recht hohen Grad möglich ist bevor man dann an seine Grenzen stößt.

    Es gab später bei uns im Club einen Jungen im Alter meines Sohnes der ungeheuer und atemberaubend talentiert war und der über 5 Jahre immer in seiner Altersklasse der Schwedenbeste war. Ich war sozusagen sein größter Fan und davon überzeugt er würde eines Tages Profi und im Fernsehen zu sehen sein. Das hat er über zehn Jahre versucht aber leider nicht geschafft - nicht mal ansatzweise. Das hat mir sehr eindrucksvoll gezeigt dass Talent nicht alles ist und das Leben nicht linear und vorhersehbar ist.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince